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Herr von Tempelburg saß in seinem Zimmer und schaute nachdenklich den feinen Rauchwölkchen nach, welche aus seiner Zigarre emporkräuselten. Die Lampe brannte mit gedämpftem Licht hinter grünen Schleiern, wie es seinen müden Augen wohltat, und in dem Ofen heulte und sauste der Sturm, gegen die Scheiben prasselten die Eiskörner, und der schöne, schlanke Setter zu seinen Füßen hob auflauschend den Kopf.
Welch ein Wetter draußen, welch eine behagliche Stille und Wärme hier im Zimmer!
Ja, wie schön, wie gemütlich könnte es sein!
Der Kammerherr seufzte schwer auf, und der Zug ernster Seelenqual, welcher schon seit Wochen sein Gesicht zeichnete, verschärfte sich.
Heute war er aus der Klinik heimgekehrt, nicht voll froher Sehnsucht, wie wohl jeder andere Gatte, sondern voll geheimen Grauens vor dem unvermeidlich Kommenden, vor den kalten, zornigen Augen seiner schönen Frau, vor ihren unbarmherzigen und lieblosen Worten. Als er sein Zimmer betrat, kam ihm Severa entgegen.
Sie reichte ihm ohne jede Herzlichkeit, mehr gnädig herablassend wie aufrichtig erfreut, die Hand zum Kuß und versicherte recht kühl, daß sie sich freue, ihn genesen zu sehen, – sie habe ihm zu Ehren eine Dinereinladung zu dem Minister von F. abgesagt und wolle ihm die Zeit nach dem Gabelfrühstück widmen, um ihm von allem Bericht abzustatten, was sich während seiner Abwesenheit zugetragen.
Um fünf Uhr müßte sie freilich zu Gräfin Herdern fahren, um ihr persönlich eine Anzahl abgelegter Kleider und Wäsche zu bringen, welche zu wohltätigem Zweck verbraucht werden sollten.
Und nach dem Frühstück war sie wirklich in seinem Zimmer geblieben, hatte sich mit graziösen Händen selber eine Zigarette gedreht und sie, behaglich im Ofenstuhl liegend, aufgeraucht.
Aber er bemerkte wohl, daß ihre große Ruhe und Gelassenheit nur fingiert war, daß ihre Hände nervös und überhastig zugriffen, daß es in ihren Augen flackerte wie Wetterleuchten.
Dabei erzählte sie voll brennenden Interesses von all den Vergnügungen der letzten Zeit, von dem fabelhaften Triumph, welchen sie bei der Theateraufführung geerntet, und von der Tatsache, daß sie die »Mondscheinprinzessin mit dem Heiligenschein« nun endgültig besiegt habe.
Man sei sich nun allgemein klar geworden, daß die Schönste im Lande nicht die Prinzessin Ingeborg, sondern Severa von Tempelburg sei, und diese Tatsache erfülle sie mit viel Genugtuung!
Freilich fehle die Hauptsache zu ihrem Triumph, die rückhaltlose, allgemeine Bevorzugung!
Einer Kronprinzessin gegenüber sei man sehr vorsichtig und auch jetzt noch bemüht, mit dem Enthusiasmus für die Gattin ihres Kammerherrn möglichst hinter dem Berge zu halten!
Dies sei langweilig, denn nur der rauschende Beifall der gesamten Menge könne befriedigen. Nichts sei schöner gewesen, als wie der frenetische Applaus, welchen sie als »Rivalin« geerntet. Solch ein Bühnenerfolg sei geradezu hinreißend!
Und nachdem sie mit blitzenden Augen und heißen Wangen von solch blendendem Glück gesprochen, berichtete sie von all den Vergnügungen, welche für den Rest des Winters geplant seien.
Als Herr von Tempelburg nur schweigend den Kopf neigte und mit schwerem Herzen bei dieser Perspektive aufseufzte, zuckte sie etwas ironisch die Achseln.
»Wie grundverschieden sind doch unsere Interessen!« sagte sie leichthin, »es war eigentlich der dümmste Streich, den wir beide machen konnten, uns zu heiraten! – Findest du nicht auch?«
»Ich bedaure nichts, was nicht mehr zu ändern ist.«
Sie lachte frivol auf.
»Zu ändern? Je nun, wir brauchten uns ja einfach scheiden zu lassen! Hast du keine Lust dazu?«
Beinahe entsetzt hob er den Kopf und starrte sie an:
»Scheiden? – eine solche Schande ... ein solcher Eklat?!«
Sie stäubte gelassen die Zigarette ab.
»Die Eheirrungen sind heutzutage Mode, – da ist von irgendwelcher Schande keine Rede!«
Glühheiß stieg es in ihm empor. – Eine maßlose Erbitterung überkam ihn.
Das war allerdings ein würdiger Schluß zu dem infamen Possenspiel, in dem ihm die Rolle des Hansnarren zuerteilt war!
Nachdem ihre Verschwendungssucht, ihre sinnlose Eitelkeit, ihre Gier nach Vergnügungen ihn ruiniert hatten, sollte er wie ein ausgepreßter Schwamm beiseite geworfen werden, damit madame mit lässigem Schritt über ihn hinweg die Hände nach einem neuen Opfer ausstrecken konnte!
Er richtete sich jäh auf, – seine müden, ausdruckslosen Augen blitzten plötzlich wie in leidenschaftlichster Gereiztheit.
»Nein, – ich denke nicht daran, mich scheiden zu lassen, und wenn du vielleicht die Absicht hast, so gib sie nur auf, denn ohne meine Einwilligung erhältst du niemals die Freiheit zurück!«
» Mon Dieu ... liebst du mich vielleicht noch, daß du so sehr auf meinen Besitz, der dir absolut nichts mehr nützen wird, bestehst?«
Er warf den Kopf zurück, sein erst so flammender Blick ward kalt: »Dich lieben? Nein, ich liebe dich nicht mehr, aber ich wahre meines Namens Ehre, daß du mir nicht auch diese noch zugrunde richtest, wie du mich bereits finanziell ruiniert hast! – Ich war schwach gegen dich, unverzeihlich schwach, so lange es sich nur um Hab und Gut handelte, wenn du aber wagen willst, meines Hauses Ehre zu brandmarken, so sollst du sehen, daß ich energisch sein kann, – energisch bis zur Tyrannei! – Das merke dir!«
Sie lächelte seltsam.
»Denkst du dir unser Tete-a-tete bei Kartoffeln und Hering in Laubsdorfs Einsamkeit vielleicht sehr amüsant?«
»Ich denke es mir wenigstens erträglicher, als wie einen Skandal über die Landesgrenzen hinaus.«
»Geschmackssache. – Aber warum streiten wir? Ich denke, es kommt alles, wie es kommen soll, der Mensch entgeht seinem Schicksal nicht.«
»Nein, weder dem Schicksal, noch der Vergeltung!«
»Gut gebrüllt, Löwe!« Sie sah lachend nach der Uhr. »Unsere Ehe war – soviel ich beurteilen kann, nie sehr glücklich. Ich habe mich wenigstens noch leidlich amüsiert, und das danke ich dir, mein guter Otto! Du scheinst freilich der leidendere Teil von uns gewesen zu sein, und das bedauere ich von Herzen. In Zukunft soll das alles anders werden, – ich habe mir zugeschworen, dich nicht mehr zu quälen! Und ich halte Wort, verlaß dich darauf. ›Was die Frau will, das will Gott!‹ sagt der galante Franzose! Und nun Adio, du Tyrann!« Sie lachte leise und wunderlich, neigte sich mit schillerndem Blick zu ihm nieder und küßte ihn sehr wohlgelaunt auf die Stirn: »Ich fahre nun zu Frieda Herdern, soll ich einen Gruß bestellen?«
Ihre ungewohnte Freundlichkeit, der Kuß auf die Stirn verwirrte ihn.
Er nahm ihre schöne Hand und drückte sie voll gewohnter Höflichkeit an die Lippen.
»Bitte, empfiehl mich der Gräfin. – Wann bist du zurück?«
»Ich denke zum Abendbrot; es kommt darauf an, wie lange unsere Sitzung dauert. Also fare well, my dear captain, for ever fare well!« Sie trällerte es lachend und wandte sich in der Türe noch einmal zurück und rief sehr wohlgelaunt: »Grüß Ethel und Miß Maud! ich hoffe, sie kehren nicht spät von ihrer Visite bei Mama heim!«
Der Kammerherr nickte mit müdem Lächeln, aber er erhob sich und sah der Entschwindenden mit langem Blick nach.
Wie wunderlich sie wieder war!
In dem einen Augenblick spricht sie von Scheidung, im nächsten küßt sie ihn auf die Stirn und ist so guter Laune, wie selten vorher.
Was bedeutet das? –
Er ist leider kein Weiberkenner und für Charakterstudien hat er nie Talent gehabt. Er überlegt einen Moment, ob es seine kühle und energische Abwehr gewesen, welche der Verwöhnten imponierte?
Wohl möglich, – es gibt ja Frauen, welche sich nur dann wohl und glücklich fühlen, wenn sie die Überlegenheit des Mannes empfinden, wenn sie ihn als Herrn und Gebieter anerkennen müssen!
Er hat es aber vom ersten Augenblick an versäumt, ihren Willen dem seinen gefügig und untertan zu machen!
Ist es vielleicht noch an der Zeit, das Versäumte nachzuholen?
Tempelburg seufzt schwer auf und wühlt die Hand in sein spärliches Blondhaar.
Nein! Tausendmal nein!
Er ist ein müder, gebrochener Mann und sehnt sich nach Ruhe, anstatt nach einem steten, aufreibenden Kampf um das Recht des Stärkeren! – Was ihm soeben in aufwallendem Zorn und jäher Erbitterung glückte, das mißrät ihm bei anderer Gelegenheit desto gründlicher.
Er kann ihr nicht ständig mit der vollen, nötigen Energie entgegentreten, – er kann es nicht. Jetzt ist sie noch strahlender Laune, weil sie sich in dem großen Erfolg ihrer Darstellung sonnt; wie wird ihre Stimmung aber unerträglich werden, wenn die graue Eintönigkeit und Langeweile von Laubsdorf ihre Nebel über jede Stunde breiten?
Der Angstschweiß perlt auf Tempelburgs Stirn, wenn er an solch eine Zukunft denkt!
Seine hagere Gestalt sinkt kraftlos in sich zusammen, wie Zentnerlasten legt es sich auf seine Brust, wenn er an das entsetzliche Zusammenleben mit Severa, an dieses Leben in sparsamer und entsagungsvoller Zurückgezogenheit denkt!
Wird er es ertragen können?
Wäre eine Scheidung nicht doch besser?
Nein, – er ist eine zu rechtliche, brave Natur, um gewaltsam ein Band zu zerreißen, welches er so unüberlegt geknüpft; er ängstigt sich als eingefleischter Höfling und Aristokrat vor jedem Skandal, welcher seinen Namen in der Leute Mund bringt.
Lieber dulden und leiden, – und wird es gar zu schlimm, wird es in der Tat unerträglich, nun, so ist es wohl glaubhaft, wenn bei einem Jagdunglück ein Menschenleben endet. – Ein Stolpern und Stürzen ... die Büchse entlädt sich ... ein unglückseliger Zufall, daß die Kugel so tödlich das Herz des Schützen traf!
Man bedauert und betrauert ihn, – die Hofwagen fahren hinter seinem Sarg und niemand ahnt es, welch eine Tragödie im stillen Forst von Laubsdorf ihren Abschluß gefunden. Horch, wie der Sturm heult ... wie die laublosen Äste gegen das Balkongitter schlagen.
Ein Wagen fährt vor.
Ah ... Severa verläßt das Haus, um zu der Hofdame der Kronprinzeß zu fahren.
Schwerfällig erhebt sich der Kammerherr und tritt an das Fenster.
Es dunkelt bereits; als das Flackerlicht der beiden Girandolen, welche an der Garteneinfahrt brennen, die elegante Equipage trifft, erkennt Tempelburg noch zwei große Rohrplattenkoffer, welche vorn aufgeladen sind.
Die Pferde greifen aus und der Wagen saust in den Sturm hinein.
Zwei große Koffer!
Wieviel kostbare Kleider werden sinnlos fortgeworfen, – wieviel neue Toiletten müssen dafür angeschafft werden!
Der Kammerherr tritt seufzend in sein Zimmer zurück und greift nach den Zeitungen, – auch nicht im Traum kommt ihm der Gedanke, daß eine anständige Dame der besten Gesellschaft, daß eine Frau von Tempelburg gewaltsam die Bande zerreißen könne, welche freiwillig zu lösen sich der Gatte geweigert. – Die Uhr tickt einförmig auf dem Kamin, – die Schneeschauer rieseln gegen die hohen Spiegelscheiben.
Langsam kriecht die Zeit dahin.
Zwei Stunden mögen vergangen sein, da klopft es an die Tür.
Der Diener steht auf der Schwelle und überreicht mit einem etwas wunderlichen Gesichtsausdruck einen Brief.
Der Kammerherr greift mechanisch danach, nimmt ihn von dem silbernen Tablett und öffnet ihn. Ganz gegen Vorschrift und Gewohnheit bleibt der Galonierte an der Türe stehen, als erwarte er weitere Befehle, – sein Blick brennt wie in scharfem, neugierigem Forschen auf den schlaffen Zügen seines Brotherrn.
Tempelburg sieht erstaunt auf die Schriftzüge seiner Frau nieder und schlägt das steife, wappengeschmückte Papier auseinander.
»Mein lieber Otto!« liest er, »Indem Du mir soeben diktatorisch erklärtest, Du würdest Dich nie von mir scheiden lassen, zwangst Du mich, mir die Freiheit, nach welcher ich lechze, gewaltsam zurück zu holen! Ich bin nicht so resigniert, eine unglückliche Ehe, welche mich durch nichts mehr beglückt, als Opferlamm weiter zu schleppen. Ich habe soeben Dein Haus auf Nimmerwiedersehen verlassen und sage Dir auf diesem Wege Lebewohl. Bemühe Dich nicht, meine Spur aufzufinden oder mich zurückzuholen, ich komme nicht! Auch denke ich, legst Du nun keinen Wert mehr darauf, die Geliebte eines Komödianten als Gattin in Dein ehrbares Haus zurückzuholen. – Alles, was Du mir an Güte und Freundlichkeit erwiesen, danke ich Dir bestens, – aber wahrhaft glücklich hast Du mich nicht dadurch gemacht. Unsere Ehe war leider nur ein kurzer Wahn, welchem eine lange Reue folgte. – Solche Irrungen korrigiert man am besten, wenn man den gordischen Knoten durchhaut. Das habe ich jetzt getan. – Nochmals leb wohl. Bitte, übergib diese Angelegenheit baldigst einem Rechtsanwalt, denn nach meinem jetzigen Benehmen wirst Du gewiß gerne auf Scheidung klagen, – wenn nicht, ist es mir auch gleichgültig, ich beabsichtige meine goldene Freiheit nie wieder aufzugeben, es läßt sich auch ohne Ehering leben. Aber Du siehst Deinen Namen gewiß nicht gern auf dem Theaterzettel, denn ich beabsichtige zur Bühne zu gehen. – Also nochmals: Fare well, my dear captain, for ever fare well! – Umstehend die Adresse meines Rechtsbeistands.
Zum letztenmal
Deine Severa.«
Tempelburg starrte mit blödem Blick auf die Zeilen hernieder, als fasse er gar nicht den Sinn dieser grauenhaften Worte.
Er legte die Hand auf die Stirn und schaute mit beinahe irrem Blick empor.
»Wohin ist die gnädige Frau gefahren, Anton?«
»Befehl, Herr Baron – nach dem Ostbahnhof.«
»Ihr Gepäck ist aufgegeben? – wohin?«
»Expediert sind die Koffer, wohin wissen wir aber nicht, da ein fremder Herr sie in Empfang nahm und besorgte.«
»Und wurde die gnädige Frau auch erwartet?«
»Zu Befehl, Herr Kammerherr. Signor Gardeno war auf dem Bahnhof anwesend, bot der Frau Baronin den Arm und führte sie in den Wartesaal.«
»So; – und dieser Brief?«
»Den gab uns die gnädige Frau mit dem Befehl, ihn nach zwei Stunden an den Herrn Kammerherrn abzugeben!«
»Wurde noch mehr Gepäck expediert?«
»Schon seit mehreren Tagen gingen Koffer per Fracht ab, aber wir wissen es auch nicht, wohin.«
»Es ist gut, Anton, – ich danke.«
Der Diener zog sich zurück, – er sah etwas enttäuscht aus.
Daß die Abreise der Gnädigen mit dem Komödianten nicht in Ordnung war, mußte ein Idiot merken, und daß der Kammerherr durch den Brief eine sensationelle Nachricht bekommen hatte, lag auf der Hand.
Und dennoch war er verhältnismäßig sehr ruhig geblieben.
Seine Stimme klang wohl nicht so sicher und fest wie sonst und seine Gesichtsfarbe veränderte sich während der Lektüre des Briefes ein paarmal, bis eine fahle Blässe ihr Recht behauptete.
Aber keine Aufregung, keine Szene, kein Schreien nach der Polizei, wie man es doch von einem Mann erwarten kann, dessen schönes Weib ihm durchgegangen!
Das war seltsam. Sollte man sich doch in der Küche geirrt haben, sollte es sich vielleicht nur um eine harmlose Reise handeln, bei welcher der Italiener nur zufällig seine Ritterdienste anbot?
Sichtlich enttäuscht kehrte Anton in das Souterrain zurück, schon an der Treppe von den neugierig lauschenden Dienstboten erwartet.
Währenddessen saß Herr von Tempelburg in seinem stillen, dämmerigen Zimmer.
Seine Gestalt war zusammengesunken, die bebenden Hände stützten den Kopf und die Augen starrten geradeaus, mit ausdruckslosem Blick, wie tot. – Severa hatte sein Haus verlassen, – in heimlicher Flucht, mit Ricardo Gardeno.
Dieser Gedanke ist zu ungeheuerlich, um ihn sogleich fassen zu können, – einem so vornehm denkenden und stets korrekt handelnden Menschen wie dem Kammerherrn fehlte momentan jedes Verständnis dafür.
Er liest den Brief noch ein-, zweimal durch, er reibt sich die Stirn, als wolle er sich aus häßlichem Traum aufwecken, – und nach und nach kommt ihm das volle Verständnis, Severa hat ihn verlassen für immer!
Aber wunderlich! Nicht Schmerz und qualvolles Herzweh um den Verlust der Geliebten sind es, welche zuerst auf ihn einstürmen, nein, ihm selber, unbewußt hebt sich plötzlich seine Brust in tiefem Atemzug der Erlösung, er öffnet die Augen weit, wie ein Mensch, der in Todesangst geschwebt und plötzlich unerwartet seine Retter sieht.
Er ist wieder frei! – Jene furchtbare Zeit, welche ihm in Laubsdorf bevorstand, vor welcher er in schlaflosen Nächten gebebt, wie ein Verurteilter vor der Folter ... jene entsetzliche Zeit wird nie und nimmer kommen, und jene Türe dort öffnet sich auch nicht wieder, um das schöne Weib mit den grausam kalten Augen, mit den unersättlich nach Gold ausgestreckten Händen vor ihn treten zu lassen!
Frei! – er ist wieder frei!
Dieser Gedanke durchflutet den gequälten Mann beinahe wie ein Wonneschauer!
Er empfindet fürerst nur das eine so unerwartet Glückselige, – er ist von der Geißel seines Lebens erlöst! Das Joch, unter welches er ehemals als ein sinnlos Verblendeter den Nacken gebeugt, hat ein barmherziges Schicksal von ihm genommen!
Um welchen Preis?
Schmach und Schande hat er dafür eingetauscht. Wahrlich? – Nein, – die fällt allein auf sie zurück. Ihn wird die Welt nur verspotten und verlachen, wie jeden Mann, welchem ein gewissenloses und schönes Weib die Narrenkappe über die Ohren zieht!
Das Mitleid, welches man ihm hier und dort zollt, ist beinahe demütigender wie der beißende Hohn der Schadenfreude, aber was fragt er danach? Er ist frei! frei!
Er hat auch noch genügende Mittel, um sich eine Zeitlang in der großen, weiten Welt verlieren zu können, bis Gras über die Tragödie seiner unglückseligen Ehe gewachsen ist! Ja, er wird sich hinaus flüchten in ferne Lande, wo man ihn nicht kennt, er wird seine Beziehungen zum Hofe lösen und später einmal nach Laubsdorf zurückkehren als müder, ergrauter Wandersmann, bei seiner Tochter zu Gast zu sein ...
Seine Tochter!
Wie bei einem Fieberkranken wirbelten all diese Gedanken durch seinen Kopf, und er kannte bei all den Schrecken dieser Stunde doch nur das glückselige Gefühl: »Du bist frei geworden!« – Nicht dadurch, daß er selber wie ein Feigling in ihren Vorschlag »sich scheiden zu lassen« einwilligte, sondern weil das mitleidige Schicksal selbst seine Fesseln löste und ihn ohne Schuld vor eine Entscheidung stellte, an welcher nichts mehr zu ändern war.
Nur an sich hatte er gedacht, – jetzt aber durchschauerte ihn ein einziges Wort – seine Tochter!
Das Schicksal, welches über sein Haus hereingebrochen, trifft nicht allein ihn, sondern in erster Linie die arme, schuldlose Ethel, sie, die an der Schwelle des Lebens steht, die der Mutter bedurfte, um in die Welt eingeführt zu werden, die so geduldig gewartet, bis das selbstsüchtige Weib auch einmal Zeit für die heranwachsende Tochter hatte!
Ethel!
Was wird aus ihr, nun, da ein Blitz ihr Vaterhaus getroffen, wo ihr Name in sensationeller Skandalgeschichte in aller Leute Mund kommen wird, wo die Wogen der Schmach und der Schande so nahe an sie heranbrausen, daß ihre trüben Fluten auch empor an den reinen Kelch der Lilie spritzen?
Ethel! – arme, arme Ethel!
Laut aufstöhnend birgt Tempelburg das farblose Gesicht in den Händen und plötzlich durchschüttert es ihn wie ungeweinte Tränen, wie ein heißes, leidenschaftliches Aufstöhnen bittrer Qual.
Wie soll er sein Kind retten vor all dem Elend, welches jetzt auf der Schwelle hockt? Soll er sie mit hinaus in die Welt flüchten?
Dazu fehlt ihm Mut und Kraft.
Ein Mensch, welcher so zerschmettert, so an Leib und Seele gebrochen ist wie er, hat nicht mehr die Energie und den klaren Blick, ein solch junges Wesen richtige Wege zu führen. Er verstand nie viel von der Erziehung seines Kindes, mit einer erwachsenen Tochter weiß er sich erst recht nicht zu raten und zu helfen!
Wo ist Ethel?
Ah, richtig; bei der Großmama.
Die Liebe zwischen ihr und der vortrefflichen alten Frau ist so innig ... und die unglückliche Rätin ahnt es auch noch nicht, welch unverantwortliche Tat ihre Tochter begangen, welch schwere Schuld sie auf sich geladen!
Aber Frau Hoff ist eine so ruhige, energische, brave Frau, sie ist wohl die einzige, an welche sich der Kammerherr in seiner Ratlosigkeit wenden kann, sie wird sicher das Rechte finden, wie Ethel aus diesem Schiffbruch zu retten ist, ohne daß ihr junges Herzchen allzu bitter darunter leidet!
Das beste wird sein, die Rätin reist mit Miß Maud und Ethel sofort nach Laubsdorf ab, und hat er selber all seine Verbindlichkeiten hier gelöst, so folgt er nach, noch ehe der Sturm losbricht und Severas Flucht zum Zeitungsskandal wird.
Ja, die Rätin! – Sie gehört als beklagenswerte Mutter in dieser Stunde an seine Seite!
Tempelburg richtet sich empor und atmet tief auf.
Der Gedanke an die alte Frau hat etwas Tröstliches für ihn.
Er ist nie im Leben sehr charakterstark gewesen, unerwartete Ereignisse haben ihn stets leicht aus dem Gleichgewicht gebracht und er bedurfte einer führenden Hand, wenn er sich entscheiden oder handeln sollte.
Severas Hand hatte ihn auch gegängelt und tief, tief bergab geführt, in Dunkel, Elend und Schmach, – die Hand ihrer Mutter aber soll es sein, welche ihn freundlich aus diesem Irrgarten wieder heraus leitet und den Weg für sein Kind findet, welcher zu Glück und Frieden führt.
Der Kammerherr setzt hastig die elektrische Klingel in Bewegung.
Anton erscheint mit erwartungsvollstem Blick.
»Es muß noch einmal angespannt werden, ich will meine Tochter und Miß Maud abholen.«
»Befehlen Herr Kammerherr direkt nach X. oder nur zur Bahn zu fahren?«
Tempelburg lauscht einen Moment auf den Sturm.
»Es ist sehr schlechtes Wetter ... wann geht der nächste Zug nach X.?«
»Die Vorortzüge verkehren jede Stunde.« Anton blickt eifrig auf die Uhr. »Wenn der Kutscher sich eilt, könnten Herr Kammerherr den Siebenuhrzug noch erreichen!«
»So hol ein Droschke, – das wird schneller gehen wie das Anspannen ... und Friedrich soll mir den Pelz bereit halten.«
»Befehl, Herr Baron.«
Tempelburg steht einen Augenblick unschlüssig, dann öffnet er die Türe und tritt in die Salons seiner Gemahlin – das elektrische Licht brennt darin. Ein schneller Umblick. – Es sieht wie gepfändet in den eleganten Räumen aus. Alles, was kostbar und transportabel war, ist verschwunden. Schreibtisch, Kaminsimse und Bords entbehren ihrer wertvollen Nippes und Prunkstücke aus Silber, Gold und echtem Gestein.
Ein bitteres Lächeln zuckt um die Lippen des Kammerherrn.
Wie sorgfältig war die Flucht schon seit längerer Zeit vorbereitet, und wie wenig heiß mußte die Liebe des berechnenden Weibes auch einem Ricardo Gardeno gegenüber sein, wenn so wenig alles Praktische und Nützliche darüber vergessen wurde. Abermals atmete er tief auf, als empfände er immer mehr das Erlösende dieser Stunde.
Dann tritt er auf den Flur, sich den Pelz um die Schultern legen zu lassen, und nach einer Stunde schreitet er langsam, schwerfällig die schmale Holztreppe zu der Wohnung der Rätin empor.
Noch einmal überfällt ihn die ganze Schwere dieser Stunde, gipfelnd in dem angstvollen Seufzer: Arme Ethel!
Welch eine Überraschung ruft sein unerwartetes Erscheinen in dem kleinen Kreis hervor! Wie eine Rose blühend, mit glückstrahlenden Augen eilt ihm sein Töchterchen entgegen, sich so wundersam innig und erregt an seine Brust zu schmiegen, wie noch nie!
Dann fällt allen das verstörte Aussehen des Kammerherrn auf und mit betroffenen Mienen, voll ängstlicher Spannung bleiben Miß Maud, Ethel und Manfred in dem Eßzimmer zurück, während Großmama erschreckt den späten Gast in das Wohnstübchen führt, da dieser den Wunsch äußerte, ein paar Worte allein mit der alten Dame wechseln zu wollen.
Welch eine furchtbare Viertelstunde für die unglückliche Mutter.
Die Rätin war starr bei der entsetzlichen Nachricht von der Flucht ihrer pflichtvergessenen Tochter, sie neigte das Haupt auf die gefalteten Hände und weinte bitterlich. Dann richtete sie sich gewaltsam auf, faßte die Rechte des Kammerherrn und bittet ihn um Vergebung für ihr ungeratenes, ehrloses Kind!
»Gottes Güte hat sie nicht auf rechte Wege führen können, nun wird er ihr im Zorn begegnen und sie mit hartem Stecken heimtreiben! Wenn die Lämmer von der Herde des guten Hirten abirren und dem Abgrund entgegentaumeln, schickt er ihnen die bösen Hunde nach, welche sie durch Strupp und Dorn heimtreiben! Daß dies der Fall sei, darum will ich Arme nun Tag und Nacht beten, du aber, Otto, gedenke der Treulosen wie einer Toten, mit welcher man nicht mehr rechnet, sondern ihre Strafe dem anheimgibt, welcher selber spricht: Mein ist die Rache!«
Der Kammerherr zieht voll herzlicher Teilnahme die Hand der unglücklichen alten Frau an die Lippen und versichert ihr, daß nur eine Sorge fürerst all seine Gedanken bewege: »Ethels traurige Verlassenheit in dieser skandalösen Tragödie!«
Da bebt es wie ein schneller Sonnenstrahl über die vergrämten Züge der alten Frau.
»Gottes Güte schickt nicht nur die dunkeln Wetterwolken, er malt auch in der Stunde größter Not seinen leuchtenden Regenbogen an den Himmel! Für unsere Ethel ist herrlich und trefflich gesorgt, Otto, wenn du sie seiner Führung überlassen willst und nicht voll menschlicher Kurzsichtigkeit ein glänzendes Schicksal für dein Kind forderst!« Und die Großmama erzählt dem überraschten Kammerherrn mit feuchtglänzenden Augen von dem glückseligen Herzensbund der beiden jungen Leute, welchen sie zu ihrer freudigsten Überraschung an diesem Abend erlauschte.
Einen Augenblick starrt der Kammerherr sie an, als könne er den Sinn ihrer Worte nicht recht begreifen.
Jähe Röte steigt in sein hageres Gesicht und er deckt momentan die Hand über die Augen, als erschrecke ihn ein unerwarteter Anblick.
Der Maler Manfred Hoff und seine Ethel ein Paar!
Freilich, eine derart bescheidene Zukunft hatte er sich für die Trägerin seines alten Namens und die Erbin von Laubsdorf nie gedacht.
»Bist du auch wirklich sicher, Mama, daß Ethel ihn tatsächlich liebt?« fragt er zögernd.
»Völlig sicher; und diese Liebe ist ihr Lebensglück!«
»Sie ist noch so jung ... sie kann sich unmöglich klar werden, was sie aufgibt ...«
»Du irrst! Ethel ist ihren Jahren weit voraus, und ich bin überzeugt, daß sie ihre Herzenswahl mit vollem Verständnis getroffen!«
»Manfred ist mir persönlich sehr lieb und sympathisch, ich habe ihn im Verkehr mit Severa schärfer beobachtet, als beide ahnten, und lernte ihn als Ehrenmann und tadellosen Charakter kennen!« –
»Ich lege meine beiden Hände für ihn ins Feuer!« stimmte die Rätin lebhaft zu. »Ich übernehme alle Garantien für das Glück deines Kindes! – Auch ist Manfred bereits ein bekannter und viel genannter Künstler, und seine Zukunft wird fraglos eine glänzendere sein, wie die manches Kavaliers, der sein Herz auf einem Wappenschild anbieten kann!«
Der Kammerherr nickte. »Davon bin ich überzeugt. Es war mir nur im ersten Augenblick ein wunderlicher Gedanke ... Ethel ist noch so jung ... und ich habe nie eine Annäherung Manfreds bemerkt! Aber du hast recht, Mama. Gott selber scheint mir in dieser Stunde seinen Weg zu weisen ... und wenn Ethel ihn gehen will, so werde ich ihr gewiß keine Hindernisse in den Weg legen.« – Er seufzte schwer auf und das alte nervöse Beben ging über sein Gesicht.
»Jene drei im Nebenzimmer müssen ja die furchtbare Nachricht doch erfahren, – wenn du meinst, Mama, teilen wir ihnen das Vorgefallene mit!«
Die Rätin erhob sich.
»Ja, es hat keinen Zweck, eine Tatsache zu verheimlichen, und unsere Herzen sind so übervoll, daß wir jetzt doch keinen anderen Gedanken, als jenen einen grauenhaften fassen können!«
Welch eine Stunde!
Nach all dem strahlenden Glück ein solch bitterer Ernst!
Manfred ist wie vernichtet.
Die Schmach, welche eine Trägerin seines Namens über das Haus der Geliebten gebracht, trifft ihn wie ein Keulenschlag.
Außer sich, wie ein Verzweifelter, schlägt er die Hände vor das Antlitz, und der Blick, welcher Ethel trifft, gleicht einem ewigen Abschied.
»Das werden Sie uns niemals verzeihen, Otto,« stößt er schwer atmend hervor, »Severa hat nicht nur für sich, sondern auch für uns einen Abgrund aufgerissen.«
Mit leisem Schreckenslaut starrt Ethel den Sprecher an: »Nein, Manfred ... nein, was hast du mit Severas Schuld zu schaffen?« – und in zitternder Angst, alles vergessend, schlingt sie die Arme um den Geliebten und schluchzt leise auf: »Nur, wenn du die Treue, welche du mir gelobtest, auch so leichtfertig brichst, bist du ebenso schuldig wie sie!«
Miß Maud stößt einen hellen Schrei der Überraschung aus, Großmama aber nickt nur mit verklärtem Lächeln und flüstert: »Ich habe dir nicht zu viel gesagt, Otto!«
Manfred umfaßt die Geliebte und drückt sie voll leidenschaftlicher Erregung an die Brust, als sei jetzt der Augenblick gekommen, in welchem er gegen eine halbe Welt um ihren Besitz kämpfen muß, – sein Blick trifft den Kammerherrn wie in flehender Bitte, – er will sprechen und sucht vergeblich nach Worten.
Da bietet ihm Tempelburg die Hand entgegen Und drückt schweigend die Rechte des jungen Malers.
»Vater!« ruft Ethel, halb zweifelnd, halb zuversichtlich: »Ach Vater!« –
Und Manfred preßt die Hand des Kammerherrn voll bebender Aufregung in der seinen.
»Otto ... verstehe ich dich recht? – Darf ich es noch wagen – – selbst in dieser Stunde ... das letzte, was dir noch vom Glück geblieben ... für mich zu erbitten?«
Abermals ein stummes Nicken, – mit tiefem Aufseufzen breitet Tempelburg die Arme aus und zieht die beiden jungen Leute an die Brust.
»Mach es an meinem Liebling gut, was die Trägerin deines Namens an mir verschuldet hat!«
Welch eine Glückseligkeit!
Wie die Oase in sengender Wüste erfrischen sich die traurigen Herzen an diesem jungen Liebeslenz, welcher seine duftigen Blüten streut, gleichviel, ob draußen der Schneesturm tobt und eines Mannes Lebensglück neben ihnen in Trümmer bricht.
Tempelburgs Haupt sinkt kraftlos auf die Brust. Er fühlt, daß die Aufregung der letzten Stunden ihr Recht fordert. – Er sehnt sich nach Ruhe, und ein Blick aus das Brautpaar gibt ihm die trostvolle Gewißheit, daß er nun, die Augen ruhig schließen kann.