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Das Märchen von der Fee Kirini.

Es war einmal ein König und eine Königin, die hatten eine einzige Tochter, die war sehr schön; aber sie war auch sehr gut, und darum hatten sie die Leute lieb, und wenn sie von ihr sprachen, nannten sie sie nicht ihre schöne, wohl aber ihre gute Prinzessin.

Eines Tages ging die gute Prinzessin im Walde spazieren, da raschelte es neben ihr im dürren Herbstlaub, das am Wege lag. Sie blickte auf und sah eine arme Frau, krumm vom Alter gezogen, die sich mühsam bückte, dürre Holzreiser aufzulesen. Der Prinzessin tat die alte Frau leid, und sie sagte: »Kommt, Mütterchen, setzt Euch hier so lange an den Rain, ich will für Euch Holz lesen, sagt mir nur, wenn Ihr genug habt.«

Und die alte Frau setzte sich in die Sonne, legte die mageren Hände in Ruhe auf den Schoß und sagte: »Wie das gut tut!« Dann sah sie zu, wie die Prinzessin sorgsam ein Holzreischen nach dem andern zu dem Bündel legte, das immer größer wurde.

Die Prinzessin mußte lange lesen und dachte im stillen, die alte Frau wäre eigentlich ein wenig unverschämt, daß sie gar nicht genug haben könne; aber sie fuhr doch damit fort, denn sie meinte, sie könne es wohl leichter tun als die alte Frau, die am Ende das Holz recht nötig haben möchte. Endlich aber, als nun ein großer Haufen Reiser zusammenlagen, nickte die Alte mit dem Kopf und sagte: »Genug und einen schönen Dank!« – Sie band das Bündel zusammen.

Nun fand es sich aber, daß die Last zu schwer für die alten, schwachen Schultern geworden war; die Frau sah das Bündel traurig an, denn sie konnte es nicht fortbringen – und seufzte: »Das würde mich manchen Abend gewärmt haben!«

Das dauerte nun wieder die Prinzessin, und sie sagte: »Seid guten Mutes, Mütterchen, ich will es Euch auch tragen helfen.«

Nun faßten sie beide die Last an und trugen sie; es wurde der Prinzessin sehr schwer, so daß sie manchmal meinte, sie müsse ganz allein daran tragen. Sie wurde auch einmal recht böse und ungeduldig, aber sie sah die arme Frau an, die alt und schwach war; sie dachte an ihre Jugendkraft, schämte sich ihrer Ungeduld und trug die Last mit ihr weiter. Nach langem Wandern kamen sie dann an ein kleines Häuschen, das die Prinzessin noch nie in ihres Vaters Wald gesehen hatte. Hier war endlich die Alte zu Hause und die Prinzessin froh, daß sie ihre Last niederlegen konnte. Sie sagte freundlich »Auf Wiedersehn!« und die Alte nickte auch; aber anstatt zu danken, meinte sie: »Nun, Kind, was du getan hast, das hast du dir selbst getan.«

Die Prinzessin war verwundert und dachte, die Alte wäre wohl etwas schwach im Kopf – oder doch wunderlich. Dann eilte sie nach Hause, denn es war schon spät geworden, und sie fürchtete, gezankt zu werden.

Eine lange Zeit war verstrichen, und die Prinzessin hatte längst die alte Frau mit ihrem Holz vergessen. Da kam der Nachbar ihres Vaters, der auch ein mächtiger König war, mit Krieg ins Land gezogen, und da er viele Leute hatte, schlug er des Königs Soldaten tot, nahm sein Reich in Besitz, ihn selbst aber, die Königin und die Prinzessin gefangen und warf sie alle drei in einen finsteren, festen Turm.

Hier lagen sie nun traurig; sie waren voneinander getrennt. Es war dunkel und kalt um sie her. Die arme Prinzessin weinte über sich und über den Kummer ihrer Eltern; sie sehnte sich nach ihnen.

Mit einemmal wurde es ganz hell und licht in ihrer Kerkerzelle, und wie sie aufsah, hatte sich die Tür geöffnet, und die alte Frau, die ihr im Walde begegnet war, kam kräftig und munter hereingeschritten, ein großes Bündel Reiser trug sie auf der Schulter. »Sei ruhig, liebes Kind«, sagte sie freundlich, »du hast mir geholfen, nun will ich dir helfen. Ich bin die Fee Kirini.« Und wie sie das sagte, wurde sie immer größer und schöner, bis mit einemmal anstatt der alten Frau eine wunderschöne Gestalt dastand, mit goldener Perlenkrone auf dem langwallenden Haar. »Ich habe damals im Wald dein Herz geprüft«, fuhr sie fort, »ob du gut bist; du hast die Probe bestanden, nun will ich dir lohnen. Das Bündel Reiser, das du mir gelesen und getragen, ich will es dir wieder schenken.« Sie gab der Prinzessin ein Reis. »Dies ist das erste Stück, mit dem du deine Arbeit begonnen; es soll den Kerker deiner Eltern öffnen; berühre damit das Schloß und ihre Ketten – und Vater und Mutter werden frei sein. Dann komm wieder hierher und berühre mit ihm die Reiser, die hier liegen.« Nach diesen Worten legte die Fee das Bündel hin und verschwand.

Die Prinzessin glaubte geträumt zu haben; aber das Reis in der Hand, das Bündel Reisig am Boden bewiesen ihr, daß dies Erlebnis Wirklichkeit gewesen war. Schnell lief sie zu dem Kerker, in dem der Vater lag; sie berührte das Türschloß mit dem Reis, – die Tür sprang auf; sie legte es an des Königs Ketten, die fielen ab – und Vater und Kind hielten sich frei in den Armen. Sie eilten – wie schnell! – zu dem Kerker, in dem die Mutter gefangen lag, und auch hier bewahrte das Reis seine Wunderkraft, Vater, Mutter und Kind jubelten zusammen.

Da die Prinzessin die Worte der guten Fee nicht vergessen hatte, so eilten jetzt alle an die Stelle, wo die anderen Reiser liegen geblieben waren, um zu sehen, was aus ihnen werden würde. Die Prinzessin berührte sie mit ihrem Wunderreis, und sie schimmerten in lichtem Glanz: ein jedes Reischen, ob klein, ob groß, das sie der alten Frau gelesen, es war durch die Berührung in Gold verwandelt worden. So hatte sie sich denn in der Tat durch ihren Fleiß und ihre Güte einen großen Schatz erworben, den sie jetzt den Eltern bieten konnte.

Und da es noch dunkle Nacht war, die Gefangenenwärter schliefen, sie niemand sehen und fassen konnte, eilten der König, die Königin und die Prinzessin schnell aus dem finsteren festen Turm in das Freie; den Schatz nahmen sie natürlich mit sich.

Nun waren sie reich, so reich und noch reicher als der König, der sie gefangen und ihr Land genommen hatte.

Der Vater der Prinzessin konnte jetzt viele Regimenter Soldaten werben, was er auch tat. Mit denen führte er dann Krieg gegen seinen Feind, eroberte sein Land zurück und zog mit Frau und Kind froh und glücklich wieder in sein altes Königsschloß.

Die Fee Kirini hat die Prinzessin nie wieder gesehen; wo sie aber jemand hat helfen können in der Welt, da hat sie geholfen, weil es ihr Freude machte, und sie gemeint hat, sie könne der guten Fee wohl so auch am besten für die Hilfe danken, die ihr diese in der Not gebracht hatte.

Und so wird sie es auch wohl heute noch tun, wenn sie nicht gestorben ist – was ich nicht glaube; denn die Prinzessinnen in den Märchen leben ja immer fort.

Globushaus G. m. b. H.,
Abteilung Druckerei, Berlin W 8.

 


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