Alexander Dumas Sohn
Die Dame mit den Kamelien
Alexander Dumas Sohn

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XV.

»Sie haben gelesen?« sagte Armand zu mir, als ich das Manuskript aus der Hand legte.

»Ich begreife, was Sie haben leiden müssen,« erwiderte ich, »wenn das in diesen Blättern Erzählte wahr ist.«

»Mein Vater hat es mir in einem Briefe bestätigt.«

Wir sprachen noch eine Weile über dieses traurige Geschick, das soeben in Erfüllung gegangen war, und ich ging nach Hause, um einige Ruhe zu genießen.

Armand war immer traurig, aber durch die Erzählung dieser Geschichte etwas erleichtert. Er genas schnell und wir machten zusammen einen Besuch bei Prudence und Julie Duprat.

Prudence hatte Bankerott gemacht und sie sagte Margarete sei daran schuld; sie habe ihr während ihrer Krankheit bedeutende Summen geliehen, über welche sie Wechsel ausgestellt habe; letztere habe sie nicht einlösen können, weil Margarete gestorben sei, ohne ihr Quittungen gegeben zu haben, mit denen sie sich als Gläubigerin melden könnte.

Diese Fabel erzählte Madame Duvernoy allenthalben, um ihre zerrütteten Vermögensverhältnisse zu entschuldigen. Armand war weit entfernt, dies zu glauben, aber er gab sich das Ansehen, als ob er es glaubte und lieh der bankerott gewordenen Putzmacherin eine Banknote von tausend Franks.

Dann gingen wir zu Julie Duprat, der Armand zum Dank für das, was sie an Margarete getan, eine hübsche Wohnung in der Rue de Castellane hatte möblieren lassen. Julie erzählte uns noch einmal die traurigen Vorgänge, deren Zeuge sie gewesen war, und die Erinnerung an ihre Freundin entlockte ihr aufrichtige Tränen.

Endlich besuchten wir Margaretens Grab, auf welchem die ersten Strahlen der Aprilsonne die ersten Blätter hervortrieben.

Armand hatte noch eine Pflicht zu erfüllen; sich zu seinem Vater zu begeben. Auch auf dieser Reise sollte ich ihn begleiten.

Wir kamen in C*** an; ich fand Herrn Duval, so wie ich ihn mir nach Armands Schilderung vorgestellt hatte; würdevoll, edel und wohlwollend.

Er empfing seinen Sohn mit Freudentränen und drückte mir mit Wärme die Hand. Ich bemerkte wohl, daß das Vatergefühl alle übrigen Gefühle des Steuereinnehmers beherrschte.

Seine Tochter Blanche hatte jene Klarheit der Augen und des Blickes, jene Heiterkeit des Mundes, welche beweist, daß der Geist nur Raum hat für fromme Gedanken, und daß der Mund nur züchtige Worte spricht. Sie freute sich innig über die Rückkehr ihres Bruders; sie wußte ja nicht, daß fern von ihr eine Buhlerin um des keuschen Mädchens willen ihr Glück geopfert hatte.

Ich blieb einige Zeit bei dieser achtbaren, glücklichen Familie. Armand, der mit genesendem Herzen zurückgekehrt war, bekam nach und nach seine Heiterkeit und seinen Lebensmut wieder in dem stillen, trauten Kreise.

Als ich wieder nach Paris zurückgekehrt war, schrieb ich diese Geschichte, so wie sie mir erzählt worden war. Sie hat nur ein Verdienst, das ihr gewiß nicht abgesprochen werden wird: nämlich, daß sie wahr ist.

Ich ziehe aus dieser Erzählung keineswegs den Schluß, daß jede Verirrte fähig sei zu tun, was Margarete Gautier getan hat. Ich habe nur die Geschichte einer Buhlerin erzählt, die durch eine wahre Liebe bekehrt worden ist, die in dieser Liebe ein kurzes Glück gefunden und für ihre früheren Vergehen durch ein trauriges Ende gebüßt hat.

Ich bin kein Apostel des Lasters, aber ich werde mich überall, wo ich den Angstruf edlen Unglücks höre, zum Echo desselben machen.

Die Geschichte Margaretens ist allerdings eine Ausnahme; aber wenn sie nicht von der allgemeinen Regel abwiche, so würde ich mir nicht die Mühe genommen haben, sie zu schreiben.

Ende


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