Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil VI
Henry Fielding

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Zweites Kapitel.

Enthält einen sehr tragischen Vorfall.

Während Jones sich mit solchen unangenehmen Gedanken trug, mit denen wir ihn allein ließen, stolperte Partridge 55 in das Gefängniß mit leichenblassem Gesichte und stieren Augen; das Haar stand ihm zu Berge, er zitterte an allen Gliedern, kurz er sah aus wie er ausgesehen haben würde, wenn er ein Gespenst erblickt hätte oder selbst ein Gespenst gewesen wäre.

Jones, der nicht sehr furchtsamer Natur war, erschrak dennoch etwas über dieses plötzliche Erscheinen. Er wechselte wirklich selbst die Farbe und seine Stimme zitterte ein wenig, während er fragte, was es gäbe.

»Sie werden mir hoffentlich nicht zürnen,« sagte Partridge. »Ich horchte gewiß nicht, aber ich mußte in dem Vorzimmer bleiben. Ich möchte lieber hundert Meilen weit gewesen sein als das gehört haben, was ich gehört habe.«

»Nun, was giebt es?« fragte Jones nochmals.

»Was es giebt? Ach, du lieber Gott!« antwortete Partridge; »war die Frau, die eben fort ging, die Frau, welche in Upton bei Ihnen war?«

»Allerdings, Partridge.«

»Und Sie schliefen wirklich bei der Frau?« fragte er zitternd weiter.

»Ich fürchte, daß das, was zwischen uns geschah, kein Geheimniß ist,« sagte Jones.

»Ich bitte Sie um's Himmels Willen, antworten Sie mir,« fuhr Partridge fort.

»Du weißt es ja, daß ich es that,« sprach Jones.

»Dann sei Gott Ihrer Seele gnädig und verzeihe Ihnen,« setzte Partridge hinzu, »denn so wahr ich lebendig hier stehe, Sie haben bei Ihrer eigenen Mutter geschlafen.«

Jones wurde nach diesen Worten ein noch grauenvolleres Bild des Entsetzens als Partridge selbst. Eine Zeit lang benahm ihm das Staunen die Sprache ganz und gar und beide blickten einander stier an. Endlich fand er 56 wieder Worte und mit halbgebrochener Stimme fragte er: »was? was sagst Du mir da?«

»Ja,« antwortete Partridge, »ich habe jetzt nicht Athem genug, um es Ihnen zu erzählen, aber was ich gesagt habe, ist vollkommen wahr. Die Frau, die jetzt hinaus ging, ist Ihre Mutter. Welch' Unglück für Sie, daß ich sie damals nicht sah und ich es nicht verhindern konnte. Der Teufel selbst muß diesen Streich gespielt haben.«

»Das Schicksal scheint nicht ablassen zu wollen, bis es mich zum Wahnsinn getrieben hat. Aber warum tadele ich das Schicksal? Ich selbst bin die Ursache aller meiner Noth. Alles das Unglück, das mich betroffen hat, ist nur die Folge meiner eigenen Thorheit und meines Lasters. Was Du mir gesagt hast, Partridge, hat mich fast um den Verstand gebracht. Mad. Waters also – doch warum frage ich? denn Du mußt sie doch kennen. Wenn Du mich liebst, ja wenn Du nur Mitleiden mit mir hast, so laß Dich erbitten, geh und hole diese unselige Frau wieder hierher zurück. Guter Gott, wozu hast Du mich bestimmt?« Dann verfiel er in die heftigsten Anfälle von Gram und Verzweiflung, so daß Partridge sagte, er könne ihn so nicht verlassen; endlich jedoch kam er ein wenig wieder zu sich; er sagte Partridge, daß er die Frau in dem Hause finden würde, in welchem der Verwundete wohne, und schickte ihn fort, sie dort aufzusuchen.

Wenn der Leser sich an die Scene in Upton, im neunten Buche, erinnern will, so wird er die vielfachen seltsamen Zufälle bewundern, die unglücklicher Weise ein Zusammentreffen zwischen Partridge und Mad. Waters verhinderten, als sie dort einen ganzen Tag bei Jones verbrachte. Vorfälle dieser Art können wir häufig im Leben beobachten, in welchem die größten Ereignisse durch eine Reihe kleiner Umstände herbeigeführt werden und ein scharfblickendes Auge 57 wird auch in dieser unserer Geschichte mehr als ein Beispiel dieser Art entdecken.

Nach einem fruchtlosen Suchen von zwei bis drei Stunden kam Partridge zurück, ohne Mad. Waters gesehen zu haben. Jones, der unterdeß eine Beute der Verzweiflung gewesen, wurde fast wahnsinnig, als er diesen Bericht erhielt. Nicht lange darauf indeß erhielt er folgendes Briefchen:

»Mein Herr,

»Seit ich Sie verlassen, habe ich einen Herrn gesehen, von dem ich etwas über Sie erfuhr, das mich sehr überrascht und mir sehr nahe geht; da ich jedoch in diesem Augenblicke nicht Zeit habe, Ihnen eine so wichtige Sache mitzutheilen, so muß ich Ihre Neugierde unbefriedigt lassen, bis wir einander wieder sehen, was sobald als möglich geschehen soll. Ach, Herr Jones, wie wenig dachte ich, als ich den glücklichen Tag in Upton verbrachte, an den ich nun mein ganzes Leben hindurch nur mit Schmerz werde denken können, wer derjenige sei, der mich so ganz glücklich machte. Glauben Sie mir, daß ich immer aufrichtig sein werde

Ihre unglückliche

J. Waters.«

NS. »Trösten Sie sich so viel als möglich, denn Herr Fitzpatrick befindet sich durchaus nicht in Gefahr, so daß, was Sie auch sonst zu bereuen haben mögen, Blutvergießen nicht zu der Zahl Ihrer Verbrechen gehört.«

Jones ließ den Brief aus der Hand fallen, denn er hatte die Kraft nicht ihn zu halten, wie ihn überhaupt fast jede Kraft verließ. Partridge hob den Brief auf, las ihn ebenfalls, da er stillschweigend die Erlaubniß dazu erhielt und er machte auf ihn einen nicht minder gewaltigen Eindruck. Nur der Pinsel vermag den Schrecken zu schildern, der sich 58 in den Zügen der beiden Männer aussprach. Während beide so sprachlos dastanden, trat der Kerkermeister ein und zeigte, ohne auf das zu achten, was in dem Gesichte beider lag, Jones an, daß ein Mann draußen sei, der mit ihm zu sprechen wünsche. Der Eintretende war Niemand als der schwarze Georg.

Da grausige Scenen dem schwarzen Georg minder gewöhnlich waren als dem Kerkermeister, so erkannte er sogleich die große Bestürzung in dem Gesichte Jones'. Er schrieb dieselbe dem Unfalle zu, der ihn betroffen hatte und der in dem schlimmsten Lichte in Westerns Familie erzählt worden war; er schloß deshalb, der Verwundete sei todt und Jones auf dem besten Wege, ein schmachvolles Ende zu finden, welcher Gedanke ihm viele Sorge machte, denn Georg war ein mitleidiger Mensch und trotz dem schlimmen Freundschaftsstückchen, zu dem ihn die starke Versuchung getrieben, im Ganzen nicht undankbar für die Verpflichtungen, die er gegen Herrn Jones hatte.

Der arme Teufel konnte sich deshalb kaum der Thränen enthalten. Er sagte Jones, das Unglück thue ihm herzlich leid, und bat ihn nachzudenken, ob er ihm vielleicht irgend wie dienen könne. »Vielleicht,« sagte er, »brauchen Sie bei der Gelegenheit Geld und wenn dies der Fall ist, so steht Ihnen das wenige, das ich habe, gern zu Diensten.«

Jones drückte ihm herzlich die Hand und dankte ihm für das freundliche Anerbieten, antwortete aber, er bedürfe nichts der Art. Georg drang ihm trotz dem noch eifriger seine Dienste auf. Jones dankte nochmals und versicherte, daß er nichts brauche, was ihm irgend ein Mensch geben könnte. »Nun, lieber, guter Herr, nehmen Sie sich die Sache nicht so sehr zu Herzen. Es kann besser gehen, als Sie glauben. Sie sind nicht der Erste, der einen Menschen erstochen hat und doch davon gekommen ist.«

59 »Georg, Sie sind weit vom rechten Punkte,« sagte Partridge; »der Mann ist nicht todt und wird wohl auch nicht sterben. Stören Sie den Herrn jetzt nicht, denn es betrübt ihn eine andere Sache, bei der Sie ihm gar nicht helfen können.«

»Sie wissen nicht, was ich thun kann, Partridge,« antwortete Georg, »wenn es mein junges Fräulein betrifft, so habe ich dem Herrn etwas zu sagen.«

»Was sagen Sie, Georg?« fiel Jones ein. »Ist meiner Sophie wieder etwas geschehen? Meiner Sophie? Wie kann ich Elender sie so zu nennen wagen?«

»Ich hoffe noch immer, daß sie die Ihrige wird,« sagte Georg. »Ja, Herr Jones, ich habe Ihnen etwas über das Fräulein zu sagen. Die Tante hat das Fräulein eben wieder zu dem Alten gebracht und da ging es erschrecklich zu. So recht konnte ich die Sache nicht erfahren, aber mein Herr war sehr wild und auch die Tante und ich hörte, daß sie sagte, als sie fortging, sie würde niemals einen Fuß wieder in das Haus meines Herrn setzen. Was es gegeben hat, weiß ich nicht, aber alles war still, als ich ging und Robin, der bei Tische aufwartete, sagt, er habe den Alten lange nicht so freundlich mit dem Fräulein gesehen, er habe sie mehrmals geküßt und gesagt, sie solle ihre eigene Herrin sein und es werde ihm nicht wieder einfallen, sie einzusperren. Ich dachte, diese Nachricht würden Sie gern hören, deshalb schlich ich fort, um sie Ihnen zu bringen, ob es gleich schon spät ist.« Jones versicherte Georg, daß ihm die Nachricht große Freude mache, denn ob er gleich niemals mehr wagen dürfe, seine Augen nach dem unvergleichlichen Mädchen zu erheben, so könnte ihm doch in seiner Noth nichts trostreicher sein als die Ueberzeugung, daß es ihr wohl ergehe.

Der übrige Theil des Gespräches bei diesem Besuche ist 60 nicht so wichtig, daß wir es mitzutheilen hätten. Der Leser wird uns deshalb verzeihen, wenn wir schnell abbrechen, um ihm zu berichten, wie es zuging, daß der Squire so freundlich gegen seine Tochter wurde.

Fräulein Western d. ält. hob gleich nach ihrer Ankunft in der Wohnung ihres Bruders die große Ehre und die Vortheile heraus, welche die Familie durch die Verbindung mit Lord Fellamor erhalten würde, welche ihre Nichte durchaus von sich weise. Als der Squire bei dieser Abweisung die Partei seiner Tochter nahm, gerieth seine Schwester in so heftigen Zorn und reizte den Squire so sehr, daß weder seine Geduld noch seine Klugheit länger Stich hielten und ein so hitziger Wortwechsel erfolgte, wie er vielleicht selbst unter den Fischweibern nie vorgekommen ist. Mitten in dem hitzigsten Streite entfernte sich Fräulein Western und hatte folglich keine Zeit, ihrem Bruder von dem Briefe zu erzählen, den Sophie erhalten und der vielleicht eine übele Wirkung hervorgebracht hätte. Wahrscheinlich dachte sie in diesem Augenblicke gar nicht daran.

Nachdem Fräulein Western sich entfernt hatte, entgegnete Sophie, welche bis dahin geschwiegen hatte, das Compliment, das ihr ihr Vater gemacht, als er ihre Partie gegen ihre Tante nahm und nahm die seinige gegen die Dame. Es war dies das erste Mal, daß es geschah und freute deshalb den Squire im höchsten Grade. Er erinnerte sich zwar, daß Allworthy durchaus die Einstellung aller Zwangsmittel verlangt hatte und da er überdies fest glaubte, daß Jones gehenkt werden würde, so zweifelte er nicht im mindesten, daß er durch gute Worte seinen Zweck bei seiner Tochter erreichen würde. Er überließ sich deshalb nochmals seiner natürlichen Liebe gegen sie und dies machte einen solchen Eindruck auf das pflichtgetreue, dankbare, zärtliche und liebevolle Herz Sophiens, daß sie in diesem 61 Augenblicke vielleicht sich sogar einem Manne geopfert hätte, den sie nicht liebte, um ihrem Vater gefällig zu sein. Sie versprach ihm, alles aufzubieten, um ihm gefällig zu sein, und keinen Mann gegen seine Einwilligung zu heirathen, was den alten Mann so glücklich machte, daß er völlig betrunken zu Bette ging.


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