Alexander Dumas d. Ä.
Zwanzig Jahre nachher. Erster Band
Alexander Dumas d. Ä.

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Die Pasteten des Pariser Bäckers

Eine halbe Stunde nachher kehrte La Ramée munter und vergnügt zurück, wie ein Mensch, der gut gegessen und besonders gut getrunken hat. Er hatte vortreffliche Pasteten und köstlichen Wein gefunden.

Das Wetter war schön und gestattete die beabsichtigte Partie, bei der es dem Herzog, da sie das sogenannte Langballspiel betrieben, leicht fallen mußte, das zu tun, was ihm Grimaud empfohlen hatte, das heißt, die Bälle in den Graben zu schleudern.

Solange es indessen nicht zwei Uhr geschlagen hatte, war der Herzog nicht zu ungeschickt, denn zwei Uhr war die bestimmte Stunde. Er verlor jedoch die bis dahin eingegangenen Partien, wodurch er ein Recht erhielt, zornig zu werden und Fehler auf Fehler zu machen.

Als es zwei Uhr schlug, fingen die Bälle an, den Weg nach dem Graben zu nehmen und zwar zur großen Freude La Ramées, der bei jedem Hinaus, das der Prinz machte, fünfzehn Punkte gewann.

Die Hinaus nahmen so zu, daß es bald an Bällen fehlte. La Ramée schlug nun vor, jemand hinabzuschicken, um sie aus dem Graben zu holen. Aber der Herzog bemerkte, das wäre verlorene Zeit, näherte sich dem Walle, der an dieser Stelle wenigstens fünfzig Fuß hoch war, und erblickte einen Mann, der in einem der tausend Gärtchen jenseit des Grabens arbeitete.

He, Freund! rief der Herzog.

Der Mann schaute empor, und der Prinz war im Begriff, einen Schrei des Erstaunens auszustoßen. Dieser Mann, dieser Bauer, dieser Gärtner war Rochefort, den der Prinz in der Bastille vermutete.

Nun, was gibt es da oben? fragte der Mann.

Habt die Gefälligkeit, unsere Bälle zurückzuwerfen, rief der Herzog.

Der Gärtner machte ein Zeichen mit dem Kopf und begann die Bälle zurückzuwerfen, die La Ramée und die Wachen aufhoben. Einer fiel vor die Füße des Herzogs, und da dieser offenbar für ihn bestimmt war, so steckte er ihn in seine Tasche. Dann machte er dem Gärtner ein Zeichen des Dankes und kehrte zu seiner Partie zurück. Er erklärte aber, er schäme sich so großer Ungeschicklichkeit und wolle nicht weiter spielen.

La Ramée war entzückt, einen Prinzen von Geblüt völlig geschlagen zu haben.

Der Prinz kehrte in sein Zimmer zurück und legte sich nieder. Das tat er beinahe den ganzen Tag, seitdem man ihm seine Bücher genommen hatte.

La Ramée nahm die Kleider des Prinzen unter dem Vorwand, sie seien mit Staub bedeckt und er müsse sie ausbürsten lassen, in Wirklichkeit aber, um sicher zu sein, daß sich der Prinz nicht von der Stelle bewegte. Er war ein vorsichtiger Mann, dieser La Ramée.

Glücklicherweise hatte der Prinz Zeit gehabt, den Ball unter seinem Kopfpfühl zu verbergen.

Sobald die Türe geschlossen war, zerriß der Herzog den Umschlag des Balles mit seinen Zähnen, denn man ließ ihm kein schneidendes Instrument; zum Essen hatte er nur Messer mit silbernen Klingen, die nicht schnitten. In dem Umschlag steckte ein Brief, der folgende Zeilen enthielt:

»Monseigneur, Eure Freunde wachen, und die Stunde Eurer Befreiung naht. Verlangt übermorgen eine Pastete zu essen von dem neuen Pastetenbäcker, der den Laden des früheren gekauft hat und niemand anders ist, als Noirmont, Euer Hausmeister. Öffnet die Pastete erst, wenn Ihr allein seid. Ich hoffe, Ihr werdet mit ihrem Inhalt zufrieden sein.

Ew. Hoheit stets ergebener Diener,
in der Bastille wie anderswo,

Graf von Rochefort.«

Der Herzog von Beaufort verbrannte den Brief, wie er dies zu seinem großen Bedauern mit dem Billet der Frau von Montbazon getan hatte. Kaum daß er es getan hatte, so trat der wachsame La Ramée ein und fragte: Bedarf Monseigneur etwas?

Mit großer Kunst wußte der Herzog das sich zwischen ihm und Ramée entspinnende Zwiegespräch so zu lenken, daß sein Wächter selbst die Fragen stellte, die er hören wollte. So lud er La Ramée, von dem wir wissen, daß er ein Feinschmecker war, für den übernächsten Tag, den Pfingsttag, zu einem leckeren Mahle unter vier Augen ein, ohne daß sein Partner seine Absicht merken konnte.

Das Anerbieten war verführerisch, aber La Ramée war ein alter Pfiffikus, der alle Fallen kannte, die ein Gefangener stellen kann. Herr von Beaufort hatte, wie er sagte, vierzig Mittel vorbereitet, um aus dem Gefängnis zu entfliehen. Verbarg dieser Schmaus nicht etwa doch eine List? Er dachte einen Augenblick nach.

Nun, fragte der Herzog, geht es? – Ja, Monseigneur, unter einer Bedingung. – Unter welcher? – Daß uns Grimaud bei Tafel serviert.

Nichts konnte dem Prinzen angenehmer sein. Er hatte sich jedoch so weit in der Gewalt, daß er seinem Gesicht einen starken Anflug übler Laune gab.

Zum Teufel mit Eurem Grimaud! rief er, er wird mir den ganzen Schmaus verderben. – Ich befehle ihm, sich hinter Eurer Hoheit zu halten, und da er kein Wort spricht, so wird ihn Eure Hoheit weder sehen noch hören und mit etwas gutem Willen sich einbilden, er sei hundert Meilen entfernt. – Mein Lieber, entgegnete der Herzog, wißt Ihr, was ich am klarsten in allem dem sehe? Daß Ihr mir mißtraut. – Monseigneur, es ist übermorgen Pfingsten. – Was geht mich Pfingsten an? Ist Euch bange, der heilige Geist könnte in der Gestalt einer feurigen Zunge herabsteigen, um mir die Türe meines Kerkers zu öffnen? – Nein, Monseigneur, aber Ihr wißt, was der Magier prophezeit hat. – Und was hat er prophezeit? – Der Pfingsttag werde nicht vorübergehen, ohne daß Eure Hoheit sich außerhalb Vincennes befinde. – Du glaubst also an Magier, Dummkopf? – Ich? sagte La Ramée, ich kümmere mich nicht so viel darum, und er schnalzte mit den Fingern, aber Monsignor Giulio kümmert sich darum; als Italiener ist er abergläubisch.

Der Herzog zuckte die Achseln.

Nun wohl, es sei, sagte er mit vortrefflich gespielter Nachgiebigkeit, ich nehme Grimaud an, denn sonst würde die Sache nie zustande kommen; aber ich will niemand außer Grimaud. Ihr besorgt alles und bestellt ein Abendbrot, wie Ihr es für gut findet; das einzige Gericht, das ich bezeichne, ist eine von den Pasteten, von denen Ihr gesprochen habt. Ihr bestellt sie für mich, damit der Nachfolger von Vater Marteau sich selbst übertrifft, und Ihr versprecht ihm meine Kundschaft für die ganze Zeit, die ich im Kerker bleibe.

Monseigneur, sagte La Ramée, ich will das Abendessen bestellen. – Und Ihr glaubt, Ihr werdet etwas aus Eurem Zögling machen können? – Ich hoffe es, antwortete La Ramée.

An der Tür blieb er stehen und fragte: Wen befiehlt Monseigneur hierherzuschicken? – Wen Ihr wollt, nur Grimaud nicht. – Den Offizier der Wache also. Mit seinem Schachspiel? – Ja.

La Ramée entfernte sich.

Fünf Minuten nachher trat der Offizier der Wache ein, und der Herzog schien sich ganz in die seltsamen Kombinationen des Schachspiels zu vertiefen.

Es ist ein eigentümliches Ding um den Geist! Welche Wirkungen bringen darin manchmal ein Zeichen, ein Wort, eine Hoffnung hervor! Der Herzog war seit fünf Jahren im Gefängnis, und ein Blick rückwärts ließ ihm diese fünf Jahre minder lang erscheinen, als die achtundvierzig Stunden, die ihn noch von der zu seiner Entweichung bestimmten Stunde trennten. Alle Hoffnung und alle Zweifel stürmten zugleich auf ihn ein. Kein Wunder, daß es beim Schach ging wie beim Ballspiel: der Herzog machte Fehler über Fehler, und der Offizier der Wache schlug ihn am Abend, wie La Ramée am Morgen.

Aber seine fortwährenden Niederlagen hatten einen Vorteil; es waren drei Stunden gewonnen, dann sollte die Nacht kommen und mit der Nacht der Schlaf.

So dachte der Herzog wenigstens, aber der Schlaf ist eine sehr launenhafte Gottheit, und als sie sich ihm endlich hingab, wurde sein Schlummer durch die unruhigsten Träume gestört.

Als am nächsten Morgen La Ramée eintrat, fand er ihn so bleich und abgemattet, daß er ihn fragte, ob er krank sei.

In der Tat, sprach eine der Wachen, die im Zimmer gelegen hatte und wegen eines Zahnwehs infolge der Feuchtigkeit nicht hatte schlafen können, Monseigneur hat eine sehr unruhige Nacht gehabt und zwei- oder dreimal im Traum um Hilfe gerufen.

Was fehlt denn Monseigneur? fragte La Ramée.

Du bist es, Dummkopf, sagte der Herzog, der mir mit seinem albernen Entweichungsgeschwätz gestern den Kopf verwirrt hat; du bist schuld, daß mir träumte, ich fliehe und breche auf der Flucht den Hals.

La Ramée brach in ein Gelächter aus.

Ihr seht, Monseigneur, sprach La Ramée, das ist eine Stimme vom Himmel; ich hoffe auch, Monseigneur wird nie die Unklugheit begehen, die Eure Hoheit geträumt hat. – Und Ihr habt recht, mein lieber La Ramée, erwiderte der Herzog, den Schweiß abtrocknend, der noch über seine Stirne lief, obgleich er völlig wach war, ich will nur noch an Essen und Trinken denken. – St! flüsterte La Ramée.

Und er entfernte die Wachen eine nach der andern unter irgend einem Vorwand.

Nun? fragte der Herzog, als sie allein waren. – Euer Mahl ist bestellt, antwortete La Ramée. – Und worin wird es bestehen? laßt hören, mein Herr Obersthofmeister. – Monseigneur hat versprochen, sich auf mich zu verlassen. – Es wird eine Pastete dabei sein? – Ich glaube wohl, so dick wie ein Turm. – Von dem Nachfolger des Vaters Marteau? – Wie befohlen. – Und du hast gesagt, sie sei für mich? – Ich habe es ihm gesagt. – Und was antwortete er? – Er wolle tun, was in seinen Kräften stehe, um Eure Hoheit zufriedenzustellen. – Vortrefflich! rief der Herzog, sich die Hände reibend. – Teufel! Monseigneur, sprach La Ramée, wie Ihr Euch plötzlich auf ein leckeres Mahl freut; seit fünf Jahren habe ich Euch nie so vergnügt gesehen, wie in diesem Augenblick.

Der Herzog sah, daß er sich nicht genug bemeistert hatte; aber da Grimaud gehorcht und begriffen hatte, daß La Ramée von seinen Gedanken abgebracht werden müsse, trat er in diesem Augenblick ein und bedeutete La Ramée durch ein Zeichen, er habe ihm etwas zu sagen.

La Ramée näherte sich Grimaud, der ganz leise mit ihm sprach.

Der Herzog gewann mittlerweile seine Ruhe wieder und sagte:

Ich habe diesem Menschen bereits verboten, sich ohne meine Erlaubnis hier zu zeigen. – Monseigneur, erwiderte La Ramée, man muß ihm vergeben, denn ich habe ihn bestellt. – Warum habt Ihr ihn bestellt? . . . weil Ihr wißt, daß er mir mißfällt? – Monseigneur erinnert sich, was verabredet worden ist, erwiderte La Ramée, und daß er uns bei dem bekannten Abendessen bedienen muß. Monseigneur hat das Abendessen vergessen. – Nein. Aber ich hatte Herrn Grimaud vergessen. – Monseigneur weiß, daß es ohne ihn kein Abendessen gibt. – Nun, so macht, wie Ihr wollt. – Tretet näher, mein Lieber, sprach La Ramée, und hört, was ich Euch sage.

Grimaud näherte sich mit seinem griesgrämigsten Gesicht. La Ramée fuhr fort: Monseigneur erweist mir die Ehre, mich auf morgen zum Abendessen unter vier Augen einzuladen.

Grimaud machte ein Zeichen, durch das er sagen wollte, er wisse nicht, was ihn das angehe.

Doch, doch, erwiderte La Ramée, die Sache geht Euch allerdings an, denn Ihr sollt die Ehre haben, uns zu servieren, abgesehen davon, daß, so guten Appetit und so großen Durst wir auch haben werden, immer noch etwas auf dem Grunde der Schüsseln und auf dem Boden der Flaschen zurückbleiben wird, und dieses Etwas ist für Euch.

Grimaud verbeugte sich zum Danke.

Und nun, Monseigneur, sprach La Ramée, bitte ich Eure Hoheit um Entschuldigung. Es scheint, Herr von Chavigny entfernt sich auf einige Tage, und er läßt mir sagen, er habe vor seiner Abreise noch einige Befehle zu geben.

Geht, sagte der Herzog zu La Ramée, und kommt bald zurück.

Will Monseigneur Revanche für die Ballpartie von gestern haben?

Grimaud machte ein unmerkliches Zeichen von oben nach unten.

Ja, sagte der Herzog, aber nehmt Euch in acht, mein lieber La Ramée, die Tage folgen sich, aber sie gleichen sich nicht.

La Ramée entfernte sich, Grimaud folgte ihm mit den Augen, ohne daß sein übriger Körper nur um eine Linie von seiner Richtung abging; als er die Türe wieder geschlossen sah, zog er rasch einen Bleistift und ein Blatt Papier aus seiner Tasche und sagte: Schreibt, Monseigneur.

Und was soll ich schreiben?

Grimaud machte ein Zeichen mit dem Finger und diktierte:

Alles ist für morgen abend bereit; habt acht von sieben bis neun Uhr, bringt zwei Reitpferde mit, wir steigen durch das erste Fenster der Galerie hinab.

Der Herzog unterzeichnete.

Hat Monseigneur den Ball verloren? fragte Grimaud. – Welchen Ball? – Den, der den Brief enthielt. – Nein, ich dachte, er könnte uns nützlich sein. Hier ist er.

Und der Herzog zog den Ball unter dem Kopfpfühl hervor und reichte ihn Grimaud.

Grimaud lächelte so angenehm, als es ihm nur immer möglich war.

Nun? fragte der Herzog. – Ich nähe das Papier in den Ball, und wenn Ihr spielt, werft Ihr ihn in den Graben. – Aber vielleicht geht er verloren? – Seid unbesorgt, es ist einer da, der ihn aufhebt. – Ein Gärtner? – Grimaud machte ein bejahendes Zeichen. – Der von gestern? – Grimaud wiederholte sein Zeichen.

Der Graf von Rochefort also?

Grimaud machte zum drittenmal ein bejahendes Zeichen.

Aber sage mir doch etwas über die Art und Weise, wie wir fliehen sollen, sprach der Herzog. – Es ist mir vor dem Augenblick der Ausführung verboten. – Wer sind die, welche mich auf der andern Seite des Grabens erwarten werden? – Ich weiß es nicht, Monseigneur. – Aber teile mir doch wenigstens mit, was die Pastete enthalten wird, wenn du nicht willst, daß ich verrückt werden soll. – Monseigneur, sie wird zwei Dolche, einen Strick mit Knoten und eine Maulbirne (einen Knebel mit Sprungfeder) enthalten. – Gut, ich begreife. – Monseigneur sieht, daß für alles gesorgt ist. – Wir nehmen für uns die Dolche und den Strick, sagte der Herzog. – Und lassen La Ramée die Birne essen, versetzte Grimaud. – Mein lieber Grimaud, sprach der Herzog, du sprichst nicht oft, aber man muß dir Gerechtigkeit widerfahren lassen, wenn du sprichst, sprichst du goldene Worte.



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