Caroline Auguste Fischer
Mährchen
Caroline Auguste Fischer

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Der kristallene Thurm

Müßig wandelte Takeddin am Ufer des Tigris, nachdem er die heissesten Stunden des Tages in einem nahen Walde verschlafen hatte. Die Sonne ging eben hinter den fernen Gebirgen unter, und der glühende Abendhimmel spiegelte sich im Strome. Da sprang plötzlich eine große, hellblaue Schlange vor dem Wanderer auf, welche einer jungen hüpfenden Heuschrecke mit ungewöhnlicher Schnelligkeit folgte, und diese eben verschlingen zu wollen schien. Halt! rief Takeddin, dem Schwächern muß ein wackerer Mann beistehen. Rasch zog er seinen Säbel, und in demselben Augenblicke hatte er die Verfolgerin in der Mitte von einander geschnitten. Aber verwundert blickte er nun auf die Spitze seines Säbels; denn da, wo sie die Schlange berührt hatte, umwehte sie ein grünes Flämmchen, welches nach einigen Minuten gerade in die Lüfte emporstieg.

Verdammter Zauberkram! rief Takeddin aus, als er staunend der steigenden Flamme nachgesehen hatte, und wollte den Säbel in den Fluß schleudern; aber unbeweglich, wie versteinert, blieb sein Arm ausgestreckt. Ich sehe wohl, du bist mir zugedacht, hob er nach einer Pause wieder an, und als er die Worte ausgesprochen hatte, war sein Arm gelöst, und der Säbel suchte von selbst die Scheide. Er hatte diesen Säbel kurz vor seiner Nachmittagsruhe im Walde gefunden, wo derselbe bis an den Griff in einem Baume eingeklemmt war. Neben ihm hingen an einem Aste das Wehrgehenke und die Scheide, welche, obgleich aus schlechtem, unscheinlichem Stoffe gearbeitet, mit so hellem Glanze strahlte, daß sie den Wanderer schon in weiter Ferne anlockte. Kaum hatte er sich aber genähert, und den Griff des Säbels berührt: so fuhr die breite, vergoldete Klinge leicht aus der Klemme, und in den Zweigen des Baumes ertönten so schmeichelnde, sanfte Harmonien, daß Takeddin bald im Schatten desselben entschlief. Er hatte nun ein wunderbares, aber liebliches Traumgesicht von einem kristallenen Thurme, worin unverhüllte Mädchen tanzten und eine verhüllte Jungfrau trauerte: ein Traumbild, wovon wir vorläufig nichts verrathen wollen, weil es in der Wirklichkeit sich vielleicht noch einmal zeigen wird; obgleich Takeddin eben jetzt daran zurückdenkt.

So sehr Takeddin durch jenes Abentheuer mit dem Säbel und durch dieses Traumgesicht auf wunderbare Ereignisse vorbereitet war: so überraschend war ihm alles, was ihm am Flusse begegnete. Aber jetzt wurde es ganz still umher, und der Wanderer wollte, da die Dämmerung schon anzubrechen begann, den nächsten Weg nach Balsora zurückkehren, dessen Minarets, noch ziemlich weit entfernt, in schimmernder Pracht sich erhoben. In Betrachtungen über die Wunder, die er gesehen, gänzlich verloren, ging er noch einige hundert Schritte am Ufer hinunter, bis an ein kleines Cedernwäldchen, um welches der nächste Weg nach der Stadt herumbog. Doch es lag eine so drückende Schwüle auf der weiten Ebene, daß sich der ermüdete Wanderer gern den erfrischenden Schatten überließ, welche das kühle Wäldchen ihm darbot, und des kurzen Umweges nicht achtete. Und wenn auch die Thore bei meiner Ankunft schon geschlossen wären, sagte er zu sich selbst: so kann ich ja auf dem Landhause meines Freundes die Nacht zubringen; ihn wird die Erzählung meiner Abentheuer höchlich ergötzen. Mit diesem Entschlusse ging er gemächlich weiter, und es kümmerte ihn wenig, daß der Abend immer mehr seinen grauen Mantel über die Erde breitete; aber wie groß war sein Erstaunen, als der Wald, in welchem er jeden Fußsteig kannte, dichter und dunkler wurde, und alle Pfade vor ihm abgeschnitten waren. Er blickte zurück, um den Weg wieder einzuschlagen, der ihn hereingeführt hatte, und auch hier sah er nichts als dichtes Gesträuch und umhergeworfene Felsentrümmer, die keinen Ausgang zeigten.

Befremdet blieb Takeddin einige Augenblicke stehen. Was sinne ich? hob er endlich an. Hier links habe ich den Fluß liegen lassen; und dort muß also Balsora liegen. – Unerschrocken bahnte er sich durch das verwachsene Gebüsch und zwischen den schroffen Felsenstücken hin den Weg, und verlor sich immer tiefer in eine rauhe, unwegsame Einöde. Ein heftiges Rauschen, Wasserfällen gleich, betäubte sein Ohr, und das Geheul wilder Thiere, das aus nahen Klüften zu kommen schien, unterbrach schrecklich diese eintönige Musik.

Ich sehe wohl, hob Takeddin an, ich kann heute keinen Schritt thun, ohne neuen Wundern zu begegnen. Alle Zauberer in der Welt scheinen sich verschworen zu haben, einer nach dem andern ihre Launen an mir auszulassen. Aber – setzte er nach einer Pause hinzu: ein treuer Verehrer Allah's verliert die fromme Zuversicht nicht, was ihm auch immer begegnen mag; er schläft sicher unter Allah's Schutze, wenn sich auch die ganze Natur gegen ihn empörte. – Bei diesen Worten breitete er sein Oberkleid auf eine moosreiche Stelle, und lagerte sich, indem er alle Vorfälle dieses Tages noch einmal überdachte.

Was mögen wohl die Zauberer, oder die Feen, oder wer es sonst seyn mag, der bei diesen Scherzen seine Lust findet, was mögen sie mit mir vorhaben? hob er endlich wieder an. Auf Böses scheinen sie nicht zu sinnen; denn ich kann mich weiter noch nicht über sie beklagen, als daß sie mir hier ein ziemlich unbequemes Lager bereiten, und mich ein wenig in Ertragung von Hunger und Durst üben wollen. Doch ich habe ja im Kriege oft Entbehrungen dieser Art, und noch viel härtere erduldet, und es würde mir nicht ziemen, darüber auch nur ein Wort zu verlieren.

Kaum hatte er diese Worte gesprochen, als er zu seiner Rechten ein sanftes Rieseln hörte, und darauf ein kleines Bächlein entdeckte. Der fromme Moslemin glaubte hier einen Wink Allah's zu sehen, nahm die heilige Abwaschung vor, und verrichtete dann kniend das Pflichtgebet. Als er nun, sich erhebend, aus der Quelle schöpfen wollte, um seinen brennenden Durst zu löschen, war sie bis auf die geringste Spur verschwunden; aber zur Linken hörte er dasselbe sanfte Gemurmel, und siehe da! als er die hohle Hand gefüllt zum Munde führte, dufteten ihm die köstlichsten Wohlgerüche entgegen, und der lieblichste Scherbet, den er je genossen, labte seine verbrannte Zunge.

Ich muß gestehen, rief er aus, nachdem er reichlich getrunken hatte, die gütige Fee, welche mir vielleicht diese Quelle zufließen läßt, versteht sich darauf, Scherbet zu mischen. Schade nur, daß auf dem langen Wege so viel verloren geht. – Er schöpfte noch einmal, und trank auf das Heil der verborgenen Wohlthäterin.

Seine Besorgniß war indeß zu voreilig; denn die liebliche Quelle war versiegt, da er ihrer nicht mehr bedurfte. In demselben Augenblicke aber, wo er diesen Verlust bemerkte, zog ihn eine neue Erscheinung an. Eine goldbesäumte Wolke senkte sich langsam zu ihm herab, aus welcher, als sie sich in dünne Nebel auflöste, ein schöner, glänzender Papagei hervorkam, der in seinem Schnabel einen Korb voll auserlesener, köstlicher Früchte trug, den er vor ihm niedersetzte.

Takeddin, der bei allen Entbehrungen, die er dulden konnte, doch kein Verächter guter Mahlzeiten war, genoß die Wollust, welche ihm hier in der Wildniß so unerwartet bereitet wurde, in solcher süßen Vergessenheit, daß er spät erst bemerkte, wie sehr in jeder Rücksicht für seine Bequemlichkeit gesorgt war; denn mit seinem Speisewirthe, der auf einem niedrigen Baumzweige ausruhte, waren noch zwei andere Wundervögel gekommen, welche, brennende Fackeln in den Klauen haltend, zu des Wanderers Füßen saßen. Zu gleicher Zeit erhob sich, um alle seine ermüdeten Sinne zu erfrischen, eine sanfte Musik in den lauen Lüften, die ihn umflossen.

Freund Papagei, rief Takeddin, ich danke Dir, oder demjenigen, der Dich sendet. Du hast mir eine Erquickung gebracht, worauf ich in dieser Lage gar nicht rechnen konnte.

Der schöne Papagei flatterte von seinem Zweige herab, schüttelte mit vieler Anmuth ein paarmal seine glänzenden Flügel, und hob mit heller Stimme an:

Die Liebe trennt, die Liebe kann versöhnen,
Die Lieb' entführt, die Liebe führt zurück:
Wo Alle sich nach Zoraiden sehnen,
Da wagen Alle liebend für ihr Glück,
Wenn neu der Hoffnung süße Worte tönen.

O du kunstreicher Papagei! sprach Takeddin. Du vereinigst in der That sehr schöne gesellschaftliche Talente. Aber ich wünsche, Du wärest weniger geheimnißvoll und verständlicher in deinen Reden. Sage mir doch, warum ich hier in der Wüste eingeschlossen seyn muß? Sage mir, was bedeuten alle diese Wunder? Oder willst Du mich noch dankbarer machen, so zeige mir den Rückweg nach Balsora; denn ohne Zweifel bist Du auch ein geschickter Wegweiser.

Der Papagei schüttelte abermals seine glänzenden Flügel, und hob mit heller Stimme wieder an:

Dir ist ein herrlich Loos bestimmt!

Dazu ist noch wenig Anschein, Freund Papagei, sagte der Wanderer.

Aber der schöne Vogel ließ sich nicht irre machen, und nachdem er, als ob er unwillig über die Unterbrechung geworden, lebhafter seine Flügel geschüttelt hatte, fuhr er fort:

Dir ist ein herrlich Loos bestimmt!
Der Hoffnung schöner Funken glimmt.
Es kommt zur langersehnten Rache
Hervor aus niederm Hirtendache
Ein Held, vom Schicksal tief gekrümmt.

Die ganze Erscheinung war verschwunden, als der Papagei diese Worte gesprochen hatte, und Takeddin sah sich jetzt von dem dunkeln Gewande der Nacht rings umhüllt. Da er sich durch die treffliche Mahlzeit hinlänglich erquickt hatte, so ergab er sich in sein Schicksal, und streckte sich auf sein Lager aus, um den Schlaf zu erwarten; allein dieser Genuß schien nicht in dem Plane zu liegen, dem er dienen mußte. Das Gebrüll der wilden Thiere erscholl immer näher und fürchterlicher aus den Felsenklüften, und – was dem tapfern Jünglinge in seiner Lage noch unwillkommener war, als die Nachbarschaft der wilden Thiere, gegen welche ihn sein guter Säbel allenfalls schützen konnte – Das Geräusch des Wasserfalles kam immer dichter an sein Ohr. Plötzlich wurde die Scene durch ein glänzendes Licht beleuchtet, und Takeddin sah, wie der gewaltige Wasserstrahl in schimmernden Bogen über die nahen, zackigen Felsen stürzte, und die schäumenden Wellen auf die Stelle zu eilten, die er sich zum Lager ausersehen hatte.

Ich finde das Betragen der Zaubermächte sehr ungleich und sonderbar. Von der einen Seite lassen sie mir unerwartet die köstlichsten Erquickungen zukommen, und auf der andern scheinen sie den Lauf der Waldströme zu verändern, um mir eine Ruhestätte zu zerstören, die mir gewiß Niemand beneiden wird.

Mit diesen Worten hob Takeddin sein ausgebreitetes Oberkleid auf, legte es wieder um seine Schultern, und suchte sich einen andern Ruheplatz; aber der tobende Strom schien ihm auf der Ferse zu folgen, bis Takeddin eine Terrassenähnliche Felsenmasse erklommen, und durch eine weite Spalte, welche dieselbe in der Mitte der Höhe theilte, sich gewunden hatte. Eine neue, noch wildere Landschaft öffnete sich hier seinen Blicken. Er sah in ein enges Thal, umschlossen von unersteiglichen Felsen, deren Umrisse die seltsamsten Formen zeigten; hier gewaltige Riesen, welche im Begriffe waren, große Steinblöcke zu schleudern, dort sonderbare Thiergestalten, die mit den Köpfen gegen einander zu rennen schienen. Während Takeddin neugierig diesen wundersamen Anblick genoß, entdeckte er im Hintergrunde des Thales den hellen Eingang einer Höhle, welche ihm nun als das Ziel seiner beschwerlichen Wanderung erschien. Nachdem er über rauhe Pfade gestiegen war, und mit erschöpfender Anstrengung einen reissenden Fluß, der immer breiter und ungestümer wurde, je weiter Takeddin vordrang, durchwatet hatte, stand er jetzt nicht fern von der schimmernden Höhle, an deren Eingange er zwei ungeheure Tiger sah, die mit wilden Blicken und offnem Rachen dem verwegnen Wanderer drohten.

Unerschrocken rüstet er sich zum Kampfe, und kaum hat er sein Zauberschwert vor den Thieren entblößt, als diese mit schrecklicher Wuth auf ihn losspringen. Aber der erste Hieb spaltet dem einen den Schädel, aus welchem alsbald zwei große Schlangen fahren, und ihrem Feinde entgegenzischen, während der andere, noch unverletzte Tiger von der Seite ihn anfällt. Takeddin wurde durch seinen Muth und seine Geschicklichkeit, und vielleicht auch durch die Wunderkraft des Säbels aus dieser Gefahr gerettet, und schreitet nun, als die Feinde blutend zu seinen Füßen liegen, mit stolzer Siegerfreude in die erleuchtete Höhle.

Ein hoher Dom wölbte sich über ihm, nachdem er einen schmalen Gang zurückgelegt hatte; die Wände waren mit blitzendem Gestein überzogen, und sieben mit wohlriechendem Öle gefüllte Lampen hingen über einem Bassin in der Mitte des Gewölbes. Am Rande dieses Bassins stand eine Ottomanne, die mit dem reichsten Brokate bedeckt war. Die feierliche Stille, die in dem Dome herrschte, wurde nur durch ein sanftes Wehen, wie von fernen Flötentönen, unterbrochen, und die Wollust, worein die Sinne dadurch gewiegt wurden, erhöhten die lieblichen Wohlgerüche, welche durch die Luft schwammen.

Takeddin warf sich auf die Ottomanne, die seinen müden Gliedern sanft entgegenschwoll, und bemerkte, wie von Blute sein Säbel geröthet war, den er beim Eintritte in die Höhle entblößt in der Hand behalten hatte. Er schwang denselben ein paarmal durch das helle Wasser des Bassins und fühlte, als er ihn wieder herauszog, daß sich der Säbel in seiner Hand zu bewegen suchte, als die Spitze der Klinge noch die Oberfläche des Wassers berührte. Befremdet umfaßte er den Griff loser; die Klinge fuhr mit Schnelligkeit über das Wasser hin, und mahlte zu Takeddins großem Erstaunen mit Flammenzügen die Worte:

Es kommt zur langersehnten Rache
Hervor aus niederm Hirtendache
Ein Held, vom Schicksal tief gekrümmt.

O du schreibelustiger Säbel! rief Takeddin, ich kannte bisher deine trefflichen Tugenden nur halb. Und du scheinst sogar gutes Gedächtnis zu haben, da du die Worte des Papageies so treu wiederhohlst.

Die feurigen Buchstaben blieben einige Minuten auf dem Wasser stehen, und führten den Jüngling zu ernsten Betrachtungen. Es ist sonderbar! sprach er. Ich stamme ja aus der Hütte niederer Hirten, und das Schicksal hat mir auch noch nicht aus freundlichen, schwarzen Augen gelacht. Ein Held werde ich freilich nicht seyn, wenn ich auch mehr als vier Jahre Timur's siegenden Heeren gefolgt bin. Aber ich sehne mich doch nach dem glorreichen Ruhme der Helden, wie die durstige Gazelle nach dem labenden Bache; ich habe es seit den drei Monaten, wo ich unthätig in Balsora lebe, heftig genug gefühlt, welches unruhige Feuer in meiner Brust wohnt. Aber – setzte er nach einer Pause hinzu – zu welcher Rache bin ich denn berufen?

Laß doch sehen, fuhr er nach langem Sinnen auf, ob Du auch eigene Gedanken hast, die mir vielleicht mehr Aufschluß geben. Mit diesen Worten senke er die Spitze der Klinge auf den Boden; aber sie blieb unbeweglich. Ich sehe wohl, die Erde ist nicht dein Element, sprach Takeddin, berührte die Wasserfläche mit dem Säbel und sogleich las er die feurigen Worte:

Dir wird des Glückes heitre Sonne scheinen
Wenn Du was nie sich paaret, kannst vereinen.

Du giebst mir leidigen Trost! rief Takeddin, und hatte kaum ausgeredet, als sich die Seitenwand öffnete, und drei Jungfrauen, in Florgewänder gehüllt, und so lieblich anzuschauen, als jene, die er träumend im kristallenen Thurme sah, sich ihm näherten.

Schöner und erlauchter Fremdling, sey uns willkommen in Almesira's Reiche! rief die Reizendste derselben ihm zu.

Sonne der Schönheit! sprach Takeddin, wenn alle Bewohnerinnen dieses Reiches Dir und deinen Schwestern gleichen, so mag es eher das Paradies seyn, als auf dem Erdreiche gefunden werden. Ich muß Dir gestehen, ich habe von vielen Ländern gehört, und manche als Krieger durchzogen; aber von Almesira's Reiche habe ich nie das geringste vernommen. Sage mir, wie weit bin ich dann zum Beispiel von Balsora entfernt?

Von Balsora bist Du wenigstens dreihundert Parasangen entfernt.

Du scheinst meiner zu spotten, liebliche Jungfrau, ich sehe es an den schalkhaft lächelnden Blicken die Du von dem schwarzen Bogen Deiner Augen auf mich schießest.

Ich muß Dir sagen, holdes Mädchen, ich bin erst heute, nach dem Mittagsgebete von Balsora gegangen.

Und doch habe ich Wahrheit geredet, versetzte die Jungfrau. Aber zerstreue Dich nicht durch solche Gedanken, o Herr! sondern bereite Dich vielmehr zu dem Genusse des herrlichen Glückes, dem Du hier entgegengehest. Noch einmal: Sey uns willkommen in Almesira's Reiche!

So sage mir dann, schöne Jungfrau, ich bitte Dich bei dem Sonnenglanze Deiner Augen! sage mir, wer ist diese Almesira, in deren Reiche ich mich befinde? Und welches herrliche Glück erwartet mich?

Harre mit Zuversicht der Dinge, die da kommen sollen, schöner und tapferer Fremdling! Du hast schon große Gefahren siegreich überwunden: aber das ruhmvolle Werk, zu welchem Du berufen bist, wird noch von mancher Fährlichkeit umringt, wie die schöne Tochter des Frühlings, die Rose, von stechenden Dornen. Lust und Muth werden Dich Alles besiegen helfen, und Almesira's Auge wird über Dich wachen.

Zeige mir, o Jungfrau, rief Takeddin mit blitzendem Auge, zeige mir den Weg, der hier zu rühmlichen Thaten führt.

Der Augenblick wird Dich lehren, schöner Held, welcher Thaten es bedarf. Es wird an Zeichen nicht fehlen; möchtest Du sie nur richtig deuten.

Wolltest Du nur nicht so geheimnißvoll reden, wie alle die Stimmen, welche hier laut werden: so könnte ich mich desto besser vor Mißgriffen bewahren. Nur eines sage mir, reizende Jungfrau: wer ist jene Zoraide, von welcher ein Papagei mir erzählte?

O liebenswürdiger Held, rief die Jungfrau, wenn ich auch so viel Worte brauchen wollte, als Biledulgerid Datteln erzeugt: so würde ich doch ihre Schönheit nicht würdig beschreiben können; und wenn ich so viel Thränen weine, als in der Regenzeit Tropfen vom Himmel fallen: so werde ich doch ihr hartes Schicksal nicht genug beklagt haben.

Mit diesen Worten entfernte sich die holde Jungfrau, nachdem sie ihren Begleiterinnen einen Wink gegeben hatte. Diese naheten sich darauf ehrfurchtsvoll dem Wanderer, dem sie durch Zeichen andeuteten, sich des Bades zu bedienen. Als nun Takeddin in der lauen Fluth sich erfrischt hatte, rieben die weichen Hände der Jungfrauen duftende Salben in seine Glieder, und bedeckten ihn mit kostbaren, wohlriechenden Gewändern. Bei diesen Geschäften entfloh kein Laut von den Korallenlippen der Mädchen, und Takeddin fühlte sich unter ihren zarten Händen so wohl, und dieses geheimnißvolle Schweigen hatte etwas so reizendes für ihn, daß auch er diese lieblichen Augenblicke in stummer Lust genoß. Endlich schlang er seinen Arm um die schönste der beiden Jungfrauen, und während die eine zurücktrat, und den dichten Schleier über das Gesicht zog, drückte er jene, die lebhaft seine Liebkosungen erwiederte, an seine Brust, um die süße Glut derselben zu kühlen.

Wollt Ihr euren Mund nie öffnen, liebliche Mädchen? redete Takeddin die Jungfrauen an, als sich, nach einer wonnevollen Pause, Jene aus seinen Armen gewunden hatte. Soll der Honig eurer Worte nicht über die Rosen eurer Lippen fließen? Redet! Redet! Enthüllt mir alle die Wunder, die ich hier sehe.

Die beiden Mädchen aber begannen in lieblichen Tönen:

Wir müssen leider traurig schweigen
Vom sternenlosen Flor der Nacht verhüllt,
Bis Du das große Heldenwerk erfüllt.
Doch hast Du gesprenget die Riegel,
Verdunkelt den magischen Spiegel,
Dann schweben wir scherzend im Reigen.

So mögen sich dann Gefahren zu Gefahren gesellen, rief Takeddin aufspringend. Kraft des Arms und Muth sollen ihnen entgegen kommen! Sagt es mir, liebliche Mädchen, was ist der Preis des Kampfes?

Sich entfernend riefen die Mädchen im lauten Chore: Zoraide!

Die Öffnung in der Wand verschloß sich nicht hinter ihnen, und Takeddin folgte, als er sein Schwerdt umgürtet hatte. Er kam bald in eine lichte Gegend wo eine Allee von Sphinxen aus rothem Granit den weiteren Weg ihm vorzeichnete. Am Ende der langen Doppelreihe standen zwei kolossalische Sphinxe, die den Ausgang sperrten, indem glühende Ketten, deren Ende sie im Munde hielten, in schnellen funkensprühenden Kreisen sich umschwangen. Aber kaum hatte Takeddin, nachdem er einige Augenblicke betrachtend still gestanden, die Ketten und die beiden Sphinxe mit seinem Säbel berührt, so flogen jene auseinander, und diese stürzten von ihren Fußgestellen.

Takeddin sah nun keinen andern Weg vor sich, als einen breiten Pfad, der bergan stieg, und sich endlich in weiße Marmorstufen verlor, die vollends auf den flachen Gipfel führten. Hier ging er einige Minuten unter schattigen Bäumen, bis sich ihm ein runder Platz öffnete, der mit hohen Felsenwänden eingefaßt war. In der Mitte des Platzes saßen an Weberstühlen sieben schwarzverschleierte Jungfrauen, über welche ein Mohr die Aufsicht führte, und sie mit einem elfenbeinernen Stabe heftig auf die Finger schlug, so oft ihnen Fäden rissen, die so fein als Spinnengewebe waren. Bei Takeddin's Erscheinung erhoben die Jungfrauen ihre Stimme:

Das Schifflein fliegt und kommt zurück.
Und unsre Thräne fließet.
Von Mitternacht bis Sonnenblick
Des Thaues Perlen grüßet.
    Wir weben zarte Webe,
    Auf daß es Kleider gebe
    Für Mussabelin's Riesenleib,
    Und lange Schleier für sein Weib,
    Und für die holden Kinderlein
    Die weissen Röckchen leicht und fein.
O Schifflein flieg' und komm' zurück.
Und fließet, Thränen fließet,
Von Mitternacht bis Sonnenblick
Des Thaues Perlen grüßet.

Empört durch die harte Behandlung, welche die armen Weberinnen von dem Mohr erlitten, der eben jetzt umherging und die zarten Finger klopfte, zuckte Takeddin sein Schwert und fuhr den grausamen Wütherich an: Verdammt seyst Du, Ungläubiger! Wenn Du nicht augenblicklich diesen unglücklichen Jungfrauen Freiheit und Frieden gewährst: so spalte ich Dir den kraushaarigen Schädel. – Der Mohr erhob ein lautes Gelächter, und berührte Takeddin mit dem elfenbeinernen Stabe; aber als der Jüngling darauf nur heftiger und ergrimmter gegen ihn anrückte, verrieth er große Entrüstung, und wich hinter die Brustwehr eines Felsenblockes zurück. Eine der Jungfrauen aber sprach:

Zurück! Noch ist umsonst die Rache,
O Held aus niederm Hirtendache!
Zwar sprengtest Du schon starke Riegel;
Verdunkle noch den Zauberspiegel.
Dann bricht des Mohres weißer Stab,
Den ihm das harte Schicksal gab.

Und laut rief der siebenstimmige Chor:

Wir tanzen Alle dann in bunten Kreisen,
Und singen Scherz und Lust in neuen Weisen.

In diesem Augenblicke trat der Mohr heran, schwang dreimal seinen Stab, und eine dicke Wolke trennte den muthigen Jüngling, der eben mit seinem Säbel aushohlte, von seinem Feinde, und den beklagenswerten Jungfrauen.

Von Finsterniß umgeben, sah Takeddin lange keinen Weg, bis die Wolken lichter wurden, und einen Pfad aufdeckten, welcher ihn an der andern Seite des Berges herabführte, und endlich in einen Gang von hohen Cypressen leitete, der sich in dichtes Gebüsch verlor. Ein heller Glanz, der ihm daraus entgegen schien, und ein Geflister, das er zu vernehmen glaubte, lockten ihn näher, und er schlich leise, mit zurückgehaltenem Athem, als das Geflister der Stimmen immer deutlicher wurde. Scheu bog er die dichtverschlungenen Zweige zurück, und – welcher überraschende Anblick? Mitten im Gebüsche war ein Marmorbecken, an dessen Rande drei holde Mädchen standen, die Frauengewänder und Schleier auf den Armen trugen. Takeddin hob noch einen laubigen Zweig auf, und sah einige Theile des schönsten weiblichen Leibes, der im Bade lag. Jetzt erblickte er zwei weisse feingerundete Arme, die das Wasser theilten; dann kamen die zarte Schulter und der stolze Hals hervor, um welche sich die feuchten schwarzen Locken schmiegten; jetzt erhoben sich die runden Arme, um die triefenden Locken auszudrücken, und der Rücken und die schöngewölbten Hüfte stiegen aus dem Wasser empor. Und als die Jungfrau darauf das lockige Haupt zurückwarf, sah der glühende Jüngling die schwellenden Hügel des jugendlichen Busens, auf deren Gipfel die beiden Rosen der Unschuld knospeten, sah die Reize des Gesichts, der feurigen großen Augen, mit dem schwarzen Bogen darüber, der hellen Stirne, und den weichen Korallenlippen, mit der zierlichen Perlenschnur, die hinter ihnen hervorlachte: Reize, welche wie ein voller Blumengarten blüheten, wo dem Lustwandler die Wahl schwer wird, welche der duftenden Blumen er brechen soll.

Die Jungfrau neigte ihr schönes Haupt wieder, und indem sie ihre liebliche Gestalt in der Spiegelfläche des Wasserbeckens mit Wohlgefallen zu betrachten schien, wurden alle ihre Reize den gierigen Blicken des entzückten Jünglings zum leichten Raube. Sein Herz pochte ungestüm; sein rasches fliegendes Blut glühte auf seinen Wangen, und oft war er im Begriff hervorzubrechen, um zu den Füßen dieser himmlischen Schönheit die Macht ihrer Reize zu bekennen, wenn ihn nicht die Betrachtung zurückgehalten hätte, daß er sich dadurch am gewissesten diesen Genuß entwenden würde. Bald lauschte er stehend, in den lieblichen Anblick verloren; bald kniete er nieder, um einen neuen Reiz zu entdecken, den ihm ein starker Baumzweig verbarg, und bald erhob er sich wieder, um dieses schöne Gemählde, das von einem blendenden magischen Glanze beleuchtet wurde, aus einem andern Standpunkte zu betrachten.

Aber welcher plötzliche Wechsel! Mitten in seiner süßen Selbstvergessenheit störte ihn eine der dienenden Jungfrauen, welche rief: Ich sehe das Licht in Osten! und alle Drei sprachen darauf mit klagendem Tone: Ach, das Licht in Osten erwacht! Die Jungfrau im Bade erhob ihren Blick mit schmerzhaftem Ausdrucke: Unglückseeliges Licht! rief sie aus, bist auch du so grausam gegen mich? Kannst du nicht einmal die Welt im Schooße der Nacht ruhen, und vergebens auf deine Ankunft warten lassen? Jedem bist du erwünscht, o Sonne, wenn du aus den kühlen Thälern jenseits der Berge hervorkommst; jedem bringst du Freude oder Hoffnung: aber mir bist du nur die ewig wiederkehrende Botin meines traurigen Schicksals.

Noch einmal sah die Klagende wehmüthig in den Spiegel des Wassers; da flammte der erste Sonnenstrahl am östlichen Himmel auf, ein heftiger Donnerschlag erschütterte die Lüfte, und das schöne lockige Haupt der Jungfrau wurde – ein großes Straußenei, welches an der Stelle, wo das holde Gesicht geblüht hatte, eine schlechtgemahlte Larve zeigte. Ein Jammerlaut entfuhr ihren Lippen; sie stieg aus dem Bade hervor, wurde von den Jungfrauen schnell angekleidet, und entfernte sich langsam in der Mitte der trauernden Dienerinnen.

Erst lange nachher konnte sich Takeddin von seinem Erstaunen erhohlen, und fühlte nun das schmerzliche dieser lebhaften Überraschung. Er drang durch das Gesträuch an's Marmorbecken, dessen helles Wasser die Rosen des schönen Leibes erfrischt hatte, setzte sich auf den Rand nieder, und sprach nach einer Pause: O du Königin des Liebreizes! wie beklage ich dein seltsames Schicksal. Bist du Zoraide? Bist du der Preis des Kampfes, worin ich befangen bin? Dich – dich soll ich rächen? Für dich die schnöden Unbilden bestrafen, welche feindselige Mächte dir zugefügt haben? Ja, dir gehört mein Arm. Sonne der Schönheit, dir mein Leben, unglückliche Zoraide! Bei dem heiligen Worte des Propheten sei es geschworen, nicht Speise noch Trank soll meine Zunge erquicken, bevor ich dich gerächt habe.

Nach einer Pause, die auf diese lebhaft gesprochenen Worte folgte, zog Takeddin seinen Säbel. Hervor du erster aller Säbel, rief er aus, von dir erwarte ich Licht in diesem Dunkel. Er berührte das Wasser, und auf der glatten Fläche erschienen die flammenden Worte:

Die Schöne seufzt nun in kristall'nen Wänden,
Weil dort am Morgenthor die Fackel blinkt;
Ach! und es will der Mädchen Tanz nicht enden
Bis in des Abends Schooß die Fackel sinkt.
Dann ist die Zeit, wo alle Noth zu wenden,
Dir junger Held, die große Stund winkt.
Den Armen wird des Glückes Sonne scheinen,
Wenn du was nie sich paaret, kannst vereinen.

Dein altes Lied! rief Takeddin, dein altes Lied, das mir nicht viel Gutes für den Ausgang des Kampfes weissagt, und wenig Tröstliches für die Wünsche meines Herzens, welches die Liebe mit seiner Glut entzündet hat. Also bis auf den Abend soll ich noch harren? So lange noch die Rache aufschieben, wozu mich das ungestüme Verlangen meiner Brust treibt? . . . Gieb bessern Trost, treffliches Schwert! setzte er hinzu, indem er die Klinge ausstreckte. Und das allzeit fertige Orakel ließ sich also vernehmen:

Nur einmal noch kannst den Versuch Du wagen.
Dem neun und achtzig kraftlos schon erlagen.

Unmuthig warf Takeddin den Säbel von sich. Willst Du meiner Unruhe, meiner Ungeduld spotten? Wisse, Du bist doch bei allen Deinen Tugenden nur ein zerbrechlicher Stahl, und jeder Säbel wird mir deine Dienste ersetzen, wenn ihn mein Arm führt. – Nach einigen Augenblicken hob er jedoch das Schwerdt wieder auf, um es noch einmal zum Reden zu bringen, und der verständige Rathgeber schrieb die bedeutenden Worte:

Ein fester Gleichmuth soll den Helden zieren,
Es muß, wer herrschen will, sich selbst regieren.

Betroffen von dem Vorwurfe, dessen Wahrheit er tief empfand, steckte er das Schwerdt ruhig in die Scheide, und erhob sich, um den Abentheuern, die ihn erwarten mußten, zuversichtlich entgegen zu gehen.

Er schlug den Weg ein, welchen die unglückliche Jungfrau mit ihren Dienerinnen gegangen war, verirrte sich immer mehr im verwachsenen Dickichte, mußte schroffe Hügel erklimmen, die ihm den Weg versperrten, und über enge und tiefe Klüfte springen, in welchen unten Feuerströme brausten, die Flammen aufwarfen, und deren scheußlicher Dampf ihn so sehr betäubte, daß er bei der ersten Kluft Gefahr lief, in die tobende Tiefe zu stürzen. Sobald er sich wieder erhohlt hatte, wickelte er das eine Ende des Musselinstreifs los, woraus sein Tulbend geflochten war, wand dasselbe einigemal um Mund und Nase, und entging durch dieses Mittel weiteren Gefahren. Nach einer beschwerlichen Wanderung kam er an ein Felsenamphitheater, welches viel Ähnlichkeit mit jenem hatte, worinn die schwarzverschleierten Jungfrauen an den Weberstühlen saßen; nur waren die Felsenmauern höher, und dunkel gefärbt, der Umfang größer, und Takeddin entdeckte hier, außer einer ungeheuren verschlossenen Pforte von hellpolirtem Stahle, keinen Eingang, als er es rings umgangen war. Überrascht, aber unmuthig blieb er endlich vor dieser Pforte stehen, woran er weder Schloß noch Riegel entdeckte; nur ein schmaler vergoldeter Strich lief in der Mitte derselben herab.

Still! wer weiß, welches verborgene Talent Du noch bewahrst! Mit diesen Worten entblößte er seinen Säbel, und setzte die Spitze der Klinge auf die goldene Linie. Schnell glitt der Säbel herab, donnernd theilte sich die Pforte, und öffnete vor dem erstaunten Wanderer ihre mächtigen Flügel. Ein heller Glanz leuchtete ihm aus dem tiefen Dunkel entgegen, welches den inneren Raum des Felsenkreises deckte, und als er näher gegangen war, erblickte er einen runden Thurm von lauterem Kristalle, der oben in eine goldene Kuppel sich endigte, und durch sieben vielarmige Leuchter erhellt wurde, die in eben so viel Sälen hingen, welche von oben nach unten zu immer größer wurden. In jedem Saale sah er eine Gruppe von Mädchen, deren Schönheit so himmlisch war, daß ihm jedes einer Stelle unter den Houris des Paradieses werth däuchte. Das warme Kolorit, und die üppige Fülle, womit die Natur ihre Glieder bedeckt hatte, wurde von keinem neidischen Gewande, von keinem Schleier verhüllt, und in den raschen und anmuthigen Tänzen, worin sich diese Gruppen bewegten, hoben sich die heiteren Formen desto vortheilhafter und desto unbefangener hervor, da man kein lauschendes Verrätherauge zu fürchten schien. Um alle diese Wunderdinge zu krönen, saß oben in dem kleinsten Gemache, unmittelbar unter der goldenen Kuppel, einsam eine weibliche Gestalt, die nicht ganz jenen unverhüllten Grazien glich, denn außer dem schönen, blendenden Halse, und dem jugendlichen Busen, die nur ein dünner Flor zu decken schien, und außer den weissen schwellenden Armen war sie in dichte und faltige Gewänder gehüllt. Wäre nur auch der Kopf nicht ohne Schleier geblieben: so hätte die Phantasie Freiheit behalten, sich die ganze Gestalt so reizend auszubilden, als es ihr beliebte, wozu ihr die Bewohnerinnen der unteren Gemächer die lieblichsten Modelle lieferten. Aber grade der Kopf war unverschleiert, um – das große Straußenei mit der Larve sehen zu lassen.

Die trauernde Gestalt heftete ihre Blicke unverwandt auf eine Stelle ihres Gemaches, und Takeddin sah, als er seitwärts trat, einen häßlichen Zwerg, der neben einem großen Spiegel stand, auf welchen er von Zeit zu Zeit mit einem schwarzen Stabe deutete.

Unglückliche Jungfrau! rief Takeddin, von seinen Empfindungen überwältigt. Sehe ich Dich noch immer in dieser Verwandelung, wodurch boshafte Zaubermächte die zarte Blume deiner Schönheit zerstören? . . . Höre meinen Schwur, trauernde Sultanin meines Herzens! Ehe die Sterne am nächtlichen Himmel blincken, will ich Dich befreien und rächen, wenn ein kräftiger Arm, und ein Muth, den das Feuer der Liebe entflammt, den Ausschlag geben können.

Der Tanz wurde nicht unterbrochen; aber Alle errötheten, wurden scheuer und verschämter in ihren Bewegungen, und wendeten ihre Blicke auf die Stelle, woher die laut gesprochenen Worte kamen. Selbst die reizende Jungfrau suchte mit ihren reizlosen Augen, und streckte, als sie den jungen Helden gefunden, sehnsuchtsvoll ihre Arme gegen ihn aus. Takeddin wiederhohlte seinen Schwur; die Jungfrau schien ihm mit freundlichem Kopfnicken Beifall zu winken, und warf ihm von dem gemahlten Munde ihres Larvengesichtes einen Kuß zu. Aber der Wanderer dachte an die vollen Rosenlippen, die er im Bade gesehen, und fühlte sich durch diesen bildlichen Kuß so glücklich, als ob es ihm wäre vergönnt gewesen, seinen glühenden Mund auf jene Lippen zu drücken.

Takeddin betrachtete den Thurm von allen Seiten, ohne eine Öffnung zu entdecken, und berührte ihn dann an mehreren Stellen mit seiner Säbelklinge, in der Hofnung, daß sie ihm hier denselben Dienst leisten werde, wie bei der Stahlpforte; aber sie glitt kraftlos an der Fläche herab, und als er unmuthig zuletzt auf die kristallenen Wände loshieb, prallten die Schläge mit einer solchen Heftigkeit zurück, daß sein Arm gelähmt an seiner Seite heruntersanck.

Entschlossen, in der Nähe des Thurmes die entscheidende Stunde zu erwarten, suchte er eine Stelle, wo er gemächlich ruhen, und den unglücklichen Gegenstand seiner Theilnahme und seiner Liebe bequem betrachten konnte. Während dessen warf er seine Blicke wieder auf das obere Gemach des Thurmes, und sah, wie der häßliche Zwerg die Jungfrau unablässig verhinderte, auf den schönen Wanderer herabzuschauen; wie er mit dem Spiegel heranrückte, und ihr denselben nahe vor die Augen hielt; wie er mit einem Lächeln, das zu Grinzen verunglückte, sie liebkosen wollte, und als die Jungfrau unwillig ihn zurückstieß, trotzig drohend seinen Stab gegen sie erhob.

O du erbärmliches Ungeheuer! rief Takeddin mit Heftigkeit. Komm herab, wenn du so viel Muth, als Niederträchtigkeit hast, und du sollst meine Rache fühlen! Komm herab aus deiner Sicherheit, wo du, wie jeder Feige trotzen kannst! – Der Zwerg erschien freilich nicht, um sich mit Takeddin zu messen; aber dieser bemerkte, daß die Jungfrau mit wiederhohlten Winken auf eine Stelle des Felsenkreises deutete, welche der Stahlpforte gegenüber lag. Er glaubte den Wink richtig zu erklären, wenn er sich jener Gegend näherte. Noch einmal blickt er zurück, als er sich einige Schritte entfernt hat, und sieht, wie der Zwerg grimmig mit seinem Stabe auf den Boden schlägt, und alsbald die helle Beleuchtung des Thurmes von schwarzem Dunkel verschlungen wird.

Unmuthig, mit empörtem Herzen ging er auf die bezeichnete Stelle zu, und sah bald eine Öffnung in der Felsenwand vor sich, die in einen tiefen Gang führte, und einen matten Schimmer des Sonnenlichts ausstrahlte, welcher den Wanderer in der Dunkelheit geleitet hatte. Schnell stieg Takeddin herab, mußte sich lange durch einen Gang winden, wo er bald einen hellen Abglanz des Tageslichts zu sehen glaubte, bald in dichter Finsterniß tappte.

Endlich lag die lieblichste Landschaft vor seinen Augen, und überraschte ihn desto lebhafter, da die bisherigen Erscheinungen ihn nur an wilde oder groteske Gegenden gewöhnt hatten. Es war ein freundlicher Garten, mit mannigfaltigen Blumen, mit schattigen Gängen, mit blühenden und fruchttragenden Bäumen, in der fröhlichsten Abwechselung, bedeckt; von erfrischenden Quellen durchschnitten, die sich bald durch dichtes Gebüsch schlichen, bald zwischen grünen Ufern hin rieselten, und in der Mitte einen kleinen See füllten, dessen Ufer mit Mirthen, Rosen, und anderm niedrigen Gesträuche eingefaßt war. Fröhliche Mädchen sprangen ihm beim Eintritte entgegen, und nöthigten ihn, mit freundlicher Zudringlichkeit, aus den Körbchen, die sie am Arme trugen, die köstlichsten Früchte auszusuchen, während schöne Knaben in eine kühle Laube ihn führten, wo reichgeputzte Sklaven ihm Rosenwasser zum Waschen darboten, und die Tische mit den feinsten Früchten und Backwerken, mit köstlichem Scherbet, und feurigem Schiraswein besetzt waren. Aber eingedenk seines Schwures berührte Takeddin nichts; obgleich ihm die Erinnerung an die ausgesuchte Mahlzeit in der Wildniß, und den trefflichen Scherbetbach diese Entsagung zu einem Opfer machte.

Nachdem Takeddin diesen reizenden Aufenthalt nach allen Richtungen durchstrichen, und diejenigen Sinne, welche kein Schwur gebunden hielt, erfreut hatte, erblickte er eine kleine männliche Gestalt, die sich mit freundlichen Gebärden ihm näherte. Er hielt dieselbe zuerst für einen Gespielen jener Knaben, und glaubte, sie wolle ihm wie diese, irgend eine neue Annehmlichkeit dieses Paradieses entdecken; aber bald bemerkte er in der Nähe an den ausgebildeten Gesichtszügen, in welchen feine Klugheit lag, daß hier eine vieljährige Erfahrung wohne. Der Körper des kleinen Mannes war nach den schönsten Verhältnissen gebaut, und wurde von einem faltigen Purpurkleide bedeckt; die zarte Verschmelzung des Kindlichen und Männlichen in dieser Gestalt gab ihr etwas Auffallendes, aber auch einen unwiderstehlichen Reiz. Blonde Locken umflossen die heitere Stirne und die blühenden Knabenwangen, und fielen tief auf die Schultern herunter; ein sanft gekräuselter Bart wallte herab auf den Gürtel, an welchem eine goldene Betelbüchse hing, der fleißig zugesprochen wurde.

Friede sey mit Dir, und Ruhm, o Held! redete die interessante Gestalt den Wanderer an. Wo Almesira's Zepter herrscht, da bist Du willkommen.

Ich bin dieser edlen Herrscherin schon großen Dank schuldig, erwiederte Takeddin. Kannst Du mir nicht mehr von ihr sagen? Von denjenigen, die wir verehren und lieben, wünschen wir Etwas mehr, als den bloßen Namen zu wissen.

Ich kann Deine Neugierde befriedigen, fuhr Jener fort. Folge mir, edler Jüngling. Ich weiß, die lieblichen Gaben dieses Gartens führen Deine Standhaftigkeit nicht in Versuchung; aber Ruhe darfst Du genießen, und sie wird Dir nöthig seyn, um das Werk, so dich noch erwartet, rühmlich zu enden.

Takeddin wurde von dem kleinen Manne in einen zierlich gebauten Dom geführt, welcher in einem an den Garten stoßenden Palmenwalde lag. Nachdem sich Beide auf den Sofa gesetzt hatten, hob der Kleine an: Ich merke, Du betrachtest mich mit Verwunderung, und scheinst meinen kleinen Wuchs mit meinem Alter nicht wohl vereinigen zu können. Unter Euch Menschen findet freilich oft ein kleiner Geist eher Verzeihung, als ein kleiner Körper. Nicht so bei uns. Wir betrachten den Körper als ein Hinderniß und eine Schranke des Geistes; je weniger also, desto besser. Wisse nun, ich gehöre zu den Genien, und zwar zu der Zahl derer, welche die Herrschaft der weisen Almesira, und den Aufenthalt in ihren reizenden Gärten dem einförmigen Leben in DschinnistanDschinnistan – das Feen- und Geister-Land der Orientaler. Es umgiebt die Welt. vorziehen. Und diese weise Almesira – fuhr der Genius fort, nachdem er ein neues Stück Betel aus der goldenen Büchse gehohlt hatte, ist eine der mächtigsten und berühmtesten Feen, deren Hauptangelegenheit es immer gewesen ist, die unterdrückte Unschuld durch ihren Beistand zu stärken.

So hat sie auch ohne Zweifel, fragte Takeddin, die reizende Zoraide in ihren Schutz genommen? Ich meine jene unglückliche Jungfrau im kristallenen Thurme, die von feindseeligen Mächten eine so grausame Beleidigung erfahren?

Deine Vermuthung ist richtig, antwortete das kleine Männchen.

Du scheinst sehr genau von allen diesen Dingen unterrichtet zu seyn. Erkläre mir doch das traurige Schicksal dieser unglücklichen Jungfrau. Sage mir vor allen, welche Gewalt hat jener verwegene Zwerg über sie, der ihr im kristallenen Thurme so unbescheiden begegnet?

Dieser Zwerg, versetzte lächelnd der Genius, ist von dem Zauberer, der Zoraiden verfolgt, zu ihrem – Bräutigam bestimmt, wenn sie vor Ablauf des neunten Jahres ihrer Leiden keinen Retter gefunden hat. In drei Tagen sind nun die neun Jahre zu Ende.

Was? fuhr Takeddin auf, dieses scheußliche Ungeheuer sollte seine verdammten Arme um diesen zarten Leib schlingen? Nein, nimmermehr! so lange dieser Arm nicht erstorben ist.

Braver Held! sprach der Genius, groß ist des Zaubers Macht, und des Schicksals Spruch unwiderruflich.

Und soll sie in dieser unseeligen Verwandlung in die Arme des Ungeheuers geliefert werden?

Glaube das nicht, erwiederte Jener. In dem Augenblicke, wo sie die Gattin des häßlichen Zwerges wird, hört die Gewalt der Zauberei eben so gewiß auf, als ob ein glücklicher Held die Bedingung der Entzauberung erfüllt hätte.

Und diese Bedingung ist? fragte Takeddin mit Lebhaftigkeit.

Daß er Unverträgliches vereinige.

O das habe ich leider schon oft hören müssen! rief Takeddin ungeduldig. Willst Du es mir nicht deutlicher sagen? Was soll denn vereinigt werden?

Edler Jüngling, versetzte der Genius, ein ehrwürdiges Orakel sagte uns vor vielen Jahren, diese Bedingung könne nur ein junger Held erfüllen, der aus den Hütten armseeliger Hirten hervorgegangen sey, und sich durch eigene Kraft den Weg des Ruhmes gebahnt habe. – Du bist ein solcher Held, fuhr der Kleine nach einer Pause fort: Du hast hier schon mehr gethan, als Deine neun und achtzig Vorgänger, welche beim ersten Anlauf scheiterten, und ihr Mißgeschick in der harten Dienstbarkeit des Zauberers büßen. Es kommt nur noch darauf an, daß Du im entscheidenden Augenblicke – glücklich bist. Mehr darf ich Dir nicht sagen.

Du giebst und nimmst mir Hoffnung, sprach der Jüngling. Kann ich bei allem Muthe, bei allem Eifer, der mich treibt. Unmögliches möglich machen? Und welches Schicksal erwartet den unglücklichen Wager?

Du hast auf Deinem Wege eine Allee von Sphinxen gefunden. Diese ist, die Beiden ausgenommen, welche die feurigen Ketten umschwangen, allmählig aus Deinen unglücklichen Vorgängern entstanden. Du wirst auch gesehen haben, es ist gerade noch eine Stelle im Anfange der Reihe offen.

Die man mir bestimmt hat? fragte Takeddin.

Wenn Du unglücklich bist, so wirst Du sie freilich ausfüllen müssen.

Erzähle mir, freundlicher Genius, wie hat die beklagenswerthe Zoraide den Unwillen des boshaften Zauberers gereizt?

Sehr gern, erwiederte der Genius, denn das ist mir nicht verwehrt. Nur erlaube mir, daß ich das Stückchen Betel erst auskaue, das ich im Munde habe. – Höre nun? fuhr er nach einer Pause fort. Der Sultan der blauen Gebirge regierte viele Jahre in glücklicher Ruhe, und um alle Freuden über sein Leben auszugießen, hatte ihm seine geliebte Benerzade eine Tochter gegeben, die schon in zarter Jugend die Schönheit der Mutter zu verdunkeln versprach. Es war die unglückliche Zoraide. Die Fee Almesira, welche immer die treue Freundin, und die weise Rathgeberin der Eltern gewesen war, hatte jene holde Blume der Schönheit ihrem Sohne zugedacht, welchen Du in dem schönen Papagei kennen lerntest. Als er das liebliche Kind eines Tages Schmetterlinge haschen sah, verwandelte er sich augenblicklich in einen azurblauen Schmetterling mit goldbesäumten Flügeln, um sich von den sanften Händen berühren zu lassen, und wurde seit diesem Tage von heftiger Liebe gegen Zoraiden entzündet. Aber seine edle Mutter gab alsbald ihren Plan auf, da ihr einst der Sultan entdeckte, daß er seiner Bundesgenossin, der Königin der sieben Seen, schon lange versprochen habe, ihren Sohn Almenor mit Zoraiden zu verbinden. Ja, sie ging so weit, daß sie ihren Sohn von seiner Leidenschaft heilte, und seine Gefühle für Zoraiden zu der uneigennützigsten Freundschaft herabstimmte. Dem Sultane versprach sie, die Verbindung, welche er wünschte, nach allen Kräften zu befördern; aber sie verhehlte auch ihre Besorgnisse nicht, daß der mächtige Zauberer Mussabelin diese Gelegenheit benutzen werde, sich an der Königin der sieben Seen zu rächen, weil sie einst seine Liebe verschmäht hatte. Diese Königin besaß, wie Almesira aus ihren Büchern wußte, in einem schönen Smaragd einen kräftigen Talisman, der gegen alle Zaubergewalt schützte, und dessen Macht nur von zwei Stäben, dem schwarzen und dem weissen, die Du gesehen hast, übertroffen wurde. Diese kostbaren Stücke hatte Mussabelin der edlen Fee vor kurzem durch schändliche List entwendet.

Die Gelegenheit zur Rache kam noch früher, als Almesira vermuthete. Die Königin der sieben Seen hatte nehmlich an einem ihrer Nachbarn einen unversöhnlichen Feind, der schon oft, aber immer mit großem Verluste, sie bekriegt hatte. Aufgereitzt durch Mussabelin, mit welchem er lange in genauer Verbindung stand, fiel er plötzlich, so wohlgerüstet, und mit solcher Macht, als nie vorher, der Königin in's Land. Diese war zu wenig vorbereitet, und ihr Feind hatte einen zu kräftigen Beistand, als daß sie einer großen Niederlage hätte entgehen können. Ihr Bundesgenosse, der Sultan der blauen Gebirge, eilte ihr zu Hülfe; aber auch diese vereinigte Macht war nicht stark genug, den Feind abzuwehren, welchen Mussabelin durch alle Hülfsmittel seiner Kunst unterstützte, und der Sultan theilte das Schicksal seiner Bundesfreundin: beide Länder wurden verheert, und ein großer Theil ihrer Bewohner unglücklich gemacht.

Damit war der boshafte Zauberer noch nicht zufrieden. Er entführte der Königin ihren geliebten Sohn, und kränkte sie dadurch so empfindlich, daß sie ihr Unglück nicht lange überlebte. Dem Sultan aber ließ er Frieden und Freundschaft bieten, wenn Zoraide seinem Sohne ihre Hand geben würde, und als dieser Antrag nicht auf der Stelle angenommen wurde, schwur er schreckliche Rache. Er hatte erfahren, daß Zoraide, die damals kaum noch zehn Jahre alt war, aber schon großen Verstand zeigte, lebhaft gegen seinen Antrag gesprochen, und ihrem Vater erklärt hatte, sie könne Niemand lieben, als ihren Gespielen, den schönen Prinzen Almenor. Dafür drohte er ihr empfindliche Züchtigung, und ich muß gestehen, er hätte ein weibliches Gemüth nicht tiefer verwunden können; denn die Zerstörung ihrer Schönheit ist gewiß das größte Unglück, das den Frauen begegnen kann.

Damit weißt Du Alles, schloß das kleine Männchen seine Erzählung. Den Sultan, die Sultanin, und die vornehmsten Weßire hast Du in den seltsamen Felsengestalten gesehen; die beiden ersten sind immer im Begriff Felsenblöcke zu schleudern, und die Weßire rennen auch noch in ihrer Verwandlung mit den Köpfen gegen einander. Die Kammerfrauen der Sultanin und Zoraidens hast Du in den webenden Jungfrauen, und in den unermüdeten Tänzerinnen wiedergefunden. Vom Aufgange bis zum Untergange der Sonne müssen sie hier unaufhörlich tanzen, und man sagt, Mussabelin käme oft mit seinem Sohne auf einen der nahen Felsen, um sich an dem lieblichen Anblicke der unverhüllten Reize zu ergötzen; von Sonnenuntergang bis Mitternacht dürfen sie ruhen, um ihr Unglück und Zoraidens Schicksal zu beweinen, und sich zu den neuen Leiden zu stärken, welche jedesmal sieben von ihnen an den Weberstühlen finden.

Der Genius griff begierig nach seiner Betelbüchse, die er so lange ruhen lassen mußte, und steckte ein großes Stück in den Mund; aber Takeddin störte ihn bald wieder durch die Frage: Du hast vergessen, mir von dem Zauberspiegel zu sagen, wovon ich Einiges gehört habe. Und womit füllt Zoraide die Stunden vom Untergange bis zum Aufgange der Sonne?

Erinnerst Du Dich der Heuschrecke? versetzte der Genius.

Unglückliche Zoraide! rief Takeddin lebhaft. So wird Deine himmlische Schönheit verunstaltet und herabgewürdigt? Und ihre Verfolgerin, die hellblaue Schlange?

Mussabelin belustigt sich alle Abend einige Stunden mit dieser Jagd, sprach das kleine Männchen. Ist er müde, oder wird er so gestört, wie Du ihn störtest: so wird Zoraide früher erlöst; sonst aber muß sie bis Mitternacht warten. Dann hat sie ein paar freie Stunden im Bade, wie Du wissen wirst, schöner Jüngling! setzte der Genius lächelnd hinzu.

Takeddin erröthete, und hob nach einer Pause wieder an: Und der Zauberspiegel?

Mussabelin ist kein Stümper in der Kenntniß der Herzen. Er weiß es wohl, daß Zoraide nach einer solchen Pause den Verlust ihrer schönsten Reize desto schmerzlicher empfinden muß. Aus derselben Ursache zum Theil hat er auch den Zauberspiegel in ihrem Gemache aufhängen lassen. Wenn nehmlich die arme Prinzessin ihren häßlichen Kopf lange genug darin betrachtet, und mit den unverhüllten Schönheiten ihrer Gestalt verglichen hat: so berührt der boshafte Zwerg den Spiegel mit seinem Stabe, und alsbald sieht Zoraide neben dem Bilde ihrer Verunstaltung das Bild ihres schönen Kopfes, so reizend, als ihn die glatte Fläche des Wassers ihr zurückstrahlt, und als Du ihn gesehen hast. Aber es hat mit diesem Spiegel noch eine andere Bewandniß; denn sonst würde Mussabelin seiner unglücklichen Feindin vielleicht mehr angenehme Augenblicke lassen, als er Willens ist. Sieh, wenn der Zwerg den Spiegel nahe vor Zoraidens Augen bringt: so sieht sie sich, im Glanze ihrer Schönheit, in den Armen des kleinen Ungeheuers.

Bei diesen Worten erhob sich der Genius, und fuhr dann fort: Ich lasse Dich jetzt allein, edler Held. Überlaß Dich unbesorgt der Ruhe in diesem kühlen Gemache; kurz vorher, ehe die Feuerkugel der Sonne das Bette des Ozeans sucht, wirst Du erwachen. Gehe dann, wohin Deine Schritte Dich leiten; wenn Du glücklich bist, so wirst Du dahin kommen, wo Deine Gegenwart nöthig ist.

Der Genius entfernte sich schnell; aber Takeddin konnte die Ruhe nicht sogleich finden, welcher er so sehr bedurfte. Die seltsamen Abentheuer, die ihm begegnet waren, gingen vor seiner Seele in bunter Verwirrung vorüber; Hoffnung und Besorgnisse erhoben und drückten wechselnd sein Herz, und er suchte vergebens die geheimnißvollen Worte zu deuten, worin die leidige Bedingung verborgen lag. Endlich aber fühlte er sich unwiderstehlich von dem Schlummer überwältigt, der ihm allerlei Träume zuführte: bald kam ihm Zoraide im vollen Blüthenschmucke ihrer Schönheit mit heiterer Miene entgegen; bald fand er sich in der Nähe der Sphinxenallee und sah den Zauberstab Mussabelins gegen sich aufgehoben, während sich die jammernde Zoraide in den Armen des scheußlichen Zwerges sträubte.

Mitten in diesem Traumgesichte wachte er auf, und sah am Eingange des Doms die Strahlen der scheidenden Sonne zittern. Schnell erhob er sich, und eilte hinaus. Aber wohin? Zurück durch die Öffnung, welche ihn in den reizenden Garten geführt hatte, und ihn wieder in die Nähe des kristallenen Thurmes bringen mußte: das war sein nächster Gedanke, und mit geflügelten Schritten eilte er voran. Tiefer und tiefer sank die Sonne, und eine Minute noch, so war sie völlig von dem Rande der Gebirge bedeckt. Rascher schlug sein Herz; rascher eilte sein Fuß. Jetzt kam er ans Ufer des Sees in der Mitte des Gartens; er sah nur noch einen kleinen Bogen der glutrothen Sonnenscheibe, und jetzt war auch dieser hinabgesunken.

Er verdoppelte noch einmal seine Schritte, um die Felsenöffnung zu erreichen; aber in diesem Augenblicke springt die Heuschrecke vor ihm auf, welche von der hellblauen Schlange lebhaft verfolgt wird. Von den Empfindungen, die dieser Anblick in ihm aufregte, zu heftig ergriffen, verlor er beinahe die Besonnenheit seines Gemüthes; allein bald gefaßt, und nur von Wuth und Rache bewegt, zog er schnell seinen Säbel, und spaltete die Schlange, die zischend ihren Kopf gegen ihn erhob, bis auf die Mitte ihres Leibes.

Er sah nun dasselbe Schauspiel, das ihn schon einmal überrascht hatte. Eine grüne Flamme umwehte die Säbelklinge; aber größer, als das erstemal, bedeckte sie fast deren ganze obere Hälfte.

Schnell, trefflicher Säbel! Rathe mir! rief Takeddin, und wollte die Spitze der Klinge auf die Spiegelfläche des Sees setzen; aber plötzlich kam ihm der erleuchtete Gedanke.

So vereinige sich dann das Unverträgliche! rief er laut, und theilte mit dem flammenden Säbel die ruhigen Fluten. Plötzlich wurde hier das Wasser aufgewühlt, Woge thürmte sich auf Woge, der Sturm rasete über die ganze Oberfläche des Sees, ein wilder Donner erschütterte die Lüfte, deren heiteres Blau von furchtbarer Dunkelheit eingehüllt wurde. Nach einigen Minuten erfolgte eine feierliche Stille, der Himmel wurde wieder hell und heiter, laute Freudentöne bewegten die Luft, und Takeddin sah einen goldenen Wagen, den sechs schneeweisse Schwäne durch den ruhigen Äther zogen. Der Wagen senkte sich herab. Zoraide saß in strahlender Schönheit an der Seite einer edelgebildeten Frau, und ihr gegenüber die ehrwürdigen Gestalten des Sultans und der Sultanin. Zu gleicher Zeit erschien eine lange Reihe von Jungfrauen, die zerrissene schwarze Schleier mit lautem Freudenrufe erhoben, und von einer andern Seite her kamen neun und achtzig Jünglinge von edler Gestalt, welche Takeddin als ihren Befreier priesen.

Heil Dir, glücklicher Held, rief Almesira, die den weissen und den schwarzen Stab in der Hand hielt – Heil Dir glücklicher Held, den Mussabelin unter niedere Hirten verstieß, um seinen Verderber in Dir erziehen zu lassen. Heil Dir, Prinz Almenor!

Überrascht sah dieser bald auf jene Gruppen, bald auf die Aussteigenden, und eilte dann Zoraiden entgegen auf deren Wangen die höhere Glut der Freude und der Liebe brannte.

Sei mir willkommen, o Du Gespiele meiner Kindheit! Willkommen o Held, den ich schon lange in glücklichen Träumen sah! Sey mir gesegnet, mein Retter! rief sie lebhaft und schloß ihn an den klopfenden fessellosen Busen.

 


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