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Siebzehntes Kapitel

Benediktas Genesung machte erstaunliche, schier unbegreifliche Fortschritte, und die Leidende selbst empfand es wie ein glückseliges Wunder.

Die Freude, das Entzücken über jeden neuen Beweis der Besserung drückte sich in ihrem ganzen Wesen und Sein aus und verklärte ihr schönes Antlitz mit dem ganzen Zauber gemütvoller Weichheit und Innigkeit, die ihm zuvor noch gefehlt. Percys Blick hing oft wie gebannt an diesen seelenvollen Zügen, die ihm immer wieder von neuem bekannt erschienen, und deren rätselhafte Ähnlichkeit er doch nicht zu ergründen vermochte

Ihm selber, unbewußt, grub sich ihr Bild tiefer und tiefer in sein Herz. Er hatte sich an ihre Gegenwart gewöhnt, wie an Luft und Licht, die er nicht mehr entbehren konnte, er erharrte voll Ungeduld die Stunden, die ihn in ihre Nähe führten, und wies alles ab. was eine dieser gemeinsamen Mahlzeiten stören oder verhindern konnte.

Wacknitz trat in das Arbeitszimmer des Prinzen, um ihn, wie gewöhnlich, zu den notwendigen Krankenbesuchen abzuholen.

»Gedenken Hoheit auch heute wieder Fräulein Daja zu behandeln?«

»Gewiß – ich bin nun einmal mit Ihnen eingeübt –«

»Es sind neue und dringliche Fälle angemeldet, Hoheit, und Fräulein Daja ist meiner Ansicht nach vollkommen hergestellt. Eine kleine Nachkur würde sie im Hause ihres Vormundes ohne alles Bedenken selber üben können. Sie sagte mir, daß sie dort jederzeit Unterkommen und gute Pflege finden werde.«

Sie schritten just auf den Flur hinaus. Wacknitz sah nicht, wie das Antlitz des hohen Herrn erbleichte. Momentan herrschte tiefe Stille. – Dann antwortete der Prinz mit gepreßter Stimme: »Undenkbar, – es könnte ein Rückfall kommen.«

»Der scheint mir in diesem Falle ausgeschlossen, Hoheit. Der operative Eingriff hat ja die Veranlassung der Schwerhörigkeit beseitigt. Nur eine sehr starke Erkältung, ähnlich der ersten Veranlassung, könnte eine erneute Erkrankung der geschwächten und reizbaren Gehörorgane verursachen.«

»Haben Sie mit Fräulein Daja bereits über eine eventuelle Beendigung der Kur gesprochen?«

»Allerdings, Hoheit. Sie bat mich um meine ehrliche und gewissenhafte Ansicht darüber. Ich habe das Empfinden, daß die junge Dame selber ihre Abreise herbeiwünscht. Erstens muß es einer so feinfühligen Natur wie der ihren peinlich sein, so lange die volle Gastfreundschaft hier im Hause anzunehmen« –

»Torheit!«

»Und zweitens ...«

»Nun? Und zweitens?«

Wacknitz neigte sich näher und flüsterte: »Ich glaube, der arme Hobrecht hat sehr ernstlich Feuer gefangen, und wenn seine Verehrung ja auch durchaus die Grenzen des Wohlerlaubten und Schicklichen einhält, empfindet Fräulein Daja sie dennoch in peinlicher Weise. Mir scheint – das heißt ich vermute es, – Hobrecht hat heute morgen einen offiziellen schriftlichen Heiratsantrag an sie gerichtet und keine erfreuliche Antwort erhalten. Er benimmt sich wie ein Vernichteter, teilte mir kurz mit, er fühle sich sehr leidend und bitte um ein paar Tage Urlaub; sein Gesuch wird schriftlich erfolgen. – Nun – und die hartherzige – mir, ganz ehrlich geständen, recht unbegreifliche junge Dame – sieht aus wie ein schönes, bleiches Marmorbild, das sich in der Nähe des Verschmähten höchst unbehaglich fühlt.«

Der Prinz starrte düster vor sich hin. »Fräulein Daja befindet sich in äußerst bedrängter Lage, wie ich weiß. Ich hätte ihr gern hier im Hause freie Station gewährt, bis sie ein andres, sichres Unterkommen gefunden, was immerhin eine Zeitlang währen wird, da sie nicht zur Bühne zurück will. Ich wünsche, daß dieses Thema der Abreise fürerst nicht wieder berührt wird, bis ich mit Fräulein Daja persönlich über ihre Zukunft geredet habe.«

Es lag der Klang in der Stimme des Sprechers, der allen wohlbekannt war, und der eine Unterhaltung für den Augenblick abschnitt.

Sie traten in das Zimmer eines Patienten ein. –

Noch nie im Leben zuvor hatte den Prinzen ein Gedanke so völlig aus allem seelischen Gleichgewicht gerissen, wie derjenige an Marga Dajas Abreise.

Obwohl seine Augen aufleuchteten und ein unbegreifliches Glücksgefühl seine Brust schwellte, wenn er daran dachte, daß sie den Heiratsantrag Hobrechts abgewiesen, verbitterte ihm dennoch die quälende Sorge, daß auch er selber sie dadurch verlieren werde, die Freude an dem Bewußtsein, ihr Herz noch frei zu wissen. – Und konnte dieses Bewußtsein nicht auch ein falsches sein? Wer sagte ihm, daß sie ihr Herz nicht einem andern geschenkt, daß Hobrecht nur zu spät gekommen sei?

Er sprang empor und durchmaß mit ruhelosen Schritten das Zimmer.

Warum überkam ihn diese leidenschaftliche Gereiztheit, diese unerträgliche Angst und Sorge, sie zu verlieren, sie, die er nie besitzen wollte. – sie, die er nie besitzen wird?

Er drückte die Stirn gegen die kühle Fensterscheibe und schaute mit brennendem Blick in die blühende, sonnengoldige Frühlingspracht hinaus. Wie ein Zittern rieselte es ihm durch Mark und Bein, – eine Ahnung ließ ihm verzweiflungsvoll den Herzschlag stocken: – er liebte Marga Daja!

Das Gefürchtete, so lang Gefürchtete war geschehen: ein Weib hatte es ihm angetan wie durch zauberkräftige, höhere Gewalten.

Nun rang sein Herz den furchtbar schweren, bittern Kampf zwischen Pflicht und Liebe.

Wer ist Marga Daja, die Namenlose, die Sängerin, die die Bittschrift eines Armenarztes ihm zugeführt?

Sie ist das edelste, reinste, anbetungswürdigste Wesen unter der Sonne,– sie ist das höchste Ziel, das die Liebe eines Mannes erreichen kann!

Noch erreichen? – Kommt nicht jeder andre vielleicht ebensospät wie Hobrecht, – zu spät?

Percy beißt die Zähne zusammen: ein Gefühl, das ihm früher fremd gewesen, überkommt ihn, ein Gefühl des Ingrimmes und der Erbitterung.

Die Klingel meldet das Mittagessen.

Percy zuckt empor, und sein Auge leuchtet auf. Ein Ruf zu ihr!

Hastig ordnet er Haar und Kleidung und tritt ungeduldig in den Salon, noch ehe das zweite Zeichen ertönte, noch ehe Marga Daja eingetreten. Sein Blick brennt ihr entgegen und forscht in ihrem Antlitz.

Es scheint etwas bleich, ist aber im Ausdruck unverändert.

Er reicht ihr die Hand. Seine Finger umschließen fester, länger, krampfhafter wie sonst die ihren. Sie merkt es nicht, sie ist völlig harmlos und unbefangen, ahnungslos des Sturmes, der neben ihr ein armes Menschenherz durchbraust.

Sie wechseln ein paar höfliche Worte. Der Prinz spricht absichtlich sehr leise. Dennoch versteht sie ihn. Sie lacht. »Wollen Hoheit mich auf die Probe stellen? Oh, ich bestehe sie glänzend, ich höre, dank der Meisterschaft meines gütigen Erretters, so gut wie je zuvor!«

Sein Antlitz verdüstert sich. »Wahrlich? – Ich finde, es muß noch bedeutend besser werden.«

»Das ist wohl unmöglich, Hoheit! Auch Doktor Wacknitz versicherte mir, daß meine Genesung vollkommen und meine Abreise in den nächsten Tagen erfolgen könne!«

»Sehnen Sie sich denn so sehr danach, uns zu verlassen?« Seine Stimme klingt beinah rauh, er vergißt zu danken, als ihm die junge Dame das Glas füllt, und starrt düster in den flimmernden Wein nieder.

Betroffen schaut Benedikta auf und wird dunkelrot. »Hoheit!« stammelt sie, »diese Frage stellen Sie nicht im Ernst!«

»Und warum nicht? Der Heiratsantrag Hobrechts hat Sie verletzt?«

Sie schrickt zusammen. »Hoheit wissen davon?« fragt sie, noch heißer erglühend, mit feiner Falte zwischen den Brauen.

Er umgeht die direkte Antwort. »Wollen Sie mir auf eine ehrliche Frage ehrlich Auskunft geben?«

»Gewiß, Hoheit, wenn es in meiner Macht liegt.« Die Bewegung ihres Hauptes scheint dieser Frage jedoch die engste Grenze zu setzen, ihre Lippen beben.

Er sieht sie nicht an. Sein Blick schweift durch den Salon und trifft auch den Platz, an dem Wasmuth bisher gestanden, den Winken seines Hernn gewärtig zu sein.

Er ist zum erstenmal leer. Der Kammerdiener packt auf Befehl seines Herrn ein paar eilige Büchersendungen in dem Arbeitszimmer.

Dann springt sein Blick plötzlich ab und heftet sich fest und ruhig auf das Antlitz der jungen Dame.

»Sie sind bereits verlobt, Fräulein Daja?«

Diese Frage hat sie wohl nicht erwartet; ein Gemisch von Überraschung und Verlegenheit spiegelt sich in ihren Zügen. Aber sie bleibt vollkommen gelassen.

»Nein, Hoheit, keineswegs.«

Ein erleichtertes Aufatmen nach banger Erwartung, Er umschließt den Fuß seines Weinglases mit krampfhaftem Drucke. »Es ist wohl meine Pflicht, Sie von den durchaus braven Gesinnungen Hobrechts zu überzeugen und Ihnen seine recht glänzende Lage auseinanderzusetzen –«

Zum erstenmal unterbricht sie ihn. »Das würde verlorene Zeit und Mühe sein, Hoheit, denn ich werde mich niemals entschließen, eine Konvenienzehe einzugehen.«

»Sie lieben Hobrecht nicht?«

»Nein.«

»Aber ... verzeihen Sie mir diese Indiskretion, die lediglich meinem freundschaftlichen Interesse für Sie und Ihre Zukunft entspringt – – Sie lieben einen andern? Ihre Hand ist zwar noch frei, aber Ihr Herz ist gefesselt?«

Welch ein Ausdruck in ihrem Antlitz! Sie wechselt die Farbe; Stolz und hohe Erregung kämpfen sekundenlang um den Sieg, und ihre dunklen Wimpern zucken, als wollten sie den Tränen wehren. Aber wiederum versteht sie, sich wunderbar zu beherrschen.

»Welch ein Mädchenherz hatte sich kein Ideal gebildet,« haucht sie leise mit gesenktem Blick, »ein vollkommenes Ideal, das ewig unerreichbar ist, weil es in das Reich der Träume gehört!«

Er lehnt sich vor, seine Augen blitzen auf. »Und war es dieses Ideal, das Sie hinausgetrieben in jenen unglückseligen Schneesturm, der Ihnen so verhängnisvoll ward? Haben Sie es dort gesucht und ... gefunden?«

Er hatte diese Frage in einer jähen, unbedachten Regung der Eifersucht gestellt und durchaus nicht diese Wirkung erwartet.

Marga Daja schrickt empor und starrt ihn mit angstvoll weitgeöffneten Augen an. Sie zittert wie unter einem Fieberschauer, und die blassen Wangen glühen auf wie dunkle Rosen. Dann aber flammt es stolz und schier drohend in ihren Augen auf, sie macht eine hastige Bewegung, als wolle sie sich jählings erheben. Er vertritt ihr den Weg und reicht ihr die Hand entgegen. »Verzeihen Sie mir! – Ich armer Einsiedler ahne es ja nicht, wie es in einem Mädchenherzen aussieht –«, sagt er leise, wehmütig.

Hastig fährt er fort: »Wenn ein Arzt dem Körper eines Patienten, seine volle Teilnahme schenkt, so interessiert ihn unwillkürlich – und wohl noch bei weitem mehr – die Seele, die darinnen wohnt. Die Kranken in diesem Hause sind und bleiben keine Fremden für mich, – sie treten mir nahe, nicht nur durch ihr Leiden, sondern auch durch ihre Schicksale. Nur Sie allein, Fräulein Daja, haben als verschleiertes Bild vor mir gestanden. Ich habe nie versucht, diesen Schleier zu lüften, aber ich habe trotzdem über Sie nachgedacht. Daß ich eine Episode Ihres Lebens, jenen Schneesturm, dem Sie hilflos preisgegeben waren, und über den Sie errötend jede weitere Mitteilung abschnitten, mit Ihrem Herzen in Verbindung brachte, war das Ergebnis jener Irrwege, auf dem sich die menschliche Phantasie verlieren kann. Ich bitte Sie noch einmal um Vergebung, Fräulein Daja.«

Benedikta hatte mit bebenden Lippen gelauscht, ihre Verlegenheit wich einer milden Resignation. »Ich empfinde den Vorwurf, der mir aus den Worten Eurer Hoheit entgegenklingt!« sagte sie weich, mit vollem, ehrlichem Blick: »und ich empfinde ihn doppelt schwer, weil ich leider Gottes noch nicht in der Lage bin, die grauen Schleier, die mein armseliges Leben verhüllen, zu zerreißen. Ich verspreche aber, eine große, umfassende Beichte abzulegen, wenn« – ihr Blick schweifte unwillkürlich zu dem Bild der Prinzessin Johanna hinüber – »wenn Hoheit als verheirateter Mann meine Schicksale richtiger und verständnisvoller auffassen werden, wie jetzt.«

Er hob jählings das Haupt. »Dann wird Ihr Leben wohl stets ein Geheimnis für mich bleiben!« sagte er herb. »Oder glauben Sie etwa dem törichten Zeitungsklatsch, der meine Person mit der interessantesten Verlobungsgeschichte schmücken will?« – Auch sein Blick streifte das Bild der Prinzessin und haftete plötzlich an den duftigen Frühlingsblüten, die es umrahmten. Er erhob sich jählings und trat davor.

»Wie kommen diese Blumen hierher?«

Aufs höchste betroffen, fand Benedikta kaum Worte, ihrer Verwirrung Herr zu werden. Träumte sie? Hatte sie recht verstanden?

»Die Rosen waren verwelkt, Hoheit, da ... da habe ich mir erlaubt, sie seitdem durch frische Blumen zu ersetzen –«, stammelte sie fassungslos.

Er lächelte – ein sonderbares Lächeln.

»Schon seit Wochen üben Sie solchen Liebesdienst, und ich Barbar bemerke es heute erst? – Das sicherste Zeichen für die Tatsache – wie selten ich das Bild der Prinzessin angesehen.« Er nahm die Photographie und legte sie in ein Album. »Soviel ich hörte, wird die Prinzessin meine Schwägerin werden. Mein jüngerer Bruder hat eine tiefe und zärtliche Neigung zu ihr gefaßt, und da die beiden jungen, lebensfrohen Menschen trefflich zusammenpassen, wird der Verbindung hoffentlich nichts im Wege stehen. Joachim schickte mir jenes Bild, und seine Werbungen haben wohl Anlaß zu der Verwechslung zwischen uns gegeben. Die Zeitungen fanden es wohl richtiger, daß ich vor dem Jüngeren heiraten solle.« Er war an den Tisch zurückgekehrt und wandte sich dem servierenden Diener zu.

Eine müde Gleichgültigkeit lag auf seinem Antlitz, die beinahe der Niedergeschlagenheit glich.

»Hoheit überrascht mich allerdings in hohem Grade – ich war überzeugt –«

Er zuckte die Achseln. »Warum trauten Sie mir etwas zu, was Sie selber so stolz von sich wiesen?«

Benedikta zögerte momentan, dann sagte sie leise und lächelnd: »Wenn ich jenes reizende Bildchen dort schmückte, ist mir nie ein Gedanke an Konvenienz gekommen, denn das Glück deuchte mir ein unzertrennliches Angebinde dieser entzückenden Fürstentochter. Mir würde es sehr begreiflich erscheinen, wenn der ältere Bruder ihr dieselben Gefühle entgegenbrächte wie der jüngere!«

Er blickte auf, ein Blick, der ihr durch Herz und Seele ging, ein Blick, wie sie nie zuvor einem begegnet war: »Wahrlich? – Dann haben Sie es noch nicht gelernt, in Männerherzen zu lesen! Man sagt, Frauen sind gewöhnlich sehr scharfblickend, sie entdecken jedes Fünkchen von Sympathie, das ihnen entgegenblinkt, geschweige denn eine himmelanlohende Flamme!« – Er biß sich auf die Lippe und füllte sich selber das Glas, um es hastig zu leeren.

Benediktas Herz erzitterte! es deuchte ihr, als schlüge diese Flamme plötzlich grell und blendend vor ihr auf, aber sie brannte aus einem schwindelnd tiefen Abgrund empor und drohte sie herabzureißen.

Wie gelähmt saß sie und verschlang die Hände ratlos im Schoß. Warum sah er sie so seltsam an? Warum sprach er solch absonderliche Worte? Wie ein Wirbelsturm brauste es jählings durch ihr ruhiges, tapferes Herz.

Gott sei Dank, der Prinz hob die Tafel auf.

Er reichte ihr die Hand wie alle Tage zuvor, und doch war es, als schlage die glühheiße Flamme just zwischen diesen beiden bebenden Händen empor und rieselte als Feuerstrom von ihnen aus durch alle Fasern und Nerven.

Percy wandte sich, zog ein Zweiglein des rotblühenden Pyrrus aus dem Strauß, der das Bild Johannas geschmückt, und steckte es an die Brust.

»Wenn Sie künftig die Blumen pflücken, Fräulein Daja, so denken Sie nicht mehr an die Prinzessin, sondern an mich! Ich bin arm an solchen Gaben der Freundschaft und der Liebe, mein Leben trug bisher nur Dornen und keine Rosen!«

 

Benedikta weiß kaum, wie sie ihr Zimmer gefunden.

Sie sinkt in einen Sessel nieder und preßt die eiskalten Hände gegen die Schläfen.

Es hämmert und pocht dahinter, und die Gedanken wirbeln wüst und ziellos wie die weißen Blütenblätter im Garten drunten, die der Sturm faßt und in die Lüfte hebt. ,

Ein wildes Frühlingswetter draußen! Hier drinnen tobt und stürmt es noch mehr.

Ob Benedikta auch zitternd die Augen schließt, sie sieht dennoch Percys düstern, liebeheißen Blick, – sie sieht ihre Blüte an seiner Brust, sie hört seine Worte, daß er nicht Prinzessin Johannas Verlobter. Warum sein Interesse an ihrem Schicksal? Woher sein instinktives Ahnen und Empfinden, daß jener verhängnisvolle Schneesturm ihr Ideal geboren? Eine unbeschreibliche Angst und Sorge, ein Gefühl bebender Hilflosigkeit überkommt sie!

Fliehen! Entfliehen! Vor ihm – und vor ihrem eignen Herzen!

Aber wie, wie einen schicklichen Grund für ihre sofortige Abreise finden?

Tante Lotzenburg wohnt hier im Hotel, jeden Augenblick zu Schutz und Hilfe der Nichte bereit, – wie aber in unauffälliger Weise zu ihr gelangen? Und wie ihr selber mit voller Ruhe persönlich entgegentreten?

Das schlechte Wetter verbietet ihr jeden Gang in die Stadt, und die Gräfin hierher bescheiden, würde durch ihre, dem Prinzen bekannte Person alles verraten. Aber Benedikta kann ihr ein paar Zeilen schreiben und sie bitten, an Eckert zu telegraphieren, daß dieser wiederum sie telegraphisch wegen Erkrankung des Vormundes zurückruft. Die Depesche muß in der kleinen Kreisstadt aufgegeben werden. Benediktas Gedanken sind wie aufgescheuchte Vögel, sie flattern angstvoll nach einem Ausweg und stoßen sich die Köpfchen am Gitter ein.

Voll fliegender Hast wirft sie ein paar Zeilen auf einen Briefbogen und adressiert sie. Dann blickt sie unschlüssig in das Wetter hinaus.

Am Parkgitter befindet sich ein Briefkasten, abends wird sie den Versuch wagen, ihn zu erreichen.

Abends! – Ihr Herz schlägt wild auf.

Der Abend bringt ja ein Wiedersehen mit ihm! Soll sie einen Vorwand ersinnen und dem Teetisch heute fernbleiben?

Es ist sehr peinlich: gerade heute abend wollte Dr. Wacknitz seinen jüngsten Sohn mitbringen, der Benediktas Weihnachtsmotette mit dem Cello begleiten soll.

Außerdem würde es auffallend sein und die eigentümliche Unterredung von heute mittag noch peinlicher gestalten.

Ruhe! Vollkommene, harmlose Gleichgültigkeit! Dies sind die einzigen Mittel, ein eignes und ein fremdes Herz zu beruhigen.

Wird sie es vermögen?

Neben aller Angst und Aufregung, neben all dem fassungslosen Erschrecken braust dennoch ein Sturm jauchzender Glückseligkeit durch ihr ganzes Sein und Wesen. Die jähe Helle blendet sie, – und dennoch möchte sie laut aufschluchzend die Arme heben und alles vergessend in die Flammen hineinstürmen!

Sie kann es nicht fassen, nicht glauben, – und dennoch möchte sie doch so gern die unbegreiflich liebe Sprache seines Auges verstehen! ,

Er, den sie jahrelang voll schwärmerischer Innigkeit geliebt und verehrt, er, der wie ein Heiligenbild hoch und erhaben, verloren für ewige Zeit, vor ihr gestanden, er neigt sich plötzlich und nimmt des armen Wegekrauts wahr, wie die Sonne, die jählings die tiefen Schatten durchbricht und der vergessenen Blüte in Liebe gedenkt.

Benedikta faltet die zitternden Hände und preßt sie gegen das Herz, lehnt das Köpfchen zurück und lächelt durch Tränen banger Qual.

 

Der Kaffee, der auf dem kleinen Rauchtisch vor Prinz Percy stand, war kalt geworden, ebenso kalt wie die Zigarre, die er noch mechanisch zwischen den Zähnen hielt.

Über die Zeitung hinweg starrte er geradeaus, und die Schatten des regnerischen Maitages warfen ihre Schleier auch über seine Stirn.

Er hatte mehr gefragt als er beabsichtigte, und was er zur Antwort erhalten, hatte eine Krise in seinem Herzen heraufbeschworen.

Marga Daja liebte! Sie liebte einen andern, Fremden, der in irgendeinem geheimnisvollen Zusammenhang mit jenem verhängnisvollen Schneesturm steht.

Diese Gewißheit rüttelt sein Phlegma, seine Gleichgültigkeit gegen alles, was ehedem Liebe hieß, aus dem starren Todesschlaf, in dem es gelegen. Das Blut, das vordem so kühl durch seine Adern gerollt war, schäumte auf in leidenschaftlicher Erregung und revoltierte gegen die Schranken, die ihm das Schicksal auf den Weg zum Glück baute.

Konvenienz! – Welch leerer, toter Klang für ihn! Ihm bindet sie nicht die Hand, seine Person spielt keine Rolle in der Politik, und wenn seine drei Brüder standesgemäß heiraten, so ist es wohl nur wünschenswert, wenn er den Stammbaum legitimer Prinzen nicht allzu breit wachsen läßt. Er weiß es, daß man ihm keine Schwierigkeiten in den Weg legen wird, falls er einen Herzensbund schließen will, ebensowenig wie man ihm verwehrte, den Pfad ernster und privater Wissenschaft zu wandeln.

Das aber, was ihm als unbezwingliches Hindernis einzig den Weg vertritt, ist Marga Daja selbst, sie und ihre Liebe zu einem andern.

Kann er kraft seines Namens und seiner fürstlichen Macht alles erkaufen, was eine Welt an Begehrlichem bietet, eines kauft er niemals: das Glück der Liebe, jener einzigen Liebe, nach der er mit tausend heißen Wünschen der Sehnsucht verlangt. Arm, hungernd, darbend nach dem Reichtum ihres Herzens steht er, der Prinz aus königlichem Hause, vor dem jungen Weibe, das ohne Namen, verlassen und verloren im Elend, nur die opfermutige Barmherzigkeit im Hause aufgenommen. Ein Bettler an allem Glück bleibt er sein Leben lang, wenn sie von ihm geht, wenn er umsonst die Hände flehend zu dem hellen Stern hebt, dessen Strahlen nicht jedem Irdischen eine Krone flechten. –

Sein Haupt sinkt tief zur Brust. Er verschlingt die Hände machtlos im Schoße und ergibt sich in ein Schicksal, das als höchste und göttlichste Macht alle Menschen gleich, zu einem Volk von Brüdern macht.

Und dann blickt er voll freudiger Zuversicht hinaus in den Frühlingssturm. Wo soeben noch schwarze Wolken jagen, strahlt morgen wohl Sonnenschein, und wo heute die Verzagtheit an kein Glück mehr glauben will, wirft es ihr morgen Gottes Gnade unverhofft in den Schoß.


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