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Entronnen. Das Strafgericht.

Die aus der Gefangenschaft Erretteten und ihre Befreier waren dank dem pfadfinderischen Genie Addys und des »Flinken Bibers« glücklich quer durch das ganze zwischen dem Susquehanna und dem Mohawk liegende Indianergebiet ungefährdet hindurch gekommen und sahen eines Abends von der Höhe eines Bergrückens in der Entfernung von etwa zehn Meilen das Fort Schuyler vor sich, welches sie anderen Tages zu erreichen hofften, wo sie dann so gut wie geborgen waren.

Die Flüchtlinge hatten auf ihrer gefahrvollen Fahrt schon vom ersten Tage an viel Glück gehabt, denn daß sie nach ihrem Aufbruch am See von den sie verfolgenden Huronen nicht mehr belästigt wurden, verdankten sie sicherlich nur dem Umstande, daß in derselben Nacht noch ein heftiger Regen niedergegangen war, der ihre Fußspuren wahrscheinlich vollständig verwischte.

Dann, als sie in den Tagen darauf zahlreiche Indianerfährten kreuzten und dadurch die Gewißheit erhielten, daß das ganze Gebiet von roten Leuten durchschwärmt sei, hatten sie nur die unwegsamsten Täler, Schluchten und Wälder auf oft weiten Umwegen durchschlichen und dazu freilich fast die doppelte Zeit gebraucht, als die Durchquerung des Gebietes unter gewöhnlichen Verhältnissen beansprucht hätte.

Jetzt waren sie alle voll froher Hoffnung, daß die Mühsale ehestens ein Ende haben würden und auch Addy fühlte sich wesentlich erleichtert, was freilich bei ihm einen ganz anderen Beweggrund hatte.

Schwer lastete es bisher auf ihm, daß der »Flinke Biber« sich nicht bewegen ließ, in sein Heimatdorf zurückzukehren, sondern erklärte, seine weißen Freunde nicht eher zu verlassen, als er sie in voller Sicherheit wisse. Wie leicht hätte es zu einem Zusammenstoß mit feindlich gesinnten Indianern kommen und dies für seinen roten Freund dann verhängnisvoll werden können. Diese Befürchtung hatte den Jäger auf der ganzen Wanderung zu verdoppelter Vorsicht bestimmt und auch heute zuletzt noch bewogen, eine von der Talrichtung nach Fort Schuyler abseits liegende tafelartige Berghöhe zu erklimmen, um hier in einem verhältnismäßig sicheren, durch eine ringsum fast undurchdringliche Dickung geschützten Verstecke, nach aller Voraussicht ihr letztes Nachtlager zu halten.

Der Abendimbiß, ein von dem »Flinken Biber« erbeuteter Hirschziemer, war eingenommen worden und man war guter Dinge.

Franzl und Binche hatten zum soundsovieltenmal die näheren Umstände ihrer Gefangenhaltung schildern müssen, wobei sie ihren Zuhörern längst berichtet hatten, daß Fred bei dem Ueberfall der Farm ganz frei und offen die Führerrolle spielte; daß er im Thayendanegeasdorfe ungezwungen aus und ein ging und von dem Huronenhäuptling ungestüm die Pfählung der beiden Gefangenen verlangte, aber bei diesem, obwohl die Folterung gleich anfangs beschlossene Sache schien, später merkwürdigerweise keine Gegenliebe fand. Jetzt freilich wußten sie, daß das Angebot des Jägers, zwei Huronenhäuptlinge gegen sie auszutauschen, das Hinausschieben der sonst sicherlich unausbleiblichen Folterung bewirkt haben mußte.

Als es zu dunkeln begann, löschte man das in einer tiefen Erdsenkung entzündet gewesene Feuer und legte sich zur Ruhe, um mit Anbruch des nächsten Tages neugekräftigt die letzte Strecke, die sie vom sicheren Horte noch trennte, hinter sich zu bringen.

Addy und der Kanadier hielten die erste Wache. Die beiden hatten außerhalb der Dickung, der letztere im Rücken des kleinen Lagers, der Jäger aber in der Richtung auf das Fort ihren Standpunkt genommen.

Bewegungslos saß Addy da, die Büchse im Arme, aufmerksam in die Nacht hinaus lauschend.

Zu seiner Linken drang das sanfte Geräusch eines plätschernden Bergflüßchens aus dem Tal empor, eines schmalen, teilweise waldfreien Geländes, das als die natürliche Verbindung mit dem fernen Fort und den dahinter gelegenen German Flats gelten konnte.

Dieses Tal wurde zu beiden Seiten umsäumt von einer Reihe größerer und kleinerer Anhöhen, die sich in ihrer Richtung gegen den Mohawk River allgemach verflachten und jetzt nur zum kleinsten Teile in unbestimmten Umrissen sichtbar waren.

Tiefe Stille lag über der Landschaft, ab und zu nur ließ sich der Schrei eines in seiner Ruhe aufgestörten Vogels vernehmen.

Da plötzlich schien in weiter Ferne, kaum vernehmlich, ein Schuß zu fallen.

Addy legte sofort die Büchse über das Knie, hielt die Hände hinters Ohr und lauschte.

Kaum eine halbe Minute verging, da knallte es wieder, jetzt vernehmlicher, und ein leichtes Rollen zog hin über die vorliegende Kette der Höhen.

Ein dritter und vierter Schuß folgte und gleich darauf wurde andauerndes Büchsengeknatter hörbar.

Da tauchte schon der Kanadier neben dem Jäger auf und fragte: »Habt Ihr vernommen?«

Der Jäger bejahte stumm und bedeutete dem Grenzer durch eine Handbewegung, Schweigen zu beobachten.

Beide lauschten.

Wohl eine Viertelstunde lang hielt das Schießen an, dann fielen wieder nur einzelne Schüsse, endlich erstarb es ganz.

»Was haltet denn Ihr davon?« fragte der Kanadier, als geraume Zeit hindurch kein Schuß mehr erfolgt war.

Bewegungslos saß Addy da, die Büchse im Arme, aufmerksam in die Nacht hinaus lauschend.

»Was kann man sagen,« antwortete Addy achselzuckend. »Entweder ist irgend ein Haufen der roten Leute dem Fort zu nahe gekommen und der Kommandant hat ihnen durch einen Teil seiner Besatzung die Zähne weisen lassen, oder es ist eine größere Sache im Werk, auf die ich, wie Ihr wißt, schon lange warte.«

»Ihr hieltet es für möglich, daß die Kontinentaltruppen endlich angekommen wären und mit den Roten bereits aufzuräumen beginnen?«

»Ich halte es nicht nur für möglich, sondern sogar für wahrscheinlich. Ich hätte das Tal nicht vor Wochen verlassen mögen, wenn nicht schon damals dem Sicherheitsausschuß der Anmarsch der Truppen gemeldet gewesen wäre.«

»Dann könnte man also sagen, daß der Tag der Erlösung auf keinen Fall allzufern ist!« rief der Kanadier gedämpften Tones aus, fügte aber sogleich hinzu: »Aber was wird aus uns – wenn da vorne gekämpft wird, just dort, wo wir durch müssen? Da können wir zuguterletzt noch in die schönste Zwickmühle geraten.«

»Allerdings können wir das; wir wollen aber hoffen, daß es sich ebensogut verhüten läßt.«

»Und was gedenkt Ihr unter diesen Umständen zunächst zu beginnen?«

»Die Sache liegt, sollte ich meinen, einfach genug, denn wir werden nicht so unklug sein, dem Löwen blindlings in den Rachen zu rennen. Unsere nächste Aufgabe wird daher sein, die unmittelbare Ursache der Schießerei kennen zu lernen, und da gäbe es zweierlei: entweder wir schleichen uns jetzt gleich durch Nacht und Nebel vor und sehen uns die Leute da vorn etwas näher an, oder wir halten unser Versteck hier oben für mehr wertvoll und warten mit Gemütsruhe den Anbruch des Tages ab.«

»Und wofür werdet Ihr Euch entscheiden?«

»Das werde ich überhaupt nicht. Es kann je nachdem unser aller Leben auf dem Spiele stehen, und ich halte die Sache daher für kritisch und wichtig genug, um auch alle anderen darüber zu hören.«

Man weckte die Schläfer und unterrichtete sie von dem Vorgefallenen.

Sie waren im ersten Augenblick nicht wenig darüber verdutzt, daß sich in letzter Stunde noch Schwierigkeiten ergeben sollten, allgemach aber gewann eine ruhige Beurteilung der Sachlage die Oberhand und man kam nach längeren Erwägungen überein, daß es, ehe man weiteres unternähme, jedenfalls besser sein würde, den Tag abzuwarten.

Mit dem Schlafe war es unter diesen Umständen natürlich vorbei. Die Männer lockerten die Verschlüsse ihrer Pulverhörner und untersuchten ihre Büchsen. Sie sahen mit der größten Spannung der Wiederaufnahme des Kampfes, der sich in der Ferne abgespielt hatte, entgegen, aber Stunde um Stunde verging, kein Schuß ließ sich vernehmen.

Endlich gegen Morgen klärte sich die bis dahin von Wasserdünsten erfüllt gewesene Luft und in der Ferne wurden eine Anzahl Feuer sichtbar.

Der »Flinke Biber« erklärte sie für indianische Rufzeichen. Addy ließ dies wohl gelten, war aber ebenso geneigt, sie für Lagerfeuer oder auch für die Lichter des Forts zu halten.

Die Lage der Dinge, die Erwartungen und Befürchtungen, die daran geknüpft wurden, zeitigten begreiflicherweise noch viele andere Vermutungen und die mannigfaltigsten Schlüsse wurden daraus gezogen, bis endlich der Tag graute.

Die Feuer in der Ferne verblaßten und die Konturen der Höhen traten allmählich schärfer hervor; man atmete auf; es war eine harte Geduldsprobe gewesen, jetzt aber konnten schon die nächsten Minuten irgend einen Aufschluß bringen.

Da legte sich zum größten Verdrusse der Flüchtlinge wie mit einem Schlage ein dichter Morgennebel über die Höhen und Täler.

»Da möchte man doch gleich mit einem Besen dazwischen fahren,« schimpfte der Kanadier. »Wären wir in der Nacht noch auf Kundschaft ausgegangen, wüßten wir jetzt längst, woran wir sind.«

»Wahrlich, es ist, als ob uns das Glück mit einemmal den Rücken kehren wollte,« brummte Webster. »Auch ich bin jetzt dafür, daß einige Mann sofort nach vorn gehen, diesem Hangen und Bangen ein Ende zu bereiten.«

Aber Addy war nicht der Mann, der sich durch augenblickliche mißliche Umstände von einer einmal festgehaltenen und für richtig befundenen Planmäßigkeit abbringen ließ, und war ganz entschieden dagegen; er vertröstete auf den Augenblick, als die Sonne sich bis zu einer gewissen Höhe erhoben habe, dann würde der Nebel schwinden.

Plötzlich hörte man wieder Büchsengeknatter, das von Minute zu Minute zunahm und nach den übereinstimmenden Behauptungen Addys und des Kanadiers gegen den vorigen Abend bedeutend näher gerückt schien.

Da die Aussicht total benommen war, bemächtigte sich jetzt eine große Beunruhigung der Männer, und mit der gespanntesten Aufmerksamkeit verfolgten sie mit dem Ohr die Entwickelung des Gefechtes, das heftiger und heftiger wurde.

Da endlich, eher als die Männer es erhofft hatten, hoben sich die weißen Schleier aus den Talgründen und zogen in gespenstigen Schwaden höhenwärts, wo sie unter der Kraft der Sonne nach und nach zerflossen.

Jede Minute brachte mehr Klärung, und jetzt gewahrten die Flüchtlinge am Ende des linksseitigen Tales in der Entfernung von etwa einer Meile, sowohl im Talgrunde als an den Hängen der Berge, in zwei fast gleichlaufenden Linien ein ums anderemal kleine Rauchwölkchen aufsteigen.

»Das Huendas!« rief der »Flinke Biber«, dessen scharfes Auge in der nähergelegenen Schützenkette trotz des bedeckten Terrains seine kämpfenden Rassegenossen erkannt hatte.

»Das stimmt, es sind Indianer und sie tragen den Blanket – es sind also Thayendanegeasleute –« bestätigte der Jäger und fügte gleich darauf hinzu: »Sie haben es mit Kontinentaltruppen zu tun; seht ihr dort zwischen den Büschen und Bäumen die Uniformen hervorleuchten?«

Jubelrufe erschollen, als auch die anderen die letztere Tatsache erkannten.

»Nun wird sich die Sache machen,« rief befriedigt Webster, »denn wenn nicht alles täuscht, zählen die Truppen mindestens doppelt so viele Büchsen.«

»Wir wollen es abwarten,« versetzte Addy, »und den Tag nicht vor dem Abend loben.«

Das Gefecht nahm an Heftigkeit zu. Schuß um Schuß fuhr in den beiderseitigen Reihen auf. Hüben wie drüben hatte sich über den Kämpfenden bereits eine langgezogene Rauchwolke gebildet. Mit einemmal schrie der Kanadier: »Sie weichen – die Roten sie weichen!« und in der Tat, das Feuer ließ dort, wo die Indianer im Tal und an den beiderseitigen Berghängen lagen, fast plötzlich nach. Zugleich sah man eine große Zahl dunkler Gestalten mit hellen Decken das Flüßchen entlang laufen, dann in den bewaldeten Teilen des Talgrundes verschwinden.

Aber auch in der Schützenkette, wo einzelne Uniformen sichtbar gewesen waren, hatte das Feuern nachgelassen. Dafür sah man deutlich da und dort einzelne kleine Abteilungen in der Richtung des fliehenden Feindes aus ihren Stellungen hervorbrechen und dessen Verfolgung aufnehmen.

»Jetzt ist es einfach Menschenpflicht, den Roten den Weg zu verlegen,« schrie der hitzköpfige Kanadier, und schon schien Addy geneigt, dieser Aufforderung seine Billigung zu erteilen, als der »Flinke Biber« plötzlich rief: »Sehen – dort Inschen – viele Inschen zwischen Bergen hervorkommen – das Onondagas!«

Und in der Tat, aus einem schmalen Seitental brachen mit einemmal wohl an dreihundert mit roten Tüchern geputzte Indianer hervor, die sich rasch über die ganze Talbreite ergossen und sich den inzwischen im vollen Vorstoß befindlichen Truppen ungestüm entgegenwarfen.

Ein erbitterter Kampf entwickelte sich, an dem auch die bereits in die Flucht geschlagen gewesenen Huronen wieder teilnahmen. Ein wogendes, wildes Getümmel und dichte Wolken Pulverdampfes füllten bald die ganze Talbreite.

Lange blieb es unentschieden, auf welche Seite der Sieg in dem Ringen sich neigen würde. Mit Bangen verfolgten die Männer hier oben den Gang des Kampfes, und Addy hatte längst erwogen, ob es nicht geraten sei, mit seinen paar Büchsen den Indianern in den Rücken zu fallen, um so vielleicht zur Entscheidung beizutragen. Um aber an Ort und Stelle zu gelangen, hätte es gewiß einer Viertelstunde des angestrengtesten Laufes über Stock und Stein bedurft und, das war klar, bis zu diesem Zeitpunkt war das Gefecht sicherlich entschieden. Er hätte somit, je nach dem Ausgange des Kampfes, sich und die Seinen ganz nutzlos geopfert. Und in der Tat – mit Schrecken gewahrten es die Männer – die Indianer schienen jetzt schon einen entschiedenen Vorteil errungen zu haben. Deutlich hörte man ihr Jubelgeschrei, und leider wurde es nur zu bald zur Gewißheit, daß die Regulären auf der ganzen Linie langsam zwar, aber entschieden zurückgingen.

Da aber wurde ganz im Hintergrunde auf einem Punkte, der sich von dem Versteck hier oben wie der Talschluß ausnahm, eine Truppenmasse sichtbar, die sich aus einer Einsattelung heraus mit größter Schnelligkeit auf ein Plateau niederwälzte und von dort aus ins Tal niederstieg.

Mit hellen Freudenausbrüchen begrüßten die Flüchtlinge diese unerwartete, gerade noch zur rechten Zeit eintreffende Verstärkung; nun war wohl kaum ein Zweifel mehr, auf welcher Seite schließlich der Erfolg sein würde und er bedeutete dann ja auch für sie die Rettung.

Jetzt gab es kein Halten mehr. Wie auf Verabredung stürmten die Männer nach vorn und auch Binche und der »Flinke Biber« folgten.

Durch dick und dünn ging es den geradeaus sanft abfallenden Bergrücken hinab und schon nach etwa einer Viertelstunde waren sie auf dem tiefsten Punkte angelangt.

Nun standen sie vor der Frage, ob sie die nächste Höhe emporsteigen, ihr folgen oder jetzt schon links in das Tal einbiegen sollten.

Bei ruhiger und besonnener Ueberlegung hätten sie sich sicherlich für das erstere entschieden, zumal sie auf der Höhe einen weiteren Gesichtskreis und zweifellos auch einen guten Ausschuß gewonnen hätten. Aber, einmal von dem Feuereifer ergriffen, dem Feinde so schnell wie möglich in den Rücken zu fallen, war ihnen das viel zu zeitraubend und nach kurzem Wortwechsel, in welchem Addy kaum mehr zur Geltung kam, bogen sie kühn und entschlossen links nach dem Talgrunde. Der Jäger vermochte nur noch schnell Binche und den »Flinken Biber« zu bestimmen, hier zurückzubleiben, und dann folgte auch er den anderen.

Auf der Talsohle angelangt, ging es im Geschwindtempo nach dem Kampfplatze, und mit jedem Schritt, den sie vordrangen, nahm das Getöse, das Schießen, das Jubeln der siegestrunkenen Wilden zu. Noch also schienen diese keine Ahnung davon zu haben, daß jenseits eine bedeutende Uebermacht im Anmarsche war und dachten nicht entfernt an die Möglichkeit, daß sie auch im Rücken angegriffen werden könnten.

Dies beflügelte die Schritte der Männer. Endlich hatten sie allem Anschein nach Büchsenschußnähe erreicht, und Addy, der an der Spitze lief, wandte sich seitlich, einen erhöhten Standpunkt zu gewinnen. Ihm nach hier folgend, hatten die Männer alsbald freien Ausblick über das ganze Gefechtsfeld. Die Roten waren wirklich im vollen Ansturm, die jenseitigen Truppen gingen rascher als zuvor, aber in voller Ordnung zurück. Sofort lagen Addy und die Seinen im Anschlag, die Büchsen krachten. Die Wirkung auf die roten Leute war eine unbeschreibliche. Als hätte eine Bombe unter ihnen eingeschlagen, fuhren sie herum und brachen, als sie der Gegner ansichtig wurden, in ihr wüstes Wutgeheul aus. Aber ihre Verblüffung ging in die heilloseste Verwirrung über, als in diesem Augenblicke auch auf der anderen Seite, wo sie den Feind bereits geworfen zu haben glaubten, frische Truppen sichtbar wurden, die in breiten Kolonnen im Sturmschritte daherliefen und sofort in das Gefecht eingriffen. Die im Zentrum stehenden Wilden, auf die Addy und seine Leute es hauptsächlich abgesehen hatten, ergriffen, von zwei Seiten ins Feuer genommen, in ihrer Panik sofort die Flucht, während die beiden Flügel noch standhaft aushielten.

Da geschah etwas Unerwartetes. Keine zwanzig Schritte über dem Punkte, wo Addy mit seinen Grenzern und Franzl Stellung genommen hatten, tauchte plötzlich ein Weißer zwischen den Bäumen auf, der sich erst ganz ratlos und verstört umsah, und dann wie ein aufgeschreckter Hase den Berg hinauflief.

»Habt's 'n g'seh'n?« fuhr Franzl auf und starrte förmlich erschrocken und mit weit aufgerissenen Augen dem Manne nach.

»Faßt ihn – es ist der Fred!« schrie Addy. »Dem keine Gnade, dem Verräter!«

Das weckte Franzl aus seiner starren Verwunderung. In der nächsten Sekunde schon stand er auf den Beinen und setzte, leicht wie eine Gemse, dem Fliehenden nach.

Kurze Zeit darauf erscholl oben auf der Höhe ein verzweifelter Schrei und wenige Minuten später lag Franzl schon wieder an seinem Platze.

Er nickte Addy, der fragend nach ihm herübersah, nur ganz kurz zu und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirne.

Inzwischen hatte sich das Bild vorn wesentlich verändert.

Das weichende Zentrum der Rothäute war durch Zuruf seiner Führer zwar zum Stehen gebracht worden und hatte den Kampf wieder aufgenommen, ja etwa zwei Dutzend der Onondagaleute, die hier standen, hatten sich unter der Führung eines Häuptlings auch gegen die Stellung Addys und seiner Rangers gewendet. Aber die letzteren befanden sich im Schutze der Bäume in bester Deckung, so daß die Schüsse, welche die roten Leute den Weißen an der Berglehne zugedacht hatten, nutzlos verpufften.

Mittlerweile war aber der Vorstoß der Regulären ein so nachhaltiger und gewaltiger geworden, daß jetzt auch die beiden Flügel der Rothäute ins Wanken kamen.

Schon sah man ganz links die an ihren roten Tüchern kenntlichen Onondagaleute mehr und mehr aus ihrer Stellung sich lösen und bald in heller Flucht das Tal zurücklaufen, was auch die Rothäute im Zentrum erneut mit sich riß.

Gleich darauf veränderte sich aber auch das Bild auf dem rechten Flügel der Wilden, denn ganz kurz darauf bekamen Addy und die Rangers auch die blauweißen Blanket der Huronen unmittelbar vor die Büchse.

Dieser Teil der roten Leute hatte dem Ansturm der Regulären am längsten standgehalten; nun aber gaben sie in der Schnellbeinigkeit, mit der sie zu entrinnen versuchten, ihren bereits fliehenden Stammesgenossen nichts nach.

Einer der letzten, der keine vierzig Schritte weit entfernt, den Büchsenlauf Addys passierte, weithin kenntlich an seinem überreich mit Adlerfedern geschmückten Kriegshut, war Thayendanegeas, der, als er sich plötzlich von einer ihm nur zu wohl bekannten Stimme angerufen hörte, unwillkürlich wie angewurzelt stehen blieb.

»Kennst du das Schießholz, das du mir vor nicht allzu langer Zeit abgenommen hast?« schrie ihm Addy von oben her zu.

Betroffen, ja entsetzt starrte der Häuptling zu dem Jäger empor, der triumphierend über dem Haupte seine silberverzierte Büchse schwang.

»Ja, edler Häuptling,« fuhr Addy fast heiter zu rufen fort, »ich war so frei, mir die Wunderbüchse auch ohne deine Erlaubnis aus eurem Medizin-Wigwam zu holen – und wenn du jetzt nicht flink läufst, was dich deine Beine tragen, dann soll sie dir noch einen Abschiedsgruß sagen.«

»Kennst du das Schießholz, das du mir vor nicht allzulanger Zeit abgenommen hast?« schrie ihm Addy von oben her zu.

Einen wilden Ruf ausstoßend, stob Thayendanegeas davon, aber er kam nicht weit, eine Kugel aus der Büchse eines Regulären holte ihn ein und streckte ihn zu Boden.

Ein baumlanger Hurone, der neben dem Häuptling hergelaufen war, ersah das, sprang herbei, hob den Daliegenden auf die Schulter und rannte mit ihm weiter.

Keine fünfzig Schritte hinter ihnen trabten bereits mehrere Abteilungen der West-Virginia- und Connecticut-Regimenter daher und machten sich energisch an die Verfolgung des Feindes.

Dahinter kam ein Scharfschützencorps und zuletzt zwei Bataillone der kampfesmutigen Milizen, die eisenfesten deutschen Bauern, die nicht zu Hause bleiben wollten, als es galt, dem grimmigen Feinde, der unbarmherzig ihre Farmen und blühenden Fluren verwüstete und vernichtete, die längst verdiente Züchtigung zu teil werden zu lassen und hoffentlich ihn für immer in seine Schranken zurückzuweisen.

Mit lautem Hallo empfingen Addy, Franzl und die Grenzer die braven Streiter im Bauernkittel und die Mehrzahl derselben hielt an, als sie sahen, daß die Hauptarbeit längst getan war, und daß man ihrer zur Verfolgung des fliehenden Feindes nicht mehr bedürfe.

Nun gab es ein kräftiges Händeschütteln und Addy und seine Begleiter erfuhren jetzt den engeren Zusammenhang der Dinge.

Längst hatten die Greueltaten, welche die mit dem englischen Gouverneur verbündeten Indianer nicht nur entlang dem Mohawk, sondern auch am Oberlauf des Susquehanna verübten, im amerikanischen Volke die größte Entrüstung hervorgerufen und endlich auf Betreiben der verschiedenen Sicherheitsausschüsse den Kongreß bewogen, die Urheber jener Greuel, insbesondere die Huronen und Senecas, zu züchtigen.

Schon wenige Wochen darauf sammelte der mit dieser Aufgabe betraute General etwa dreitausend Mann starke Truppenabteilungen im Wyomingtal und marschierte mit ihnen den Susquehanna entlang, während ein zweiter Befehlshaber mit nahezu zweitausend Mann das Mohawktal heraufgekommen war, um sich mit dem ersteren weiter oben im Gebiete der fünf Nationen zu vereinigen.

Zur selben Zeit hatte sich Thayendanegeas mit Unterstützung von Onondagaindianern zu einem Einfalle größeren Stiles nach dem Mohawktal aufgemacht, um neue Schrecken und Verheerungen hervorzurufen, war aber durch die Rangers, die jetzt Tag und Nacht die Wälder der Umgebung zahlreich durchstreiften, rechtzeitig noch aufgespürt worden. Durch die Umsicht dieser tatkräftigen Leute war es auch möglich gewesen, diesmal jeden etwaigen Warner von ihm fernzuhalten, ja man täuschte den Huronenhäuptling durch verschiedene Manöver und ließ ihn ungehindert bis in die unmittelbare Nähe des Forts Schuyler gelangen; dort aber faßte ihn ein Teil der inzwischen in den Hinterhalt gelegten Truppen.

Schon am Abend zuvor hatte sich der Kampf entsponnen, und als dann heute am Morgen die Kontinentaltruppen, die das Mohawktal heraufmarschiert waren, unterstützt von einem Teil der organisierten Milizen, herbeieilten, war die Niederlage der Rothäute entschieden.

Mit großer Genugtuung berichtete man dies dem Jäger, rühmte dessen rechtzeitigen Eingriff, den man jenseits sehr wohl bemerkt hatte, und sprach mit froher Zuversicht von kommenden besseren Tagen, als die Unterhaltung der Männer mit einemmal durch Binche unterbrochen wurde, die, von niemand bemerkt, plötzlich neben ihnen stand und tränenden Auges Addy am Aermel zupfte. Erschrocken fuhr der Jäger bei ihrem Anblick herum. In der Hitze des Gefechtes und den Schlag auf Schlag sich aneinanderreihenden Vorgängen hatte er ihrer und seines roten Freundes ganz vergessen.

»Was ist geschehen?« fragte er.

»Kommt – kommt schnell,« sagte sie nur mit halb erstickter Stimme und eilte, so schnell sie ihre Füße tragen konnten, talauf den Weg, den die fliehenden Rothäute und die Truppen kurz zuvor genommen.

Unheil ahnend, folgten Addy, Franzl und die Rangers.

Kaum hundert Schritte seitlich der Talsohle, ungefähr in der Nähe der Einsattelung, von der aus die Männer, ehe sie in den Kampf eingriffen, die Niederung betreten hatten, am Rande eines Gehölzes, da hielt Binche und deutete stumm hinter einen Busch.

Hier lag der »Flinke Biber«, die Augen geschlossen, das Jagdhemd mit Blut durchtränkt.

»Was ist geschehen?« fragte wieder Addy aufs höchste bestürzt, und betroffen und stumm sahen auch die anderen auf den Häuptling nieder.

»Ich habe ihn gewarnt,« schluchzte Binche, »aber er hörte nicht, er mußte sehen, was im Tal vorging – plötzlich, als die Truppen anrückten, da sank er lautlos neben mir nieder.«

Schnell bückte sich Addy, lüftete dem regungslos Daliegenden das Jagdhemd und forschte nach der Wunde.

Da schlug der »Flinke Biber« die Augen auf; sein Blick irrte eine Weile hinauf in die Wipfel der Bäume und blieb dann auf dem Jäger haften.

»Weißer Freund hier – das gut,« sagte er und sein Gesicht nahm einen fast verklärten Ausdruck an.

»Du bist verletzt, wie ist das möglich – du hast dich zu weit vorgewagt?« fragte Addy.

Stumm nickte der sichtlich Schwerverletzte.

»Wie konntest du das – das war sehr unklug!«

»Ja, ›Flinker Biber‹ nicht klug,« versetzte der Häuptling mit schwacher Stimme. »Weiße Krieger halten ›Flinken Biber‹ für Huenda – ›Flinker Biber‹ sehen, wie weißer Mann schießen, aber schon treffen.«

»Du Unglücklicher!«

»Nicht unglücklich,« wehrte der Verwundete mit matter Gebärde, »›Flinker Biber‹ Freundschaft üben – nicht unglücklich – jetzt glücklich – bald dort sein –« er deutete mit der Hand zum Himmel auf, »– bei großem Geist –«

Ein schmerzlicher Hustenanfall benahm ihm die Worte; sein ganzer Körper erzitterte; Blut quoll ihm aus dem Munde. Noch einmal schlug er die Augen auf, ein erlöschender Blick traf den Jäger, dann lag er ruhig und still.

Addy befühlte die von der tückischen Kugel durchbohrte Brust; das brave, treue Herz hatte ausgeschlagen.

*

Addy war durch den tragischen Verlust seines roten Freundes tief erschüttert; mit Tränen in den Augen bereitete er ihm die letzte Stätte.

Während Franzl, Binche und die Rangers mit den Milizen heimwärts zogen, folgte er den Kontinentaltruppen und bot dem Befehlshaber seine Dienste an, die dieser, da er von der Tüchtigkeit des Jägers längst gehört hatte, mit Freuden annahm. Addy entfaltete nun eine rührige Tätigkeit; sie sollte ihn über seine Trauer um den roten Freund hinwegbringen.

Addy leistete Führerdienste und leitete die Truppen mit all seiner Erfahrung, Findigkeit und Vorsicht sicher durch die Wildnis. Schon auf diesem Wege zersprengten sie größere und kleinere Indianerhaufen und vereinigten sich endlich bei Tiega-Point mit der vom Wyomingtal kommenden Kolonne. Hier aber begann erst der große Zug in den Westen und die Züchtigung der feindlich gesinnten roten Stämme. Die Truppen drangen bis an den Cayugasee vor, zerstörten im Laufe von drei Wochen dreiundvierzig Indianerdörfer und trieben ihre unglücklichen, von den Gewalthabern irregeleiteten Bewohner nach allen Windrichtungen. Nur die Oneidas blieben unangetastet in ihrem Besitze.

Mit diesem energischen Vorgehen endete der Krieg im Norden der Staaten. Noch brandeten zwar im Staate New York und weiter im Süden die Wogen des großen Kampfes bald mit weniger, bald mit größerer Heftigkeit, bis endlich im Jahre 1781 die amerikanischen Truppen bei Yorktown entscheidend siegten und damit die englische Macht auch dort endgültig gebrochen wurde. Die Bestürzung in London war groß und man erklärte, den Krieg fortsetzen zu wollen. Inzwischen aber hatten sich auch dort Parteien gebildet, die energisch protestierten, das Ministerium stürzten und die Kriegspartei zum Schweigen brachten.

Und nun zog wieder Ruhe und Friede im Mohawktal ein. Jetzt konnten die wackern deutschen Bauern, die in ihrer zähen Tapferkeit nicht nur für Haus und Hof, sondern für das ganze Land geblutet hatten, die Früchte ihrer Arbeit wieder genießen. Sie waren, als sie die Waffen gegen den König von England erhoben hatten, sich wohl bewußt, was ihnen bevorstand, aber sie erkannten die Befreiung von dem drückenden Joche der englischen Gouverneure als das einzig Gute, taten als wackere Männer das Ihre und nun war das Werk, wenn auch teuer erkauft, doch gelungen. Jetzt waren sie freie Bürger des freien jungen amerikanischen Staatenbundes.

Binche und Franzl führten fortan ein glückliches Leben und erfreuten sich bald einer stattlichen Zahl blühender Kinder und, dank ihrer Arbeitsfreude, eines zusehends sich mehrenden Wohlstandes. Addy machte an die Farm keine Ansprüche, stillschweigend blieb sie in der beiden Besitz. Die Pachtersleute hatten ihm zwar wiederholt einen hohen Kaufschilling und in späteren Jahren eine Rente angeboten, aber der Jäger wollte von all dem nichts wissen; er hatte nun einmal nur Sinn für seine Jagdflinte, nicht aber für den Besitz irdischer Güter.

Thayendanegeas war schwer verwundet worden, genas aber auch dieses Mal. Seines Bleibens oben an den Seen, in den bisher innegehabten Jagdgebieten, war natürlich nicht mehr; als der Feldzug zu Ende war, wanderte er mit den Johnsons nach Kanada.

Unter wenig glücklichen äußeren Umständen beschloß Addy sein tatenreiches Leben. Er zog in der Folge noch oft hinaus in die Wildnis und führte nach wie vor sein ungebundenes Jägerdasein. Er lebte nach dem Befreiungskriege noch 53 Jahre und starb erst am 5. April 1836 in Herkimer, wo er, als Franzl und Binche längst das Zeitliche gesegnet hatten, siech, gelähmt und fast bewegungsunfähig – wohl eine Folge seiner vielen Kämpfe und seiner ungebundenen, an Mühsal und Entbehrungen reichen Lebensweise – im Armenhause verpflegt wurde. Sein Grab liegt auf dem Friedhofe in der Nähe des Gerichtshauses und trägt die schlichte Grabschrift:

 

»Johann Adam Hartmann, geboren in Edenkoben in Deutschland, ein großer Patriot in unserem Befreiungskriege, starb er am
5. April 1836,
92 Jahre und 3 Monate alt.«

 


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