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... Ich war lange nicht mehr in meiner Heimat gewesen, in Podolien. Ich war nach ausgiebiger Sturm- und Drangzeit an deutsche Hochschulen gekommen und hatte mich da ehrbar deutscher Professorenweisheit beflissen und weniger ehrbar deutscher Studentenlust. Aber über beiden hatte ich nicht der alten, lieben Heimat vergessen, der Stätte meiner Knabenjahre.
Ja, ich dachte ihrer, gern und viel. Ich dachte des ärmlichen Städtchens, in dem ich geboren, und der einsamen Heide, über die ich geschritten, und der stillen, tiefdunklen Weiher, an denen ich geruht. Und vor allem der düsteren Klosterschule, da mir die Patres Dominikaner unter guten Worten und bösen Schlägen das Geheimnis der Buchstaben und Zahlen erschlossen.
Und wenn ich daran dachte, so wurde mir eigen zumute, trüb und heiter zugleich, so recht, recht wehmütig. Dann tauchte wohl auch ein Antlitz vor meinem Blick empor, ein liebes, trotziges Knabenantlitz mit teuren, wohlbekannten Zügen. Die braunen Locken fielen wirr um die Stirne, und die blauen Augen blitzten und die Lippen lachten übermütig:
»Ich habe den Pater Marcellin in seiner Zelle eingeschlossen, und bis zum Abend kommt niemand in den Korridor. Komm... die großen Pflaumen sind reif... der Baum bei der Kapelle!... Hei! wie wird der Dicke klopfen!...«
Ich muß noch heute lächeln...
Wir waren ein sonderbares Paar, Graf Henryk Kornicki und ich. Wir waren die wildesten und übermütigsten Burschen in der Schule und machten dem dicken, schwerfälligen Marcellinus am meisten zu schaffen – das war das Gemeinsame. Sonst waren wir in allem verschieden und insbesondere: er ein Grafensohn und ich ein armer Junge. Aber was fragt die Jugend nach solchen Unterschieden! Henryk Kornicki war mein braver Kamerad. Wir blieben unzertrennlich durch die drei Jahre, da Marcellin über unseren Seelen waltete und leider auch über unseren Ohren. Es war eine heiße, fast törichte Knabenfreundschaft.
Wir hatten uns während der Zeit sehr ins Freie gesehnt – ins freie, offene Leben, in die freie, offene Welt. Aber es war uns doch bitter zumute, als die Abschiedsstunde schlug. Das war an einem Julimorgen – im Klostergarten dufteten die Blumen, die Sonne schien und die Vögel sangen. Wir aber standen unter der Buche im Hofe und weinten bitterlich.
Dann bezog ich ein österreichisches Gymnasium und er ein Genfer Erziehungsinstitut für Söhne des polnischen Adels. Wir hatten natürlich mit heißen Schwüren gelobt, einander recht häufig zu schreiben. Nun – das wäre nichts Merkwürdiges. Aber merkwürdig war, daß wir unser Gelöbnis hielten.
Unsere Briefe sahen einander sehr ähnlich, das kam wohl von der alten Sympathie. Wir fanden beide, daß der Karzer eine schlechte Erfindung sei und daß die Griechen und Römer sehr boshafte Leute gewesen, weil sie in so ausgesucht schwierigen Konstruktionen gedichtet und philosophiert. Und vor allem fanden wir, daß Alter keinen Menschen vor Torheit schütze, auch k. k.-österreichische und Genfer Professoren nicht.
Darauf die Zeit der ersten Liebe. Seine Flamme war eine blonde, sanfte, langweilige Engländerin am Leman, und die meine ein braunes, stolzes, rätselhaftes Mädchen am Pruth. Das war aber auch der einzige Unterschied – sonst waren wir beide gleich töricht, gleich unglücklich und unsere Verse gleich schlecht.
Zwei Jahre später hatte er die hohe Schule des Leichtsinns in Paris bezogen und ich die hohe Schule der Wissenschaft in Deutschland. Von da ab schrieb er seltener – er war so beschäftigt, der arme Junge...
Da erhielt ich plötzlich wieder einmal – es war im August, und zwölf Jahre waren seit jener Abschiedsstunde verflossen – einen Brief von Henryk aus Paris. Er wolle mir einen Antrag machen. Er sei nun volljährig, habe die Verwaltung des Majorats übernommen, und da schreibe man ihm vom Schlosse Gonisko, daß unter vielen anderen Dingen auch die Bibliothek sehr verwahrlost sei. Ob ich nicht das Ordnen übernehmen und für zwei Monate aufs Schloß kommen wolle?... »Du bist ja immer ein Bücherwurm gewesen, und es soll da sehr interessante Manuskripte geben. Und dazu die alte Freundschaft! Ich komme zu gleicher Zeit nach Hause, das heißt, wenn ich abkommen kann...«
Wenn ich abkommen kann! Ob ihn eine Grisette des Jardin Mabille an Paris feßle oder eine Herzogin des zweiten Kaiserreichs – das schrieb Henryk nicht. Nun – ich entschloß mich kurz, ich sagte »Ja« und sandte umgehend die Zusage ab.
Es war ein Sonntagmorgen, da ich von Heidelberg abreiste. Hei! wie fuhr sich's so fröhlich durch die gesegnete deutsche Landschaft – mir war's, als müßte ich immer singen und pfeifen. Aber allmählich wurde ich schon müder und schließlich ganz still.
Am Mittwoch war ich am Bahnhofe von Stanislawow. Mein Herz hatte geklopft, als ich am Morgen aus dem Fenster des Coupés zuerst wieder die weite, weite Ebene erblickte. Was ich da sah, war nicht schön, nicht fruchtbar, nicht reizend, aber – es war die Heimat. Ich hatte mich vorgebeugt und starr hinausgesehen, bis mir der Wind die Tränen in die Augen getrieben.
Oder war es nicht der Wind?...
Am Bahnhof der Kreisstadt Stanislawow war viel Leben. Denn hier hält der Zug um zwölf Uhr, und es wird zu Mittag gespeist.
Ich drängte mich mühsam durch die Halle und trat in den Hof, selbstverständlich unter zahlreicher Gefolgschaft der Herren Lohndiener und Kutscher. Da standen ihre überaus vortrefflichen Wagen, die leider auch überaus schmutzig waren. Doch – schon wollte ich den ersten besten besteigen, als ein auffallender Ton an mein Ohr drang.
Abseits nämlich stand ein Reisewagen mit zwei schönen starken Pferden bespannt. Und vor dem Gefährt ein junger Bauer mit ganz unbeschreiblich dummem Gesicht. Dieser Mensch nun stieß unablässig einige Silben aus, die entfernt wie mein Name klangen.
Ich ging auf den Wagen zu. »Was wollen Sie mit dem?« jammerte hinter mir der hebräische Chorus, »der wartet auf einen Schlachziz.« Aber ich ließ mich nicht irremachen.
»Was rufst du da?« fragte ich den Burschen.
Der sah mich ängstlich forschend an. »Ach!« seufzte er dann, »Sie sind doch nicht der Richtige!«
Ich mußte hell auflachen – das Gesicht war zu komisch. »Vielleicht bin ich's doch?«
»Nein!« versicherte er, »Sie sind's nicht, Sie sind jung.«
»Gut! aber was hast du da gerufen?«
Er wiederholte seinen Ruf – es war unzweifelhaft mein Name. »Ja«, sagte ich, »so heiße ich – du bist von Gonisko?«
»Freilich«, rief er mit freudigem Grinsen. »Also sind Sie's doch?!... Ich warte schon seit dem frühen Morgen.« Er öffnete den Schlag. »O, was für eine Freude ich habe! Wenn ich den gnädigsten Herrn verfehlt hätte, so hätten sie gewiß wieder alle gesagt: dieser Janko ist ein Esel! – So – aber jetzt!...«
Mein Gepäck wurde aufgeladen, wir fuhren aus dem Bahnhof und links von der Stadt ab auf die Heerstraße gegen Osten. Aber mein guter Janko konnte sich noch nicht beruhigen. Er brachte die Pferde in raschen Trab, dann wandte er sich um, setzte sich bequem zurecht, musterte mich aufmerksam, betastete vorher meinen Reisekoffer und schüttelte den Kopf...
Ich mußte wieder lachen: »Was wundert dich, Janko?«
»Hm! daß alles so natürlich ist! Und dann« – er kratzte sich – »der gnädigste Herr haben sich so jung gemacht. Man sieht kein einziges von Ihren grauen Haaren!«
»Wa–as?« machte ich erstaunt, »wer hat dir gesagt, daß ich alt bin?«
»Alle«, versicherte er eifrig. »Alle haben es gesagt – der Josef und die Katherina und der Gregor und der Herr Ökonom auch. Es kann ja auch gar nicht anders sein – bei Ihrem Stande!«
»So – was habe ich denn für einen Stand?«
Janko blinzelte mich mit schlauem, vertraulichem Lächeln an. »O! ich weiß es – wenn der gnädigste Herr lügen wollen, so nützt es nichts!... Wir alle wissen es, der gnädigste Herr sind ein...« Er fuhr wild mit den Armen in der Luft herum und machte dann ein Kreuz.
»Was heißt das? Was bin ich?«
Janko sah mich mit einem durchdringenden Blicke an. »Ein Hexenmeister sind Sie – ein Zauberer, das heißt das!«
»Hahaha!« Ich lachte laut auf und zehn Minuten fort. Janko sah mich zuerst verdutzt an, dann stimmte er lustig ein.
»Janko!« fragte sich ihn, als ich wieder sprechen konnte, und wischte mir die Tränen aus den Augen, »Janko, wer hat Euch das erzählt?«
»Niemand!« erwiderte dieser stolz, »so klug sind wir schon selber! Wir wissen, daß die Zaubereien und die Hexenkünste in den Büchern stehen; Sie haben alle Bücher gelesen und kommen jetzt zu uns, um auch die unsrigen zu lesen, die im ›gelben Saal‹. Das hat aber niemand nötig als ein Hexenmeister. Und alle Hexenmeister sind alt, der vor zwanzig Jahren auf dem Schlosse war, war auch alt. Unserem Herrn Ökonom hat er zum Abschied einen Wetterteufel zurückgelassen...«
»Was?«
»Einen Wetterteufel. Man kann ihn nicht sehen: er steckt in einer dicken weißen Milch. Hinaus kann er nicht, dieser dumme Teufel – der Zauberer hat ihn hineingefoppt in eine Glaskugel mit einer Glasröhre dran. – Wenn ihm heiß ist, so streckt er sich aus, wenn ihm kalt ist, so zieht er sich zusammen. Der Herr Ökonom braucht ihn für die Landwirtschaft – ja! Und – also – was ich sagen wollte: alle Hexenmeister sind alt. Sie müssen ein großer sein, denn Sie können sich jung machen.«
»Heilige Einfalt!« seufzte ich.
Aber Janko erwiderte ernst: »Eine solche Heilige kenn' ich nicht. Übrigens halte ich von jeder Heiligen nicht viel. Bleibt doch immer so ein Weibsbild. Da ist mir mein Schutzpatron, der heilige Johannes, ein anderer Kerl – auf den kann man sich verlassen, sag' ich Ihnen. Der war auch mein Trost, wie ich gehört habe, daß Sie zu uns kommen.«
»Fürchtest du dich denn vor mir?«
»Fürchten?! Nein – ich heiße Johann Podarczuk – ich fürchte mich vor niemand.« Aber gleich wurde er wieder etwas kleinlaut. »Nur mit einem Zauberer, wissen Sie, das ist so ein eigenes Ding. Man weiß nicht, was einem so geschehen kann und – wer kann sich da wehren? Man wird ganz in ein Tier verwandelt oder muß wenigstens bellen wie ein Hund, oder man steht eines Morgens auf und muß seinen Kopf suchen. Alles schon vorgekommen. Kurz – unangenehme Geschichten. Wir waren auch anfangs alle nicht sehr erfreut über Ihre Ankunft...«
»Ja!« bestätigte ich, »ich bin sonst ein gefährlicher Mensch. Aber Euch will ich nichts tun.«
»Ich danke ergebenst«, sagte Janko demütig und zog den Strohhut mit den breiten Bändern tief ab. »Aber wenn auch – jetzt ist's auf jeden Fall gut, daß Sie gekommen sind, wir brauchen Sie sehr, denn gegen eine Hexe hilft nur ein Hexenmeister, und Sie sollen unserem armen Herrn helfen.« Janko seufzte tief auf. »Unser gnädiger Graf Henryk ist verhext.«
»Und wer hat's getan?« fragte ich ebenso melancholisch.
»Die Braune, die Aniula!« Janko wurde entrüstet. »Die kleine Zigeunerin, die Gott verdammen möge. Am Sonntag ist unser Herr gekommen, am Montag hat sie sich an ihn gehängt, und gestern war er schon so verhext, daß es ein Erbarmen war – ich sage Ihnen: ein Erbarmen! Am Ende hat er sie schon heute geheiratet.« Und zornig schlug er auf die Pferde los, die doch sicher an all diesen Schrecklichkeiten unschuldig waren.
Hoho! dachte ich, hat mein Henryk seinen kleinen Grisetten und großen Herzoginnen eine so unkultivierte Nachfolgerin gegeben? Dann fragte ich:
»Wie ist denn das zugegangen?!«
Aber Janko wurde immer entrüsteter.
»Verzeihen Sie, gnädigster Herr, aber erstens wissen Sie als Zauberer ohnehin alles, und zweitens hat sie mir schon gestern gedroht, daß sie mich in einen Esel verwandelt – denken Sie! –, in einen vierbeinigen Esel mit langen Ohren. Vielleicht erfährt sie, was ich jetzt gesprochen habe, und tut's wirklich. Heilige Mutter Gottes – was wird dann meine Xenia sagen?! Sehen Sie, da mag ich am liebsten gar nicht mehr reden!«
»Janko«, schwor ich ihm feierlich zu, »wenn dich die Aniula in einen Esel verwandelt, so gebe ich dir deine Menschengestalt wieder! Du weißt, ich kann das! Und jetzt – erzähle, warum hat sie dir gedroht?«
»Also gut«, sagte Janko. »Aber wirklich nur das eine noch. Also gestern war's, gestern Mittag. Da kommt unser Herr Graf selbst in den Hof hinunter und sie mit ihm. Natürlich – er rührt sich ja nicht, wenn sie nicht mitgeht! Der letzte Bauer würde sich schämen, so mit einer Zigeunerin zu halten, aber er tut es, er, ein Herr Graf, ein Kirchenpatron, ein Gutsbesitzer. Nun – er ist verhext – ich will nichts weiter sagen. Also er ruft mich. ›Janko‹, sagt er, ›du spannst die Rappen vor die Reisekalesche und fährst nach Stanislawow‹, sagt er, ›und fragst dort nach dem gnädigen Herrn.‹ So sagt er, und – verzeihe es mir Gott! – das war auch so ein merkwürdiger Auftrag! Fragen, das ist leicht, aber wer hätte mir antworten sollen?! Die Juden haben Sie nicht gekannt, der Polizist auch nicht, und selbst der gnädige Herr Beamte mit der roten Mütze, zu dem sie mich am Bahnhof geführt haben, hat mir nur erwidert: ›Ein alter Zauberer? meinetwegen! – wenn er kommt, so wird er da sein!‹ Da habe ich beschlossen, Ihren Namen zu rufen und habe ihn fortwährend wiederholt, bis das eiserne Pferd gekommen ist. Richtig hat's genützt! O ich...«
Ich unterbrach die Äußerungen seines Selbstbewußtseins:
»Aber was war's mit der Aniula?!«
»Ach so! Also – wie mir der gnädigste Herr Henryk den Befehl gibt, sag' ich: ›Ganz gut!‹ und gehe auf den Stall zu, an dieser Zigeunerin vorüber. Da ruft sie mich an: ›du Tölpel!‹ – denken Sie, ich ein Tölpel! – ›warum nimmst du nicht den Hut vor mir ab? Wenn du noch einmal so unhöflich bist, so mach' ich einen leibhaftigen Esel aus dir!‹ Denken Sie, ich soll eine Zigeunerin grüßen, ich, ein Christ, ein Österreicher. Also – ich gehe natürlich rüstig weiter. Aber was geschieht nun? ›Henryk‹, ruft diese... (Janko wurde entschieden grob)..., ›Henryk, er muß mich gleich grüßen!‹ Und der gnädige Herr ruft mich zurück und befiehlt: ›Grüße sie!‹ Ich gehorche. ›Noch einmal!‹ ruft sie. ›Noch einmal!‹ wiederholt der Herr Graf, und ich muß es noch einmal tun, und der ganze Hof steht dabei und lacht. ›Zum dritten Male!‹ schreit sie. Da sag' ich aber: ›Allergnädigster Herr Graf, ich bin ja als Kutscher auf dem Hofe angestellt und nicht als Grüßer!‹ und mache ihm eine tiefe Verbeugung und gehe auf den Stall zu. Und diese Hexe?! ›Henryk!‹ schreit sie und zittert nur so vor Wut, ›dieses Hundsblut muß jetzt zur Strafe eine halbe Stunde in der Sonne knien.‹ Und ich« – Janko würgte die Worte nur so heraus – »ich... hab's tun müssen.« Und dabei hieb er so grimmig auf die Pferde los, daß sie wild zu galoppieren begannen und unser Gespräch für lange Zeit unterbrochen war.
Wir fuhren gegen Ost, dann gegen Südost. Das Land war wellenförmig, aber je weiter wir kamen, desto flacher wurde es. Bebaute Felder wechselten mit öder Heide. Dann tauchten auch Weiher auf, immer häufiger, je ebener und unfruchtbarer das Land wurde.
Es war ein schwüler Tag – die Sonne brannte heiß herab. Die Straße war wenig belebt. Ein dicker Pope begegnete uns mit seiner dicken Popadja und zwei kleinen, dicken Buben. Drei elende Pferde schleppten die Britschka mit der heiligen Familie langsam vorwärts.
Dann kamen wir an einer langen Reihe von Frachtwagen vorüber, darauf ward Salz nach Rußland geführt. Die Fuhrleute – es waren Ukrainer, und »Chumaken« nennt sich die Zunft in ihrer Sprache – gingen nebenher und sangen im Chor das wehmütige Lied von der schönen Czariza:
»Sternlein nur und Nachtigallen sahen's, Wie man sie ertränkt im dunklen Weiher – Seitdem schluchzen süß die Nachtigallen Und die Sternlein zittern noch vor Schrecken –« |
Die Klänge schwammen weithin durch die heiße, stille Luft.
In einer kleinen, einsamen Feldschenke hielten wir Rast. Der Wirt, ein Jude, wie überall in Podolien, hatte nur wenig Vorräte im Hause: Brot, Eier, Schnaps. Daran sättigten wir uns, so gut es ging, und verschliefen dann im Heu die Zeit der größten Hitze. Wir hätten uns wohl sehr verspätet, wenn uns nicht das Gewieher der Rappen geweckt hätte.
»Es ist ein reines Glück«, sagte Janko freudig, »daß wenigstens zwei von der Gesellschaft wach geworden sind.«
Die Sonne neigte schon stark gegen Westen, als wir wieder ausfuhren; in ihrem Lichte schimmerte weithin die Ebene, das Heideland rötlich gelb, das Getreide golden. Auf den Feldern wurde eben überall die Ernte geschnitten.
»Gott segne die Arbeit!« rief Janko hinüber.
»Gott segne die Reise!« erwiderten die Landleute.
Als die Sonne just wie eine rote Kugel am Rande der Ebene klebte, kamen wir an den drei großen Eichen vorüber, wo der Feldweg gegen Gonisko von der Chorostkower Straße abzweigt. Man nennt sie die Zigeunereichen, weil hier alle Zigeuner anhalten und von hier aus ihre Streifereien unternehmen. Ich ließ halten und trat unter die Bäume, mir war es eigen ums Herz, ich verspürte in den Augen ein seltsames Brennen. Als ich noch ein glücklicher, sorgloser Knabe gewesen, war ich einmal an einem sehr schönen Frühlingsmorgen mit meinem Vater über Land gefahren. Hier in der Nähe war die Achse des Wagens gebrochen, und es hatte sich sehr gut gefügt, daß just Zigeuner eine Feldschmiede unter den Bäumen errichtet und den Schaden ausbessern konnten. Während wir warteten, hatte sich trotz aller Abweisung eine alte Zigeunerin an uns herangedrängt und hatte uns geweissagt. Ich sehe noch ihr braunes, runzliges Hexengesicht und die glühenden Augen. Meinem Vater hatte sie langes Leben versprochen und mir viel Glück. Aber sie hatte gelogen – in beidem...
Aus meinem wehmütigen Sinnen weckten mich schrille, jammernde Kinderstimmen empor: auf der Landstraße von Chorostkow her kam ein Zigeunerkarren gezogen. Kleine, schmutzige, nackte Kinder stürzten zudringlich auf mich zu und schrien und jammerten, wie es schon die Art ist dieser kleinen braunen Insekten. Ich warf ihnen einige Kupferstücke zu und rettete mich in den Wagen. Nur auf die beiden Männer, die als Zugpferde vor dem Karren einherschritten, warf ich noch einen flüchtigen Blick. Ein Greis mit zerwühltem, verwitterten Antlitz, spärlichen, wirren Haaren und stechenden Äuglein, und neben ihm ein Jüngling, stolz, stark, schlank, elastisch, ein keckes Schnurrbärtchen im rosigen Antlitz, der hübscheste Zigeunerbursche, der je vor einem Karren gekeucht oder Pferde gestohlen.
Sie machten halt unter den Eichen; als ich nach einer Weile zurückblickte, war bereits die Decke des Wagens gelüftet. Vor mir aber erhob sich, vom Widerschein der Abendröte angeglüht, das weiße Gemäuer des Schlosses Gonisko. Es schien kaum eine Viertelstunde entfernt.
»Die Ebene lügt«, sagte Janko, »es sind noch anderthalb Meilen...«