Alexander Dumas
Die drei Musketiere
Alexander Dumas

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Ein Stoff zu einer klassischen Tragödie

Nach kurzem Stillschweigen, wobei Mylady den jungen Mann, der ihr zuhorchte, fest ins Auge faßte, fuhr sie fort zu erzählen: »Drei Tage hindurch hatte ich weder etwas gegessen noch getrunken, und dabei schreckliche Martern ausgestanden, bisweilen schwebte es wie Wolken um meine Stirn und verdüsterte mir die Augen; das war eine Geisteszerrüttung. Der Abend rückte heran, ich war so schwach, daß ich jeden Augenblick in Ohnmacht sank, und sooft das geschah, dankte ich Gott, weil ich meinen Tod schon nahe glaubte. Ich hörte mitten in einer solchen Ohnmacht die Tür aufgehen; der Schrecken brachte mich zum Selbstbewußtsein. Mein Verführer trat mit einem vermummten Mann ein; auch er selbst war vermummt; ich erkannte das imponierende Wesen, das die Hölle seiner Person zum Unheil der Menschen verliehen hat. ›Nun,‹ sprach er, ›sind Sie entschlossen, den verlangten Eid zu schwören?‹ ›Sie sagten ja schon, die Puritaner haben nur ein Wort; das meinige haben Sie bereits gehört, ich habe beteuert, daß ich Sie hienieden vor dem Gericht der Menschen und im Himmel vor dem Gericht Gottes belangen werde.‹ ›Sie verharrten also auf Ihrem Entschluß?‹ ›Das schwöre ich vor Gott, der mich hört.‹ ›Sie sind eine nichtswürdige Dirne!‹ rief er mit Donnerstimme, ›und sollen als eine solche gezüchtigt werden – Sie, gebrandmarkt in den Augen der Welt, die Sie anrufen, suchen Sie es dieser Welt zu beweisen, daß Sie weder schuldig sind, noch auch verrückt.‹ Darauf wandte er sich zu dem Manne, der ihn begleitete, und rief: ›Henker, versieh dein Amt!‹« »O, seinen Namen, seinen Namen!« stammelte Felton aufs neue, »nennen Sie seinen Namen.« »Ungeachtet meines Schreiens, ungeachtet meines Widerstrebens – denn ich fing jetzt an einzusehen, man beabsichtigte mit mir noch etwas Schlimmeres als den Tod –, faßte mich der Henker an, riß mich zu Boden, band mir die Arme fest, und ich, fast erstickt von Schluchzen, fast ohne Bewußtsein und Gott anrufend, der mich nicht hörte, ich stieß plötzlich einen entsetzlichen Schrei des Schmerzes und der Schande aus; man drückte mir ein glühendes Eisen, ein rotes Eisen, das Eisen des Henkers auf die Schulter.« Felton brach in ein Stöhnen aus. »Sehen Sie,« sagte Mylady, indem sie sich mit der Majestät einer Königin erhob, »sehen Sie, wie man für das reine Mädchen, das der Wildheit eines ruchlosen Übeltäters zum Opfer ward, ein neues Märtyrtum ersonnen hat. Lernen Sie das Herz der Menschen kennen und dienen Sie fürder nicht so leicht als Werkzeug ihrer ungerechten Rache.« Mylady öffnete mit einer raschen Bewegung ihr Kleid, zerriß den Battist, der ihre Schultern umhüllte, und zeigte, glühend vor entstelltem Zorn und erkünstelter Schamhaftigkeit, dem jungen Manne das unverlöschbare Merkmal, das ihre schöne Schulter entehrte. »Aber,« rief Felton, »was ich da sehe, ist eine Lilie.« »Nun, das ist gerade die Ruchlosigkeit,« versetzte die Mylady. »Die Brandmarkung von England . . . er hätte es beweisen müssen, von welcher Gerichtsbarkeit mir dieselbe aufgedrückt sei, und ich hätte an alle Behörden des Reiches einen öffentlichen Aufruf ergehen lassen. Durch die Brandmarkung von Frankreich hingegen bin ich wirklich gebrandmarkt worden.« Das war zu viel für Felton. Blaß, regungslos, niedergeschmettert durch diese schreckliche Offenbarung, geblendet durch die übermenschliche Schönheit dieser Frau, die sich ihm mit einer Schamhaftigkeit entdeckte, die er erhaben fand, warf er sich endlich vor ihr auf die Knie nieder, wie dies die ersten Christen vor jenen Märtyrerinnen taten, welche die Verfolgung der Kaiser im Zirkus der blutgierigen Wildheit des Volkes preisgab. Das Brandmal verschwand, nur die Schönheit blieb übrig. »Vergebung! Vergebung!« rief Felton, »o, Vergebung!« Mylady las in seinen Augen: »Liebe! Liebe!« »Vergebung, – für was?« fragte sie. »Dafür, daß ich mit Ihren Verfolgern verbunden war.« Mylady bot ihm die Hand. »So schön, so jung,« stammelte Felton, indem er ihre Hand mit Küssen bedeckte. Mylady ließ auf ihn einen jener Blicke fallen, die Könige zu Sklaven machen. Felton war Puritaner; er ließ die Hand dieser Frau los, um ihr die Füße zu küssen. Er liebte sie bloß nicht mehr, er betete sie an.

Als diese Krisis vorbei war, als Mylady ihre Kaltblütigkeit, die nie von ihr gewichen war, wiedergewonnen hatte, sagte er: »Ha, jetzt habe ich Sie nur noch um eines zu befragen, nämlich um den Namen Ihres wirklichen Henkers, denn für mich gibt es nur einen, der andere weiter nichts als das Werkzeug war.« »Wie doch, Bruder,« sagte Mylady, »ich soll ihn dir nennen? Du hast ihn noch nicht erraten?« »Was,« entgegnete Felton, »Er? – wieder er? immer nur er? Was, er der wahrhafte Schuldige?« »Der wahrhafte Schuldige ist der Zerstörer Englands, der Verfolger der Rechtgläubigen! Er, der aus bloßer Laune England so viel Blut vergießen läßt, der heute die Protestanten beschützt und morgen wieder verraten wird.« »Buckingham, also Buckingham!« rief Felton in höchster Bewegung. »Die Menschen fürchten ihn und schonen seiner.« »O, ich fürchte ihn nicht,« rief Felton, »und werde seiner nicht schonen.« Mylady fühlte, wie ihre Seele in höllischem Entzücken schwamm. »Wie ist aber,« fragte Felton, »wie ist Lord Winter, mein Beschützer, mein Vater, in dieser Sache verwickelt?« »Hören Sie, Felton,« entgegnete Mylady; »neben feigen und verachtungswürdigen Menschen stehen auch große und edle Naturen; ich hatte einen Bräutigam, einen Mann, der mich liebte, und den ich liebte, ein Herz wie das Ihrige; Felton, ein Mann, so wie Sie. Ich ging zu ihm, und erzählte ihm alles. Er kannte mich, und zweifelte nicht einen Augenblick. Es war ein vornehmer Herr, ein Mann vom Range Buckinghams. Er sprach nichts, gürtete bloß sein Schwert um, hüllte sich in seinen Mantel und ging in den Palast Buckingham.« »Ja, ja,« sagte Felton, »ich begreife, wiewohl für solche Menschen nicht das Schwert gehört, sondern der Dolch.« »Buckingham war tags zuvor abgereist, als Gesandter nach Spanien geschickt, wo er für König Karl I., damals noch Prinz von Wales, um die Hand der Infantin zu werben hatte. Mein Bräutigam kehrte zurück. »Hören Sie«, sprach er zu mir, »dieser Mensch ist fortgereist, und somit für den Augenblick meiner Rache entschlüpft; allein inzwischen schreiten wir zu unserer Verbindung, wie es unsere Absicht war, und dann rechnen Sie auf Lord Winter, daß er seine und die Ehre seiner Gattin zu behaupten wissen wird.« »Lord Winter!« rief Felton aus. »Ja,« entgegnete Mylady, »Lord Winter, und nicht wahr, jetzt ist Ihnen alles einleuchtend. Buckingham blieb fast ein Jahr abwesend. Acht Tage vor seiner Ankunft starb Lord Winter plötzlich, indem er mich als seine einzige Erbin hinterließ. Woher kam der Schlag? Gott, der alles weiß, weiß gewiß auch das; ich will niemanden anklagen.« »Ha, welch ein Abgrund!« rief Felton, »welch ein Abgrund!« »Lord Winter war gestorben, ohne daß er vorher seinem Bruder etwas mitgeteilt hätte. Das schreckliche Geheimnis sollte allen verhüllt bleiben; bis es gleich einem Ungewitter über das Haupt des Schuldigen hereinbrechen würde. Ihr Beschützer sah die Heirat seines Bruders mit einem jungen, armen Mädchen nur mit Unwillen an. Ich fühlte, daß ich keine Stütze von einem Mann erwarten durfte, der in seinen Erbschaftshoffnungen getäuscht worden war, und so begab ich mich nach Frankreich, wo ich mein ganzes übriges Leben zubringen wollte. Da jedoch mein Vermögen in England lag, und durch den Krieg jede Verbindung abgebrochen wurde, so mangelte es mir an allem, und ich mußte notgedrungen wieder dahin zurückkehren; vor sechs Tagen bin ich in Portsmouth gelandet.« »Und dann?« fragte Felton. »Nun, Buckingham erfuhr zweifelsohne meine Zurückkunft, er sprach darüber mit Lord Winter und sagte ihm, daß seine Schwägerin eine Entehrte, eine Gebrandmarkte sei. Die edle und reine Stimme meines Gemahls konnte mich nicht mehr in Schutz nehmen. Lord Winter glaubte alles, was man ihm sagte, um so leichter, als er dabei ein Interesse hatte; er ließ mich festnehmen, hierherführen, und unter Ihre Bewachung stellen. Das übrige ist Ihnen bekannt; übermorgen schickt er mich in die Verbannung, verstößt mich unter die ehrlosen Deportierten. Ach, der Faden ist gut gesponnen, das Komplott trefflich geschmiedet, doch meine Ehre wird es nicht überleben. Sie sehen wohl ein, Felton, daß ich sterben muß; Felton, geben Sie mir das Messer.« Mylady sank nach diesen Worten, als wäre sie an allen Kräften erschöpft, schwach und schmachtend in die Arme des jungen Offiziers. »Nein, nein,« rief er, »du sollst leben, geehrt und rein sollst du leben und triumphieren sollst du über deine Feinde.« Mylady stieß ihn sanft mit der Hand zurück, zog ihn aber mit dem Blick an sich; verschleierte die Stimme und die Augen und rief: »O, den Tod, den Tod! Viel lieber den Tod als die Schande! Felton, mein Bruder, mein Freund, ich beschwöre dich!« »Nein,« rief Felton, »nein, du sollst leben und gerächt werden.« »Felton, ich bringe allem, was mich umgibt, nur Unglück; Felton, gib mich auf, Felton, laß mich sterben.« »Wohlan, so sterben wir zusammen!« rief er. Mehrere Schläge schallten an der Tür. »Horch,« sprach sie, »man hat uns belauscht; man kommt, es ist um uns geschehen, wir sind verloren!« »Nein,« sagte Felton, »es ist die Wache, die mir bloß bedeutet, daß eine Runde kommt.« »Nun, so gehen Sie schnell zur Tür, um selbst zu öffnen.« Felton tat es. Diese Frau war bereits sein ganzes Denken und Fühlen. Er stand dem Sergeanten gegenüber, der eine Wachpatrouille befehligte. »Nun, was ist's?« fragte der junge Leutnant. »Sie sagten mir, daß ich die Tür öffnen soll, wenn ich um Hilfe rufen hörte,« sagte der Soldat, »allein Sie haben vergessen, mir den Schlüssel zu lassen. Ich hörte Sie nun rufen, ohne zu verstehen, was Sie verlangten, und wollte die Tür öffnen, doch war sie inwendig abgesperrt und so habe ich den Sergeanten gerufen.« »Und da bin ich,« versetzte der Sergeant. Felton war sinnverwirrt, fast verrückt und sprachlos. Mylady sah ein, sie müsse sich hier der Umstände bemächtigen. Sie eilte nun zum Tisch und erfaßte das Messer, das Felton dort niedergelegt hatte. »Mit welchem Rechte«, sprach sie, »wollen Sie mir wehren, zu sterben?« »Großer Gott!« rief Felton, als er das Messer in ihrer Hand blitzen sah. In diesem Moment ließ sich im Korridor ein ironisches Lachen hören. Der Baron ward von dem Lärm herbeigezogen, und stand im Schlafrock an der Türschwelle mit dem Degen in der Hand. »Ach, ach!« rief er, »wir sind nun beim letzten Akt der Tragödie. Ihr seht, Felton, das Drama ist durch alle Phasen gegangen, die ich bezeichnete, aber seid ruhig, es wird kein Blut fließen.« Mylady fühlte, daß sie verloren wäre, würde sie nicht Felton einen unmittelbaren und fürchterlichen Beweis ihres Mutes geben. »Ihr irrt Euch, Mylord, das Blut wird fließen, und möchte es auf diejenigen zurückfallen, die daran schuld find.« Felton stieß einen Schrei aus und eilte zu ihr: es war zu spät, Mylady hatte schon gezückt. Zum Glück – wir sollten sagen, geschickterweise – traf das Messer auf das stählerne Blankscheit, das damals wie ein Panzer die Brust der Frauen schirmte. Es durchbohrte wohl das Kleid, glitt jedoch ab und drang quer zwischen dem Fleisch und den Rippen ein. Nichtsdestoweniger ward Myladys Kleid sogleich mit Blut befleckt. Mylady fiel um und schien ohnmächtig. Felton entriß ihr das Messer und sprach mit finsterer Miene: »Seht, Mylord, diese Frau ward meiner Behütung anvertraut, und hat sich entleibt.« »Seid ruhig, Felton!« entgegnete Lord Winter, »sie ist nicht tot.« »Doch, Mylord!« »Geht nur, ich befehl es.« Felton gehorchte dem Befehl seines Vorgesetzten, doch steckte er, als er fortging, das Messer in sein Wams.


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