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Sobald das erste Tagesgrauen durch die Mauerlücke schimmerte, kletterten wir eilig aus der Chulpa heraus. Eine innere Unruhe, wie die Vorahnung kommender Gefahr, hatte uns befallen. Als wir draußen auf festem Boden standen, verwischten wir, so gut es ging, die Spuren unseres Einstiegs und liefen dann dem nächsten Hügel zu. Dort warfen wir uns erschöpft zu Boden. Das Land unter uns war noch in leichten Dunst gehüllt, und die aufsteigenden Nebel flatterten unter den ersten Sonnenstrahlen wie künstliche Schattenbilder hin und her. Sie zerflossen und liefen wieder in wirbelndem Reigen zusammen ...
Gedankenverloren blickte ich in dieses luftige Spiel. Meine Augen verfolgten eben ein Dunstbündel, das sich in schillernden Regenbogenfarben über den Berg wälzte und in dem Einschnitt drunten neben der Chulpa sich zu einer dunklen Masse zu verdichten schien. Aber – was war denn das? – die Masse nahm auf einmal feste Formen an. Arme, Köpfe wurden erkennbar ...
Jäh fuhr ich auf. »Alle Wetter, Doktor, sehen Sie mal dorthin, dort sind doch Indianer – sehen Sie sie? – Dort unten – neben der Chulpa!«
»Wahrhaftig, Sie haben recht! Vorsicht, daß sie uns nicht entdecken!«
Wir ergriffen unsere Waffen und schmiegten uns so eng wie möglich unter die Sträucher. Sechs Indianer zählten wir, die, mit Bogen und Keulen bewaffnet, da unten aus dem Nebel sich lösten. Sie blickten suchend umher, merkwürdigerweise aber nicht zu uns hinauf. Dann warfen sie mitgebrachtes Reisig auf einen Haufen und machten Feuer, indem sie zwei Hölzer aneinanderrieben.
Wir waren so in die Beobachtung der Gruppe da unten vertieft, daß wir unserer näheren Umgebung keine Aufmerksamkeit geschenkt hatten, und erschraken daher einigermaßen, als uns plötzlich eine Stimme in gebrochenem Spanisch anredete. Ein großer, bunt bemalter Indianer stand neben uns, betrachtete uns mit unmutig gerunzelter Stirn und wartete sichtlich auf eine Antwort. Das konnte gefährlich werden!
Was er sagte, hatten wir nicht verstanden, aber Dr. Perez war der Lage gewachsen.
»Warum steht der große Häuptling, wenn seine Gäste schon sitzen?« fragte er.
Der Angeredete mochte auf so viel Höflichkeit nicht gerechnet haben, denn auch er wurde nun liebenswürdiger.
»Meine Gäste wurden noch nicht erwartet, darum hat Karuwaho noch nicht für Speise und Trank sorgen können. Die fremden Gäste mögen das nicht übelnehmen!«
»Dann raucht wohl der große Karuwaho einstweilen eine Papyros mit seinen fremden Gästen?« erwiderte der Doktor, der rasch drei Zigaretten hervorgeholt hatte. Ehe der andere antworten konnte, brannte die eine schon, die er dem braunen König reichte, nachdem er selbst einen Zug daraus getan hatte. Der Indianer schien die Überrumplung zu ahnen, denn er besann sich ein wenig. Schließlich atmete er aber doch einen Zug ein und gab mir die Papyros. So unappetitlich die Geschichte war, durfte ich doch nicht ablehnen.
Damit war unsere Freundschaft mit dem Braunfell besiegelt.
»Meine Freunde werden mit mir zum Lager hinuntergehen und dort das Mahl der Comanites teilen. Sind die Weißen allein hier?«
»Unsere Leute werden uns eingeholt haben, wenn die Sonne auf dem Wasser steht«, antwortete der Doktor, der so wenig wie ich Lust hatte, noch mal zur Chulpa abzusteigen.
»Ua! Habt ihr denn hier nicht die Nacht verbracht?« fragte der Häuptling rasch.
»Sieht mein großer Freund eine Feuerstelle? Sieht er Decken und Rancho? Nein, er sieht sie nicht. Also müssen die weißen Männer an anderer Stelle geruht haben.«
Lange sah uns der Häuptling stumm an. Was in seinem Innern vorging, konnte ich nicht wissen. Daß er uns aber im Verdacht hatte, mit dem gestrigen Spuk in irgendeiner Verbindung zu stehen, sah ich ihm an. Nur wußte er nicht recht wie. Er forderte uns nochmals auf, mit ihm zu seinen Begleitern zu gehen. Wahrscheinlich hoffte er, uns zu einer Unvorsichtigkeit verleiten zu können, wenn er uns erst dort unten hatte. Das fürchteten wir aber auch. – Die Einladung war jedoch zu bestimmt gegeben, als daß wir sie hätten rundweg ablehnen können, und es blieb nun unserm Scharfsinn überlassen, wie wir uns um die Rückkehr zur Chulpa drücken konnten.
Ich setzte meine Hoffnung auf das Erscheinen Felipes. Wenn der rechtzeitig eintraf, waren bald Gründe gefunden. Um einen Vorwand zur Verzögerung unseres Abstiegs zu haben, griff ich das Fernglas auf und stieg den nächsten Hügel hinan. Aufmerksam suchte ich das ganze vor mir liegende Gelände ab. Von meinen Leuten aber fand sich keine Spur. Wenn sie nicht schon im Gebirge oder im Walde zu meinen Füßen waren, mußten noch Stunden bis zu ihrer Ankunft vergehen.
Ich setzte mißmutig das Glas ab und wandte mich zum Gehen. Aber, wie man bei getäuschten Erwartungen meistens zu tun pflegt – ich drehte mich doch noch einmal um, und nun wurde mein Auge durch eine dunkle Gruppe von Menschen gefesselt, die um die Vorberge in die Ebene einbog. Ich unterschied deutlich blinkende Waffen und einige goldverzierte Käppis. – Militär! dachte ich und machte den Doktor aufmerksam, um seine Ansicht zu hören.
Der hatte kaum die Streifpatrouille erkannt, als er auch schon die gute Gelegenheit ausnutzte. Er stieß einen lauten Freudenruf aus, packte den überraschten Karuwaho bei der Hand und deutete hinunter auf die Soldaten.
»Wie werden sich meine Freunde dort unten freuen, daß sie den großen Häuptling der Comanites hier begrüßen können!« rief er schmunzelnd. »Aber das Fleisch wird knapp werden beim Mahl deiner Leute, wenn soviel fremde Männer mit ihnen essen. Wir wollen deshalb noch rasch ein paar Schafe schießen. Komme rasch, Karuwaho, damit wir zurück sind, wenn die Soldaten anlangen!«
Der große Karuwaho schien aber – wie der Doktor richtig gerechnet hatte – wenig Lust zu einer Begegnung mit der Patrouille zu verspüren. Die beiden Rassen vertragen sich schlecht. Immerhin war der Häuptling nach indianischem Recht an die ausgesprochene Einladung gebunden und durfte nicht ablehnen, ebensowenig wie wir versuchen durften, uns von dem Mahle der Indianer zu drücken, wenn wir sie nicht schwer beleidigen wollten. Wir saßen also beiderseits in einer Zwickmühle und blickten uns in dieser Erkenntnis mit einem unterdrückten Lächeln an.
Unsere Lage war natürlich jetzt die vorteilhaftere. Allerdings nur dann, wenn die Indianer nicht etwa die Absicht hatten, uns sofort die Hälse abzuschneiden. Unter dem Eindruck der nahenden Soldaten würden sie aber kaum einen offenen Angriff gegen uns unternehmen. Darum glaubte ich, ruhig den Vorschlag machen zu sollen, der unsere Lage retten konnte.
»Laß uns schnell einige Bissen an deinem Feuer essen, großer Häuptling«, sagte ich, ihn und den Doktor mitziehend, »dann gehen wir auf die Jagd. Wir nehmen unsere Büchsen gleich mit, und du beauftragst deine Leute, uns das Wild suchen zu helfen.«
Wenn der Häuptling auf den Vorschlag einging, konnten wir seine Leute teilen. Daß sie dann vor meinem Lauf blieben, dafür wollte ich schon sorgen.
Er ging aber nicht darauf ein. So schlau war er auch. Sogar noch viel schlauer. Denn er sagte weder ja noch nein. Vielmehr rief er durch einen Pfiff die Indianer herbei und befahl ihnen, unser Gepäck an das Feuer zu tragen, während er selbst – die Gewehre umhängen wollte! Seine Gäste dürften keine Arbeit leisten. Das durften wir uns aber nicht gefallen lassen! Wir widersprachen höflich, aber bestimmt gegen diese »Ehre«, doch hörte der Mann gar nicht auf unsere Worte. Er griff mit der größten Seelenruhe nach meiner guten Doppelbüchse und betrachtete aufmerksam die Teile beim Schloß. Hinterlader dieses Systems kannte er nicht. Da kam mir ein rettender Gedanke. Mit einem Ruck, der den Indianer zornig aufblicken ließ, nahm ich die Waffe an mich und sagte, die Sicherung einrückend: »Laß mich das Gewehr erst laden, großer Häuptling. Wir könnten es plötzlich gebrauchen müssen. Mit den fünf Kugeln meines Revolvers« – dabei schlug ich den Rock zurück, daß die Waffe sichtbar wurde – »können wir kein Wild schießen. Die töten nur Menschen«, fügte ich hinzu.
Unwillkürlich entfuhr ihm ein erstauntes: »Ua.« Dann flogen seine Blicke zum Doktor, der eben seinen Revolver in die Hand genommen hatte und die Kugeln in der Trommel wechselte. Wenn der Häuptling Böses im Sinn hatte, dann war ihm jetzt die Freude daran bedeutend gemindert.
Er schien das auch einzusehen, denn er änderte plötzlich seine Taktik. Um unsere Waffen kümmerte er sich nicht mehr, sondern sprang mit großen Sätzen den Hügel hinab und rief seinen Leuten einen Befehl zu. Darauf griffen sie in die Asche und holten einen halbverbrannten Fleischklumpen hervor. Der Häuptling riß ihn in drei Teile, schlang das größte Stück hastig hinunter und schickte einen Mann – ich glaube, er hatte den schmutzigsten ausgesucht – mit den andern beiden Stücken zu uns. Der Bursche brachte uns das Fleisch ohne Unterlage in der Hand und leckte unterwegs das von den Stücken herabtropfende Fett sorgfältig ab. Kein Wunder, daß wir unserseits uns mit dem Hineinbeißen nicht sonderlich beeilten.
Als wir unten am Feuer anlangten, sahen wir, daß unsere Felleisen ganz hinten in dem engsten Winkel des Platzes lagen, wo uns die Gesellschaft vollkommen in der Falle hatte, sobald wir uns dort setzten. Der Doktor warnte mich. Ich aber vertraute auf meinen Revolver und ging trotzdem in die Ecke, von der ich gute Aussicht über das Gelände hatte und vor allem mir gegenüber den Hügel, von dem her Felipe und Carlos kommen mußten. Der Doktor setzte sich neben den Häuptling.
Kaum hatte ich meinen Sitz bequem hergerichtet, da fragte mich der Häuptling, warum ich im Kreise seiner Leute Waffen trüge.
»Ein Alemano gibt seine Waffe niemals ab, großer Häuptling«, erwiderte ich. »Mein Stamm ehrt seinen Gastgeber dadurch, daß er nur bewaffnet zu ihm kommt, damit er ihn immer mit seinem Leben verteidigen kann, wenn er angegriffen werden sollte.«
Ein Murmeln der Mißbilligung ging durch den Kreis. Die Kalebasse, die uns den Willkommengruß – oder den Gifttrank, wer weiß es – kredenzen sollte, wurde zur Seite gestellt, und mein Nachbar rückte auffällig von mir ab.
Ich erhob mich.
»Wenn du es denn willst, großer Häuptling, dann gebe ich meine Waffen auch ab. Dort ist ein Teil meiner Leute, die...«
Der Rest meiner Rede erstarb in dem gleichzeitigen Rufe aus sieben Kehlen.
Felipe und Carlos waren eben auf dem Hügel erschienen. Sie führten drei leere Maultiere mit sich, wodurch der Eindruck einer größeren Truppe hervorgerufen wurde.
»Darf ich, großer Häuptling, meine Soldaten an dein Feuer kommen lassen...«
Aber die Indianer warteten erst gar nicht das Ende meiner Worte ab. Wie die Gemsen kletterten sie an den Felsen hinauf und verschwanden, während der Häuptling dem Doktor die Hand reichte und sagte: »Die Comanites und die Soldaten lieben sich nicht. Der Häuptling folgt seinen Leuten. Lebe wohl, großer Medizinmann, lebe wohl, Alemano.« Und langsam, aber leichtfüßig sprang er den felsigen Hang hinauf.
Ich drückte meinem Getreuen dankbar die Hand.
»Du kamst einmal wieder zur rechten Zeit, Felipe. Unsere Unterhaltung mit den Indianern fing gerade an, auf das strittige Gebiet hinüberzuspielen. Der Häuptling hätte eben gern unsere Waffen in sichern Gewahrsam genommen.«
»Ich habe ja immer gesagt, daß ich Sie nicht allein lassen darf, Don Fernando!« war die verschmitzte Antwort.
»Na, diesmal hättest du dich aber über den ›Señor Alemano‹ gewundert, mein guter Felipe. Ich war fest entschlossen, den ersten, der mir zu nahe kam, niederzuschießen. Das hat auch der Häuptling sehr gut gewußt, sonst säßen wir jetzt nicht mehr hier!«
»Dem Himmel sei Dank, Don Fernando, daß Sie nun endlich gelernt haben, in Südamerika zu reisen. Lieber einen Schuß zu viel als zu wenig, und jedenfalls immer den ersten! Wer Ihnen im wilden Gebirge begegnet, den müssen Sie so lange für Ihren Feind halten, bis er Ihnen das Gegenteil beweist. Dann haben Sie wenig zu befürchten!«
»Ich danke dir, Felipe! Sei sicher, daß ich es von jetzt ab so halten werde. Der ›große Karuwaho‹ und seine Leute haben mir gründlich beigebracht, wie man mit ihresgleichen verkehren muß!« – –