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Die Umgebung von Baden ist historische Landschaft.
Schon in der Stadt zeigen ganze Häuserfronten ein Biedermeiergesicht: breite, wuchtige Toreinfahrten, einfache, ebenerdige, kaum ein wenig geschmückte Gebäude. Sie stammen aus den Tagen des guten Kaisers Franz, der in den »Hausquartetteln« der Badener Bürger Geige spielte, zum Vergnügen Siegellack bereitete und das verdrießliche Geschäft des Regierens dem Fürsten Metternich überließ. Aus dieser Zeit sind auch ein paar schöne Reliefs an Privathäusern: die Klieberschen »Apothekerputten« am Kaiser Karlplatz, die »Jahreszeiten« in der Wassergasse, sowie das Floragebäude, wo Napoleons Sohn, der Herzog von Reichstadt, und seine Mutter, die Kaiserin Maria 140 Luise, manchen beschaulichen Sommer verlebten. Und ein wahres Schmuckstück des Empirestiles ist die Weilburg, von Erzherzog Karl für seine Frau Henriette durch den Architekten Kornhäusel erbaut, mit dorischen Säulen, Wasserspeiern und Laternenträgerinnen im Stiegenhaus, einem riesenhaften Triton und einem berühmten Rosengarten.
Ja, hier sprechen die Steine die leise Sprache vergangener Zeiten, und in den alten Straßen liegt Sonne und Behaglichkeit. Ein Bad heißt Josefsbad, ein anderes Franzensbad, eines Theresienbad, ein Hof trägt den Namen Metternichs. Altösterreichische Vergangenheit!
Wie dürre Blätter ist unsere Überlieferung vom Ehemals – dürre Blätter, von denen wir mühsam begreifen, daß sie einst frisch und grün gewesen sind. Und doch muß schon zur Zeit der alten Römer, die mit Vorliebe in der Nähe von Thermen siedelten, an dieser Stelle blühendes Leben geherrscht haben; der Kaiser Marc Aurel erwähnt Baden als »thermae cetiae« und bei der »Römerquelle« hat man Reste einer antiken Badeanlage ausgegraben. Zur Zeit Karls des Großen aus Schutt und Trümmern neu aufgebaut, von Raubrittern, Feinden und Feuersbrünsten mehrmals geplündert und verheert, hat sich die Stadt immer wieder mit unglaublicher Raschheit erholt. Das Doblhoffsche Schloß, früher Weikersdorf genannt, in dem 1837 Bauernfeld wohnte, könnte Geschichten aus jenen Tagen erzählen; es ist eine mittelalterliche Wasserburg mit deutlichen Spuren gotischer Bauweise, Stuckdecken und einem Arkadenhof aus 1579; der Umbau fand im Jahre 1692 statt. In Baden vergnügte sich der wilde Kara Mustapha mit seinen Haremsdamen in den Heilquellen: er bezeigte sich der Stadt wenig dankbar, seine 141 Krieger brachten von den 1176 Einwohnern nicht weniger als 848 um und verwüsteten die Badeanlagen so furchtbar, daß das Schwefelwasser in die Trinkwasserbrunnen eindrang und sie verdarb. Auch die Heilquellen haben ihre Geschichte, die für das Wohl und Wehe der Stadt stets von größter Bedeutung war. Am Tage des Erdbebens von Lissabon, am 1. November 1755, entstand die Quelle des Engelsbades; größte Aufregung war in der Stadt, als das Kloster Heiligenkreuz am Sattelbach im Jahre 1777 einen Kohlenbergbau begann und das Wasser der »Ursprungsquelle« plötzlich um sieben Zoll sank, während im Bergwerksstollen heißes Wasser zum Vorschein kam; erst mit der Einstellung des Bergbaues verschwand die bedenkliche Erscheinung. Seither stieg der Ruhm der Badestadt noch höher, und auf der Liste ihrer Besucher stehen Friedrich August der Starke, Peter der Große, Maria Theresia, Napoleon, Maria Luise, Metternich, Uhland, Lenau und Bismarck.
Man muß diese Stadt im Frühling besuchen, bevor noch der Schwarm der Kurgäste einem Stimmung und Frohlaune zerstört. Dann erkennt man, wie richtig ihre Bezeichnung »Wien im Aquarell« ist, sofern man darunter das Wien der Franzenszeit versteht. Dann glühen und duften längs der Gartenzäune Goldregen und Flieder, denn Baden ist die Stadt der Blumen und Gärten; im Park flöten die Amseln und aus krummen alten Gassen fliegt der Blick über 142 gelbe Kalkbrüche, über Terrassen von Weinbergen, über das weite, sonnige Wiener Becken bis zum Leithagebirge. Oder man muß sie in weißen Sommermondnächten durchwandern, wenn der Äskulaptempel im Kurpark noch so still und versonnen liegt wie damals, als er noch funkelnagelneu war und ihn der Kaiser Franz der Stadt Baden zum Geschenk machte; wenn auf dem Hauptplatz die Pestsäule ins Mondlicht emporsteigt, die Altomonte entworfen und der Architekt Stanetti zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts errichtet hat. Da rauscht der Undinebrunnen stärker als am Tage und die Blumen duften süßer – wenn nicht just ein ungünstiger Wind den bösen Schwefelgeruch daherbringt; den Geruch, dem das unschuldige Flüßchen den garstigen Namen »swechant«, althochdeutsch »die Stinkende«, verdankt. Im Hochsommer ist Baden allerdings ein unpersönlicher Kurort mit teuren Hotels und vielen fremden Kurgästen; Trambahn, Autos, geputzte Weiber und reiche, ausländische Müßiggänger verschütten das historische Bild; aber schon zu Herbstbeginn wird es wieder zur Stadt des Friedens und der Muße, in der allerdings von unseren größten Künstlern sehr viel gearbeitet worden ist.
»Der tiefere Mensch genießt einsam und arbeitet in Geselligkeit«, bemerkt einmal Friedrich Hebbel, der oft in Baden Kurgast war. Gerade die Ruhe macht den Schaffenden erst fruchtbar. Und der genius loci von Baden 143 muß ein großer Freund aller Künstler sein. Sonst hätte Beethoven hier nicht in solcher Schaffensseligkeit an seiner »Weihe des Hauses« und an seiner Neunten Sinfonie gearbeitet, Mozart nicht sein »Ave verum« geschrieben, Grillparzer den Plan zum »Goldenen Vlies« gefaßt, von so vielen kleineren Talenten ganz zu schweigen, die hier das Köstlichste suchten und fanden, was dem Künstler werden kann: den Arbeitsfrieden. Bauernfeld, Schubert, Millöcker, Weber: sie alle stehen in der Reihe der Kurgäste dieser Bäderstadt, genossen die Schönheit ihrer landschaftlichen Umgebung, die lyrisch und episch, heroisch und idyllisch ist, je nach der Richtung unserer Wanderfahrt.
Suchst du den stillen, grünen Frieden durchsonnter, lieblicher Täler? Das Helenental, die Hinterbrühl, das Tal von Kaltenleutgeben, sie werden dir in reichster Fülle bieten, was du verlangst. Willst du die phantastischen, gotischen Bauformen zackiger Felsgrate, zerrissener Kalkklippen, himmelanstarrende Steinmauern? In dem Dolomitgebiet der Klause, am westlichen Gehänge des Peilsteins, am Predigtstuhl und auf dem Höllenstein findest du die kühnen Formen eines gigantischen Felsentheaters. Lockt dich der tiefe Frieden dunkler, rauschender Wälder? Steig hinauf zu den Höhen des Eisernen Tores; aber wähle die Zeit des Frühlings dazu, denn da ist das Bild am schönsten. Da treiben die dunklen Nadelhölzer die zartesten hellgrünen Zweigspitzen; dazwischen leuchtet der Laubwald, Buchen und Eichen mengen sich mit Bergahorn, Eberesche, Felsenbirne und Bergmispel zu einer wunderbaren Sinfonie in Grün. Und überall ragen die flachen, schirmartigen Kronen der Schwarzföhren, die mit unbegreiflicher 144 Zähigkeit auch auf nackten Kalkfelsen Wurzel fassen, wo sonst Sturm und Unwetter das Pflanzenleben mit Vernichtung bedrohen.
Und all das drängt sich in einem Umkreis von wenigen Stunden um die Stadt zusammen!
Auch das Helenental ist geschichtlicher Boden. Aber so sehr ist hier der düstere Ernst der Vergangenheit durch die Lieblichkeit des Landschaftsbildes erhellt, daß Napoleon an dieser Stelle im Oktober 1809, als er von Baden zurückkehrte, zu Marschall Berthier die Worte sprach: »Wissen Sie, daß Sankt Helena ausgezeichnet ist durch seine reizende Ruhe, und daß es herrlich sein müßte, an diesem Orte sein Leben zu beschließen«. Der große Gewaltmensch ahnte nicht, daß ihm ein anderes Sankt Helena bestimmt war.
Wie ein prächtiges Tonstück ist dieses Helenental, von der ewigen Meisterin Natur sehr wirkungsvoll komponiert. Andante maestoso in Moll – das ist der erste Satz. Auf gewaltigen Felsenmauern am Eingang des Tales halten düstere Burgruinen Wacht: Rauheneck, zu Karls des Großen Zeit von den Herren von Turso erbaut. Sie gaben dem Bergfried die seltsam dreieckige Form, um die Wucht der schräg auffallenden Geschosse zu schwächen, sie bauten die Mauern drei Meter dick, da das Trutznest vom höher gelegenen Teil des Berges leicht angegriffen werden konnte. Alles vergebens! 1354 erstürmten die Wiener die Burg, 145 weil der dort hausende grimme Raubritter Heinrich von Pillichsdorf ihren Kaufleuten argen Schaden zugefügt hatte; 1529 eroberten es die Türken, 1621 die rebellischen Ungarn – seither ist es Ruine. Der klagende Burggeist, der zu mitternächtiger Stunde dort umgeht, kann nur von einem Knaben erlöst werden, dem aus einer am Wartturm wachsenden Föhre die Wiege gezimmert ward . . . Und in der Königshöhle am Abhang des Burgberges soll der Ungarkönig Bela IV., von Feinden verfolgt, Zuflucht gefunden haben. Talaufwärts liegt die Sankt Helenakirche, dann Rauhenstein, die andere Burg der Tursonen, auch ein Raubnest – ein Ritter Puchheim plünderte hier 1466 den Wagen der Kaiserin Eleonore, als sie von Baden einen Ausflug hieher unternahm, und der erzürnte Gatte Friedrich III., sonst nicht so tatkräftig, ließ die Burg mit Hilfe der Wiener zerstören. 1683 wüteten hier die Türken; die großen schwarzen Rauchflecken an der Mauer rühren aber nicht von jenem Mordbrand her, sondern von harmloser Kienrußbrennerei, die zu Beginn des vorigen Jahrhunderts hier betrieben wurde. Dann kommt die Hauswiese mit schönen Anlagen und der Urtelstein, der einst das Tal sperrte und seit 1828 von einem Tunnel durchbrochen ist. War dieser Felsen wirklich, wie manche Forscher glauben, ein altgermanischer Opferstein für Hel, die Tochter des argen Loki, die später im christlichen Gewande als Helena erscheint und dem Tal den Namen gab? Enger und steiler werden die Felsen; wie ein drängendes und ungeduldiges Allegro muten uns die ragenden Wände mit ihrem tiefdunkelgrünen Waldschmuck an – da wechselt das Tempo und die Tonart, ein lockendes, fröhliches Scherzo voll Lebensfreude und 146 leichtbeschwingtem Rhythmus setzt ein, aus romantischer Ruinenvergangenheit schreiten wir in eine Landschaft voll grüner Seligkeit, wo ewig Sonntag ist, Frieden und Stille und klarer Himmel; die Cholerakapelle lächelt von dem bewaldeten Berghang ins Tal hinab, ein weißes Idyll; und wie ein Sinnbild unvergänglicher Kunst- und Daseinsfreude beschließt der Beethovenstein mit dem Bildnis des Unsterblichen in dem mächtigen Felsblock die wundervolle Wanderung.
Der zweite Glanzpunkt der Badener Gegend aber ist das Eiserne Tor und die Burg Merkenstein.
Aufs Eiserne Tor geht man wohl am schönsten und bequemsten durchs Weichseltal. Hinter dem Jägerhaus wird das Tal ganz schmal und verengt sich zu einer Eingangspforte von mächtigen Felsen, dann gehts im köstlichen, tiefen Schatten bis zum Gipfel. Die tiefer gelegenen Teile des Berges bedeckt der buntgemischte pontische Wald: Schwarzföhren, Rotbuchen, Weißbuchen, Eichen und Linden, auch Ahorne und Mehlbeerbäume. An den Waldrändern aber zeigt sich die pontische Buschformation: Hasel und Hartriegel, Schneeball, Liguster und Brombeere, Rosenbüsche, Faulbaum und Waldrebe, die mit ihren zähen Ranken ganze Sträucher überzieht. Das alles gibt im Herbst ein Bild von entzückender Buntheit. Auf kleinen trockenen Bergwiesen wuchern Sonnenröschen, Erdbeeren, Glockenblumen und Bergkornblumen im fröhlichen Durcheinander. Alle Äußerungen der Natur sind hier kräftiger, bestimmter, farbiger als im weichen, wellenlinigen Sandsteingebiet; schärfer zeichnen sich die Berge vom Horizont ab, statt des weichen Lehms bedeckt harter, körniger Dolomitgrus die Wege, so daß es sich bei nassem Wetter hier besser 147 wandert; sogar der Wind, der durch die Föhrenwipfel zieht, singt ein anderes Lied als im nördlichen Wienerwald – es ist ein hohes feines Sausen, im Eichen- und Buchenwald rauscht er. Urtümliches Handwerk wird hier von der Bevölkerung betrieben, die Pechgewinnung, das Sammeln von heilkräftigen Wurzeln, Beeren und Kräutern. Man arbeitet mit ganz eigenartig geformten Schabern und Messern und die Wundstellen der armen geschundenen Bäume, aus denen das Harz in hellen Tropfen blutet, schimmern im fahlen Gelb durch das blaugraue Dunkel der Stämme. Und dann stehen wir auf dem Gipfel des Berges; von der Höhe des viereckigen grauen Steinturmes, den der Baron Sina erbauen ließ, sieht man die Gipfel des Voralpenzuges, den jäh abstürzenden Rücken der Hohen Wand, das Mandlingplateau, den Sonnwendstein und das Stuhleck. Vor allem drängt sich der Schneeberg mächtig vor, neben ihm die Schneealpe und der Sonnleitstein; Hocheck und Unterberg zeigen sich, noch weiter westlich der Ötscher. Näher heran liegen Peilstein und Schöpfl, dann folgen die Wienerwaldhöhen bis zum Kahlenberg und der Stadt Wien; das Marchfeld und das Wiener Becken öffnen sich zu flachen Riesenschalen, und wenn man Glück mit dem Wetter hat, kann man sogar Bergspitzen aus der Nähe des Plattensees erkennen. Das lieblichste Bild aber liegt in der Nähe: Heiligenkreuz, friedlich in das offene Tal hineingeschmiegt.
Dann geht's auf Waldwegen in kaum einer halben Stunde hinab nach Merkenstein.
Die Burg Merkenstein ist eine steingewordene mittelalterliche Novelle. 148
Ihr Kunstfreunde, Geschichtsforscher, begeisterte Anbeter der Vergangenheit und andere sonderbare Schwärmer, höret unsere flehende Beschwörung: lasset alte Ruinen niemals »stilgerecht restaurieren«! Euer, ach so gut gemeintes Werk raubt dem Betrachter das Schönste und Tiefste, das freie Spiel der Phantasie, das sich an solchen Orten um jedes blasse Freskobild, jeden gotischen Rippenansatz an Türe und Fenster rankt und aus dürftigen Resten ein Traumbild von Schönheit hervorzaubert, das keine Wirklichkeit je erreichen kann, wie die schönste Bühnendarstellung des Faust weit hinter dem Bilde zurückbleiben muß, das man sich beim Lesen der Dichtung erträumt.
Merkenstein!
Da sind Torbogen, eingebaut in unsichtbare Wände; eine Küche ist da, mit einem hohen, vorzüglich erhaltenen Schornstein; da und dort ein gotischer Türsturz – und eine Burgkapelle, klein, aber in ihren Maßen von Länge, Breite und Tiefe voll wunderbarer Harmonie. Traumhaft verblaßte Reste von Wandmalereien da und dort – Kreise, die vielleicht die sinnbildlichen Namenszüge der Evangelisten, vielleicht die Köpfe von Heiligen umschlossen haben; rote, gelbe, blaugrüne Flecken – bedeuten sie faltige Gewänder oder die Landschaft von Golgatha oder das himmlische Jerusalem? Da ist die Altarnische; ganz deutlich erkennst du noch den weitgespannten Triumphbogen, ihm gerade gegenüber ein riesengroßes, gotisches Fenster mit Mauerlöchern und Steinansätzen, armseligen Resten des freigegliederten Maßwerks. Wie müssen die Türken da gehaust haben! Doch sieh: von den Wänden ziehen sich im schönsten Bogen noch die alten Gewölbegurten hin. Ruskin 150 hat einmal gesagt, alles Schöne sei so geartet, daß, wenn sich irgendwo nur noch ein letzter schwacher Rest davon zeigt, auch dieses Letzte schön ist. Phantasie, ewige Mutter aller Künste, komm und erfülle den traurig öden Raum mit deinem lichten Glanz! Laß die ernsten Gestalten des Heilands und seiner Heiligen in Blau und Rot und Gold von den Wänden schimmern, laß die saphirblauen und rubinroten Glasfenster leuchten im magischen Glanz; laß den Weihrauch von dem kleinen Altar in Duftwolken aufsteigen, laß den Burgherrn auf seinem Steinsitz vor dem großen Fenster den grauen Kopf im Gebet neigen, die Stimmen der Ritter und Frauen in einem Marienliede Herrn Walthers von der Vogelweide zusammenklingen zu frommer Harmonie.
Ihr Kunstfreunde aber und Geschichtsforscher und Anbeter der Vergangenheit: lasset alte Ruinen niemals stilgerecht restaurieren!!
Am Fuße der Felswand, aus der das weitläufige Gemäuer emporwächst, hat man in jüngster Zeit eine Höhle entdeckt. Ein Bergknappe steht da, wie der Hüter verzauberter Schätze, statt des Grubenlichtes die Leuchtbirne einer rasch angelegten elektrischen Notbeleuchtung in der Hand; geheimnisvolle rote Striche zeigt er uns, welche die einzelnen Kulturschichten trennen, Knochen von riesigen Tieren, zerfallende Scherben uralter plumper Gefäße. Schon sind die Schutt- und Lehmmassen aus der Höhle zum Teil fortgeräumt; man hat festgestellt, daß sie durch einen unterirdischen Gang mit Küche und Keller der Burg in Verbindung steht. War sie einstmals der letzte Zufluchtsort der Belagerten in höchster Not und Gefahr? Schlichen in finsteren 151 Nächten, in währender feindlicher Belagerung, ein paar todesmutige Männer von hier aus ins Tal hinab, Lebensmittel herbeizuschaffen für müde und hungrige Krieger? Keine Chronik gibt Auskunft. Wiederum spinnt und arbeitet die Phantasie. Eine steingewordene mittelalterliche Novelle. Das ist die Burg Merkenstein.
An der Straße nach Gainfarn aber erwartet uns eine reizende Überraschung. Da dehnen sich links und rechts ganze Haine von Edelkastanien, Beweis für das milde, südliche Klima. Langsam senkt sich die Straße, gerne bleibt man stehen und wendet sich um, um zu beobachten, wie Merkenstein mit seiner breiten, fensterreichen Front immer höher aus den Waldwipfeln emporsteigt, während links der Peilstein wie ein Katzenrücken aufbäumt und zur Rechten tiefdunkelgrüne Föhrenwälder die Berge krönen. Und dann kommt Gainfarn inmitten von Obst- und Weingärten und endlich Vöslau, das 1845 erst 80 Häuser zählte und im Vergleich zu dem alten Aristokraten Baden ein Emporkömmling ist, trotz Badeanstalt und Villen und lärmender Industrie; hier fehlt jene innere Ruhe und Geschlossenheit, die Menschen und Städten Persönlichkeit gibt. 153