Alexander Dumas d. Ä.
Die drei Musketiere – Band I
Alexander Dumas d. Ä.

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XIV.

Der Mann von Meung.

Der Zusammenlauf fand nicht statt, weil man einen für den Galgen bestimmten Menschen erwartete, sondern er wurde durch die Anschauung eines Gehenkten veranlaßt. Einen Augenblick aufgehalten, fuhr der Wagen bald wieder weiter, setzte seinen Weg durch die Menge fort, gelangte in die Rue St. Honoré, wandte sich nach der Rue des Bons-Enfants und hielt vor einer niedern Pforte an.

Die Thüre öffnete sich; zwei Wachen nahmen Bonacieux, der von dem Gefreiten unterstützt wurde, in ihre Arme, und man stieß ihn in einen Gang, ließ ihn eine Treppe hinaufsteigen und setzte ihn in einem Vorzimmer nieder. Alle diese Bewegungen hatten sich für ihn maschinenmäßig bewerkstelligt. Er war gegangen, wie man im Traume geht; er hatte die Gegenstände in einem Nebel gesehen. Seine Ohren hatten Töne vernommen, ohne ihre Bedeutung zu verstehen. Man hätte ihn in diesem Augenblick hinrichten können, und er würde nicht die geringste Geberde zu seiner Vertheidigung unternommen, keinen Schrei ausgestoßen haben, um Mitleid zu erflehen.

Er blieb also, den Rücken an die Wand gelehnt und die Arme herabhängend, auf derselben Stelle der Bank sitzen, wo ihn die Wachen niedergesetzt hatten. Da er jedoch bei Umherschauen nichts Bedrohliches gewahr wurde, da nichts eine wirkliche Gefahr andeutete, da die Bank geziemend ausgepolstert und die Wand mit schönem Corduanleder tapeziert war, da prächtige rothe Damastvorhänge vom Fenster herabwogten, so begriff er allmälig, daß seine Furcht übertrieben war, und er fing an, seinen Kopf nach rechts und links und von unten nach oben zu bewegen. Durch diese Bewegung, der sich Niemand widersetzte, gewann er etwas Muth; er wagte es, zuerst ein Bein, dann das andere vorzuziehen; dann erhob er sich vorsichtig mit Hülfe seiner Hände auf seiner Bank und stand bald auf seinen Füßen.

In diesem Augenblicke öffnete ein hübscher Offizier einen Thürvorhang. Er wechselte noch ein paar Worte mit einer im anstoßenden Zimmer befindlichen Person, wandte sich sodann gegen den Gefangenen um und sagte:

»Seid Ihr Bonacieux?«

»Ja, mein Herr Offizier,« stammelte der Krämer, mehr todt als lebendig, »Euch zu dienen.«

»Tretet ein,« sagte der Offizier.

Und er trat auf die Seite, daß der Krämer durchgehen konnte. Dieser gehorchte ohne Erwiederung und trat in das Zimmer, wo man ihn zu erwarten schien.

Es war ein großes, an den Wänden mit Vertheidigungs- und Angriffswaffen geschmücktes, geschlossenes und luftloses Cabinet, in welchem bereits ein Feuer brannte, obgleich man erst am Ende des Monats September war. Ein viereckiger, mit Büchern und Papieren bedeckter Tisch, auf welchem ein ungeheurer Plan der Stadt Rochelle entrollt war, nahm die Mitte des Zimmers ein. Vor dem Kamin stand ein Mann von mittlerer Gestalt, stolzer, hochmütiger Miene, mit durchdringenden Augen, breiter Stirne und abgemagertem Gesichte, das durch Schnurr- und Knebelbart noch länger wurde. Obgleich er erst sechs- bis siebenunddreißig Jahre alt sein mochte, so fingen doch Haupthaare, Schnurrbart und Knebelbart an grau zu werden. Dieser Mann trug zwar keinen Degen, sah aber ganz wie ein Krieger aus, und seine büffelledernen, noch leicht mit Staub bedeckten Stiefel deuteten an, daß er im Verlauf des Tages geritten war.

Dieser Mann war Armand Jean Duplessis, Kardinal von Richelieu, nicht wie man ihn uns darstellt, hinfällig wie ein Greis, leidend wie ein Märtyrer, mit gebrochenem Körper, erloschener Stimme, in einem großen Lehnstuhl begraben, nur durch die Kraft seines Genies lebend und den Kampf mit Europa einzig und allein durch die ewige Thätigkeit seines Geistes aushaltend; sondern, so wie er in Wirklichkeit zu dieser Zeit war, das heißt ein galanter Kavalier von aufrechter Haltung, zwar schwach von Körper, aber unterstützt von jener moralischen Kraft, die ihn zu einem der außerordentlichsten Menschen machte, welche je gelebt haben; jetzt, nachdem er den Herzog von Revers in seinem Herzogthum Mantua aufrecht erhalten, nachdem er Nîmes, Castres und Uzès genommen hatte, mit den Vorbereitungen beschäftigt, um die Engländer von der Insel Re zu vertreiben und La Rochelle zu belagern.

Beim ersten Anblick bezeichnete nichts den Kardinal, und diejenigen, welche sein Gesicht nicht kannten, konnten unmöglich errathen, vor wem sie sich befanden.

Der arme Krämer blieb vor der Thüre stehen, während die Augen der so eben beschriebenen Person auf ihn gerichtet waren, als wollten sie bis in die tiefste Tiefe seiner Gedanken dringen.

»Ist das Bonacieux?« fragte er nach kurzem Stillschweigen.

»Ja, Monseigneur,« antwortete der Offizier.

»Gut; gebt mir diese Papiere und laßt uns allein.«

Der Offizier nahm die bezeichneten Papiere vom Tisch, übergab sie, verbeugte sich zur Erde und trat ab.

Bonacieux erkannte in diesen Papieren das Verhör in der Bastille. Von Zeit zu Zeit schlug der Mann am Kamin die Augen von den Schriften auf und bohrte sie wie zwei Dolche dem armen Krämer in den Grund des Herzens.

Nachdem der Kardinal zwei Minuten gelesen und zwei Sekunden geprüft hatte, war er entschieden.

»Dieser Kopf da hat nicht conspirirt,« murmelte er, »doch gleich viel, sehen wir ein wenig nach.«

»Ihr seid des Hochverraths angeklagt,« sprach der Kardinal langsam.

»Das hat man mir bereits gesagt, Monseigneur,« rief Bonacieux, indem er dem Fragenden den Titel gab, welchen er von dem Offizier gehört hatte; »aber ich schwöre Euch, daß ich nichts davon wußte.«

Der Kardinal unterdrückte ein Lächeln.

»Ihr habt mit Eurer Frau, mit Frau von Chevreuse und mit Mylord Herzog von Buckingham conspirirt.« – »In der That, Monseigneur,« antwortete der Krämer, »ich habe sie alle diese Namen aussprechen hören.« – »Und bei welcher Veranlassung?« – »Sie sagte, der Kardinal von Richelieu habe den Herzog von Buckingham nach Paris gelockt, um ihn und die Königin mit ihm zu verderben.« – »Das sagte sie?« rief der Kardinal heftig. – »Ja, Monseigneur; aber ich erwiederte ihr, sie hätte Unrecht, solche Worte zu sprechen, und Seine Eminenz sei unfähig . . .« – »Schweigt! Ihr seid ein Dummkopf,« versetzte der Kardinal. – »Meine Frau hat mir gerade dasselbe geantwortet, gnädigster Herr.« – »Wißt Ihr, wer Eure Frau entführt hat?« – »Nein, Monseigneur!« – »Ihr habt jedoch Verdacht?« – »Ja, Monseigneur, aber dieser Verdacht schien dem Herrn Commissär ärgerlich zu sein und ich habe ihn nicht mehr.« – »Eure Frau ist entflohen; wußtet Ihr es?« – »Nein Monseigneur, ich habe es erst erfahren, seit ich im Gefängniß bin, und zwar einzig und allein durch die Vermittlung des Herrn Commissärs, eines sehr liebenswürdigen Mannes!«

Der Kardinal unterdrückte ein zweites Lächeln.

»Dann wißt Ihr also auch nicht, was aus Eurer Frau seit Ihrer Flucht geworden ist?« – »Durchaus nicht, Monseigneur; aber sie muß in den Louvre zurückgekommen sein.« – »Um ein Uhr Morgens war sie noch nicht zurückgekehrt.« – »Aber mein Gott, was ist dann aus ihr geworden?« – »Man wird es erfahren, seid ruhig; man verbirgt dem Kardinal nichts; der Kardinal weiß Alles.« – »Glaubt Ihr in diesem Fall, Monseigneur, der Kardinal werde sich herablassen, mir zu sagen, was aus meiner Frau geworden ist?« – »Vielleicht; aber zuvor müßt Ihr Alles gestehen, was Ihr in Beziehung auf die Verhältnisse Eurer Frau zu Frau von Chevreuse wißt.« – »Monseigneur, ich weiß nichts, ich habe diese nie gesehen.« – »Kehrte Eure Frau, wenn Ihr sie im Louvre abholtet, unmittelbar in Euer Haus zurück?« – »Beinahe nie, sie hatte Geschäfte mit Leinwandhändlern, zu denen ich sie führte.« – »Mit wie viel Leinwandhändlern?« – »Mit zwei, gnädigster Herr.« – »Wo wohnen sie?« – »Der eine in der Rue de Vaugirard, der andere in der Rue de la Harpe.« – »Gingt Ihr mit ihr hinein?« – »Nie, Monseigneur, ich erwartete sie an der Thüre.« – Welchen Vorwand nahm sie, um allein hineinzugehen?« – »Keinen, sie sagte mir, ich sollte warten, und ich wartete.« – »Ihr seid ein gefälliger Gatte, mein lieber Herr Bonacieux«, sprach der Kardinal.

»Er hat mich seinen lieben Herrn genannt,« sagte der Krämer zu sich selbst; »Teufel, die Sache geht gut.«

»Würdet Ihr die Thüren wieder erkennen?« – »Ja.« – »Wißt Ihr die Nummern?« – »Ja.« – »Welche sind es?« – »Nro. 25 in der Rue de Vaugirard, Nro. 75 in der Rue de la Harpe.« – »Gut,« sagte der Kardinal.

Bei diesen Worten nahm er ein silbernes Glöckchen, läutete, und der Offizier trat wieder ein.

»Sucht mir Rochefort,« sagte er mit leiser Stimme, »und er soll sogleich hieher kommen, sobald er zurückgekehrt ist.«

»Der Graf ist da,« erwiederte der Offizier, »und wünscht mit Ew. Eminenz zu sprechen.«

»Er komme, er komme!« sagte der Kardinal lebhaft.

Der Offizier entfernte sich mit der Geschwindigkeit, mit der alle Diener Richelieus zu gehorchen pflegten.

»Mit Ew. Eminenz!« murmelte Bonacieux, und drehte ganz verwirrt seine Augen in ihren Höhlen.

Es waren noch keine fünf Sekunden seit dem Verschwinden des Offiziers abgelaufen, als die Thüre sich öffnete und eine neue Person eintrat.

»Er ist es!« rief Bonacieux.

»Wer?« fragte der Kardinal.

»Derjenige, welcher mir meine Frau entführt hat.«

Der Kardinal läutete zum zweiten Male. Der Offizier erschien wieder.

»Uebergebt diesen Menschen seinen zwei Wachen und er soll warten, bis ich ihn vor mich rufe.«

»Nein, Monseigneur, nein, er ist es nicht,« schrie Bonacieux, »ich habe mich getäuscht; es ist ein Anderer, der nicht die geringste Aehnlichkeit mit ihm hat. Dieser Herr ist ein rechtschaffener Mann.«

»Führt diesen Dummkopf weg,« sprach der Kardinal.

Der Offizier nahm Bonacieux beim Arm und führte ihn in das Vorzimmer, wo er seine zwei Wachen fand.

Die zuletzt eingeführte Person folgte Bonacieux ungeduldig mit den Augen, bis man ihn aus der Thüre gebracht hatte, und sobald diese wieder verschlossen war, näherte sie sich lebhaft dem Kardinal und sprach:

»Sie haben sich gesehen!« – »Wer?« fragte die Eminenz. – »Er und sie.« – »Die Königin und der Herzog!« rief Richelieu. – »Ja.« – »Und wo?« – »Im Louvre.« – »Wißt Ihr es gewiß?« – »Ganz gewiß!« – »Wer hat es Euch gesagt?« – »Frau von Lannoy, welche Ew. Eminenz ganz ergeben ist, wie Ihr wißt.« – »Warum hat sie es nicht früher gesagt?« – »Die Königin ließ zufälligerweise oder aus Mißtrauen Frau von Surgis in ihrem Zimmer schlafen und behielt sie den ganzen Tag.« – »Das ist schön, wir sind geschlagen; doch wir wollen unsere Revanche nehmen.« – »Ich werde Euch von ganzem Herzen unterstützen, gnädiger Herr, seid ruhig.« – »Wie ist das zugegangen?« – »Um halb ein Uhr war die Königin bei ihren Frauen . . .« – »Gut.« – »Als man ihr ein Taschentuch von Seiten ihrer Weißzeugverwalterin zustellte.« – »Hernach? . . .« – »Sogleich gab die Königin eine große Unruhe kund und erbleichte trotz der Schminke, mit der sie ihr Antlitz bedeckt hatte.« – »Hernach, hernach?« – »Sie stand jedoch auf, und sagte mit bewegter Stimme: »Meine Damen, wartet hier zehn Minuten auf mich, ich komme zurück.« Und sie öffnete die Thüre ihres Alkovens und entfernte sich.« – »Warum hat Frau von Lannoy Euch nicht in demselben Augenblick davon unterrichtet?« – »Es war noch nichts gewiß. Ueberdies hatte die Königin gesagt: »Meine Damen, wartet auf mich,« und sie wagte es nicht, ungehorsam gegen ihre Gebieterin zu sein.« – »Und wie lange ist die Königin aus dem Zimmer geblieben?« – »Drei Viertelstunden.« – »Keine ihrer Frauen begleitete sie?« – »Donna Estefania allein.« – »Und sie kehrte dann zurück?« – »Ja, um ein kleines Kistchen von Rosenholz mit ihrem Namenszuge zu holen und sich sogleich wieder zu entfernen.« – »Und als sie später wieder kam, brachte sie dieses Kistchen zurück?« – »Nein.« – »Weiß Frau von Lannoy, was in diesem Kistchen enthalten war?« – »Ja, die Diamant-Nestelstifte, welche Se. Majestät der Königin gegeben hatte.« – »Und sie kehrte ohne das Kistchen zurück?« – »Ja.« – »Frau von Lannoy meint, sie habe es Buckingham gegeben?« – »Sie ist fest davon überzeugt.« – »Wieso?« – »Im Verlauf des Tages suchte Frau von Lannoy als Kammerdame der Königin nach dem Kistchen, stellte sich beunruhigt darüber, daß sie es nicht fand, und fragte endlich die Königin danach.« – »Und die Königin . . .« – »Wurde sehr roth und erwiederte, sie habe am Tage vorher einen von den Nestelstiften zerbrochen und das Ding zur Ausbesserung ihrem Goldschmied geschickt.« – »Man muß dahin gehen und sich überzeugen, ob es wahr ist oder nicht.« – »Ich bin dort gewesen.« – »Nun, der Goldschmied . . .« – »Hat keine Sylbe davon erfahren.« – »Gut! gut! Rochefort, es ist noch nicht Alles verloren und vielleicht . . . vielleicht steht Alles auf's Beste.« – »Ich zweifle allerdings nicht, daß das Genie Ew. Eminenz . . .« – »Die Thorheiten meines Agenten wieder gut macht, nicht wahr?« – »Das war ich im Begriff zu sagen, wenn Ew. Eminenz mich hätte aussprechen lassen.« – »Wißt Ihr nun, wo sich die Herzogin von Chevreuse und der Herzog von Buckingham verborgen hielten?« – »Nein, Monseigneur, meine Leute konnten mir nichts Bestimmtes hierüber sagen.« – »Ich weiß es.« – »Ihr, Monseigneur?« – »Wenigstens vermuthe ich es. Die eine von diesen zwei Personen hielt sich in der Rue de Vaugirard No. 25, die andere in der Rue de la Harpe No. 75 auf. – »Befehlen Ew. Eminenz, daß ich beide verhaften lasse?« – »Es ist ohne Zweifel zu spät, sie werden abgereist sein.« – »Gleichviel, man kann sich Gewißheit verschaffen.« – »Nehmt zehn Mann von meinen Wachen und durchsucht die zwei Häuser.« – »Ich gehe, Monseigneur.«

Rochefort eilte aus dem Zimmer.

Als der Kardinal allein war, dachte er einen Augenblick nach und läutete zum dritten Male.

Derselbe Offizier erschien.

»Laßt den Gefangenen eintreten,« sprach der Kardinal.

Meister Bonacieux wurde abermals eingeführt und der Offizier zog sich auf ein Zeichen des Kardinals zurück.

»Ihr habt mich getäuscht,« sprach der Kardinal mit strengem Tone.

»Ich!« rief Bonacieux, »ich Ew. Eminenz täuschen!«

»Wenn Euere Frau in die Rue de Vaugirard und in die Rue de la Harpe ging, ging sie nicht zu Leinwandhändlern.«

»Wohin ging sie denn, gerechter Gott!«

»Sie ging zu der Herzogin von Chevreuse und zu dem Herzog von Buckingham.«

»Ja,« sagte Bonacieux, alle seine Erinnerungen in sich sammelnd, »ja, so ist es, Ew. Eminenz haben Recht. Ich bemerkte meiner Frau wiederholt, es sei sonderbar, daß Leinwandhändler in solchen Häusern wohnen, die gar keine Schilder haben, und da lachte sie jedesmal laut auf. Ach! Monseigneur,« fuhr Bonacieux sich dem Richelieu zu Füßen werfend fort, »ach! Ihr seid wohl der Kardinal, der große Kardinal, der Mann von erhabenem Geiste, den alle Welt verehrt!«

So geringfügig auch der Sieg war, den er über einen so gewöhnlichen Menschen, wie Bonacieux, davon getragen hatte, so freute sich doch der Kardinal nichtsdestoweniger einen Augenblick darüber; aber sogleich, als wäre ein neuer Gedanke in ihm aufgetaucht, spielte ein Lächeln um seine Lippen, und er sprach, dem Krämer die Hand reichend:

»Steht auf, mein Freund, Ihr seid ein braver Mann.«

»Der Kardinal hat meine Hand berührt! ich habe die Hand des großen Mannes berührt!« rief Bonacieux. »Der große Mann hat mich seinen Freund genannt.«

»Ja, mein Freund, ja,« sprach der Kardinal mit dem väterlichen Tone, den er zuweilen anzunehmen wußte, wodurch aber nur diejenigen hintergangen wurden, sie ihn nicht kannten; »und da man Euch ungerechter Weise im Verdacht gehabt hat, so verdient Ihr eine Entschädigung. Nehmt diesen Sack mit hundert Pistolen und vergebt mir.«

»Ob ich Euch vergebe, Monseigneur!« sagte Bonacieux, zögerte jedoch, den Sack zu nehmen, ohne Zweifel aus Furcht, das angebliche Geschenk möchte nur ein Scherz sein. »Es stand Euch ganz frei, mich verhaften zu lassen, es steht Euch vollkommen frei, mich foltern, mich hängen zu lassen, Ihr seid der Herr, und ich hätte kein Wörtchen darüber zu sagen gehabt. Euch verzeihen, Monseigneur? Geht, das kann nicht Euer Ernst sein.«

»Ah! mein lieber Herr Bonacieux, Ihr wollt Großmuth üben, wie ich sehe, und ich danke Euch dafür. Ihr nehmt also diesen Sack und geht ohne Groll?«

»Ich gehe entzückt, Monseigneur.«

»So lebt wohl, oder vielmehr auf Wiedersehen, denn ich hoffe, wir werden uns wieder sehen.«

»So oft es Monseigneur haben will, ich stehe ganz Eurer Eminenz zu Befehlen.«

»Seid ruhig, das wird oft vorkommen, denn Eure Unterhaltung hat mich in hohem Maße ergötzt.«

»Ah! Monseigneur!«

»Auf Wiedersehen, Herr Bonacieux, auf Wiedersehen.«

Der Kardinal machte ein Zeichen mit der Hand, das Bonacieux mit einer Verbeugung bis zur Erde erwiederte. Dann entfernte er sich rückwärts, und als er im Vorzimmer war, hörte ihn der Kardinal aus vollem Halse schreien: »Es lebe Monseigneur! Es lebe Se. Eminenz! Es lebe der große Kardinal!«

Der Kardinal vernahm mit einem Lächeln die geräuschvolle Kundgebung der enthusiastischen Gefühle von Meister Bonacieux; als sich das Geschrei in der Ferne verloren hatte, sagte er:

»Das ist nunmehr ein Mensch, der sich für mich todtschlagen ließe.«

Und der Kardinal betrachtete mit der größten Aufmerksamkeit die Karte von la Rochelle, welche, wie gesagt, auf seinem Schreibtische ausgebreitet lag, und zog mit dem Bleistift eine Linie, wo der bekannte Damm sich hinziehen sollte, der achtzehn Monate später den Hafen der belagerten Stadt schloß.

Als er ganz in seine strategischen Betrachtungen vertieft war, öffnete sich die Thüre wieder und Rochefort trat ein.

»Nun?« sprach der Kardinal, sich mit einer Schnelligkeit erhebend, die verrieth, welch hohes Gewicht er auf den Auftrag legte, den er dem Grafen ertheilt hatte.

»Nun,« sprach dieser, »eine junge Frau von sechs- bis achtundzwanzig Jahren und ein Mann von fünfunddreißig bis vierzig Jahren haben wirklich, die eine vier Tage, der andere fünf, in den von Ew. Eminenz bezeichneten Häusern gewohnt; aber die Frau ist in der vergangenen Nacht und der Mann diesen Morgen abgereist.«

»Sie waren es!« rief der Herzog auf die Pendeluhr schauend; »und nun,« fuhr er fort, »ist es zu spät, um ihnen nachzusetzen; die Herzogin ist in Tours, der Herzog in Boulogne. Man muß sie in London treffen.«

»Was sind Ew. Eminenz Befehle?«

»Kein Wort verlaute von dem, was vorgefallen ist. Die Königin verharre in vollkommener Sicherheit; sie darf nicht erfahren, daß wir ihr Geheimniß wissen; sie soll glauben, wir forschen irgend einer Verschwörung nach. Schickt mir den Siegelbewahrer Séguier.«

»Und dieser Mensch? was hat Ew. Eminenz mit ihm gemacht?«

»Was für ein Mensch?« fragte der Kardinal.

»Dieser Bonacieux?«

»Ich habe Alles aus ihm gemacht, was man aus ihm machen konnte. Ich habe ihn zum Spion seiner Frau gemacht.«

Der Graf von Rochefort verbeugte sich als ein Mann, der die große Ueberlegenheit seines Herrn anerkennt, und ging ab.

Wieder allein setzte sich der Kardinal abermals, schrieb einen Brief, den er mit seinem Privatsiegel verschloß, und läutete. Der Offizier trat zum vierten Male ein.

»Laßt mir Vitray kommen,« sprach er, »und sagt ihm, er solle sich zur Reise bereit halten.«

Einen Augenblick nachher stand der verlangte Mann gestiefelt und gespornt vor ihm.

»Vitray,« sagte der Kardinal, »Ihr geht sogleich nach London. Ihr haltet Euch nicht einen Augenblick unterwegs auf; diesen Brief übergebt Ihr Mylady; hier ist eine Anweisung von zweihundert Pistolen; geht zu meinem Schatzmeister und laßt sie Euch ausbezahlen. Eben so viel erhaltet Ihr, wenn Ihr in sechs Tagen zurück seid und Euern Auftrag gut vollzogen habt.«

Ohne ein Wort zu erwiedern, verbeugte sich der Bote, nahm den Brief und die Anweisung von zweihundert Pistolen und ging ab.

Der Brief enthielt Folgendes:

»Mylady!

»Findet Euch auf dem ersten Balle ein, den der Herzog von Buckingham besucht. Er wird an seinem Wamms zwölf Diamantnestelstifte tragen. Nähert Euch ihm und schneidet zwei davon ab.

»Sobald diese Nestelstifte in Euren Händen sind, gebt mir Nachricht.«



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