August Gottlob Eberhard
Hannchen und die Küchlein
August Gottlob Eberhard

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3 Die Überraschung

            Lieblich umgrünt, in des Schloßberges Schutz, liegt friedlich das Dörfchen,
Wie um den Hirten herum die gelagerte, schweigende Herde.
Blumenumblüht, und von Reben umrankt bis zum niedrigen Dache,
Steht dort, nah' der Straß', ein bescheidenes, freundliches Hüttchen;
Still dort saßen beisammen, am Abend, im dunkelnden Stübchen,
Martha, des Pfarrherrn Witwe, die gläubige Heldin im Unglück,
Hannchen, des Pfarrherrn Waise, die fromme, die liebliche Jungfrau,
Beide mit fleißiger Hand umdrehend die schwebende Spindel,
Beide mit sinnenden Blicken versunken in tiefe Gedanken.
Sieh', da rollten vorbei, auf lindenbeschatteter Straße,
Glänzende Wagen, bespannt mit kraftvoll schnaubenden Rossen,
Stattliche Männer und Frauen darin, auch Junker und Fräulein,
Alle, dem Schloßberg zu, die vergnügten Gesichter gewendet.

Hin flog Hannchen zum Fenster, mit freudig geöffneten Armen,
Rufend: »Antonie war es! Antonie! hab' ich im Fluge
Doch sie wieder erkannt, nach drei Jahr' langem Entferntsein!
Heil! nun kehrt sie zurück mit dem Vater, der Mutter, dem Bruder,
4 Von den Helvetischen Bergen und von den Italischen Küsten!
Und die Begleiter – gewiß gastfreundlich gelad'ne Verwandte,
Fröhlich vereinigt im Chor, zu der Feier der glücklichen Rückkunft.«

Froh dann jauchzte sie fort, daß wiedergekehret die Freundin,
Welche sie deutlich erkannt beim ersten, beflügelten Aufblick.

»Wird dich aber auch sie noch kennen?« erwiderte Martha.
»Hinter ihr liegen die Jahre der rangunkundigen Jugend!
Die als Kind dich geliebt, ist jetzt ein gnädiges Fräulein,
Das sich der Jugendgespielin, der dürftigen Waise des Pfarrers,
Wohl nur wenig erinnert, vielleicht gar ihrer sich schämet!«

Doch da blitzten, wie Edelgesteine, die Augen der Jungfrau;
Laut zum Lobe der Freundin erhob sie die siegende Stimme,
Denn, in dem eigenen Herzen der treuesten Liebe Bewußtsein,
Glaubte, mit schönen Vertraun, sie fest an die Treue der Freundin.
Dessen erfreute sich Martha, und lobte den Glauben der Tochter;
Nur, daß zu unverhofft nicht komme die mögliche Täuschung,
Sprach die verständige Frau von mancher betrübten Erfahrung,
Sprach von dem adligen Stolz und der Schwäche des menschlichen Herzens,
Welch ein trügliches Ding von Adam her es gewesen,
Welch ein trügliches Ding auf immer und ewig es bleibe.

Hannchen betrübt nachsinnend der Mutter bedenklichen Worten,
Sah, bang seufzend, zurück in die früheren glücklichen Jahre.
»Weh mir!« klagte sie dann, »nichts könnte darüber mich trösten,
Hätten die Zeit und die Welt mir Armen entfremdet die Freundin!
Ach, wie sie mich geliebt, wird niemand wieder mich lieben!
5 Würde mir fremd ihr Herz: was wäre mir dann noch das Leben!«

Doch kaum seufzte sie so, da knarrete draußen die Pforte,
Eilet' es über den Hof, und nahet' es schon sich dem Stübchen.
Auf flog plötzlich die Thür, und: »Hannchen!« »Antonie!« tönt es!
Tönte mit steigendem Jubel: »Antonie!« »Hannchen!« noch einmal!
Und dann lagen sie Brust an Brust in entzückter Umarmung,
Wechselten zärtliche Wort' und Küss' und freudige Thränen,
Gleich zwei blühenden Blumen mit traulich verschlungenen Blättern,
Lieblichen Balsamduft zuströmend die eine der andern.

Martha betrachtete beide, gerührt, mit gefalteten Händen,
Gern abbittend im Herzen Antonien jegliches Mißtrau'n;
Und auffangend der Tochter beseelten, erheiterten Aufblick,
Nickte sie freudebewegt ihr zu; doch verstummend in Rührung,
Hob sie empor nur die Hände, zu segnen das herzliche Bündnis.

Jetzt erst sah sie, betroffen, Antoniens hohen Begleiter,
Welcher, mit lächelndem Blick, noch stand in der offenen Thüre.
Höflich begrüßte sie den, mit entschuldigend freundlichen Worten,
Ernstlich beschämt und erstaunt, daß keiner ihn früher beachtet.
Und es entwand sich Antonie eilends den Armen der Freundin,
Führte den Grafen ihr zu mit freudigem, schönem Erröten,
Nannt' ihn ihren Verlobten, und bat ihn, daß er nicht zürne.
Aber es sagte der Graf: »Wohl hat so herzliche Freundschaft
Heilige Recht' auch neben der Lieb', als ältere Schwester.
Herzen, die schon sich bewährt als treu in dem Tempel der Freundschaft,
Werden sich schön auch bewähren im heiligen Tempel der Liebe;
6 Neidlos seh' ich daher in dem Arme der Freundin die Teure,
Die so hoch mich beglückt mit der treuesten, bräutlichen Liebe.«

Also sprechend vergnügt, sanft legt' er Antoniens Hände
Wieder in Hannchens erzitternde Händ', und wandte zur Mutter
Dann sich, lächelnden Blicks, anknüpfend erheiternde Zwiesprach.

Doch vom heftigsten Schmerz in der Tiefe des Herzens ergriffen,
Neigt' jetzt Hannchen das Haupt an den Busen der zärtlichen Freundin,
Leise nur weinend zuerst, dann heftig und heftiger weinend,
Daß teilnehmend Antonie rief: »Mein Hannchen, was ist dir?«

Ängstlichen Blicks gleich sah es die Mutter, und nahte sich liebreich,
Neu zu erheitern die Tochter, mit freundlichen Worten versuchend.
Hannchen indessen vermochte den Sturm noch nicht zu beschwören,
Welcher die Seel' ihr bewegt', und Thrän' auf Thrän' ihr entpreßte.
Küßt' auch viele die Freundin ihr schnell von der glühenden Wange:
Rann doch Perl' um Perle hinab zu dem pochenden Herzen.

Da nahm Martha das Wort, um zu Hilfe der Armen zu kommen,
Schnell ablenkend von ihr die befremdeten Blicke des Grafen.
»Unrecht muß ich es nennen, vor Gästen, wie diese, zu weinen,
Oder zu sprechen von häuslicher Not und betrübter Erfahrung;
Aber es lässet das Herz nicht streng sich immer gebieten.
Und der Glückliche wohl ist würdig vor allen des Glückes,
Der, mitleidigen Sinnes, die Klage vernimmt des Bedrängten.
Daß ich es kurz nur sage: Wer so viel Schlimmes erfahren,
7 Als mein Hannchen und ich, hat Ursach' wahrlich zu weinen!
Was hochteuer dem Herzen, und was uns das Leben bequem macht,
Ward uns plötzlich geraubt, nach Gottes 'allmächtigen Ratschluß.
Ich bin nahe dem Ziel', und entgehe der weiteren Not bald;
Aber wie lange vielleicht hat noch mein Hannchen zu trauern,
Ach, um den einzigen Bruder, gefallen auf blutigem Schlachtfeld,
Dann um den Vater, vor Schmerz und Sorg' in die Grube gesunken,
Über den plündernden Feind, und über die schreckliche Flamme,
Die, was jener uns ließ, noch nahm in entsetzlicher Sturmnacht!« –

Jetzt erst schüchternen Blickes, umschauend im ärmlichen Stübchen,
Rief, mit innerer, tiefer Bewegung, die treffliche Freundin:
»Weh, ihr Teuren! o weh! Euch hat die zerstörende Flamme,
Seh' ich, die nötigste Habe geraubt! O, wie vieles vermiss' ich,
Was Euch früher umgab! Das habt Ihr alles verloren?«
»Ja so ist's!« sprach jene, »dem schrecklichen Feuer entreißen
Konnten wir weniges nur; und das auch fiel der Zerstörung
Während des Rettens anheim, in der unvorsichtigen Eile!
Erst am Morgen erstarben die Flammen, und rauchende Trümmer
Deckten die Stelle, wo sonst wir lebten in Frieden und Wohlstand!
Alles dahin! »Gott hat es gegeben, Gott hat es genommen!«
War mein Morgengebet in der blühenden Laube des Gartens.
Der nur war noch entgangen der schrecklichen Feuerverwüstung;
Und die erhaltenen Bäum' und Gesträuche, wie Kinder, so lieb uns,
8 Da wir sie alle gepflanzt und gepflegt mit Müh' und mit Liebe,
Sie nur erfreuten uns noch, als einziger, übriger Reichtum.«

»Doch auch diese,« erwidert' Antonie, »mußtet Ihr missen,
Seit der Versorger Euch starb! Ein andrer, ein Fremder erfreuet
Nun sich der Frücht' und des Schattens von Euren Gesträuchen und Bäumen!«

»Nicht darf das mich betrüben,« erwiderte Martha, »es muß ja
Weichen der eine dem andern; und sind doch Kirch' und Gemeinde
Trefflich aufs neue versorgt, nach meines Verewigten Heimgang.«

Kaum daß so das Gespräch sich gewendet, da flüchtete Hannchen,
Vor dem Gesicht das Tuch, sich hinaus in die einsame Kammer,
Sehn nicht wollt' es die Mutter; doch tiefwehmütigen Blickes
Schaut' ihr Antonie nach, und sprach mit leiserer Stimme:
»Ach, wie jammert es mich, so wieder zu sehen die Freundin,
Die, mit dem fröhlichsten Sinn, mich selbst sonst stimmte zum Frohsinn!
Während das Schicksal mir zuführte den Lebensgefährten,
Raubte der Freundin der Tod so frühe den Bruder und Vater!
Während am fernen Vesuv mich Säulen von Feuer ergötzten
Weh', da erschreckten sie hier Euch, Teure, mit wilder Verwüstung!
O, daß Hannchen mir nicht dies alles vertraulich geschrieben!
Hätt' ich's früher gewußt: gern hätt' ich früher getröstet.
Was nur ersetzen sich läßt, längst hätt' ich's wollen ersetzen,
Denn auf alles, was mein, hat Hannchen die heiligsten Rechte.«

Freundlichen Blickes hinreichend die Hand antwortete Martha:
9 »Daran erkenn' ich gerührt die Antonie wieder, die edle,
Die, noch ein lallendes Kind, schon freudig dem Armen ihr Brot brach.
Doch dies wissend, verbot ich's standhaft Hannchen, zu schreiben,
Wie uns der Himmel geprüft, und was wir alles verloren!«

»Aber, o war das recht?« unterbrach sie Antonie lebhaft,
»Gegen Antonie recht? Recht gegen die darbende Tochter?«

»Mindestens meint ich' es so,« antwortete Martha mit Ruhe,
»Wurden wir arm nach dem Willen des Höchsten: so mußte daraus auch
Uns der Segen erblüh'n, des Gott uns würdigen wollte.
Jeglichem Boden entsprießen die ihm einheimischen Blumen,
Mancher balsamische Kelch blüht nur an dem Felsen der Wüste;
Mancher erblühet am schönsten im Thale der Not und der Prüfung.
Ernstere Tugend, die sonst wohl fremd ihm wäre geblieben,
Lehret den Armen die Not, auf regt sie die schlummernde Kraft ihm,
Lenket den Blick ihm hinweg von des Leben gemeiner Zerstreuung,
Auf zum Höhern und Höchsten hinauf; dann, reich in sich selber,
Schmücket ihn heiliger Stolz, und blühen ihm heilige Freude,
Welche die Kinder des Glücks, in des Reichtums Fülle, nicht ahnen.
Und so hoff' ich denn auch: was Hannchen nach außen verloren,
Ist durch inneren, schönen Gewinn ihr reichlich vergütet.
Daß sie entbehren gelernt, und rüstig die Kräfte gebrauchen,
Bleibt ein besserer Schatz, als Haufen von Silber und Gold, ihr.
Daß sie des Glücks abwechselnde Launen erfahren so früh schon,
Wird sie, umlacht es sie einst, vor Hoffart schützen und Hochmut,
10 Wird sie belehren, daß nichts dem Beglücktesten dauernd anheim fällt,
Wahrhaft nichts ihn erhebt, als was er im Innern gewonnen,
Durch sich selber an sittlicher Würd' und strengerer Tugend.« –

Also sprach die verständige Frau. Und kindlichen Sinnes
Hört' ihr Antonie zu, der jetzt das bescheidene Stübchen,
Ob auch arm an Gerät, doch erschien wie ein heiliger Tempel,
Höherer Tugend geweiht. Und mit Worten der kindlichsten Liebe
Abschied nehmend, ergriff sie die Hand der bewunderten Armen,
Drückte die Lippen darauf, und ging, still sinnend, von dannen.
Und es verneigte der Graf vor Martha so tief sich im Weggehn,
Wie vor Grafen er selten es that; und die edlen Verlobten
Prägten sich tief ins Herz, fürs folgende Leben, die Lehre:
Unglück tragen mit Stolz, und des Glückes genießen in Demut,
Das nur versöhnt das Geschick, und adelt vor Gott und vor Menschen.


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