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Der Reichstag in Nürnberg, – die Kaiserzeit! Schon übermorgen wollten die Majestäten den Einzug halten, und mit ihnen mein Hans.
Ein Bote hatt' es verkündet, nun galt es sich tummeln; denn wir drei, die Els, die Ann und ich, waren aus den Töchtern der Ratsherren mit einundzwanzig anderen erlesen, das kaiserliche Paar mit Strauß und Anrede zu begrüßen.
Solche hatte die Ursula zu sprechen, die es meisterlich verstund, sich dergleichen Auszeichnungen zu bemächtigen und in der That die fürnehmste war von uns allen, sintemal ihre Mutter selig des hochadeligen Herrn Reynmar von Sulzbach Tochter gewesen.
Wegen der Sträuße gab es für mich und die Ann keine Not, sintemal der Hallergarten nicht seinesgleichen hatte in Nürnberg und meine lieben Schwiegereltern es auf sich genommen, uns solche binden zu lassen.
Bevor wir die Rosse bestiegen, vernahm ich noch, daß der Herdegen mit dem Junker gestern abend in arge Händel geraten, ja daß beinahe Blut geflossen wäre; denn da mein Bruder das Liedlein zum Preis einer Els gesungen und der Märker ihn unterbrochen, um sich zu der Ann zu bekennen, hatte der Herdegen gerufen: »Wenn Ihr die rote Ann meinet, so im blauen Hechte das Bier schenket, bin ich's zufrieden!«
Hienach war der Junker aufgesprungen und hatte den Weinkopf, daraus er getrunken, gegen den Herdegen geschleudert. Selbiger aber war ihm behend ausgewichen und hatte sich ungesäumt mit der blanken Klinge auf den Trunkenen geworfen; doch war der Herzog Rumpold dazwischengetreten, und an diesem Morgen schien wenigstens der Junker Henning des Geschehenen nicht mehr zu gedenken. In der Mark soll dergleichen nämlich bei den Gelagen der Ritter und Herren zu den üblichen Dingen gehören, und in der Frühe vergessen sein, was man abends beim Weine oder Biere gefrevelt.
Daheim stieg mein Aeltester wiederum bei dem Großohm ab, während der Junker im Stadthause der Waldstromer, der Herr Herzog von Glogau im Hallerhofe Quartier fanden, woselbst auch der Herr Kurfürst und Erzbischof Konrad von Mainz mit großem Gefolge unterkommen sollte. Bei uns hatte die Base für den Markgrafen von Baden und den Grafen von Henneberg Herberge bereitet. Der obere Stock des Pernhartschen Hauses war für seine Eminenz den Kardinal Branda, den trautesten Freund des Bischofs in Rom, der des Meisters Herr Bruder, hergerichtet worden. Jenen hohen Prälaten hatte Seine Heiligkeit der Papst als Legat auf den Reichstag gesandt, und er celebrirte später gar würdevoll vor dem Kaiserpaar sowie den versammelten Großen die Messe.
Bis hieher ist mir die Erinnerung treu verblieben in allen Stücken, und auch von dem, was nun kommt, steht mir manches einzelne so nah' und lebendig vor Augen, als schaue und erlebe ich es zum andernmale; doch möcht' ich alte Frau nunmehr am liebsten die Hände vor das Antlitz pressen und weinen. Denn obzwar diese Tage auch Stunden umschließen, die mich bald in süßem Minneglück, bald in eitelem Trutz schwelgen sahen, ist doch die Menschenseele so beschaffen, daß sie, wo tiefes Weh dem höchsten Genügen auf dem Fuße folget, jenem gestattet, selbiges ganz zu verdunkeln. Aber dafür ist der Seele Schmerz dem Glockengeläut vergleichbar, das in der Nähe dem Ohre weh thut und in der Ferne einen holden, auferbauenden Ton gewinnet. Jetzt freilich, da es gilt, Kunde von dem tiefsten Leid meines Lebens zu geben, dröhnet das Erz, und die längst vernarbten Wunden brennen aufs neue.
Die zwei Monde des Reichstages! Hinter mir liegen sie wie ferne Berge. Die einzelnen Formen auseinanderzuhalten will nicht mehr glücken; doch wie der Kirchturm, die Windmühle, die alte Eiche auf dem Höhenkamm am Horizonte, fallen gewisse Begebenheiten allen voran scharf und deutlich ins Auge.
Wie die Nacht nach der Heimkehr aus dem Forste und der Morgen des 27. Julius im Jahre 1422 nach des Herren Geburt verging, weiß ich nicht mehr zu melden, doch am Nachmittag seh' ich mich in Seide und Spitzen, weiß und neu gekleidet vom Kopf bis zum Fuße, als ging es zur Hochzeit, zu Seiten der Ann durch die Gassen schreiten, bis zum Platze zwischen Sankt Jakob und dem Deutschen Hause hinter dem Spittler Thor.
Wo wir hinschauen, Blumen, Laubgewinde, Teppiche, Wimpel und Fahnen; man möchte meinen, sie hätten die Gärten des ganzen Frankenlandes geplündert. So viel Buntes hat das Auge nimmer geschaut, und atmet die Brust, so zieht sie den Duft des Laubes und der Blüten ein, die des Julius Sonne allbereit trocknet. Einen lichteren Sankt Pantaleonstag mein' ich nimmer erschaut zu haben; der Himmel selbst teilt die Freude der Stadt und glänzt in fleckenlosem Azurblau. Ein leiser Windhauch kühlt die wachsende Hitze und hilft den Flaggen und Bannern sich frei entfalten.
Unsere schönen Gotteshäuser, von oben bis unten sind sie mit Laubgewinden, Kränzen und Fahnen geputzet und gleichen frohen Bräuten, die im reichsten Schmuck des Hochzeiters warten.
Der Markt ist ein Festsaal geworden, der Schöne Brunnen hat eines gewaltigen Blumenstraußes Ansehen gewonnen, die Ehrenpforten scheinen Wald- und Gartengötter in emsigem Bunde errichtet zu haben. Jeder Erker ist reich geschmücket. Selbst die gezackten Giebel und die Türmlein auf den Dächern freuen sich etlichen Putzes.
Was das Auge erreicht, ist farbenbunt, blink und blank. Die kleinste Butze im obersten Dachlicht funkelt fleckenlos. Der Aermste geht in köstlichem Feststaat einher, die von den Geschlechtern tragen ritterlich und adelig Gewand, jeder Handwerksmann gleicht einem vom Rate, jeder Knecht dem Herren. Man möchte wähnen, daß es heut nur Reiche gebe zu Nürnberg. Wie blitzen die breiten Perlenkränze und die von güldener Zier strotzenden »Aufsätze« der Mägede! Was kümmert die Frauen, so die kostbare Marderhaube zu zeigen begehren, die ihr Haupt wie ein breiter Heiligenschein von Pelzwerk umgibt, die Hitze des Sommers? Wie sorgsam haben die Mütter die Kleinen geputzet! Sie sollen Kaiser und Kaiserin mit Augen schauen, und vielleicht trifft der Blick der Majestäten gerade ihr Kindlein!
Jetzt nahen die Zünfte mit Zeichen und Bannern. Glänzender haben sie sich noch für keinen Aufzug gerüstet. Sie werden Aufstellung finden an der Gassen und der Landstraße Seiten bis weit hinaus vor das Spittler Thor.
Endlich nahet des Einzuges Stunde.
Wir sind vollzählig beisammen; obzwar wir aber übereingekommen sind, nur in Weiß zu gehen, trägt die Ursula rosige und himmelblaue Straußenfedern von ansehnlichem Werte, doch überstarker Fülle am Hauptwulst. Bisweilen schaut sie in das Pergament; für uns andere hat sie nur kurze Grüße und Wörtlein. Der Strauß, den ihr ein Knecht in scharlachroter Livrei nachträgt, ist schön und prunkend; doch da naht mein Akusch mit einem Gärtnersknecht, um uns die zu überbringen, so für mich und die Ann aus dem Hallergarten kommen. Wir, und mit uns viele andere, schlagen die Hände zusammen vor eitel Entzücken, doch die Ursula wirft ihnen einen Blick zu, der den Rosen und fremdländischen Lilien den Duft zu rauben dräut.
Der Kaiser, heißt es, halte die Zeit ein, und da beginnen schon die Glocken zu läuten. Ich kenne sie alle, und nun ertönt auch mein Liebling, die Benedicta von Sankt Sebald, die der alte Meister Grünewald, der Pernharts liebster Hausfreund, gegossen. Die ehernen Stimmen rühren mir Herz und Sinn auf; und jetzt beginnen auch von der Burg und den Wällen die Stücke mit dröhnendem Gekrach den Gruß an den Kaiser in die Sommerluft zu schmettern, und das Herz schlägt mir immer schneller. Doch auf einmal ist mir's, als wäre der herrliche Schmuck der Stadt, der Putz der Menschen, das Glockengeläut und Kanonengebrüll mit nichten bestimmt, den Kaiser zu ehren, sondern ganz allein den Herzliebsten, der mit ihm heranzieht.
Auf ihn richtet sich jeder Wunsch und Gedanke. Da der Stadtpfeifer Trompeten und Heerpauken, Dudelsacke und Zinken erschallen, da das nahende Murmeln und Brausen sich zu lautem Lärm und unbändig starkem Getöse steigert, auch von allen Lichtern und aus jedem Munde ringsumher der Ruf und Schrei ertönet: »Sie kommen!«, schau' ich dannocht nicht nach den Majestäten aus, denen dieser Tag und dies Fest gehören, sondern nur nach ihm, der mein eigen.
Und nun sind sie da! Dicht vor uns hält der Kaiser und sein hohes Gemahl, Königin Barbara, die des großen ungarischen Grafen von Cilly immer noch schöne Tochter.
Ja, so schaut ein Herr aus, dem sechs Reiche gehorchen; solch ein Mann darf das Haupt der großen deutschen Nation sein! Unter vielen ist er als Kaiser und eines Kaisers Sohn kenntlich! Wie aufrecht sitzt er im Sattel, wie jung leuchtet ihm noch das Auge, und er hat die Fünfzig doch allbereit überschritten. Frohgemut und zufrieden blickt er drein und scheint völlig vergessen zu haben, daß er den Reichstag gen Regensburg berufen und nur gezwungenerweise in Nürnberg einzieht, weil die Herren Kurfürsten und deutschen Großen sich dort versammelt.
Auch sein hohes Gemahl hat ein fürstlich Ansehen, und da sie den weißen Zelter zum Stillstand bringt, bleibt selbiger bestrebt, die rosigen Nüstern zu dem braunen Hengst zu heben, den ihr Eheherr reitet.
Doch mein Blick verweilet nur kurze Zeit bei dem hohen Paare; denn er wandert den langen Reiterzug hinunter, in dessen letzten Reihen Er nahet. Bei der ungarischen Großen herrlichen Männergestalten, an denen alles, ja auch das Geschirr der Rosse, von funkelndem Edelgestein strotzt, rastet er ein wenig, dann aber gleitet er ungehemmt über die Kurfürsten und Fürsten hin, die Herzoge, Grafen und Ritter in Sammet und Seide, Gold und Silber, den Scharlach und das Violett der Prälaten, das ernste Schwarz und die güldenen Ketten der Räte, kurz, über den gesamten glänzenden Troß, der den Majestäten aus dem Ungarlande gefolget oder ihm entgegengezogen.
Jetzt schreitet die Ursula voran, um den Spruch zu beginnen; doch eher hätte man eines Heimchens Zirpen beim Rollen des Donners als einer Jungfrau Rede bei solchem Glockengeläut und Hoch- und Hurrageschrei vernommen. Es will mich dünken, als hätten heute auch die wehenden Tücher, die flatternden Banner und fliegenden Kappen menschliche Stimmen, und die Ursula wendet das Haupt leise dahin und dorthin, als heische sie Beistand.
Da winket Kaiser Sigismund, und das Heroldpaar, so den Zug eröffnet, erhebt die Trompeten mit dem reich bestickten schweren Sammettuch. Schmetternde Fanfaren gebieten Ruhe. Bald ist es, als habe man Oel in die tosende Meerflut gegossen. Der Menschen und Geschütze Stimmen verstummen. Was sich vernehmen läßt, sind nur noch die ehernen Stimmen der Glocken, das Wiehern eines Hengstes, das dumpfe Gebraus des Redens und Rufens der Leute in den entfernteren Gassen und einer einzigen Maged helle Stimme.
Die Ursula hat geredet, zuletzt so laut, als hätten ihre honigsüßen Reime strafende Worte enthalten. – Das hohe Paar wechselt einen kurzen Blick, aus dem mehr Staunen denn Wohlgefallen spricht, und beide vergönnen der Rednerin etliche dankende Worte.
Was Seine Majestät spricht, ist deutsch, nur hat es in seiner böhmischen Heimat und seinen ungarischen Landen einen schärferen Klang denn das unsere gewonnen.
Nun winket ein Kämmerer, und paarweise treten wir den hohen Herrschaften näher: eine Tucherin und Schürstabin, eine Grolandin und Stromerin – und endlich als sechstes Paar kommen ich und die Ann, die ja nunmehr eines Ratsherren Tochter, und für deren Wahl außer ihrer Anmut mein Herr Pathe das meiste gethan.
In eitel Sammet und Seide gekleidete Pagen, zierliche Edelknäblein, haben der anderen Sträuße in Empfang genommen, doch da wir mit den unseren nahen, blicken Kaiser und Kaiserin sich an. Ich sehe, wie sie uns huldreich mustern und höre sie in einer Sprache, die ich nimmer vernommen, etliches flüstern, und Porro, der Schalksnarr des Königs, nicht Kaisers – denn die Kaiserkrönung Sigismundi sollte erst später zu Rom erfolgen, und es wurden dabei meines Hans Brüder Paul und Erhart auf der Tiberbrücke zu Rittern geschlagen – und der Porro, der sich auf seinem schwarz und gelb gedeckten Pantherrößlein an der Gebieter Seiten hält, rufet: »Laß uns allhier Immlein spielen, Vetter, wenn anders die Blumen, denen diese gute Stadt den Namen ›des Reiches Bienengarten‹ verdanket, zu der gleichen Gattung wie die dort gehören!«
Dabei weist er auf uns, und alsbald fragt ihn der König, ob er die Jungfrauen meine oder die Sträuße; der Schalksnarr aber fährt in drolliger Weise auf, schüttelt sich so stark, daß ihm die Schellen an der Kappe klingeln, und rufet: »Wie magst Du einen Christen also aufs Glatteis führen, Vetter! Denn sag' ich die Mägdelein, bekomm' ich es mit Deiner vielgestrengen Hausehre zu thun, und sag' ich die Sträuße, so schädige ich meiner armen Seele Heil durch eine unsaubere Lüge.«
»So wähl' eine andere Gestalt,« versetzet hienach die Königin; »denn mir bangt ohnehin, man möchte die Biene Porro doch nur für eine stachelige Wespe halten.«
»Recht, recht,« entgegnet der Narr nachdenklich. »Seit Eva sich so sündlich versah, raten die Weibsbilder fürsichtiglich häufig das Beste. Du magst Dich also statt in ein Immlein in einen Schmetterling wandeln, Vetter, und die Blümlein zieren, indes Du sie umflatterst.«
Damit bewegt er die Arme wie Fittiche und umkreist uns auf dem Rößlein mit gar drolligen Bewegungen, als ob er uns wie ein Falter umgaukle.
Die Ann schaut beschämt und errötend zu Boden, und auch mir treibt die jungfräuliche Scheu das Blut in die Wangen; doch bei alledem vernehm' ich des Königs tiefe, fremdartige und seines hohen Gemahls wohllautende Stimme, und wie beide unsere Blumen preisen, uns nach den Namen befragen und so der Ann wie mir strengstens gebieten, bei keinem Tanz und Feste zu fehlen. Es ist mir auch noch bewußt, daß wir bescheidentlich schickliche Antwort erteilen, bis des Truchsesses Dazwischentreten das Gespräch unterbricht.
Und nun seh' ich den Zug weiter und weiter wogen, und die bunten Farben des Sammets und der Seide, der Schabracken und Decken der Rosse, das gleißende Blitzen des blanken Metalles und vielkantigen Edelgesteines blendet mir heute noch die Augen. Doch das alles sinkt plötzlich ins Dunkel, und das Geschrei und Getön, das Läuten, Wiehern und Krachen ringsum scheint im Nu zu verstummen; denn da ist er, da winkt er, liebenswerter, mir gewärtiger, meinem Herzen wohlgefälliger denn je.
Doch das Wiedersehen hier ist nicht das rechte, das wird uns erst im Hallerhof und seinem Garten zu teil. Der kann von zwei zufriedenen Menschenkindern und von Stunden des reinsten Genügens erzählen, so jungen Herzen jemals beschieden; doch was sich hienach mir zeiget, das sind blendend helle, heiße Sommertage, voll von Lustbarkeiten und Schaustellungen, Turnieren und höfischer Pracht, Sang und Musika, Tanz und Spiel. Eines Königs und einer Königin hohe Gnade und vieler Fürsten und Herren Huld hörten in ihnen nicht auf, und wie feuriger Edelwein berauschten sie den Sinn.
Was jüngst unmöglich erschienen, zur Wirklichkeit ward es. Aus eitelem Genügen an rauschendem Tand, um der mannigfachen Forderungen willen, so diese übervollen Tage an uns stellten, vergaßen wir derer, die unseren Herzen die nächsten. Der Selbstsucht ergebener denn damals bin ich nimmer, weder vor- noch nachher, gewesen.
Das Spiel der Ann mit dem Junker, die Huldigungen, mit denen die Höchsten sie ehren, des Herdegen verhaltener Grimm, sein Trachten nach neuer Gunst der verstoßenen Herzliebsten, sein wunderlich, ungleich und aufbegehrend Wesen, sein frevlerisch Spiel mit der Ursula, der er sich gewärtig erweist, wenn der Großohm zugegen, und auf die er zu anderer Frist düstere Blicke schleudert, als sei er ihr feind, das alles zieht wie umnebelt und als kümmere es mich selbst nur von ferne, an mir vorüber.
Mitten in all dem Lärm und Glanz, dem Minneglück und der Fürstengunst, überkam mich bisweilen plötzlich das Gefühl, als sei ich ganz allein und verlassen, und selbst bei Tanz und Turnier, ja sogar wenn das Königspaar sich herabließ, mit mir zu plaudern, überfiel mich ein heißes Sehnen nach Ruhe und friedsamen Stunden, – und doch sah ich es dem stattlichen, großmächtigen Herrscher an, daß es ihm Genügen bereite, mich auszufragen und mir die raschen Antworten zu entlocken, um die ich nimmer verlegen. Königin Barbara beschied mich oft in ihre Kemenate und hielt mich dort stundenlang zurück. Bisweilen mußte die Ann mich begleiten, und mir und ihr verehrte sie köstliche Geschmeide.
Kaum hatten wir der Burg, wo das Herrscherpaar residirte, den Rücken gewandt, so galt es allbereit, unserer hohen Gäste zu gedenken; denn wie der Markgraf Bernhard von Baden, der bei uns in Quartier lag, nach mir, so begehrte der Kardinal Branda gar oft nach der Ann. Die größere Hälfte des Lebens war dem Putze gewidmet, und während die Base und Sus mich kleideten, beschlich mich allbereit die Sorge um die Gewänder, Bänder und Federn, so der nächste Tag heischte.
Mein Hans ward zum Ritter geschlagen. Dem Herdegen stund die gleiche Ehre in Aussicht, – Ehre und wieder Ehre, Lust und wieder Lust, Putz und Glanz! Statt unserer einen lieben Sonne schienen deren zwanzig mit blendendem Licht am Himmel zu glänzen. Oft war es, als atme die Brust so leicht, daß man auffliegen mochte, dazwischen aber ward sie wie von einem Alp belastet. Auch bei Nacht kam im Traume das Tönen der Musika nimmer zum Schweigen, doch wenn man erwachte, erhob sich die Frage: »Wozu das alles?«
Der Hans lenkte das Steuer und blieb sich immer gleich in seiner besonnenen und doch innig zärtlichen Weise. Dabei vergaß er nie, für des Bootes Sicherheit zu sorgen, und wollte die Fahrt zu schnell gehen, oder zeigten sich Klippen, so that er das Seine und wahrte mich mit freundlicher Sorge vor Unvorsichtigkeit und Uebermüdung. Die vorschnelle Gred, die doch nirgends fehlen durfte und überall in der ersten Reihe stehen mußte, weil es das Königspaar heischte, sie vollbrachte und erfuhr nicht das Kleinste, das sie reuen oder kränken brauchte, und sie empfand gar wohl, wem sie solches schulde.
Mit Freuden sah ich auch, wie der Herzliebste das unbändige Feuer des Junkers zügelte, der die Ann umwarb, als sei er gewiß ihrer Minne, und wie er von meinem Herdegen-Bruder forderte, sich als Mann zu bewähren, dem Doppelspiele ein Ende zu machen und sich entweder für die Ann oder die Ursula zu entscheiden. –
Der Waldohm hatte fürnehme Gäste auf die Forstmeisterei geladen.
Nach der Jagd ging es wiederum zu dem Zeidler Martein, maßen es den Herzog Ernst von Oesterreich, den Markgrafen Friedrich von Meißen, den Herrn Bischof von Lausanne und andere hohe Herren verlangte, einen Blick auf die weitberühmte Bienenzucht unseres Lorenzerforstes zu werfen.
Der Waldohm selbst machte den Führer, und der Herdegen stund ihm dabei zur Seite.
Beim kecken Oeffnen eines Korbes hatten ihm etliche Bienen die Hand grausam zerstochen; ich aber sprang ihm bei und zog ihm die Stacheln aus der Hand. Die Ann war an meiner Seite, der Herdegen aber suchte ihr Auge und sang ihr leis ein Liedlein zu, so gar trüb und fremdartig klang, und etwa also begann:
»Augustho pirlin pçodyás!« |
Da fragte ihn die Ann, welcher Sprache es angehöre; denn sie habe nie dergleichen vernommen. Er aber versetzte, daß ihm das Gegenteil bewußt sei, und wie sie ihn hienach ungläubig anschaute, lächelte er bitter und sagte, es könne ihm nur lieb sein, wenn sie selbiger Worte Klang vergessen; denn sie hingen eng zusammen mit dem ersten echten Herzeleid seines Lebens.
Da sah ich sie unruhig werden, doch wie sie sich anschickte, ihm den Rücken zu wenden, hielt er sie zurück, um den Sang zu verdeutschen, und sagte mit gedämpfter, verschleierter Stimme und so leis, daß ich es nur mühsam verstund, während er die Erde, die er auf die geschwollene Hand zu legen gesonnen, mit dem Schwerte lockerte:
»Bienlein meinen Finger stach, Erde heilt den Stich gemach. Wenn mein Herz im Grabe weilt, Ob mein Leid die Erde heilt?« |
Da sah ich der Ann das Blut aus den Wangen weichen und hörte sie mit gepreßter Stimme sagen: »Für Euch gibt es anderer Arzneien genug gegen das Wehste,« und ihn erwidern: »Die Deinen, Ann, wirken noch besser.«
Inzwischen faßte sie sich wieder zusammen und entgegnete gelassen: »Solches hab' ich einem trefflichen Lehrmeister zu danken; doch welcher Zunge gehört Euer Lied an, Junker Schopper, und wem singt Ihr es nach?«
Da entgegnete er rasch: »Einem schwarzbraunen Weibsbild vom Stamm der Zigeuner.« Sie aber faßte Mut und fragte weiter: »Vielleicht gar einem, dem Ihr weiland hier im Forste begegnet?«
Da schüttelte der Herdegen das Lockenhaupt, und sein Blick flammte zärtlich auf, wie er erwiderte: »Nein, Ann, bei allen Heiligen, nein. Einem, der verzweifeln wollte, um Deinetwillen verzweifeln, gab es im Walde von Fontainebleau eine Zigeunermutter zu hören.«
Hienach schüttelte die Ann das Haupt und versuchte der Stimme einen fröhlichen Ton zu verleihen, da sie erwiderte: »Eure Verzweiflung! Kommt Euch dabei nicht der Mann in den Sinn, der sich verbrannt wähnte, weil er einen anderen ins Feuer gestoßen? Das Bild trifft zu, Junker Schopper!«
Da fragte er sie dumpf, und aus seiner Stimme klang redliches Weh: »Ist herber Spott alles, was Du noch für mich übrig behalten? Sag es frei heraus, Ann, hab' ich nichts mehr zu hoffen?«
»Nichts!« entgegnete sie fest und streng. Bald aber fuhr sie in milderem Ton fort: »Nichts, Herdegen, gar nichts, so lang nicht der letzte Faden zerrissen, der Dich an die Tetzelin bindet.«
Da trat er ihr näher und rief in großer Bewegung: »Sie, sie! O ja, sie hat mit dem güldenen Teufelsnetze umgarnet, was eitel an mir und erbärmlich; doch an dem Herzen da drinnen hat sie so wenig teil, wie die Bienen dort in dem Stocke. Und willst Du, will mein guter Engel mir wieder nahen, so ruf' ich das › apage!‹, so zerreiß' ich die Schlinge!«
Dann verstummte er; denn es nahten etliche Herren und Frauen, die Ursula allen voran; und ich sehe sie noch, wie sie den Handschuh auszog und sich bückte, um dem Manne, den sie doch liebte, Erde auf die heiße Hand zu legen, und wie er ihr widerwillig zuvorkam, um sich ihrem Dienst zu entziehen.
In der Nacht, die wir auf der Forstmeisterei zubrachten, schlief die Tetzelin wiederum in der Kammer neben der unseren, und ich hörte sie abermals brünstig zu ihrer Heiligen flehen, während die Ann wie neu belebt mir das übervolle Herz in leisem Flüsterton ausschüttete und bald weinend, bald lachend bekannte, was sie gelitten, und wie froh sie wieder zu hoffen begonnen.