Heinrich Federer
Wander- und Wundergeschichten aus dem Süden
Heinrich Federer

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Aber der Tabernakel schwieg zu dieser Beichte, und dem Knaben kam dies wie eine Unzufriedenheit des Jesuskindes vor, weil er sich so übel entschuldigte. Er fühlte, daß seine Erklärungen weder Hand noch Fuß und einen ganz irren Kopf hätten. »Lieber Herre Christ,« fuhr er verbessernd fort, »gewiß, du weißt, es sind eben nur Leibeigene, aber ich will jetzt auch mit ihnen besser sein . . . und mit allen . . . es ist unheimlich hier . . . wir Kinder sind ja allein wach. Lieber Gott da drinnen, nichts für ungut, nichts für ungut, ich rede zu grob. Anita, wollen wir zusammensitzen? Komm, da auf den obersten Tritt! sitzen wir. Ich bin dir kein Bröcklein böse. Sei's du auch nicht!«

Der blaue Stolz seiner Augen versuchte den demütigsten Blick hervorzunehmen, der ihm möglich war. Er bot dem Kind den Arm, aber es trat ein bißchen zurück und sagte: »Was nützt das? Fiero, ach mein schöner Fiero stirbt doch. Gestern, weißt du auch . . .«

»Was gestern?« drängte er erschrocken.

»Gestern hat es ihn geschüttelt vor Kälte mitten in der Sonne, und sein Bein ist so . . . sieh, so dick geschwollen,« sie fuhr mit beiden zierlich behandschuhten Händchen rundum, als führe sie um einen Baumstamm; »und meine Mutter hatte den ganzen Tag rote Augen . . . ich merke, Fiero muß sterben.«

»Nein, nein,« sagte Ettore mit einem schaudernden Blick auf die alten Steinsärge in den Nischen des Kirchenschiffs, »nein, er stirbt nicht. Komm, wir wollen jetzt für ihn beten. Wollen wir? so hübsch zusammen? Wir sind Benoni und Quatri, wir sind Feinde. Aber das macht doch nichts. Das gefällt dem Herrn Christ gerade, wenn wir zusammen beten.«

»Aber wie,« zögerte sie noch und ließ doch ihre Hand fassen, »wie können wir denn mitsammen das Gleiche beten?« Doch schon fiel sie neben ihm aufs Knie und ließ es geschehen, daß er ihren Arm in den seinigen schob, wie ein höflicher Ritter, aber so locker, daß beide die Hände doch falten könnten.

»Sprich mir nur nach, was ich bete,« gebot der Junge. Er blickte auf und sah über dem Tabernakel den Gekreuzigten, und am Fuße stand ein Henker und hatte das Gewand rosenrot vom Blut des Herrn bespritzt. So voll Blut sah er sich nun selber vor dem Heiland knien. Er sah Fiero mit seinem schafblonden, herrlichen Kraushaar und den tiefgrauen, gedankenreichen Augen da und dort unter den Grabplatten der verstorbenen Chorherren aufstehen, immer hoch auf einem Bein stehend, aber das andere mühsam nachschleppend und so gegen ihn hinkend und von weitem auf ihn deutend. O Gott im Himmel, fürwahr, er war ein elender Bub, aber morden hatte er wahrhaftig nie wollen.

»Du zitterst ja,« sagte Anita, jetzt voll Mutes im Arm des Knaben.

»Ja, ich fürchte mich.«

»Vor wem denn?«

»Ach Gott, ich weiß nicht . . .«

»Ist es denn Zwölfe? sag', kommen wohl die Toten aus dem Boden dort herfür . . . dort?«

»Nein, nein, die haben wohl Ruhe.«

»Kommt es denn von da oben?« sie zeigte gegen den Altar.

»Nein, nein, Gott ist gut.«

»Warum hast du denn so Angst?«

»Weil ich . . . ach, du . . . ich glaub', ich fürchte mich vor . . . mir selber, ich bin so schmutzig, so . . . so rot von Blut, so . . . ach, Anita, beten wir schnell! . . . Lieber Herr Jesus, Anita sagt, daß Fiero stirbt, weil ich ihn gestochen habe. Das darf nicht sein. Er muß leben. Er ist fast noch so jung wie ich. Und hat so schönes Haar . . . das schönste auf der Welt . . . und schon eine tiefe Stimme wie ein Mann. O, er kann dir Lieder singen, Jesus, wie eine große Trompete.«

Anita preßte sich inniger an Ettore. Wie schön betet er. So schlimm ist er also doch nicht. Fast könnten sie gut mitsammen werden. Tränlein, aber viel mildere rinnen ihr wieder die Backen hinunter.

»Er wird dir einen Psalm singen, morgen schon! ich selber helf' ihn daher tragen. Ich will knien vor ihm. Noch hab' ich nirgends als in der Kirche gekniet. Aber vor Fiero tu ich's und küß ihm das arme Bein und bitt' und bet' ihn, bis er mir die Hand gibt und mir Freund sagt . . . o ja, ich küss' ihm das Gift aus der Wunde, als wär's süßer Wein, gerade wie der Santo Francesco hier im Hospedale tat . . . Ich kann's auch . . . o ich kann's sehr leicht . . . O Jesus Christus,« fuhr er immer glühender fort, »ich . . . schau, schau das Schwert hier!« er nestelte es eifrig los . . . »das geb' ich dir. Ich will's da lassen, bis ich fromm bin. Da!« . . . Er legte sein liebes Gewaffen auf den Altartisch, über die beiden Kirchlein. »Mir war lange nichts als Zorn im Herzen. Und ich hab' schon ewig Zeit nicht mehr gebetet. Darum ist es so gekommen . . . Aber nun sieh, da ist unser Stiftkirchlein. Ist es nicht schön? Doch hier steht auch noch das Quatrikirchlein. Es dünkt mich doch auch gut. Anita und ich streiten nicht mehr darum.«

»Nein, wir zwei gewiß nicht!« flüsterte sie in seinem Arm und von ihm fest in den Knien gehalten. »Wir wollen uns immer lieb haben.«

»Wo du bist, Herre Gott,« begeisterte sich der hitzige Junker immer mehr, »da wird wohl auch die rechte Kirche sein. So wie die . . . oder wie die! Wenn nur du drin bist! Eigentlich weiß ich nicht, warum die Alten so zanken mögen. Wir zwei da sind Bruder und Schwester geworden und zanken nie mehr! Hörst du uns, Jesu, sag', hörst du uns? Oder bist du . . .« ging es auf einmal sehr zögernd über seinen regen Mund, »bist du wohl böse, weil wir nicht mit den andern am Weißen Sonntag zu dir gekommen sind? Wir konnten doch nicht! Wir waren beide so furchtbar zornig. Aber jetzt kämen wir gar gern. Wenn du uns jetzt noch wolltest, nicht wahr, Anita? Wenn du die zwei Türchen auftätest und zu uns herunter stiegest! Ich glaub', jetzt wären wir gut . . . Ich wollte dich fragen, gefällt dir die Benonikirche? Das frag' ich nun nicht mehr. Gefallen wir dir? frag' ich jetzt. Was sollen wir machen, daß du wieder gut mit uns bist?« . . .

Immer wieder schauerte Ettore ein bißchen im Rücken zusammen und schielte in die schwarze Kirche hinunter und erschrak vor dem schweren Hammer, den draußen irgendein Stadtwächter zur Stundenzeit an die Eisenplatten des Zeitturms schlug. Wie war es dunkel! und wie waren sie allein! wie so gar nicht könnten sie sich jetzt vor dem Bösen helfen! Wie hatte der Herrgott sie so ganz in der Hand! Nie war ihm das so bewußt geworden.

»Ettore,« erinnerte jetzt Anita, »für den Fiero!«

»Ja, lieber Christ, den Fiero mußt du gesund machen, wenn der Pfarrer morgen diese zwei Kirchlein segnet. Das schöne dort ist ja seines, und er wollte es zum Heiligen Vater tragen. Ach, tu' ein Wunder, mach' ihn sogleich gesund! Sonst wird Anita wieder weinen und böse auf mich sein und der wüste Streit . . .«

Anita glaubte, nein, sie könnte auch dann nicht mehr zürnen . . . aber sie sollte doch wohl! Lieber Himmel, was machen? Vor Verwirrung begann sie aufs neue leis zu weinen.

»Sieh, lieber Gott, wie sein Schwesterlein sich grämt! So mach' den Fiero doch morgen unter der Messe gesund! Wär' es nur schon Morgen!«

Anita hatte die einen Worte mitgebetet, die andern andächtig angehört. Sie umfing jetzt ihren Gespan mit beiden müden Armen. Beinahe fiel sie vor Elendigkeit um. Da setzte Ettore sie neben sich auf die Stufe, legte ihr Köpflein auf ein Knie, streichelte ihr übers flammendgelbe Haar und schlief mit überhängendem Kopfe noch vor ihr ein. War er ja jetzt erst ein zwölfjähriges Junkerlein.

Als Aldo Aldi am Morgen in einer Stimmung traurigster Nüchternheit die Meßgewänder anzog, erzählte ihm der alte Crispino, da und dort die Albe zurecht zupfend und die Falten gleichmäßig ordnend, daß man die beiden Kredenzkinder übereinander hangend wie zwei junge Bäumchen auf der obersten Altarstufe in einem köstlichen Schlaf betroffen habe, schwarzes Haar in blondem Haar und die bitterfeinden Farben Gelb und Blau versöhnt beisammen, zum erstenmal seit dem großen Streit. Auch die zwei Kirchlein seien auf dem Altar eng zusammengestellt gewesen, als ob ein Engel des Friedens nachts da seines schönen Amtes gewaltet hätte. Die Bedienten hätten in den Polstern des Chorgestühls gelegen. Als er die Kinder dann weckte, da hätten sie zusammen wie Bruder und Schwester getan und gar nicht mehr wie Katz' und Hund von gestern. Und hätten ein weniges gegessen und getrunken und dann miteinander die Kirchlein bewundert und belobt. Eine halbe Stunde vor der Messe seien dann die Beiden Hand in Hand zur Kirche hinausgegangen, um, wie sie sagten, Bruder Fiero hieher zu tragen. Denn es gebe ein Wunder. Fiero würde plötzlich beim Segen gesund.

Der Erzpriester seufzte und nickte und schüttelte wieder den kahlen Kopf und kreuzte dann die Stola über der Brust. Was Wunder? keine gibt es, gar keine! . . . Nichts geriet ihm ja im Mörser, nichts im Fläschchen . . . und hatte er doch alle dreimal drei arabischen Gesetzlein sauber und scharf eingehalten. Nicht einmal solche Wunder gab es . . . Und so voll war er von allem, von Schwermut wegen der nutzlosen Nacht und von Gram wegen des bevorstehenden Streites, daß er weder bei diesem heiligen Kleid, noch bei der herrlichen Kasel das vorgeschriebene Gebetlein verrichtete. Das Getöse draußen in der offenen Kirche machte ihm bange. Endlich läutete die Stundenglocke. Er schritt mit den Ministranten zum kerzenhellen Altar. Das Volk füllte die Kirche bis an die Stufen. Aber trotz der Enge lief wieder jene breite leere Straße des Hasses wie gestern durchs ganze Schiff hinunter und bis zum Altar herauf. Aber als Aldo Aldi Buch und Kelch geordnet hatte und über die sechs Stufen zum StaffelgebetHier beginnt die hl. Messe und daraus stammen die rituellen Ausdrücke im folgenden. hinabschritt, hielt er auf dem zweiten Tritt still, denn durch eben diese häßliche Straße herauf kam eine Bahre, vorne von Anita und ihrem kleinen Bruder Felice, hinten am schweren Kopfende von Ettore allein getragen. Aber dieser schien nicht müd', sondern seine Augen lachten wie zwei Riesensterne. Auf der Bahre lag in junkerlichem Anzug, nur das eine kranke Bein von seidenen Schärpen verhüllt, der vierzehnjährige Fiero. Sein Kopf ward von einem feinen, weißwolligen Kraushaar überschüttet und lag auf einem dunkelroten Samtkissen. Das schmale, peinlich zarte und harte Gesicht war von einer schwachen Röte durchschimmert. Die langen fieberbraunen Lippen preßte er fest zusammen, um ja keinem Schmerz Laut zu geben, nicht einmal dem leisesten Seufzerlein. Denn Fiero war gegen andere sehr hart, aber gegen sich kannte er schon gar keine Weichseligkeit. Jedoch die silbergrauen Augen sahen voll Neugier und Freude in der Kirche herum. Da war er wieder einmal mitten in vielem Volk. Und wie? Sein schlimmster Feind trug ihn demütig. Wie einen Prinzen brachte man ihn zum Altar. Eine leise, hochmütige Befriedigung überhauchte das gescheite und feine Gesicht.

Ettore und Anita und der kleine Felice gingen hinten und vorne mit der Bahre, und nichts als Fröhlichkeit lag auf ihrer Miene. Sieh' da, dachte Aldo Aldi, die Straße des Hasses, und jetzt geht doch die reinste Liebe darüber! Auf einmal ward sein Sinn heiterer und mit einer tröstlichen Stimme begann er: Introibo ad altare Dei!Ich will zum Altar Gottes treten, Psalm 42.

Die zwei feindlichen Stadtvölker folgten der heiligen Messe auf ihre Art. Jedes sah zu seinem Stiftkirchlein wie zu der allein seligmachenden Arche. Wer nicht in diese Arche gehört, wird ertrinken. Es lag kein frommes Wesen in diesem Gedanken. Zu sehr hatte sich diese Arche in einen weltlichen Palast der Herrschaft, in einen Amtsstuhl, in eine Geldkasse, in einen Prügel und Strick der Tyrannei verwandelt. Es war ein Parteihimmel, den sich die Quatri und Benoni am Modell dieser Tempelchen erbauen wollten. Während sie dort selig wären, müßten die Gegner in der Parteihölle grausam im Feuer lodern.

Sie beteten zur Messe des Priesters, riefen Amen und Deo gratias. Der Herr sei mit euch! wünschte der Priester. Mit euch! das hieß, mit uns, nur mit unserer Partei! nicht mit denen da drüben! Und dankbar antworteten sie: und der Herr sei auch mit dir, Priester Gottes! Et cum Spiritu tuo!

Ettore war selig. Er hatte wirklich Fiero in seiner Kammer aufgesucht und, da er ihn wie einen gemarterten Engel liegen sah, war er vor ihm auf den Boden gefallen, hatte versucht, seine verdorrte Lippe zu küssen und hatte gesagt: »Fiero, ich stehe erst auf, wenn du sagst: ich verzeihe dir!« Und er bückte sich so tief und flehte so lang und Anita half so treulich mit, daß der scheinbar so höfliche, aber im Herzen so harte Fiero endlich knapp sagte: er denke nicht mehr an den dummen Streit. Da kam Fieros Mutter und band dem Sohn das Bein frisch ein. Als Ettore die Wunde sah, wäre er fast platt zur Erde gestürzt. So ein grausiges, eiterndes Mal, voll Blut und verbranntem Fleisch, bis zum Knochen aufgesperrt wie ein Schlangenmaul, hatte er noch nie erschaut. Er ward einen Augenblick starr. Dann goß er ein so großes Weinen aus, so wild und schwer und sterbensbleich, als liefe seine Seele mit den Tränen aus ihm. Er bat Fiero wie einen Herrgott um eine Strafe und um das Wort Gnade. Und der weißblonde, eiserne Trotzkopf fühlte sein Erz schmelzen und streichelte den jungen Büßer ein wenig übers Haar in den Nacken hinunter und sagte dann doch mit ordentlicher Strenge: Wenn Ettore ihn zur Kirche trage, barhaupt, ohne Schwert, in bloßen Sandeln, und zwar am Kopfende, wo es schwerer sei, und nie unterwegs abstelle, dann wolle er ihm herzlich verzeihen und Bruder sagen, wiewohl er eben doch ein Mohr, aber ein blauäugiger sei.

Nun stand die vornehme Tragbahre vor dem Altar und Ettore barfuß und barhaupt und ohne Waffe kniete zu Häupten, so daß er mit seinem Mohrenkopf gerade ans eckige Kinn des Fiero reichte und ihm ganz nahe ins Auge schauen konnte, wenn das Wunder geschehe und der Freund plötzlich zuerst mit ganz neuen Blicken lache, dann juble mit dem so sparsamen Mund und dann heil aus dem Pfühl springe. Zu Füßen der Bahre kniete das Mägdlein und der ganz kleine Felice. Ettore horchte beflissen, was Fiero wohl bete, damit er das gleiche Wort zum Heiland schicke. Aber Fiero betete zwischen seinen verbrannten, engen Lippen so leis, daß Ettore sich fast an seinen Mund halten mußte, um ihn zu verstehen. Es mußte das Pater noster sein, denn eben erhaschte er: adveniat regnum tuum! Im selben Moment kehrte sich auch der Pfarrer am Altar und bat: Orate, fratres und wieder, wie so oft in letzter Zeit, wollte ihm beim herrlichen Wort fratres eine herzliche Bitterkeit aufsteigen. Da sah er schon im Umwenden, wie dort unten an der Bahre das lammweiße mit dem mohrenschwarzen Junkerhaar zusammenfloß, und gleich meldete sich eine kleine Hoffnung, daß doch wohl auch einige Gebete sich vor diesem Tabernakel zusammenfänden, wie jene Köpfe, ja daß vielleicht in dieser gespaltenen Kirche doch mehr Brüder lebten, als der kurze Menschensinn zusammenklauben möge.

Vor der Kirche stampften die Reitpferde der Deputationen, denn gleich nach dem Segen wollte man aufbrechen. Maultiere mit Damensätteln beschnupperten die feuchte Kirchenmauer, Wagen wurden angeschirrt und Krippen mit Haferfutter den Zugtieren vorgestellt. Viele Leute waren mit dem Schmücken der Gäule beschäftigt und mit dem Bestecken der Kränze an den Wagen mit gelben und weißen Seerosen. Die zwei Bannerträger des Zuges aber standen in der Kirche vorn am Altar, und der eine schwenkte leise die blaue Benoniseide, der andere suchte ihn mit der zitronengelben Quatriherrlichkeit zu übertrumpfen. Auch die blumenstreuenden Kinder waren hier am Chorgestühl aufgestellt, rings um die zwei Sänften, die, in plustrigen Samt geschlagen, für die beiden Kredenzkinder bereitgehalten wurden. Ein großer Haufe Volkes hatte Stab, Gurt und Geldkatze bei sich, um gleich den Weg von der Messe weg nach Orvieto hinauf mitzumachen.

Als es nun zur heiligen Wandlung kam, flüsterte Ettore dem Fiero fast in den heißen Mund hinein: »Du, ich habe Jesum gebeten, daß er dich gesund mache. Jetzt kommt der Gott! Paß auf, bete auch, du weißt, San Francesco . . .«

Fiero nickte leicht und ward ernster als zuvor. Ei ja, das weiß jedes Kind, wie der heilige Franz durch Bolsena gelaufen und vom begierigen Volk das Gäßlein gesperrt und im Gedrücke der Hunderte ein fünfjähriges Knäblein totgetreten ward. Steif wie ein Holz ward es dem heiligen Bettelmann auf die Arme gelegt. Franz wiegte es ein wenig her und hin, schüttelte den Körper leicht, wie man tut, um einen Schläfer sänftiglich zu wecken, atmete mächtig gen Himmel auf und rief ein paar heiße Worte, indem er das Kreuz über das erkaltete Stirnlein mit gewaltigem Schwunge schlug. Da hörte man das Kind auch schon überlaut lachen vor rotem, bis in die Fingernägel zurückkehrendem, allmächtigem Leben. Nun was der heilige Franz kann, kann der heilige Christ der Wandlung auch. Und unzählig viel mehr kann er. Zwar haben Fieros Mutter und jüngstes, unschuldiges Brüderchen oft und oft für den Kranken gebetet, und es hat nichts gefrommt. Aber jetzt, wenn der betet, der ihn krank gemacht hat, und so betet, daß seine Stirne schwitzt und seine Augen brennen, dann könnte es doch, zumal zu so einer besondern Gnadenzeit, geschehen, daß der Versehrte plötzlich heil würde. Jedenfalls will er jetzt mitbeten und dem Ettore für immer gut sein und mit ihm zum heiligsten Christ in aller Demut schreien: »Hilf mir, denn das Bein tut mehr weh, als so ein junger Junker lange aushalten könnte!«

Der Priester hob nun die Hostie und dann den Kelch hoch über sein Haupt empor und zeigte das Allerheiligste dem auf die Brust klopfenden Volke. Die Orgel bei so ungeheurem Geschehen wagte nur noch leis zu flüstern, wie ein Wald bei ankommendem Blitz und Donner. Aber dann nach der Wandlung schwellte sie an und jubelte ihr ganzes Festherz aus. Gott war da!

Aldo Aldi wollte im uralten Kanon der Messe weiter beten . . . Unde et memores Domine»Und so wollen wir eingedenk sein, o Herr . . .« So beginnt das klassisch schöne, uralte Gebet, worin der Priester nach der sog. Wandlung dem ewigen Vater seinen sich opfernden Sohn gleichsam vorstellt. . . .

Da beim Blick auf die verwandelte, still unter seinen gebreiteten Händen liegende Hostie mußte er plötzlich an das Experiment der verwichenen Nacht denken. Da hatte er auch mischen und verwandeln wollen . . . unter tiefsinnigen arabischen Sprüchen. Aber die Kohle war Kohle und das Kernlein ein ganz elendes Kernlein geblieben. Tod regierte, kein Leben wob. Aber hier auf dem Altar, jeden Morgen um die Zeit, auf diesem Tisch, bei ein paar ungeheuern Worten wird aus dem dünnen, weißen Hostienbrot Der, der alles Brot wachsen läßt . . . Der, der allein aus Tod Leben erntet.

Wird er? seh' ich's? bleibt nicht alles wie zuvor, Brot Brot? . . . Dann hätt' ich gestern auch ein Röslein gehabt. Nur nicht gesehen hab' ich's . . . Das sind sonderbare Wunder, die man nicht sieht! Doch was tu' ich? Beten, beten, nicht grübeln, armer Tropf ich! . . .

Supplices rogamus te, omnipotens . . . Deus . . .

Aber so hab' ich die Hostie noch nie gesehen, so schrecklich dünn und dürftig . . . und doch so hab' ich sie eilig in der Sakristei aus der Schachtel genommen und auf meinen Kelchteller gelegt. Das ist sie genau, gebacken über der Gasse bei den Franziskanerinnen und mit dem Ringschäufelchen rund geschnitten, aus Mehl, das im großen Kornfeld um den See herumrauscht . . . ich seh' nichts anderes . . . und doch muß es Christi atem- und blutdurchströmter Leib sein . . . weiß Gott, ich hab' gestern doch auch noch am Ende ein Röslein in Händen gehabt!

Weg mit den Zweifeln! . . . jube haec perferri per manus sancti angeli . . .

Wie mag es nur geschehen sein . . . so ein armes Hostiending mit fünf Wörtlein einer schwachen, irdischen Sprach' und Zunge . . . und wahrhaft ohne viel Geist oder Seele ausgesprochen . . . und das wäre nun nicht mehr Brot, sondern des Herren Leib, der Mann vom Kreuz und vom heiligen Grab, der Himmelfahrende und Jüngsttagrichter! Dieses weiße, runde, kleine, lautlose Stücklein Brot! . . . Kann man . . . kann man überhaupt aus etwas Totem Lebendiges machen? Ist das nicht Unvernunft? Und ist es Unsinn, so kann's auch Gott selber, der Allvernünftige, niemals! Und seit Jahren meng' und wäg' und grüble ich im tiefsten Stoff des Irdischen herum und bring' nicht einen lebendigen Halm heraus . . .

Weiter, weiter! Aldo Aldi ermuntert sich, will nicht mehr denken, nur noch beten und glauben. Die klassische Fürbitte für die Toten beginnt: Memento etiam Domine, famulorum famularumque tuarum, qui nos praecesserunt cum signo fidei»Erinnere dich auch, o Herr, deiner Diener und Dienerinnen, die uns im Zeichen des Glaubens vorausgegangen sind . . .« Uraltes kanonisches Gebet für die Verstorbenen. . . .

Cum signo fidei . . . mit dem Siegel des Glaubens! . . . O Gott, diese Toten durchs ganze Kirchenschiff, meine Vorgänger im Amt alle unter den Platten, die haben jetzt gesehen hinter den Vorhang Ewigkeit, die wissen, die könnten mir zeigen . . . oder auch nicht? auch nicht? . . . Torheit, ich verirre mich grauenhaft. Beten muß ich, nichts anderes. Für sie! Ich soll ihnen das ewige Licht erflehen . . . Aber wenn das da ein Stücklein Brot ist und weiter nichts, selbst etwas Totes, wie kann es dann andern ein seliges, ewiges Himmelsleben schaffen? Ach, was bete ich dann an einen Stein oder an eine Krume Weizenmehl! . . .

Der Priester stockt, ihm schwindelt vor Bedrängnis, er kommt nicht weiter. Wohl macht er sich unendliche Vorwürfe, verabscheut seine Zweifel, schreit wie ein hilflos Kind um Rat und Licht. Aber immer blinzelt ihn wieder das kleine, so regungslose Brot an, und er muß noch stärker grübeln, noch wilder zweifeln!

Das darf so nicht weitergehen. Er muß vorwärtskommen. Das Volk harrt. Das Volk kann nicht warten, bis er seiner Zweifel ledig geworden ist. Das Volk zweifelt nicht. Es will die bündige Messe und dann den Segen über seine Kirchlein und dann zum Papst aufbrechen, eh' die große Mittaghitze kommt. Rasch, spute dich, Mann! Was hat er nur?

Es kam das Pater noster. O wie schön und kristallrein beten es da unten die drei Kinder mit ihm! Klingend laut wie die obersten drei Glocken am Turm tönt es. Wie die glauben! O süßer Kinderglaube! Aldo Aldi brächte das Gebet sicher nicht zu Ende, wenn diese junge Kraft ihn nicht mitzwänge. Sein Pater noster schleppt sich an dem ihren hin, wie ein kraftloser Fechter von Helden gepackt und mit ihnen in den Sieg gerissen wird. Aber er hat keinen Teil an der Glorie. Wie haltlos war dieses Pater noster! Wie nichtig sein Kreuz mit der Patene! Er zittert am ganzen Leib und fühlt einen kalten Schweiß ausbrechen, wie er die Hostie aufs neue in die Hand nehmen muß, um sie zum Sinnbild und Gedächtnis des Todes am Kreuze in zwei Hälften zu brechen . . . Per eundem Dominum nostrum Jesum Christum, filium tuum . . . ich hab' nur Brot . . . ich hab' ja nur Brot . . . qui tecum vivit et regnat in unitate Spiritus sancti! Deus . . . ach, es ist Brot . . . per omnia saecula saeculorum . . .

Amen! rief das ganze Volk. Amen läutete es aus den wunderbar geläuterten Kinderherzen.

Pax Domini, er knickt mit bebender Hand die Hostie, sit sem . . . pe . . . r»Der Friede des Herrn sei immer mit euch!« . . . Himmel, Erde, Allmenschheit! was, was ist das? Aldo Aldi bringt keinen Ton mehr hervor, kann nicht mehr atmen, kann nur starr auf die angebrochene Hostie sehen. Denn da träufelt leise wie aus einem verwundeten Leib Tropfen um Tropfen wahrhaftes Blut, rotes, warmes Blut hervor. Es rieselt wie aus Wundmalen und netzt ringsum das weiße Tüchlein, worauf Kelch und Hostie ruhen. Und es duftet nicht wie Trauben oder wie Weizenkorn aus dieser lebendigen Hostie, es duftet dem Erzpriester deutlich wie der Atem eines Kindes entgegen. So hat es aus der Weihnachtskrippe geduftet und vielleicht auch so vom Kreuz herunter. Aldo Aldi sieht es mit weitaufgerissenen Augen an. Er beugt sich hinunter fast bis zum Tisch, er hört das leise Singen und Sickern des Blutes, ja er fühlt das Wunder mit allen Sinnen, es ist ein Schauen so herrlich, aber auch so furchtbar wie in die Ewigkeit.

Aber ich hab' doch auch das Wasser am Bolsener See bluten sehen, rafft er sich in Ohnmacht auf . . . dort war es Naturspiel . . . hab' nachts grüne Bäume brennen sehen . . . es war ein Spuk im heißen Kopf . . . O Gott, er greift sich an beide tosenden Schläfen . . . o . . . G . . o . . t . . t!

Nein, nein, ewig nein, das blutet und dampft und duftet weiter, dies allerheiligste Geblüt aus süßem Gottesleib und Aldo Aldi vernimmt einen Weltlärm . . . das Volk ums Kreuz? . . . hört er nicht Maria in der Tiefe beten? . . . schallt es nicht: es ist vollbracht! . . . Vater, in deine Hände empfehle ich meinen Geist? Ist er nicht auf Kalvaria?

Er kann nicht mehr an sich halten. Er schreit hoch auf, stürzt ins Knie, steht gar nicht wieder auf, schlägt auf die Brust und weint mit lauter zwiefacher Stimme des Schreckens und der heiligen Freude. Und wenn er die Augen wischt, so ist das Wunder immer noch da auf dem Tisch neben ihm, das ewige Blutbächlein der Seite Christi, die er mit seiner Lanze des Unglaubens aufgerissen hat, rieselt immer schöner und barmherziger über das Kelchtüchlein.

Das Volk hat zuerst gestutzt, dann die Köpfe vorgeschoben. Was ist mit dem Mann? wird ihm unwohl? Himmel, was geschieht? . . . Jetzt, wo der Priester auf dem Boden zusammengestürzt bleibt, bricht der Schwall zum Altar los. Das schwere Gebetsmurmeln hinunter in die letzten Kirchenecken erlischt, die Orgel auf der Empore bricht jäh ab. Die Chorherren wallen großäugig aus den Stühlen herzu und sinken stumm ins Knie. Der uralte Crispino streckt die Arme aus, als wollte er fliegen.

Von allen aber zuerst ist Anita zum Altar gesprungen und hinter ihr Ettore. Sie dürfen ganz hinauf, sie haben ja ihre Kirchlein oben. Jetzt endlich hört man durch die schwere Stille ein Engelstimmchen rufen: Miracolo! ein Wunder! Miracolo! wiederholt die tiefere Bubenstimme gewaltig. Miracolo! psallieren erschüttert die Priester. Ein Wunder, ein Wunder, donnert es durch die ganze Kirche. Die Vordersten erstürmen die Treppen, alles drängt vor, aber aus der Tiefe des Schiffes, wo die Haufen dicht zusammengepreßt sind, schreit es übermächtig: »Wo ist das Wunder? Das Wunder zeigen! Das himmlische Wunder wollen wir sehen. Zeigen, zeigen!«

Aldo Aldi liegt noch immer im Staub. Zerschmettert ist sein ganzes scherbiges Grüblertum, verweht der letzte Zweifel. Eines weiß er jetzt: daß er ein großer Sünder und neben ihm der Heiligste der Welt ist . . . O du Wunder, kann er endlich ins Gebraus der Kirche stammeln, o du Kind der Ewigkeit, so wandelst du noch unter uns und malst das nicht zu Hörende und nicht zu Schauende mit deinem Gottesfinger in Blut und Feuer in unsere kleinen Gehirnchen . . . Ich bin nicht würdig . . . ich bin am wenigsten deiner würdig. Ich muß sterben, ich darf das nicht schauen und am Leben bleiben. Ich bin tausendmal weniger als Moses, der auch sterben mußte, als er die Offenbarung sah.

Der Wunderschrei durchtobte jetzt das Gotteshaus wie ein Gewitter. Die Fahnen zitterten, die Stangen erbebten und die Kerzenflammen wichen vor solchem Atem zurück. Priester, sagte Crispino mit nassen, kindlichen Greisenäuglein, Priester Gottes, dem so ein Wunder geschah, du bist gebenedeit! – Und er beugte sich vor seinem Pfarrer, wie in den vielen Jahren einer wachsenden Respektlosigkeit nie mehr. Priester Gottes, hörst du dein Volk schreien? So hebe sie noch einmal hoch, die heilige Hostie, daß alle des Wunders beglückt werden! Das ist nicht eine Messe, wie sonst, das ist noch einmal ein Verwandlung, sichtbarlich nach der unsichtbarlichen. Auch die zeig' uns, auch die!

Da erhob sich der Erzpriester gehorsam, als hätte der Himmel zu ihm gesprochen, faßte die blutende Hostie mit einem schützenden Tüchlein, kehrte sich gegen die vielen Hunderte und hielt die Allheilige hoch in die Luft. Sie blühte wie ein Stern.

»Jesus Christus, der für uns Blut geschwitzt hat,« tönte eine mächtige Stimme.

Wer hat das gerufen? Man sagte später, es sei der Chorkaplan Bruhino gewesen, der die Orgel spielte. Einerlei, diese Erscheinung des Herrn und dieses furchtbar treffende Wort beugten das Volk nieder. Jawohl, da blutet unser Heiland wieder, wegen uns, die wir uns entzweit haben, die wir uns wie Tiere zerreißen, bis zu seinem Tabernakel hinauf, wo wir doch Glieder seines Leibes, Schößlinge seines Rebstockes sein müßten! . . . Der für uns Blut geschwitzt hat! . . . Der Heiland blutet. So schwere Sorge machen wir ihm. Haß geben wir, und er hat die Liebe wollen. Das macht ihn bluten . . . O Gott, das ist ein Zeichen des Gerichts! . . . wir müssen sterben.

So ging es durcheinander. Und dann: wir wollen wieder lieben, auf daß er uns schont. Ja, riefen ein paar beherzte Männer, wir wollen nicht mehr um besondere Kirchen streiten, solang wir nicht einmal eine einige Kirche sind! Unsere alte Kirche da wollen wir wieder wie ein gemeinsames Haus halten, die wollen wir mit dem Stiftgeld groß und schön machen, die, worin der Herr uns sein Wunder gezeigt hat. Fort, brauste es in schon größeren Chören, fort vom Altar die Modelle, zerschlagt sie! zerschlagt den Unfrieden! Fort mit dem Hochmut! Seid ihr einverstanden, Brüder? . . . Ja, die eine, die Pfarrkirche vergrößern und verherrlichen! Die Wunderkirche des Herrn alleine! Friede, ihr Benoni, Brüder ihr! Friede, ihr Quatri, Friede, Friede! . . . Man gibt sich die Hände, umarmt sich, Mütter mit den Kindern auf den Armen lassen zuerst die Kleinen sich an den Hals fallen und küssen dann sich selbst auf den zuckenden Mund, wie Geschwister nach langer, harter Trennung. Die Bannerträger am Altarfuß legen ihre Fahnen zusammen, Schaft an Schaft und Seidenzipfel an Seidenzipfel, und auch diese Fahnen küssen sich feierlich. Doch Aldo Aldi hält noch immer die Hostie hoch. Er wird nicht müd. Und er betet: für mich, für mich ärmsten Sünder hast du jetzt Blut geschwitzt. O Herr, nun glaub' ich. Und o Herr meines Glaubens und Lebens, nie mehr will ich etwas anderes tun, als für dich arbeiten und leiden. Laß mich fortan schwitzen zu deiner Ehre und sei es auch das Blut meines Herzens. Für die Kinder will ich gern mein Blut schwitzen, die ich so roh aufwachsen ließ . . . für die Alten, die ich nicht mit deinem Evangelium mild und warm gemacht habe . . . für die Kranken, die auf der Bahre zu mir kommen müssen, weil ich sie nicht aufgesucht habe, für die Armen, denen ich so ungnädig schenkte, für alle, alle. O guter Hirte, höre jetzt auf zu bluten! Jetzt komme ich an die Reihe! Lass', Heiland, jetzt deinen neuen Jünger fröhlich bluten.

Dem Fiero auf seinem Samtbett schien, als lächle ihn und gerade nur ihn die Hostie an, von der Altarmitte zu ihm in die Chormitte hinunter. Das war also Christus, der große Held, den ihm seine liebe Mutter in den Nächten, wo ihn das Bein furchtbar stach und brannte, so innig vorhielt. Der blutete da aus dem innersten Herzen. Fiero dünkte, aus dieser Wunde heraus singe eine Stimme: Fiero, Fiero, ihr habt ein Wunder gewollt. Da habt ihr eines! Bist du jetzt zufrieden? Sieh, wie ich bluten und schweigen kann. Seit Jahrtausenden blute ich so und tue kein Seufzerlein. Nun willst du ein Held sein und schon wegen einer Wunde am Bein, einer einzigen, schreist du Weh und fluchst und meinst, es müßte ein Wunder geschehen. Für dich ganz allein! Sieh mich an! Bin ich nicht eine einzige Wunde? Und doch kann ich schweigen, ich, der donnernde und blitzende Herrgott! Schreien und reden und um sich schlagen, daß alle Welt auf dich schaut, o das ist kein Kunststück. Das kann ein Kind. Aber schweigen ist groß. Sei ein Held! Es müssen immer solche sein, die schweigen und bluten für sich und für die andern. Das sind die Großen, das sind die Erlöser, das sind die Heldenheilande der Welt. Und wenn sie nichts tun als bluten, so ist das mehr, als was alle Lärmer und Rühmer tun, ist mehr als Kreuzfahren und Zepterschwingen. O du, dich gerade will ich bücken und schlagen und wie ein Korn in meinen schmerzhaftesten Mühlen mahlen, denn du hast einen harten Sinn und einen grimmigen Stolz in deinem hübschen blonden Kopf. Ergib dich mir! Folge willig! Du hast mich bluten sehen. Für dich! Wohl, nun blute auch für mich ein wenig! . . . Fiero, laß uns Freunde sein!

Fieros erregtes, schönes, schmales Gesicht mit den klaren, grauen Augen, dem wollenweißen Haar und der zähen Seele war jetzt nichts als eine große, heilige, ritterliche Ergebung. Alles war ihm jetzt gleich, alles, alles, Gesundheit, Gasse, Degen, Kranz und Maid, alles, alles, wenn er nur ein Held sein durfte, der blutet und großartig dazu schweigt. Denn das ist doch das Größte. Er richtete sich auf den Ellbogen auf und verzehrte mit seinen silbergrauen Blicken und den halboffenen brandigen Lippen die Hostie vor ihm. Neben ihm hatte sich Anita rechts, Ettore links vor dem Wunder niedergekniet.

Und Ettore flüsterte mit Lippen, die noch nie so rot und voll waren: Fiero, jetzt werden wir bald zusammen wieder ausreiten. Weißt du was, gegen die Sarazenen wollen wir ausziehen. Gegen die Hunde, die unsern Christum leugnen. Ja, ins heilige Land wollen wir fahren. Das will Jesus. Drum blutet er so. Man quält ihn noch immer in Jerusalem.

Seine Augen blitzten, da er das sagte, blau wie das Mittelländische Meer, und sein Haar wirbelte so wild und schwarz auf, wie das Verderben, womit er den Heiden dräute . . . Wenn sie ihn nur nicht erschlagen dort im Sand und er nie mehr heimkehrt! seufzte leis Anita, es wär' gar schad' um so einen Schönen!

Ins heilige Land, wiederholte Ettore und sein Mund schäumte vor Eifer.

Ja, ich komme, nickte Fiero zufrieden mit seinem süßen Geheimnis in den nun so viel weichern, grauen Augen, ich komme ins heilige Land! Er sah freilich ein anderes Königreich zum großmächtigen Ausreiten und Kämpfen und Regieren vor sich. Er beneidete Ettore, den schwarzhaarigen Schlingel, nicht mehr.

Dann blickten alle drei wieder zur Hostie auf und Anita flüsterte: »Wenn doch der liebe Christ jetzt zu uns käme, das wär' eine Freude. Siehst du, Ettore, ich habe gewußt, daß er zum Türlein herauskommt, mich dünkt, er will ganz zu uns. Seht, seht!« Und in eine augenblickliche Windstille der großen Volksbegeisterung hinein erklang zum zweitenmal ihr Stimmlein mit silbernem Geklingel: »O Herr, ich bin nicht würdig, daß du eingehst unter mein Dach. Aber sprich nur ein Wort, so wird gesund meine Seele.«

Dann öffnete sie den Mund wie im Hunger, als müßte sie durchaus gespeist werden.

Als der Pfarrer dieses fromme Gezwitscher so eines Himmeltäubchens hörte, da kam es wie eine Erleuchtung über ihn. Er durfte nicht kommunizieren. Nein, er hatte zu schwer gegen den Glauben gesündigt. Diese Messe durfte nicht er vollenden. Aber da unten waren ja drei, die ihre Herzen sehnsüchtig öffneten und zu ihm aufhungerten. Jetzt boten sie dem Herrn in seinem blutigen Kummer wohl das beste und tröstlichste Wohnstüblein. Diese Reinen mußten seine Messe fertig lesen.

So stieg der Erzpriester die Stufen nieder, brach das wunderbare Brot in drei Stücklein und reichte jedem der Kinder eines. Sie empfingen es mit einer Seligkeit, die weitum ihren Sonnenschein über das Volk warf, neigten dann ihre Köpfe und verharrten so regungslos, daß jeder merkte, daß sie für ein Weilchen nicht mehr auf Erden lebten. Auf der Orgel aber stimmte Don Bruhino mit vollen Registern das großartige Lied an, das eben erst durch Sankt Thomas in den Landen aufgekommen war, und tosend fiel alles Volk ein: Pange lingua gloriosi! Als man aber zur vierten Strophe kam, beugten sich alle Häupter und mit einer heiligen Scham, die sie schöner als Purpur kleidete, sangen sie leiser:

Verbum caro, panem verum,
Verbo carnem efficit:
Fitque sanguis Christi merum,
Et si sensus deficit:
Ad firmandum cor sincerum,
Sola fides sufficit
Strophe aus der berühmten, noch heute in allen Kirchen gesungenen Hymne Thomas von Aquinos. Sie ist in ihrem kristallenen dogmatischen Kirchenlatein unübersetzbar. Der Sinn besagt. Durch Gotteskraft sind Brot und Wein ins Fleisch und Blut Christi verwandelt. Mögen die Sinne hier versagen, der Glaube genügt dem ehrlichen Herzen..

Dem Papst brachte man unter Kerzenschein und Zymbelschall das blutgeschmückte Kelchtüchlein nach Orvieto, und wenn je ein Wunder ein zweites hervorbrachte, so ist es der himmlische Tempelbau auf dem dortigen Tuffhügel, den das ganze Land, die Bolsener vor allem, über dieser Reliquie des heiligen Fronleichnams wölbten. Nur eine göttliche Begeisterung konnte so ein göttliches Werk schaffen.

Zu Aldo Aldi aber sagte der Heilige Vater milde: »Erhebe dich, du hast nun wie Thomas die Wundmale des Herrn gesehen. So sei nun auch so feurig wie Thomas.« . . . Das geschah, und noch nach Jahrhunderten sagte man einem neu antretenden Pfarrer zu Bolsena: Sei eine Thomasseele wie der ehrwürdige Diener des Herrn Aldo Aldi di Senti.

Ettore wartete ein paar Jahre auf den längst gelobten Kreuzzug der Könige von England und Frankreich. Dann fuhr er auf eigene Faust mit einer stürmischen Truppe von Adeligen Jaffa zu, schlug sich in mehrern Treffen glorreich durch und ward mit seinen Begleitern beim Flecken Fer-is-isr von einer ungeheuren Übermacht aufgerieben. Anita hat darauf allen Lustbarkeiten entsagt, sich völlig der Pflege ihres Bruders und anderer unbesorgter Kranken hingegeben. Sie sah in jedem Leidenden den blutenden Herrn Jesum. In ihren Armen ist Fiero nach anderthalb Jahren an seiner Wunde gestorben, im Gesicht immer noch eine gewisse Härte, aber nicht vom Tyrannisieren seiner Mitmenschen, sondern vom Verbeißen der ungeheuren Schmerzen, die an ihm fraßen. Er tat den letzten Atem mit einer Helle und Fröhlichkeit des Geistes, die nicht mehr unserem Gestirn, die schon dem Überlicht angehörte.

Die Stadt Bolsena blieb von da an wohl die friedlichste Stadtfamilie Italiens, und wer heute noch wohlgestimmte und in Harmonie zwischen Himmel und Erde lebende blonde und schwarze Menschen kennen will, der gehe nach Bolsena und werde, wie sie dort sind!


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