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Während des dreißigjährigen Krieges, der so unsägliches Elend über ganz Deutschland brachte, geschah es einmal, daß auch die Bewohner von Thale in die benachbarten Wälder fliehen mußten, alle ihre unbewegliche Habe den rohen Kriegerhorden und den Schnapphähnen preisgebend, welche den Truppen überall hin auf dem Fuße nachfolgten und, sich die Verwirrung und den allgemeinen Schrecken zu Nutze machend, beinahe ebenso schlimm wirthschafteten als diese selbst.
Unter den Flüchtlingen befanden sich auch zwei junge Mädchen, welche jedoch mit den übrigen nicht fortzukommen vermochten, da sie eine altersschwache Großmutter bei sich hatten, die nur von ihnen gestützt sich langsam fortbewegen konnte und häufig ausruhen mußte. So hatten denn die drei Frauen natürlich sehr bald die eiligen Genossen aus den Augen verloren und irrten aufs Gerathewohl durch die unbekannten Gründe, bis sie nach langer, langer Wanderung endlich den Eingang zu einer geräumigen Höhle entdeckten, die ihnen sichern Schutz zu bieten versprach.
Gott aus tiefstem Herzensgrunde für die Auffindung dieser Zufluchtsstätte dankend, brachten sie die halbtodte Ahne an das äußerste Ende der tief in den Berg eindringenden Höhle, während sie selbst wieder in den Wald hinauseilten um Moos herbeizuholen, welches der alten Frau als Lagerstatt dienen sollte.
Wie groß aber war der Schrecken der hülflosen Frauen, als etwa in der Mitte der Nacht plötzlich heller Lichtschein die Höhle erleuchtete und gleich darnach zwei Männer mit brennenden Fackeln eintreten, die einen an den Händen gefesselten Greis an einen derben Strick hinter sich herschleppten, auf dessen Rücken sie wiederholt ihre knotigen Stöcke niedersausen ließen, unbekümmert um die Wehrufe des Bedauernswürdigen. Den Zuschauerinnen erstarrte das Blut bei diesem Anblicke und sie drückten sich so dicht als möglich in ihrem Winkel zusammen, welchen das Licht glücklicherweise nicht erreichte.
Die Schnapphähne, denn nur solche konnten es sein, banden indessen ihrem Gefangenen auch die Füße zusammen, wobei sie es an Knüffen und Püffen wieder nicht fehlen ließen, trotzdem er ihrem Beginnen keinerlei Widerstand entgegensetzte. Dann aber machten sie es sich selbst bequem und schleppten von draußen allerlei Mundvorräthe und sogar ein Fäßchen herbei, welches sofort angestochen wurde und dessen Erscheinen die Mädchen auf die Vermuthung brachte, daß die bösen Gesellen wohl einen Karren oder ein Lastthier mit sich führen müßten.
»Kinder, Kinder, was soll aus uns werden, wenn es ihnen einfällt bis nach hierher zu kommen?« jammerte leise die Großmutter, vor Schrecken und Angst am ganzen Körper zitternd.
»Sie werden nicht kommen, Großmütterchen, wenn wir uns nicht selbst verrathen,« wisperten die Mädchen obgleich sie selbst vor Furcht vergehen zu müssen glaubten, »verhaltet Euch darum nur ganz stille. Ihr seht ja, sie richten sich zur sorglosen Mahlzeit ein.«
Und so war es auch in der That. Die Wegelagerer oder was sie sonst sein mochten, ließen sich die geraubten Lebensmittel trefflich schmecken und als sie sich zur Genüge gesättigt hatten, begannen sie erst recht zu trinken und tolle Lieder zu singen, ohne nur ein einziges Mal nach dem alten Manne zu schauen, der wimmernd am Boden lag und vergebens einen kühlenden Trunk erflehte.
Die beiden Burschen mußten sich auch wirklich in vollständiger Sicherheit glauben, denn sie trafen nicht die geringsten Vorsichtsmaßregeln und tranken so lange fort, bis einer nach dem andern berauscht zu Boden sank.
Die Mädchen athmeten erleichtert auf, als sie die beiden Spießgesellen regungslos liegen sahen und in höchster Spannung lauschten sie auf die tiefen schnarrenden Athemzüge, die bis in den Hintergrund der Höhle drangen. Hierauf flüsterten sie ein Weilchen zusammen, um sich endlich zur Großmutter zu wenden, deren Lippen leise Gebete murmelten.
»Wir müssen fliehen, Großmütterchen,« flüsterte Bertha, die ältere der beiden, »wenn diese Männer am hellen Tage erwachen, möchten sie uns am Ende doch bemerken und dann wären wir verloren.«
»Wie können wir es, Kinder, da sie quer vor dem Eingange liegen?« stöhnte die alte Frau.
»Wir steigen über sie hinüber und weil Ihr dies doch wohl nicht fertig bringen würdet, so nehme ich Euch auf den Rücken. O, Ihr braucht nichts zu fürchten, Großmutter, ich bin stark und Ihr seid keine schwere Bürde,« tröstete Traude.
Dann beriechen die Schwestern wieder ein Weilchen, worauf sich Bertha vorsichtig zu dem etwas abseits von den Männern liegenden Greise schlich und ihm durch allerlei Zeichen bedeutete, er möge ja keinen Laut von sich geben. Der Alte verstand ihre Geberden und schnell lösten ihre geschickten Finger die hemmenden Fesseln.
Inzwischen hatte Traude die Ahne auf den Rücken genommen, die angstvoll klagte:
»Wohin sollen wir uns wenden, wie so schnell fortkommen, daß uns die Unholde nicht einholen können, wenn sie sehen, daß ihr Gefangener verschwunden ist? Laßt uns Alten zurück, Kinder, und flüchtet allein.«
»Wir haben vorhin ein Pferd wiehern hören, es wird Euch tragen, doch seid nun still.«
Und vorsichtig jeden Schritt erwägend, mit stockendem Athem und stürmisch pochenden Herzen schritt Traude die Höhle entlang und stieg ohne ihn zu berühren, über einen der Trunkenen hinweg. Die kühleren Lüfte, die dem Anbrechen des Morgens voranzugehen pflegen, strichen über ihre brennende Stirn, aber die Gefahr war darum doch noch lange nicht vorüber. Bertha mit dem Gefangenen auf dem Rücken, den die ausgestandenen Mißhandlungen zu jeder selbstständigen Bewegung unfähig machten, hatte noch das gleiche Wagniß zu bestehen und dann galt es aus der Nähe der Höhle zu entkommen, wo die Männer jeden Augenblick erwachen konnten.
Keuchend gelangte endlich auch die Schwester ins Freie und noch lagen die Berauschten in todesähnlichem Schlafe. Trotzdem durften sie nicht säumen und hastig suchten die Mädchen die nähere Umgebung nach dem Pferde ab, dessen Wiehern sie zu wiederholten Malen vernommen hatten. – Ah, da stand es, an einen Baum gebunden, den Rücken mit einem Korbe beladen, den Kopf zur Erde gesenkt.
Flink kehrten die tapfern Kinder zurück und als jede sich von neuem mit ihrer Bürde beladen hatte, trugen sie die beiden Alten, so rasch es gehen wollte zu dem Pferde hin, auf dessen Rücken sie ihnen einen sichern Sitz bereiteten.
»Und nun in Gottes Namen vorwärts!« sagte die ältere Schwester, den Zügel erfassend und das Thier in den Wald lenkend, auf dessen weichem Moosboden der Hufschlag nicht so hörbar wurde.
Wohl an zwei Stunden ging es in dieser Weise eilig vorwärts, ohne daß sich die Mädchen auch nur eine sekundenlange Ruhe gegönnt hätten, bis sie endlich eine Heerstraße erreichten und auf dieser mit einer Anzahl Flüchtiger zusammentrafen, die sie nun auf dem Rückwege nach ihrem Heimathsorte befanden, in welchem sich die durchziehenden Kriegsschaaren nicht aufgehalten hatten.
Wie nun die höchste Gefahr glücklich abgewendet war und die alten Leute sich auch ein wenig gestärkt hatten, umarmte der Greis seine muthigen Retterinnen und erzählte, daß er ein wohlhabender Bürger aus Quedlinburg sei und sammt seinem Pferde, demselben auf welchen er nun mit der Ahne ritt, von den gottvergessenen Schnapphähnen aufgegriffen, beraubt, mißhandelt und nach mancherlei Kreuz- und Querfahrten nach der Höhle geschleppt wurde, wo sich die opferwilligen Mädchen seiner Noth erbarmt hatten. Er sei, nichts Schlimmes ahnend, wenige Tage zuvor von Ilfeld aufgebrochen und würde wohl die Heimath nimmer wiedergesehen haben ohne das Schwesterpaar, welches ihn nun zum Lohne für so edle That nach Quedlinburg begleiten müsse.
»Wir danken Euch für dieses Anerbieten, guter Herr, aber wir können die Ahne nicht verlassen, die niemanden als uns hat, sie zu ernähren und zu pflegen,« sprachen die Schwestern.
»Ich biete der Ahne eine Heimath in meinem Hause wie ich sie Euch biete. Ich bin ein einsamer Mann und Ihr sollt meine Töchter sein,« sagte er.
So kamen die beiden Mädchen mit ihrer Großmutter nach Quedlinburg, wo sie ob des bewiesenen Muthes und ob ihrer Selbstlosigkeit hoch geehrt wurden und bald als die treuen Hausfrauen ehrsamer Bürger ein neues Leben begannen.