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Savoyen! Land beschneiter Höh'n,
Wer hat dein kräftig Bild gesehn,
Wer trat in deiner Wälder Nacht,
Sah auf zu deiner Wipfel Pracht,
Wer stand an deinem Wasserfall,
Wer lauschte deiner Ströme Hall:
Und nannte dich nicht schön?
Du Land des Volks, dem Reiche weihen
Ruhmvoll den Namen des Getreuen,
Bist herrlich, wenn der Frühlingssturm
Die Berggewässer schäumend führt,
Und deiner Fichten schlanker Turm
Sich mit den jungen Nadeln ziert;
Bist reizend, wenn die Sonnenglut
Erzittert um den Mandelbaum;
Doch in des Herbstes goldner Flut
Du ruhst gleich dunklen Auges Traum.
Dann treibt der Wind kein rasselnd Laub
Durch brauner Heiden Wirbelstaub;
Wie halbbezwungene Seufzer wallen,
Nur leis die zarten Nadeln fallen,
Als wagten sie zu lispeln kaum. –
Der Tag bricht an; noch einsam steigt
Das Sonnenrund am Firmament.
Am Strahl, der auf und nieder streicht,
Gemach der Erdbeerbaum entbrennt.
Noch will das Genzian nicht wagen,
Die dunklen Wimpern aufzuschlagen;
Noch schläft die Luft im Nebeldicht –
Welch greller Schrei die Stille bricht?
Der Auerhahn begrüßt das Licht!
Er schaukelt – wiegt sich – macht sich breit,
Er putzt sein stattlich Federkleid,
Und langsam streckt ihr stumpf Gesicht
Marmotte aus hohlen Baumes Nacht:
Das Leben, Leben ist erwacht!
Die Geier pfeifen, Birkhahn ruft,
Schneehühner flattern aus der Kluft,
Die Fichten selbst, daß keiner säume,
Erzählen flüsternd sich die Träume,
Und durch Remy geht überall
Ein dumpf Gemurr von Stall zu Stall. –
Schau! drunten an des Weilers Ende,
Wie öffnet sich das Glas behende!
Und in dem Rahmen, vorgebeugt,
Ein bräunlich frisches Weib sich zeigt;
So jung noch, unter zwanzig Jahren –
Bezeugt doch in den schwarzen Haaren
Das Mützchen und bescheidne Band
Den ehrenhaften Frauenstand.
Halb schläfrig scheint sie aufgewacht:
Sie blinzelt – hebt die Hand hinauf –
Zur Uhr am Turm – zum Nußbaum auf,
Wo schon der klare Sonnenstrahl
Schattiert die Blätter allzumal;
Dann, halb gewendet, tritt zur Schau
Des Nackens kräftig voller Bau.
Sie wiegt das Haupt – sie nickt – sie grüßt,
Und wieder sich das Fenster schließt.
In Saint-Remy der Tag beginnt.
Die aufgestoßnen Laden winken;
Bald hier, bald drüben Riegel klinken,
Im Bette weint das kranke Kind,
Ein Mütterchen, gebückt genug,
Zum Borne schleppt den Wasserkrug.
[Noch wenig Schritt', dann bleibt sie stehn]
Horch, Glockenklang von Saint-Oyen!
Nur mit dem Winde, ganz von Weiten
Nun in der Schlucht beginnt's zu läuten,
Nun drunten an des Berges Fuß;
Nun stimmt mit seinem Glöckchen klein
Pantaleons Kapellchen ein.
Welch Tongewirr, welch Schwirren, Singen!
Die Klüfte, Felsennadeln klingen,
Sankt Bernhard mit gewicht'gem Ton
Gibt Antwort aus der Wolke schon;
Und drüben an der Raine Sitze
Die Nestchen sind erwacht vom Schall;
An Fenstern fahren schwache Blitze,
Und hier und dort und überall
Aus der zerstreuten Hütten Türen
Hervor die kleinen Gruppen gleiten,
Und wie die Pfade schlängelnd führen,
Verschlungen vom Gestrüppe schnell,
Beschattet halb, dann wieder hell,
Ein Farbenspiel von allen Seiten:
Blau, Grün und brennend Rot genung,
Wem nur das Auge scharf und jung,
Der sieht schon an der Frauen Mieder
Das Goldkreuz, die Grananten flimmern,
Geflitter wehn vom breiten Hut
Und aus des Senners Jacke schimmern
Den feuerfarbnen Brustlatz gut!
Ei! wie zum Brunnentrog gekehrt
Das Mütterchen zusammenfährt:
Ihr überm Haupt beginnt im Turm
Des Glockenrufs gewalt'ger Sturm.
Eins – zwei – drei Schläge, dann im Takt,
Wie der Orkan die Felsen packt:
Herbei, herbei, zur Jahrmarktsfrüh,
Nach Saint-Remy, nach Saint-Remy!
Welch Treiben! welch Gewimmel! auf
Im Weiler alle Türen fahren,
Draus hastig die Bewohner gleiten
Hervor mit Rosenkranz und Buch,
Die Mädchen streichen an den Haaren
Und zupfen noch am Busentuch,
Und in das Dorf von allen Seiten
Geschwister, Freunde und Bekannten,
Aus Tievero, Guignard die Verwandten,
Sich stellen ein zur Jahrmarktsfeier,
Der steife Greis, der flinke Freier,
Matthieu, Savoyens bester Schütze,
Charlot der Ringer, Pierre, im Lauf
Der Gemse gleich, des Berges Blitze,
Der Säumer mit gewirkter Mütze –
[Zum Kirchhof drängt's in buntem Hauf];
Macht Platz dem Pfarrer! Alles rückt –
Und langsam tritt der würd'ge Mann
In das Gewühl, den Nacken drückt
Schier ein Jahrhundert, was entrann
[Im stündlich mehr zerspülten Gleis];
Nicht sparsam ist sein Haar, doch weiß,
Weiß wie der mächt'ge Alpengreis,
Der ihn mit seinem Anblick klar
Gestärkt durch sechsundneunzig Jahr;
[Doch ungebeugten Geistes Gut
Verrät der Rede milde Glut,
Wenn Seufzer, die gen Himmel steigen,
Verehrten Wortes Kraft bezeugen.
Nur wenig ist der Blick getrübt,
Und sein Gedächtnis Rechnung gibt
Von langverschollenem Beginnen.]
Er schreitet fort – was mag er sinnen?
Wie Grab an Grab vorüberrinnen?
»Dich sah ich einst so froh und wach –
So trutzig dich am Jahrmarktstag –
Dein Leid hab' ich mit dir getragen –
Gestillt im Tode dein Verzagen!
Auf eure Gruft der Enkel tritt,
Und ich – noch einmal tret' ich mit!«
Nun Glockenklang verhallt – Gedränge
Verrinnt, zum letzen Male fallen
Der Kirche Türen, in den Hallen
Ersteht die Feier der Gesänge;
Erst schwach – verstärkt – ein voller Chor
[Die ungeschmückte Melodie]
In strenger Einfalt steigt empor.
Er hebt sich – schwillt – sie ist verstummt.
Nur leise, wie die Biene summt,
Ganz leise scheint die Luft zu beten.
Am eingesunknen Leichenstein
Lehnt feiernd sich der Sonnenschein,
Und mit entblößten Häuptern treten
Die Alpen aus dem Duft hervor;
So fromm sie stehn, so ehrfurchtshehr –
Fürwahr, es wird dem Menschen schwer,
Daß er bewußtlos glauben soll,
Wem so gewalt'ge Stimme eigen;
Wenn flüsternd bald, bald donnernd steigen
Die Laute zu der Alpe Sohn,
Er kennt ihr Antlitz, ihren Ton.
[Was je durchzittert seine Brust,
Der Berg hat Antwort ihm gegeben,
Und manche Blicke, schuldbewußt,
Vor Alpenbrauen Zürnen beben.
Wie mild, wie väterlich, wie traut
Sankt Bernhard auf sein Dörfchen schaut!
Kein Schatten seinen grauen Schimmel
Streut auf den frischen Sonntagshimmel,
Nur an der Jungfrau Stirne rein,
Gleich aufgelöster Tränen Schein,]
Ein flockicht Wölkchen webt und flimmt –
Es schmilzt, es gleitet, es verschwimmt,
Und wieder stützt die hohe Frau
Mit ihrer Stirn des Himmels Bau.
Sieh dort! ein weißer Strich am Rain,
Ist's ein entfallnes Tuch? – doch nein,
Es regt sich – ist's ein irres Lamm?
Ein Vogel? Von des Hügels Kamm
Steigt's abwärts – immer näher – ha!
Du, gutes Mönchlein, kommst gewiß
Zum Gottesdienst, ein Hindernis
Hielt dich so lang! – Der Pater tritt
Gewaltig zu – doch zeigt sein Schritt,
Sein Antlitz minder Eil' als Trauer.
Wie reibt er mit dem Tüchlein weiß
Sich von der Stirn den herben Schweiß!
Naht nun der Kirche – nein, er geht
Vorüber – um die Kirchhofsmauer,
Wo dicht am Born die Hütte steht;
Pocht an die Tür, ans Fensterlein –
Umsonst – ans zweite, dritte Haus –
Da endlich streckt ein Mädchen klein
Sein sonnenbraun Gesichtchen aus.
Es deutet nach des Dorfes Rand,
Der Pater lächelt, legt die Hand
Ihr segnend auf das dunkle Köpfchen,
Bereits geziert mit Band und Zöpfchen,
Und zieht fürbaß – bis schwach belaubt
Der Nußbaum weht, das Bärenhaupt
Geehrten Schützens Wohnung kündet.
»Noch nicht?« – Er zieht den Fuß zurück,
Nun pocht er, tritt nun unters Dach,
Verwundert sieht das Kind ihm nach.
Und horch! im selben Augenblick
Ertönt's vom Turm in dumpfen Schlägen.
Der Priester gibt den heil'gen Segen,
Und dann das aufgerißne Tor
Die ganze Menge läßt hervor.
Wie's strömt, wie's wogt! mit Gruß und Nicken
Die Mütter zu den Kleinen eilen,
Und hastig durchs Gedränge drücken
Sich flinke Krämer, sonder Weilen
Ihr luftig Zelthaus aufzuschlagen;
Zum Anger, wo die Stangen ragen,
Schiebt sich ein Trupp, man will doch sehn,
Welch Ziel dem Schützen? – ob gegeben
Die Laufbahn frei? – der Ringplatz eben?
Des Matthieu Büchse wird besehn,
Charlot reckt seine sehn'gen Glieder,
Pierre Luce blickt lächelnd und verschmitzt
Auf seine schlanken Knie – und wieder
Wie's drüben an der Kirche blitzt
Von Kreuz und Halsband, Strauß und Mieder!
Die Männer hell, die Weiber fein
In kosendem Geplauder schrein,
Viel blaue, grüne Röckchen wehn
[Mit ihren handbesetzten Falten],
Gleich bunten Rädern sieht man's drehn,
Und Schleifen an den Hüten, stehn,
Hand in die Hüfte, Strauß im Latz,
Die Burschen keck und stämmig; alten
Gesetzten Leuten wird es schwer,
Zu keuchen durch den Strom umher.
[Allüberall Getändel, Funken
Aus schwarzen Augen jahrmarktstrunken;
Das gellt! das winkt! »Bon jour, Manon!« –
»A moi! Gervais!« – »Ici, Caton!«]
Und wie beweglich gehn die Glieder!
Wie wehn die Bänder! – wahrlich! wieder,
Nach kaum verklungner Hymne Ton,
Pfeift's dort ein Schelmenliedchen schon:
»Gianetta, vieut tu bieaux habits?«
O südlich Blut! o Saint-Remy!
Du wunderbare Christenheit,
So fromm, und doch so schnell zerstreut!
»Hör, Rose, Rose – hier!« allein
Geschäftig schlüpft die junge Frau
Durch das Gewühl, sie lächelt schlau
Und zeigt der Zähne weiße Reih'n:
»Nachher, René! Manon, nachher –
Ich muß zu Haus, es ist mir leid!«
Soeben kam ihr der Bescheid,
Ein Bruder aus Sankt Bernhards Zellen
Begehre Botschaft zu bestellen.
Da geht sie hin – so fest und drall.
Fürwahr, nicht schlechten Mannes Weib.
Die Falten drehn in üpp'gem Fall,
Ein seidnes Mieder schmückt den Leib.
[Silbern die Nadel blinkt im Haar,
Das Ohrgehäng' verguldet gar.]
Im Gehen sinnt sie: »Was der Pater
Mir will – Botschaft vielleicht vom Vater?
Nicht zum Termin ist's an der Zeit,
[Jedoch – das Jahr war nicht zu loben –
Knapp wird's den guten Brüdern droben.]
Gottlob, die Spende liegt bereit,
[Zuerst die Butter, dann das Kleid,
Das Geld dann; kam er später her,
Gab's wohl ein paar Paolo mehr –]«
Nachdenklich an den Fingern zählend
Tritt sie ins Haus; sie rechnet fort:
»Noch dies und dieses...«, emsig wählend,
Und dann: »Gelobt sei Jesus Christ!«
»In Ewigkeiten, Frau La Borte!« –
»Bleibt still am Feuer, Herr, es ist
Ein saurer Weg, den Ihr gemacht!«
»Ja, Frau La Borte, ein saurer Weg!«
»Man sagt, verschüttet sei der Steg
Bei Vacherie, in letzter Nacht
Hat die Tormenta arg gewütet!«
»Der Herr hat Vacherie behütet.
Nur in des Pain de Sucre Paß
Hat sich ein Eisblock abgelöst,
Doch sonder Schaden.« – »Vater, was –
[Kann ich Euch bieten? Ihr seid blaß];
Doch wartet« – und durch eine Tür
Schlüpft rasch sie in der Stallung Reih'n,
Wo, schüttelnd schlanker Hörner Zier,
Die Rinder schnaubend wiederkäun.
– »Etienne, da drüben vom Hospiz
Hat sich der Bruder eingefunden.
Geh schnell! – die Wolle ist gebunden,
Das Kleid liegt unten tief im Schrein.
[Und schnell! Wir haben viele Gäste,
Das halbe Land stellt sich zum Feste],
Pierre Luce ist hier, auch Manons Sohn;
Matthieu besah die Preise schon,
Und alles ist ihm nachgerannt,
Man meint, der Heiland komm' ins Land!« –
»Hm«, spricht der Senn' und schüttelt sich,
»Der Matthieu denkt, er kann's allein,
Doch gibt's noch andre sicherlich,
[André – François – Renard – und dann –]«
Verschlagen lächelnd steigt er fort,
[Sich lässig an den Ständern haltend],
Von Trog zu Trog, ein hübscher Mann,
In scharfen Zügen Witz entfaltend,
Um Lipp' und Wang' ein wenig Hohn –,
Savoyens echtgeborner Sohn.
Er wirft das Haupt und murmelt fort,
Klatscht kosend den gewalt'gen Stier –
[Was gibt's? ein Schrei! so schmerzerfüllt,
Wie's aus gebrochnem Herzen quillt!]
Ein mattes Ächzen! Hin zur Tür –
[Er stößt sie auf – da liegt sein Weib]
Das Haupt auf einen Stuhl gebeugt –
[Angstvoll ihr Busen sinkt und steigt] –
Ficht mit der Luft wie sinnverloren.
– „Was ist dir, Rose? – Rose, sprich!“
Umsonst – sie wimmert, windet sich –
[Dann um des Gatten Knie fest
Sie krampficht ihre Hände preßt:
»Etienne!« ruft sie, in Schmerz verloren],
»Etienne, mein Vater ist erfroren!«
Und mit dem ersten Worte schnell
Entstürzt der bittre, bittre Quell,
Und wie der Wind die Espe rüttelt,
Den ganzen Leib ein Schauder schüttelt.
[Ihr Gatte nimmt sie in den Arm:
»Wein', liebe Rose, weine nur!«
Sie stößt ihn fort in ihrem Harm,
Von frührer Milde keine Spur.]
Vergebens mahnt der Mönch, kein Heil –
Die Rede strömt in wirrer Eil'!
Folgt ihr der Sinn? man weiß es kaum,
[Das Antlitz starrt, ein blutlos Schemen],
Die Worte schwimmen wie im Traum –
[Nur eines, eins kann man entnehmen:
Es ist ein Schmerz, der Felsen sprengt,
Was aufwärts diese Laute drängt.
Doch wer Savoyens wilde Kraft
Gesehn im Sturm der Leidenschaft,
Darf hoffen, daß die Senne nicht
Den überspannten Bogen bricht.]
Doch leiser wird und immer leiser
Der Atem, abgestumpft und heiser
Die Stimme schwindet – sie wird schwach,
Ums Auge läßt die Spannung nach,
In ihres Gatten Armen lind
Sie liegt wie ein ermattet Kind;
[Der trägt sie fort. – „Herr Pater, ich –“
»Geh, lieber Sohn, ich bitte dich.«]
Und wie nach dem verstörten Paar
Die Tür sich schließt, der Mönch steht auf –
[Und durch die Küche nett und klar]
Er wandelt sinnend ab und auf.
»Welch herber Kampf! in dieser Zeit
Wie schwach das Bild der Ewigkeit!
[Die Frau ist fromm, und doch, wie schwer
Erträgt sie, was der Himmel sendet!]
Doch ist sie jung, ihr Blut noch warm;
Bin ich denn mehr? Daß Gott erbarm'!
[Ach, lange Jahre rauschen her,
Eh' sich das Herz zur Ruhe wendet.]
Mein Vater starb – ich war noch klein,
Kaum ahndet's mich – doch muß es sein,
Nicht herbres Weh die Seele leidet,
Als wenn sich Blut vom Blute scheidet;
Deshalb –« aus seines Ärmels Schrein
Zieht er ein Rosenkränzlein klein
Und betet für das arme Weib,
Wie für des Abgeschiednen Ruh',
Nimmt einen Bissen auch dazu;
Denn ganz ermattet ist sein Leib.
[Der Frost war schlimm, noch mehr die Hitze,
Bald wieder geht's nach Bernhards Spitze];
Er hat in Eil' und unbedacht
Sich nüchtern auf den Weg gemacht. –
Und seinen schmerzgewöhnten Sinn
Nahm nicht so ganz die Szene hin,
Daß er nicht denkt in seinem Mut,
Das Brot sei frisch, die Butter gut.
Dann meldet er des Hauses Wirt,
[Der wieder naht und forscht nach Kunden],
Wie sich der alte Mann verirrt,
Und wie der Hund das Kind gefunden.
»Ja«, spricht der Senn' und blickt zurück,
»Bei allem Unglück doch ein Glück!
[Wer wollte noch zu murren wagen,
Wo sichtbar so des Höchsten Hand?«]
Doch kündet alles in dem Mann
Die schwerbezwungne Regung an;
Verstohlen stützt er an die Wand
Den Körper, bleich ist sein Gesicht:
[»Herr Pater! alles sei getragen:]
Jetzt holen wir den Vater, nicht?« –
[»Auch ich muß heim in meine Zelle.«]
Und bald mit Nachbarn, die in Hast
Verlassen Tisch und Jahrmarktsgast,
Ist wieder Etienne zur Stelle.
Nachdenklich schaut der Mönch den Trupp,
Geschmückt mit Bändern, Strauß und Flittern,
Wie die gebräunten Züge zittern,
Wie, rollend ihrer Augen Kohlen,
Sie Leichentuch und Bahre holen,
[Wie dann durch eine Hintertür,
Dem Klang der Freude zu entgehn,
Sie duckend ihre Bürde drehn],
Und nun von Lachen, Spiel und Schmaus
Die Reise geht ins Totenhaus.
O stummer Rede Allgewalt! –
Man schreitet an. »Halt«, ruft es, »halt,
Ich komme schon!« und Rose tritt
Mit ihrem Strohhut in die Tür.
[»Nein, liebes Weib, verweile hier!«
Ihr Gatte spricht mit trüber Hast,]
Verwundert blickt der Mönch empor:
Ein andres Wesen wie zuvor!
[Wohl tiefen, herben Kummers Last
Verrät die Stirn, doch fest der Schritt,
Das Antlitz wunderbar gefaßt –]
Der gute Mann begreift es nicht;
Savoyens Tochter will allein
Von ihrem Volk verstanden sein.
[Von allen auch, das sieht man klar,
Nicht einer ernstlich widersteht;
Etienne nimmt ihres Mantels wahr,
Und nun der Zug bergaufwärts geht.]
Vom Dorfe drunten Jubelschrein
Der Armen schrillt durch Mark und Bein:
Ha »Nouschron Prince de Savoye!«
Doch bald verschwindet Saint-Remy. –
Um den bejahrten Fichtenwald,
Der schützend übers Tal sich streckt,
Die Nebel füllen jeden Spalt,
Wie Nadeln in den Schleier steckt
Ein schönes Weib. O Waldesruh',
Bist du nicht schön? – O Wildnis du,
Wenn nickend schaust im Sonnenduft
Der Drance muntern Sprüngen zu?
[Nichts, was so wunde Herzen kühlt,
Als Bergesluft, die einsam spielt.]
Wie dort im kleinen Wasserfall
Sich Zweig' und Gräser plätschernd bücken!
Der fromme Morgen scheint das All
Sehnsüchtig an die Brust zu drücken.
[So mild die Landschaft und so kühn!
Aus Felsenritzen Ranken blühn;
So wild das Wasser stürmt und rauscht,
Und drüber Soldanella lauscht.]
Aus dem Gestrüppe Fingerhut
Bedächtig streckt die roten Glocken;
Der Steinbrech hält sich fest und gut,
Das Geißblatt windet sich erschrocken;
Und dort zur Rechten, überm Rain,
Zeitlosen mit erneuter Kraft
Verhauchten Lilas Schimmer streun,
Und drüben hebt den Purpurschaft
Die Orchis, wie ein schlanker Knabe
Zur Herde schaut von seinem Stabe. – –
Steil wird der Pfad, die Wandrer glühn,
Quarzhelle Blöcke reihn sich dichter,
Mit jedem Schritt das Leben weicht,
Im Walde lichter wird's und lichter,
Bis nun, verkrüppelt und gebeugt,
Am braunen Grund die Fichte kreucht.
Ha, Vacherie! – Hier weilt der Zug.
Auf einen Schemel Rose sinkt.
Des Bechers Labe kreist, sie trinkt
Zwei Tropfen nur, es ist genug,
Verschluckter Tränen Bitterkeit
Hat sie getränkt die ganze Zeit.
[Und hier – der Rinder muntres Brüllen –
Zwei Knechte, die den Eimer füllen
Mit Schrei und Lachen; – dort am Tor
Ein Mädchenpaar, was emsig fest
Das saure Lab in Formen preßt –
Es ist zu viel! Liegt drüben doch
Der Käse für den Vater noch – –
Ach hätt' sie, hätt' sie ihn gesandt,
Als jüngst der Krämer zog durchs Land!
Aufs neu fühlt sie die Wunde bluten. –
Und – weiter! – weiter! Nach Minuten]
Vor ihren Blicken schwimmt der Steg,
[Sind's Tropfen, die im Auge schimmern?
Ist's Sonnenglanz? des Taues Flimmern?]
Wie seltsam blendet sie das Licht!
Nicht weinen will sie vor den Leuten,
Drum meint sie auch, sie weine nicht.
Einsam und traurig wird der Weg,
Nur halbverdorrte Stämme deuten
Mit Spitzen, karg und frostgepreßt,
Des matten Lebens Überrest.
[Nur senkrecht starrt die Schieferwand,
Zerrissen, schwarz, wie ein Tyrann
Aus zeitgeschwärzter Feste Bann
Schaut grollend ins versengte Land.]
Und drüber nichts als Hänge, wüst,
Baumlose Steppe – heidicht Moor –
Kein Vogel, der das Blau begrüßt –
Kein Kraut aus Klippenspalt hervor –
Ein Schweigen, dem erliegt das Ohr.
[Verdorrt Gestrüpp, zerspaltner Gipfel,
Mit dünnem Flaum bestreut die Wipfel
Des ew'gen Winters Region:
Man naht sich ihr, man fühlt sie schon.]
Stumm keucht der Zug und mühsam dort,
[Nur mahnend, freundlich, hier und dann]
Etienne zu Rose spricht ein Wort.
Sie nickt betäubt und wandelt fort.
Ein Ton, ein Lebenszeichen – seht,
Um jene Klippe krächzend dreht
Der Rabe sich! – viel besser doch
Als solcher Ruf, die Stille noch!
Ein Felsenriß – doch nein, die Bahn
Erweitert sich, schon ist erreicht
Des Donnergottes kleiner Plan.
Hier rastet man und atmet leicht,
Und an den Pfahl, der buntbekleidet
Sardinien und Wallis scheidet,
Lehnt sich die Frau – tief unten zeigt
Sich Ferrets Tal, und riesig beugt
Montblanc den grauen Nacken vor. –
Ringsum nur totes Chaos starrt,
[Nur Trümmer, bröckelnd, scharf zerschmettert,]
Wie eine Welt, die ausgewettert
Den neuen Schöpfungstag erharrt.
Ja, ward, wie zeugt des Römers Mund,
Die Wildnis dem Karthager kund,
Fürwahr! manch punisches Gebein
Bedeckt so wüster Leichenstein.
Vom Herde fern, welch trostlos Grab!
Wo Tau noch Regen kommt herab.
[Schlaft wohl! – Sie ziehn fürbaß, doch schlingt
Zuvor den Mantel um sein Weib
La Borte, denn sehr verletzend dringt
Der Äther an den jungen Leib.]
Schlaft wohl! – Zum letztenmal für heut
Sehn sie den Grund; die Steppe beut
Nur fürder Schnee, wohin man blickt,
Von schwarzer Trümmer Wust gedrückt;
Und ruckweis durch des Felsen Glieder
[Der Wind, – so schläft in Tages Hut,
Doch nimmer auf der Höhe ruht –]
Pfeift seine unwirtbaren Lieder,
Auch eine Wolke träumt mitunter
Am kalten Horizont hinunter.
[Und leichter wird das Blut bewegt,
Da etwas außer ihm sich regt.]
Nur nicht gesäumt! was jeder kann,
Den Fuß beeilt, voran – voran! –
Schon ragt das letzte Felsenmal,
Schon langsam öffnet sich das Tal
Und drüben liegt – das Hospital.
Wie freudlos! an des Sees Strand,
Dem linde Wellen nicht allein,
Nein, dem erzürnten Gottes Hand
Versagt des Gletschers toten Schein,
Der ein versteinerter Kokyt,
Ein Trauertuch auf Leichengrund;
Und doch, wie milder Frieden blüht
An seinem Strand! wie wird er kund
Dem Mann, der keinen Spiegel kennt,
Als sein verdüstert Element.
Man klinkt ans Tor! »Bleib, Rose, da!«
[Spricht sanft La Borte, ihm fällt es ein,
Ob auch vielleicht dem Eingang nah
Ins Auge fällt der Totenschrein;]
»Bleib, Kind!« Sie lehnt sich an die Wand
Und starrt nur immer über Land.
Man meint, wo unter Felsenhängen
Sich schwärzlich kleine Flächen drängen,
[Und wo, des Sommers einzig Grün,
Die Brüder Alpenkräuter ziehn,]
Verweil' ihr Blick – jetzt sind sie leer;
Doch bräch' aus Schnee und Eis umher
Ein Rosenhag, sie säh' es nicht,
Hebt unbewußt das matte Licht,
Wie wohl das Auge, schmerzgetrübt,
Sich willenlos Richtung gibt. –
Ach alles, alles ist dahin!
Ihr Mann ist gut, sie denkt nicht sein,
Des armen Lieben nur allein.
Kein Kind hat sie, kann nicht ermessen,
Wie Mutterleid die Herzen bricht;
Doch einen Vater kann man nicht,
Sein graues Haar, sein treu Gesicht,
In Ewigkeit ihn nicht vergessen.
Gedenkt sie an sein graues Haar,
Wie er sie rief: »Rosette, mein Licht! –
Rosette, mein Kind!« – es ist zu viel!
Zu viel! und aller Fassung bar
Sinkt sie ins Knie, reibt an die Mauer
Ihr Antlitz in vermeßner Trauer.
Sie fährt zurück – wer rührt sie an?
Da: »Rose, Rose!« spricht ihr Mann;
Sein Odem fliegt, sein Auge blinkt,
»O Rose! – Frau! ich will – ich kann –
Ich will dir sagen – 's ist kein Leid –
Gewiß nicht – ruhig – große Freud' –
Der Vater lebt!« – Sie taumelt, sinkt – –
»Sprich, Rose, sprich!« – da hebt sie sich
Wie träumend – glühend Rot bedeckt
Ihr ganz Gesicht – die Arme streckt
Sie aus, und wild am Senn vorbei
Fliegt sie mit ungemeßnem Schrei;
»Ihr nach! ihr nach!« Was frommt die Eil'?
Sie ist ein Blitz, ein Sturm, ein Pfeil,
Dort läuft sie – an den Zellen rüttelnd –
Mit ihrer Hand die Riegel schüttelnd –
[Auf geht die Tür, und gleich dem Geier,
Der sein geraubtes Junge fand,
Stürzt zum Kamin sie, wo vom Feuer
Benoit ihr freundlich reicht die Hand –,
Nicht an sein Herz, nein, an sein Knie.
Sie küßt den lieben, lieben Fuß. – –
Von Zeit zu Zeit ein dumpfer Schrei, –
Nein, solcher Liebe Raserei
Sah man in anderen Zonen nie,
Bis endlich sich im Tränenguß
Die Spannung bricht. – »Rosette! mein Kind!«
Und ach! bei diesem, diesem Ton
Sie wieder milder weinen muß.
»Steh auf, mein Kind! – mein lieber Sohn, –
Setzt euch! sahst du den Henri schon,
Rosette? komm her, Henri! mein Junge!«
Der Kleine, so im Winkel still
Sich vor den Fremden bergen will,
Und mit Kristallen spielt und Bildern,
Läßt zögernd nur den werten Tand;
Sein bestes Bildchen in der Hand,
Kommt er hervor. »Großvater, ist
Das wirklich meine Tante Rose?«
»Ja, ja, sie ist's«, und mit Gekose
Zieht sie ihn heftig auf den Schoß
»Nein, Tante Rose, laß mich los!« –
»Weshalb, mein Jung'? ich hab' dich lieb!« –
»Lieb wie die Mutter?« – »Lieber noch!«
»Du dumme Frau! wie sprichst du doch!« –
»Mich nennst du dumm? du Schelm! du Dieb!
Ja, sprich nur so und hab' mich lieb!
Du Schelm!« Und sie begräbt mit Küssen
Ihm Auge, Wange, Mund und Kinn
Bis auf die kleinen Händchen hin.
Er sträubt sich, stöhnet, will's nicht wissen,
Und doch, wie gleicht die fremde Frau
Der lieben Mutter fast genau!
Wär' Rose nicht aus wüstem Traum
So überselig aufgewacht,
Es hätt' ihr schwer das Herz gemacht,
Jetzt findet nicht der Kummer Raum.
Susette soll im Frieden ruhn,
Sie hat ihr Kind, sie hat es nun
Auf immer. Mit geteilten Sorgen
Hält sie des Kleinen Haupt gepreßt
An ihren Busen und verborgen
Zugleich des Vaters Jacke fest. –]
So unvermerkt der Morgen zieht,
Wie auch die schönste Stunde flieht.
Und mählich zum gewohnten Gang
Zurücke kehrt des Blutes Drang.
Man frägt, man horcht; schon ward erzählt,
Wie Eleuthère halbstündlich, treu
Ins Leichenhaus gewandelt sei,
Den heimlich Überzeugung stählt,
[Daß nimmermehr sich Barry trüge, –
Es sei nur Ohnmacht, Todes Schein,]
Was auf dem alten Sennen liege.
Doch – unverändert stets die Züge,
Das Auge starr – fast läßt er nach –
Doch einmal wird die Hoffnung wach.
War's nicht, als säh' ein Fleckchen klein
Er an der linken Braue?! – Ja!
Gewiß! Auch an der Wange heben
Sich schwarze Schatten hier und da –
Der Bruder rennt ins Hospital:
»Geschwind, geschwind! herbei zumal
Mit Bürst' und Tuch, ich spüre Leben!«
Die Mönche drängen in den Saal.
Schon unter ihren Händen beben
Die straffen Fibern, Fleck an Flecken
Allmählich jedes Glied bedecken.
Das Glas sich trübt – die Feder weht –
Es zuckt die Lippe – langsam dreht
Das Auge sich und rollt im Kreis.
Gesegnet sei der fromme Fleiß!
Die Hand gesegnet, so gelegt
Den Stein, der diese Mauern trägt!
Sie mögen stehn durch Zeit der Zeiten,
Mit Kraft ein heil'ges Wort zu deuten,
Im Zweifler zündend fromm Verlangen
Und schamrot färbend Christenwangen.
Noch vieles heute ward gesprochen
Von stillen Sorgen, stillem Harm,
Der weicher macht so reich wie arm.
Wer hat die Blume nicht gebrochen,
Die selbst aus hartem Grunde sprießt
Und um das Blut die Ranken schließt?
Wer kennt nicht das beredte Schweigen,
Wenn Wangen sich an Wangen neigen?
Wer lauschte nicht verehrten Tönen
Und mag mit Einfalt sich versöhnen,
Wenn trocknend seines Kindes Tränen
Der rauhe Alpenjäger spricht:
»Du gutes braunes Angesicht!
Wie oft hab' ich an dich gedacht
In Saint-Pierre, bei Tag und Nacht!« –
Nicht immer Kraft beim Glanze ist,
Oft mehr Geringes sich vermißt:
Aus Felsenschoß die Quelle geht,
Und ewig flach der Weiher steht.
Genug, dem armen Sennen lag
Viel Glück und Leid an diesem Tag.
[Und endlich] – »Aber Vater«, spricht
Rosette, »Ihr verhehlt mir's nicht.
Mein Schwager krank seit Wochen war,
Er lebt nicht mehr, ich seh' es klar.
Gesteht es!« – »Freilich! liebes Kind,
Die frommen Toten selig sind.
Er war ein Christ, ein guter Mann«,
Der Alte schweigt betrübt, und dann:
»Als mich Susette mit sich nahm,
Da riet man mir, wohin ich kam,
[Ich solle mir ein Gärtchen baun;
Das sei ein gutes Mittel, traun,]
Die tausend Grillen zu verjagen,
So alte Schwiegerväter plagen.
Allein – ich segn' ihn in der Gruft,
Den François! – Die fremde Luft
Ward mir nicht eng, doch immer blieb
Dem Pfleger seine Schöpfung lieb.
Ja, schöne Rosen standen drin,
Gestreifte Nelken und Jasmin,
Levkojenstöck' an allen Wegen.
[Die Rosen pflanzt' ich deinetwegen,
Sie führen deinen Namen, Kind;]
Susette half sie oft mir pflegen. –
Vergänglich ist ein Rosenstamm,
Doch wandelbar wir all zusamm.
Der erste Stock, den sie gepflegt,
Ich hab' ihn auf ihr Grab gelegt.
[Da ruht sie, wie ich sie gesehn
Im Sarg, von meinen Nelken schön]
Den Strauß an ihrer Brust und an
Der Hand den Ring von ihrem Mann,
Den Trauring, den in allen Tagen
So ehrenvoll sie hat getragen.
[Vom Haupt schnitt ich ihr eine Locke.
Mir war's, als ob die Sterbeglocke
Ins Hirn mir schlug, als ob der Wagen,
Der fortnahm meine beste Lust,
Die Räder trieb durch diese Brust.]
Fürwahr – doch Rose! weine nicht,
Es ist vorbei – auch François
War tiefbetrübt, und öfters sah
Ich ihn vor ihrem Schranke walten,
Die Lätzchen, Mieder stumm entfalten.
[Dann blickt' er scharf in alle Ecken,
Als hoff' er, dort sie zu entdecken,]
So ging's. – Allein wir lebten still,
Ertrugen's, wie der Himmel will.
François bestieg der Alpen Höh':
Ich sah zum Kind; mir tat's nicht weh,
Daß ich in meinen alten Tagen,
Die Küchenschürze sollte tragen.
Ja! meiner ungeschickten Hand
Ist oft die Suppe angebrannt!
Wohl! wär's wie sonst.« – Hier bebt ein Strahl
Durch sein verwittertes Gesicht:
»Ja! wär's wie sonst: im ganzen Tal
Von Saint-Remy ein Schütze nicht
Mir vorging, galt's die First erklettern,
Wo, unter Sturm und Stöberwettern,
Die Gemse durch den Nebel strich,
Und mancher Steinbock sicherlich
Der Abends überm Hange stand, –
Am nächsten Morgen war er fort;
Getäuscht der Jäger maß die Wand;
Wo blieb er? in der Hütte dort
Zu Saint-Remy muß sein Geweih
Noch ragen von der Decke frei.
Ich und Trouvez, mein Hund, wir zwei,
Wir machten keinen Gang vergebens;
Allein was rühm' ich mich des Lebens,
So längst dahin! – die Zeit, die Zeit
Chamounix' Gletscher rücken kann,
Das Ureis löst sie am Mont noir,
Sie schont auch nicht den besten Mann.
Wer könnte bleiben, was er war!«
Hier streicht er seinen Scheitel bar.
[»Trouvez war tot, kennt ihr Louis?
Im dritten Haus zu Saint-Remy?
Das war ein Bursch in jungen Jahren,
Bei Jagd und Spielen mein Genoß,
Im Ringen, Lauf, mit dem Geschoß
Der erste sonst; – ein hilflos Schemen
Schwankt er umher, wie ich erfahren;
Das kann dem Tod die Spitze nehmen!
Wer möchte noch vereinzelt stehn,
Wenn die Gesellen schlafen gehn?
Gewiß, gewiß« – in tiefem Sinnen
Der Greis verstummt, vorüber rinnen
Die Bilder längst begrabner Zeit;
Doch schmerzlich zieht die Wirklichkeit.]
Ein Blick auf seine Hände dürr,
Er richtet sich – streicht das Gewirr
Unwillig vom betörten Haupt: –
»Ja, Kinder, besser als ihr glaubt,
Fand ich mich in mein seltsam Amt,
Mir von der Mutter angestammt,
Und sah nun, wie ein alter Mann
Zum alten Weibe werden kann! –
Ja, wär's nur immer so geblieben!
Nicht froh wir lebten, finster nicht;
Allein die Staublawine bricht
Gewaltsam fort, hat nur ein Hauch
Die ersten Flocken angetrieben:
So mit dem Schicksal geht es auch,
Ein Unfall selten kommt allein,
Stets holt ihn der Gefährte ein.
So ging's auch hier. – François war früh
In seinem Tagwerk ausgegangen,
Ich kochte, dacht' an Saint-Remy,
Und sah die Nebelwolken hangen,
Zu Mittag blieb er öfters aus,
Der Abend kam – mir wurde bange. –
[Noch nie verweilte er so lange;]
Mich hielt das Kind im öden Haus.
In Saint-Pierre die Glocke schlug,
Sechs – sieben – acht – nun war's genug!
Ich dämpft' das Feuer, sperrt' den Schrein,
Schloß Henri in die Kammer ein,
Und vorwärts nun, in Gottes Hut!
[Begleitet mich kein treuer Hund,
Sind wenig mir die Stege kund:]
Mein Ohr ist scharf, mein Auge gut. – –
[Ach! suchen durfte ich nicht lange.]
Sein Hund, der heulend glitt herbei,
Vom Gletschereis der Valsoray,
[Gab gleich die Richtung meinem Gange.]
[Mit einem Gemsbock, den er heut
Erlegt, doch mit Gefahr und Müh',
Kehrt François heimwärts, wund am Knie, –
Begeht die Unvorsichtigkeit,
Sich an der Gouille de Vassu Bette
Erschöpft zu lagern, grade da,
Wo der Mont noir die Eisblockkette
Ihm übers Haupt hält, schwindelnd nah,
Und weiß doch, daß in jedem Jahr
Herunterklirrt so manches Paar.
Doch wen das Schicksal will verderben,
Den blendet es: ein Brocken fällt,
Im Augenblick, da, vorgebückt,
François die wunde Stelle drückt –
Auf seinen Rücken, und zerschellt;
– Gewißlich nur der kleinsten einer –
Doch war es gleich, ob größer, kleiner,]
Ihm bracht' es Tod. Nicht gleich zu sterben
War sein Geschick; schmerzzitternd rafft
Er auf sich mit der letzten Kraft,
Und hofft, es mög' ihm noch gelingen,
Bis Saint-Pierre sich fortzubringen;
[Doch an der Drance Wasserfall
Entschwinden ihm die Kräfte all.]
Dort fand ich ihn – ich dachte tot.
[Das Wild noch hatt' er mitgeschleppt,
Und hielt es immer fest im Arm.]
Ich lag am Grund, in meiner Not,
Griff in die Brust, sie war noch warm;
Dann lud ich auf die Schultern ihn,
Schwer ward er mir bis in sein Haus,
Lief dann beinah' verrückt hinaus
[Nach Saint-Pierre, das Leben schien
Entflohen, endlich kam's zurück,
Doch nur auf einen Augenblick
Der Sinn –‚ bis deutlich er erzählt,
Wie ihn das Mißgeschick betroffen.]
Und dann – was hilft's, daß man sich quält
Mit solchen Bildern! – alles Hoffen
War hin; so sieben Wochen lag
Er ganz verstandlos, Nacht und Tag.«
Der Alte schweigt, und Rose spricht,
Der's heimlich auf der Seele brennt:
»Doch, Vater, eins erwähnt Ihr nicht,
Nahm er das heil'ge Sakrament?
[Das wär' ein großer Trost uns allen.]«
»Mein Kind, er wußte nichts von sich.
Gott ist gerecht, das tröstet mich,
Laß keine Zweifel quälen dich;
Sein Herz voll Einfalt war und treu.
Wo menschlich hat mein Sohn gefehlt,
– Wer ist von kleinen Mängeln frei? –
Er ließ den Eisblock auf ihn fallen,
Ein Tor, wer sich mit Zweifeln quält –
[Ich glaub' an meines Schöpfers Treu.
Ja, manche Stunde schlich vorbei,
Manch harte Stunde. – Einstens früh,]
– Es war ein milder Tag wie heut, –
Ich hatte fast die ganze Nacht
Bei meinem armen Sohn verwacht,
Der still, wie seit dem Unfall nie,
Zu schlummern schien, die Nachbarn waren
An ihre Arbeit heimgekehrt,
Ich war allein, und unverwehrt
Ließ weit ich die Gedanken fahren,
Da regt es sich, ‚Mich dürstet‘ spricht
Der Kranke; wie ein blendend Licht
Durchzuckt es mich. – Schier faßte Mut
Ich alter Tor, und sah doch schon
Den Tod und hörte Sterbeton;
‚Mich dürstet‘ – freudezitternd, schnell
Lauf ich zum nahen Klippenquell,
– Nein nicht zu nah; daß er so weit,
Bracht' öfters Unbequemlichkeit,
Schöpfe dann hastig, aus dem Glas
Entschlüpft mir immerfort das Naß,
Jetzt fass' ich's, kehre keuchend wieder,
– Was duckt dort unterm Baume nieder?
Ein weißer Klumpen, – mir wird's Nacht!
Es war mein Sohn, – o Himmelsmacht!
Gekrümmt am alten Fichtenstamm,
Tot! – – Kinder, laßt uns allzusamm'
Für des Verstorbnen Seele beten;
[Weit besser ist's und mehr vonnöten,
Als, liebe Rose, deine Tränen...
Nein, gutes Kind, ich schelte nicht;
Allein so ungestüm zu frönen
Jedwedem Schmerz, verbeut die Pflicht.
Der Wurm die stärkste Eiche bricht;]
Komm her!« Er nimmt sie in den Arm,
Streicht liebreich ihre Wangen warm,
Wägt in der Hand ihr Zöpfepaar,
Fährt dann hinab die Stirne klar –
»Du braunes, frommes Angesicht,
[Ihr lieben Augen, süßes Licht!]
Dein kann ich nimmer mich entwöhnen,
Wie oft hab' ich an dich gedacht
In Saint-Pierre bei Tag und Nacht!
Dort war mir alles nun verhaßt,
Was sollt' ich noch im öden Haus?
[Geschwind war der Entschluß gefaßt;]
Nach wenig Tagen zog ich aus,
Robert, dem Nachbar, wie das Grab
Getreu, ich alle Schlüssel gab,
[Das Vieh, Gerät, was in der Hütte
Noch sonst, vertraut ich seiner Sitte;]
Nahm Henri, dem ich erst zuvor
Sein gutes Kleidchen angelegt,
Und trat dann in der Scheune Tor.
[Noch einmal, einmal mußt' ich stehn,
Wo ich zuletzt mein Kind gesehn,]
Und noch es mir das Herz bewegt,
Daß Nebelgrau an jenem Tag
Verbarg die Stelle, wo sie lag.
Nun fort! – Das Wagnis schien mir leicht,
Zwar vorgerückt die Jahrszeit war,
[Allein ein alter Schütze weicht
So leicht nicht jeglicher Gefahr.]
Den Berg bestieg ich oft allein;
Das sind nun freilich zwanzig Jahr,
Doch Jahre sind wie Nebelschein,
Turmhoch, endlos, eh' man's erreicht,
Ist's da, ein Dunst – ein Nichts vielleicht! –
Doch leider sind die Kräfte wert
Vom gift'gen Dunste dann verzehrt.
Ich glaubte mich, was ich nicht war,
Mein frühres Selbst, und offenbar
Mir allzuspät die Täuschung ward –
Den guten Vätern dank' ich's noch,
Daß ich soll in den Totenschrein
Gelegt von Euren Händen sein.
Denn sterben – bitter ist es doch,
Und einsam sterben – doppelt hart.«
Hier endet den Bericht der Greis.
Nachdenklich Schweigen herrscht im Kreis;
Sich Rose auf den Knaben bückt;
Des Vaters Rechte sachte drückt
Etienne, und weil an diesem Tag
Ein jeder kämpft, wie er's vermag,
Des Herzens Schrei zu unterdrücken,
So muß es endlich allen glücken!
[Nicht siegesbar die Liebe ringt,
So fremdes Leid im eignen zwingt.] –
Und Barry, das getreue Tier,
Wie's gähnend aufsteigt vom Kamin,
Das hilfsbereite, muß auch hier
Aus Grübeln alle Sinne ziehn.
Von Rosens Schoße Henri schlüpfend,
An seinen zott'gen Freund sich macht,
So furchtbar ihm in letzter Nacht,
[Doch jetzt seit Stunden sein Geselle;
Er dreht ihn, sucht die rechte Stelle,]
Dann rasch auf seinen Rücken hüpfend,
Er stapft im Saale hin und her:
»Ei, Tante Rose«, schmeichelt er,
»Darf ich an Sonn- und Feiertagen
Zuweilen deine Kappe tragen?«
»Gewiß, mein Bub!« – »So gib den Hut
Mir gleich.« – »Nun wohl! doch wahr' ihn gut,
Laß nicht die schönen Bänder streifen.«
Der Knabe schielt auf Strauß und Schleifen,
Und rasch sein Köpfchen fährt hinein
Bis übers Ohr. »Er ist zu klein!«
Die Tante ruft mit mildem Spott.
Als nun der zarte Don Quixote,
Ein Nachen fein, mit Segeln breit,
Fährt übern Estrich: »Sei gescheit!
Trab' her, ich rück' dir's in die Höh'!« –...
Zum Mahle lädt der Clavendier. –
Und bei des nächsten Morgens Früh'
Zwei Mönche stehn in Duftes Weben,
Sie schaun herab nach Vacherie,
Von einer Felsenplatte eben,
So zierlich, daß des Meißels Spur
Du suchst im Spiele der Natur;
Ihr Auge folgt der kleinen Gruppe,
Die niedersteigt von jener Kuppe:
Dem Greise an des Zuges Spitze,
Der rüstig seinen Alpstock regt;
Dem Sennen, der das Körbchen trägt;
Dem Weib mit der ital'schen Mütze;
Dem Knäbchen noch, das für und für
Kost sein geliebtes Murmeltier,
Mitunter in sein Pfeifchen stößt,
Das Pater Koch vom Ast gelöst,
Kunstreich der Infirmier gebaut.
Herüber schrillt der dünne Laut,
Wie fliehend zirpt ein Vögelein.
Dort schwimmen sie im Sonnenschein,
Undeutlich schon, – wie Punkte dann
Sich drehn auf einer Linie krumm. –
Die guten Brüder wenden um
Und treten ihren Rückweg an. –
So ziehn auf immer sie geschieden,
Zum Glücke die, und die zum Frieden.
[Was schöner sei, was minder hehr? – –
Dies zu entscheiden würde schwer.
In Wahrheit! Beide sind nur eins!
Glück ohne Frieden gibt es keins,
Und Frieden trägt ein mildes Glück.
Dies sagt dir jeder Augenblick,
Wirst du aus reinem Herzen fragen.
Sind nimmer sich die Formen gleich,
Was diesem karg, dünkt jenem reich:
Nicht über Lüge darfst du klagen.]
Ach Glück ist Frieden – Frieden Glück!
Der Tau die Schimmer wirft zurück,
Und tausend Farben zeigt der Schein:
Doch einen Strahl sie hüllen ein. |