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Illustration: Paul Haase

VIII. Die kleine Ilna und der Quackfrosch

In Ulalume, so erzählte die Großmutter, einem waldreichen Lande, das zwischen den Königreichen Thule und Lorelore liegt, lebte vor manchem Jahrhundert ein mächtiger Graf, dem waren ringsum Land und Leute Untertan. Mitten im Walde lag seine stolze Burg, die hieß Ulmheim. Dort lebte er zusammen mit seiner Familie, seiner Frau und seinen Kindern. Sieben Söhne hatte er, aber nur ein einzig Töchterlein, das war das jüngste der Kinder und war erst zehn Jahre alt. Kein Wunder, daß die Eltern sie von allen am liebsten hatten. Der Graf verwaltete sein Land selbst, sah nach allem und duldete nicht, daß irgendwo Unrecht geschah; und wie er von seinen Leuten verlangte, daß sie arbeitsam, fleißig und rührig seien, so auch von sich. Nur ein einziges Vergnügen gönnte er sich, das war die Jagd; tagelang konnte er in seinen Wäldern ganz allein herumstreifen, ohne Ermüdung und Abspannung zu fühlen.

So war er eines Tages in den Wald geritten und hatte schon einen ganzen Morgen den wilden Forst durchstreift, um einem Wolf, der sich seit einiger Zeit gezeigt hatte und frech in die Hürden seiner Hirten eingebrochen war, den Garaus zu machen. Gegen Mittag stieg er vom Pferde und legte sich in die Farrenkräuter, um ein Weilchen auszuruhen. Bald war er in einen tiefen Schlaf gesunken.

Er hatte einen schweren und beängstigenden Traum; es war ihm, als ob er von allen Seiten mit starken Stricken zusammengeschnürt würde. Er erwachte meiner furchtbaren Beklemmung, da sah er über seinem Haupte den häßlichen Kopf einer riesigen Schlange, die giftig nach ihm züngelte. Beine, Leib, Brust und einen Arm hatte sie ihm schon umwickelt, so daß er sich nicht rühren konnte, nur sein Kopf und der linke Arm waren noch frei. Schnell griff er der Schlange nach dem Halse und faßte sie, so fest er konnte, gerade unterhalb des Kopfes. Die Schlange suchte sich loszumachen, doch hielt sie der Graf mit der Kraft der Verzweiflung fest. Dabei fühlte er, wie seine Kräfte immer schwächer wurden und wie die gräßliche Umschlingung des Reptils sich immer enger um ihn zusammenschob. Er vermochte kaum mehr zu atmen, und die Augen traten ihm aus den Höhlen. Schon drohten ihm die Sinne zu schwinden, da hörte er neben seinem Ohr ein leises Quaken. Er warf einen Blick hin, es war ein Frosch, der neben seinem Kopf saß.

»Was gibst du mir, wenn ich dich rette?« frug der Frosch.– »Was du willst!« hauchte der Graf. »So will ich heute abend zu dir kommen und mit dir speisen,« fuhr der Frosch fort. »Da sollst du mich festlich bewirten und mir das schenken, was dir um den Hals hängt! Willst du das?« – »Gerne – gerne – alles –« antwortete der Graf, der kaum noch ein Wort hervorbringen konnte.

In diesem Augenblick wurde er so schwach, daß er den Kopf der Schlange nicht mehr festhalten konnte, sein Arm siel schlaff herab. Die Schlange wiegte sich ein paarmal hin und her und war gerade im Begriff, mit weit aufgerissenem Rachen sich auf ihn zu stürzen, da hupfte plötzlich der Frosch, der einige Fuß weggekrochen war, mit einem mächtigen Satze auf. Er sprang gerade gegen das Auge der Schlange, so daß diese unwillig sich schüttelte und ein wenig zauderte. Kaum aber wollte sie sich wieder auf den Grafen stürzen, als der Frosch seinen Angriff erneuerte und diesmal das andere Auge der Schlange mit wohlgezieltem Sprunge traf. Diese schnappte nach ihm, ohne ihn jedoch zu erhaschen; der Frosch war geschwind fortgekrochen, um gleich darauf mit einem neuen mächtigen Satze gegen das Reptil anzuspringen. Das ging so eine Weile fort, jedesmal, wenn die Schlange den Rachen aufriß um ihr Opfer zu verschlingen, sprang ihr der Frosch, so kräftig er konnte, gegen das Auge. Das Ungeheuer wurde immer wütender, schon troff ihr der Geifer aus dem Rachen. Als der Frosch wieder einmal gegen sie ansprang, riß ihr die Geduld. Sie versuchte ihn zu schnappen, da aber der Frosch schnell weghüpfte, schob sie sich nach. Schnell sprang der Frosch weiter fort, und die Schlange machte sich auf, ihn zu jagen. Sie löste sich von ihrem Opfer ab, um erst den kleinen Störenfried zu töten. Schon fühlte der Graf Arme und Beine frei werden und konnte endlich wieder einen tiefen Atemzug tun; bald waren auch sein Leib und seine Beine von der gräßlichen Umarmung gelöst. Einen Augenblick noch lag er regungslos, dann sprang er auf und ergriff seinen Jagdspieß. Er eilte durch die Büsche und entdeckte bald das Reptil, das immer noch den schnell dahinhupfenden Frosch verfolgte. Der Graf nahm seine ganze Kraft zusammen und schleuderte den Spieß, da hatte er den riesigen Giftwurm mit dem Kopfe an einen alten Eichbaum festgenagelt. Der Wurm krümmte und wand sich noch ein paarmal, dann verendete er. Unterdessen war der Frosch an den Grafen herangehüpft und dieser setzte sich, um besser mit seinem kleinen Retter plaudern zu können.

»Du bist der mutigste Frosch, den ich je gesehen habe,« sagte er, »und springen kannst du, wie der beste Preisspringer im ganzen Lande!«

Da lachte der Frosch so laut er konnte, und sprang dem Grafen mit einem Satze auf die Schulter. »Es ist gut,« fing er an, »daß du die Schlange getötet hast, sie war das schrecklichste Untier im ganzen Walde und alle Tiere zitterten vor ihr. Ich haßte sie schon lange und wäre ihr gern zu Leibe gegangen, aber, – wenn man nur ein Frosch ist –« Der kleine Quaker wurde ganz traurig und der Graf sah deutlich, wie ihm eine dicke Träne aus den Augen tropfte.

»Da sieh doch einer den ehrgeizigen kleinen Frosch an!« lachte der Graf, und dann plauderten sie noch eine Weile zusammen. Endlich schieden sie, der Graf bedankte sich nochmals sehr bei seinem kleinen Freunde und erinnerte ihn daran, nur ja am Abend nach Schloß Ulmheim zum Essen zu kommen.

Der Frosch hupfte in den Wald; der Graf aber pfiff seinem Pferd und ritt heim. Dort erzählte er sein seltsames Abenteuer und trug der Frau Gräfin auf, alles zu einem prächtigen Nachtmahl zu rüsten, denn der kleine Frosch wollte heute abend sein Gast sein. So wurde denn der große Speisesaal festlich geschmückt und beleuchtet und alles Silber wurde auf die große Tafel gestellt. An den Ehrenplatz aber, gerade gegenüber dem Grafen, wurde ein großer Armsessel hingestellt und hoch mit seidenen Kissen belegt, damit der Frosch in der Höhe des Tisches sitzen könne. Lange besann sich die Gräfin, was wohl so ein Frosch am liebsten essen möge. Schließlich erdachte sie sich folgende Speisen und bereitete sie selbst zu, denn sie war eine vorzügliche Köchin. Erst sollte er ein Milchsüppchen bekommen mit schönem dicken Rahm darauf! Dann gebackene Ameiseneier – die, glaubte sie, würde er sicher gerne essen! Dann sollte er Fliegenlendenbraten haben, fein in Mückenfett gebraten. Dieser Gang machte der Gräfin außerordentliche Mühe, aber sie hoffte auch, damit eine ganz besondere Ehre einzulegen. Zum Nachtische aber wollte sie ihm Honig aus Veilchen und Vergißmeinnicht vorsetzen. –

Indes ging der Graf in seine Schatzkammer, um ein Geschenk für seinen Lebensretter auszusuchen. Er wählte lange, schließlich nahm er eine schwere, goldene Kette, die überall mit Perlen und Edelsteinen besetzt war. Die hängte er sich um den Hals. Wird sich der Frosch freuen, dachte er, wenn er diese prächtige Kette sieht!

Illustration: Paul Haase

Der Abend kam und man setzte sich zu Tisch. Alles war versammelt, die Familie des Grafen und alle seine Hofleute. Allein der Frosch fehlte noch. So fing man schon an zu essen, und man aß tüchtig. Nur die kleine Ilna, des Grafen Töchterlein, die heute ausnahmsweise auch mitessen durfte, da sie so schrecklich gerne den mutigen kleinen Frosch kennen lernen wollte, konnte nichts essen, so war ihre Erwartung gespannt. – Man wartete und wartete, aber der Frosch kam nicht. Alle waren fertig und der Graf wollte schon abtragen und die Tafel aufheben lassen, denn er glaubte, der Frosch würde wohl nicht mehr kommen; nur auf das Bitten seines Töchterleins wartete er noch weiter. Als nun Ilna sah, daß ihr Vater immer ungeduldiger wurde, sprang sie auf. Sie tanzte sehr schön und sie wußte, wie sehr die Eltern ihr Tanzen liebten. Da wollte sie denn tanzen und damit die Zeit ein wenig vertreiben. Sie hob ihr Röckchen ein wenig und begann. Und sie tanzte so zierlich und reizend, daß der Graf sich gar nicht satt an ihr sehen konnte. Als sie geendet, rief er ihr zu: »So schön hast du noch nimmer getanzt, komm, ich will dir was schenken!« – Da sprang Ilna heran und rief: »Die Kette, Vater! Schenk mir die Kette!« – Der Graf stutzte, die Kette hatte er ja für den Frosch bestimmt. Aber da er sein Töchterchen so zärtlich bitten sah und auch glaubte, daß der Frosch wohl heute doch nicht mehr kommen würde, so nahm er die Kette ab und hing sie der Kleinen an. Sie tat einen lauten Freudenschrei und fiel ihrem Vater um den Hals.

In diesem Augenblick flog mit einem lauten Krach die Saaltüre auf und herein hupfte mit großen Sprüngen der Frosch. Alles kam ihm entgegen und ein Hofmann nahm ihn vorsichtig auf die Hand und setzte ihn auf den Ehrensessel. Dann kamen alle heran, der Graf, die Gräfin, die Söhne und die Hofleute, und alle gaben dem Frosch die Hand. Die kleine Ilna aber setzte sich gleich neben ihn hin, nahm ein goldenes Löffelchen und fing an, ihn zu füttern. Und der arme Frosch konnte gar nicht rasch genug essen, so behend war die Kleine mit ihrem Löffelchen. Als er satt war, bedankte er sich bei der Hausfrau, so gut habe er lange nicht gegessen, namentlich der Fliegenlendenbraten sei geradezu vorzüglich gewesen. Man saß noch eine Weile zusammen, dann erklärte der Frosch, aufbrechen zu müssen. »Nun gebt mir, was ihr mir versprächet!« sagte er zu dem Grafen. Da war der Graf ein wenig beschämt, weil er gar nichts Ordentliches mehr am Halse hängen hatte. Er erzählte dem Frosch, daß er eine schöne Kette für ihn herausgesucht, dann aber seinem Töchterlein geschenkt habe. Doch solle er nur mitkommen in seine Schatzkammer und sich von allem das Beste aussuchen. – Aber der Frosch lächelte und schüttelte seinen dicken Kopf. »Nein!« sagte er. »Ihr verspracht, mir das zu geben, was Euch am Halse hänge, wenn ich zu Euch käme. Und als ich hereinkam, hing Euer Töchterlein Euch am Halse. – Die will ich haben!« – Da gerieten alle in schreckliche Aufregung. Der Graf sprang auf und mit ihm seine Söhne und Leute. Man solle den unverschämten Frosch totschlagen, meinte der älteste Sohn, wann habe man denn jemals gehört, daß ein Frosch ein kleines Mädchen haben wollte? Der Graf selbst, der nicht gerne sein Wort brechen wollte, verlegte sich aufs Bitten. Er bot dem Frosch Silber und Gold, ja ein ganzes Schloß an, wenn er ihm sein Töchterchen lassen wolle. Doch dieser bestand auf seiner Forderung. Da rief die kleine Ilna: »Wenn dir mein Vater das versprochen hat, so soll er sein Wort halten. Ich will mit dir gehen!« Dann sprang sie auf und folgte dem Frosche, der in langen Sprüngen voranhupfte, aus dem Saale. Und ehe sich der Graf und seine Leute noch von ihrem Schrecken erholt hatten, waren beide schon weit in Nacht und Nebel verschwunden.

Das seltsame Paar war bald im tiefen Walde. Sie sprachen kein Wort zusammen, doch je weiter sie kamen, um so mehr reute die kleine Ilna ihr voreilig Handeln. Wohin führte sie der Frosch? Was wollte der Frosch mit ihr? – Plötzlich blieb der Frosch stehen. Sie waren in einer Lichtung angekommen und der bleiche Mondschein fiel hell durch die unheimlichen Föhren. Der Frosch sprang auf einen Baumstumpf und winkte die Kleine heran. Dann riß er sein breites Maul auf und sagte, so zärtlich er konnte: »Küß mich! Ilna, küß mich!« Das kleine Mädchen erschrak, denn sie mochte den garstigen, kalten Frosch für ihr Leben nicht küssen. Sie sagte ihm, er solle sie in Ruhe lassen. Als aber der Frosch wieder von ihr forderte, sie solle ihn küssen, da rief sie zornig: »Nein! Du dummer, häßlicher Frosch! Und wenn du mich nicht gleich zufrieden läßt, so wollte ich doch, daß dich der Reiher holte!« Kaum hatte sie aber das gesagt, als sie einen mächtigen Flügelschlag hörte. Ein riesiger, kohlschwarzer Reiher kam durch die Luft daher geschossen und stürzte sich gerade auf den Baumstumpf, wo der Frosch saß. Er faßte ihn mit dem Schnabel und hob sich wieder in die Lüste. Ilna erschrak, so hatte sie es doch nicht gemeint, denn im Grund mochte sie den possierlichen, kleinen Frosch doch gut leiden. Sie rief dem Reiher zu, er solle den Frosch in Ruhe lassen, aber das fiel dem gar nicht ein. Er flog mit seiner Beute immer weiter fort. Ilna verfolgte ihn mit den Blicken, und als sie nicht mehr ordentlich sehen konnte, kletterte sie flink wie eine Katze auf einen Baum. Da sah sie, wie weit, weit in der Ferne der Reiher über einen runden See flog. Rings um den See war eine hohe Mauer und um die Mauer brannte rund herum ein mächtiges Feuer. Der Reiher flog gerade über die Mitte des Sees, dann öffnete er seinen Schnabel und klatsch! fiel der arme Frosch tief in den See herab.

Betrübt kletterte Ilna von dem Baume. Es war ihr so weh ums Herz, das Schicksal des armen Frosches ging ihr doch sehr nah. Zwar war sie froh, daß der Reiher ihren armen Frosch nicht gefressen hatte, aber wie leicht konnte sich dieser bei dem Fall in den See verletzt haben! Sie ging ein Weilchen weiter, da stolperte sie plötzlich über eine große Baumwurzel und fiel hin. Als sie aber aussah, entdeckte sie zu ihrem Schrecken, daß sie sich geirrt hatte: es war keine Baumwurzel, sondern der riesige Leib einer toten Schlange, deren Kopf mit einem Jagdspeer an einen Baum gespießt war. Entsetzt eilte sie weg, so rasch sie ihre Füßchen tragen konnten. Das war gewiß die Schlange, von deren tödlicher Umschlingung der Frosch ihren geliebten Vater gerettet hatte! Immer mehr Mitleid fühlte sie mit dem armen Tiere, und wenn sie es jetzt hier gehabt hätte, so würde sie nicht mehr zaudern und es gleich auf sein breites Maul küssen. Doch das war nun zu spät.

Mittlerweile war die Nacht tiefer und tiefer herabgesunken, auch der Mond war längst untergegangen. Es war stockfinster und den Weg nach Hause hätte Ilna nimmermehr gefunden. So suchte sie denn einen versteckten Platz zur Nachtruhe. Endlich fand sie einen passenden unter einer hohen Eiche, die rings mit Farrenkräutern umstanden war, da legte sie sich nieder.

So hatte sie eine Weile gelegen, als sie ein kleines Lichtchen in der Luft fliegen sah. Es war ein Glühwürmchen und bei seinem Scheine konnte sie ihre Umgebung ein wenig unterscheiden. Da sah sie unter der Eiche eine Menge Pilze stehen, wie sie aber genau hinsah, entdeckte sie, daß sich die Pilze bewegten. Sie tat, als ob sie schlief und blinzelte nur verstohlen unter den Lidern hervor. Nun bemerkte sie, daß die Pilze kleine Männlein waren, die ganz leise hin und wieder gingen. Das größte von den Pilzmännchen kam so nahe heran, daß es beinahe ihr Haar streifte; als es das Menschenkind sah, wollte es erschreckt zurückfliehen, doch beruhigte es sich wieder, da es glaubte, daß sie fest schliefe. Es winkte dem Glühwürmchen und bat es, dem kleinen Mädchen ins Gesicht zu leuchten. Das tat, wie es geheißen. Das Pilzmännchen sah Ilnas Köpfchen an und rief dann seine Genossen herbei. »Seht da!« rief es, aber mit einem so feinen Wisperstimmchen, daß Ilna es kaum verstehen konnte. »Seht da, das ist das kleine Mädchen, das den Froschprinzen erlösen sollte! – Hätte es ihn nur geküßt, so wäre der Zauber gelöst worden und er wäre wieder der schönste Prinz geworden. Nun aber hat ihn der böse Zauberer wieder in seiner Gewalt, und jetzt ists so schwer ihn zu erretten!« – Da fuhr Ilna auf und beschwor das Pilzmännchen, ihr alles zu sagen, was es wüßte; wo der Froschprinz sei und wie sie ihn erlösen könnte; zum Danke wolle sie ihm auch ihre kostbare Kette schenken. Darauf erzählte das Pilzmännchen, wie der böse Zauberer des Waldes, der immer als schwarzer Reiher durch die Lüfte flöge, den armen Prinzen in einen Frosch verwandelt habe, und nur durch den Kuß eines Mädchens könne er wieder erlöst werden. Doch jetzt habe er ihn in seinen tiefen See geworfen. Viele tausend Frösche, alles verwandelte Menschenkinder, habe er in jenem See und jeden Tag flöge er hin und fischte sich eines heraus, um es zu verschlingen. Ilna frug, wie sie denn an den See gelangen könne. »Weiß ich nicht, weiß ich nicht,« wisperte das Pilzmännchen, »das weiß nur eine im Walde, die alte Brombeerhexe. Und die hütet ihr Geheimnis wohl!« – »So bring mich dahin!« bat das kleine Mädchen, »vielleicht werde ich es bei ihr erfahren.« – Zwar warnte sie das gute Pilzmännchen, zu der bösen Brombeerhexe zu gehen; als jedoch Ilna auf ihrem Verlangen bestand, erklärte es sich bereit, sie hinzuführen. –

So ging es dann wieder durch den Wald, voran flog das Glühwürmchen mit seiner Laterne, dann folgte das Pilzmännchen und schließlich Ilna. Bald kamen sie an eine tiefe Schlucht, da zeigte das Pilzmännchen von weitem Ilna eine kleine Hütte, die am Ende der Schlucht stand und ganz mit Brombeerbüschen umrankt war. »Da wohnt die Hexe,« flüsterte das Männchen, »weiter können wir nicht mit dir gehen, sonst schlägt uns die böse Alte tot!« Ilna nahm ihre Kette und schenkte sie dem Männchen, bedanke sich vielmals bei ihm und bei dem freundlichen Glühwürmchen und schritt dann rasch auf die Hütte zu. Schon graute der Morgen, als sie anklopfte. Eine krächzende Stimme schrie, wer da sei, und gleich darauf kam die alte Brombeerhexe heraus, die war so häßlich, daß man es gar nicht sagen kann. Nase und Kinn waren gebogen, die eine nach unten, das andere nach oben, und beide waren so lang, daß sie in der Mitte zusammen kamen. Auf der Nase hatte sie eine große feuerrote Warze, darauf standen drei lange Haare. Die Hexe war ganz krumm und spindeldürr, dabei hatte sie lange, graue Haare in Strähnen herabhängen. Das merkwürdigste an der Hexe aber war ihr Zahn, denn sie hatte nur einen, der war gelb und so groß wie ein Finger. Sie trug ihn immer in der Tasche herum und schob ihn nur in den Mund, wenn sie essen wollte. Doch war es kein Wunder, daß die Hexe so häßlich war, denn sie war schon fünftausend Jahre alt, wie sie selbst sagte.

Wie die kleine Ilna die scheußliche Alte sah, da verlor sie doch allen Mut, nach dem Geheimnis des Sees zu fragen; als daher die Brombeerhexe mürrisch frug, was sie wolle, da antwortete sie kleinlaut: »Ich wollte nur fragen, ob Ihr nicht ein kleines Mädchen gebrauchen könnt, um Euch die Hausarbeit zu tun.« Die Alte lachte giftig, dann nickte sie und schrie: »Ja, du süßes Püppchen, und Lohn sollst du auch haben! Jedes Jahr eine neue Rute und Schläge, soviel du haben willst!« Und wie um ihre Worte zu bekräftigen, holte sie gleich eine große Rute heraus und schlug das arme kleine Mädchen, daß ihr Hören und Sehen verging. Dann riß sie ihr das seidene Kleidchen vom Leibe und warf ihr statt dessen ein paar schmutzige Lumpen hin, die mußte sie anziehen. Darauf sperrte sie sie für den Anfang in den Schweinestall, denn sie wollte ausgehen und fürchtete, die Kleine werde ihr derweilen entwischen.

Nun begann für das kleine Mädchen eine lange schreckliche Zeit. Sie mußte den Schweinestall fegen, das Feuer anzünden, den Schmutz der Krähen, Schlangen und Ratten, die die Hexe in ihrer Hütte hielt, wegschaffen und eine Menge anderer häßlicher Arbeiten verrichten. Ihre Hauptarbeit aber war das Suppenrühren. Die Alte kochte sich nämlich immer die gräßlichsten Giftsuppen, und die mußten oft stundenlang gerührt werden, bis sie gut waren. Da stand denn das arme Ding am Feuer und rührte und rührte, daß ihr die Arme steif wurden, und wehe! wenn sie einmal auch nur eine Minute lang aussetzte. Dann gab es Schläge, daß sich auf ihrer weißen Haut lange, blutige Striemen zogen, und manche heiße Träne fiel dann wohl in den Suppentopf. – Nur wenn der Alten ein besonders giftiger Trank gut geraten war, wurde sie ein wenig aufgeräumter und sprach dann zuweilen ein wenig freundlicher mit dem armen Kinde.

So waren schon fünf lange Jahre ins Land gegangen und schon verzweifelte Ilna daran, jemals von der Hexe das Geheimnis des Sees im Walde zu erfahren. Da kam eines Tages die Alte sehr vergnügt nach Hause, sie hatte eine seltene Wurzel gefunden, die ein schreckliches Gift enthielt. Sogleich mußte Ilna das Feuer anzünden, und den großen Hexenkessel darüber hängen. Dann fing die Alte drei große Ratten, schnitt ihnen die Köpfe ab und ließ das Blut in den Kessel fließen. Auch die Köpfe und Schwänze warf sie hinein. Dazu tat sie ein paar Schlangen, zwölf Krähenfüße und sechs Krähenköpfe und eine Menge giftiger Flüssigkeiten aus allen möglichen Töpfen. Endlich kamen die Kräuter hinzu, Bilsenkraut, Fingerhut, Schierling und Nachtschatten und zuletzt die neue Giftwurzel. – Als alles im Kessel war, zog die Brombeerhexe ihre Zauberkreise und sang die Beschwörungsworte, Ilna aber mußte rühren. Sie rührte mit dem großen Suppenlöffel stundenlang, so stark sie konnte, daß ihr der Schweiß von der Stirne lief. Endlich war die Suppe gar und die Alte kostete. Sie war entzückt, solch ein herrliches Süppchen hatte sie noch Tag ihres Lebens nicht gegessen! Sie war sehr zufrieden und fing an mit Ilna zu plaudern. Sie erzählte ihr viel Wunderbares und sprach schließlich auch von dem mächtigen Zauberer, dem der Waldsee gehörte. »Unverwundbar ist er und niemand kann ihm ein Leid antun,« rief sie. »Nur die Brombeerhexe weiß, wie ihm beizukommen ist!« – »Wie denn?« frug Ilna und tat so, als ob es ihr ganz gleichgültig sei.– »Einen Bogen muß man haben und einen Pfeil, die mit Mädchenblut getränkt sind. Nur die können ihm schaden!« antwortete die Alte. Da frug Ilna weiter, wie man denn zu dem See gelangen könne. Und die Alte erzählte, daß kein Wasser der Erde die Flammen zu löschen imstande sei, nur Tränen vermöchten es. Das Tor aber, das durch die hohe Mauer führe, könne kein Schlüssel aufschließen und kein Hammer zertrümmern, nur einen Schlüssel gäbe es, das sei der abgeschnittene Finger eines Mägdleins. – Ilna konnte kaum ihre Freude verbergen, als sie das alles hörte, doch nahm sie sich zusammen und tat so, als ob sie schliefe.

Nun wußte Ilna, was sie zu tun hatte, sie mußte die drei Mittel erwerben, um den Froschprinzen zu erlösen. Die Tränen konnte sie am ehesten beschaffen, denn sie weinte ja jeden Tag stundenlang. Sie sammelte wochenlang ihre Tränen in ein Fläschchen, bis sie dieses bis zum Rande gefüllt hatte. Als sie eines Tages sah, daß es voll war, freute sie sich so, daß sie ganz vergaß, eine Suppe, die ihr die Alte zu kochen aufgegeben, weiter zu rühren, so daß diese vollständig verbrannte. Die Brombeerhexe kam bald nach Hause und geriet außer sich vor Zorn. Sie riß ihr die Lumpen vom Rücken, ergriff einen langen Dornstecken und schlug das arme Mädchen, daß ihr das Blut herunterlief. Dann ging sie fluchend weg, um neue Kräuter zu sammeln. Unterdessen stand Ilna schluchzend auf und wusch sich das Blut ab. Da sah sie den blutbefleckten Dornstock am Boden liegen, schnell bückte sie sich, hob ihn auf und befreite ihn von den Dornen. Oben schnitt sie ein Stück ab, daraus schnitzte sie einen Pfeil mit scharfer Spitze. Das andere Stück kerbte sie an beiden Seiten ein, um es als Bogen herzurichten. Dann schnitt sie ein paar ihrer langen Locken ab und flocht daraus eine starke Sehne, die spannte sie auf den Bogen. Das schwerste aber stand ihr noch bevor, doch zögerte sie keinen Augenblick, schnell ergriff sie das Hackmesser der alten Hexe, legte die linke Hand auf den Tisch und hieb sich den kleinen Finger ab. Sie stillte das Blut, verbiß ihren Schmerz und wickelte das Fingerchen in ein leinenes Tuch. Dann ergriff sie das Tränenfläschchen, nahm Pfeil und Bogen und schritt aus der Hütte. Sie warf die Tür zu, daß sie krachte und eilte mit langen Sprüngen in den Wald. Viele Stunden schritt sie einher, so schnell sie konnte, um ja recht bald an den Waldsee zu gelangen. Endlich sah sie einen hellen Feuerschein zwischen den Bäumen. Sie lief hin und sah eine himmelhohe Flamme, die im Winde wehte und sie schier zu versengen drohte. Da zog Ilna ihr Fläschchen hervor und schleuderte es weit hinein, daß es klirrend zerbrach und alle seine Tränen in die Flammen ergoß. Wo aber die Tränen hinflossen, zischte das Feuer hell auf und erlosch, so daß Ilna ohne Gefahr, sich zu verbrennen, mit ihren nackten Füßchen frei hindurchschreiten konnte, während rechts und links die Flammen noch hoch emporloderten. Sie kam an die steile Felsenmauer, gerade an das breite eiserne Tor, nahm das Fingerchen aus dem Tuche, steckte es tief in das Schlüsselloch und drehte dreimal herum. Als der seltsame Schlüssel die dritte Drehung getan, hatte, gab es einen donnerähnlichen Krach, das mächtige Tor flog auf und Ilna stand dicht vor dem großen, kreisrunden See. Schon wollte sie laut nach ihrem Frosch rufen, da sah sie hoch in den Lüften den schwarzen Reiher heranfliegen, der wohl den Krach des aufspringenden Tores gehört hatte. Er schoß mit gewaltigen Flügelschlägen mitten in den See hinein, um gleich darauf wieder emporzufliegen mit einem kleinen Frosche in dem langen Schnabel. Ilna erkannte ihn gleich, es war ihr Frosch, den ihr der böse Zauberer noch im letzten Augenblicke wieder entreißen wollte. Sie legte schnell ihren Pfeil auf den Bogen, spannte, schnellte ab und traf den Reiher, der gerade über ihren Kopf daherflog, mitten ins Herz. Der Reiher ließ den Frosch fallen und stürzte nach einem letzten heiseren Krächzen laut in den See. Ilna aber breitete ihr Röckchen aus, um den Frosch aufzufangen und bumps! da saß er auch schon in ihrem Schoß. Sie jauchzte vor Entzücken, nahm ihn in die Hand, schloß die Augen und küßte ihn rasch ein-, zwei-, dreimal mitten auf sein breites Maul. Wie sie nun nach dem dritten Kuß die Augen wieder aufschlug, da stand vor ihr ein wunderschöner, junger Prinz, der zog sie an seine Brust und frug, ob sie nun auch seine kleine Braut sein wolle. Freudig sagte Ilna: »Ja!« Und dann nahm sie der Prinz auf seine Arme und trug sie über den Tränenpfad zwischen den Flammen hindurch und weiter durch den Wald, bis sie nach Burg Ulmheim kamen.

Dort, wo all die Zeit nur Trauer und Herzeleid über den Verlust des Töchterleins geherrscht hatte, zog jetzt Lust und Fröhlichkeit ein. Der Graf und die Gräfin und die jungen Grafen und alle Leute waren so froh über die Ankunft des längst totgeglaubten Mägdleins und ihres schönen Prinzen, daß sie sich vor Freude gar nicht fassen konnten. Und bald machte man Hochzeit, und da setzte die alte Gräfin beim Festschmause ihrem Schwiegersohne wieder ein Milchsüppchen vor mit dickem Rahm darauf und Ameiseneier und Fliegenlendenbraten und Honig aus Veilchen und Vergißmeinnicht, denn das hielt sie für einen sehr guten Witz. Der Prinz lachte und Ilna setzte sich auf seinen Schoß, nahm ein goldenes Löffelchen und fütterte ihn, wie sie es früher getan hatte, als er noch ein garstiger, kleiner Quakfrosch gewesen war. – Und alle lachten und freuten sich und waren lustig und guter Dinge ihr Leben lang.


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