Ferdinand Freiligrath
Gedichte
Ferdinand Freiligrath

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Blum

              Vor zweiundvierzig Jahren war's, da hat mit Macht geschrien
Ein siebentägig Kölner Kind auf seiner Mutter Knien;
Ein Kind mit breiter, offner Stirn, ein Kind von heller Lunge,
Ein prächtig Proletarierkind, ein derber Küferjunge.
Er schrie, daß in der Werkstatt rings des Vaters Tonnen hallten;
Die Mutter hat mit Lächeln ihn an ihre Brust gehalten;
An ihrer Brust, auf ihrem Arm hat sie ihn eingesungen: –
Es ist zu Köln das Wiegenlied des Knaben hell erklungen.

Und heut in diesem selben Köln zum Wehn des Winterwindes
Und zu der Orgel Brausen schallt das Grablied dieses Kindes.
Nicht singt die Überlebende, die Mutter, es dem Sohne:
Das ganze schmerzbewegte Köln singt es mit festem Tone.
Es spricht: Du, deren Schoß ihn trug, bleib still auf deiner Kammer!
Vor deinem Gott, du graues Haupt, aus ströme deinen Jammer!
Auch ich bin seine Mutter, Weib! Ich und noch eine Hohe –
Ich und die Revolution, die grimme, lichterlohe!
Bleib du daheim mit deinem Schmerz! Wir wahren seine Ehre –
Des Robert Requiem singt Köln, das revolutionäre!

So redet Köln! Und Orgelsturm entquillt dem Kirchenchore,
Es stehn die Säulen des Altars umhüllt mit Trauerflore,
Die Kerzen werfen matten Schein, die Weihrauchwolken ziehen,
Und tausend Augen werden naß bei Neukomms Melodien.
So ehrt die treue Vaterstadt des Tonnenbinders Knaben –
Ihn, den die Schergen der Gewalt zu Wien gemordet haben!
Ihn, der sich seinen Lebensweg, den steilen und den rauhen,
Auf bis zu Frankfurts Parlament mit starker Hand gehauen!
(Dort auch, was er allstündlich war, ein Wackrer, kein Verräter!) –
Was greift ihr zu den Schwertern nicht, ihr Singer und ihr Beter?
Was werdet ihr Posaunen nicht, ihr ehrnen Orgeltuben,
Den jüngsten Tag ins Ohr zu schrein den Henkern und den Buben?
Den Henkern, die ihn hingestreckt auf der Brigittenaue –
Auf festen Knien lag er da im ersten Morgentaue!
Dann sank er hin – hin in sein Blut – lautlos! – heut vor acht Tagen!
Zwei Kugeln haben ihm die Brust, eine das Haupt zerschlagen!

Ja, ruhig hat man ihn gemacht: – er liegt in seiner Truhe!
So schall' ihm denn ein Requiem, ein Lied der ew'gen Ruhe!
Ruh' ihm, der uns die Unruh' hat als Erbteil hinterlassen: –
Mir, als ich heut im Tempel stand in den bewegten Massen,
Mir war's, als hört' ich durch den Sturm der Töne ein Geraune:
Du, rechte mit der Stunde nicht! die Orgel wird Posaune!
Es werden, die du singen siehst, das Schwert in Händen tragen –
Denn nichts als Kampf und wieder Kampf entringt sich diesen Tagen!
Ein Requiem ist Rache nicht, ein Requiem nicht Sühne –
Bald aber steht die Rächerin auf schwarzbehangner Bühne!
Die dunkelrote Rächerin! Mit Blut bespritzt und Zähren,
Wird sie und soll und muß sie sich in Permanenz erklären!
Dann wird ein ander Requiem den toten Opfern klingen –
Du rufst sie nicht, die Rächerin, doch wird die Zeit sie bringen!
Der andern Greuel rufen sie! So wird es sich vollenden –
Weh allen, denen schuldlos Blut klebt an den Henkerhänden!

Vor zweiundvierzig Jahren war's, da hat mit Macht geschrien
Ein siebentägig Kölner Kind auf seiner Mutter Knien!
Acht Tage sind's, da lag zu Wien ein blut'ger Mann im Sande –
Heut scholl ihm Neukomms Requiem zu Köln am Rheinesstrande.

Köln, 16. November 1848

 


 


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