Theodor Fontane
Meine Kinderjahre
Theodor Fontane

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Achtes Kapitel

Die Krauses

Die Scherenbergs waren eine durch Klugheit und Begabungen, die Schönebergs eine durch Reichtum und Solidität angesehene Familie; beide jedoch führten nicht eigentlich das Regiment, noch weniger die Thompsons, trotzdem der schon in Kürze geschilderte, mal als Tiefenbach und mal als Illo sich gerierende Chef des Hauses, nach wie vor seinen Anhang und Einfluß hatte. Die Herrschenden in der Stadt waren die Krauses, zugleich diejenigen, auf die die Verfeinerung des noch aus der Kriegszeit herstammenden derberen Tones zurückzuführen war. Das Haupt der Familie war um die Zeit, von der ich hier spreche, der Geheime Kommerzienrat Krause, meistens der »alte Geheimrat« oder auch nur kurzweg der »alte Krause« genannt. Alles erging sich in Respekt gegen ihn, und der meinige war schon da, bevor ich noch den Vielgefeierten von Angesicht zu Angesicht kennengelernt hatte. Das hing so zusammen. Am Bollwerk lag ein besonders großes und schönes Schiff, das vorn am Gallion statt eines Namens einfach die Bezeichnung »Der neunte März« trug. Ich fragte, wie das käme, und hörte nun, was sofort einen großen Eindruck auf mich machte, daß der 9. März der Geburtstag des alten Krause sei. Bald danach sah ich diesen zum erstenmal, als er am Anlegeplatz des Stettiner Dampfschiffes einen Gast empfing. Er war trotz seiner beinahe Siebzig noch in glänzender Verfassung, so daß ich sagen darf, auf meinem Lebenswege niemandem begegnet zu sein, der mir die dominierenden Gestalten des vorigen Jahrhunderts so veranschaulicht hätte wie er. Die Männer von heute wirken wie blaß daneben, weil ihnen das fehlt, was, sich in der Gegenwart nicht gleich glücklich entwickeln kann: ein ungeheures Selbstgefühl. Wo kam nun dies Hochmaß her? Man sollte füglich glauben, daß es in Zeiten, in denen der unter Umständen auch die höchsten Würdenträger des Staats nicht schonende friderizianische Krückstock noch immer umging, an diesem Selbstgefühl hätte fehlen müssen; aber es lag umgekehrt und mußte so liegen; denn gerade so selbstherrlich wie der Fürst des Landes, so selbstherrlich war jeder in seinem Kreise. Man glaubte ehrlich an die Staatspyramide, bei der es natürliches Gesetz war, daß der obere Stein auf den unteren drückte. Jeder herrschte nach dem Maß seiner Stellung und seiner Verhältnisse. Beim alten Krause kam zur Stärkung des Selbstgefühls und eines aus glücklichen Lebensverhältnissen erwachsenen Glaubens an sich noch ein anderes hinzu: die Macht einer ausgesprochenen, in jedem Augenblick in Haltung und Miene sich kundgebenden Männlichkeit, eine Macht, die vielleicht zu keiner Zeit eine so hervorragende Rolle gespielt hat wie während des vorigen Jahrhunderts und nicht zum wenigsten – man gedenke des russischen Hofes – auf dem Felde großer und kleiner Politik.

Und eben auf diesem Felde mit Hilfe glücklicher natürlicher Gaben sich zu betätigen, dazu bot auch der Beginn dieses Jahrhunderts noch volle Gelegenheit und vielleicht nirgends mehr als in unseren Seestädten, wo die Kontinentalsperre die Schwierigkeiten der durch die Fremdherrschaft geschaffenen Lage verschärfte. Jedenfalls lag es dementsprechend in Swinemünde, das zu jener Zeit eine französische Garnison besaß oder doch das, was man damals so nannte. Sah man näher zu, so waren es meist Truppen aus den Rheinbundstaaten, Hessen, Nassauer, Westfalen. An den Odermündungen, speziell in Swinemünde, standen Badenser, die sich gut nahmen und mit denen man unter gegenseitigem Entgegenkommen auf vortrefflichem Fuße lebte, bis eines Tages Fritz von Blankenburg, wenn ich nicht irre, der Vater oder Oheim des späteren konservativen Abgeordneten, durch einen geschickt geplanten Überfall die ganze badisch-französische Besatzung gefangennahm. Inmitten solcher Ereignisse sich gegen den Verdacht der Mitschuld und andererseits, bei Bekämpfung dieses Verdachts, auch wiederum gegen den Vorwurf einer undeutschen und illoyalen Gesinnung zu schützen, konnte nur einer so siegreichen und zugleich so diplomatischen Persönlichkeit, wie die des alten Krause, gelingen, die denn auch klug und fest alles zum guten Ende führte.

Ja, der alte Krause! Solang es die Verhältnisse forderten, war er neben vielen anderen auch ein guter, in die Zeit sich schickender Diplomat gewesen; als dann aber die Tage des ersten freien Aufatmens kamen, erwies er sich als ein noch besserer Patriot. Kaum daß der Aufruf des Königs erlassen war, so war er da, sich in seiner Vaterlandsliebe zu betätigen. Er begnügte sich nicht, einen reitenden Jäger in voller Equipierung zu stellen, sondern machte zugleich das Anerbieten, zwanzig Jäger zu Fuß zu rüsten und ein Jahr lang zu unterhalten. Zwei Jahre später, nach der Rückkehr Napoleons von Elba, ließ er seinen inzwischen herangewachsenen ältesten Sohn als Freiwilligen eintreten, in welcher Eigenschaft dieser den Feldzug von Anno 15 mitmachte.

Zeigte dies alles seine loyale Gesinnung, so bewies es nicht minder seinen glänzenden, durch die voraufgegangenen Kriegsjahre mehr geförderten als verminderten Besitz- und Vermögensstand. Und so lag es in der Tat. Hätte es aber noch eines Beweises dafür bedurft, wäre dieser dadurch erbracht worden, daß der alte Krause nach wiederhergestelltem Frieden ein in der Nahe Stettins gelegenes Gutsareal, die Güter Colbatz, Hoffdamm und Heidchen für die damals bedeutende Summe von 255 000 Taler an sich brachte. Das war 1816, und diese Zeit bezeichnete wohl den Höhepunkt im Ansehen der Familie.

Sommer 1837 sah ich den alten Geheimrat zum letztenmal. Er traf damals Anstalten, den 1816 erworbenen Besitz wieder zu veräußern, und zwar an den Staat. Zu diesem Zwecke war er nach Berlin gekommen und hatte daselbst in dem in der Burgstraße gelegenen Hotel de Portugal Wohnung genommen. Natürlich eine Flucht Zimmer im ersten Stock. Ich machte mich eines Nachmittags auf, um hier an den, wenn er bei guter Laune war, ziemlich umgänglichen alten Herrn eine Frage nach seinem mir befreundeten Enkel zu richten, ein Vorhaben, das scheiterte. Denn im selben Augenblicke, wo ich von der Treppe her in den zwischen den Vorder- und Hinterzimmern hinlaufenden Korridor einbiegen wollte, sah ich auch schon, am äußersten Ende desselben, eine hohe, von einer Gasflamme hell beleuchtete Gestalt, die, während sie mit einem mächtigen Weichselrohr (ich erkannte von weither die Elfenbeinkrücke) wie mit einem Gewehrkolben auf die Diele stieß, den Gang hinunter mit Donnerstimme »Louis« rief. Louis war sein Diener, ein bildhübscher, etwas durchtriebener Schlingel. Ich sah sofort, daß von einer gemütlichen Anfrage keine Rede sein konnte, machte deshalb kehrt und hörte nur noch, wie sein Rufen nach dem Diener zum zweiten- und drittenmal, alles aufstörend, das Hotel durchschütterte. Solche Störung war ihm aber gleich. Er war nicht daran gewöhnt, auf Kellner oder Portier, oder wohl gar auf einen seine Nachmittagsruhe haltenden Weinreisenden irgendwelche Rücksicht zu nehmen.

Drei Jahre später starb er, der »König von Swinemünde«.

Zu der Zeit, als wir daselbst eintrafen (1827), war der alte Geheimrat nominell noch in voller Herrschaft, hatte jedoch, weil er seit 1816 die Hälfte des Jahres auf seinem Gute Colbatz zubrachte, das Tatsächliche der Herrschaft an seine zwei Söhne Wilhelm und Eduard, wie an zwei Statthalter abgetreten. Eduard, damals noch jung, wirkte wie ein Adlatus des erheblich älteren Bruders und kam erst zu voller Bedeutung, als es ihm einige Jahre darnach vergönnt war, den jungen Prinzen Adalbert, späteren Admiral, in seinem unter prächtigen Linden am Bollwerk gelegenen Hause wiederholentlich als Gast begrüßen zu können. Den überaus liebenswürdigen Prinzen mit dem schon damals sprechend ähnlichen Großen-Kurfürsten-Profil ebenso wie zwei, drei seiner Adjutanten, darunter Hauptmann v. Bonin, den späteren Führer des Ersten Armeekorps 1866, habe ich aus jenen Tagen her noch deutlich im Gedächtnis.

 

All dies war im Beginn der dreißiger Jahre, wo meine Swinemünder Tage sich schon ihrem Ende zuneigten. Während der unmittelbar voraufgehenden Zeit aber lag, gesellschaftlich angesehen, das Stadtregiment bei des alten Krause schon genanntem ältesten Sohne, dem Kommerzienrat Wilhelm Krause, von dem ich im nachstehenden zu berichten haben werde.

Das von ihm bewohnte Haus erhob sich neben dem seines Bruders an einer besonders malerischen Stelle. Das Ganze, voll Eigenart und mit künstlerischem Sinn ausgeführt, war ein Hochparterrebau, von einem Fliesengang eingefaßt, um den sich kurze Pfeiler mit dazwischen ausgespannten Ketten zogen. Eine von einem zierlich und geschweiften Gitter eingefaßte Sandsteintreppe führte zu dem Hochparterre hinauf und mündete auf einen breiten Flur, den wieder ein langer, querlaufender Korridor durchschnitt. Dadurch entstand eine Vierteilung, die für Ordnung und Übersicht des Ganzen sorgte: Wirtschaftsräume, Schlafzimmer, Wohnzimmer und großer Saal. Die Wohnzimmer und der große Saal lagen nach vorn hinaus und bildeten jedesmal einen Gegenstand meiner Bewunderung. In den Wohnzimmern waren es besonders die Kupfer- und Stahlstiche, die mich entzückten, zunächst Landschaften und Genrestücke, dann aber auch Porträts englischer Staatsmänner samt Kriegs- und Seehelden, so daß sich mir schon damals die Köpfe von Lord Canning, Lord Melbourne, Lord Palmerston und mehr noch die von Nelson, Wellington und Codrington, dem »Sieger von Navarino«, tief einprägten. Am meisten Eindruck aber machte Präsident Bolivar auf mich, Held und Befreier von Südamerika, das mir als Cortez- und Pizarro-Gegend ohnehin teuer war, ein sehr schöner Mann, der ebenso durch sein Aussehn wie durch den Klang seines Namens meine Sinne gefangennahm. Ja, diese den Hauptschmuck der Wohnung ausmachenden Bilder fesselten mich immer wieder; mein Hauptstaunen aber war doch wohl der große Frontsaal, der, meist geschlossen, nur bei Festvorbereitungen geöffnet wurde, bei welcher Gelegenheit ich dann einen flüchtigen Einblick tun konnte. Zu beiden Seiten standen zahllose Stühle, dicht nebeneinandergerückt, ein mächtiger Glas-Kronleuchter hing von der Decke herab, und dem Eingange gegenüber, ganz wie bei uns, erhob sich ein bis an die Decke reichender Trumeau. Das Ganze wie das Einzelne gab mir ein Gefühl von Befriedigung, und es freut mich heute noch, daß ich schon damals die schönheitliche Überlegenheit dieser aus der Empirezeit stammenden und wahrscheinlich aus England bezogenen Möbel ganz deutlich empfand. All die Kapitel 5 geschilderten »Prachtstücke«, die wir in unserm eigenen Hause besaßen, wirkten trotz einer gewissen Ähnlichkeit oder vielleicht auch um derselben willen höchst spießbürgerlich daneben.

Von Spießbürgerlichkeit konnte nun hier überhaupt an keiner Stelle die Rede sein. Auf dem durch ein Gitter von dem eigentlichen Hofe abgetrennten Hühnerhofe ragten Volieren und Taubenhäuser in japanischen Formen auf, aber einen noch viel größeren Eindruck als diese zierlich-phantastischen Bauten im Hofe machten auf mich im Hause selbst die großen und kleinen Giebelstuben samt dem dazwischen gelegenen pittoresken Bodenflur, der den Krauseschen Kindern als Spielplatz diente. Zur Sommerzeit hatte dieser Spielplatz keine Bedeutung, Winters aber und besonders in der Woche zwischen Heiligabend und Neujahr, wenn alle Geschenke vom Weihnachtstisch fortgenommen und hier hinaufgeschafft wurden, war dieser Bodenflur wie ein Paradies für Kinder. Einmal befand sich unter den hinaufgeschafften Geschenken auch eine holländische Windmühle, die größer war als ich und lustig ihre Flügel drehte. Mir drehte sich dabei alles im Kopf, so benommen war ich von dieser Herrlichkeit. Was aber das allerwichtigste war und meinem militärischen Enthusiasmus (der sich übrigens [leider] sehr bald wieder von dieser Niederlage erholte) den ersten Stoß versetzte, das war bei Musterung dieser Spielsachen die totale Abwesenheit alles karikiert Martialischen, nichts von Helm oder Tschako, nichts von Trommel oder Säbel. Der feingebildete Sinn des Hausherrn mied solche Gewöhnlichkeiten.

Und hier muß es gesagt werden, in dieser feinen Schulung des Hausherrn bestand recht eigentlich sein Übergewicht über alle seine Mitbürger, unter denen einige durch eine gewisse Genialität, andere durch gründlicheres Wissen ihm überlegen sein mochten. Er hatte dafür jene weltmännischen Formen, wie sie Reisen, Lektüre, gute Lebensverhältnisse zu geben pflegen, und vertrat im eminenten Grade jenen erfreulichen vornehmen Dilettantismus, der, an allem Höheren ein Interesse nehmend, sich aus eben diesem Interesse mit dem Höheren nun auch wirklich zu beschäftigen beginnt. Man wurde von dieser Eigenart des auch in seinen Umgangsformen überaus liebenswürdigen Mannes auf einen Schlag überzeugt, wenn man ihn statt in den unteren Wohnzimmern in den schon erwähnten nach dem Bollwerk hinaus gelegenen Giebelzimmern aufsuchte, deren geräumigstes er sich zu einem physikalischen Kabinett eingerichtet hatte. Jetzt begegnet man dergleichen häufiger, damals aber war es wohl ein Unikum in der ganzen Provinz. Da befanden sich Instrumente, um die Fallgesetze zu demonstrieren, optische Gläser, Leydener Flaschen und Voltasche Säulen, Elektrophore, Vergrößerungsgläser, Mikroskope, vor allem auch eine Luftpumpe. Noch mehr aber als die Luftpumpe selbst interessierte uns eine Windbüchse, die nach dem Luftpumpenprinzip geladen wurde. Machten sich nun Krähen und Raubvögel auf des Kommerzienrats Hühnerhofe bemerklich, so ging er – wahrscheinlich weil in der Stadt mit einer gewöhnlichen Schußwaffe nicht geschossen werden durfte – mit dieser seiner Windbüchse auf Jagd, und das Raubzeug wurde dann nach seiner Erlegung unter allseitigem Jubel an die Remisentür genagelt.

Das war das physikalische Kabinett. Aber im Laufe der Jahre sah sich dasselbe von dem etwas kleineren chemischen Laboratorium fast überholt, was teils mit dem raschen Fortschreiten der Chemie, teils mit dem zufälligen Umstande zusammenhängen mochte, daß unter den häufiger in Swinemünde eintreffenden Badegästen auch einige Berliner Chemiker waren, obenan Major Tourte, der, mit dem Kommerzienrat innig befreundet, von den Ofen und Schmelztiegeln nicht fortkam und halbe Tage lang vor seinen Retorten saß.

So war der, dem, um es zu wiederholen, die gesellchaftliche Reformaufgabe der Stadt zugefallen war. Er unterzog sich derselben und modelte, will sagen moderierte den Ton. Aber er ging damit nur bis an eine gewisse Grenze, so daß, wie schon an anderer Stelle erzählt, die Derbheit zwar eingeschränkt, aber nicht ganz aufgehoben wurde. Auch unter seinem Regime blieb das gesellschaftliche Leben von einer gewissen Neckteufelei beherrscht, entweder weil er die Unmöglichkeit einer totalen Umgestaltung einsah oder vielleicht auch dieser etwas sonderbaren Gesellschaftsform selber ein wenig zuneigte. Alles lief in dem Leben der das Groteske liebenden Swinemünder Kaufleute darauf hinaus, die Träger des sogenannten »Höheren« – trotzdem der Kommerzienrat für seine Person sich diesen »Trägern des Höheren« mit Fug und Recht zuzählen durfte – jeden Augenblick fühlen zu lassen, daß es mit dem Geistigen oder gar mit dem Idealen nicht allzuviel sei. Man konnte sich in die Tage des Tabakskollegiums zurückversetzt denken, wo die »Gelehrten« desselben, die Gundlings und Morgensterns, trotzdem oder richtiger weil sie kluge Leute waren, vieles über sich ergehen lassen mußten. Genauso verliefen die Swinemünder Gesellschaften. Mal erschien ein berühmter Professor, Theolog und Philosoph (ich glaube es war Marheineke) an der Krauseschen Tafel und hatte natürlich die Frau vom Hause, eine durch Schönheit und Klugheit ausgezeichnete Dame, zur Tischnachbarin, mit der er sich, schon beim Ragoût fin, in ein Gespräch über philosophische Themata verwickelt sah. In geschickter Weise Fragen stellend, immer nur in anscheinender Bescheidenheit eine ganz leise Vertrautheit mit den Dingen andeutend, erreichte die von Fichte, Hegel und Schelling wie von ihr wenigstens oberflächlich bekannten Größen sprechende Rätin alsbald soviel, den berühmten Professor in das alleraufrichtigste Staunen zu versetzen,. Und doch war alles bloß Rolle, die die Dame den Wünschen ihrer Umgebung nachgebend, sich mit Hilfe des Konversationslexikons einstudiert hatte.

Neckereien derart waren es denn auch, denen sich mein Vater, freilich sehr durch seine Schuld, beständig ausgesetzt sah. Ich komme weiterhin darauf zurück. Hier nur schon so viel, daß man ihm eines Tages erklärte, ihn in den Freimaurerorden – zu dessen Mitgliedern (was aber meinem Vater unbekannt war) in Wahrheit kein einziger aus der Honoratiorenschaft gehörte – aufnehmen zu wollen. Er ängstigte sich etwas davor, weil er von »In Sarg legen« und dergleichen gehört hatte. Und nun kam schließlich der dafür festgesetzte Tag, und alle Prozeduren, wie sie der landläufigen Annahme der damaligen Nicht-Freimaurerwelt entsprachen, wurden in feierlicher Sitzung, bei Stockfinsternis und unter Ansprachen und Schwüren mit ihm vorgenommen. Er merkte nichts und wollt' auch nichts davon wissen, als ihm meine Mutter tags darauf erklärte, daß man ihn gefoppt habe. Schließlich gab er es zu, aber mit der durchaus versöhnlichen Bemerkung: »Dann haben sie's wenigstens gut gemacht.«

Ich überlasse es jedem, zu solchen gewagten Scherzen, sei's zustimmend, sei's mißbilligend, Stellung zu nehmen; wie man sich aber auch dazu stellen möge, das wird zugestanden werden müssen, daß in dem allem ein Etwas steckte, nach dem man sich in binnenländischen Nestern von 4000 Einwohnern vergeblich umgesehen hätte. Von Pfahlbürgertum, von Engem und Kleinem überhaupt, existierte keine Spur. Und das gab dem ganzen Leben nicht bloß Reiz und Unterhaltlichkeit, sondern, aller Tollheiten unerachtet, doch auch etwas von einem höheren Stempel. Ich habe später in jugendlichen Künstler- und Dichterkreisen oft Ähnliches erlebt, aber als stadtbeherrschenden Ton bin ich ihm nie wieder begegnet.


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