Nataly von Eschstruth
Jung gefreit - 1
Nataly von Eschstruth

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XII.

Der Landrat hatte sehr auf Beschleunigung der Hochzeit gedrängt. Spätestens im Herbst sollte sie stattfinden, da er alsdann seinen längeren Urlaub zu einer Hochzeitsreise verwenden konnte, auf die Salome sich ganz besonders freute.

»Es wird im Winter langweilig genug in dem kleinen Feldheim werden!« hatte sie geseufzt, »und unsere beste und amüsanteste Zeit wird der Reiseurlaub sein! Ein wahrer Segen, daß Elten für den Winter recht viele kleine Feste und Zerstreuungen plante; das wird doch ein wenig Abwechslung in die Langeweile bringen – glaubst du nicht auch, Siegfried?«

Der Landrat zog die Sprecherin zärtlich an sich. »Ich für meinen Teil freue mich ganz besonders auf den Winter, Liebling, und glaube, er wird uns beiden schnell genug vergehen. Denke doch, welch eine Seligkeit in dem eignen Heim, dem trauten Liebesnestchen zu sitzen, ganz für uns – ganz ungestört behaglich Arm in Arm, während das Feuer im Kamin knistert und draußen der Schneesturm um die Fenster braust!«

Ganz erschrocken sah sie ihn an. Obwohl ihr die Idylle reizend schien, kam ihr doch ein schrecklicher Gedanke dabei:

»Immer wollen wir beide allein sitzen? Den ganzen Winter lang?!«

Er lachte hell auf: »Fürchtest du junges Weibchen dich etwa auch vor dieser Langenweile?«

Sie umging die Antwort, legte ihm die weißen, wohlgepflegten Händchen auf die Schultern und sah ihm wie mit bangem Forschen in die Augen: »Siegfried – wirst du eifersüchtig sein?« Wieder lachte er sehr vergnüglich. »Nein, Schatz, beim Himmel nicht! Ich habe Gottlob nicht die mindeste Anlage dazu. Du bist mein, dieser Gedanke genügt mir und feit mich gegen alle törichten Skrupel!«

»Dann liebst du mich nicht sehr!«

Er nahm ihr Trotzköpfchen zwischen beide Hände und küßte den schmollenden kleinen Mund: »Ich glaube gar, du verlangst, daß ich ein Othello werde?«

Sie nickte. »Besser als ein gleichgültiger Mann!«

»Ich morde jeden, der sich in deine Nähe wagt, und schließe dich Tag und Nacht ein.«

»Nein – das wäre schrecklich. Solche Eifersucht ist übertrieben. Wir wollen sogar recht gesellig leben!«

»Das verträgt sich aber nicht mit Eifersucht. Mache dir doch einmal klar, daß Eifersucht eine Leidenschaft ist, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft!«

Sie schwieg einen Moment, sie verlangte zwei Dinge, die sich schlecht vereinen lassen! – Oh – sie würde dem Herrn Landrat schon beweisen, daß alles möglich sein mußte, was sie wünschte. Wo sollte sich denn die Eifersucht besser und interessanter zeigen, als bei ihrem Verkehr mit anderen Herren? – Aber sie wußte nicht, wie sie ihm das klarmachen sollte, darum fragte sie unvermittelt weiter: »Du liebst keine Gesellschaften?«

»Im Gegenteil, außerordentlich. Leben und leben lassen!«

»Das ist schön, dann werden wir herrlich zusammenpassen!«

– Und in Gedanken malte sie sich den künftigen Winter aus, just so, wie er sich in den Romanen abgespielt hatte, deren Heldinnen junge Frauen waren. Wenn ihr Mann nicht eifersüchtig war, fehlten die interessantesten Momente dabei. Er mußte es sein, und konnte er es noch nicht, mußte er es lernen. Salome hatte sich im stillen längst vorgenommen, sich ihren Mann so zu ziehen, wie sie ihn haben wollte.

Sie war verwöhnt und eitel genug, um fest davon überzeugt zu sein, daß ihr Gatte sich all ihren Launen und Ideen willig fügen müsse; tat er es nicht, zeugte das von einem Mangel an Liebe oder von einer gewissen Unerzogenheit, der sie schon abhelfen würde. Siegfried lebte schon zulange auf dem Lande; er war in diesen kleinen Verhältnissen altmodisch geworden und hinter der Zeit zurückgeblieben – da mußte ihr Einfluß energisch abhelfen.

Juliette hatte ihr in einem recht neidischen Glückwunschbrief geschrieben: »Binde deinem Löwen nur beizeiten ein festes Gängelband um den Hals; der Bräutigam zeigt sich anders als der Ehemann. Denke dir, meiner Schwester Marion Mann, der sie vor drei Jahren voll wahnsinniger Liebe sogar aus dem Kloster entführte, hat sie jetzt verlassen. Marion war ja vernünftig und tröstete sich mit Vetter Jean, aber sie sagte selbst, daß sie versäumt habe, ihren Mann beizeiten unter den Daumen zu nehmen!«

Salome hatte sich durch den Brief so unangenehm berührt gefühlt, daß sie ihn sogleich verbrannte, aber sein Inhalt kam ihr doch nicht so recht aus den Gedanken. Marions Mann war auch niemals eifersüchtig gewesen – ehemals hatte Juliette das sehr an ihm gelobt, und jetzt?

 

Herr von Elten kam verhältnismäßig oft nach Jeseritz.

»Er hat es auf Rose abgesehen!« lachte der Landrat.

Das ärgerte Salome. War sie denn ganz und gar zur Null geworden, daß Herr von Elten nicht auch ihretwegen kam? Fast schien es so. Er behandelte sie nach wie vor sehr kühl, ja er übersah sie völlig, wenn die Kleine anwesend war.

Das regte alle tausend Teufelchen der Eitelkeit in Salome zum Trotze auf. Sie bemühte sich doppelt, ihm zu gefallen. Umsonst. Er erduldete gelassen ihre bezauberndste Liebenswürdigkeit, ohne sie im mindesten zu erwidern. Nur manchmal, wenn sie ihn ganz unvermutet anblickte, sah sie, daß sein Auge wie in tiefer, düsterer Schwermut auf ihr ruhte. Aber sein Ausdruck wich sofort der gewöhnlichen kalten Gleichgültigkeit, sobald er sich beobachtet fühlte.

Salome grübelte dann stundenlang über diesen rätselhaften Blick, und ihre so leicht überspannte Phantasie erging sich bald in den ungeheuerlichsten Vermutungen.

Einmal promenierten sie im Garten. Salome hatte den »Gletscherprinzen« sehr geschickt an ihre Seite zu bannen gewußt. Sie bestand darauf, ihm droben in der Ruine den schon sooft genossenen Ausblick auf Jeseritz, just in dieser zauberhaften Abendfärbung zu zeigen, damit er sein Urteil abgebe, ob sie ein Bild in dieser oder besser in einer vollen »Sonnenstimmung« male.

Er war langweiliger, das heißt, verschlossener und einsilbiger als je. »Er liebt dich – er leidet um dich!« so hatte Juliette auf eine ihrer langen Auslassungen über Elten geantwortet; – und so war es auch. Als sie allein droben unter den duftigen Blütenzweigen standen, hub just eine Nachtigall an zu schlagen.

Sie lauschten schweigend, da wandte er plötzlich das Haupt und sah sie an. Welch ein Blick! Ein wahres Feuermeer der Leidenschaft loderte darin. Aufs höchste verwirrt, senkte sie ihre Augen und schritt hastig zurück.

Sie wankte auf den bröckelnden Steinstufen und hielt sich an dem Gemäuer. Ohne eine Silbe zu sagen, faßte er jählings ihre Hand und führte sie die Treppe hinab. Wie in einem Kampf preßte er ihre schlanken Fingerchen in seiner Rechten, und als sie drunten standen, neigte er sich wie ein Mensch, der nicht mehr fähig ist, sich zu beherrschen und küßte ihre Hand, ein-, zwei-, dreimal wie in tollem Rausch.

Wie heiß seine Lippen waren, wie sie zitterten! Salome war fassungslos, so daß sie sogar vergaß, ihm die Hand zu entziehen.

»Herr von Elten!« wollte sie just stammeln, als er auch schon mit steifem Gruß zurücktrat, so frostig und herb wie noch nie, ein »Pardon« kurz durch die Zähne hervorstieß und ihr in beinahe unhöflicher Hast vorausschritt.

Salome war wie betäubt. Ein unbeschreibliches Gefühl bemächtigte sich ihrer. Stolz! Triumph und siegbewußte Eitelkeit, die mit tiefstem und sentimentalstem Mitgefühl für den Unglücklichen Hand in Hand gingen.

»Nun beginnt schon der Roman!« frohlockte sie in Gedanken, und ihre Augen flimmerten vor Interesse daran. Aber sie wurde enttäuscht. Er begann noch nicht. – Den ganzen Rest des Abends hielt sich Herr von Elten ostensibel fern.

Er hatte weder einen Blick noch ein Wort für sie, er schien nur noch für Frau von Welfen zu existieren. Zum Schluß trat er noch zu Rose und Miß Howard auf die Terrasse hinaus. Dort konnte sie ihn nicht beobachten, denn Siegfried hatte ihren Arm in den seinen gelegt, dieweil sie nebeneinander auf dem kleinen Ecksofa saßen.

Salome schien nervös und unruhig. Sie erhob sich jählings und trat an den Flügel.

»Hurra ein Lied, süßer Schatz!« jubelte Born, sprang galant herzu und öffnete das Instrument.

Salome sank auf den Klaviersessel nieder. Sie warf erst die Noten unschlüssig auseinander, dann griff sie hastig zu ... »dieses hier – ein Frühlingslied!«

»Vortrefflich; ist ja äußerst zeitgemäß!«

Er stand neben ihr.

»Sieh mich nicht an – sonst kann ich nicht singen!«

Er wandte sich lächelnd ab. Sie lehnte das Köpfchen zurück. Mit großen, träumerischen Augen begann sie leise und wehmütig:

»Wann der silberne Mond
Durch die Gesträuche blinkt
Und sein dämmerndes Licht
Über den Rasen gießt,
Wandle ich einsam von Busch zu Busch.
Umhüllet von Laub
Gurret ein Taubenpaar
Sein Entzücken mir vor –
Aber ich wende mich,
Suche tiefere Schatten,
Und die einsame Träne rinnt.
Wann, o lächelndes Bild,
Welches wie Morgenrot
Durch die Seele mir strahlt,
Find' ich auf Erden dich?
Und die einsame Träne rinnt
Heißer die Wange herab...«

Die Klänge erstarben leise, wie in sehnsuchtsvollem Seufzer. Salome selber war überzeugt, besser als je gesungen zu haben.

Siegfried schloß sie stürmisch in die Arme und küßte sie, der Major erging sich in begeistertem Lob. Sie hörte ihn nicht und schob den Bräutigam mechanisch beiseite.

Ihr Blick haftete wie in ungeduldigem Schauen an der Verandatür. Wo blieb er? Warum kam er nicht? Das Lied galt ihm.

Frau von Welfen und Rose traten ein.

»Herr von Elten läßt sich allerseits bestens empfehlen! Er wollte den Gesang nicht unterbrechen und nahm darum polnischen Abschied!«

»Nanu, warum wartet er denn nicht, bis sein Pferd vorgeführt wird?« fragte der Major überrascht. »Er tut ja, als brenne der Boden unter seinen Füßen! – Na, Pardon Kinder, dann will ich dem Ausreißer mal nachgehen, in den Hof, und sehen, daß er auch glücklich in den Sattel kommt!«

»Gott sei Dank, daß er weg ist!« lachte Rose, »er hat es förmlich darauf abgesehen, gerade mich durch seine albernen Redensarten zu langweilen!«

»Zu langweilen?« fragte Salome gedehnt – sie saß und schaute mit zusammengepreßten Lippen auf das Wolfsfell vor ihren Füßen nieder.

»Ja gewiß! Findest du ihn etwa amüsant mit seinen Augen, die er wie ein Mondsüchtiger verdreht, und seinem grauen, spitzen Gesicht?«

»Aber kleine Schwägerin!« unterbrach Siegfried neckend, »das ist ja eine nette Personalbeschreibung für einen Verehrer, für diesen treuen Toggenburg, der sicherlich jetzt rückwärts auf dem Pferde sitzt, um die Blicke nicht von Jeseritz losreißen zu müssen!«

Rose warf schnippisch das Näschen zurück: »Verehrer?« spottete sie. »Je nun, in der Not frißt der Teufel Fliegen, und weil Salome nicht mehr zu haben ist, nimmt er mit mir fürlieb – so lange ... je nun, so lange, wie ich es mir noch gefallen lasse!«

»Ei, ei – willst du ihm schon einen Korb geben, ehe er angefragt hat?« warf Salome scharf ein.

Rose zuckte mit einem etwas eigensinnigen Gesichtchen die Achseln. »Er gefällt mir nicht – ich heirate überhaupt nicht, und ich werde das den Herren beizeiten zu verstehen geben!«

»Noli me tangere! – Man ißt nicht so heiß, kleines Fräulein, wie gekocht wird!« neckte Siegfried. »Du kennst doch das alte Liedchen: ›Röslein wehrte sich und stach, half ihm doch kein Weh und Ach – mußt' es eben leiden!‹ Ich fürchte, auch der Rose von Jeseritz ergeht es wie der Schwester auf der Heide! Schnell, Schatz, spiele und singe uns das Heideröslein! Ihr zur Warnung – uns zum Entzücken!«

Born trat noch näher zu seiner Braut und legte bittend den Arm um sie. Salome aber machte sich mit einer jähen Bewegung los und schlug den Deckel des Klaviers zu.

»Ich beschwöre dich – laß mich, Siegfried, ich habe gar keine Lust mehr zum Singen!« sagte sie mit einer Anwandlung schlechter Laune, die der Landrat schon öfters in letzter Zeit, und meistens ganz unmotiviert, bei ihr wahrgenommen hatte.

»Hast du dich vorhin zu sehr angestrengt? Bekamst du Kopfschmerz?« fragte er besorgt, »du siehst auch plötzlich so blaß aus, so verändert ... Sage, Herzlieb, fehlt dir etwas?«

Sie zwang sich, liebenswürdig und heiter zu sein. »Es war mir den ganzen Tag nicht sonderlich gut zumute – die Frühlingsluft macht so schlaff und liegt wohl allen Menschen etwas auf den Nerven! Komm, Liebster, wir wollen noch einmal durch den Garten gehen und Mondschein schwärmen! Dann überlegen wir uns, wohin wir reisen wollen, und wie wir unsere Wohnung einrichten – das macht mir so sehr viel Freude! Werden wir auch einmal Theater spielen im Winter? Ich tue es leidenschaftlich gern und werde das Ganze arrangieren, ja?« Dabei nahm sie seinen Arm und schritt an seiner Seite die Treppe der Veranda hinab. »Wenn Elten wiederkommt, wollen wir ihn fragen, ob er mitspielt?«

Aber Elten kam nicht. Er schien das Wiederkommen vollständig vergessen zu haben. Anfänglich faßte Salome es als einen Triumph auf. »Er flieht deine Nähe, weil er dich nicht als Braut eines andern sehen kann!« sagte sie zu sich, »wie tief und groß muß seine Leidenschaft sein!«

Das schmeichelte ihrer Eitelkeit. Ob es Siegfried gar nicht auffiel? Gewiß; er scheint aber, ebenso wie die Eltern, überzeugt zu sein, daß Rose den Verehrer schlecht behandelt hatte.

Roses Verehrer! Lächerlich! – Oh, wenn sie wüßten, wenn sie wüßten, was Salome wußte! Wenn sie den Handkuß, den Blick an der Ruine gesehen hätten!

Gut, daß sie es nicht ahnten. Siegfried war zwar durchaus nicht eifersüchtig, er versicherte das ja sooft, aber das interessante kleine Renkontre würde kein Geheimnis mehr sein, und gerade das Geheimnisvolle war dessen Hauptreiz.

Ernsthaft verlieben würde sich Salome niemals in Elten, dazu war er erstens zu häßlich und zweitens hatte sie ihren Siegfried aufrichtig gern. Aber es war so amüsant, sich anschwärmen zu lassen, so romanhaft, und sie hatte stets brennend gern französische Romane gelesen, die Juliette in die Pension einschmuggelte.

Sie war jedoch nicht so schlecht und leichtsinnig wie die französischen Frauen, sie würde ihren hübschen, guten Schatz niemals verraten und mit einem anderen durchgehen, niemals.

Nur ganz harmlos ein wenig kokettieren – ein wenig die platonisch Geliebte und Angebetete sein, ein wenig Interessantes erleben – und schließlich darüber lachen und das Ganze als angenehme Erinnerung in das Tagebuch schreiben!

Ja, wenn sich nur etwas erleben ließe! Aber Elten kam nicht. Was ihr zuerst Vergnügen machte, begann bald, sie zu langweilen.

Eines Morgens bat und schmeichelte sie so lange bei der Mutter, bis diese erlaubte, daß Salome anspannen ließ, um nach Feldheim zu fahren. Sie sollte den Major am Forsthaus abholen und in seiner Begleitung den Landrat überraschen und zu Tisch nach Jeseritz holen.

Das Bräutchen machte sehr sorgfältig Toilette. Sie sah aus wie der verkörperte Frühling, und als sie vor dem Forsthause hielt und lachend die Familie des getreuen Beamten begrüßte, stieß der stolze Vater Welfen seinen Förster schmunzelnd in die Seite und fragte: »Na, alter Graubart, was sagt Ihr zu solch einem Blitzmädel? So schön und so klug! Das ist viel auf einmal!«

»Sehr viel, gnädiger Herr!« nickte der Alte voll ehrlichen Entzückens. »Bei Gott, der Herr Landrat braucht mit keinem Kaiser zu tauschen! Die Dina hat ihm niemals viel Heil verliehen, aber die Venus, ja die Venus! Die macht alles wieder gut!«

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»Da habt Ihr recht, Vollert! Bei den Hasen und Böcken schoß mein Schwiegersohn meistens vorbei, aber mit Amors Flitzbogen traf er den kleinen Goldfasan da mitten ins Herz!«

Und sie fuhren nach Feldheim. Der Landrat war nicht zu Hause – er war zu einem Termin auf das Land gefahren, und jetzt erst fiel es Salome wieder ein, daß er ihr gestern Mitteilung davon gemacht hatte.

»Wie ärgerlich! Mama hatte nun auf einen Gast gerechnet!«

»Na, ist nicht zu ändern. Rechtsum kehrt.«

»Vielleicht können wir sonst jemand mitnehmen?«

»Wen denn? Den Assessor –?«

»Brrrr –!«

»Ach so, den magst du nicht sonderlich. Oder einen von den Vergißmeinnicht?«

»Haha! Da liegt die Antwort ja schon in dem Namen: Vergiß mein nicht!«

»Gut, fahren wir an dem Exerzierplatz vorüber!«

»Nicht nötig – da kommt Elten!«

»Ausgezeichnet – wollen Rose das Mittagessen verderben und ihn mitnehmen!«

Der Premierleutnant schien noch ernster und elegischer als sonst.

»Na, Verehrtester, wo haben Sie denn so lange gesteckt?« lachte der Major harmlos. »Haben den Weg nach Jeseritz wohl ganz vergessen?!«

»Ich legte ihn allnächtlich im Traume zurück!« antwortete Elten mit verbindlichem Lächeln, und doch flammte ein vielsagender Blick zu Salome empor. »Tagsüber knebelte mich der königliche Dienst –«

»Hoho! Sachte mit den jungen Pferden! Nachmittags könnt ihr euch doch freimachen, Kinder!«

Wieder einer seiner seltsamen Blicke. »Es gibt auch andere Hindernisse, über die selbst der beste Reiter nicht hinwegkommt, Herr Major!«

»Das stimmt. Aber jetzt sind Sie Freiherr?«

»Allerdings – –«

»Dann steigen Sie ein und kommen Sie mit zu Tisch, meine Frau wird sich freuen!«

»Gnädiges Fräulein würden es auch gestatten?« fragte er, kaum verständlich, durch die Zähne, und während der Major ein paar vorübergehende Bürger begrüßte, fuhr er hastig, mit sengendem Blick fort: »Rufen auch Sie mich zurück, gnädiges Fräulein? Nur Ihrem Rufe kann ich noch folgen!«

Salome errötete. Aber sie fand sich schnell in ihre romantische Rolle. Sie reichte ihm die kleine Hand in dem rehbraun schwedischen Handschuh, über dem die Goldreifen klirren und zarter Heliotropduft schwebte ihm entgegen: »Kommen Sie!« gab sie leise zur Antwort.

Wie sein Auge aufflammte! Lebhaft, jäh verwandelt wandte er sich wieder zu Welfen, die Einladung mit tausend Dank anzunehmen.

»Befehlen Herr Major, daß ich vielleicht die Herrschaften nach Hause kutschiere?«

»Sehr charmant, lieber Elten! Ist aber schon besser, ich behalte die Zügel der Regierung in Händen. Setzen Sie sich zu Salome auf den Rücksitz, da schwatzt es sich doch wohl amüsanter als hier neben mir altem Kerl! Marsch, Prinzeßchen, laß Wulf hier neben mir auf dem Bock sitzen, und mach du unserem Gaste die Honneurs!«

Lachend wechselte Salome den Platz.

Wieder hielt Elten ihre Hand mit heißem Druck in der seinen, als er ihr bei dem Einsteigen in den hochräderigen Jagdwagen hilft. Wieder sprechen seine Augen mehr wie seine Lippen.

Salome ist bezaubernd liebenswürdig.

Der Wagen sauste in scharfem Tempo davon, und der Major mußte zu sehr auf die jungen Pferde achten, um sich viel an der Unterhaltung beteiligen zu können.

Diese dreht sich hauptsächlich um Winterpläne.

»Ich werde dafür sorgen, daß Sie sich gut amüsieren sollen, gnädiges Fräulein! So gut, wie es in dem entsetzlichen kleinen Nest überhaupt möglich ist! Ohne das bißchen Geselligkeit, das wir mühsam schaffen, ist es zum Verzweifeln langweilig!«

Salome seufzte. »Hoffentlich bleibt Siegfried nicht allzulange dort!«

Elten zuckte mit wunderlichem Flimmern in den Augen die Achseln. »Ein Landrat ist zumeist dazu verurteilt, in kleinen Krähwinkeln sein Leben zu vertrauern. Wenn er alt und grau ist, versetzt man ihn vielleicht in eine etwas größere Stadt – vielleicht! Wir Offiziere sind in dieser Beziehung sehr viel besser daran. Wenn ich mich zum Beispiel verheiraten würde, und meiner Frau gefiele es nicht sonderlich in Feldheim, würde ich sofort meine Versetzung beantragen. Man käme alsdann in die Residenz oder in sonst eine amüsante Großstadt, wo die Menschen den Begriff ›Leben und leben lassen‹! noch zu würdigen verstehen!«

»O Sie Glücklicher!«

Der Premierleutnant blickte seiner Nachbarin tief und traurig in die Augen. »Glücklich? – Welch eine Ironie ist dieses Wort für mich, dessen Glück in Trümmer ging!«

Salome errötete. »Wie können Sie das sagen! Sie sind noch so jung ... und – ja glauben Sie denn, daß jeder glücklich ist, wenn er einen Ring am Finger trägt?«

Sein Blick wurde scharf, er starrte sie wie in atemlosem Lauschen an. Wie sentimental sie aussah!

»Man sollte es annehmen! Namentlich, wenn dieser Ring freiwillig angesteckt ward!«

Schade, daß Salome dies nicht ableugnen konnte; es wäre der Situation viel angemessener gewesen, wenn der strenge Wille der Eltern ihre Verlobung befohlen. Das war in Romanen stets ein großes Requisit für die betreffende junge Frau, die unglücklich und unverstanden, Trost bei einem Verehrer suchte. Salome wechselte darum das Thema.

»Wenn doch Siegfried noch Offizier werden könnte!«

»Undenkbar! – Diese Möglichkeit deucht mir ausgeschlossen, denn Herr von Born liebt das Militär nicht einmal sonderlich!«

»Aber mir zu Gefallen! Da muß er es doch tun!«

Elten lächelte wie ein Mephisto. »Er muß? – Nicht alle Männer lieben so leidenschaftlich und innig, daß sie ihren Frauen ein Opfer – selbst das kleinste – zu bringen imstande sind!«

»Aber Siegfried liebt mich unendlich!«

»Alsdann muß ihm Ihr Wunsch allerdings Befehl sein! Wie ich ihn aber kenne, wird er Ihnen sehr geschickt zu verstehen geben, daß es für ihn zu spät und ganz unmöglich sei, noch den Beruf zu wechseln. Außerdem warten Sie doch erst den Winter ab, gnädiges Fräulein, ich bin ja noch in Feldheim und werde alles aufbieten, jeden Ihrer leisesten Wünsche zu befriedigen!«

Sie lächelte ihm zu. »Wie reizend liebenswürdig Sie sind!«

»Der Liebe würdig. Und dennoch von ihr verschmäht!«

Sie errötete abermals unter seinem Blick und wandte das Köpfchen zur Seite.

»Wenn ihr Herr Bräutigam mich jetzt sehen würde, hier ... neben Ihnen ... an seinem Platz!« flüsterte er.

Salome nestelte an dem rosigen Gazeschleier, den der Luftzug von ihrem Hut löste. »Siegfried ist nicht eifersüchtig!« warf sie gleichmütig hin.

»Nicht eifersüchtig? ... Undenkbar!«

»Aber Tatsache!«

»Pardon für meine Offenheit, gnädiges Fräulein, dann würde es ja kälter als Fischblut durch seine Adern rinnen! – Herr des Himmels – ein Weib wie Sie! Ich glaube, ich würde einen jeden erwürgen, der es wagen wollte, auch nur einen Blick zu viel auf meine Göttin, mein höchstes Kleinod, zu werfen!«

»Die Charaktere sind darin sehr verschieden!« murmelte Salome, die Lippen zusammenpressend.

»Ja, es muß wohl eine Eigenart des Charakters sein, denn Gleichgültigkeit oder zu großes Selbstbewußtsein sind bei ihrem Herrn Bräutigam doch ausgeschlossen!« lächelte er. »Je nun warten wir es ab. Vielleicht macht der nächste Winter doch noch einen Othello aus ihm!«

Elten griff hastig in die blühenden Zweige des Kirschbaumes, unter dem sie etwas langsamer einherfuhren, empor, und brach ein weiß glänzendes Ästchen. Mit tiefem Blick überreichte er es seiner Nachbarin. »Den Blütenschnee meines Liebesfrühlings hat ein tückischer Reif getroffen, darum warte ich auf den Winterschnee, der nicht nur die Welt, sondern auch die Menschenherzen von entschwundenem Glücke träumen läßt!«

Dann starrte er jäh verändert vor sich hin, finster wortkarg wie früher. Nur einmal sagte er noch ganz unvermittelt, beinahe heftig: »Singen Sie heute nicht wieder. – Ihre Lieder machen mich rasend!«

Salome war entzückt darüber. Das war echt, ganz echt wie in den Romanen! Sie schwelgte mit allen Gedanken so sehr in schwärmerischen Illusionen, daß sie es ganz selbstverständlich fand, als Elten sie in Jeseritz, vor den Augen der anderen, kalt, ja vollkommen gleichgültig behandelte.

 


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