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Geistreich schaut er und beweglich Immerfort aufs reine Ziel, Und bei ihm vernahm man täglich: Nicht zu wenig, nicht zu viel.
Goethe
Seine Weltkenntnis blieb, der Dichter mag sie nun halb durchs Anschauen und halb durch eigene Ahnung erhalten haben, allezeit bewundernswürdig.
Goethe
Wenn man einen Wieland nicht lesen wollte, weil man dieses oder jenes an ihm auszusetzen findet, welchen von unsern Schriftstellern würde man dann lesen wollen?
Lessing
Die nötigste und nützlichste aller Wissenschaften oder, noch genauer zu reden, diejenigen, in welcher alle übrigen eingeschlossen sind, ist die Wissenschaft des Menschen.
Der Mensch, auf der einen Seite den Tieren des Feldes, auf der anderen den höheren Wesen verwandt, ist ebenso unfähig, ein bloßes Tier als ein bloßer Geist zu sein; aber nur alsdann lebt er seiner Natur gemäß, wenn er immer emporsteigt. Jede höhere Stufe der Weisheit und Tugend, die er erstiegen hat, erhöht seine Glückseligkeit; denn Weisheit und Tugend sind allezeit das richtige Maß sowohl der öffentlichen als der Privatglückseligkeit unter den Menschen gewesen.
Es ist eine Pflicht, von der menschlichen Natur gut und groß zu denken; aber wer von den Menschen, die er vor und um sich sieht, immer das Beste denkt, läuft Gefahr, der Narr seiner guten Meinung zu sein.
Die Natur, gleich als ob sie eifersüchtig sei, sich über ihren verborgenen Mysterien von sterblichen Augen überschleichen zu lassen, erscheint immer wundervoller, geheimnisreicher, unerforschlicher, je mehr sie gekannt, erforscht, berechnet, gemessen und gewogen wird. Die unendliche Mannigfaltigkeit und der grenzenlose Schauplatz ihrer Wirkungen verschlingt unsern Geist; er verliert sich in einem Ozean von Wundern, an welchen, wieviel wir auch erklären und begreifen zu können meinen, doch noch immer Unerklärbares und Unbegreifliches genug übrigbleibt, um die verlegene Einbildung in ihre alte Lage zurückzuwerfen.
Es gibt einzelne Menschen, welche sehr weise daran tun, wenn sie wie Diogenes und Epiktet leben lernen. Es gibt Fälle, wo ein allgemeiner Geist von Sparsamkeit einem ganzen Staate eine Zeitlang nützlich ist.
Jeder Mensch hat, um einen gerechten Anspruch auf Wohlwollen, Mitleiden und Hilfe von seiten eines jeden Menschen zu haben, keinen andern Titel vonnöten, als daß er ein Mensch ist.
Die Menschen sind allenthalben nicht so gut, als sie sein könnten, wenn sie weiser wären; aber es ist unmöglich, daß sie besser sein können, ehe sie besser werden, und daß sie weiser werden können, bis nicht ihre Väter und Mütter, Ammen, Pädagogen, Lehrer und Priester mit allen ihren übrigen Vorgesetzten durch alle Stufen, vom Gassenvogt bis zum König, so weise geworden sind, als jedes nach dem Maße seiner Beziehung und seines Einflusses sein müßte, um der menschlichen Gesellschaft wirklich nützlich zu sein.
Die Menschen sind nun einmal so geartet, daß sie zu dem, was zu ihrem Besten dient, nicht durch Vernunftschlüsse oder Reflexionen über fremde Erfahrungen, wie nahe sie ihnen auch liegen, sondern von der unerbittlichen Notwendigkeit bei den Haaren hingeschleppt werden müssen.
Alles geht, wie es kann, und wiewohl es durch so seltsame Krümmungen und Schneckenlinien geht, daß wackere Leute sich dadurch haben verleiten lassen, zu glauben, die ganze Schöpfung und die arme Menschheit mit ihr drehe sich, wie ein blinder Gaul in einer Roßmühle, ewig in einem und ebendemselben Kreis herum, so fällt es doch, deucht mich, von einem Jahrhundert zum andern ziemlich stark in die Augen, daß es vorwärtsgeht, und so hoffe ich denn zu Gott, es werde sich am Ende finden, daß alles gegangen sei, wie es der Monarch und alleinige oberste Direktor der einen und unzertrennbaren Republik des Weltalls haben wollte.
Man muß wenigstens gestehen, daß unser Herz besser ist als unser Kopf. In der Tat, mit all unserer angeborenen Narrheit, Hastigkeit und schafmäßigen Einfalt wären wir doch von Haus aus, wenn man uns unverhudelt ließe, ganz gute Leute, und auch so wie die Sachen jetzt mit uns stehen, ist Tugend bei weitem so selten nicht als Weisheit.
Es ist ein schwaches Ding um unser Herz. Und doch, so schwach es ist und so leicht es uns irregehen macht, ist es die Quelle unserer besten Freuden, unserer besten Handlungen.
Wenn unser Herz uns nicht wider Willen unserer Köpfe zu bessern Leuten machte, so wäre die Moral aller Erdenbewohner äußerst eigennützig.
Wenn wir gleich eine schwache Seite haben müssen, wenn es sogar wahr ist, daß diese schwache Seite mit gewissen Empfindungen und Neigungen, die einen Teil unserer Glückseligkeit ausmachen, unmittelbar zusammenhängt, so bleibt darum nicht weniger wahr, daß unser angelegenstes Interesse erfordert, gegen die gefährlichen Täuschungen, denen sie uns bloßstellt, auf unserer Hut zu sein.
Die gute Mutter Natur, die ihre Kinder nicht leicht im Stiche läßt, hat mütterlich dafür gesorgt, daß wir, um den Glauben an uns selbst – dies so unentbehrliche Triebrad in unserm Wesen – durch keine Vergehungen oder Torheiten gänzlich zu verlieren, für jede Anklage in unserem eigenen Busen eine Entschuldigung finden, welche unvermerkt die Gestalt einer Rechtfertigung gewinnt und wenigstens uns selbst beruhigt, wenn sie auch nicht immer vor einem ganz unparteiischen Richter bestehen könnte.
Leidenschaften sind nicht, wie die Stoiker irrig lehren, Krankheiten der Seele, sie sind vielmehr, was die Winde einem Schiffe sind, das keine Seefahrt von einiger Bedeutung ohne sie vollbringen kann. Sie verstärken die demselben gegebene Bewegung; aber der Schiffer muß sie in seine Gewalt zu bringen wissen, wenn er nicht Gefahr laufen will, von ihnen verschlagen oder an Klippen zertrümmert zu werden. Starke Leidenschaften zu regieren, werden freilich große Kräfte des Geistes erfordert; aber sie spannen auch diese Kräfte.
Launen sind eine Art von guten oder bösen Feen, die durch die bloße Magie des Kolorits und Helldunkels aus den Dingen, die vor uns stehen, machen können, was sie wollen.
Es kommt bei den Leidenschaften alles auf Maß und Ziel, Ziel und Ort an. Sie können gut oder böse sein, je nachdem man sie zu behandeln weiß. Es ist mit den Leidenschaften wie mit allem in der Welt: wenig schadet wenig, zuviel ist immer ungesund, und Wasser, das gut zum Trinken ist, taugt nichts in den Schuhen.
Eine Frau, deren erste Triebfeder die Herrschsucht ist, ist eines jeden Verbrechens fähig.
Unterdrückung und ihre Töchter, Üppigkeit, die mit den Unterdrückern, Dürftigkeit, die mit den Unterdrückten gepaart ist, sind die wahren Ursachen des menschlichen Verderbens. Die Menschen würden besser werden, sobald man ihnen erlaubte, glücklicher zu sein; und sie würden glücklich genug sein, sobald nicht einige auf Kosten der übrigen glücklicher, als es Menschen zukommt, sein wollten.
Wie hell und wohlgeordnet auch immer der Kopf eines Mannes sein mag, immer bleibt er, auch bei der größten Wachsamkeit über sich selbst, den Täuschungen der Einbildung, des Gefühls und den geheimen Triebfedern des Herzens so gut unterworfen als ein anderer, und tägliche Erfahrungen lehren uns, daß der redlichste Wille einen in die tausendfach verschlungenen Verhältnisse und Schwierigkeiten des höheren Lebens verwickelten Menschen nicht immer sicherstellen kann, daß er nicht gegen seine Absicht Unheil anrichtet, indem er vielleicht das Beste zu tun glaubt.
Der Charakter in einem Menschen ist das, was unter allen Abänderungen und Modifikationen, die ihn von Augenblick zu Augenblick sich selbst ungleich machen, das Beständigste ist, das, wodurch er sich selbst gleich und von andern verschieden ist, kurz, der ihm von der Natur selbst eingeprägte Stempel der Individualität, der aber durch alle die äußeren und inneren Ursachen, die auf ihn wirken, nicht nur schärfer ausgedrückt und verschönert, sondern auch auf alle Weise verunstaltet, verwischt und verfälscht werden kann.
So wie Nahrung und Bewegung zum Wachstum und zur Ausbildung eines tierischen Körpers beiträgt, ohne ihn darum zu etwas anderm machen zu können, als wozu ihm die Natur selbst die substantielle Form und innere Anlage gegeben hat, so die Erziehung in bezug auf den Charakter.
Erkläre dich für eins und bleibe dabei; denn besser, du denkst und lebst nach dem Grundsatz, nach der Regel, die du ein für allemal geprüft und deiner eigenen Natur angemessen gefunden hast, als du urteilst heute so, morgen wieder anders, bewunderst heute, was du gestern verachtet, läßt dich morgen wieder reuen, was du heute getan, und kannst durch diesen ewigen Streit mit dir selbst zu keiner Ruhe, keinem Genuß des Lebens kommen.
Alles Gute kündigt gleich dem Lichte sich selbst an, indem es da ist, und läßt wohltätige und glänzende Spuren hinter sich, auch wenn es nicht mehr ist.
Eine innere Notwendigkeit zwingt uns immer unvermerkt, uns selbst, unsere eigene Art zu denken und zu leben, zum Maßstab anzunehmen, es sei, daß wir einem andern etwas sehr Schönes sagen oder ihm mit guter Art zu verstehen geben wollen, wie wir glauben, daß er sein sollte.
Die sehr kleine Zahl der Edlen und Guten, besteht sie nicht entweder aus einer Art besonders glücklich organisierter und vom Schicksal mit ungewöhnlicher Sorgfalt erzogener Menschen, denen es kaum möglich wäre, anders zu sein, oder aus solchen, die uns selbst gestehen werden, daß ihre Tugend im Grunde nur ein gewaltsamer Zustand ist, worin sie sich nur durch eine nie einschlummernde Aufmerksamkeit auf sich selbst und einen ewigen Kampf der einen Hälfte ihrer Natur mit der andern erhalten können?
Die Tugend, dies Wort umfaßt alles, was gut, schön und groß ist. Aber die Tugend gibt keinen Freibrief gegen das Urteil der gesunden Vernunft; und nicht alles ist Tugend, was ihren Stempel trägt. Die Tugend ist die Göttin der schönen Seelen; nichts ist liebenswürdiger als sie; aber ein Schwärmer, ein Mensch, der nicht Herr seiner Einbildung ist, kann die Tugend selbst nicht weislich lieben. Cato, mit allen seinen großen Eigenschaften, war gleichwohl nur ein Don Quichotte: er kämpfte sein ganzes Leben durch mit phantasierten Ungeheuern wie dieser mit Riesen und bezauberten Mohren. Es ist wahr, er liebte die Tugend über alles; er blieb ihr getreu, bis sie ihn auf eine gar zu harte Probe setzte; er unternahm das Unmögliche für sie, aber seine Tugend war eine Dulzinea.
Eine innere Notwendigkeit treibt uns, in allem nach Wahrheit zu streben, auch wenn sie unseren Neigungen und Wünschen entgegensteht. Irrtum kann uns angenehm sein, aber nie befriedigen.
Gewiß ist der sicherste und harmloseste Weg, uns um die Menschheit verdient zu machen, wenn wir es im stillen tun, ohne weitgreifende Anstalten und ein künstlich zusammengesetztes Maschinenwerk, dessen Wirkung wir nicht immer in unserer Gewalt behalten.
Wer aus eigener Bewegung große, weitgreifende Dinge unternimmt, für deren Erfolg er nicht stehen kann, darf sich nicht von aller Schuld freisprechen, wenn die Sache so ausfällt, daß die daher entspringenden Übel das beabsichtigte Gute bei weitem überwiegen.
Manche der Welt unbekannte Frau übt in dem engen Kreise ihres häuslichen Lebens unscheinbare Tugenden aus, zu welchen oft ein höherer Grad von Stärke des Gemütes erfordert wird, als derjenige ist, womit auf dem großen Schauplatze der Welt die Taten getan werden, welche die Bewunderung der Menge erregen und die Federn der Geschichtschreiber beschäftigen. Und beruht nicht größtenteils auf jenen unscheinbaren Tugenden das Wohl der Familien sowie auf diesen der Wohlstand des Staates?
Güte des Herzens ohne Weisheit ist ebensowenig Tugend als Wissenschaft ohne Tugend Weisheit.
Um durch die Natur glücklich zu sein, muß man die größte ihrer Wohltaten und das Werkzeug aller übrigen, die Empfindung, unverdorben erhalten haben, und zum richtigen Empfinden ist richtiges Denken eine unentbehrliche Bedingung.
Der Weise hilft sich selbst, der Törichte hingegen wird den besten Rat entweder nicht hören oder, wenn er ihn befolgt, ihn töricht befolgen und sich dann gerade um unseren Rat schlimmer befinden als zuvor.
Die Vernunft wirkt anfangs bloß als Instinkt in dem Menschen, ohne darum weniger Vernunft zu sein. Es ist eine Blume in der Knospe. Eltern, welche das Zutrauen und die Liebe ihrer Kinder zu gewinnen wissen, werden sie immer sicherer und besser regieren als diejenigen, die ihr häusliches Regiment auf bloße Gewalt und Furcht der Strafe gründen.
Die gemeinnützigsten Wahrheiten sind alt, und eben darum, weil sie alt sind, wirken sie wenig. Es mag wohl einiges Verdienst dabei sein, wenn man sie unter irgendeiner neuen gefälligen Gestalt wieder in Umlauf zu setzen weiß; aber mich deucht, dieser Kunstgriff tut selten eine andere Wirkung, als daß man sich an der neuen Einkleidung ergötzt, wenn sie gefällig ist, ohne daß die alte Wahrheit selbst dadurch in größere Achtung kommt.
Nur das, was wahrhaftig ist, verdient nach Plato die Aufmerksamkeit des Weisen, und was auch die Antiplatonen dawider einwenden, der göttliche Plato hat recht; unter der Bedingung, daß er uns erlaube, zur Erholung uns zuweilen auch mit dem, was nur so scheint, zu amüsieren, eine Ergötzlichkeit, die er uns desto weniger versagen kann, da er sie sogar den Bewohnern der überhimmlischen Gegenden zugesteht.
Es ist gut und mehr als gut, denn es ist unumgänglich nötig, daß wir genau wissen, woran wir sind und worauf wir uns zu verlassen haben, damit uns weder falsche Sicherheit verblende noch unzeitige Furcht und panischer Schrecken so verwirrt mache, daß wir, um ein kleines Feuer zu löschen, nach dem Ölkrug statt der Wasserkanne greifen.
Ein weiser Mann geht nicht auf die Jagd des Vergnügens aus; denn wie oft findet man gerade das Gegenteil dessen, was man sucht. Aber ein unschädliches Vergnügen, das man, wie ein Wanderer im Vorübergehen eine Blume, die an seinem Wege steht, pflücken kann, nicht zu pflücken, würde eine große Sünde gegen uns selbst sein.
Eine beschäftigte Lebensart, häufige Reisen und die mannigfaltigen Verhältnisse mit allerlei Arten von alltäglichen Leuten, in welche man dadurch gesetzt wird, sind immer das sicherste Mittel, die übermäßige Lebhaftigkeit der Einbildung zu schwächen und einen Schwärmer unvermerkt zu seiner eigenen Verwunderung in einen Menschen wie andere umzugestalten.
Das Schöne und Gute fließt in einer einzigen sanften Wellenlinie zwischen unzähligen Abweichungen fort; es ist seiner Natur nach einförmig; wenn man es einmal besitzt, so geht jede Veränderung ins Schlimmere, euere Philosophen mögen sagen, was sie wollen.
Laßt einen jeden nach dem greifen, was ihm zunächst liegt, und nicht mehr essen, als er bedarf, seinen Hunger zu stillen; so werden wir alle von der Tafel gesättigt aufstehen, uns alle wohl befinden, und niemand wird über Unverdaulichkeit klagen oder seinen Mitgästen durch Rülpsen und – beschwerlich fallen.
Wie du das Glück, das dir zu lachen scheint, ertragen wirst, so wird die Welt dich ertragen; wirst du dich bescheiden darin finden, so wird der Neid schweigen müssen, und du wirst den Beifall deiner Freunde und die Achtung der Welt davontragen; läßt du dich übermütig dadurch machen und verlierst den Kopf dabei, so wirst du jedermann gegen dich haben; deine besten Freunde werden sich zurückziehen und die übrigen an deinem Fall arbeiten.
Der weise Mann wird nicht leicht von einem andern erkannt als von einem Weisen, der redliche von keinem andern als einem redlichen Mann. Wenn das Volk über die Fähigkeiten, Talente und sittlichen Eigenschaften anderer Menschen, zumal solcher, die durch Glücksumstände, Erziehung und andere Verhältnisse zu einer ihm fremden Klasse gehören, richtig sollte urteilen können, müßte es dazu nicht nur einen Maßstab haben, den es weder hat noch haben kann; es müßte auch von Vorurteilen, Leidenschaften, persönlichem Interesse und fremdem Einfluß frei sein.
Der beste aller Menschen vermag, wie es scheint, nur wenig über den großen Haufen, der ihn weder zu schätzen noch zu lieben fähig ist; denn er kann nur die Guten an sich ziehen und wird aus derselben Ursache von den Bösen zurückgestoßen.
Sie reden, was sie wollen; mögen sie doch reden, was kümmert's mich. Zwei Arten von Menschen leben nach dieser Maxime, die großen und kleinen Sultane und die Zyniker. Jene, weil sie glauben, die anderen Menschen wären nur Frösche; diese, entweder weil sie kein Verdienst haben und sich weder über diesen Mangel ärgern noch ungerecht genug sind, Belohnungen für etwas zu verlangen, was sie nicht haben, oder weil sie sehen, daß sie es doch niemand recht machen können. Diese handeln am klügsten.
Eine gewisse Entfernung von den öffentlichen Geschäften ist gerade der Standpunkt, wo ein Mann, dem es weder an Welt- noch Menschenkenntnis fehlt, über die Geschäfte und die Personen, die darin verwickelt sind, am richtigsten urteilen kann; und ein solcher Mann schickt sich in dieser Stellung am besten zum Ratgeber und Erinnerer dessen, der in dem Gedränge und der Hitze hes aktiven Lebens nie Augen und Ohren, noch weniger innere Stille und Unbefangenheit genug hat, um keines Erinnerers zu bedürfen.
Witzling und Kennerling, Dichterling und Leserling sind von jeher Korrelata gewesen, deren eines sich in dem andern spiegelt und eines des andern wert ist; und so groß auch aus mancherlei Ursachen die innerliche Zwietracht des Reiches der Dummheit ist, so ist doch immer etwas, das sie bei jeder Gelegenheit gegen den gemeinschaftlichen Feind unter eine Fahne vereinigt.
Der Unverstand der Leser ist immer die Sicherheit unverständiger oder übelwollender Tadler, und es ist nichts Leichteres, als das schiefste Urteil einer Menge von Leuten einleuchtend zu machen.
Alles in der Natur hat seine Zeit, alles ist veränderlich, und so sind es auch die Meinungen der Menschen. Sie ändern sich immer mit den Umständen, und wenn wir bedächten, was für einen Unterschied nur fünfzig Jahre zwischen dem Enkel und dem Großvater machen, so würde es uns wahrlich nicht befremden, daß die Welt binnen ein- oder zweitausend Jahren unvermerkt eine ganz neue Gestalt zu gewinnen scheint. Denn im Grunde ist es doch nur Schein; es bleibt, wiewohl unter anderen Masken und Namen, immer die nämliche Komödie.
Was für ein näheres Interesse haben wir, als unserer Unwissenheit und Irrtümer entbunden zu werden und Götter und Menschen in ihren Werken zu sehen, wie sie sind?
Man kann nur Anlagen ausbilden. Wem die Anlage zu einem vortrefflichen Menschen gegeben ward, der wird sich auch ohne Hilfe einer fremden Hand entwickeln und unter dem bestimmten Einfluß der Umstände, durch das Leben selbst am gewissesten das werden, was er werden kann und soll.
Unglücklicherweise gibt es keine Menschen ohne Fehler, und was auf einem geringen Posten eine wenig bedeutende Unart ist, kann auf einem wichtigen ein großes Laster sein, und doch findet man sich nur gar zu oft genötigt, bei der Wahl eines Subjektes zu einem wichtigen Posten große Untugenden wegen irgendeiner unentbehrlichen Eigenschaft, die der Mann in einem hohen Grade besitzt, zu übersehen.
Die Wissenschaften, die Literatur und die Buchdruckerkunst, die edelste und nützlichste aller Erfindungen, die seit Erfindung der alphabetischen Schreibkunst gemacht worden sind, gehören nicht diesem oder jenem Staate, sondern dem menschlichen Geschlechte zu. Wohl dem Volke, das ihren Wert zu schätzen weiß, sie aufnimmt, pflegt, aufmuntert, schützt und in der Freiheit, die ihr Element ist, ungehindert weben und leben läßt.
Der Schwache und Lahme bedarf einer Stütze oder Krücke, und welcher Mensch ist in keinem Zeitpunkt seines ganzen Lebens schwach? In diesem Fall ist es gut, eine Krücke zu haben, an der man gehen kann; gleichwohl ist es unleugbar besser, ohne Krücke gehen zu können.
Die Nachahmer wissen selten, wieviel Kunst und welch ein hartnäckiger Fleiß oft unter dem Anschein der äußersten Leichtigkeit versteckt ist. Aber sollte man nichts Neues wagen dürfen, damit diesen Leuten die Veranlassung benommen würde, Ausschweifungen zu begehen?
Ein weiser Mann ist nichts weniger als ein Hasser der Freude. Schickt die finstern, hohläugigen, milzsüchtigen Gesellen, welche das Gegenteil sagen, dem Demokritus oder Hippokrates zu. Sie haben keine Widerlegung, Nieswurz und blutreinigende Tränke haben sie vonnöten.
Der Begriff von einem ganzen Volke ist ein unendlich zusammengesetzter, unendlich verwickelter Begriff, wo man sich vor bezüglichen Abstraktionen, falschen Induktionen, Verwirrungen der Zeiten und Orte, Schlüssen vom Einzelnen und Besondern aufs Allgemeine und zwanzig anderen Wegen, die Wahrheit zu verfehlen, nicht genug hüten kann.
Zwar hört es sich einem Redner sehr angenehm zu, der von der göttlichen Schönheit der Tugend und von der heroischen Größe des Mannes, der kein Opfer für sein Vaterland zu kostbar findet, bloß für andere lebt und immer für andere zu sterben bereit ist, mit Gefühl und Begeisterung spricht; aber kein verständiger Gesetzgeber wird die Verfassung eines Staates auf sein Vertrauen in die Weisheit und Tugend seiner Bürger gründen.
Der Enthusiasmus, den die neuerworbene Freiheit einem lange unterdrückten, aber von Natur lebhaften und feuerigen Volke einhaucht, wirkt wie die erste Liebe; der Liebhaber glaubt in gewissen Augenblicken mehr als ein Mensch zu sein, weil ihm die Geliebte eine Gottheit ist. Er wird das Unmögliche unternehmen, wenn der Besitz oder die Erhaltung der geliebten Person auf dem Spiele steht; aber er müßte wirklich ein Gott sein, wenn ihm eine so hohe Spannung natürlich genug werden könnte, um lange zu dauern.
Wehe dem Mann, der so weise wäre, um den übrigen Sterblichen in keiner Schwachheit ähnlich zu sein. Wie sollten sie ihn erträglich finden? Wie sollten sie ihm seine Vorzüge vergeben können? Er muß sich die Freiheit, sie ungestört zu genießen, durch einige wirkliche oder vermeinte Torheiten erkaufen, mit denen er gleichsam den allgemeinen Genius der Torheit dieser summarischen Welt versöhnt und den übrigen Toren das Recht gibt, sich über ihn lustig zu machen.
Das Schicksal von Millionen Menschen in seiner Hand zu tragen, ist ein göttliches, aber für einen Menschen, wie edel und gut er sei, ein schweres Geschäft. Wohl ihm, wenn er dies fühlt. Wohl ihm, wenn er den seinen vulkanischen Netzen, die immer um ihn her gewebt werden, zu entgehen weiß. Und dreimal wohl ihm, wenn er am Ende seiner Laufbahn sagen kann: Ich habe alles Gute getan, was ich konnte, weil ich es ernstlich wollte, und wenn ich Böses getan habe, so geschah es nur, weil ich es für gut ansah.
Warum sollten wir die Freude hassen? Was haben uns die Götter Besseres gegeben? Und warum haben sie uns überall dieses vorüberrauschende Dasein gegeben? Wenn ihre Meinung nicht war, daß wir uns dessen miteinander erfreuen sollen, so hätten sie uns, aufrichtig zu reden, ein sehr gleichgültiges Geschenk gemacht. Weisheit, Tugend, ehrwürdige Namen, die so wenig Bedeutung auf den Lippen der meisten haben, was seid ihr anders als du, der sicherste Weg zur Freude, und du, die beste Art, sie zu genießen?
Der Weg des Genies ist der fünfte zu den vier Wegen, die dem König Salomon zu wunderlich vorkamen; Aristoteles und zwanzig andere konnten wohl über die Werke Homers philosophieren, aber keiner von ihnen hat uns noch ein Rezept geschrieben, wie man eine Ilias machen könne, oder uns erklärt, wie die Ilias in Homers Schädel entstanden ist. Warum sollte es mit dem Jupiter des Phidias nicht auch so sein?
Wie kann ein junger Mensch, der weder, was ihn umgibt, noch sich selbst kennt und dem nur aus Unverstand alles in der Welt so klar und leicht vorkommt, wie kann er jemals gewiß sein, daß er seinen Kräften nicht zuviel zutraue und in der Wahl des Gegenstandes, den er bearbeiten will, sich nicht vergriffen habe?
Was ist die ganze unermeßliche Natur anders als die ewige Harmonie der unendlich mannigfaltigen, aber unauflöslich ineinander geschlungenen und, ungeachtet so vieler wirklichen und anscheinenden Dissonanzen, aufs reinste zusammenklingenden Verhältnisse der Bewegungen und Wirkungen aller Wesen? Und ist es nicht Musik, die durchs Ohr unserm innern Sinn eine viel schärfere und selbst die Wirkung, die das Licht, die Farben und das Helldunkel auf unser Auge macht, an Deutlichkeit und Energie übertreffende Anschauung von dieser, aus unendlich vielfachen Tönen, Stimmen und Akkorden durch den Geist der Ordnung und Liebe zusammengesetzten Symphonien des Weltalls gibt?
Die größten Schönheiten können in den Augen eines wahren Künstlers keinen Fehler zudecken; ohne Fehler sein, ist also die wahre Vollkommenheit. Kein Künstler, kein Dichter wird jemals etwas sehr Gutes, es müßte dann nur durch Inspiration sein, hervorbringen, ehe ihm dieses Geheimnis aufgeschlossen worden ist. Sollte dies nicht auch bei uns die Ursache sein, warum wir, anstatt immer weiter zu kommen, schon wieder im Retrogradieren sind?
Die Imagination eines jeden Menschenkindes und die Imagination der Dichter und Künstler insbesondere ist eine dunkle Werkstatt geheimer Kräfte, von denen das Abcbuch, das man Psychologie nennt, gerade so viel erklären kann als die Monadologie von den Ursachen der Vegetation und Fortpflanzung. Wir sehen Erscheinungen, Veranlassungen, Mittel; aber die wahren Ursachen, die Kräfte selbst und wie sie im Verborgenen wirken, über diesem allen hängt der heilige Schleier der Natur, den kein Sterblicher je aufgedeckt hat.
Ein Dichter ist vielleicht, wenigstens in manchen Fällen, glücklicher, einen andern Dichter zu erraten als Kunstrichter, die so voll Methode, Theorie und Metaphysik der Kunst sind, daß alle Konkreta des Dichters durch eine Operation, die ihnen mechanisch geworden ist, sich in ihrem Kopfe in Abstrakta verwandeln, aus jedem individuellen Zug eine allgemeine Regel wird.
Ich sehe dem Tod ruhig oder vielmehr mit dem stillen Verlangen entgegen, womit man einen Freund erwartet, dessen Kommen gewiß, aber der Tag unbestimmt ist. Ich betrachte ihn als einen guten Genius, der mich im schlimmsten Fall zu einer ewigen Ruhe oder wahrscheinlich an den Ort meiner künftigen Bestimmung führen wird. Die schöne Ordnung und weise Zweckmäßigkeit, die ich im Ganzen der Natur regieren sehe, läßt mich keinen Augenblick zweifeln, daß diese Bestimmung meinen Kräften und meiner innern Verfassung angemessen sein werde. Dies ist alles, was ich davon weiß und wissen kann, und es ist zu meiner Beruhigung genug. Indessen, warum sollte es der Einbildungskraft, deren eigentümliches Gebiet das unendliche Reich der Vermutungen und vermeinten Möglichkeiten ist, nicht erlaubt sein, weiter zu gehen und mit harmlosen Träumen, aus helldunklen Aufblitzungen und Vorgefühlen der künftigen Welt gewebt, die Ungeduld der Erwartung einzuwiegen? Laß es sein, daß der müde Seefahrer, den nach einer langen Reise wieder Land zu sehen verlangt, bei heiterm Wetter ein duftiges Luftgebild am fernen Horizont für eine reizende Insel ansieht; sein Irrtum schadet niemand und gewährt ihm einige frohe Augenblicke.
Es ist eine alte, unzähligemal gemachte Erfahrung, daß eine lange Zeit hingeht, bis ein Mensch, der durch irgendeinen Zufall einer Hand, eines Armes oder Fußes verlustig geworden ist, auch ein dunkles Bewußtsein, das verlorene Glied noch immer zu besitzen, verliert, wiewohl er beinahe alle Augenblicke Gelegenheit hat, den Gebrauch desselben zu vermissen. Ich halte mich gewiß, ebendasselbe müsse vermöge der inneren Ökonomie unserer Natur auch der Fall sein, wenn wir einer Person, mit welcher wir lange in sehr nahen und innigen Verhältnissen gelebt haben, durch den Tod beraubt werden. Ein Beispiel, das ich anführen könnte, überzeugt mich, daß tausend andere oder vielmehr, daß alle nicht ganz gefühllosen Menschen in diesem Falle mehr oder weniger das nämliche erfahren müssen.
Die Theorie der Kunst, aus dem Äußerlichen des Menschen auf das Innerliche zu schließen, kann nur für Leute von großer Fertigkeit im Beobachten und Unterscheiden brauchbar sein, für jeden andern hingegen eine höchst Ungewisse und trügliche Sache.
Das Bewußtsein, daß man nie Böses, immer nur Gutes gewollt und nach Vermögen getan hat, setzt das Gemüt, vornehmlich in den letzten Stunden des Lebens, in eine heitere Stille, die ich einen Anfang der Seligkeit, welche uns die Religion verspricht, nennen möchte. Eine solche Seele senkt sich mit voller Zuversicht in den Schoß des Unendlichen und entschlummert wie ein Kind in den Busen der Mutter unvermerkt aus einem Leben, worin sie nie wieder erwachen wird.
Immerhin mögen die Bestrebungen der wärmsten Einbildungskraft, sich zum wirklichen Anschauen unerreichbarer Gegenstände zu erheben, vergeblich sein, so sind doch diese Gegenstände selbst wirklich; so besitzt doch die menschliche Seele das Vermögen, sich eine Art von Schattenbildern von ihnen zu machen; und so ist begreiflich, wie jenes bloße Bestreben in den innern Sinnen begeisterter Menschen Gefühle und Erscheinungen hervorbringen kann, die bei aller Täuschung noch immer Realität genug haben, um das Subjekt derselben, wenigstens seiner eigenen Schätzung nach, unbeschreiblich glücklich zu machen.
Immer bleibt gewiß, daß wir von dem Zustand unserer Seele vor diesem Leben, von welcher Beschaffenheit es auch gewesen sein mag, nicht die mindeste Erinnerung haben; und ich sehe keinen Grund, warum wir von dem, was uns schon begegnet ist, als wir einen neuen Körper zu beleben bekamen, nicht auf das sollten schließen dürfen, was uns begegnen wird, wenn wir von diesem Leibe wieder geschieden werden. Sowie das Menschenleben, das wir mit unserer Geburt begannen, keine Fortsetzung des vorigen, uns gänzlich unbekannten Lebens ist, so wird auch das Leben, in welches wir durch den Tod geboren werden, aus gleichem Grunde keine Fortsetzung des gegenwärtigen, sondern der Anfang eines ganz neuen sein.
Was hat jene liebenswürdige und glückliche Familie verbrochen, um bei einem Erdbeben von der Erde verschlungen oder von einstürzenden Gebäuden halb zermalmt, eines langsamen, qualvollen Todes zu sterben? Womit hat diese gute Mutter verdient, bei einer nächtlich ausgebrochenen Feuersbrunst mit ihrem Säugling, den sie retten wollte, den schrecklichsten Tod in den Flammen zu finden? Tausend Beispiele dieser Art, die den Glauben an eine wohltätige Vorsehung für die Individuen erschüttern, scheinen einen reichen Ersatz für die Leiden dieses Lebens in dem zukünftigen zu fordern und werden ihn ohne Zweifel auch erhalten. Aber wie groß diese Vergütung auch sein möchte, kann sie machen, daß ich nicht gelitten habe, was ich leiden mußte? Ein Zug aus dem Lethe ist in solchen Fällen die beste Entschädigung.
Unleugbar ist etwas Dämonisches in unserer Natur; wir schweben zwischen Himmel und Erde in der Mitte, von der Vaterseite sozusagen den höheren Naturen, von unserer Mutter Erde Seite den Tieren des Feldes verwandt. Arbeitet sich der Geist nicht immer empor, so wird der tierische Teil sich bald im Schlamme der Erde verfangen, und der Mensch, der nicht ein Gott zu werden strebt, wird sich am Ende in ein Tier verwandelt finden.