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Lady Borby und ihr Gast der Stutzer statten dem Pfarrer einen Besuch ab.
Kaum hatte Lady Borby von dem jungen Herrn gehört, welche wunderbare Schönheit in der Nähe ihres Hauses ihm zu Gesicht gekommen, kaum das Entzücken bemerkt, womit er von ihr sprach, so schloß sie auch sogleich, es müsse Fanny gewesen sein, und begann, einen Plan auszubrüten, wie sie Beiden zu besserer Bekanntschaft verhelfen könne, indem sie die Hoffnung nährte, daß die schönen Kleider, die Geschenke und Versprechungen des jungen Mannes das Mädchen verleiten dürften, Joseph zu verlassen. Noch vor Tische schlug sie daher ihren Gästen einen Spaziergang in den Feldern vor, und führte sie auf das Pfarrhaus zu. Als sie sich demselben näherten, fragte sie, ob sie sich an einem der lächerlichsten Schauspiele ergötzen wollten, das sie sich nur denken könnten, nämlich an einem alten närrischen Landpfarrer, welcher, wie sie lachend hinzufügte, mit einer jährlichen Einnahme von etwa zwanzig Pfund eine Frau und sechs Kinder ernähre, dafür sei aber auch in dem ganzen Kirchspiel keine so zerlumpte Familie zu finden. Der Vorschlag wurde von Allen genehmigt, und sie kamen vor dem Pfarrhause an, während Mistreß Adams, wie wir in den vorigen Kapitel berichteten, noch ihre Schutzrede zu Gunsten der Frauen etwas laut vortrug. Der Stutzer Didepper (so hieß der junge Herr, den wir auf Borbyhall zureiten sehen) äffte mit seinem Stock an der Thüre das Klopfen eines londoner Bedienten nach. Die im Hause versammelte Gesellschaft, bestehend aus Adams, seiner Frau nebst drei Kindern, Joseph, Fanny und dem Hausirer, war über dies Getöse nicht wenig betroffen; der Hausherr eilte nach der Thüre; als diese geöffnet war, trat Lady Borby mit ihrer Begleitung ein, und sie wurden von dem Pfarrer mit nahe an zweihundert Kratzfüßen, und von seiner Frau mit eben so vielen Knixen empfangen; auch betheuerte Letztere der Lady, sie müsse sich schämen, daß sie sich in einem solchen Anzug sehen lasse, und daß alles im Hause in Unordnung sei; aber wenn sie eine solche Ehre von Ihrer Gnaden erwartet hätte, so würde sie Alles geziemend darauf vorbereitet haben. – Der Pfarrer dagegen brachte nicht die mindeste Entschuldigung vor, obgleich er seinen Schlafrock an und eine flanellene Nachtmütze noch auf dem Kopfe hatte. Er sagte, sie seien ihm in seiner ärmlichen Hütte herzlich willkommen, und rief, indem er sich an Herrn Didepper wandte: Non mea renidet in domo lacunar; da der Stutzer aber antwortete, er verstehe die walliser Sprache nicht, so starrte Herr Adams ihn an und verstummte.
Herr Didepper oder Stutzer Didepper (wie man ihn zu nennen pflegte) war ein junger Mann von ungefähr vier Fuß fünf Zoll Höhe. Er trug sein eigenes Haar, obgleich es so wenig vollzählig war, daß der Gebrauch einer Perrücke hinlänglich gerechtfertigt worden wäre. Sein Antlitz war bleich und hager; die Form seines Körpers und seiner Beine keine der schönsten, denn er hatte sehr schmale Schultern und gar keine Waden, auch konnte man seinen Gang fast hüpfend nennen. Seine geistigen Eigenschaften entsprachen ganz den körperlichen. Wir wollen sie zuerst negativ schildern. Er war nicht völlig unwissend, denn er konnte ein Bischen französisch plaudern, und zwei oder drei italienische Liedchen singen; er hatte zu viel in der Welt gelebt, um blöde, aber auch zu viel am Hofe, um hochmüthig zu sein, zum Geize schien er nicht sonderlich geneigt, denn er achtete das Geld nicht sehr, doch konnte man ihn auch nicht einen Verschwender nennen, denn er verschenkte keinen Schilling; die Weiber haßte er weiter nicht, denn er tändelte immer mit ihnen; doch konnte man auch nicht sagen, daß er der Wollust ergeben sei, denn er erfreute sich unter den Personen, die ihn am genauesten kannten, des Rufes einer großen Mäßigung in seinen Genüssen; er war ferner kein leidenschaftlicher Weintrinker; auch gerieth er nie so heftig in Zorn, daß ihn nicht ein paar hitzige Worte seines Gegners gewöhnlich auf der Stelle abgekühlt hätten. Um nun aber auch von der bejahenden Seite ihm ein paar Pinselstriche zuzuwenden: Obgleich er die Aussicht zur Erbschaft eines unermeßlichen Vermögens hatte, entschloß er sich doch, aus der elenden kleinlichen Rücksicht, zu einer höchst unbedeutenden Stelle zu gelangen, sich von einen Wicht abhängig zu machen, den die Leute einen einflußreichen Mann nannten. Dieser behandelte ihn mit der tiefsten Geringschätzung, und verlangte von ihm unbedingte Unterwerfung, die er denn auch auf Unkosten seines Gewissens, seiner Ehre und seines Vaterlandes, – mit dessen Wohl seine eigenen weltlichen Interessen doch so enge verknüpft waren, – ohne Weigerung zugestand. Als der letzte Pinselstrich, den wir seinem Bilde widmen, mag es gelten, daß er mit seiner eigenen Person und seinen Talenten nicht weniger zufrieden, als aufgelegt war, jede Schwäche und jeden Mangel an Andern auszuspähen und zu bespötteln. Dies war das Persönchen oder Dingelchen vielmehr, das hinter Lady Borby her in Herrn Adams Küche hüpfte.
Der Pfarrer und seine Gesellschaft zogen sich von dem Herde, um den sie gesessen hatten, zurück, um der Lady und ihren Begleitern Platz zu machen. Statt aber der Mistreß Adams einen einzigen ihrer Knixe zu erwiedern, wandte sich die gnädige Frau mit dem Ausruf: »Quelle bête, quel animal!« an ihren Neffen; und richtete dann, als sie Fanny erblickte, (denn des Umstandes, daß diese dicht neben Joseph stand, bedurfte es kaum, um die Lady von der Identität ihrer Person zu versichern,) die Frage an den Stutzer, ob er das Mädchen nicht recht hübsch finde? – »Auf Ehre, meine Gnädige,« antwortete er, »es ist dieselbe, von der ich Ihnen schon sagte.« – »Nun, einen so guten Geschmack hätte ich Ihnen nicht zugetraut,« versetzte sie. – »Ah, wahrscheinlich, weil ich Ihnen niemals den Hof machte,« rief Jener. – »Lächerlich!« entgegnete die Lady, »Sie wissen, daß ich von jeher einen Abscheu gegen Sie hatte.« – »Mit Ihrem Gesicht,« versetzte der Stutzer, »würde ich nie das Wort »Abscheu« aussprechen Damit dieses einigen Lesern nicht unnatürlich erscheinen möge, halten wir für nöthig zu bemerken, daß es wirklich dem Gespräch sehr vornehmer Leute entnommen wurde.. Theure Lady Borby, waschen Sie erst Ihr Gesicht, bevor Sie von Abscheu sprechen.« – Diese Artigkeit unterstützte er durch ein Gelächter, und wendete sich dann zu Fanny, um mit ihr zu tändeln.
Mistreß Adams hatte die ganze Zeit über gebeten und gebettelt, daß die Damen sich doch niederlassen möchten, eine Gunst, die ihr endlich zugestanden wurde. Da der kleine Knabe, dem jener Unglücksfall begegnet war, noch immer, um sich zu trocknen, am Feuer stand, wurde er von der Mutter wegen seiner Unartigkeit gescholten; aber Lady Borby nahm sich seiner an, und indem sie seine Schönheit pries, sagte sie dem Pfarrer, er sei ihm wie aus den Augen geschnitten. Ein Buch, das der Kleine in der Hand hielt, führte sie dann auf die Frage, ob er lesen könne? – »Ja, ja,« sagte Adams, »ein bischen Latein, Euer Gnaden; er ist eben bis zum genus gekommen.« – »Ich zweifle gar nicht an seinem Genius,« entgegnete sie, »aber lassen Sie ihn doch etwas Englisches lesen.« – »Wohlan Dick, lege,« sprach Adams, aber der Knabe schwieg, bis er den Pfarrer die Stirn runzeln sah; dann rief er: »Das versteh' ich nicht, Vater!« – »Wie, Dick,« sagte Adams, »besinne Dich doch! Wie heißt der Imperativus von lego? Legito nicht wahr?« – »Ja,« versetzte Dick. – »Und wie sonst noch?« fragte der Vater weiter. – » Lege,« stotterte der Knabe nach einigem Bedenken. – »Brav, mein Sohn,« schrie Adams, »und nun, Kind, was heißt lego auf englisch?« – Worauf der Knabe nach langem Zögern stammelte, das wisse er nicht. – »Wie!« fuhr Adams heftig auf, »hat Dir das Wasser alles weggewaschen, was Du schon gelernt hattest? He! wie heißt das englische Verbum lesen auf Latein? Ueberlege Dir es wohl, ehe du antwortest.« – Und da das Kind einige Zeit nachdachte, rief er ihm zwei oder dreimal zu le – le – bis Dick endlich antwortete: Lego. – »Sehr wohl,« sagte der Pfarrer, und wie übersetzt man nun lego?« – »Lesen!« schrie Dick. – »Brav, mein Sohn,« rief Adams, »Du bist ein gutes Kind, wenn Du dir nur Mühe giebst, so geht es schon. Ich versichere Euer Gnaden, er ist kaum etwas über acht Jahr alt, aber doch schon über sein propria quae maribus hinaus, komm, lies der gnädigen Frau etwas vor.« – Da die Lady nun dringend darum bat, und zwar in der Absicht, dem Stutzer Zeit und Gelegenheit zur Unterhaltung mit Fanny zu verschaffen, so begann Dick, wie man aus dem folgenden Kapitel ersehen wird.