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›Die Affäre Benedetto‹, wie man damals in Paris und in der Gesellschaft sagte, machte ein ungeheures Aufsehen. Ein täglicher Gast des Café de Paris, des Boulevard de Gand und des Bois de Boulogne, hatte der falsche Cavalcanti während seines Aufenthaltes in Paris und während der paar Monate, die sein Glanz gedauert, eine Menge Bekanntschaften gemacht. Die Zeitungen erzählten von den verschiedenen Stellungen des Angeklagten in seinem eleganten Leben und in seinem Leben im Bagno. Dies erregte die größte Neugierde besonders bei den persönlichen Bekannten des vermeintlichen Prinzen, und diese beschlossen, alles daran zu setzen, um Herrn Benedetto, den Mörder seines Kettenkameraden, auf der Bank der Angeklagten zu sehen.
Für viele war Benedetto, wenn nicht ein Opfer, doch wenigstens ein Irrtum der Justiz; man hatte Herrn Cavalcanti Vater in Paris gesehen, und man erwartete, er werde abermals erscheinen, um seinen erhabenen Sprößling zu reklamieren.
Alles lief also zu der Gerichtssitzung. Von morgens um sieben Uhr drängte man sich am Gitter, und eine Stunde vor Eröffnung der Sitzung war der Saal bereits voll von Bevorzugten.
Beauchamp, der zu den Königen der Presse gehörte, und folglich seinen Thron überall hatte, schaute durch sein Glas nach rechts und links. Er erblickte Chateau-Renaud und Debray, die sich die Gunst eines Stadtsergeanten erworben und diesen bestimmt hatten, sich hinter sie zu stellen, statt vor sie, wie es sein Recht war. Der würdige Agent hatte den Sekretär des Ministers und den Millionär gerochen; er benahm sich voll Rücksicht gegen seine edlen Nachbarn und erlaubte ihnen, mit dem Versprechen, ihre Plätze aufzubewahren, Beauchamp einen Besuch zu machen.
Nun! Wir werden also unsern Freund sehen! sagte Beauchamp.
Ei! mein Gott, ja! erwiderte Debray, dieser würdige Prinz! Der Teufel hole den italienischen Prinzen!
Adel des Stricks, bemerkte phlegmatisch Chateau-Renaud.
Nicht wahr, er wird verurteilt werden? fragte Debray Beauchamp.
Ei! mein Lieber, erwiderte der Journalist, mir scheint, das muß man Sie fragen; Sie wissen das besser als wir. Haben Sie den Präsidenten bei der letzten Soirée Ihres Ministers gesprochen?
Ja.
Was hat er Ihnen gesagt?
Etwas, was Sie in Erstaunen setzen wird.
Ah! Sprechen Sie geschwind, ich habe schon lange nichts dergleichen mehr gehört.
Wohl! Er hat gesagt, Benedetto, den man für einen Phönix an Feinheit, einen Riesen an Schlauheit halte, sei nur ein ganz gemeiner, einfältiger Schuft und ganz unwürdig der Versuche, die man nach seinem Tode an seinen phrenologischen Organen machen werde.
Bah! rief Beauchamp, er spielte den Prinzen gar nicht übel.
Doch wenn ich mit dem Präsidenten gesprochen habe, sagte Debray zu Beauchamp, so müssen Sie den Staatsanwalt gesehen haben?
Unmöglich; seit acht Tagen verbirgt sich Herr von Villefort, und das ist ganz natürlich. Diese Reihe von häuslichen Unglücksfällen, denen der seltsame Tod seiner Tochter die Krone aufsetzte . . .
Der seltsame Tod! Was sagen Sie da, Beauchamp?
Ah! ja, spielen Sie den Unwissenden, versetzte Beauchamp, indem er sein Monokel einklemmte und Umschau im Saale hielt. Halt, fuhr er fort, ich täusche mich nicht.
Was gibt es?
Sie ist es. Man sagte doch, sie sei abgereist.
Fräulein Eugenie? Sollte sie zurückgekommen sein?
Nein, ihre Mutter.
Unmöglich, rief Chateau-Renaud; zehn Tage nach der Flucht ihrer Tochter, drei Tage nach dem Bankerott ihres Mannes!
Debray errötete leicht und folgte der Richtung des Blickes von Beauchamp.
Was wollen Sie! sagte er, es ist eine verschleierte Frau, eine unbekannte Dame, vielleicht die Mutter des Fürsten Cavalcanti; aber mir scheint, Sie wollen uns da eben etwas sehr Interessantes mitteilen, Beauchamp? – Ich?
Ja. Sie sprachen von dem seltsamen Tode Valentines.
Nun, versetzte Beauchamp, sind Sie nicht neugierig, zu erfahren, warum man so plötzlich in dem Hause von Villefort stirbt?
Wahrhaftig! sagte Debray, ich verliere dieses seit drei Monaten von Trauer erfüllte Haus nicht aus dem Auge.
Ei! meine Herren, fuhr Beauchamp fort, wenn man in Villeforts Hause so plötzlich stirbt, so kann dies nur sein, weil ein Mörder dort ist.
Die beiden jungen Leute bebten, denn es war ihnen mehr als einmal derselbe Gedanke gekommen.
Und wer ist dieser Mörder? fragten sie gleichzeitig.
Der junge Eduard.
Ein schallendes Gelächter der Zuhörer brachte den Redner durchaus nicht aus der Fassung, und er fuhr fort: Ja, meine Herren, der junge Eduard, ein Kind, das man als ein Phänomen zu betrachten hat, denn es bringt bereits alles um.
Das ist ein Scherz.
Keineswegs; ich habe gestern einen Bedienten angenommen, der bei Villefort ausgetreten ist. Nun, es scheint, das liebe Kind hat sich ein Fläschchen mit einem gewissen Stoff verschafft und bedient sich seiner denen gegenüber, die ihm nicht gefallen. Zuerst war er mit Papa und Mama Saint-Meran unzufrieden und flößte ihnen drei Tropfen von seinem Elixir ein; drei Tropfen genügen. Dann kam der brave Barrois, ein alter Diener, an die Reihe, der bisweilen den liebenswürdigen Jungen hart anließ. Endlich hatte er es auf Valentine abgesehen; diese ließ ihn zwar nicht hart an, aber er war eifersüchtig auf sie; er flößte also auch ihr die drei Tropfen ein, und für sie, wie für die andern, war alles vorbei.
Aber zum Teufel, was erzählen Sie uns denn da? sagte Chateau-Renaud.
Ja, nicht wahr, ein Märchen aus der andern Welt! entgegnete Beauchamp.
Das ist abgeschmackt, sagte Debray.
Zum Teufel! entgegnete Beauchamp. Fragen Sie meinen Bedienten; so hieß es im ganzen Hause.
Doch das Elixir; wo ist es? Woraus besteht es?
Verdammt! Der Knabe versteckt es.
Wo hat er es her?
Weiß ich es? Sie stellen da Fragen an mich, wie ein Staatsanwalt. Ich wiederhole nur, was man mir gesagt hat; ich nenne Ihnen meine Quelle, mehr kann ich nicht tun. Der arme Teufel von einem Bedienten aß vor Angst nicht mehr.
Das ist unglaublich.
Nein, mein Lieber, das ist durchaus nicht unglaublich. Sie wissen, wie sich im vorigen Jahre ein Kind in der Rue Richelieu ein Vergnügen daraus machte, seine Brüder und Schwestern umzubringen, indem es ihnen, während sie schliefen, eine Nadel ins Ohr steckte. Die kommende Generation ist sehr frühreif, mein Lieber!
Mein Freund, sagte Chateau-Renaud, ich wette, Sie glauben nicht ein Wort von dem, was Sie uns da erzählen? . . . Doch ich sehe den Grafen von Monte Christo nicht; warum ist er nicht hier?
Er ist solcher Szenen überdrüssig, sagte Debray; auch wird er nicht vor der Welt erscheinen wollen, nachdem er sich von diesen Cavalcanti hat betören lassen; sie kamen, wie es scheint, mit falschen Beglaubigungsschreiben zu ihm, und er hat für 500 000 Franken Hypotheken auf das Fürstentum genommen.
Ah! Es fällt mir ein, der Graf von Monte Christo kann nicht kommen! sagte Beauchamp.
Warum?
Weil er bei diesem Drama handelnde Person ist.
Hat er auch jemand ermordet? fragte Debray.
Nein, man wollte im Gegenteil ihn ermorden. Sie wissen, daß der gute Herr von Caderousse, als er von dem Hause des Grafen wegging, von seinem Freunde Benedetto ermordet worden ist. Sie wissen, daß man bei Monte Christo die berüchtigte Weste gefunden hat, in der sich der Brief fand, durch den die Unterzeichnung des Vertrages gestört wurde. Sehen Sie diese Weste? Dort liegt sie ganz blutig als Beweisstück auf dem Tische.
Ah! Sehr gut.
Still, meine Herren, der Gerichtshof erscheint; gehen wir an unsere Plätze.
Man vernahm ein starkes Geräusch im Gerichtssaale; der Stadtsergeant machte seine beiden Schützlinge durch ein kräftiges Hm! aufmerksam, und der Gerichtsdiener rief, auf der Schwelle des Beratungssaales erscheinend: Meine Herren, der Gerichtshof!