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Ich bin angekommen. Ob sie ihrem Rufe entspricht? O ja! viel Geist, viel Würde, und dennoch viel Milde – mehr als ich erwartete – dann aber auch viel Selbstvertrauen. Das ist kein Tadel. Was wäre sie, was wären ihre Völker, wenn sie es nicht hätte? Sie nennen sie Mutter, und thun Recht daran. Sie ist es; freylich mehr dem Sinne, als der That nach, die leider nur selten ihre That ist.
Nun so bin ich dann hier, und bin ausgezeichneter empfangen worden, als ich wünschte. Die Sorge für meine Wohnung war überflüßig. Mein Haus steht leer. Ich habe auf ihren ausdrücklichen Befehl im Pallaste bleiben müssen. Auch meine Leute sollten mit andern vertauscht werden. Diesem ausdrücklichen Befehle habe ich aber ein ausdrückliches Verlangen entgegen gesetzt, und so ist der Befehl nicht vollzogen worden.
»O Herr!« – rief Wilhelm – »welch fürchterliche Pracht! welche unendlichen Zimmer! Man erschrickt vor seinem eigenen Fußtritte.«
Ja wohl! ehrlicher Wilhelm! Man erschrickt vor seinem eigenen Fußtritte. –
Schwermüthig? Nun ja! aber ich thue meine Pflicht. Mit leichtem Herzen? Das habt Ihr gewiß nicht erwartet. Heiterkeit! wer kann sich am Hofe der Heiterkeit rühmen? Verlangt nur keine unmöglichen Dinge.
Mit euren Briefen seyd vorsichtig. Sie werden geöffnet. Vielleicht auch die Meinigen. Vielleicht? – Ohne Zweifel! Dieses Paket, welches zugleich die verlangten Papiere enthält, wird durch einen Reisenden besorgt. Ihr schreibt nun nicht eher, bis Ihr von Wilhelm eine Addresse bekömmt. Er hat Anverwandte in der Hauptstadt, ehrliche Bürger, und wird prüfen, welchen man am sichersten vertrauen kann.
Seht! das ist nun schon die erste Frucht Eures mühseligen Treibens und Drängens! Nebenwege müssen wir suchen, um uns Gedanken mittheilen zu können. Vergeßt nicht, daß Ihr's gewollt habt. –
Nein! keine Vorwürfe mehr! Es ist wahr! auch ich hab' endlich gewollt. Euch reizte der Ruhm, mich reizte die Pflicht. Schön und des Begehrens würdig ist Euer Höchstes, schön und des ganzen Daseyns würdig ist das Meinige. Sollt' ich geirrt haben? – Sollte das Eurige auch das Meinige gewesen seyn? – Ich sehe sie ernten, wo ich säe. – Vielleicht dieß der wahre Grund meines Unmuths – Das sey fern!
Wohlan! in die Schranken bin ich getreten; so will ich dann kämpfen bis zu Ende. Wohl gilt es auf Tod und Leben; aber wahrlich der Tod ist es nicht, den ich fürchte. Und was, was ist es dann? – Stehe Rede, Plagegeist, der mich wachend und träumend verfolgt! Was ist es denn? – Ach du nennst es mir nicht! und schon übermannt mich wieder die fürchterliche Beklemmung. Fort! ich will das Gute! will es mit allen Kräften meines Geistes und Herzens! wie kann das Böse mir schaden? –
Ihr könnt Recht haben! Freylich liegt er sehr schwer auf mir, dieser nordische Himmel. Aber die Nebel sind endlich zerstreut, und wir athmen eine reine, erquickende Luft.
Mit einer Sorgfalt, die mich ängstigt, ist sie um mein Wohlseyn bemüht. Gestern hatte ich, von Morgens vier Uhr, den ganzen Tag mit drey Secretairen gearbeitet, es schlug fünf, und wir waren nicht fertig. Auf diesen Fall habe ich mir, ein für alle Mal, die Erlaubniß verschafft, nicht zur Tafel kommen zu dürfen. So blieb ich denn auch heute, ohne zu ahnen, dieß werde für etwas Außerordentliches genommen werden. Ich irrte. Nachdem sie zwey Mal meines Befindens wegen geschickt hatte, sagte sie mir heute: sie sey auf dem Punkt gewesen, selbst zu mir zu kommen. Ich fühlte meine Wangen erkalten, dann mein Blut gewaltsam hineinströmen. Sie schien auf irgend eine Antwort zu warten. Vergebens! Ich verneigte mich tief, und trat schnell, da P . . . sich näherte, zurück.
Was fragt Ihr? Versteht sich nicht Alles von selbst? – Der thörichte Mensch! daß er des warnenden Gottes in seinem Busen nicht achtet! Daß er wähnt, irgend ein Anderer verstehe ihn besser, als er sich selbst! O wäre ich dieser heiligen Stimme gefolgt! ich wandelte jetzt im Lichte, statt daß nun immer tieferes Dunkel mich einhüllt.
Ich werde reden müssen. Sie wird mich zwingen. Warum zitt're ich gleich einem Verbrecher? Ach ich möchte sie schonen – O wehe! wehe, daß ich in dieses Labyrinth gerathen bin!
Sie scheint mir verändert. Doch wer weiß! Vielleicht war ich ein eitler Thor. – Wie dem auch sey! ich athme freyer und danke dem Himmel dafür; besonders da sich meine Geschäfte täglich vermehren. Gern will ich auf diese Weise mich opfern; aber meinen Leuten muß ich Erholung gönnen. Ach sie liegen, wie ich, an goldenen Ketten!
Ist es wahr, o Gott? Ist es endlich dahin gekommen? Sie, die größeste der Frauen, bittet um meine Liebe! Warum konnt' ich ihr gar nichts erwiedern? Nichts auf dieses Auge voll Thränen! Nichts auf diesen zitternden Händedruck! Nichts auf diese Sprache der wahrsten und tiefsten Leidenschaft! – Bin ich kein Mensch? Ist sie nicht schön? nicht edel? – Aber ich wußt' es vorher. O hätte sie geschwiegen! Unglückliche! und ich, ich Unglücklicher! Wie wird das enden!
Noch begreift sie nicht mein niedergeschlagenes Auge, mein Schweigen, glaubt vielleicht das Glück habe mich betäubt. O wäre der Augenblick vorüber, wo ich die Decke wegreißen muß! Aber bin ich nicht auch ein Mensch? und hat mein Herz keine Rechte? – Nein! sie wird mich nicht hassen! Eben weil sie edel und menschlich ist, wird sie mich begreifen, und das Unmögliche nicht fordern. Ach! Tausende wagten ihr Leben an das Glück, was mir nicht frommt. Wohlan, ich rede! Ich mache sie selbst zum Richter über mein Herz. Und, wer weiß – vielleicht ist es auch nur eine Laune.
Ihr habt sonst viel Wesens von meinem Muthe gemacht. Seht! jetzt handle ich, wie ein Feiger. Jeden Morgen stehe ich mit dem Vorsatze auf, frey, wie es einem Manne ziemt, mit ihr zu reden; aber beym Annähern der Stunde, wo ich sie sehen muß, fühle ich meinen Muth immer mehr verschwinden, die Nacht überfällt mich, und das schreckliche Verhältniß besteht wie vorher.
Mir selbst unbegreiflich muß noch immer etwas ihre Hoffnung Nährendes in meinem Betragen liegen, sonst hätte sie mich des Redens längst überhoben. Würde mir nicht die Freude gegönnt, Gutes zu wirken, ich risse mich plötzlich heraus, möchte daraus folgen, was da wollte.
Abends.
In ihren Zimmern soll ich arbeiten. So will sie Entscheidung? – Wohlan! sie möge ihr werden.
Vorüber ist die schreckliche Stunde! Vielleicht folgen ihr schrecklichere – Es sey! scheine ich doch jetzt, was ich bin.
Zwey martervolle Tage waren ganz in ihrer Nähe verflossen. Wichtige Geschäfte waren beendigt. Daß ich sie mit Geistesfreyheit, in dieser drückenden Nähe, beendigte, ist mir noch jetzt unbegreiflich; aber mein Entschluß, das abscheuliche Dunkel zu zerstreuen, war fest. Dieß ohne Zweifel der Grund meiner unbefangenen Besonnenheit.
Sie bemerkte sie, bemerkte sie abwechselnd mit Bitterkeit und Wohlgefallen. Endlich, da ich ihr die Papiere, zwar mit niedergeschlagenen Augen, aber doch ruhig überreichte, ergriff sie plötzlich meine Hand, und ein kalter Schauer durchdrang mein Innerstes.
Sie wollte reden; die Stimme versagte ihr. So standen wir einige Augenblicke. Des Todes Bitterkeit kann mir von nun an nicht fremd seyn, ich habe sie während dieses Schweigens empfunden.
»Sie sollten immer hier arbeiten,« – sagte sie endlich – »mich dünkt dieses Geschäft wurde schneller, als gewöhnlich, beendigt.«
Ich war in einer besonders glücklichen Stimmung.
»Eben deswegen!« – antwortete sie schnell und richtete ihr durchdringendes Auge fest auf das Meinige. – Ich schwieg; aber mein Blick muß geantwortet haben, denn ein hohes Roth überflog ihre Wangen, und meine Hand fiel aus der Ihrigen. Sie wandte sich schnell von mir ab, und ich glaubte mich entlassen; aber kaum hatte ich einige Schritte gethan, als ich mich plötzlich umfangen fühlte. Von ihr! von ihr! – Fast leblos starrt' ich vor mir hin, bis ein Tränenstrom aus ihren Augen mir die Besinnung wieder gab.
»Hassest du mich?« – rief sie mit halb erstickter Stimme – »Hassest du mich?« – rief sie lauter. Plötzlich entstand ein Geräusch. Ich wollte antworten, als das Geräusch dicht vor den Thüren sich verstärkte, und ich, schnell aus ihren Armen mich windend, hinaus eilte.
Ich warf mich an den Schreibtisch und gebot meinen Leuten jedermann zu entfernen, schilderte ihr dann den Zustand meines zerrissenen Herzens. Die Nacht hatte mich abermals überfallen; an Ruhe war nicht zu denken. Ich hieß meine Leute sich niederlegen und eilte in die Wildniß – so nennt sie den schönsten ihrer Gärten.
Das Papier, das vielleicht über mein Leben entschied, ruhte auf meinem Busen. Lang irrt' ich herum. Nur Augenblicke trat der Mond aus den düstern Wolken. Das Bild meiner seligen Kindheit glitt in seinem Strahl bey mir vorüber. Bittrer Unmuth wollte mich ergreifen; da warf ich mich auf eine Rasenbank, und mein Blick fiel auf ihre noch immer erleuchteten Zimmer.
»Sie leidet, wie du!« – rief eine Stimme in meinem Innern – »Vielleicht mehr noch als du!« – Mitleid besiegte den Unmuth, und ich kehrte zurück, fest entschlossen, sie auf das Aeußerste zu schonen. –
Vergebens! sie wollte Offenheit. Schon früh am Morgen wurde eine Jagd angesagt.
Es sey ihr ausdrücklicher Befehl: ich solle dabey seyn. Mit banger Ahnung hört' ich die Worte des Boten, unterdrückte aber bald, unwillig über mich selbst, diese lähmende Empfindung und ging Iwanova mit Zuversicht entgegen.
Strahlend von Schönheit erhob sie sich über ihre Frauen, und ich schalt mich undankbar und gefühllos. Ach! sie mißverstand mich abermals und freute sich ihres Sieges. »Unglückliche!« – dacht' ich – »der es so schwer wird, an Unglück zu glauben! reißt dich dein Schicksal um einen Schritt weiter, so ist die Täuschung auf immer verschwunden!«
Aber sie war fern, etwas ihr Widriges zu ahnen, und benutzte jeden Augenblick, wo sie in meine Nähe gelangen konnte. Ein Reh wurde verfolgt. Abermals schoß sie mit flammendem Blick an mir vorüber; als ihr Pferd schäumend sich bäumte, und sie unfehlbar gestürzt seyn würde, hätt' ich sie nicht in meinen Armen aufgefangen.
Sie war heftig erschrocken und schien an mir niedersinken zu müssen. Sanft legt' ich sie auf den Rasen und kniete an ihre Seite, allenthalben nach Hülfe umherblickend.
Aber jetzt schlug sie das große brennende Auge zu mir auf, zog meine Hand an ihr Herz und fragte noch einmal, mit einer Stimme, die mein Innerstes durchbebte: Hassest du mich? –
»Jetzt, oder niemals!« dacht' ich, zog das Papier aus meinem Busen, legt' es zu ihren Füßen, drückte ihre Hand an meinen Mund und zog mich schnell, da ihre Leute herbeyeilten, ins Gebüsch.
Laßt mich Athem holen.
S . . . . hatte sie auf sein Lustschloß gebeten, in dessen Nähe die Jagd veranstaltet war. Man hatte sie in einen offenen Wagen gebracht, und eilte das Schloß zu erreichen. Anfangs schien sie in dumpfer Betäubung dem Schwarm zu folgen; aber dann riß sie plötzlich, wie von einem schweren Traume erwachend, das Papier aus ihrem Busen, Feuerröthe und Todesblässe wechselten auf ihren Wangen. Dann schoß ein Blick aus ihrem Flammenauge und traf gerade den, den er treffen sollte. Aber ich war gefaßt und denke, mein Aeußeres müsse weder Trotz, noch Feigheit verrathen haben. Ich folgte in stiller Ergebung.
Ihr Wagen hielt. Schon war ich am Eingange sie zu empfangen, wurde aber von S . . . übereilt. Ihr Unmuth darüber war sichtbar; doch erzwang sie ein Lächeln und rauschte mit Majestät an mir vorüber.
S . . . . hatte alles aufgeboten, ihre Gegenwart zu verherrlichen, und den ganzen benachbarten Adel zu Hülfe genommen. Aber sie verlangte allein gelassen zu werden, um sich – wie sie sagte – zur Freude zu sammeln. Ein Glück für S . . . . der mitten in seinen Anstalten überrascht war.
Kaum hatte sich der Schwarm zerstreut, als ich zu ihr gerufen wurde. Ich ging ohne Beklemmung.
An die Büste ihres großen Ahnherrn gelehnt, das Auge von Thränen umdüstert, schien sie mich Anfangs nicht zu bemerken; plötzlich aber wurde sie mich gewahr und kam schnell mir entgegen.
»Wer« – sagte sie mit dumpfer Stimme – »wer gab dir den Muth, mir zu schreiben? mir also zu schreiben? Vergaßest du, wer ich bin?«
Nein! gewiß nicht!
Wie!
Ich schrieb der größesten und gerechtesten der Frauen.
Du liebst!
Nein.
Hast nie geliebt?
Niemals.
Unmöglich! – kein Weib rührte dein Herz?
Ich suchte und fand keins.
Was erfüllte dann deine Jugend?
Das Schicksal meines Hauses.
Ach! das Schicksal deines Hauses! War der Gedanke deiner nicht würdig, den Glanz deines Hauses zu erneuern?
Träume des Jünglings müssen dem Manne scheinen, was sie sind.
Wie! das müßten sie auch dir? – das müßten auch Träume für dich seyn? für dich, der . . . Ha Undankbarer! – – Hier lies! lies mir die Worte, die mein Herz, wie giftige Dolche, durchbohrt haben! Lies! aus deinem Munde will ich sie hören!
»Was hält dich?« – rief sie abermals mit einem Blicke, der mein Innerstes durchdringen sollte – »Mitleiden? Fort! fort aus meinen Augen!«
Sie selbst eilte fort, das Gesicht in den Händen verbergend.
Endlich erschien sie wieder, das Auge von Thränen geschwollen; aber mit lächelndem Munde, mit Hoheit auf der blendenden Stirn. Ein Haufen blumenbekränzter Mädchen eilte ihr entgegen. Das erste brachte ihr kniend ein Danklied. Plötzlich flog ihr Blick über die Menge, er suchte mich, fiel dann wieder auf das Mädchen, dann wieder auf mich. – Sie konnte einen großen entsetzlichen Kampf nicht verbergen. Doch fragte sie nach dem Namen des Mädchens, nach dem Vater, und ein grauer Krieger, der Graf P . . ., trat hervor.
Noch immer kniete das Mädchen, bis es endlich, von ihrer Hand aufgerichtet, zur Seite trat.
Jetzt verstand ich ihren Blick. Das Mädchen schien, besonders in seiner idealisch-ländlichen Kleidung, ein überirdisches Wesen, das Bild der reinsten, vollendetsten Weiblichkeit; doch wahrlich meinem Herzen blieb es fremd. Ich fühlte mich – leider möcht' ich sagen – gezwungen, den Schein sogleich von der Wirklichkeit zu trennen.
Die Unglückliche! welche Qual sie selbst sich bereitet! – Ach von Allem, was sie umgiebt, ist sie meinem Herzen immer noch das Nächste. Sie leidet und leidet durch mich.
Das Fest dauerte bis tief in die Nacht. Einige lobten, Andere tadelten. Mir blieb alles wie in Nebel gehüllt. Nur die Gestalt der großen Leidenden wurde mir sichtbar, und verfolgte mich selbst noch im Traume.
Ein Sieg war erkämpft, und ich mußte ihr diese Nachricht ohne Aufschub verkündigen. Ein schwerer Gang! Für andere ein Triumphzug. Ich ahnete, mein ungewöhnliches Erscheinen werde ihre Erwartung aufs höchste spannen, und ich hatte nicht geirrt. Sie empfing mich mit strahlendem Auge, in jedem Blicke eine Frage.
Schweigend überreichte ich ihr die Zusicherung ihrer vergrößerten Macht. Sie las; aber das Papier entfiel ihren Händen. Wie plötzlich gelähmt sank sie zurück, und sichtbarer Unmuth war über ihr ganzes Wesen verbreitet. »Ist das Alles?« – sagte sie endlich.
Ich bekenne, daß diese Nachricht meine Erwartung weit übertrifft. Durch diesen Sieg ist beynahe ein halber Welttheil erobert.
Und wenn ein ganzer Welttheil nun mein ist, bin ich dann reicher? –
Reicher an Macht, Segen über Tausende zu verbreiten.
Diese Tausende sind dann gesegnet, und ich darbe unter diesen Tausenden.
Mitten unter einem treuen, Sie bis zur Anbetung liebenden Volke!
Mitten unter diesem Volke.
Das wird der Nachwelt unbegreiflich scheinen.
Auch dir? Auch dir?
Monarchin! – sagte ich nach einigem Stillschweigen – darf ich um eine Gnade bitten?
Grausamer! Ob du darfst? –
Sie umschließen Tausende mit Ihrer Liebe und Sorgfalt, haben Sinn für ihre Freuden und Leiden – muß ich der einzige Verwais'te seyn unter diesen Tausenden? Hat Iwanova keinen Sinn für meine Leiden?
Die Gnade! die Gnade, die du erbittest!
Gerechtigkeit.
Du! du Gerechtigkeit! von mir! Falscher! Wer ist der Ungerechte? –
Fordert Iwanova Gerechtigkeit? Fordert sie das Mögliche? –
»Das Mögliche!« – rief sie, und Todesblässe bedeckte ihre Wangen – »Barbar! Also fordert Iwanova das Unmögliche? – Geh'! du hast mich von der Hoffnung auf ewig geschieden. Komme nun wieder mit Siegesnachrichten meiner zu spotten! Hüte dich!« – und plötzlich brannten ihre Wangen – »Hüte dich! die Hoffnungslosen sind gefährlich.« –
So seyd denn nun auf Alles gefaßt! Ich bin es und war es.
Sie wird heftig, launisch, könnte grausam werden, wenn ich es duldete. Oft erstaune ich selbst über die Wahrheiten, die der Augenblick mir entreißt. Doch wie könnt' ich anders, ohne den Lebensmuth gänzlich zu verlieren? Auch scheint sie das zu begreifen; freylich auf eine andere Weise, als ich wünsche.
Noch ist ihr die Stimme der Nachwelt etwas werth; aber an meiner Erhaltung liegt ihr mehr. Sonderbar! und mir selbst kaum begreiflich: sie nennt sich hoffnungslos und ist es nicht. Ich liebe keine Andere; darin, glaub' ich, liegt Alles.
Die Höflinge haben nicht umsonst gespürt. Unser Verhältniß ist entdeckt. Die mitleidigen Seelen wollen sich der großen Leidenden annehmen und den schönen R . . . auf das schleunigste berufen. Sie zweifeln keinen Augenblick an meinem Falle und halten das beispiellose Verbrechen, was sie mir doch jeder für sich von ganzem Herzen verzeihen, wenigstens der ewigen Verweisung würdig.
Gebe ich meiner Sehnsucht nach Freyheit und Ruhe Gehör, so wünsche ich, es möge ihnen gelingen. Aber leider ist der schöne R . . . nur sehr schön und Iwanova liebt ihren Ruhm und ihr Volk. Ich fürchte, meine Ketten werden jetzt nicht gelös't.
Wunderbar! bedeutet das Freude oder Schmerz? – Ich bin im Besitze eines Schatzes, zu dem sich meine kühnsten Wünsche nicht erheben konnten, weil ich an seinem Daseyn verzweifelte. Die schönste, reinste, Seelenvollste Jungfrau ist mein. Ihr erstaunt. Ich erstaune, wie Ihr.
Graf G . . . kehrte aus neunjähriger Gefangenschaft zurück. Ich trug sein Schicksal an meinem Herzen und eilte ihm entgegen. Seine Schwester war vor einem Monate gestorben und hatte G . . .s einzige Tochter verwais't zurückgelassen. Als funfjähriges Kind war Maria aus seinen Armen gerissen. Jetzt sah er die schönste Jungfrau seine Knie umfassen, hörte sich Vater von ihr nennen. Es war zu viel. Er sank mit schmerzhaftem Lächeln zurück, und was wir auch thaten, ihn zur Freude zu stärken, er vermochte sie nicht mehr zu tragen.
»Sieh, das ist mein Retter! möcht' er der Deinige werden!« mit diesen Worten verschied er in unsern Armen, und Maria nannte mich Vater. Fast könnt' ich es dem Alter nach seyn; dem Herzen nach bin ich es schon. Ihres Vermögens bleibt sie beraubt. Immerhin! das Meinige ist das Ihrige.
G . .s Schwester lebte auf einem Guthe, zwey Meilen von der Hauptstadt. Das Guth ist an des Mannes Verwandte zurück gefallen; von denen ich es aber sogleich gekauft habe. Der Ort, wo eine Jungfrau erblühte, scheint mir mit ihr ein heiliges Ganzes auszumachen. Mich dünkt, sie werde dort allenthalben von schützenden Göttern umschwebt, die sie nur trauernd, selbst dann, wann der Gatte sie raubt, dem Schicksal überlassen.
Eine verständige Frau, altadlicher, aber dürftiger Familie, welche Mariens Erziehung seit acht Jahren leitete, wird die Führung des Hauswesens übernehmen und, wie sie es von jeher that, Mutterstelle bey Maria vertreten.
Geheim kann das Alles nicht bleiben, und so muß ich Iwanova davon unterrichten. Aber wann?
Schon fühl' ich die Wirkung des Reichthums, zittere schon vor dem Verluste meines Schatzes. – Doch warum zittern? – Er ist und bleibt mein im höchsten Sinne des Wortes.
Wer darf mir wehren, für die Bildung dieses herrlichen Mädchens Alles zu thun? Ihr Wohl als das Meinige zu betrachten? So lange sie selbst mir bleiben will, wer darf sie mir rauben?
Sanft mögt' ich sie, durch alle Klippen der Jugend, in einen blumen- und fruchtreichen Lebensgarten führen. Dahin gelangt, wähle sie dann einen andern Führer, wofern sie einen sicheren findet.
Vor Euch darf ich so denken. Ihr kennt und begreift mich; aber sicher heiß' ich Iwanoven ein Betrüger, den Höflingen ein Wahnsinniger. Es sey! Was wär' ich, wenn ich Ihnen jemals anders erschiene?
Ich bin im höchsten Grad unzufrieden mit mir selbst. Maria ist seit vier Wochen unter meinem Schutze, und Iwanova noch mit keinem Worte unterrichtet. Ohne Zweifel würden mir die Höflinge zuvorgeeilt seyn, läge ihnen nicht alles daran, Iwanovens Aufmerksamkeit ausschließend für den schönen R . . . zu gewinnen. Auch gelingt es ihnen über Erwarten, so, daß sie sich des lauten Frohlockens kaum enthalten können. Möchten sie doch ihren Sieg allenthalben verkündigen; wüßte Iwanova nur, was ich ihr, sicher zu meinem Nachtheile, so lange verschwieg.
Will ich wahr bleiben, so muß ich gestehen, über den eigentlichen Grund dieses tadelhaften Stillschweigens nicht mit mir einig zu seyn. Bald war es Furcht Iwanovens Schmerz zu erneuern, bald die Angst Maria, die Schuldlose! irgend einer Gefahr Preis zu geben, bald wähnt' ich – freylich nur augenblickliche Täuschung – gänzliches Schweigen sey dennoch das sicherste.
Welchen von allen diesen Gründen werde ich nun als den wahren angeben? – Alle! denn sie sind alle wahr! Und so erwarte ich dann keine Gelegenheit mehr, sondern rede noch heute, wie es mir ziemt.
Lebt wohl! Mein Leben war nichts, als ein Kampf, und wird es bleiben.
Noch hat sie nicht den Muth, mich warten zu lassen. Ich bekam schneller Gehör, als die Mienen der Höflinge versprachen, und eilte, Gebrauch davon zu machen.
Treu und lebhaft schilderte ich ihr meine Verlegenheit, klagte über mein fehlerhaftes Betragen und gestand, es könne mir mit dem vollen Scheine des Rechts zur Last gelegt werden.
»Sey ruhig!« – unterbrach sie mich, mit erzwungenem Lächeln – »die Rechtfertigung wird dir erlassen. Du hast die Tochter eines Verwiesenen in Schutz genommen. Das arme Geschöpf wird seiner bedürfen, und dir aus Dankbarkeit eine treue Magd werden.«
Es ist die Tochter des Grafen P . . . .
Nun ja! des verwiesenen Grafen P . . . .
Der von allen Rechtschaffenen geliebt und verehrt, dennoch einer schändlichen Kabale unterliegen mußte.
Er war unbesonnen und verscherzte die Gnade seines Monarchen.
Ach, er wurde verkannt von seinem unglücklichen Monarchen! Er war edel und wahr! und so mußte er fallen.
Du verschwendest dein Bedauern! spare es für deine Untergebene.
Monarchin! dieses Wort soll mich schmerzen – doch fühl' ich keinen Schmerz. Maria P . . . . ist Niemands Untergebene und kann es nicht werden, so wenig Iwanova es werden kann.
Verschwunden war die künstliche Fassung. »Entferne dich!« – rief sie glühend vor Zorn, und ich entfernte mich gern.
Iwanova's Zorn schützt Maria vor dem gefährlichen Glücke, bey Hof erscheinen zu müssen, und befreyt mich von einer Menge ängstlicher Sorgen.
Du schöne, zarte Blume! blühe fort in Einsamkeit! Möge kein Sturm dich bedrohn! – Meine angelegentlichste Sorge wird es seyn, dir Licht und Freyheit zu erhalten.
Das himmelreine Wesen! Wie der bloße Anblick meine umdüsterte Seele erheitert! Wie Vergangenheit und Zukunft vor mir schwindet! Wie tiefer, seliger Frieden mich rings in ihrer Nähe umfängt!
Nur fern von Getümmel der Stadt, und ihrer verderbten Sitte, war es möglich, diesen heiligen Kindersinn zu bewahren. O Maria! Maria! wer ihn nur trübte!
Ich hatte gestern mit ihrer Pflegemutter eine lange Unterredung darüber. Sie wähnt, Maria trete nun in die Jahre, wo gewisse Anstandsregeln unvermeidlich wären. Das Entgegeneilen, mit ausgebreiteten Armen, sey doch von nun an nicht mehr schicklich. Man könne uns für Verlobte halten.
Und wenn man uns dafür hielte?
Sie dürfen es wahrscheinlich nie werden.
Weswegen?
Das fragt mich Fürst Alexander? –
Allerdings.
Nun so bitte ich, daß er sich selbst darauf antworte.
Das würde doch nur meine, nicht Ihre Antwort seyn.
Liegt Ihnen an meiner Antwort?
Würde ich sonst darum bitten?
Wohlan denn! Iwanova herrscht in diesem Reiche. So lang Fürst Alexander darin lebt, wird er sich nie vermählen dürfen.
Ich bin ein freyer Mann und kann leben, wo ich will!
Ah das verändert die Sache! Ich rechnete nicht auf einen so festen Entschluß.
Konnten Sie einen andern erwarten?
O ja! ich konnte glauben, Fürst Alexander wolle und dürfe Maria nur Vater seyn.
In der That war das bis diesen Augenblick mein Wille; aber es war mein freyer Wille. Ich hoffe sie jetzt davon überzeugt zu haben.
Gebe der Himmel, meine Ueberzeugung möge hinlänglich seyn, Mariens Ruhe zu schützen.
Was fürchten Sie?
Ist mir statt der Antwort eine ähnliche Frage erlaubt? – Was fürchtete Fürst Alexander vor nicht gar langer Zeit? denn daß er fürchtete, war sichtbar.
Er fürchtete, den Schein irgend einer Schuld auf sich zu laden.
Nicht die Schuld selbst?
Wo wäre hier Schuld?
Ich schweige.
Und möchten Sie hinzusetzen: ich bin ruhig. Mutter meiner Maria! seyn Sie es! Vertrauen Sie einem Manne, der weiter nichts beschließt, als in jedem Verhältnisse ein Mann zu seyn und zu bleiben. Ist das so außerordentlich?
Bey Fürst Alexander ist weder das Große, noch das Schöne außerordentlich.
Ich danke Ihnen für die Schmeicheley! möge sie Wahrheit werden. Nur wenn Sie mich Ihres Vertrauens würdig glauben; versagen Sie mir nicht meine Bitte! Lassen Sie uns Mariens Unbefangenheit als heilig betrachten! Sie ist es. Auch würden wir ihr das Unersetzliche rauben. – Ich könnte Sie zu rühren versuchen, könnte Sie beschweren, mir nach einem arbeitsvollen Tage, dieses Labsal nicht zu versagen. Aber Sie fühlen wohl, daß ich das nicht darf, und eben deswegen nicht will. Nur von Maria soll unter uns die Rede seyn, nicht von mir selbst.
Sie reichte mir zutrauungsvoll die Hand, und wir schieden als nähere Freunde.
Der schöne R . . ., von einer Menge Orden fast erdrückt, verläßt nicht mehr seine große Beschützerin. Meine Freunde beschuldigen mich eines gewissen Lächelns bey seinem Annähern. Er komme zu mir, wie ein asiatischer Despot, und gehe wie ein gezüchtigter Schulknabe.
Ich bin mir dessen nicht bewußt, und werde von nun an über mich wachen. Meinen Weg ruhig fortzugehen, das ist mein Wunsch, nicht jemand zu reizen.
Iwanovens Betragen setzt Alles in Erstaunen; aber mein Erwarten hat es nicht übertroffen. Ich wußte, sie werde die Pflicht niemals der Leidenschaft opfern, hier mehr, als jemals ihre Größe behaupten. Freylich scheint ihr der Eindruck, den die Erhebung des schönen R . . . auf mich macht, nicht gleichgültig. Ein paar Orden hat er offenbar diesem Umstande zu danken. Um so mehr liegt mir daran, meiner Freunde Ansicht möge nicht die wahre seyn, wenigstens nicht bleiben.
Fast wäre der Jubel des Volks über mein unverhofftes Erhalten zu laut geworden, fast hätte Iwanova ihrer Größe dabey vergessen können. Menschlich wäre es gewesen, der Versuchung zu unterliegen; groß und wahrhaft bewundernswürdig war es, ihr zu widerstehen. Wie könnten, nach solchem Beyspiele, noch kleinliche Empfindungen bey mir herrschen? – Sie besitzt alle männlichen Tugenden, daß ihr die weiblichen fehlen, ziemt mir nicht, weder zu bespötteln, noch, wenn ich es auch könnte, zu bestrafen.
Wohl dem Manne, der dich, du Reine! Holdselige! für das Leben gewinnt! Werd' ich es seyn? – Aber bin ich es nicht schon? – Nein! Nein! noch bin ich es nicht! noch hat sie keine Ahnung von mehr als kindlicher Liebe. Von einer Leidenschaft wird sie dennoch beherrscht. Sonderbar genug! von der Leidenschaft des Wissens. Alles möchte sie lernen. Ergreift das, wozu sie Gelegenheit bekommt, mit einer Liebe, mit einer Treue, die mich, wie ihre Pflegemutter, in Erstaunen setzt.
Manches hielten wir für Laune; besonders war dieß der Fall bey der Musik. Sie wollte fast alle für sie schickliche Instrumente lernen, spielt jetzt wirklich das Clavier, die Harfe, die Laute mit seltner Fertigkeit und mit unbeschreiblichem Ausdruck. Ihre seelenvolle, himmelreine Stimme übertrift das Alles.
Seh' ich sie am Clavier, in der tiefen Trauer um ihren Vater, die sie, trotz allen Bitten nicht ablegt, den blendenden Hals von schweren, blonden Locken umflossen, himmlische Unschuld in den kindlichen Zügen; aber das Feuer der Begeisterung im Auge. – O was sagt dieses Auge! – Wenn ich sie so sehe – ja dann wend' ich mich ab; denn meiner Ruhe droht Gefahr. Meiner, nicht der ihrigen, die ist mir heilig und wird es bleiben.
Allwina, ihre Pflegemutter, sprach noch heute von der Unschicklichkeit dieser beständigen Trauer, wie sie weder ihrem Alter, noch den Umständen angemessen sey. »Endlich« – setzte sie hinzu – »werden Sie sie doch ablegen müssen.«
»Ich zweifle.« – antwortete Maria. –
»Wie so?« – fragt' ich anscheinend befremdet; aber im Innersten ergriffen; denn ich glaubte diese Worte von düstrer Ahnung begleitet.
»Bin ich nicht eine Vater- und Mutterlose Waise?« – sagte sie mit schmerzhaftem Lächeln. – »Muß ich nicht mein ganzes Leben hindurch trauern? Verzeihung! mein theurer, geliebter Vater! Ich weiß wohl, wie reichlich mir das Schicksal ersetzt hat; aber seh' ich nicht auch meinen geliebten Vater immerfort trauern?« –
Mich! Sie haben mich niemals in Trauerkleidern gesehen.
»Mein Vater trauert im Herzen!« – sagte sie schnell, mühsam das Weinen unterdrückend. – Ich verstummte. »Sehen Sie, daß ich Recht habe!« – rief sie nun zu Allwina sich wendend – »Lassen Sie mir immer meine Trauer! Sie paßt besser als Sie glauben.«
Sie behielt Recht; denn wir schwiegen beyde sehr betroffen.
Brennende Liebe für das Gute, Kraft, Gelegenheit es auszuüben, es weit zu verbreiten – ach ich wähnte, das könne des Mannes Brust ganz erfüllen. – Ich irrte. – O Iwanova! Iwanova! wie vieles von dem, was ich dir einwandte, könntest du jetzt mir zurückgeben, und es träfe mich mehr als es dich traf.
Unglückliche! auf deinem einsamen Throne flehtest du um Liebe, und sie wurde dir versagt. Der ungeheure Schmerz drohte dich zu vernichten, und du fliehest in die Arme der Wollust. Ach! das scheinbare Leben hast du gerettet, das wahre geopfert. Warnend ist mir dein Beyspiel! und eben darin liegt mein Unglück. – Du wolltest mit dem Muthe der Verzweiflung Liebe erzwingen. Wer kann mehr als ich wissen, daß auch der Verzweiflung Muth an diesem Unmöglichsten scheitert? – Nein, Maria! ich schütze dich! schütze dich vor mir selbst! Und wolltest du Dankbarkeit Liebe nennen, und wolltest du dich betrügen, um die schönsten Freuden des Lebens; ich stehe dir zur Seite, und wehre der Täuschung.
Zurück dann! in die innersten Tiefen meines Herzens! Du Ahnung des göttlichen Lebens der Liebe! daß kein Hauch, kein Blick dich verrathe! Frey soll sie wählen und sich keiner Wahl unterwerfen.
Ich danke Euch, Ihr reicht Balsam für die Wunde. Ich danke Euch! auch dann, wenn sie unheilbar wäre.
Maria ist funfzehn Jahr, Maria weiß nichts von allem, was Ihr mir mit bestochnem Herzen und Auge so hoch anrechnet. Und wüßte sie es, soll sie rechnen wie Ihr? Soll sie rechnen? Ist von ihrer Achtung die Rede? – Seht, wie schnell Ihr verwechselt! Wie Ihr vielleicht wähnt, es sey bey diesem Verwechseln wenig oder gar nichts zu wagen.
Wohl dir, Maria, daß sie fern sind, diese grausam Liebenden! Sie würden dich ihrem Götzen opfern.
Hab' ich geläugnet, hab' ich vergessen, dass Ihr mich liebt? O glaubt es nicht! Wie könnte der Liebende Liebe vergessen, verkennen? Aber Ihr habt mich vergessen, mich mit meiner ganzen Art zu empfinden und zu wollen.
Könntet Ihr beobachten wie ich, Ihr würdet weniger hoffen. Wie soll Liebe Platz finden in diesem Herzen, das einem unersättlichen Geiste nur dienet? Von den Künsten zu den Wissenschaften rastlos hin und her eilend, wann bliebe ihr Zeit für die Liebe?
Im Triumphe kommt sie mir jedes Mal entgegen. Weswegen? – Oft sagt mein thörigtes Herz: um dich schneller zu sehen! – Wohl ist es ein thörigtes Herz! – Ein schönes Lied, ein anziehendes Gemählde, eine große in der Geschichte aufgefundene Handlung, die sie mit leuchtendem Auge, mit glühender Wange erzählt: das ist es, weswegen sie meine Ankunft mit Sehnsucht erwartet. Ich weiß es, fühl' es tief in meinem blutenden Herzen, und täusche mich dennoch von neuem.
Aber nun wird eine Menge Sachen herbeygeholt. Da muß ich hören, prüfen, wählen. Dann werde ich um diesen, um jenen Lehrer so dringend, so angelegentlich gebeten, als wäre kein Augenblick zu verlieren. Dann muß ich erzählen von römischen, griechischen Kunstwerken, Künstlern, wie, wann sie den Künsten sich widmeten? Ob sie später anfingen als sie? Ob sie sich Vorbilder wählten, oder nur ihrem Genius folgten? Ob es möglich sey, ohne die Muster der Alten es zu irgend etwas Vorzüglichem zu bringen?
Wie einem Unglücklichen, aus seliger Heimath in fremde Lande Umhergetriebenen, so wird mir dann. Sie sieht es! sie fühlt es! Nur schneller reißt sie mich fort, bis sie mich endlich in ihren Zauberkreis gebannt hat.
Endlich gesättigt, entläßt sie mich. Entläßt mich, wie einen Bettler, nachdem sie mich wie einen König empfangen hat.
Noch zög're ich, noch hoff' ich auf einen einzigen Blick – Vergebens! ich bin schon für sie nicht mehr da. Tief mit sich selbst beschäftigt, das lockige Haupt auf den Busen gesenkt, so steht sie der äußern Welt gänzlich verschlossen und, o Schmerz! nie ist sie schöner.
»Leben Sie wohl, Maria!« sag' ich dann – »Leben Sie wohl, mein geliebter Vater!« – ruft sie schnell, wie aus einem Traume erwachend – Werden Sie Mariens Bitte vergessen?«
Schweigend eil' ich fort, damit mich der Schmerz nicht verrathe.
Und was war ihre Bitte? Wie gewöhnlich irgend ein Lehrer für diese oder jene Kunst, für diese oder jene Sprache, ein Kupferstich nach irgend einem berühmten Meister, die Lebensbeschreibung irgend eines großen Mannes. – So muß ich Alles herbeyführen, was ihren Blick von mir abziehen kann, und ich thue es mit der gewissenhaftesten Treue.
Schon gleichen ihre Zimmer wirklichen Kunstsälen, und das ist nicht etwa spielende Liebhaberey, oder gar Eitelkeit. Ach nein! Sie könnte von der ganzen Welt vergessen, die ganze Welt vergessend, hier anstaunen, vergleichen, wählen, dann selbst begeistert erfinden. Hier, unter diesem zusammengedrängten Großen und Schönen, hier ist ihr Schatz! hier ist auch ihr Herz!
Allwina sagt nein. Alles, was ich bey Maria für Zweck halte, sey nur Mittel. Frage ich dann nach diesem verborgenen Zwecke; so schweigt sie bedenklich. Dringe ich weiter in sie, so bittet sie mich eben so dringend: die Zeit antworten zu lassen.
Dann will ein thörigter Eigendünkel mich irre führen, dann glaub' ich hie, da einen Lichtstrahl zu erblicken. Voll Lebenshoffnung eil' ich zu Maria – Sie! sie ist es, die mit grausamer Unbefangenheit alles zerstört.
Es soll nicht seyn! Ich bin der Pflicht und dem Schmerze gewidmet.
Allwina hat Recht! Neben, oder vielmehr über dem Großen und Schönen, was ihre Seele erfüllt, thront dennoch ein Mann. Aber wer ist dieser Mann? Ein vor mehreren Jahrhunderten verstorbener Raphael! – Sein Bild wurde mit unbegrenzter Freude unter ihre Schätze aufgehangen, bald mit Rosen, bald mit Lorbeern gekrönt. Damit es nie daran fehle, bin ich, als gälte es das Wohl der ganzen Welt, gebeten worden: ein Paar lebendige Lorbeerbäume zu besorgen. Rosen werden schon jetzt für den Winter mit ängstlicher Sorgfalt gezogen.
Fast jedes Mal, wenn ich komme, ist eine Veränderung mit dem Bilde vorgenommen, und schnell werd' ich hingeführt, um darüber zu entscheiden. Ich heiße dann alles gut; aber damit genügt ihr noch nicht. Es werden Zeichnungen nach seinen Gemählden herbeygeholt. Jetzt muß ich die Idee, die Gruppirung, die ganze mahlerische Anordnung bewundern, muß gestehen, das Alles liege schon in diesen Engelzügen, in diesen Himmelaugen! –
Ja ich gestehe das Alles, lobe, bewundere; aber schon hab' ich mich im Hintergrunde des Zimmers auf einen Stuhl geworfen, ohne von ihr, die immer noch im Anschauen versunken ist, weiter bemerkt zu werden. Endlich blickt sie zurück, eilt nun, mich in den Garten zu ziehen, hoffend die so eben für Raphael aufgeblühten Rosen werden mich zerstreuen.
Allwina lächelt und lächelt, ohne sich weiter zu erklären.
Und wenn ich glauben wollte, was Allwinens Lächeln verräth, und wenn ich taub seyn wollte gegen die lauten Klagen meines Herzens, dennoch bleibt ihre Liebe das zweifelhafte Guth. Iwanova ist beschäftigt, und so fehlt mir ein Grund, Maria der Welt länger zu entziehen. Kann sie in der Einsamkeit wählen? –
So soll ich das Kostbarste dann Preis geben? dem Leichtsinn? der Verführung? – Doch muß der Kampf einmal gewagt seyn, bald gewagt, damit mir die Kräfte nicht fehlen. Das weiß ich, das fühl' ich, und warte dennoch auf ein bestimmendes Zeichen. Von wem? – von Maria!
Nur das unaussprechlich süße Gefühl von dieser herrlichen Natur alle gewaltsamen Eindrücke entfernt aus ihrem eigenen reinen Herzen ihr ganzes Schicksal entsponnen zu haben – nur dieses Gefühl, ich ahn' es, wird mir Kraft geben, Alles zu überwinden, darum will ich es ehren, und ihm gerne vertrauen.
So spielt das Schicksal mit dem blindgebornen Menschen; der gleichwohl wähnt, alles zu überschauen. War ich nicht entschlossen sie niemals in ihrem Gange zu irren? nun werd' ich dennoch gezwungen, mich ihr gerade in den Weg zu stellen. Sie will ins Kloster. Konnt' ich das ahnen?
Eine halbe Stunde von dem Gute wurde eins der schönsten Mädchen eingekleidet, die Zeremonie machte Aufsehen, und Maria bezeigte Lust ihr beyzuwohnen.
Die Orgel, der Nonnengesang, der Anblick des schönen Mädchens, das Alles in einem tief erschütternden Bilde vereinigt, weicht nicht mehr aus dem jungen, sich alles mit Liebe und Heftigkeit anneigenden Gemüthe.
Mit leuchtendem Auge, mit glühender Wange schildert sie mir die Seligkeit dieser Gottgeweihten Mädchen. Auch die Gefahren der Welt, die sie vor der Einkleidung weder gekannt, noch geahnet, jetzt aber aus der Rede des Abtes treulich gemerkt hat, werden nicht vergessen.
Daß die Orgel, die schöne Kirche, der vereinigte Nonnengesang wesentliche Bestandtheile der geschilderten Seligkeit ausmachen, daß eben deswegen die Gefahren der Welt sehr fürchterlich dargestellt werden – bemerkt man dieß auch mit unwillkührlichem Lächeln; so fühlt man sich dennoch für den Augenblick hingerissen.
Das merkt sie schnell, und glaubt nun Alles gewonnen. »Sehen Sie, Allwina!« – ruft sie triumphirend – »mein geliebter Vater wendet nichts ein! Er versagt mir nicht seine Erlaubniß.«
Wozu, Maria?
Ins Kloster zu gehen!
Diesen Winter werden wir in der Hauptstadt zubringen. Sind Sie dann im Frühlinge entschlossen, so muß man die Sache überlegen.
Sehen Sie, Allwina!
»Recht wohl!« – sagt diese, und schweigt mit ihrem gewöhnlichen Lächeln.
Es ist ein sonderbar schmerzhafter Genuß, sie so nahe zu wissen, und sie doch nur zu einer bestimmten Zeit sehen zu können. Ach! nur jetzt, da Maria hier athmet, ist mir diese Stadt werth, ja sie ist mir plötzlich eine Heimath geworden.
Morgens fliegt mein erster Blick vom hohen, drückenden Pallaste nach dem einfachen Hause, das sie verbirgt. Oft dünkt mich, die liebe Gestalt wandle auf dem Altane. Unaussprechliche Sehnsucht will mich dann fortreißen; aber es klirren die goldenen Ketten, und ich bleibe. Schnell stürz' ich mich in das Gewühl der Geschäfte, die Sehnsucht entflieht; aber beym Sinken des Tages kehrt sie mächtiger wieder.
Wie eil' ich, das widrige Prachtkleid mit dem schlichten Gewande zu vertauschen! dem spähenden Höfling, der starrenden Wache zu entfliehn! Jetzt hab' ich die Letzte, habe die Brücke, das jenseitige Ufer erreicht, und mit weit geöffneter Brust athme ich die kühlende Nachtluft. Himmlische Ahnung der Freyheit, der Liebe strömt mit ihr in mein Herz, mein Gang wird Flug, und in wenig Minuten ist das geliebte Haus schon erreicht.
Jetzt hör' ich den Hund, höre die Tritte des Dieners – die Pforte wird geöffnet und ich stehe auf heimischem Boden.
Wie lieb' ich das Licht auf der bräunlichen, von keinem Marmor belasteten Treppe! Sie führet zu Ihr! zu Ihr! – Das ist ihr liebliches Geflister! Das ist Harfengetön! Der Diener will mir zuvoreilen; aber ich stehe schon ihr zur Seite, in Mantel gehüllt, den Hut tief in die Augen gedrückt. Sie erschrickt, kennt mich nicht – sinkt dann mit lautem Freudengeschrey mir in die Arme.
Die Oper mit ihren Wundern hat, wie ich es erwartete, alle Klostergedanken verdrängt.
Maria umarmte bald mich, bald Allwina unter Thränen des Entzückens. Es schien, als könne die jugendliche Brust so viel Seligkeit nicht umschließen. Noch mehr, als das, was Maria hörte und sah, wirkte die mächtig geweckte Ahnung eines höheren Lebens: Sie glaubte nicht verstanden zu werden und bestrebte sich, das Unaussprechliche in Worte zu kleiden. Wir konnten nichts, als sie trösten; denn ihre Freude wurde Klage.
So sehe ich sie allen schönen Täuschungen der Jugend hingegeben. Noch steht ihr die größeste bevor. Werde ich dann noch ihr Führer seyn? oder mit ihr unterliegen? –
Einen bedeutenden Schritt hat sie ohne Leitung gethan, die Mahlerey verlassen, und sich für immer zur Musik hingewandt. Ich glaube, sie hat den Wink ihres Genius richtig gedeutet, und wird dieß immer noch mehr inne werden.
Auch Allwina ist darüber erfreut. Sie behauptet, das leidenschaftliche Eingreifen beyder Künste würde Marien verderblich geworden seyn, und man müsse nun Alles thun, ihren Entschluß zu befestigen.
Ich habe ihr deswegen uneingeschränkte Vollmacht gegeben, überzeugt, sie werde die besten Mittel erwählen.
Ob ich stark genug gewesen seyn würde, Allwina's Wahl zu treffen – weiß ich nicht, wenigstens habe ich es über mich erhalten, sie zu billigen. Der erste Opersänger hat, auf ihr Bitten, Maria's Unterricht übernommen. Er ist einer der schönsten, anziehendsten und gewandtesten Männer. Maria hat ihn zuerst in einer Heldenrolle gesehen, und scheint es jetzt noch für unmöglich zu halten, daß dieser Halbgott ihr nahen werde.
Ich lächle über den Helden, den mir das Schicksal entgegenstellt, lächle über meinen Schmerz, möchte lächeln über die Täuschung, der Maria wahrscheinlich unterliegen wird, und vermag es nicht.
Ich war nicht bey Thibaldy's Ankunft, sondern fand ihn schon am Clavier, Maria, dicht ihm zur Seite, beyde im Wechselgesange begriffen. Allwina verstand meinen Wink und ließ mich unbemerkt in dem Hintergrund des Zimmers. Alles Licht fiel auf die Sänger, und ich war wider Erwarten unbefangen genug, beobachten zu können.
Maria – dieß war sichtbar – hatte schon den Helden über der Musik vergessen, war mit schönem Ernst und himmlischer Einfalt bemüht, die Kunstaufgabe zu lösen. Jeder Ton kam rein aus dem unentweihten Munde, während die Stimme des Meisters wankte.
Er sang die Worte der Liebe mit Bedeutung, sie mit kindlicher Unschuld. Gerade das schien den Mann im Innersten zu ergreifen. Der Gesang war geendigt; noch horchte Thibaldy den verklingenden Tönen, suchte dann sich zu fassen, um einige Regeln mittheilen zu können.
Jetzt horchte Maria mit gespannter Aufmerksamkeit. Jedes Wort schien ihr Götterbotschaft. Aber die Regel wirkte, was sie Anfangs immer wirkt. Mariens Unbefangenheit ging verloren. Sie zitterte, wankte und fehlte.
Dieß brachte den Sänger zum ganzen Gefühl seiner Ueberlegenheit, der nun die Arie, statt ihrer, meisterhaft ausführte.
Ich glaubte ihm in keiner vortheilhafteren Stimmung nahen zu können, und sagte ihm so viel Wahres und Schmeichelhaftes, wie ich nur konnte. Er empfing es, wie ein Mann, der des Beyfalls gewohnt ist, und gab mir dafür die Versicherung: Mariens Stimme sey der höchsten Ausbildung fähig, und er werde alle seine Kräfte daran wagen.
Maria war in Bewunderung und Beschämung versunken. So dankt' ich ihm dann in ihrem Namen. Er ging, das Auge langsam und schmerzhaft von ihr entfernend. Kaum war er fort, so stürzte sie mir weinend in die Arme.
Was ist Ihnen, Maria?
Ach, mein geliebter Vater! was wird der Mann von mir denken? ich habe nie schlechter gesungen.
Liegt Ihnen so viel an der Meinung dieses Mannes? – Sie verstummte im höchsten Erstaunen – Wie Maria?
Können Sie zweifeln!
Wie meinen Sie das, Maria?
Ein so großer, außerordentlicher Mann! Kennen Sie ihn so genau?
Ich, lieber Vater?
Allerdings! Sie sind es, die von seiner Größe jetzt spricht.
Aber Sie waren ja mit in der Oper!
Ist Ihnen da etwas Großes von ihm bekannt geworden?
Theuerster Vater! Alles, was er sagte und that, war ja groß, rührend und schön. Sie selbst gaben Ihren Beyfall laut zu erkennen.
Er spielte mit außerordentlicher Kunst.
Ja! und wie könnt' er so spielen, wenn er nicht wirklich so empfände? wenn er nicht fähig wäre, unter ähnlichen Umständen eben so zu handeln?
Liebe Maria! man kann vieles darstellen, was man nicht nachzuahmen vermöchte.
Ja! aber so darstellen. –
Sie mögen in einem gewissen Sinne Recht haben, und darum will ich Ihren Glauben nicht wankend machen. Halten Sie den Mann immer für so gut und so groß, wie Sie es bedürfen.
Allwina lächelte. Das schmerzte mich; denn Maria wandte sich mit Bitterkeit von ihr weg und versank in düsteres Nachdenken.
Während die Blicke der Männer auf das schöne Mädchen in tiefer Trauer gerichtet sind, wendet sie kein Auge von dem Helden des Stückes, der oft, seiner Rolle vergessend, Rede und Gesang an sie richtet. Sie scheint das gar nicht außerordentlich zu finden, und hört ihn mit sichtbarem Entzücken.
Schon besitzt sie die Partituren aller gegebenen Opern und studiert sie mit leidenschaftlichem Fleiße. Thibaldy's Arien werden jedes Mal, wenn sie gehört sind, bis tief in die Nacht wiederholt. Allwina will ihr Einhalt thun; aber ich bitte sie dringend, Maria gewähren zu lassen.
»Ich begreife Sie nicht.« – sagt die besorgliche Frau. Ich aber versichere sie, daß sie mich nach einiger Prüfung sehr wohl begreifen werde. Sie kann sich nicht überzeugen; thut aber doch, worum ich sie bitte.
Liebt sie ihn? Nein! noch glaub' ich es nicht. Er stellt ihr die göttliche Kunst dar, in der sie lebet und webet; das ist es. Aber er liebt sie; dieß ist keinem Zweifel unterworfen.
Graf Perçy, ein Schüler von ihm, wünschte bey Maria eingeführt zu werden, und bat ihn darum. Er verschob es unter mancherley Vorwand. Aber der junge Mann wurde dringender. Nun glaubte Thibaldy zu einem nicht edeln, aber nothwendigen Mittel greifen zu müssen, und schilderte mich wie einen der eifersüchtigsten Tyrannen.
Perçy beobachtete den Italiener, ahnete Betrug, und faßte sich ein Herz, mir alles zu entdecken. Ich versprach ihm die Erfüllung seines Wunsches, und trat mit ihm in Mariens Zimmer, gerade als Thibaldy in einer leidenschaftlichen Arie begriffen war.
Ich bat ihn fortzufahren; aber vergeblich. Führte dann Perçy zu Maria, die uns voll heiterer Unschuld entgegen kam. Die beyden jungen Leute freuten sich nun ihrer gegenseitigen Neigung zur Musik, während Thibaldy voll Grimm und Beschämung sich zu entfernen bemüht war. Aber ich nöthigte ihn, Perçy und Maria's Gesang zu begleiten. Die einzige Rache, die ich an ihm zu nehmen gedachte. Er fühlte das, schützte plötzlich ein Uebelbefinden vor, und verschwand.
Schwerlich wird er den Unterricht fortsetzen. In Ansehung der Kunst ein großer Verlust für Maria; doch hoffentlich kein unersetzlicher.
Perçy, ein liebenswürdiger Engländer, von untadelhaften Sitten, ist nun durch meine Erlaubnis zu einem fortgesetzten Umgange mit Maria berechtigt. Für Allwina schwer zu begreifen. – Weiß der Himmel, welch ein Bild sich die gute Frau sowohl von mir, wie von der Liebe entworfen hat! – Es scheint ihr alles gezwungen und erzwungen werden zu müssen.
Perçy hat alles verrathen. Maria empfing mich mit einer Rührung, die ich mir Anfangs nicht zu erklären wußte. Sie hielt mich mit beyden Armen umschlungen, drückte das liebe Gesicht an meine Brust, und konnte auf mein dringendes Bitten, sich zu erklären, nur mit Thränen antworten.
Endlich sank sie mir zu Füßen, umfaßte meine Knie, und rief, im Ausdruck des höchsten Schmerzens: O mein geliebter Vater! war es möglich! – Ich erstarrte; denn ein Gedanke, vor dem ich jetzt noch erröthe, flog mir wie ein zerstörender Blitz durch die Seele. »Maria!« – sagte ich – »ich beschwöre Sie, meiner zu schonen! Was Sie mir auch zu vertrauen haben, verlassen Sie diese für mich so peinigende Stellung!«
»Vertrauen?« – rief Allwina – »Sie hat Ihnen nichts zu vertrauen, als daß sie durch Thibaldy's niedrige Ränke auf das innigste gekränkt ist.«
»Ist es nur das!«– sagt' ich mit frohem Erstaunen. – »O seyn Sie ruhig, Maria! ich habe ihm längst vergeben.«
»Ich nicht!« – rief sie, und ihre Thränen hörten plötzlich auf zu fließen. – »Er hat das Höchste, was ich auf der Welt kenne, gelästert.«
Es lag zu viel in den Worten. Von einer namenlosen Empfindung betäubt, fast gedankenlos, fragt' ich: Wen?
»Wen?« rief sie mit leuchtendem Auge, mit brennender Wange, und lag, ehe ich es hindern konnte, wieder zu meinen Füßen. – »Wen?« rief sie abermals, und drückte den Engelmund auf meine zitternde Hand.
»O Gott, Maria!« – sagt' ich – »hören Sie auf! Ihre Dankbarkeit geht zu weit.«
Aber nur mit vieler Mühe gelang es mir, ihrem Schmerze Einhalt zu thun. Thibaldy wieder zu sehen, dagegen äußerte sie fortwährend den lebhaftesten Abscheu. Perçy, der sehr viele gründliche Kenntnisse mit vielem Geschmacke verbindet, ist nun an seine Stelle getreten.
Ich sah sie diese Nacht wieder zu meinen Füßen, hob sie voll Entzücken in meine Arme und – o Gott! mein Mund berührte den ihrigen. Wie von einem Heiligthume habe ich mich wachend von diesem Engelmunde entfernt, und nun! – Vergebens! ich tilge diesen Traum nicht aus meinem Gedächtnisse. O Iwanova; du wirst gerächt! –
Darf ich sie heute sehen? Mich ihr nahen? Ich zittre vor mir selbst.
Aber in welche Unruhe wird sie gerathen. – Wird Entfernung nicht die Lebhaftigkeit ihrer Empfindung erhöhn? Will, und kann ich dann diese Täuschung benutzen? – Fort! Nichts Außerordentliches! Nichts Reizendes! Alles gehe seinen ruhigen Gang. Das wollt' ich, da ich noch frey war; das muß ich auch jetzt noch wollen.
Perçy war bey ihr. Sie sangen. Warum erschütterte mich seine Stimme noch mehr als die ihrige? –
Allwina bat mich, einige Augenblicke in ihr Zimmer zu treten. Ich folgte in schmerzhafter Betäubung. Sie schwieg und schien sich zu sammeln. Ach lange hatte sie schweigen können, ohne von mir unterbrochen zu werden.
»Ich bin es« – sagte sie endlich – »Ihnen und Maria schuldig, eine Bitte zu wagen.«
Ich sah sie fragend an; vermochte aber nicht etwas zu erwiedern.
»Vielleicht bin ich unbescheiden.«
Ich gab ein verneinendes Zeichen.
Graf Perçy ist ein sehr liebenswürdiger, junger Mann.
Gewiß!
Sollte es möglich seyn, daß sich die beyden jungen Leute täglich sähen, ohne sich für einander zu interessiren? –
Ich schwieg.
Und wenn aus diesem Interesse Liebe würde? –
Könnten wir es hindern?
Sollten wir es zulassen?
Liebe! ich begreife sie nicht.
Ich begreife Fürst Alexander noch weniger.
Ist mein Betragen so räthselhaft?
Vielleicht scheint es nur so, und eben weil ich dieß ahne, wollt' ich die Bitte wagen: er möge sich darüber erklären.
Gern! sobald Sie mir einen Widerspruch zeigen.
Fürst Alexander ist gegen Maria verändert. Er liebt sie nicht mehr mit väterlicher Empfindung. Sie liebt ihn ebenfalls nicht mehr so kindlich wie vormals.
Und doch fürchten Sie Graf Perçy? –
Maria ist jung, sie empfindet lebhaft, und tief; doch wird sie oft von einer Empfindung zu einer ganz entgegengesetzten fortgerissen.
Eben weil sie jung ist.
Ja! Aber soll man ihr da nicht rathen? Ihr nicht helfen? Sie nicht schützen?
Auf welche Weise?
Soll sie sich nicht selbst verstehn, soll sie das wahrhaft Wünschenswürdige nie kennen lernen?
Was wäre hier das wahrhaft Wünschenswürdige?
»O mein Gott!« – rief sie ungeduldig – »will Fürst Alexander mich quälen? oder quält er sich selbst?«
»Ich weiß die Zeit,« – sagt' ich nach einigem Stillschweigen – »wo Allwina das im höchsten Grade fürchtete, was ihr jetzt als das Wünschenswürdigste erscheint.«
Die Umstände sind verändert, mithin auch mein Urtheil. Es war, nachdem was ich zu jener Zeit voraussetzen mußte, sehr richtig und wahr, es ist es jetzt – wie mich dünkt – nicht minder.
Doch scheint es mir, als komme es gerade jetzt auf eine Wahrheit an, welche unter allen Umständen dieselbe bleibt.
Die wäre?
»Daß Liebe,« – sagt' ich aufstehend und ihre Hand ergreifend – »daß Liebe aus Zwang nicht gedenkbar ist.«
Sie sah verdrüßlich vor sich nieder. Ich drückte ihr noch ein Mal die Hand, und ging zu Maria.
Noch war sie im Wechselgesange mit Perçy begriffen und bemerkte mich nicht; er aber sah mich und erröthete. – Endlich schlug Maria das Himmelauge zu mir auf und flog, wie gewöhnlich, mit lautem Frohlocken in meine Arme.
Perçy glühte. Maria noch mit meiner Linken umschließend, reichte ich ihm lächelnd die Rechte. Er zögerte mir die seinige zu geben.
Ich muß mit dem jungen Manne reden.
Heute traf ich Maria allein in tiefen Gedanken. Sie kam mir langsam entgegen. »Ist Ihnen nicht wohl, liebe Maria?« – fragt' ich schnell – »O ja!« – sagte sie – »aber ich denke nur an Graf Perçy.«
Und das macht Sie betrübt?
Ach, wie wird es im Frühlinge werden? –
Wie so?
Da wird er nicht zu mir kommen können. Wir wohnen zu weit von der Stadt.
Möchten Sie lieber den Sommer hier zubringen?
»Das wäre herrlich!« – rief sie, meine beyden Hände ergreifend.
So gefällt Ihnen die Stadt besser als das Land?
Dieß eben nicht. Es ist nur wegen Graf Perçy.
Aber er kann ja zu Ihnen kommen.
Wenn das möglich wäre!
Warum sollt' es nicht möglich seyn? Ich kam ja alle Tage.
Ja Sie! Was thäten Sie nicht! Sie ließen Ihr Leben für Maria; Maria ließ' es für Sie.
»O Maria! Maria!« – rief ich, und zog mit Heftigkeit ihre Hand an mein Herz. Da trat plötzlich Allwina herein.
Iwanova ist unpäßlich, und die Bestürzung allgemein. Man flistert, der schöne R . . . habe das Ende seiner Laufbahn schon erreicht. Er ist mehrmals nicht vorgelassen worden, und soll der Verzweiflung sehr nahe seyn.
Schon reichen die Tage zu den Berathschlagungen der Höflinge nicht mehr hin. Sie scheinen, bis die wichtige Stelle besetzt ist auf Schlaf und Bequemlichkeit Verzicht thun zu wollen. Besonders aber fürchten sie in Ansehung meiner, einen Rückfall bey Iwanova. Gott verhüte, ihre Furcht möge gegründet seyn! –
Während dessen häufen sich die Geschäfte. Einige sind ohne Iwanova's Entscheidung gar nicht zu beendigen. Bald wird es unmöglich seyn, sie weiter zu verschieben. Ich gestehe, daß ich vor der ersten Zusammenkunft zittre. Ist sie erwacht, so muß dieses Erwachen schrecklich seyn. Ein Lichtstrahl wollte meine umdüsterte Seele erhellen; aber schon ist es wieder Nacht um mich her. O Maria! weiß ich dich nur gesichert! –
Vergebens hatt' ich dem gefürchteten Augenblicke zu entfliehen gesucht, vergebens alles Wichtige, in einem möglichst gedrängten Auszug ihr überreichen lassen, hoffend, sie werde schriftlich darüber entscheiden. Gestern, da ich eben zu Maria gehen wollte, wurde mir mit vieler Aengstlichkeit hinterbracht: sie habe nach mir gefragt.
R . . . . kam mir am Eingange der Vorzimmer, wo er noch immer Schattenähnlich umherirrt, entgegen, und fiel mir mit einem Thränenstrome um den Hals. Bald hätte der Unwille über dieses so ganz unmännliche Betragen, das Mitleid in meinem Herzen erstickt. Doch faßt' ich mich, und bat ihn ebenfalls, sich zu fassen.
»Ihre Ketten« – sagt' ich – »sind gelös't. Wäre es möglich, daß Sie dieses Glück unbenutzt lassen, daß Sie es verkennen sollten?«
Er starrte mich an, als höre er eine ihm durchaus unverständliche Sprache. »Muth und Freyheit!« – fuhr ich fort, seine Hand zum Abschiede ergreifend. In dem Augenblicke gingen ein Paar Höflinge vorüber. Daß ich seine Hand dessen ungeachtet immer noch hielt, schien ihm vollends unbegreiflich.
Ich verlangte gemeldet zu werden; aber man antwortete nur mit tiefen Verbeugungen: »Wie!« – sagt' ich – »dürfen Sie mich nicht melden?« – »O mein Gott!« – rief der Mensch in einem Tone, als habe ich eine Blasphemie ausgesprochen, als stehe die Welt mir zu Gebote. Noch betrachtete ich ihn eine Weile mit fragendem Blicke, eilte dann schnell durch den kriechenden, flisternden Schwarm, der sich mir aus dem hellerleuchteten Vorzimmern entgegendrängte.
Ohne Zweifel war es dieß blendende Licht, weswegen mir Iwanovens Gemach gänzlich verfinstert erschien. Ganz außer Stand, irgend etwas zu unterscheiden; aber mir doch bewußt, ich befinde mich im Audienzsaal, wo mich Iwanova niemals empfing, stand ich einige Secunden unbeweglich, wollte dann weiter forteilen, als mir plötzlich ein herzzerreißendes Aechzen aus dem Hintergrunde des Zimmers entgegen schallte. Mein Auge folgte dem Schalle, und entdeckte eine menschliche Gestalt auf dem Boden des Zimmers – Iwanova! – Ich glaubte mich in einem schrecklichen Traume; aber es wurde heller und heller und ich fühlte schaudernd, daß ich wachte.
Da lag sie mit zerstreutem Haare, mit hochschlagendem Busen, mit düsterm, von Thränen geschwollenem Auge. »Darf ich,« – sagt' ich, vor ihr niederknieend – »darf ich nach Hülfe rufen?«
»Wo ist Hülfe?« – antwortete sie mit dumpfer gebrochener Stimme.
Wenn auch nirgends, doch sicher in Iwanovens Herzen, in ihrem Geiste.
Das Herz bleibt hoffnungslos, darum wendest du dich schnell zu dem Geiste.
Ich schwieg und versuchte sie aufzuheben. »Wohin?« – fragte sie schnell. – »Dort« – sagt' ich, auf den Sessel des Throns, den einzigen in der Nähe, deutend – »dort! auf die Stelle, wohin Iwanova gehört.« Plötzlich wandte sie sich nach der entgegengesetzten Seite und lag jetzt mit der Stirn auf dem Boden. Meine Empfindung war unbeschreiblich.
»Muß ich an jeder Hülfe verzweifeln,« – sagt' ich endlich – »verläßt Iwanova ihr Volk?«
Du hast mich verlassen.
»O Gott!« – rief ich, meiner nicht mehr mächtig – »bin ich zum Schmerze verdammt? – Blüht nun und nimmer eine Freude für mich?«
Nach einem langen, schrecklichen Stillschweigen stützte sie plötzlich das Haupt auf den Arm, sah mich durchdringend an und fragte: »Was macht Maria?«
»Sie lebt« – sagt' ich, indem das Bild des herrlichen Mädchens, wie ein tröstender Engel, vor mich hin trat – »das Leben der Unschuld.«
»Ha, Verräther!« – rief Iwanova aufspringend – »Was soll dieser Ton?« Ich verstummte im höchsten Erstaunen; denn, bey Gott! meine Worte waren fast tonlos. »Folge mir!« sagte sie mit glühendem Blicke, und wir gingen in das innerste Gemach, die Geschäfte zu beendigen. –
Sie entschied mit harten, einsylbigen Worten. Ich milderte, wo ich konnte, wollte dann, da sie in ein dumpfes Stillschweigen versank, mich entfernen. »Bleib!« – rief sie schnell, und nach abermaligem Stillschweigen. »Wie stehst du mit Maria? Liebt sie dich?«
Als Freund, als Beschützer. Ob sie mehr noch empfindet, bin ich außer Stande zu bestimmen.
Und das konntest du so lange, so ruhig abwarten?
Freyheit des Herzens ist das heiligste Gut.
Ich wollte keine Sentenz, sondern Antwort!
Ich glaube sie gegeben zu haben. Wie kann ich Freyheit als ein Heiligthum betrachten und es dennoch verletzen?
So empfindet dein Herz nichts, als was die Vernunft ihm befiehlt? –
Mein Herz kann hier nicht in Betracht kommen.
Ihr Eismassen! wer wird Euch begreifen! Aber es ist der Zwang, unter dem Ihr von Jugend auf seufzt. So glaubt Ihr dann, seufzen, entbehren sey das menschliche Loos.
Glauben wir dieß, wehe denen, die uns in diesem Glauben bestärken!
Nichts von der Art! Ich bin jetzt am wenigsten aufgelegt, es zu hören. – Warum ist Maria nicht am Hofe erschienen?
Iwanova nannte sie vormals die Tochter eines Verwiesenen. Wußte Maria, ob sie als eine solche erscheinen dürfte? –
Ah! du wolltest sie den öffentlichen Blicken entziehn. – So bist du doch eifersüchtig.
Woher das Bedürfniß durchaus etwas Tadelhaftes an mir zu finden?
»Weil ich dich hassen will und muß!« – rief sie, sich mit flammendem Blicke entfernend.
Weil sie mich hassen will und muß? – Warum wallt mein Blut so heftig bey dieser Erinnerung? Hab' ich etwas Anderes erwartet?
Ich hatte Marien die Ursache meines Außenbleibens gemeldet, und ihr die Hoffnung, sie den folgenden Tag zu sehen, mitgetheilt. Doch mußt' ich vorher zu Iwanova, da sie Morgens nicht sichtbar ist. Ich trat hinein, und fand Maria bey ihr. –
Wie gewöhnlich flog diese mir mit einem lauten Ausrufe der Freude in die Arme, und Iwanova erblaßte so schrecklich, daß auch mein Herz plötzlich aufhören wollte zu schlagen.
»Was ist meinem geliebten Vater?« – fragte Maria in himmlischer Unschuld – »Nicht wahr? solch ein Glück hat er schwerlich erwartet?«
Immer auf Iwanova blickend, drückte ich das geliebte Mädchen sanft von mir weg, bis ihr Auge dem Meinigen folgte. Mit einem eben so lauten Ausrufe des Schreckens flog sie nun zu Iwanova, und die Große, Gefürchtete, Verzweifelnde lag in den Armen der Unschuld.
Sie fühlte es, und aus ihrem Flammenauge, das zum ersten Male im gemilderten Schmerz niederblickte, ergoß sich ein Thränenstrom, den die Hand des lindernden Engels vergebens aufzuhalten bemüht war.
»Willst du bey mir bleiben?« – fragte sie mit einem Tone, den ich seit den Tagen der Liebe nicht von ihr hörte. – »Gern! o gern!« – rief Maria – »Mein geliebter Vater ist ja auch immer hier.«
Sonst bliebest du nicht?
O ja! denn ich fühle Ihren Schmerz; ob ich ihn gleich nicht kenne. Ich liebe Sie, und mein geliebter Vater würde ja zu uns kommen.
Du liebst mich?
Wär' es möglich, Sie nicht zu lieben?
Dieser Mund kann nicht schmeicheln.
»Nein, gewiß nicht!« – rief ich begeistert – »Reiner kann die Wahrheit Iwanoven nicht nahn!«
»Mädchen!« – sagte Iwanova, indem sie Maria forschend betrachtete – »Nein! dein Gesicht kann nicht lügen! So bleibe dann bey mir. Wir wollen einen Bund gegen ihn machen.«
»Gegen Wen?« – rief Maria im höchsten Erstaunen.
Gegen ihn! Gegen ihn!
Ach, Sie sind noch sehr krank, oder Sie scherzen.
»Beydes! beydes!« – rief Iwanova, sie mit sich fortziehend – »Heute nichts von Geschäften!«
So reißt sie, mit schonungsloser Hand, den Schleyer weg, der mir heilig war.
Perçy setzt auf ihren Befehl den Unterricht fort, und Allwina ist ebenfalls bey Marien geblieben. Diese hat, mit ihrer gewöhnlichen Offenheit darauf gedrungen, mich, wie vormals, jeden Abend, und zwar nur in Allwina's Gegenwart, sehen zu dürfen. Das meldete sie mir diesen Morgen. Die ersten Zeilen von der geliebten Hand. Wie oft hab' ich sie gelesen! Wo kann ich sie besser verwahren, als an meinem Herzen?
Ich fand Maria mit Allwina im Wortwechsel und fragte nach der Ursache. »Ich sollte« – sagte Maria unwillig – »heute öffentlich am Hofe erscheinen, und behauptete: dieß könne ohne meines Vaters ausdrückliche Erlaubniß nicht geschehen. Allwina meinte: da Iwanova es befehle, so könne eine solche Antwort gar nicht Statt finden, und ich müsse entweder gehorchen, oder eine Unpäßlichkeit vorschützen. Ich habe aber weder das Eine, noch das Andere gethan, und das findet Allwina sehr tadelhaft.«
»In der That?« – fragte ich, mich zu Allwina hinwendend.
»Unsre Lage« – sagte sie verwirrt und beschämt – »ist verändert, und so kann das, was vormals lobenswürdig war, jetzt sehr unschicklich seyn.«
»Daraus sollte man fast schließen« – antwortete ich lächelnd – »es könne etwas sehr schicklich, und doch nicht lobenswürdig seyn. Maria – fuhr ich ernster fort – ist jetzt, wie Sie richtig bemerken, in eine ganz veränderte Lage gekommen, und wird sich noch oft in dem Falle befinden, zwischen dem Schicklichen und Lobenswürdigen wählen zu müssen. Nach dem, was Sie jetzt äußern, ist es nicht zweifelhaft, welchem von beyden Sie den Vorzug geben werden.« –
Das müssen die Umstände bestimmen.
»Ah! die Umstände!« – rief Maria – »Geliebter Vater! ich beschwöre Sie! sagen Sie mir, ist es wahr, daß die Umstände Alles und alles bestimmen? Ja, daß der Mensch sein Heiligstes den Umständen unterwerfen müsse?
Das wolle der Himmel verhüten!
Sehen Sie, Allwina!
»Sie drücken das,« – sagte Allwina erröthend – »was ich unter ganz andern Bedingungen behauptete, so hart aus, daß es hier als Unsinn erscheint.«
»Das würde es unter jeder Bedingung.« – antwortete ich mit Verachtung – »Nicht allein hat Maria Sie, sondern Sie selbst haben sich mißverstanden. Wer aber – fuhr ich mit gehaltenem Unwillen fort – sich selbst nicht versteht, vermag nicht einem Andern zu rathen, noch weniger ihn zu leiten. Somit haben Sie sich selbst an die Stelle gesetzt, wo Sie nun nach meinem ausdrücklichen Willen verbleiben. Sie sind nicht mehr Mariens Rathgeberin, sondern ihre Gesellschafterin, und bleiben dieses nur, so lange Sie sich jedes Rathes enthalten.«
Ich bin hier auf Iwanovens Befehl!
Und bleiben hier auf ihren Befehl; bey Maria aber nur unter der Ihnen mitgetheilten Bedingung.
Sie eilte fort, zitternd und glühend vor Zorn.
»Ach, mein geliebter Vater!« – sagte Maria, nachdem sie bestürzt eine Weile geschwiegen hatte – Wär' ich doch bey Ihnen! bey Ihnen allein! Fern von diesen Menschen! – O Gott, seitdem ich hier bin, fühl' ich eine Angst! eine Beklemmung!
Auch ich, Maria, fühlte diese Beklemmung. Auch mich wollte düstre Ahnung zu Boden drücken; doch Muth und Beharrlichkeit hielten mich aufrecht. Maria wird sich auf ihre Unschuld stützen.
Was will Iwanova mit mir?
Ihr Scherz hat es verrathen.
Wär' es möglich!
Was ist denen, die kein anderes Gesetz, als ihren Willen kennen, nicht möglich? – Noch befindet sich Iwanova nicht in diesem Falle . . .
O ja! ja! Eine schreckliche Leidenschaft wüthet in ihrem Inneren. Schon kann sie die gemeinste Billigkeit nicht mehr erkennen. Ach, geliebter Vater! darf ich Ihnen etwas gestehen?
Maria? mir!
Mann nennt Iwanova die Große – wohl mag es verwegen seyn – aber ich bekenne, daß sie mir sehr klein erschienen ist.
Maria versicherte: Sie liebe Iwanova. –
Ich kannte sie nicht!
Glaubt Maria sie jetzt schon zu kennen?
Ich ahnete wohl, daß mein Urtheil unbesonnen und verwegen war!
Ihr Urtheil war Ihrer jedesmaligen Empfindung angemessen. »Geliebte,« – sagt' ich, ihre Hand ergreifend – »Iwanova verdient wirklich den Namen der Großen; doch in einem andern Sinne, als den das Volk fassen kann, in einem Anderen, als den Maria mit diesem Worte verbindet.
»Den Falschen!« – rief sie erstaunt. – »Den Wahren!« – sagt' ich schnell einfallend – »Maria spricht von der Größe, welche ohne die höchste Weisheit und Güte nicht bestehen kann: von der göttlichen. Iwanova besitzt die menschliche. Sie sucht große, schöne Zwecke, mit kräftigen, zweckmäßigen Mitteln, standhaft zu erreichen. Daß sie aber in der Wahl der Mittel, ja sogar in Ansehung der Zwecke, manchmal irrt, macht eben ihre Größe zu einer menschlichen. Mit mehrerer Kraft und Einsicht würde sie sich zur göttlichen erheben.«
»Ach, mein Vater!« – rief Maria, meine Hand fest in die ihrige schließend – »Wie wird mir so wohl in Ihrer Nähe! Werden Sie Maria nicht den Irrthümern, diesen Menschen nicht entreißen? die ihren Verstand verfinstern, in ihrem Herzen widersprechende Empfindungen wecken!«
Wir leben ja in denselben Mauern. Maria sieht mich täglich; kann schriftlich ihre Empfindungen zu jeder Stunde mit mir theilen.
Schriftlich!
Abends mündlich.
Abends! und den ganzen Tag seh' ich Sie nicht.
Das wünscht Maria?
Das fragt mein geliebter Vater! – O Gott! der Tag ist mir ja nur erträglich, weil der Abend darauf folgt! Alles, was ich thue, was ich denke und empfinde, bezieht sich nur auf den Abend. Auf den Abend! – auf meinen geliebten Vater! Wie der allgegenwärtige Gott, so umgiebt er mich. Ich lebe und empfinde nur durch ihn, möchte nicht leben, ohne ihn. Ach! ach! ich kann nicht sagen, was ich empfinde, und möchte es doch so gern.
»Maria!« – sagte ich, all' meine noch übrige Kraft zusammenfassend – »suchen Sie kein Wort für das, was der Worte nicht bedarf. Auszusprechen, was Sie empfinden, thut nicht noth; aber sich Ihrer Empfindung deutlich bewußt werden – darum möcht' ich Sie bitten. Sie haben sich in Thibaldy, in Iwanova geirrt. Wie, wenn Sie sich auch in mir, oder vielmehr in der Empfindung gegen mich irrten? – Wie, wenn Ihnen meine Gesellschaft minder angenehm, oder wohl gar lästig« . . .
O, reden Sie nicht aus, mein geliebter Vater! Thibaldy! Iwanova! und Sie! – Ach, Maria ist unglücklich! ist sehr unglücklich! Alles verwirrt, verfinstert sich um sie her. Wird Niemand sie retten? Wird Niemand ihr sagen: das ist wahr, das ist Recht, das halte fest, das bist du, das wirst du seyn.
Kann ein Mensch dem andern sagen: das wirst du seyn?
O ja! Maria kann es! Maria kann sagen: das ist mein geliebter Vater, das wird er seyn: Und ob Alles sich verändert, seine Güte . . .
Doch, wie kann ich nachschreiben, was sie sagte! Es war die feurigste, leidenschaftlichste Lobrede, die ein Mensch auf den Andern halten kann. Ihr würdet mich den Unersättlichen nennen, würdet sagen: du quälst dich um Liebe, und hier ist Vergötterung. Ja! hier ist Vergötterung, darum traur' ich um Liebe.
»Du bist angeklagt!« – rief mir Iwanova, da ich heute zu ihr eintrat, entgegen – »Von Allwina,« – sagt' ich lächelnd – »das hab' ich erwartet.«
Weil du dich schuldig fühlst.
Weil sie sich schuldig fühlt.
Sie hat Mutterstelle bey Maria vertreten, und du hast ihr mit Undank gelohnt.
Ich habe den Mutternamen an ihr geehrt. Aber sie erniedrigte sich zu einer schändlichen Verführerin, und so ist sie schonender behandelt worden, als ich es vor der strengen Gerechtigkeit verantworten kann.
In Mariens Gegenwart!
Maria darf nicht schwanken zwischen Tugend und Laster, muß beydes in seiner wahren Gestalt kennen lernen. Allwina mußte unschädlich werden.
Doch hast du ihr nur mit Entfernung gedroht.
Darin hab' ich gefehlt.
Der Fehler kann gut gemacht werden. Ich nehme sie unter meine Damen. Ihr Geschlecht ist eines der ältesten im Lande.
So wünsche ich, daß sie sich dieser Stelle würdig machen, und ihr Geschlecht ehren möge.
Meine Wahl macht diesen Wunsch überflüssig. Daß sie eine mönchische Tugend für unser Zeitalter nicht passend findet, benimmt ihr in keines Vernünftigen Augen etwas von ihrem Werthe.
Im Gegentheil muß dieses ihren Werth in jedes Vernünftigen Augen erhöhen.
So zählst du dich nicht zu den Vernünftigen? –
Was ich von mir halte, kann nicht in Betracht kommen. Was Iwanova von mir hält, beweist sie durch ihr Vertrauen. Sie legt das Wohl ihrer Völker in meine Hände.
Von etwas Anderem! – Maria ist nun allein.
Ich bedaure es – doch ist sie unter meinem Schutze und wird es bleiben.
Den Meinigen scheinst du gar nicht zu rechnen. –
Er ist ein unerwartetes Glück. Stolz und vermessen würde es seyn, wenn Maria darauf rechnete.
Nicht wahr, du wünschest ihr weder jenen Stolz, noch diese Vermessenheit? –
Ich müßte ihr Feind seyn.
»Nun, was giebt es dort?« – sagte sie, sich verdrießlich zu den Papieren wendend – »du kamst ja heute entsetzlich gesegnet!«
Gesegnet, und mit Segen! Das Volk jauchzt über die Befreyung von der drückenden Abgabe.
Ach ja! es will genießen, und wir sollen denken und arbeiten.
Seine Gedanken auf das Wohl von Tausenden richten, welch ein göttliches Loos!
Eine Thräne stieg in ihr Auge, und sie wurde mild und freundlich.
Guten Morgen, mein theurer, geliebter Vater!
Wie prächtig ist die Sonne aufgegangen! Immer, wenn ich die Sonne sehe, denk' ich an Sie.
Mein theurer, geliebter Vater! ich habe diese Nacht einen sehr herrlichen Traum gehabt. Ich träumte, wir wären in einem wunderschönen Garten, wo Sie immer mir zur Seite waren. Darum, glaub' ich, war mir auch so wohl, als mir wachend niemals ist. Wir schwebten mehr, als wir gingen, und Sie waren nicht mein Vater; was Sie aber waren, weiß ich nicht mehr.
Der allgütige Gott möge es mir verzeihen! aber es war mir lieb, daß Sie nicht mein Vater waren; denn ich fühlte mich unbeschreiblich glücklich und selig.
Sie hatten ein weißes, fliegendes Gewand an, und einen Lorbeerkranz in den Haaren, und ich hatte auch ein weißes, fliegendes Gewand und einen Rosenkranz in den Haaren. Sie schienen nicht viel älter, als ich – ohngefähr so alt, wie Graf Perçy – und waren nicht freundlicher und gütiger; aber viel freudiger. Ihr Gesicht war, wie lauter Morgenroth, und Ihre Augen glänzten, wie ein paar Sonnen. Doch konnt' ich recht gut hinein sehen, und das machte mich eben so glücklich; denn ich sah, daß Sie gar keine fremde Gedanken und keine Sorgen mehr hatten, sondern immer an mich dachten.
Dabey fällt mir ein, mein geliebter Vater, ob es denn wohl möglich seyn sollte, daß ein Paar Menschen nur immer an einander dächten? und sich nur immer über einander freuten? Das müßte ein unbeschreiblich seliger Zustand seyn! Aber, o Gott! wenn nun Einer von beiden stürbe? –
Dieser Gedanke hat mich ganz verwirrt und betäubt, und ich muß das Uebrige ein ander Mal schreiben.
Ich lese das wieder über, was ich geschrieben habe, und sehe wohl, daß es sehr schlecht geschrieben ist. Sie sagten mir zwar immer, wenn ich Sie um Unterricht bat: schreiben Sie so, wie Sie sprechen, und Sie werden immer gut schreiben. Aber, geliebter Vater! ich kann wirklich nicht so schreiben, wie ich spreche; denn das Sprechen wird mir sehr leicht, und das Schreiben wird mir sehr schwer.
Das Ende meines Traumes wollt', ich Ihnen nun erzählen.
Als wir so durch den herrlichen, unabsehlichen Garten flogen, begegnete uns mit einem Male Iwanova in einem brennenden Gewande. Ich erschrak und wollte entfliehen; Sie aber blieben unbeweglich. So konnt' ich dann auch nicht weiter, und verbarg mich hinter Ihrem Gewande.
Plötzlich ergriff uns Iwanova, und schleuderte uns in einen brennenden Abgrund. (Die Empfindung während des Sturzes werde ich in meinem Leben nicht vergessen.) Aber die Flammen theilten sich, und ganz unten in der fürchterlichen Tiefe saß ein großer, herrlicher Engel, der uns mit seinen Flügeln auffing.
Mit einem Male waren die Flammen verschwunden, eine himmlische Musik ertönte, und ein rosiges Licht erfüllte den Abgrund. Wir schwebten immer höher und höher; viel Tausend Sterne um uns her.
Es war, als komme die Musik von den Sternen. Es war, als wären Sie ich, und als wäre ich Sie, und ich wußte – was ich mir so tausend Mal gewünscht habe – Alles, was Sie dachten. Zu dieser seligen Empfindung erwachte ich.
Ach, sie ist verschwunden! aber die Furcht vor Iwanova, und der Widerwille gegen sie, ist geblieben.
Glauben Sie mir, geliebter Vater! Iwanova meint es weder gut mit Ihnen, noch mit mir. So unbegreiflich es auch scheint – ich darf es nicht verschweigen – Iwanova haßt Sie.
Lange hab' ich darüber nachgedacht: wie das möglich wäre? endlich glaub' ich die Ursache gefunden zu haben. Iwanova fühlt, daß sie nicht so gut ist, wie Sie und niemals so gut werden will, daß sie die Große heißt, und daß Sie der Große sind.
Geliebter Vater! ich bin wohl ein unerfahrnes Mädchen, und habe wohl oft unrichtig und voreilig geurtheilt; aber was ich hier schreibe, ist gewiß wahr, es ist so wahr, daß ich darauf sterben könnte. Für Sie – pflegt mein geliebter Vater dann wohl zu sagen. Nein! nicht allein für mich! Für alle Menschen, die Sie so lieben, und Iwanova so beobachten können, wie ich.
Hat die menschliche Seele ein Ahnungs-Vermögen? Mein geliebter Vater sagt: ja. Nun so ahne ich denn: so gewiß ich lebe, so gewiß die Liebe zu meinem theuern Vater das Beste ist, was ich empfinde und empfinden kann, so gewiß beschließt Iwanova unser Verderben.
Ist keine Rettung? mein geliebter Vater!
Diesen Brief empfing ich gestern von Marien. Ihr könnt denken, wie mich die letzten Worte ergriffen. Wilhelm, den ich alle Morgen mit Blumen und Früchten zu ihr schicke, sagte mir, im Tone des Vorwurfs: sie habe gezittert und geweint. »O Herr!« – setzte er leiser und finsterer hinzu – »Fräulein Maria ist nicht gut aufgehoben. Der arme Engel!«
»Wilhelm,« – erwiderte ich mit schmerzhaftem Lächeln – »die Engel sind nie arm, und allenthalben gut aufgehoben.« Er schüttelte den Kopf, und deutete schweigend auf den Brief. Ich las, und sah, daß er Recht hatte.
Nur lange Gewohnheit, mit zerrissenem Herzen zu arbeiten, machte es mir möglich, die Geschäfte zu beendigen. Endlich konnt' ich Athem holen, eilte dann, sobald die zwey peinlichen Stunden der Mittagstafel überstanden waren, in die Garten.
Lange irrt' ich umher, ohne mit mir selbst einig zu werden; doch blieb der Gedanke: Maria, was es auch koste, zu retten, der Erste und Letzte.
Sie erschrak, da ich zu ihr eintrat. Ich hatte in der Bestürzung das verhaßte Staatskleid nicht gewechselt, wollte es nun – die Zeit war kostbar – vergessen; aber Mariens Aengstlichkeit machte es unmöglich. Ich sah, der Abend würde verloren gehen, eilte fort, und kehrte nach wenig Minuten in meiner gewöhnlichen Kleidung zurück.
Jetzt flog mir Maria mit lautem Freudengeschrey entgegen, ich empfing sie mit offnen Armen, und – als wäre mit dem verhaßten Kleide Alles, was uns trennte, hinweggeschaft – mein Mund berührte den ihrigen.
»O Gott!« – rief Maria – »mein Traum wird erfüllt!« (Ich gestehe, daß diese, gerade jetzt wie eine fürchterliche Prophezeihung klingenden Worte, mich auf das heftigste erschütterten.) »Maria!«– sagte ich, sie mit bebender Hand zum Sofa leitend – »hören Sie mich! Oft haben Sie gewünscht zu wissen, was ich denke. – Wohlan! so mögen Sie es nun ohne Rückhalt erfahren.«
»Ich wollte Ihr Vater seyn, wollte es bleiben, wollte keiner andern Empfindung Raum geben. – Ich vermochte es nicht. Ich liebte Sie früher, als Sie mich.«
»Nein!« – rief sie, und wollte mir wieder zu Füßen sinken; aber ich hielt sie fest gedrückt an meiner Brust, und fuhr fort: »Als Ihr Herz nur für alles Große und Schöne, und keiner vorzüglich lebhaften Empfindung für mich empfänglich war, schon da liebte ich Sie, und war schwach genug, Raphael um seine Rosen zu beneiden. Doch vermochte diese Schwäche nicht, mich zu eigentlicher Ungerechtigkeit zu verleiten. Ihre Freyheit blieb mir heilig, und meine Liebe tief in meinem Herzen verschlossen.«
»Eigennutz lag gleichwohl dem Allen zum Grunde. Ich wollte Alles aufgeben, um Alles zu gewinnen. Ihre Liebe sollte ein durchaus freyes Geschenk werden, und nur dann wollt' ich Sie für das höchste irdische Gut erkennen.«
»Aber dieser feine Eigensinn, diese eigensinnige Feinheit machte mich dennoch ungerecht. Ich forderte Liebe, ohne als Mann um Liebe zu werben. So forderte ich dann das Opfer des Heiligsten, das Opfer der Weiblichkeit.«
»Ich wurde bestraft, vielleicht härter, als ich verdiente. Indem ich mich über menschliches Streben, über menschliche Begierde erhob, verlor ich menschliches Glück, erntete, was ich säete: Achtung, Bewunderung; aber nicht Liebe.«
»O mein Vater!« – rief Maria, da ich einen Augenblick, von Empfindung überwältigt, einhielt – »ist das auch wahr?« –
Ich drückte einen zitternden Kuß auf die Engelstirn und fuhr fort: »Wäre es nicht wahr, müßte es nicht wahr werden? Darf ich um Liebe werben? Darf ich geliebt werden? – Iwanova trägt verschmähte Liebe im brennenden Herzen, will hassen, weil sie nicht lieben soll. Aber ich bin ein freyer Mann, kann mich ihrem Hasse entziehen. So dacht' ich vormals. Darf ich auch jetzt so denken, da ein ganzes Volk die Hände flehend zu mir erhebt? mich Retter nennt? Da ich täglich überzeugter werde, daß ich es bin? Da ich vergebens unter Allen, die Pflicht und Vaterland im Munde führen, Einen suche, der den Sinn dieser Worte zu fassen, der die Hälfte von dem, was auf mir liegt, zu tragen vermöchte? Und so heißt dann die Losung nicht mehr Liebe, oder Haß! Freyheit, oder Zwang! sondern: Liebe, oder Pflicht! – Wenn Maria entscheiden dürfte, was würde sie sagen?«
Liebe und Pflicht! Iwanova kann hier nur gerecht, oder verabscheuungswürdig seyn.
Wie, wenn sie das Letzte wäre? – Maria staunt mich an? – Wer war es, der mir schrieb: Iwanova beschließt unser Verderben! Wer war es, der da fragte: Ist keine Rettung möglich? –
O Gott!
Ja sie ist möglich! sie soll möglich seyn! Maria wird, muß gerettet, muß glücklich werden.
Wie?
Graf Perçy liebt Maria. Sein Alter paßt besser zu dem ihrigen. Das hat sie selbst im Traume gefühlt.
O mein Vater!
Ja! Alexander bleibt Mariens Vater. Und so liebt sie ihn, wie sie ihn immer geliebt hat, vielleicht lieben kann.
Und was wird dann aus Maria?
Graf Perçy führt sie als Gemahlin nach England, und sie ist für immer gerettet.
Gerettet! Maria gerettet? Wenn sie nach England geführt wird? – Wo bleibt Mariens Vater?
Hier, wo Pflicht und Vaterland ihn binden.
Und Maria in England? Nimmermehr! Maria wird nicht Graf Perçy's Gemahlin.
Warum nicht?
Weil Maria keinen Mann lieben kann, der ihr gleich ist.
Der ihr gleich ist? –
Ja! Graf Perçy ist nicht mehr werth als Mann, wie Maria als Mädchen. Er kann Mariens Gespiele, nie ihr Gemahl werden. Maria ist gewohnt, das über sich zu sehen, was sie liebt. Sie würde in schlaffe Unthätigkeit versinken, entrisse man ihr den sichtbaren Gott, durch den sie lebt und empfindet.
Maria! Maria!
So ist es! So wird es seyn! Soll nun Maria nach England gehen?
(Ich verhüllte mein Gesicht und schwieg.)
»Soll nun Maria nach England gehen?« – wiederholte sie und lag, eh' ich es hindern konnte, zu meinen Füßen. Verschwunden war die Zukunft. Ich zog sie schnell in meine Arme und bedeckte ihr Gesicht mit brennenden Küssen. »O mein Vater! mein Geliebter!« – rief sie – »jetzt leben wir! Müssen wir nun sterben, weil wir lebten? Ist keine Rettung?«
Vielleicht. – Doch ehe von Rettung gesprochen werden kann, muß Maria Alles wissen und bedenken.
Was?
»Heute nichts mehr!« – sagt' ich, mich losreißend – »Morgen, Maria! Morgen! Und dann gilt es einen festen Entschluß.«
Ich drückte sie noch ein Mal fest an mein Herz, und eilte davon.
Am andern Tage fand ich Maria in tiefen Gedanken. Sie eilte mir nicht, wie gewöhnlich, entgegen, sondern reichte mir schweigend die Hand. »Was denkt Maria?« – fragt' ich besorgt.
Mein geliebter Vater sagte gestern: er habe das Opfer des Heiligsten, das Opfer der Weiblichkeit gefordert. – Hat Maria dieses Heiligste wirklich geopfert?
Nein! Maria ist rein und weiblich geblieben, wie vorher. Aber das bestätigt meine Furcht: Mariens Liebe sey nur zärtliche Achtung, Bewunderung. – Die eigentlich menschliche, immer mehr oder minder leidenschaftliche Liebe, kann von dem reinen Weibe nie mit dieser Unbefangenheit bekannt werden.
Und wenn Mariens Liebe nun höchste Bewunderung wäre? –
So könnte sie zu spät eine lebhafte Empfindung kennen lernen, welche gleichwohl diese höchste Bewunderung nicht ausschlösse.
Durch einen Mann?
Durch einen Mann! der Graf Perçy's Jugend mit der Achtungswürdigkeit, die Maria nicht erlassen kann, verbände.
Ich kenne einen solchen Mann.
Und Maria ist sich keiner lebhafteren Empfindung bewußt?
Maria ist sich bewußt, daß sie, so lange sie athmet, nach dem Höheren werde streben müssen; denn nur das heißt ihr leben. Maria ist sich bewußt, daß nur dieses Höhere das wahrhaft Liebenswürdige für sie seyn und bleiben wird. Maria hat den Mann gefunden, der diese Liebenswürdigkeit im höchsten Grade besitzt. So ist sie dann ihrer Empfindung gewiß. Denn, gäbe es auch einen Zweyten, der dem Geliebten ähnlich wäre (ihm gleich ist keiner) so fesseln sie ja schon tausend Bande an den Ersten.
»Ach, Maria!« – rief ich innigst bewegt – »Sie mögen wohl Recht haben! Doch bleibt meine Furcht nicht weniger gegründet. Aber gesetzt, alle Schwierigkeiten wären gehoben, Iwanovens Haß überwunden, bleibt in meiner Bestimmung nicht ein unüberwindliches Hinderniß? – Maria hat verrathen, was sie unter lieben sich denkt. Es ist ein unaufhörliches Eins seyn mit dem Geliebten, eine Allwissenheit seiner Gedanken und Empfindungen, ja sogar ein Ausschließen Alles zu dieser Liebe nicht Gehörige«. – So liebt Gott nur die Welt. So kann die Welt nur von Gott geliebt werden. Diese vollkommenste Ehe ist dem Menschen ein nie zu erreichendes Ideal. Wer dürfte, ohne Betrug, Marien eine solche versprechen? – Der freye Mann darf es nicht; denn er ist Mensch, Alexander darf es noch weniger; denn er ist Mensch und Staatsmann zugleich. – Aber wenn er sich dem Staate opfert, darf er von einem weiblichen Wesen dasselbe verlangen? – Und vielleicht ist es nicht einmal dasselbe, vielleicht ist das Opfer viel größer. – Dem Manne (mag er sich von Lob und Tadel so frey dünken, wie er will) wird immer die Stimme der Nachwelt etwas gelten, wird ihm noch hörbar seyn, wenn Alles Andere verstummt. – Aber was bleibt dem zarteren Weibe, wenn der Mann ihre Liebe wie die erquickende Luft, ohne die er nicht leben kann, aber doch nur unbewußt empfindet? Wenn der Theil seiner Kraft, den er im Streben nach ihrem Besitze verwandte, nun auch dem Staate anheim fällt? Wenn er sich am Ende, durch ihre Großmuth verwöhnt, nur lieben läßt, wähnend: das könne und müsse nun so seyn?
So wäre Alexander! So würde es seyn!
So war Alexanders Vater; ein Mann, den Alexander jetzt noch bey weitem nicht erreicht.
Und wußte Alexanders Mutter vor ihrer Verheirathung, was Maria jetzt weiß?
Nein! denn sie fand sich bitter getäuscht; aber trug ihr Schicksal mit unbeschreiblicher Milde.
So übertrift dann Alexander seinen Vater entweder an Offenheit, oder an Einsicht, und so muß das Schicksal seiner Gattin, von dem seiner Mutter ganz verschieden seyn.
Und wie?
Weiß Alexanders Gemahlin, daß sie sich, wie er, dem Staate opfern muß, so kann sie ihre Kräfte ja prüfen, und sie selbst kann sich dann täuschen. Weiß Alexander, daß sie mit ihm sich opfert, so kann er das Opfer ja würdigen. In beyden Fällen muß ihr Schicksal von dem seiner Mutter verschieden seyn.
Es könnte verschieden, und dennoch sehr traurig seyn.
Es ist es schon! Alexanders Mutter war glücklich; denn sie wurde, obgleich getäuscht, dennoch geliebt. Maria ist niemals geliebt worden.
Maria! Maria!
Vielleicht ist sie auch dieses Glückes nicht würdig, und so war ihr Wunsch, ins Kloster zu gehen, sehr passend. Dort ist sie sichrer, als in England.
Darf sich Maria ihrer Bestimmung entziehen? –
Mariens Bestimmung kann nicht seyn, einen Mann zu betrügen, oder sich einem hinzugeben, der sich mit dem Bewußtseyn, er werde nicht geliebt, dennoch mit ihr verbände. O nein! Maria geht ins Kloster. Ist dort glücklicher, als Tausende in der Welt es sind. In ihrem Herzen ist das ewige Leben. Die Liebe, auf ihrem Altare ein sichtbarer Gott, das herrlichste Ebenbild des Unsichtbaren und Ewigen. Dann, wann die Glocken läuten, wann die geweihten Jungfrauen sich nah'n, dann schließen sich die eisernen Thore zwischen ihr und dem irdischen Wechsel auf ewig! Dann gehört sie ganz ihrer Liebe!
Sie schwebte fort, und ich blieb mit namenloser Empfindung zurück.
Welch ein Schmerz nagt so schrecklich an meinem Inneren? Ist es Reue? Was, was hab' ich zu bereuen? – Sollt' ich sie täuschen? Sie ins Elend führen? – Aber ist sie jetzt nicht elend? Will sie sich selbst nicht auf das schrecklichste täuschen? – Wer giebt mir Licht in dieser Finsterniß? – Und dabey diese sich stündlich häufenden Geschäfte! Iwanova, die sich mit Sterndeutern und Wahrsagern einschließt! Jedem unglaublich, der es vor seinen Augen nicht siehet. Die geistvollste Frau, in den schändlichsten Banden! – Unglückliches Volk! wer könnte jetzt dich verlassen?
Wilhelm hat Euch geschrieben, und so wißt ihr schon, daß ich von dem schrecklichen Traume erwacht bin. Die Grausame! Getäuschte! Bedauernswürdige! Sie leidet jetzt mehr als ich litt. Dieses Leiden hatten die Schändlichen bey ihren Zaubertränken nicht berechnet. Sie versprachen ihr Liebe, Liebe bis zum Wahnsinn. Sie haben ihr nur gelassen, was sie schon hatte, und ihr, statt dessen, was sie gelobten, nur Reue gegeben. Wo soll ich anfangen, Euch mit der ganzen Abscheulichkeit bekannt zu machen?
Im vorigen Monathe bekamt Ihr den letzten Brief von mir. Ich schrieb Euch von einem entsetzlich nagenden Schmerze. Aber das, was ich damals für Seelenleiden hielt, war körperliches zugleich. Ich hatte von den schändlichen Giftmischern, durch Iwanovens eigne Hand, einen sogenannten Wundertrank bekommen, der bis an Wahnsinn grenzende Liebe, wenn auch nicht in meinem Herzen, doch in meinem Blute entzünden sollte.
Schon fühlt' ich das schreckliche Feuer in meinen Adern. Aber eine Menge wichtiger Geschäfte war zu beendigen. Ich arbeitete fort mit brennendem Blute, machte schnell eine Verfügung auf alle mir gedenkbaren Fälle, und widerstand dann noch dem wüthenden Fieber, bis mir, mit dem Bewußtseyn, alle Kraft zum Widerstand geraubt wurde.
Jetzt, da mir das Vergangene allmählich wieder deutlich wird, erinnere ich mich, in den beyden letzten Tagen vor meiner Krankheit, oft zu Iwanova gerufen worden zu seyn, und eine sonderbare neugierige Freundlichkeit an ihr bemerkt zu haben.
Aber mein Ernst und ein eben so sonderbarer, nie empfundner Widerwille, schien in eben dem Grade zuzunehmen. Mit einer Härte, derer ich bis dahin nicht fähig war, schilderte ich ihr die Folgen ihrer gänzlichen Pflichtvergessenheit. Mein exaltirter Zustand machte mir jede Vorsicht, jede Schonung unmöglich. »Ich bin krank!« – rief ich, mit Heftigkeit ihre Hand ergreifend – »Ich bin krank! Sie klag' ich an! denn Sie haben Übermenschliches von mir gefordert! mit unbegrenzter Sorglosigkeit Alles auf meine Schultern geworfen. Ach, Sie wußten, daß ich das unglückliche Volk nicht verlassen würde! Jetzt werf' ich die ungeheure Last auf Sie zurück! Hören Sie mich? Sind Sie erwacht? « – Sie antwortete mit einem lauten Ausrufe des Schmerzens; denn ich hatte mit wüthender Kraft ihre Hand fast zerquetscht – »Von Ihnen fordere ich dieses Volk! mag ich der fürchterlichen Krankheit unterliegen oder sie überwinden, von Ihnen will ich es fordern!«
Mit diesen Worten verließ ich sie und war von nun an der Krankheit überlassen.
Folgendes hab' ich aus Wilhelms Erzählung, der, Nacht und Tag nicht von mir weichend, nur das Allgemeine Euch melden konnte.
Er empfing mich beym Eintritt in mein Zimmer mit einem Thränenstrome, und dankte Gott, daß ich mich endlich für krank erklären, und die Hülfe der Aerzte annehmen wollte. »Maria!« – rief ich. Er stürzte bey diesem Ausrufe mir zu Füßen, schlug heftig an seine Brust, und streckte dann die Rechte gen Himmel. Ich sah, daß er mich verstanden hatte, und sank auf mein Lager.
Dies ist das Letzte, dessen ich mir bewußt bin. Alles Andere scheint mir nur ein fürchterlich verworrner Traum.
Mein Fieber wurde jetzt so heftig, daß die Aerzte nur wenig von ihrer Kunst erwarteten. Bey Iwanovens Anblick schien es Raserey werden zu wollen. Die Unglückliche, Betrogene, war selbst von diesem schrecklichen Zustande nicht mehr fern, und vertrauete, von Verzweiflung getrieben, ihrem Leibarzte das ganze schändliche Geheimniß.
Er gab nun einige Hoffnung; drang aber sogleich auf die Entfernung der übrigen Aerzte, welche, mit dem wahren Ursprunge der Krankheit nicht vertraut, ihm entgegen handeln konnten. Eben so dringend bat er Iwanova, sich entfernt zu halten, und nur solche Personen bey mir zu dulden, deren Anblick mich nicht zu beunruhigen schien.
Aber diese waren nur Wilhelm und Maria, welche von nun an meine Pflege übernehmen mußten. Ich erkannte sie im heftigsten Fieber, und ließ mich von ihnen bedeuten. Besonders schien Mariens Spiel und Gesang wunderbar auf mich zu wirken; doch konnte sie mir nur immer durch ein und dasselbe Lied ein Lächeln abzwingen. Bey allen Anderen verrieth ich, obwohl beruhigt, minder oder mehr schmerzhafte Empfindungen. Sie hatte es kurz vor unserer entscheidenden Unterredung gedichtet, und ich setze es Euch seiner Einfalt und Herzlichkeit wegen her.
Du bist bey mir, ich bin bey Dir,
Bis an mein Lebens Ende.
Und trennte Dich der Tod von mir,
Wüßt' nicht, wie's um mich stände.
Ach, schleuß mich in Dein Herz hinein!
Dann kann ich ewig bey Dir seyn.
Sie sang dieses Lied zu ihrer Laute, nach einer alten, herzerschütternden Melodie. Oft – sagt Wilhelm – haben Thränen ihre Stimme erstickt. Dann habe ich – sonderbar genug – mich unwillig von ihr abgewandt und die Augen geschlossen. Endlich aber vermochte sie es, das Lied ohne Thränen zu singen, und bewirkte dadurch, selbst nach dem Zeugnisse des Arztes, meine Genesung augenscheinlich.
Durch den Anblick schöner Blumen, schöner Gemählde, suchte sie gleichfalls wohlthätig auf mich zu wirken. Aber bey den Blumen alle grelle Farben, bey den Gemählden alle leidenschaftlichen Gegenstände vermeidend. Oft wählte sie, wenn ich schlummerte, stundenlang unter den Blumen und weinte immer stärker, je länger sie wählte, bis sie dann bey meinem Erwachen plötzlich erheitert zu mir hineilte.
Anfangs hatte ich die Gemählde nur in finsterer Betäubung angestarrt. Aber nun verfiel sie darauf, mir das Dargestellte zugleich vorzusingen, und die im Gesange vorkommenden Personen mit der Hand anzudeuten. Das erheiterte mich augenscheinlich und ich horchte nun mit der gespanntesten Aufmerksamkeit.
So vergingen zehn Tage. Kein Schlaf kam in Mariens Auge. Oft versuchte Wilhelm sie zu bereden, wenigstens die Zeit, wo ich schlummerte, für ihre Ruhe zu benutzen; aber das leiseste Geräusch schreckte sie auf, und so stand sie plötzlich wieder, mit zurück gehaltenem Athem, mir zur Seite.
Auch konnte sich Iwanova nur während meines Schlummers mir nähern, mußte fliehen, wenn ich erwachte, irrte so, schattenähnlich hin und her, Verzweiflung im Blick, in jeder Bewegung.
Anfangs bezeigte ihr Maria, von Ahnung getrieben, einen fast eben so großen Widerwillen, wie ich selbst, vermochte aber doch nicht dem Anblicke ihres tiefen Leidens lange zu widerstehen. Die Verzweiflung der Großen, Gefürchteten, löste sich endlich, am Busen des tröstenden Engels in Wehmuth auf.
Aber nun wurde Maria auch mit der ganzen, schrecklichen Leidenschaft Iwanovens bekannt. Ach, wie sorgfältig hatte ich ihre reine Seele davor gehütet! – Ihr Erstaunen war unbeschreiblich, das Liebe, äußerste Liebe nennen zu hören, was sie mit empörtem Gefühle Haß nennen mußte. Wie oft es ihr auch betheuert wurde; sie bestand darauf: es sey ein schrecklicher Irrthum.
»Sehen Sie!« – rief sie aus – »ich liebe ihn auch, werde nicht von ihm geliebt und doch sind alle meine Empfindungen von den Ihrigen verschieden. Wäre es möglich, daß er ein Weib seiner würdig fände, ich würde mich dennoch glücklich schätzen, in seiner Nähe zu athmen. Wird nicht Alles, was er sein nennt, geheiligt? Ist seine Wahl nicht das sicherste Kennzeichen der Vortrefflichkeit? – Da ein thörichter Eigendünkel mich noch irre führte, da ich mich seiner Liebe noch würdig hielt, weil ich die meinige zum Maasstabe meines Werthes machte, da wollte mich auch eine kleinliche Empfindlichkeit niederdrücken, entfernen. Ach, das ist Alles verschwunden! Nur in seiner Nähe ist Leben! Alles Tod, Finsterniß, wo sein Auge nicht leuchtet! Das hab' ich jetzt, bey der Möglichkeit seines Verlustes begriffen.«
Denkt Euch meine Empfindung! als Wilhelm mir Alles dieses, in seine treuherzige Sprache übersetzt, bald mit zurückgehaltener Thräne, bald mit triumphirendem Lächeln berichtete. Er saß während dieser Unterredung an meinem Bette. Vielleicht glaubte man ihn ganz mit mir beschäftigt, vielleicht setzte Iwanova voraus, er sey doch von Allem unterrichtet; oder, was mir das Wahrscheinlichste ist, sie hielt es, wie gewöhnlich, nicht der Mühe werth, ihn irgend einer Rücksicht zu würdigen. Solche Menschen scheinen den Großen Würmer, die sie zerdrücken können, wann sie wollen.
In dieser ganzen Ergießung des unschuldsvollen, himmlischen Herzens, fiel Iwanoven nur die Versicherung auf: Maria werde nicht geliebt. Sie forderte Beweise, und Maria erzählte mit ihrer, aller Herzen gewinnenden Offenheit den Traum und die darauf folgende Unterredung.
»Er wollte mich also« – fuhr sie fort – »nicht allein entfernen, er zweifelte sogar an der Dauer seiner Empfindung, ja er sagte vorher: daß sie nicht dauern werde und könne. Wer, der da liebte, hat jemals Aehnliches versichert oder geahnet? – Bey wahrer Liebe ist schon der Zweifel unmöglich. Liebe hält sich für ewig, und ist es.«
»Mädchen, woher weißt du das Alles?« – rief Iwanova.
Woher? O Gott, ich liebe ihn ja!
Jetzt erfolgte ein langes Stillschweigen. Iwanova blieb unbeweglich in tiefen Gedanken mir gegenüber, Maria eilte an das andere Ende des Zimmers, mir Erfrischung zu bereiten.
Aber jetzt schien ich zu erwachen. Iwanova warf noch einen Feuerblick voll Rührung und Bewunderung auf Maria, entfernte sich dann schnell, die sorgenvolle Stirn mit der Hand unterstützend.
Noch am selbigen Abend wurde eine spanische, mit durchsichtigem Zeuge bedeckte Wand in mein Zimmer gebracht, hinter welcher Iwanova mich und Maria Stunden lang beobachtete. Maria wußte das; aber es war nicht die geringste Veränderung in ihrem Betragen zu erspähen. Ach was konnte, was sollte das Engelherz auch verbergen!
Oft, wenn ich nun einschlummerte und Iwanova hervortrat, griff sie schnell nach Mariens Hand, zog sie mit Heftigkeit an das andere Ende des Zimmers und schien das, was ihr Innerstes bewegte, nicht mehr unterdrücken zu können. Aber plötzlich stand sie dann wieder unbeweglich, die Worte erstarben auf ihren Lippen und nur finstere, Unglück verkündende Blicke fielen auf das zitternde Mädchen.
Endlich war die Krankheit überwunden, und mit meiner Kraft kehrte mein Bewußtseyn auch wieder. Doch schien mir Mariens beständiges Umschweben, im Anfange nichts als ein beseligender Traum. Ach! daß nicht große schreckliche Sorgen, daß nicht blutige Welthändel mich beschäftigten, mir nicht jeden Lebensgenuß entrissen, daß ich sie, die ewig Theure! wie in stiller seliger Häuslichkeit, um mich, mit mir beschäftigt sah – mußt' es mir nicht wie ein Traum erscheinen?
Die Krankheit hatte mich weicher, auch gegen mich selbst, gemacht. Ich schien mir losgerissen, freygegeben, nahe dem Lohne für tausendfältigen Schmerz. Ich begriff das Glück, dem ich entsagen wollte, ich sah, daß ich es, grausam gegen mich selbst, absichtlich meinem Auge entrückt hatte, um mich sicherer täuschen zu können. Ach, ich begriff, daß ich ein Mensch war und menschliche Rechte hatte!
Unwillig über diese absichtliche Verblendung schalt ich mich feige, ein Gut preis gegeben zu haben, nach dem die Weisesten trachten und beschloß nun es auf das äußerste zu vertheidigen.
Worte verriethen mich nicht; aber was bedurft' es der Worte! – O, wie wurde das Engelgesicht durch Erstaunen verschönt, wenn ich die liebe Hand, sie die mich dem Grabe entriß, an mein Herz zog, mit tausend Küssen bedeckte, und mein von Bewunderung, Dankbarkeit und Liebe trunkenes Auge den Blick des Himmelsauges verfolgte! Ich fühlte, daß ich lebte, ich war, ich bin entschlossen zu leben.
Die entscheidende Stunde rückt heran. Ich soll sie wiedersehen, sie, die mein Leben der Leidenschaft preis gab. Daß sie selbst mich zu sehen verlangt, zeugt von einer Verhärtung, die, wollt' ich noch einen Augenblick wanken, mir meine ganze Kraft wiedergiebt.
Sie kennt meine schwache Seite, sie wird sie benutzen wollen; aber auch darauf bin ich gefaßt. Will sie mich dem Vaterlande entreißen; sie möge es verantworten. Ich will die Bürde wieder aufnehmen, deren ganze Last ich jetzt, da ich frey bin, erkenne. Ich will es; aber Maria ist mein, bleibt mein, oder ich rette diesen Schatz, mit ihm meine Freyheit, um welchen Preis es auch sey.
Morgen also! Wohlan! ich bin bereit.
Darauf war ich nicht gefaßt! Ich weiß schon! Ihr werdet mich tadeln. Höret! höret! Ich sah sie, wie ich sie niemals gesehen! Werde ich Alles sagen dürfen? – flehend um das, was ich nicht geben kann – und wie flehte sie! – Nein! das sterbe mit mir! – Das ist mein Trost! das ist mein einziger Trost! daß sie die Liebe nicht kennt. Wie könnte sie sonst darum bitten? – sie für irgend einen Preis feil halten? Sie bot einen Thron. Das hat selbst sie, die doch einen Thron nicht überschätzen sollte, verblendet. Das wird Euch verblenden, wie sie.
Seht, es schmerzt mich, daß ich das im voraus schon weiß. Was soll ich weiter schreiben? Ich will Eure Antwort mit Eurem Tadel erwarten.
O, ich wußt' es vorher! Die Hoffnung Euch zu überzeugen, geb' ich auf. Aber glaubt Ihr wirklich, ich habe nicht Alles, was Ihr mir vorrechnet, erwogen? Von Pflicht schweiget nur! Das bitt' ich! »Sey es ein Rausch« – sagt Ihr – »möge er verfliegen, möge sie inne werden, daß es nichts war, als ein Rausch; Dir bleibt die Macht, ein Volk zu beglücken, das jetzt schon Retter Dich nennt.«
Groß gedacht! Auch schön gedacht? – Ich zweifle! Auch recht gedacht? – Nein! denn ich erkaufe diese – ich gebe es zu – verführerische Macht mit Betrug.
Ihr zuckt die Achseln, spöttisch und mitleidig, starrt unverwandt auf den Zweck und scheltet jeden kleinlich, der auf sich selbst zurück blickt. Ich nicht. Das ist der Unterschied. Er wird unter uns bleiben, wie er von jeher unter uns war.
O, glaubet mir! ich könnte Euern Gründen noch manche, die Ihr nicht ahnet, hinzufügen! Glaubt mir, ich begreife Euch! Daß Ihr mich nicht begreift, ist ein Unglück. Ich könnte ausruhen bey Euch, könnte mich nach dem schweren Kampfe Eures Beyfalls erfreuen. Auch das nicht! – Nun, es sey aufgegeben, wie so vieles.
Das war falsch! Das war Bestechung! noch dazu verschwendete Bestechung. Also glaubet Ihr, Maria halte mich? Maria müsse man bewegen, mich frey zu geben? O, wie Ihr das Engelherz verkanntet! Vergaßet Ihr, wie schnell sich ihre Liebe über Selbstsucht erhob? Wie sie hoffnungslos ihr ganzes Leben mir weihte? – Sagt ihr: sie müsse Der, die ich wähle, dienen, und sie thut es, Dienst und Dienstbarkeit adelnd.
Maria! Maria! sie kennen dich nicht! Werden sie dich begreifen, wenn sie dich kennen? – Und welche Beredsamkeit Ihr verschwendet an der Kunstlosen! Reinen! – Ach ich fühle ein ordentliches Mitleiden, daß Ihr so gar keinen Begriff von ihr habt! – Ich reicher! reicher! tausendfältig belohnter Mann! Ich kenne sie! verstehe sie! Jeder Blick dieses Himmelauges dringt bis in mein Innerstes und durchglüht es mit heiligem Feuer. Maria, ich lasse Dich nimmer! Du bist für die Ewigkeit mein!
Ob Iwanova Alles weiß? Ob ich die ganze Zukunft vergessend, ein bestimmtes Nein gewagt habe? – Eben die ganze Zukunft erwägend, habe ich Iwanova in den Fall gesetzt, dieses Nein selbst sagen zu müssen.
Sie fordert Liebe. Vorgeblich! – sagt Ihr. Desto schlimmer für Euch und für sie, wenn dem so ist. Aber dem ist wahrlich nicht so! Ohne die Liebe zu kennen, fühlt sie gleichwohl das Bedürfnis, geliebt zu werden. Kann ich dieses Bedürfniß befriedigen? – Nicht wahr, Ihr fühlt die Unmöglichkeit? – Diese Unmöglichkeit habe ich ihr vors Auge gerückt. »Wie vormals!« – ruft Ihr. Nein, nicht wie vormals. Noch freyer, noch offner. Was das gewirkt hat? – Eine Erniedrigung von ihrer Seite, die ich nicht erwartete. Welche? – Das fragt nicht! Eine Wuth, auf die ich gefaßt war. Die Folge von dem Allen? – Meine Entlassung, die ich gefordert habe und die ich, wofern sie mir nicht bald gegeben wird, durch meine Abreise für überflüssig erkläre.
Unbesonnen und härter gegen sie, als ich jemals gewesen? Was hieße Euch wohl besonnen? Wie weich müßte ich Eurem Sinn nach wohl seyn? – Ihr fürchtet. Was fürchtet Ihr? Ihr denkt an vormals. Aber vormals ist nicht jetzt. Mich schützt das Volk, was von ihr gefürchtet wird. Seyd ruhig! sie krümmt mir kein Haar. Darf es nicht. Aber wenn sie es dürfte; ich rettete Maria und handelte wie jetzt.
O wenn sie begriffe, was ihrer Größe hier ziemt! Sie hat ja nur Leidenschaft, nicht Liebe zu bekämpfen. Ober wenn sie wahrhaft lieben könnte, wollte – welch ein herrliches Ende könnte das Alles noch gewinnen.
Unglückliches Volk! in welche Hände bist du gefallen! Ich glaubte mein Herz verschlossen; aber deine Leiden waren mir fern. Ach, ich sehe, daß ich mich abermals verkannte. Verlassen wollt' ich dich? – Kann ich es, o Gott! – Wer soll hier siegen? – Das Recht! das Recht! die Unschuld soll siegen! und sie, die das Recht, die Unschuld beugen wollte, sie soll nachgeben. Das schwöre ich mir selbst.
Sie ließ mich rufen; denn die Verwirrung war aufs äußerste gestiegen. Ihr Blick war unstät, oft schrecklich. Sie winkte mir, und ich nahte. »Du mußt« – sagte sie endlich mit dumpfer, kaum vernehmlicher Stimme – »Du mußt die Geschäfte sogleich übernehmen. Das Vaterland, Dein Vaterland braucht schleunige Hülfe.«
»Monarchin!« – erwiderte ich ebenfalls mit gedämpfter Stimme; aber zugleich mit Festigkeit – »ich fühle das ganze Gewicht dieser Worte. Aber zu dieser schleunigen Hülfe bedarf es der Kraft. Sie gebricht mir, wofern ich die lauten und gerechten Forderungen meines Herzens nicht befriedige.« – Ein Blick aus ihrem Flammenauge würde mich hier, wär ich nicht fest entschlossen gewesen, verwirrt haben. Aber ich fuhr fort: »Maria rettete mein Leben. Ihr und dem Vaterlande werde ich es widmen. Müssen die Geschäfte sogleich von mir übernommen werden; so muß noch heute meine Verlobung seyn, morgen meine Vermählung mit Marien vollzogen werden.«
Daß ich diese Worte je sprechen würde, muß sie für unmöglich gehalten haben. Das sah ich an der fürchterlichen Wirkung, die sie hervorbrachten. Ihr ganzer Körper wurde convulsivisch erschüttert. Doch mußten sie gesprochen werden diese Worte. Sie sind es nun. Heute! – Morgen! – Schneller als ich dachte. Maria! Maria! so hab' ich nun dein Schicksal bestimmt! –
Dieses die letzten Zeilen Alexanders an seine Verwandten. Sie hatten ihm Unbesonnenheit und Härte, leider mit Recht, vorgeworfen. Er, der sonst immer Herr seiner selbst blieb, konnte jetzt den Widerwillen gegen die Feindin nicht unterdrücken. Oder vielmehr sie erschien ihm als Feind, seitdem ihre Leidenschaft durch That sich geäußert, ein männliches Ansehen bekommen hatte. So setzte er nun Kraft gegen Kraft, und Härte schien ihm Gerechtigkeit.
Aber diese Härte brachte die Unglückliche auf das Aeußerste. Sie suchte Gehülfen zur Befriedigung ihrer Rache, und fand sie in Allwina und Thibaldy. Perçy, der schon lange seine Liebe dem großem Mitwerber geopfert hatte, ahnete ein schreckliches Geheimniß und eilte zu warnen. Vergebens! Man entdeckte und verhinderte es.
So wurde dann Alexanders und Mariens Vermählung mit der größten Pracht vollzogen; aber das Brautbett war vergiftet. In der schönsten Nacht des irdischen Lebens, erhoben sich ihre Geister zu den Sternen.
»Du bist bey mir, ich bin bey Dir,
Bis an mein Lebens Ende.«
So sang Maria noch zu ihrer Laute, eine Stunde vor der ewigen Vereinigung mit Alexander.