Euripides
Hippolytos
Euripides

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Phaidra:
Trozensche Frauen, die ihr hier den äußersten
Vorsprung von Pelops' Inselland bewohnt, ich hab
In manchen Stunden langer Nächte nachgedacht,
Woher es, was das Leben uns zerrüttet, rührt.
Und Mangel an Erkenntnis scheint des Übels Grund
Mir nicht zu sein - denn richtige Einsicht und Verstand
Besitzen viele -, sondern so verhält es sich:
Das Recht und Gute wissen und erkennen wir,
Doch tun wir's nicht - die einen aus Bequemlichkeit,
Die andern, weil sie irgend andern Neigungen
Die Tugend opfern. Solcher Hang ist mannigfach:
Das ergötzlich Übel Plauderei und Müßiggang,
Die Scheu sodann, zwiefacher Art, bald gut und bald
Ein Druck des Hauses - wär uns ihr Verhältnis klar,
Nicht einerlei Buchstaben trüg, was doppelt ist.
Nachdem ich dies nun längst erkannt und eingesehn,
So gab es keinen Zauber, der zuschanden mir
Es machte, von Vernunft zurück mich gleiten ließ.
Nun höre ferner meines Handelns Weg und Plan.
Als Liebe mich verwundet', überlegt ich, wie
Ich's trüge schön und sittsam. So begann ich denn
Sofort zu schweigen und zu bergen meinen Gram.
Denn auf die Zung ist kein Verlaß, die's wohl versteht,
Zurechtzuweisen andrer Menschen Handlungen,
Jedoch den größten Schaden stets uns selber tut.
Mein zweiter Vorsatz war, mit Ehren diesen Wahn
Zu tragen, ihn zu meistern durch Besonnenheit.
Zum dritten, als dies beides mir nicht frommte, um
Der Kypris obzusiegen, schien das Sterben mir
Das Beste: nichts wird diesem Entschluß widerstehn!
Mag meine Tugend leuchten vor der Welt, so wie
Ich wenig Zeugen wünsche, wo ich Übles tu.
Die Sache kannt ich, daß die Sünd Unehre bringt;
Als Weib noch vollends war ich, wie leicht einzusehn,
Ein Greuel allen. Hätte Schand und Tod doch gleich
Das Weib verderbt, das je zuerst mit fremdem Mann
Die Eh befleckte! Und von edlen Häusern ging
Zuerst der Untat Übung aus dem Fraungeschlecht!
Denn wenn das Laster erst den Edlen wohlgefällt,
So dünkt's natürlich auch gemeinen Menschen schön.
Abscheulich sind die, welche keusch in Worten tun
Und schnöden Frevel frech verüben insgeheim.
Wie nur ist's möglich, hehre Kypris, Königin,
Daß ihrem Mann ein solches Weib ins Auge sieht?
Und bebt sie vor dem Dunkel nicht, das Zeuge war?
Nicht vor den Zimmerwänden, daß sie reden einst?
Mich treibt ja eben dies zum Sterben, Beste, daß
Ich keine Schande meinem Gatten machen will
Noch meinen eignen Kindern. Nein, sie sollen frei
Gedeihn durch Hochsinn, lebend in der stolzen Stadt
Athen, von seiten ihrer Mutter nicht beschimpft!
Denn sei ein Mann auch kühnen Muts, ihn knechtet's, wenn
Ihm Schande von den Eltern irgend ist bewußt.
Dies eine, sagt man, ringt den Preis dem Leben ab,
Der Ehr und Tugend Streben, wem es innewohnt.
Den Lasterhaften offenbart früh oder spat
Die Zeit, wie jungen Mädchen einen Spiegel ihm
Vorhaltend. Und von solchen will ich ferne sein!

Chor:
Ach, ach! wie ist doch überall die Tugend schön,
Und erntet Ehr und guten Leumund bei der Welt!

Amme:
Dein Ungemach, Gebietrin, überraschte mich
Und raubte mir die Fassung für den Augenblick.
Nun find ich, daß ich töricht war, und hinterher
Sieht man die Sachen richtiger stets und klüger an.
So unerhört und unbegreiflich ist es nicht,
Was dir begegnet. Zorn der Göttin stürmt' auf dich -
Du liebst. Was Wunder? Bist du doch die erste nicht!
Und sollst du dann ob dieser Liebe sterben? Nein!
Was nützten dann dem Liebenden die Nächsten, die
Um ihn sich kümmern, wenn er eben sterben muß?
Wer kann der Kypris trotzen, wenn sie mächtig stürmt?
Sie naht gelassen einem, der sich willig fügt,
Doch wo sie stolze und überstrenge Herzen trifft,
Die packt, mißhandelt, höhnt sie dir, wer weiß wie arg!
Es schweift im Himmel, waltet selbst im Wogenschwall
Des Meeres Kypris, alles ist aus ihr gezeugt.
Sie ist es, welche Liebe sät, Verlangen weckt.
Ihr dankt das Dasein alles, was auf Erden lebt.
Wer nun Gemälde aus älterer Zeit betrachtet, wer
Mit Dichtungen von Sängern selbst verkehrt, der weiß,
Wie Zeus Verlangen nach dem Bett der Semele
Getragen, weiß auch, wie die Morgenröte, die
So herrlich leuchtet, aus Verliebtheit Kephalos
Emporgeraubt hat; und sie leben immer noch
Im Himmel droben, nicht verbannt vom Götterkreis,
Und dulden's, untertan zu sein der Leidenschaft.
Du trägst es nicht? Das hieße denn, Vorrechte für
Das Leben fordern oder Herrschaft anderer
Gottheiten, da der jetzige Brauch dir nicht behagt.
Wie manche sehr gescheite Menschen gibt es, die,
Der Gatten Untreu sehend, tun, als sähn sie's nicht!
Wie manchen Vater, der den Fehltritt seines Sohns
Vertuscht in Liebeshändeln! Und gewißlich ist
Das klug getan, zu bergen, was Unehre macht.
Man muß auch seinen Wandel nicht so überrein
Erhalten wollen. Kann die Richtschnur Decke und Wand
Doch nicht so haarscharf regeln; und in solcher Not,
Wie deine, steckend, kann man nicht ganz heil entfliehn.
Nein, wenn du mehr des Guten als des Schlimmen tust,
So kannst du sehr zufrieden sein: du bist ein Mensch!
Nun, liebe Tochter, ändre deinen üblen Sinn,
Laß deinen Hochmut fahren! Hochmut ganz allein
Ist's, besser sein zu wollen, als selbst Götter sind.
Ertrag die Liebe, weil es Gottes Wille ist,
Sieh, wie du mit der Leidenschaft wohl fertig wirst.
Es gibt ja Zaubersprüche samt Beschwörungen:
Ein Mittel wird sich finden gegen diese Not!
Lang könnten Männer sinnen, bis sie's fänden, wenn
Kein Rat uns Frauen irgendwie sich offenbart!

Chor(führerin):
Was diese spricht, Gebietrin, ist zweckmäßiger
Für dies vorhandne Ungemach. Doch lob ich dich!
Dies Lob jedoch ist unbequem und minder dir
Zu hören lieblich als die Rede dieser hier.

Phaidra:
Das eben ist's, was wohlbestellte Staaten oft
Und Häuser stürzt: die Reden, die so lieblich sind!
Drum muß man nicht das, was den Ohren angenehm
Klingt, sagen, sondern, was zu Ruhm und Ehre führt.

Amme:
Wozu das Stolztun? Prächtige Worte helfen nicht,
Der Mann allein hilft! Schleunig denn erforschen wir's,
Vertraun die Sach ihm ohne Umschweif, wie es steht!
Ja, schwebte nicht dein Leben in so dringender
Gefahr, und wärst du ruhig bei der Leidenschaft,
So würd ich, deiner Lieb und Lust zu frönen, nicht
So weit dich führen! Aber jetzt gilt's Ringen nur
Um Leib und Leben, und das ist nicht tadelnswert.

Phaidra:
O freche Schwätzerin! schließ den Mund und laß mir kein
So schnödes Wort mehr über deine Lippen gehn!

Amme:
Schnöd, aber doch zweckmäßiger als die prächtigen!
Und eine Tat, die rettet, ist weit besser als
Ein stolzes Wort, mit dem im Mund man untergeht.

Phaidra:
Halt ein, beim Himmel - schön wohl sprichst du, aber schnöd -,
Und geh nicht weiter! Untertan der Lieb ist zwar
Mein Herz in Ehren, aber sprichst du Schnödes schön,
So werd ich dem zur Beute, was ich meiden will.

Amme:
Recht hübscher Grundsatz, wenn der Wahn dir ferne blieb!
So aber folg mir! Denn was nächst dem frommt, ist dies:
Ich hab im Zimmer sympathetische Zauberei
Für Liebesgluten - eben jetzt besinn ich mich! -,
Die, ohne Nachteil für den Geist, in Ehren dich
Von dieser Krankheit heilen. Sei nur nicht verzagt!
Wir brauchen ein Symbol dazu von ihm, dem Mann,
Zu dem dich's hinzieht, eine Locke, vom Gewand
Ein Fränschen, zwei in einer Lust zu einigen.

Phaidra:
Sprich, ist das Zaubermittel Salbe oder Trank?

Amme:
Ich weiß nicht! laß dir helfen, Kind, und frage nicht!

Phaidra:
Ich fürchte nur, du handelst mir zu überklug.

Amme:
Weib voller Furcht, wovor denn bangt dir? Sage mir's!

Phaidra:
Du möchtest Theseus' Sohne was verraten hier.

Amme:
Laß das, mein Kind, ich will es hübsch einrichten wohl.
Nur stehe du mir, meerentsproßne Herrscherin
Kypris, zur Seite!
(Beiseite)
                          Was ich sonst noch ausgedacht,
Das brauch ich nur den Freunden drinnen kundzutun.
(Ab)

Erste Strophe

Chor:
    O Liebe, Liebe, vom Auge strahlt
    Dir Schmachten, du strömest süße Wonne
    Dem, den du ergreifst, in seine Seele.
    Oh, nahe mir nie zum Leid, erschein mir
    Nie regel- und maßlos!
    Nicht gewaltiger sengt uns
    Feuer, brennt der Sonne Strahl,
    Wie Aphroditens Geschoß
    Glühet, das des Eros Hand
    Absendet, des Zeussohns.

Erste Gegenstrophe

    Vergebens häufet am Alpheos,
    Vergebens am Herd des pythschen Gottes
    Stieropfer das griechsche Land ohn Ende
    Und ehrt den gewaltgen Weltbeherrscher.
    Den König der Liebe, nicht,
    Der das traute Gemach auf-
    Riegelt, wo die Liebe kost,
    Der Herzen tödlich verletzt
    Und in Unheil jeder Art
    Hinführt, wenn er angreift.

Zweite Strophe

    Jen' oichalische Jung-
    Frau, die ledig in Unschuld
    Bisher nichts geahnet von Mannesliebe,
    Ward weg vom Hause geführt,
    In hastger Flucht wie Furien rennend -
    Beim Rauchen der Stadt, beim Mord,
    Eine tödliche Freierei!
    Also gab sie Kypris dem Sohn Alkmenens
    Zum unseligsten Ehbund!

Zweite Gegenstrophe

    Thebens heilige Stadt
    Und Gewässer der Dirke,
    Ihr könnt wohl vom Pfade der Kypris zeugen,
    Die einst bei Donner und Blitz
    Des zeusgezeugten Bakchos Mutter
    Aus bräutlicher Lust entrückt
    In des Todes Umarmung!
    Denn allmächtig wirket ihr Hauch, und allwärts
    Umherschwärmt sie wie Bienen.

Phaidra:
O schweigt, ihr Frauen! Weh, um mich ist's nun geschehn!

Chor(führerin):
Was gibt's so Schlimmes, Phaidra, dort im Haus für dich?

Phaidra:
Nur stille, laßt mich hören, was man drinnen schreit!

Chor:
Ich schweige still; doch dieser Eingang lautet schlimm!

Phaidra:
O weh mir, ach! ach!
Was muß ich jetzt erdulden, unglückselges Weib!

Chor:
    Was soll dieser Ruf? Was soll dieser Schrei?
    O sprich, welche Kunde, Weib, schreckt dich so?
    Sage, was stürmt ans Herz?

Phaidra:
Ich bin verloren! Tretet vor die Pforten her,
Und höret, welch ein Lärmen drinn im Haus erschallt!

Chor:
    Du weilst selbst am Tor, und dir gilt der Ruf,
    Welcher von drinnen dringt!
    Sage mir, welches Leid hat sich begeben dort?

Phaidra:
Der Reiterin Sohn, der Amazone, Hippolyt,
Schreit laut und schmäht entsetzlich meine Dienerin.

Chor:
    Geschrei hör ich wohl, doch klar kann ich nicht
    Verstehn, welcher Laut
    Zu dir durch die Pforten dringt, welches Wort?

Phaidra:
Nun denn, er schilt sie deutlich freche Kupplerin,
Verführerin des Eheweibes ihres Herrn!

Chor:
    O weh mir des Leids! Teure, verraten bist
    Du, was ersinn ich nun?
    Ach, das Geheimnis ist entdeckt, hin bist du!
    Freunde verrieten dich!

Phaidra:
Ja, meinen Zustand tat sie kund, wohlmeinend, doch
Unklug, zu helfen meiner Not, und bringt mich um.

Chor:
Verzweifelt Schicksal! Sprich, was willst du jetzo tun?

Phaidra:
Ich weiß nur eines: Sterben ohne Zögern ist
Das einzige Mittel bei dem gegenwärtigen Leid.

(Hippolytos stürzt aus dem Hause, hinter ihm die Amme)

Hippolytos:
O Mutter Erd und freier Schein des Sonnenlichts!
Welch unerhörter Rede Laut vernahm mein Ohr.

Amme:
Sei still, bevor man dieses Schrein vernimmt, mein Sohn!

Hippolytos:
Ich kann nicht schweigen, wenn ich Greuel angehört.

Amme:
O doch, beim Kinne! Dieser Hand am schönen Arm!

Hippolytos:
Komm nicht zu nah mir! weg die Hand von meinem Kleid!

Amme:
O Gott, bei deinen Knieen hier, verdirb mich nicht!

Hippolytos:
Wie kann ich's, wenn du, wie du sagst, nichts Schlimmes sprachst?

Amme:
Mein Wort, o Sohn, will nicht der Welt verraten sein.

Hippolytos:
Das Schöne wird noch schöner, wenn's die Welt erfährt.

Amme:
Mach deinen Eidschwur nicht zuschanden, liebes Kind!

Hippolytos:
Ihn schwur die Zunge, und mein Herz weiß nichts davon!

Amme:
Was willst du tun? vernichten deine Freund', o Sohn?

Hippolytos:
Pfui über sie! Kein Lasterhafter ist mein Freund!

Amme:
Verzeihe mir's, das Fehlen ist ja menschlich, Kind!

Hippolytos:
O Zeus, was hast du dies verführerische Leid,
Das Fraungeschlecht, zur Welt gesandt ans Sonnenlicht?
Fortpflanzung freilich war der Menschheit nötig, doch
Daß uns durch Frauen dies zuteil wird, ist nicht gut.
Die Menschen sollten Goldes oder Silbers Wert
In deine Tempel legen als Kaufpreis, dafür
Nachwuchs von Kindern haben, jeder nach dem Wert
Bestimmter Schätzung, aber in den Wohnungen
Von Frauenvolke ledig leben, ungestört.
So aber wird schon, wenn man diese Plage ins Haus
Heimführen will, des Hauses Wohlstand sehr erschöpft.
Und daß das Weib ein großes Übel, sieht man hier:
Der Vater, der sie zeugt' und aufzog, läßt sie ziehn
Mit einer Mitgift, froh, des Übels loszusein.
Der andre freut sich, der das Unkraut nimmt, und legt
Dem schlimmen Wesen hübsche Kleider an und putzt,
Bildsäulen gleich, es durch Geschmeide stolz heraus.
Dann muß er drein sich fügen, brave Schwäher und
Ein unerträglich Weib zu haben oder auch
Ein braves Weib und unbequeme Vettern, daß
Das Schlimme so dem Guten stets die Waage hält.
Am besten fährt noch, wem ein ganz einfältig Ding
Von einem Weib, ein bloßes Nichts, im Zimmer sitzt.
Gescheite sind gefährlich; weile in meinem Haus
Niemals ein Weib, das klüger ist, als Frauen ziemt!
Weit mehr erzeugt in klugen Fraun die Leidenschaft
Nichtswürdigkeit - dagegen bietet albernen
Zur Missetat kein Mittel ihr beschränkter Geist.
Zu Frauen sollte keine Magd ins Zimmer gehn,
Nur stumme Tiere dort Gesellschaft leisten, daß
Sie nie ein Wort mit keiner Seele redeten
Und keinen Laut von andern auch vernähmen je.
Nun bringt der Rat der schlimmen Frauen Schlimmes drin
Zuweg, und ihre Mägde tragen's aus dem Haus.
So hast auch du mich kuppeln wollen, schlechtes Weib,
Für meines Vaters unberührbar Eheweib,
Weshalb ich fließend Wasser mir ins Ohr sogleich,
Es wegzuspülen, sprenge. Bin ich also schlecht,
Der schon vom Hören solchen Dings unrein sich dünkt?
Und wiß es: meine Frömmigkeit bloß rettet dich!
Denn wenn der Eidschwur nicht so ahnungslos mich fing,
Mich hielte nichts, dies meinem Vater kundzutun.
Nun bleib ich fern vom Hause, bis Theseus zurück-
Kehrt von der Reise, und stilleschweigen soll mein Mund.
Doch mit des Vaters Schritten komm ich heim, zu sehn,
Wie du und deine Herrin ihn anblicken könnt.
Und deine Frechheit merk ich mir: ich hab's erprobt!
Fluch euch! Ja, unersättlich ist mein Weiberhaß
Allzeit, und sagt man immerhin, ich eifre stets!
Sie selbst ja handeln stets auch schlecht und hassenswert.
Entweder also lehre man sie sittsam sein,
Wo nicht, so tret ich ihnen stets auch aufs Genick!
(Ab)

Gegenstrophe

Phaidra:
    Trauriges, unseliges Los
    Des weiblichen Geschlechts!
    Wo gibt's jetzt noch Rat, wo eine Kunst, nachdem
    Es mißlang, zu lösen der Verkennung Netz?
    Mich trifft jetzt die Straf, io, Erd und Licht!
    Ach, wohin entfliehn meiner Not?
    Wie verberg ich jetzt meine Schmach?
    Wer schützt mich, wer der Götter, wer der Sterblichen
    Wird solch lasterhaftem Tun Hilf und Rat
    Noch leihn mögen? Ja, mein Zustand, mein Leid
    Drängt, wie er jetzt ist, unentrinnbar fort zum Tod!
    So unselig war noch kein Weib der Welt!

Chor:
Ach weh, es ist geschehen! Deiner Zofe Kunst,
O Herrin, ist gescheitert, und nun steht es schlimm!

Phaidra:
Du schlimmstes Weib, Verderb der Freunde, ach, was hast
Du mir getan! Dich schlage Zeus, mein Ahne, mit
Glutstrahlen und vertilge dich mit Stumpf und Stiel!
Und sagt ich's nicht? gewahrt ich nicht dein Herz und hieß
Still sein von dem, um das ich jetzt geschändet bin?
Das warst du nicht vermögend, darum sterb ich nun
Nicht mehr mit Ehren, sondern brauche neuen Rat.
Denn der in seiner Leidenschaft, gereizten Muts,
Wird dein Vergehn dem Vater kundtun wider mich
Und alle Welt erfüllen mit Schmähreden. Drum
Fluch über dich und jeden, der an Freunden je
Wohltat mit Schanden unberufen üben will!

Amme:
Du darfst, Gebieterin, schelten, was ich schlimm gemacht,
Indem der Ärger deinem Urteil schadet; doch
Auch ich vermag zu reden, wenn du hören willst.
Ich zog dich auf und meint es gut, ein Mittel wollt
Ich finden für dein Leiden: dies gelang mir nicht.
Wär mir's geglückt, so hieß ich jetzt die kluge Frau!
Denn hat man Glück, so hat man allzeit auch Verstand.

Phaidra:
Soll mich's zufriedenstellen, soll's genügen mir,
Durch Taten kränken und durch Reden eingestehn?

Amme:
Laß keine Zeit uns mehr verlieren! Freilich, Kind,
Ich hab gefehlt; doch Rettung ist noch möglich hier.

Phaidra:
Hör auf zu reden! Leider hast du schon zuvor
Mir schlimm geraten und zum Leid dich dreingemengt!
Jetzt geh mir aus den Augen und bekümmre dich
Um deine Sachen! Meine ordn ich selber wohl!
(Die Amme geht ab)
Ihr aber, edle Töchter hier vom Land Trozen,
Gewährt mir jetzo diese einzige Bitte nur:
Verhüllt in Schweigen, was ihr hier vernommen habt.

Chor:
Ich schwör's der hehren Artemis, der Tochter Zeus',
Von deinem Zustand nichts zu offenbaren je.

Phaidra:
Ich danke dir! Nun find ich, eifrig sinnend, nur
Ein einzig Mittel wider dies Unglück, womit
Ich meinen Kindern Ehr und Ruhm vererben kann
Und selbst noch Vorteil ziehen vom verlornen Spiel.
Denn nimmermehr entehr ich Kretas Fürstenhaus
Um eines Lebens willen, niemals tret ich auch
Dem Theseus vor die Augen, schnöder Tat bewußt!

Chor:
Was hast du vor? sprich, welches unheilbare Weh?

Phaidra:
Zu sterben. Und nun denk ich nach, in welcher Art.

Chor:
Verhüt es Gott!

Phaidra:               Und rate du zur Ehre mir!
Ich will die Kypris, welche mich vernichtet, noch
Am heutgen Tag, vom Leben scheidend, hoch erfreun:
Der Liebe Qualen tragen nun den Sieg davon!
Doch will ich einem andern auch durch meinen Tod
Unglück bereiten, daß er nicht auf meinen Fall
Stolz niederschaue, sondern, dieses Weh mit mir
Gemeinsam tragend, lerne hübsch bescheiden sein!
(Ab in das Haus)

Erste Strophe

Chor:
    Könnt ich mich bergen in ab-
    Stürzenden Schluchten!
    Zum beschwingten Vogel möcht ich
    In gefiederten Zug-
    Schwärmen verwandelt sein!
    Hin zum fernen Gestade, zur
    Flut von Adria flög ich,
    Hin zum Strom des Eridanos!
    Wo verzauberte Mädchenschar
    Tränen weinen um Phaëthon
    Und goldfunkelnden Bernsteinglanz träufeln ins Strom-
    Bett der purpurnen Vatersflut.

Erste Gegenstrophe

    Hin, wo die goldene Frucht
    Glänzt, wo das Lied klingt,
    Zu den Hesperiden zög ich,
    Wo der Herrscher des Meers
    Schiffern die Bahn verschließt;
    Hin zum heiligen Ziel der Welt
    Durch die purpurne See, wo
    Atlas' Rücken den Himmel trägt,
    Wo Ambrosia rinnend quillt
    Beim Ruhbette des Firmaments,
    Segenspendend das selge Land Fülle des Glücks
    Stets den Himmlischen sprießen läßt.

Zweite Strophe

    Du, weißflatterndes Segelschiff,
    Hast aus kretischer Meeresflut
    Über Brandung und Wogen
    Von begütertem Hause
    Meine Fürstin hergebracht für
    Die Vermählung, die segenslose!
    Mißlichen Zeichen gefolgt aus
    Kreta, sei's aus beiden Ländern,
    Flog's zur stolzen Stadt, und ward in
    Munichs Bucht des hänfnen Taues
    End am Ufer angebunden,
    Drauf des Festlands Boden rasch betreten!

Zweite Gegenstrophe

    Daher kam's, daß die Lieb in sünd-
    Hafter, grimmiger Leidenschaft
    Ihr durch Qualen das Herz brach.
    Von der drückenden Last des
    Ungemachs bewältigt, wird sie
    An die Decke des Brautgemaches
    Knüpfen das schwebende Seil und
    Schlingen um den weißen Nacken,
    Ihres Schicksals finstren Mächten
    Still in banger Furcht sich fügend,
    Ehr und Ruhm vor Schand erkürend
    Und von Liebespein das Herz erlösend.

Amme (im Hause:)
Iu, iu!
Zur Hilfe! Wer dem Hause nah ist, komm herbei!
Theseus' Gemahlin, unsre Herrin, hängt im Strick!

Chor(führerin):
Ach weh, ach weh! Es ist geschehn, die fürstliche
Frau lebt nicht mehr. Es schwebt ihr Leib im Todesstrick!

Amme:
So eilet doch! Bring einer doch ein schneidendes
Stahlmesser, daß man dieses Band vom Halse löst!

Erster Halbchor>:
Was tun, ihr Lieben? gehn wir wohl und machen drin
Die Fürstin aus der festgezognen Schlinge los?

Zweiter Halbchor>:
Wozu? es sind ja junge, rüstge Diener da!
Unnötige Vielgeschäftigkeit bringt oft Gefahr.

Amme:
Streckt aus und legt den armen Leichnam grade hin,
Die Hauseshut, so schmerzensreich für meinen Herrn!

Chor(führerin):
Verschieden ist die arme Frau, so hör ich; denn
Bereits als Leiche wird sie drinnen ausgestreckt.

(Theseus erscheint, als Pilger mit Lorbeerzweigen bekränzt)

Theseus:
Ihr Frauen, könnt ihr sagen, was der Lärm im Haus
Bedeutet? dieser Jammerschrei der Dienerschaft?
Nicht, wie's geziemt, wenn Pilger wiederkehren, tut
Das Haus mir seine Pforten auf mit freudgem Gruß.
Ist doch dem Pittheus nichts begegnet, der, betagt,
Wohl nah dem Grabe wandelt? Dennoch wäre mir's
Sehr schmerzlich, wenn ich ihn im Hause missen soll.

Chor:
Kein greises Haupt traf leider, Theseus, dein Verlust:
Ein jugendliches Leben starb und schafft dir Leid.

Theseus:
Weh! hab ich wohl der Kinder eines eingebüßt?

Chor:
Sie leben, doch die Mutter starb, schmerzhaft genug!

Theseus:
Was sagst du? meine Gattin tot? Was stieß ihr zu?

Chor:
Sie knüpfte zum Erhängen selbst den Todesstrick.

Theseus:
Von Gram erstarrt? Sagt, welcher Unfall kränkte sie?

Chor:
Soviel nur weiß ich: eben komm ich selbst hierher,
Theseus, indem dein Mißgeschick mir nahegeht.

Theseus:
Ach weh! Wozu dann schmückt noch dieses Lorbeerreis,
Die Schläf umwindend, mich unselgen Pilgersmann?
(Er reißt sich den Kranz vom Kopf)
Schließt auf, ihr Diener, hier der Tore Schlösser, macht
Die Riegel los und laßt mich sehn das Jammerbild,
Die Unglückselge, deren Tod mich mit verderbt!

(Die Türflügel öffnen sich. Man erblickt Phaidras Leiche auf einer Bahre ausgestreckt)

Chor:
    Iu! bejammernswertes Weib, welch ein Los!
    Dein Leid, deine Tat
    Ist also, daß mein Haus dadurch zerrüttet wird!
    Ach, wie verwegen! o gewaltsamer Tod,
    Greulicher Untergang, das Werk deiner Hand,
    Du unselges Weib!
    Und wer, Arme, hat dein Dasein getrübt?

Strophe

Theseus:
    Von all meiner Not, die ich erlitten je,
    Ist es die ärgste! Weh! O Schicksal, wie schwer,
Wie schrecklich bist du mir und meinem Haus genaht!
Berührung eines Höllenmenschen, unbewußt,
    Hat mich gemordet! Weh! Mein Dasein zerstört!
    Wogen des Jammers, ach! türmen sich rings um mich
So mächtig, daß ich nimmermehr entrinnen kann,
Heraus mich ringen aus dem Meer des Ungemachs!
    Ach, wie errat ich wohl den Grund, wie benenn
    Ich Unselger dein hartes Geschick, o Frau,
Die aus der Hand mir einem Vogel gleich entschlüpft',
Hinab ins Reich des Todes schwand im raschen Sprung?
    Ach weh, jammerlos! Ach weh, Schmerz und Leid!
    Irgendwoher ist mir dies Unheil vererbt,
    Durch Schuld eines meiner Ahnherrn verwirkt
    In ganz ferner Zeit!

Chor:
Du bist, o Fürst, der einzge nicht, der dies erfuhr!
Schon manchem andern starb, wie dir, ein braves Weib.

Gegenstrophe

Theseus:
    Unter der Erd, im Schoß nächtlicher Finsternis
    Möcht ich im Grabe ruhn, ich unselger Mann;
Denn deiner Nähe süßes Glück ist mir geraubt,
Du nahmst noch mehr mein Leben als das deine weg!
    Von wem, ach, woher nahte der harte Schlag,
    Der dir, armes Weib, das Herz brach zum Tod?
Wird einer wohl, was vorgefallen, künden? hegt
Umsonst den Schwarm der Dienerschaft mein Fürstenhaus?
    Wie arm, arm durch dich!
    O weh, welcher Jammer trifft hier mein Haus!
Unsäglich, unerträglich! all mein Glück ist hin!
Mein Haus verödet, meine Kinder sind verwaist!

Chor:
    Du bist hingeschieden, oh
    Liebste du aller Fraun, Trefflichste, die das Licht
    Der Sonn und der klare Vollmond bescheint
    Und des gestirnten Himmels Glanz bei der Nacht!

    Armer, ach, armer Gatte, welch
    Ein Leid traf dein Haus! Tränen befeuchten mir
    Quellend das Angesicht um dein hartes Los!
    Aber was ferner naht, macht mich erbeben längst!

Theseus:
Ah! ah!
Was will der Brief hier, der von deiner lieben Hand
Herniederschwebt? Was hat er Neues kundzutun?
Sie wird mir um der Kinder willen einen Wunsch
Mitteilen wollen wegen zweiter Ehlichung!
Oh, sei getrost! Des Theseus Hand erlangt niemals,
In seine Wohnung zieht niemals ein andres Weib!
Ach ja! des goldnen Siegelrings Gepräge, den
Die Hingeschiedne führte, winkt mir freundlich zu.
Wohlan, das Petschaft samt dem Umschlag nehm ich ab
Und sehe, was mir dieser Brief zu melden hat!

Chor:
    Ach weh! jetzt verhängt wieder ein neues Weh
    Der Gott, Leid um Leid sendend! Dahin, fürwahr!
    Für mich ewig hin
    Schwindet des Lebens Reiz, denk ich dem Ausgang nach!
    Völlig gestürzt, zugrund seh ich gerichtet schon
    Das Haus meiner Fürsten; weh, wehe, weh!
Schicksal, vernichte, wenn es möglich, nicht das Haus:
Erhör mein Flehen! denn mir ahnt, dem Seher gleich,
Der Vogelflug beachtet hat, ein Ungemach.

Theseus:
Weh! welch ein neues unerträglich Leid ist dies
Aufs Leid! Oh, unaussprechlich! Ach, ich armer Mann!

Chor:
Was gibt es? Rede, wenn ich Anteil nehmen darf!

Theseus:
    Es schreit, es schreit der Brief Höllenpein!
    Wohin flieh ich vor der Last
    Des Leids? Ganz zugrund
    Bin ich gerichtet! Welchen Wehschrei vernehm ich hier,
    Jammer! in dieser Schrift!

Chor:
Dein Wort beginnt Verkündung eines Ungemachs.

Theseus:
    Nein, ich behalt es nicht mehr im Verschluß des Munds,
    Dieses vernichtend, unentrinnbare Leid!
    Hör es, o Bürgerschaft!
Mein Bett zu schänden hat sich Hippolyt erfrecht
Und nicht gescheut der Sonne heilges Angesicht!
Nun denn, Poseidon, Vater, jetzt erfülle mir
Der drei gelobten Wünsche einen, richte mir
Den Sohn zugrunde, laß ihn nicht dem heutgen Tag
Entrinnen, hast du anders wahrhaft zugesagt!

Chor:
Nimm, um des Himmels willen, Fürst, den Fluch zurück!
Du wirst den Irrtum später einsehn. Folge mir!

Theseus:
Nein, nein! Gebannt vom Lande sei er obendrein!
Das eine Los von beiden trifft ihn sicherlich:
Entweder wird Poseidon ihn ins Höllenreich
Getötet senden, ehrend meinen Fluch, wo nicht,
So irrt er unstet, aus dem Lande hier verbannt,
Ein Jammerleben fristend wo in fremdem Land.

Chor:
Hier naht dein Sohn, gerad in diesem Augenblick,
Dein Hippolyt. Laß ab vom schlimmen Zorn, o Fürst
Theseus, erwäge, was dem Haus zum Besten dient!


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