Alexander Dumas d. Ä.
Der Graf von Monte Christo. Zweiter Band.
Alexander Dumas d. Ä.

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Das Wiedersehen.

Am andern Tage machte Albert seinem Freunde mit dem ersten Worte den Vorschlag, den Grafen zu besuchen. Er hatte ihm zwar bereits gedankt, aber er meinte, daß ein Dienst, wie der Graf ihn geleistet, wohl zwei Danksagungen wert war. Franz, den ein mit Furcht gemischter Zauber zu dem Grafen von Monte Christo hinzog, wollte Albert nicht allein gehen lassen und begleitete ihn. Beide wurden eingeführt, und nach fünf Minuten erschien der Graf.

Herr Graf, sagte Albert, ihm entgegengehend, erlauben Sie mir, Ihnen heute zu wiederholen, was ich gestern schlecht ausgedrückt habe: nie werde ich vergessen, unter welchen Umständen Sie mir zu Hilfe gekommen sind, und stets werde ich mich erinnern, daß ich Ihnen das Leben zu verdanken habe.

Mein lieber Nachbar, antwortete der Graf lachend, Sie übertreiben Ihre Verbindlichkeiten gegen mich, denn Sie sind mir nicht mehr schuldig, als eine kleine Ersparnis von 20 000 Franken an Ihren Reiseausgaben. Sie sehen, daß es nicht der Mühe wert ist, davon zu sprechen. Empfangen Sie Ihrerseits mein Kompliment, fügte er hinzu, Sie besitzen eine bewunderungswürdige Ungezwungenheit und Leichtigkeit des Benehmens.

Was wollen Sie, Herr Graf? entgegnete Albert, ich stellte mir vor, ich hätte Händel gehabt, und ein Duell sei die Folge davon, und so wollte ich dem Banditen begreiflich machen, daß, wenn man sich auch in allen Ländern der Welt schlägt, doch nur die Franzosen sich lachend schlagen. Nichtsdestoweniger, da meine Verbindlichkeit Ihnen gegenüber nicht minder groß ist, komme ich, um Sie zu fragen, ob ich Ihnen nicht durch mich, durch meine Freunde und meine Bekannten in irgend einer Beziehung nützlich sein kann. Mein Vater, der Vicomte von Morcerf, besitzt großen Einfluß in Spanien und in Frankreich. Verfügen Sie über mich und über alle, die mich lieben!

Ich gestehe, Herr von Morcerf, erwiderte der Graf, ich erwartete Ihr Anerbieten und nehme es von ganzem Herzen an. Es war sogar meine Absicht, Sie um einen großen Dienst zu bitten. Ich bin nie in Paris gewesen, ich kenne Paris nicht.

Wirklich? rief Albert, Sie konnten bis jetzt leben, ohne Paris zu sehen? Das ist unglaublich.

Und dennoch ist es so. Doch ich fühle, daß eine längere Unbekanntschaft mit dieser Hauptstadt der intelligenten Welt unverantwortlich ist. Mehr noch, ich hätte die seit langer Zeit unerläßliche Reise dorthin vielleicht schon gemacht, wäre ich mit irgend jemand bekannt gewesen, der mich in diese Welt eingeführt hätte, in der ich mich keiner Verbindung erfreue.

Oh! ein Mann wie Sie, rief Albert.

Sie sind sehr gütig. Doch da ich eben kein anderes Verdienst von mir kenne, als daß ich mit Ihren reichsten Bankiers in die Schranken zu treten imstande bin, und da ich nicht nach Paris gehe, um an der Börse zu spielen, so hielt mich dieser kleine Umstand zurück. Ihr Anerbieten hat aber nunmehr meinen Entschluß zur Reife gebracht. Machen Sie sich anheischig, mein lieber Herr von Morcerf, – der Graf begleitete diese Worte mit einem seltsamen Lächeln, – wenn ich nach Frankreich komme, mir die Türen dieser Welt zu öffnen, in der ich so fremd sein werde, wie ein Hurone oder ein Cochinchinese?

Oh! Herr Graf, mit der größten Freude, um so mehr, als ich nach Paris durch einen mir soeben zugekommenen Brief zurückgerufen werde, worin für mich von einer Verbindung mit einem sehr angenehmen Hause die Rede ist, das in den besten Verhältnissen zu der ganzen Pariser Welt steht.

Verbindung durch Heirat? versetzte Franz lachend.

Oh! mein Gott, ja. Wenn Sie nach Paris kommen, finden Sie mich als einen gesetzten Mann und vielleicht als Familienvater. Nicht wahr, das wird sich zu meinem natürlichen Ernste gut machen? In jedem Falle wiederhole ich Ihnen, ich und die Meinigen gehören Ihnen mit Leib und Seele.

Ich nehme es an, sagte der Graf, denn ich schwöre Ihnen, es fehlte mir nur eine solche Gelegenheit, um Pläne zu verwirklichen, mit denen ich mich seit geraumer Zeit trage.

Franz zweifelte keinen Augenblick, diese Pläne seien die, welche der Graf in der Grotte von Monte Christo angedeutet hatte, und er schaute den Grafen, während er sprach, fest an, um auf seinem Gesichte irgend eine Enthüllung der Entwürfe, die ihn nach Paris führten, zu erhaschen; aber es war sehr schwierig, in das Innere dieses Mannes zu dringen, besonders wenn er es mit einem Lächeln verschleierte.

Wann werden Sie selbst dort sein? fragte der Graf Albert.

In vierzehn Tagen oder spätestens drei Wochen, gerade soviel ich Zeit zur Rückkehr brauche.

Wohl! ich gebe Ihnen drei Monate; Sie sehen, ich mache das Maß lang.

Und in drei Monaten werden Sie an meine Tür klopfen? rief Albert vor Freude.

Wollen Sie ein Wiedersehen auf Tag und Stunde? Ich sage Ihnen, daß ich von einer verzweifelten Pünktlichkeit bin.

Auf Tag und Stunde! sagte Albert, das ist mir äußerst angenehm.

Wohl, es sei!

Und er streckte die Hand nach einem in der Nähe des Spiegels hängenden Kalender aus und fuhr dann fort: Wir haben heute den 21. Februar, es ist halb elf Uhr morgens. Wollen Sie mich am 21. Mai um halb elf Uhr morgens erwarten?

Vortrefflich! Das Frühstück wird bereit sein.

Wo wohnen Sie?

In der Rue du Helder, Nr. 27. Ich wohne im Hotel meines Vaters, aber in einem völlig abgesonderten Hintergebäude.

Der Graf nahm seine Schreibtafel und schrieb: Rue du Helder, Nr. 27 am 21. Mai um halb elf Uhr morgens.

Und nun seien Sie unbesorgt, sagte der Graf, ich werde pünktlich sein.

Ich sehe Sie noch vor meiner Abreise? fragte Albert.

Je nachdem, wann reisen Sie?

Morgen abend um fünf Uhr.

Dann sage ich Ihnen Lebewohl. Ich habe Geschäfte in Neapel und werde erst Samstag oder Sonntag früh zurückkommen. Und Sie, fragte der Graf Franz, reisen Sie ebenfalls, Herr Baron?

Ja, nach Venedig. Ich bleibe noch in Italien.

Wir werden uns also in Paris nicht sehen?

Ich befürchte, nicht die Ehre zu haben.

Meine Herren, glückliche Reise, sagte der Graf zu den Freunden und reichte jedem eine Hand. Es war das erstemal, daß Franz die Hand dieses Mannes berührte; er bebte, denn sie war eisig wie die Hand eines Toten. Also, auf Wiedersehen, am 21. Mai um halb elf Uhr morgens, Rue du Helder, Nr. 27, sagte Albert.

Hierauf grüßten die jungen Männer den Grafen und entfernten sich.

Was haben Sie denn? sagte Albert, in sein Zimmer zurückkehrend, zu Franz, Sie sehen ja ganz sorgenvoll aus?

Ja, ich gestehe, der Graf ist ein seltsamer Mann, antwortete Franz, und nur mit Unruhe sehe ich seinem Pariser Aufenthalt entgegen.

Mit Unruhe? Ah! Sie sind befangen, lieber Franz! rief Albert.

Ob befangen, ob nicht, es ist einmal so.

Hören Sie, und es ist mir sehr lieb, daß sich eine Gelegenheit bietet, Ihnen dies zu sagen, ich habe Sie sehr kalt gegen den Grafen gefunden, während mir sein Benehmen gegen Sie tadellos, ja sogar höchst zuvorkommend erschien. Haben Sie etwas Besonderes gegen ihn einzuwenden?

Vielleicht.

Haben Sie ihn etwa schon irgendwo gesehen, ehe Sie ihm hier begegneten?

Allerdings.

Wo?

Versprechen Sie mir, nicht ein Wort von dem zu sagen, was ich Ihnen mitteilen werde?

Ich verspreche es Ihnen.

Gut. Hören Sie.

Hierauf erzählte Franz seinem Freunde den ganzen Verlauf seines Ausflugs nach der Insel Monte Christo, wie er dort mehrere Schmuggler gefunden und unter diesen Schmugglern einige Banditen. Er verweilte bei allen einzelnen Umständen der feenhaften Gastfreundschaft, die ihm der Graf in seiner Grotte hatte angedeihen lassen; er sprach vom Abendessen, vom Haschisch, von den Statuen, von Wirklichkeit und Traum, und wie am Morgen als Beweis und als Erinnerung an all diese Ereignisse nichts mehr übrig geblieben sei, als eine kleine Jacht, die er am Horizont nach Porto Vecchio segeln sah. Dann ging er auf Rom über, auf die Nacht im Kolosseum, auf das Gespräch über Peppino, das er zwischen dem Grafen und Vampa belauscht und wobei der Graf versprochen habe, die Begnadigung des Banditen zu erlangen.

Endlich gelangte er zu dem Abenteuer der vorhergehenden Nacht, zu seiner Verlegenheit, als er gesehen, daß ihm 6 bis 700 Piaster fehlten, um die erforderliche Summe vollständig zu machen, und endlich zu dem Eintreten des Grafen. Albert hörte mit größter Aufmerksamkeit zu.

Nun, sagte er, als sein Freund geendigt hatte, was finden Sie daran auszusetzen? Der Graf hat ein eigenes Schiff, weil er reich ist. Gehen Sie nach Portsmouth oder Southampton, und Sie werden die Häfen voll von Jachten sehen, die reichen Engländern gehören, die dieselbe Neigung haben. Um zu wissen, wo er bei seinen Ausflügen anhalten soll, um nicht aus der abscheulichen Küche zu essen, die mich seit vier Monaten vergiftet, um nicht in den niederträchtigen Betten zu liegen, in denen man nicht schlafen kann, läßt er sich ein Absteigequartier auf Monte Christo einrichten. Nachdem er sein Absteigequartier eingerichtet hat, befürchtet er, die toskanische Regierung könnte ihm die Sache verleiden, und er seiner Aufwendungen verlustig gehen; er kauft daher die Insel und nimmt deren Namen an.

Aber die Banditen, die sich bei seiner Mannschaft befanden? Was sagen Sie zu dem Einfluß des Grafen auf dergleichen Leute?

Ich sage, mein Lieber: Insofern ich aller Wahrscheinlichkeit nach diesem Einfluß das Leben zu verdanken habe, ist es nicht meine Sache, hierüber zu scharf zu urteilen. Statt ihm, wie Sie, ein Hauptverbrechen daraus zu machen, werden Sie begreifen, daß ich ihn entschuldige, nicht weil er mir das Leben gerettet, was vielleicht übertrieben ist, sondern weil er mir 4000 Piaster erspart hat, eine Summe, die gerade 20 000 Franken unseres Geldes gleichkommt, eine Summe, zu der man mich sicherlich in Frankreich nicht angeschlagen hätte, was zum Beweise dient, fügte er lachend bei, daß der Prophet in seinem Vaterlande nie etwas gilt.

Wohl! gerade das ist es. Aus welchem Lande ist der Graf? Welche Sprache spricht er? Welches sind seine Existenzmittel? Woher kommt sein ungeheures Vermögen? Wie war der erste Teil seines Lebens beschaffen? Was hat über den zweiten den düsteren, menschenfeindlichen Schatten geworfen? Das wünschte ich an Ihrer Stelle zu wissen.

Mein lieber Franz, erwiderte Albert, als Sie beim Empfang meines Briefes sahen, daß Sie seines Einflusses bedurften, sagten Sie zu dem Grafen: Albert von Morcerf, mein Freund, ist in Gefahr; helfen Sie mir, ihn dieser Gefahr entziehen! Nicht wahr? – Ja.

Fragte er dann: Wer ist Albert von Morcerf? Woher hat er seinen Namen? Woher sein Vermögen? Welches sind seine Existenzmittel? Welches ist sein Vaterland? Wo ist er geboren? Sprechen Sie, hat er Sie danach gefragt?

Ich muß gestehen, nein.

Er ist ohne weiteres gegangen und hat mich aus Vampas Händen befreit, wo ich eben keine beneidenswerte Rolle spielte. Nun, mein Lieber, wenn er mich dafür um etwas bittet, was man jeden Tag für jeden italienischen oder russischen Fürsten tut, der durch Paris reist, das heißt, ihn in der Gesellschaft vorzustellen . . . soll ich ihm das verweigern? Oh, Franz, Sie sind befangen.

Tun Sie, wie Sie wollen, lieber Vicomte, versetzte Franz nach kurzem Stillschweigen, denn alles, was Sie mir da sagen, ist dem Anscheine nach völlig richtig; aber darum scheint es mir nicht minder wahr, daß der Graf ein äußerst seltsamer Mann ist.

Der Graf von Monte Christo ist ein Menschenfreund; hat er Ihnen nicht gesagt, in welcher Absicht er nach Paris kommt? Nun wohl, er kommt, um sich um den von Monthyon für edle Schriftwerke gestifteten Tugendpreis zu bewerben, und wenn es nur meiner Stimme bedarf, damit er ihn erhält, so werde ich sie ihm geben. Somit wollen wir diesen Gegenstand ruhen lassen, lieber Franz, uns zu Tische setzen und dann Sankt Peter einen letzten Besuch machen.

Es geschah, wie Albert sagte, und am andern Tage um fünf Uhr nachmittags trennten sich die jungen Leute, Albert von Morcerf, um nach Paris zurückzukehren, Franz d'Epinay, um vierzehn Tage in Venedig zuzubringen. Doch ehe Albert in den Wagen stieg, übergab er einem Diener im Gasthofe eine Karte für den Grafen von Monte Christo, auf die er unter die Worte: Vicomte Albert von Morcerf, die Worte geschrieben hatte:

Am 21. Mai, um halb elf Uhr morgens,
Rue du Helder, Nr. 27.


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