Theodor Fontane
Unwiederbringlich
Theodor Fontane

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Siebzehntes Kapitel

Holk hatte nicht Zeit, sich Betrachtungen über das eben Gehörte hinzugeben, denn es war ein besuchreicher und überhaupt ein ziemlich unruhiger Tag. Um zwölf erschienen zwei bildschöne »petit-nièces« der Prinzessin, noch halbe Kinder, um die Großtante zum Besuch einer historischen Ausstellung abzuholen, die die Professoren Marstrand und Melbye seit dem 1. Oktober in einigen Nebensälen des Museums eröffnet hatten. Die ganze Stadt sprach von dieser Ausstellung, und wie gewöhnlich trat das Politische daneben zurück, trotzdem es gerade Tage waren, in denen nicht nur ein Ministerium, sondern fast auch die Monarchie in Frage stand. Aber was bedeutete das neben großstädtischer und nun gar Kopenhagener Vergnügungssucht, die sich diesmal außerdem noch hinter einem großen Worte verstecken und als Patriotismus ausgeben konnte. Denn was es da zu sehen gab, war etwas nie Dagewesenes, eine dänische Nationalausstellung, zu der man alles, was an historischen Porträts in Stadt und Land existierte, sorglich zusammengetragen hatte. Mit Kniestücken Christians II. und seiner Gemahlin Isabella fing es an und schloß mit drei lebensgroßen Porträts Friedrichs VII., des jetzt regierenden Königs Majestät, ab. In einiger Entfernung war auch das Bildnis der Danner. Dazwischen endlose Schlachten zu Land und zu See, Kämpfe mit den Lübischen, Erstürmung von Wisby, Bombardement von Kopenhagen, überall rotröckige Generäle, noch mehr aber Seehelden aus mindestens drei Jahrhunderten und natürlich auch Thorwaldsen und Oehlenschläger und der häßliche alte Grundtvig. Die Prinzessin zeigte nur ein mäßiges Interesse, weil das meiste, was sie sah, den zahlreichen über Seeland hin zerstreuten königlichen Schlössern entnommen, ihr also seit lange bekannt war; die jungen Großnichten aber waren Feuer und Flamme, fragten hierhin und dorthin und konnten einen Augenblick wirklich die Vorstellung wecken, als ob sie jedem alten Admiral, von denen einer der berühmtesten ein Pflaster über dem einen Auge hatte, die vollste Bewunderung entgegenbrächten. Aber auf die Dauer entging es doch niemandem, weder der Prinzessin noch ihrer Umgebung, daß das ganze Interesse für Admiräle nur Schein und Komödie war und daß die jungen Prinzessinnen immer nur andächtig vor den Bildnissen solcher Personen verweilten, die, gleichviel ob Männer oder Frauen, mit irgendeiner romantisch-mysteriösen Liebesgeschichte verknüpft waren.

»Sonderbar«, sagte Pentz zu Ebba und wies auf die ältere der beiden Prinzessinnen, die, wie's schien, von dem Struensee-Porträt gar nicht loskonnte.

»Nein«, lachte Ebba. »Nicht sonderbar. Durchaus nicht. Oder verlangen Sie, daß sich junge Prinzessinnen für den alten Grundtvig oder gar für den Bischof Monrad interessieren sollen? Das Bischöfliche wiegt nicht schwer, wenn man vierzehn ist.«

»Aber das Struenseesche?«

»Sans doute.«

Am Nachmittage machte die Prinzessin, was nicht oft vorkam, einen Ausflug in die Umgegend, und am Abend, etwas noch Selteneres, erschien sie sogar in ihrer Theaterloge, hinter ihr die Schimmelmann und Ebba, hinter diesen Pentz und Holk.

Es wurde der zweite Teil von Shakespeares »Heinrich IV.« gegeben, und nach dem dritten Akte, dem eine längere Pause folgte, nahm man den Tee, wobei wie gewöhnlich fleißig kritisiert wurde, denn die Prinzessin hatte noch die literarischen Allüren des vorigen Jahrhunderts. Es erheiterte sie, daß man nicht bloß zu keinem einheitlichen Urteil kommen konnte, sondern daß jeder seinen Liebling und seine Renonce hatte, nicht bloß hinsichtlich der Schauspieler, sondern auch in Rücksicht auf die Shakespeareschen Figuren. Die Prinzessin selbst, die immer was Besonderes haben mußte, war am meisten für die beiden Friedensrichter eingenommen und erklärte, diesen Geschmack schon in ihren jungen Jahren gehabt zu haben; eine vollendete Darstellung des Philisteriums habe sie von jeher mehr entzückt als alles andere, und nicht bloß auf der Bühne. Solche Friedensrichter liefen auch in der hohen Politik umher, und in jedem Ministerium – ja, sie könne selbst ihren Freund Hall nicht ganz ausnehmen –, zumal aber in jeder Synode säße mindestens ein halbes Dutzend Figuren wie Schaal und Stille. Von Falstaff wollte niemand etwas wissen, vielleicht weil er nicht ganz gut gegeben wurde, wogegen Holk für Fähnrich Pistol und Pentz für Dortchen Lakenreißer schwärmte. Doch unterließ er es, den vollen Namen zu nennen, und sprach immer nur von »Dortchen«. Die Prinzessin ließ ihm, wie sie sagte, diese Geschmacksverirrung ruhig hingehen, ja, hatte Worte halber Anerkennung für ihn, weil er wenigstens ehrlich und konsequent bleibe; zudem sei es das klügste; jede andere Versicherung seinerseits würde doch nur ihrem Mißtrauen begegnet sein. Ebba mühte sich, auf diesen scherzhaften Ton der Prinzessin einzugehen, scheiterte aber völlig damit und verfiel schließlich in ein sich immer steigerndes nervöses Zucken und Zittern. Holk, der es sah, versuchte dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, kam aber nicht weit damit und war herzensfroh, als das Spiel auf der Bühne wieder seinen Anfang nahm. Man blieb indessen nicht lange mehr, kaum noch bis zum Schlusse des nächsten Aktes, dann wurde der Wagen befohlen, und Pentz und Holk, nachdem sie seitens der Prinzessin gnädig entlassen waren, schlenderten, auf einem Umweg, auf Vincents Restaurant zu, wo sie, bei schwedischem Punsch, eine Plauderstunde zu haben wünschten.

Unterwegs sagte Holk: »Sagen Sie, Pentz, was war das mit der Rosenberg? Sie war dicht vor einem hysterischen Anfall. Peinlich und noch mehr verwunderlich.«

»Ja, peinlich. Aber verwunderlich gar nicht.«

»Wie das?«

Pentz lachte. »Lieber Holk, ich sehe, daß Sie die Weiber doch herzlich schlecht kennen.«

»Ich mag nicht das Gegenteil behaupten, denn ich hasse Renommistereien, und am meisten auf diesem Gebiete. Aber über die Rosenberg glaubte ich im klaren zu sein und glaub es noch. Ich halte das Fräulein für freigeistig und übermütig und behaupte ganz ernsthaft, wer mit Glaubens- und Moralfragen so zu spielen weiß, der ist auch sozusagen verpflichtet, an Falstaffs Dortchen eine helle Freude zu haben oder doch mindestens keinen Anstoß daran zu nehmen.«

»Ja, das denken Sie, Holk. Aber das ist es ja eben, weshalb ich Ihnen die Weiberkenntnis abspreche. Wenn Sie die hätten, so würden Sie wissen, daß gerade die, die dies und das auf dem Kerbholz haben, sich durch nichts so sehr verletzt fühlen wie durch ein grobes und unter Umständen selbst durch ein leises Zerrbild ihrer selbst. Mit ihrem richtigen Spiegelbilde leben sie sich ein, auch wenn ihnen gelegentlich ein Zweifel an der besonderen Berechtigung ihrer moralischen Physiognomie kommen mag; taucht aber neben diesem Bilde noch ein zweites auf, das die schon zweifelhaften Stellen auch noch mit einem Agio wiedergibt, so hat es mit der Selbstgefälligkeit ein Ende. Mit anderen Worten, das Stücklein Eva, das solche suspekte Damen repräsentieren, sind sie geneigt noch gerade passieren zu lassen, aber nun auch kein Deutchen mehr davon, ein Mehr ist schlechterdings unzulässig, und tritt es ihnen trotzdem entgegen, so schrecken sie zusammen und kriegen den Weinkrampf.«

Holk blieb stehen und sagte dann: »Liegt es so? Sagen Sie da nicht mehr, Pentz, als Sie verantworten können? Ich kann doch, um nur eins zu nennen, nicht wohl annehmen, daß die Prinzessin, als sie das Fräulein an den Hof zog, eine Wahl getroffen hat, die sich, anderer Bedenken zu geschweigen, schon mit Rücksicht auf die Danner, diesen Gegenstand ihrer beständigen moralischen Angriffe, verboten haben würde.«

»Und doch ist es so. Zurückzunehmen ist meinerseits nichts. Ebba wünscht sich eine Zukunft, das ist gewiß, und nur eins ist noch gewisser – sie hat eine Vergangenheit.«

»Können Sie darüber sprechen?«

»Ja. Ich bin in der angenehmen Lage, vor nichts haltmachen zu müssen und am wenigsten vor Fräulein Ebba. Wer selbst sowenig Schonung übt, hat Schonung verwirkt, und der beständige Spötter über Diskretion, was hab ich nicht alles aus dem Munde dieses Sprühteufels hören müssen, darf seinerseits keinen Anspruch auf Diskretion erheben.«

»Und was war es?« unterbrach Holk, der immer neugieriger wurde.

»Wenn Sie wollen, nichts oder doch jedenfalls nicht viel. Alles Durchschnittsgeschichte. Sie war Hofdame bei der Königin Josephina drüben in Stockholm. Die Leuchtenbergs, wie Sie wissen, sind alle sehr liebenswürdig. Nun, es ist ein Jahr jetzt oder etwas länger, daß man sich über die Zärtlichkeiten und Aufmerksamkeiten zu wundern anfing, die mit einem Male der jüngste Sohn der Königin...«

»Der Herzog von Jämtland...«

»Ebender..., die mit einem Male der jüngste Sohn der Königin für seine Mutter an den Tag legte. Die Verwunderung indes währte nicht allzu lange. Sie kennen die kleinen Boote, die zwischen den Liebesinseln des Mälarsees hin- und herfahren, und da man die Stockholmer Gondolieri so gut bestechen kann wie die venezianischen, so lagen die Motive für des Prinzen Aufmerksamkeiten sehr bald offen zutage; sie hießen einfach: Fräulein Ebba. Da gab es denn selbstverständlich eine Szene. Trotz alledem wollte die Königin, die geradeso vernarrt in das Fräulein war wie unsere Prinzessin, von Entlassung oder gar Ungnade nichts wissen und gab nur ungern und sehr wiederstrebend einer Pression von seiten des Hofes nach. Am meisten gegen sie war der König, der in allem klarsah...«

»Also daher so leidenschaftlich antibernadottisch«, sagte Holk, der sich plötzlich einiger Bemerkungen erinnerte, die das Fräulein auf dem Wege zur Eremitage gemacht hatte. »Daher die glühende Begeisterung für Haus Wasa.«

»Haus Wasa«, lachte Pentz. »Ja, das ist jetzt ihre Lieblingswendung. Und doch, glauben Sie mir, hat es Stunden und Tage gegeben, wo die Rosenberg das ganze Haus Wasa, den großen Gustav Adolf mit eingerechnet, für den Ringfinger eines jüngsten Bernadotte hingegeben hätte. Vielleicht ist es noch so, vielleicht sind die Brücken nach Schweden hinüber noch immer nicht ganz abgebrochen, wenigstens bis ganz vor kurzem ging noch eine Korrespondenz. Erst seit diesem Herbst schweigt alles und treffen, soviel ich weiß, keine Briefe mehr ein. Mutmaßlich ist was anderes im Werke. Ebba hat nämlich immer mehrere Eisen im Feuer.«

»Und weiß die Prinzessin davon?«

»Was diese schwedische Vergangenheit betrifft, gewiß alles, ja vielleicht noch mehr als alles. Denn mitunter empfiehlt es sich auch, aus purer Erfindung noch was hinzuzutun. Das steigert dann das Pikante. Liebesgeschichten dürfen nicht halb sein, und wenn es sich so trifft, daß die mitleidslose Wirklichkeit den Faden vor der Zeit abschnitt, so muß er künstlich weitergesponnen werden. Das verlangt jeder Leser im Roman, und das verlangt auch unsere Prinzessin.«

An dieser Stelle brach das Geplauder ab, denn man hatte Vincent erreicht, und als man, eine Stunde später, das Restaurant wieder verließ, geschah es in Gesellschaft anderer, so daß das Gespräch nicht wiederaufgenommen werden konnte.

Witwe Hansen zeigte sich ziemlich einsilbig, als Holk in den Hausflur eintrat, und beschränkte sich auf Behändigung eines Telegramms, das im Laufe des Nachmittags eingetroffen war. Es bestand aus wenig Worten, in denen Christine mit einer Kürze, die jedem Geschäftsmanne zur Zierde gereicht haben würde, nur drei Dinge an Holk vermeldete: Dank für seine Zeilen, Genugtuung über sein Wohlergehen und Inaussichtstellung eines längeren Briefes ihrerseits. Holk hatte das Telegramm noch unten im Flur überflogen, bot gleich danach, unter Ablehnung ihrer Begleitung, der Frau Hansen eine gute Nacht und stieg dann in seine Zimmer hinauf, wo die Lampe schon brannte. Daß ihn Christinens Worte besonders beschäftigt hätten, ließ sich nicht sagen, er dachte mehr an Pentz als an das Telegramm und sah weiteren Mitteilungen über Ebba mit mehr Neugierde entgegen als dem in Aussicht gestellten Briefe. Vor dem Einschlafen schwanden aber auch diese Gedanken wieder, denn mit einem Male war ihm, als ob er ganz deutlich ein Gekicher und dazwischen einen feinen durchdringenden Ton wie vom Anstoßen geschliffener Gläser höre. War es im Hause nebenan oder war es direkt unter ihm? Es berührte ihn wenig angenehm und um so weniger, als er sich nicht verhehlen konnte, daß etwas von Eifersucht mit im Spiele war, Eifersucht auf die »Sicherheitsbehörde«. Dies Wort indessen barg auch wieder die Heilung in sich, und als er es vor sich hin gesprochen, kam ihm seine gute Laune wieder und bald danach auch der Schlaf.

Am andern Morgen erschien die jüngere Hansen mit dem Frühstück, und als Holk sie musterte, war er fast beschämt über die Gedanken, mit denen er gestern eingeschlafen war. Brigitte sah aus wie der helle Tag, Teint und Auge klar, und eine ruhige frauenhafte Schönheit, fast wie Unschuld, war über sie ausgegossen. Dabei war sie schweigsam wie gewöhnlich, und nur als sie gehen wollte, wandte sie sich noch einmal und sagte: »Der Herr Graf sind hoffentlich nicht gestört worden. Mutter und ich haben bis nach zwölf kein Auge zugetan. Es sind so sonderbare Leute nebenan, unruhig bis in die Nacht hinein, und man hört jedes Wort an der Wand hin. Und wenn es dabei bliebe...« Der Graf versicherte, nichts gehört zu haben, und als Brigitte fort war, war er wieder ganz unter ihrem Eindruck. »Ich trau ihr nicht, fast sowenig wie der Alten, aber eigentlich weiß ich doch nichts weiter, als daß sie sehr hübsch ist. Das Gespräch, das ich gestern oder vorgestern mit ihr hatte, ja, was bedeutet das am Ende? Solch Gespräch kann man mit jeder jungen Frau führen oder doch mit sehr vielen. Eigentlich hat sie nichts gesagt, was andere nicht auch sagen könnten; Blicke sind immer unsicher, und mitunter ist mir‘s, als ob alles, was Pentz da so hin gesprochen, bloß Klatsch und Unsinn sei. Das mit der Ebba wird wohl auch noch anders liegen.«

Eine Stunde später kam der Postbote, der den telegraphisch angekündigten Brief brachte. Holk freute sich, weil ihm aufrichtig daran lag, all den unliebsamen Betrachtungen, wie sie diese Weiber, Ebba mit eingerechnet, in ihm angeregt hatten, entrissen zu werden. Und dazu war nichts geeigneter als ein Brief von Christine. Der kam aus einem zuverlässigen Herzen, und er atmete auf, als er das Couvert geöffnet und den Brief herausgenommen hatte. Aber er ging einer Täuschung entgegen, der Brief war von einer solchen Nüchternheit, daß er nur imstande war, ein Mißbehagen an die Stelle des anderen zu setzen.

Ich hatte vor, lieber Holk, so vermeldete Christine, Dir einen längeren Brief zu schreiben, aber Alfred, den Du für die Wochen Deiner Abwesenheit als Dein alter ego eingesetzt hast, ist eben von Arnewiek herübergekommen, und so gilt es denn, Deinem Stellvertreter Rapport abzustatten. Natürlich ist auch Schwarzkoppen mit da, was mir sehr lieb, aber doch auch wieder zeitraubend ist, und so muß ich mich denn kurz fassen und Dich hinsichtlich eingehenderer Mitteilungen bis auf weiteres vertrösten. Allzu groß wird Dein Verlangen danach nicht sein, denn ich weiß, daß Du Dich allemal von dem einnehmen läßt, was Dich unmittelbar umgibt. Und wenn das, was Dich umgibt, so schön ist wie die Frau Kapitän Hansen und so pikant wie das Fräulein Ebba, das nur leider Deinen Abstammungserwartungen nicht ganz entsprochen hat, so wirst Du nach Mitteilungen aus unserem stillen Holkenäs, wo's schon ein Ereignis ist, wenn die schwarze Henne sieben Küchlein ausbrütet, nicht sonderlich begierig sein. Mit Schwarzkoppen hoffe ich das Thema, das Du kennst, endgültig erledigen zu können. Ich schreibe Dir darüber erst, wenn ganz bestimmte Festsetzungen getroffen sind, zu denen ich ja Deine Ermächtigung habe. Gesundheitlich geht alles gut. Der alte Petersen hatte vorgestern eine schlimme Ohnmacht, und wir dachten schon, es ginge zu Ende; er hat sich aber vollkommen wieder erholt und besuchte mich heute früh heiterer und aufgeräumter denn je. Hinter dem Wirtschaftshofe, zwischen dem kleinen Teich und der alten Pappelweide mit den vielen Krähennestern, will er graben lassen und ist sicher, etwas zu finden, Urnen oder Steingräber oder beides. Ich habe ihm ohne weiteres die Erlaubnis dazu erteilt, und Alfred, der Regente, wird, denk ich, zustimmen und Du auch. Meine gute Dobschütz hat wieder viel gehustet, aber Emser Brunnen und Molke haben wie gewöhnlich wahre Wunder getan. Axel ist frisch und munter, was wohl daran liegt, daß Strehlke mehr an Jagd als an Grammatik denkt. Ich laß es vorläufig gehen, aber es muß anders werden. Asta ist halbe Tage lang unten bei Elisabeth. Beide Kinder lieben sich zärtlich, was mich unendlich glücklich macht. Denn von Jugend auf gepflegte Herzensbeziehungen sind doch das Schönste, was das Leben hat. Gott sei Dank, daß ich mich darin einig mit Dir weiß. Wie immer Deine Christine.

Holk legte den Brief aus der Hand. »Was soll das? Ich erwarte Zärtlichkeiten und finde Sticheleien. Daß sie sich verklausulieren, macht die Sache nur noch schlimmer. ›Alfred, der Regente‹ und vorher ›so schön wie Frau Kapitän Hansen oder so pikant wie Fräulein Ebba‹, das wäre gerade genug. Aber die Schlußbetrachtung ist doch die Hauptsache, ›daß von Jugend auf gepflegte Herzensbeziehungen das Schönste sind‹. Alles wie Honig, der bitter schmeckt. Und dazu die Pensions- und Erziehungsfragen en vue. Vielleicht ist das der Punkt, der alles erklärt, und sie schlägt einen spöttisch herben Ton an, um mich einzuschüchtern und mehr freie Hand zu haben. Aber wahrhaftig, sie hätte nicht nötig, nach diesem Mittel zu greifen. Es geschieht doch, was sie will. Am liebsten freilich behielt' ich die Kinder um mich; sind sie fort, so hab ich nichts als eine furchtbar vorzügliche Frau, die mich bedrückt. Sie weiß das auch, und mitunter, glaub ich, wird ihr selber vor ihrer Vorzüglichkeit bange. Sollen die Kinder aber fort, und ich habe mich darin ergeben, so macht es mir keinen Deut, ob sie nach Gnadenau oder nach Gnadenberg oder nach Gnadenfrei kommen, ein bißchen Gnade wird wohl immer dabeisein. Für Asta mags ohnehin passieren: warum nicht? Und Axel? Nun, meinetwegen auch der; der ist ein Holk, und wenn er vorläufig auch ganz verherrnhutert und Missionar wird und in Grönland vielleicht ein Triennium durchmacht, er wird sich schon wieder erholen.«


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