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Märchen und Parabeln.


Brautwahl.

 

I.

Es war einmal ein Märchenprinz, der edelste, schönste, liebenswerteste von allen, die es je gegeben hat. Als er sechsundzwanzig Jahre alt geworden, ließ die Königin, seine Mutter, ihn rufen und sprach zu ihm:

»Die Zeit ist gekommen, in der du eine Lebensgefährtin wählen und einen Hausstand gründen sollst. Bekanntermaßen findet man die besten Frauen, die es heutzutage gibt, auf dem Planeten Erde. Dort lebt auch die holde, dir bestimmte Braut, ein Wesen, lieber Sohn, dir gleich an Seelenadel.«

Der Prinz errötete aus Bescheidenheit, und die Königin fuhr fort:

»Aber nicht ohne weiteres kann ein so köstliches Gut dir zuteil werden, du mußt es dir verdienen.«

»Wodurch, o Mutter?«

»Durch rastloses Suchen, o Sohn.«

»In welcher Gegend der Erde?«

»In Europa.«

»Auf dem Lande? in den Städten?«

»In einer Hauptstadt, unter den Töchtern des höchsten Adels. Du weißt genug; nun gehe, mein Sohn.«

Aber dieser rief: »Und das Erkennungszeichen?... Nur das noch sage mir, woran erkenn ich sie?«

Die Königin stieg von ihrem Throne nieder und flüsterte ihrem Sohne einige Worte ins Ohr.

 

II.

In den vornehmsten Gesellschaftskreisen einer großen Stadt war plötzlich ein junger Mann aufgetaucht, der allenthalben Liebe und Bewunderung erweckte. Alle historischen Namen wurden von dem seinen, der dem Mythus angehörte, verdunkelt. Sein Stammbaum war so lang, daß er nicht einmal in der längsten Straße der Stadt ganz aufgerollt werden konnte; sein Reichtum schien unermeßlich, seine Großmut war es. Hochgeboren, edel und reich, was brauchte er außerdem noch zu sein, um die Herzen der Töchter und die Zustimmung der Eltern im Sturme zu erobern? So ritterlich und so bescheiden wie er hatte noch nie ein Mann den jungen Damen den Hof gemacht. Was sie aber am meisten an ihm entzückte, das war seine Heiterkeit und sein Witz. Daß er den letzteren stets auf Kosten des lieben Nächsten übte, daß der himmlische Prinz ein Spötter war, hatten sie bald entdeckt und sie bemühten sich aus vollen Kräften, diesen fadendünnen Spalt an dem Panzer seiner Vollkommenheit zu erweitern.

Dies geschah aus weiblichem Instinkt.

Jedes Edelfräulein, mit dem er gelacht und gescherzt, war überzeugt, seiner Schwäche am geschicktesten geschmeichelt und damit sein Herz gewonnen zu haben. Doch keine dieser Hoffnungen erfüllte sich, und eines schönen Tages war der Prinz ebenso plötzlich, wie er gekommen – verschwunden.

 

III.

Das selbe wiederholte sich in vielen anderen Städten. Der Prinz begann seine Freudigkeit einzubüßen; sein Witz wurde immer schonungsloser; er spottete nicht mehr, er lästerte. Sein Erdenwallen, das fühlte er wohl, machte ihn nicht besser, und am meisten kränkte ihn, daß er nun in seinen eigenen Augen an Wert verlor. Die Väter, die Mütter, die Töchter trieben nach wie vor Abgötterei mit ihm und verehrten jedes seiner Worte.

»Ewiges Einerlei!« sagte er oft laut vor seinem ganzen Gefolge. »Ich werde heimkehren zu meiner königlichen Mutter als alter Junggeselle.«

Und wirklich begann er zu versauern wie ein solcher.

Endlich ergriff ihn ein ungeheurer Ekel. »Laß satteln! Unsre Wolken vor! Die schwärzeste für mich!« befahl er seinem Oberstallmeister. »Wir reiten!«

»Heute, Eure Hoheit?« versetzte der Würdenträger. »Ist heute nicht Hofball, den Eure Hoheit besuchen müssen?«

Der Prinz gab das zu und ging auf den Ball. Aber er tanzte nicht, schwatzte nicht, lachte nicht. Er stand in einer Ecke, sah den schönen, jungen Damen, die im Takt an ihm vorüberschwebten, traurig nach und seufzte: »Keine, keine einzige!«

 

IV.

Die Melancholie des Prinzen war aufs höchste gestiegen, als er plötzlich am andern Ende des Saales ein liebliches Mädchen erblickte, das ruhig dasaß und, wie er, dem Tanze zusah. Sie jedoch tat es mit heller Zufriedenheit und schien seelenvergnügt.

»O Seele!« dachte der Prinz, »wie schön mußt du sein, um dich so zu vergnügen am Vergnügen der andern!« Sanft, aber unwiderstehlich angezogen, trat er vor das liebliche Mädchen hin, verbeugte sich und fragte: »Sie tanzen nicht, mein Fräulein?«

Sie stand auf, erwiderte seine Höflichkeit und, nachdem sie sich wieder gesetzt hatte, auch seine Frage: »Nein, mein Herr.«

»Und warum nicht?«

»Weil ich keinen Tänzer bekommen habe,« antwortete sie voll heiterer Gleichgültigkeit; und wie sie den Prinzen dabei mit ihren unschuldigen Augen anblickte, wurde ihm wohler, als ihm noch je auf Erden geworden war.

»Keinen Tänzer heute?«

»Heute nicht und nie,« und sie lachte so hell, daß er meinte, die goldenen Zauberglöcklein auf dem Turme seines heimatlichen Schlosses den Morgen begrüßen zu hören.

Er sah nieder zu ihren wunderschönen Füßchen und sagte, nachdem er dieselben mit großer Aufmerksamkeit betrachtet: »Sie tanzen gewiß gern und ausgezeichnet?«

»Sehr gern, o ja, und nicht schlechter als eine andere.«

»Und dennoch werden Sie nicht aufgefordert? Warum, warum?« rief der Prinz, immer mehr in Feuer geratend, und ergriff ihre Hand.

Die Kleine erschrak, senkte die Augen und murmelte so undeutlich, daß nur einer, der im Begriff ist, sich zu verlieben, es verstehen konnte: »Weil ich langweilig bin.«

»Langweilig?... O, mein Fräulein ...« Flammende Röte brannte auf seinen Wangen, ein unterdrücktes Jauchzen drang aus seiner Brust: »O, mein Fräulein, dann erlauben Sie mir, für den ganzen Abend an Ihrer Seite Platz zu nehmen.«

 

V.

Man ließ sie nicht lange in Ruhe plaudern. Eine junge Dame nach der andern kam heran und verriet auf mehr oder minder feine Weise ihr Erstaunen darüber, daß einer, der die Wahl unter Adler- und Schwanenjungfrauen frei hatte, sich mit einem Gänschen beschäftigen mochte.

Wie auf Verabredung ließen sie ihren Witz sprühen, daß es nur so prasselte. Die Funken stoben, fielen über manchen guten Namen her und vernichteten ihn.

Und der Prinz, ach, der Prinz stimmte ein. Er sah die Stirn seiner lieblichen Nachbarin sich verfinstern, aber er stimmte ein. Ja, er fand ein teuflisches Gefallen daran, jede geistreich vorgebrachte Bosheit zu überbieten. Es gelang ihm beispiellos. Der Genius der Verleumdung schien über ihn gekommen, und er brachte dessen grausamste Eingebungen mit unbändigem Übermute vor. Seine Zuhörerinnen stutzten, kicherten, erröteten. Viele gaben sich Mühe, eine leise Schadenfreude zu verbergen; das waren die Pfiffigen, die Klugen, die hatten längst »so etwas« bemerkt. Einige fühlten Mitleid und Bedauern, andere waren erstaunt.

Ein Zweifel an dem Schlechten, das er aussagte, stieg in keiner auf, in keiner einzigen.

Und doch! – in einer doch – in der Lieblichen, die der Prinz, so lange er sprach, kaum anzusehen gewagt hatte. Sie erhob sich klopfenden Herzens, Tränen des Zornes standen in ihren Augen. –

»Von allem, was Sie da behaupten,« sagte sie kühn und laut, »glaube ich nichts!«

»Nichts? ... von allem nichts?« ... Er stieß einen Schrei aus, der an den Wänden widerhallte wie himmlische Musik, warf sich auf die Kniee vor seiner anmutigen Gegnerin und umfaßte mit beiden Armen ihre zarte Gestalt.

»Du bist es!« rief er. »O Mutter – die ist's – die gab mir das Erkennungszeichen!«

Im selben Augenblick öffnete sich die Decke des Saales, und auf ihrem mit Feuervögeln bespannten Sonnenwagen kam die Märchenkönigin herbeigeflogen.

Vor ihrer blendenden Erscheinung senkten sich alle Augen, nur die des Brautpaares nicht. Der Prinz führte seiner Mutter die Erwählte zu, und die Königin küßte sie dreimal und sprach:

»Ich wußte wohl, daß es eine lange Trennung von meinem Sohne galt, als ich ihn zur Erde sandte, eine junge Dame zu suchen, die an Verleumdung nicht glaubt. Sei mir gegrüßt, du holde Seltenheit!«

Die Königin hieß ihre Kinder einsteigen, die Feuervögel entfalteten ihre Schwingen und trugen die Glücklichen in das schöne Feenland, aus dem die Verleumdung verbannt ist, und wo sogar die jungen Damen schweigen, wenn sie von ihrem Nächsten nichts Gutes zu sagen wissen.


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