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Das folgende Gedicht hat die Absicht, die geistigen Kämpfe sowohl, als die äußeren Leiden eines Spaniers zu beschreiben, der, vor den religiösen Verfolgungen seines Vaterlandes im 16. Jahrhundert fliehend, sich mit seinem Kinde in den Wäldern Nordamerikas eine Zuflucht sucht. Man nimmt an, daß er selbst seine Geschichte in der Wildnis erzählt, die ihm ein Asyl gewährt hat.
Ihr Plätze alle meiner stillen Freuden,
Euch lass' ich hinter mir auf immerdar!
So ist des Geistes Ruf an mich ergangen:
Mich treibt nicht eitles, irdisches Verlangen.
Die Jungfrau von Orleans.
Der Unterdrückung bot ich meine Brust,
Und für des Glaubens angestammte Freiheit
Ging ich in Ketten, und vergoß mein Blut.
Reue; Tragödie von Coleridge.
Die Stimmen meiner Heimat! Jede Nacht
Durch meine Träume noch hör' ich sie klingen;
Hör' meines Herzens klaren tiefen Schacht
Mit reiner Freude selig sie durchdringen!
O, diese Stimmen! sind auch ein'ge schon.
Verscholl'nen Liedern gleich, der Welt entflohn;
Starb auch in andern jenes wilde Singen
Des Glücks schon und der Lust: – doch noch bereiten
Sie täglich mir ein Fest, die Stimmen andrer Zeiten!
Sie rufen mich durch dieser Wälder Schweigen
Früh bei der Blätter morgendlichem Wehn;
Sie ziehn vorbei, wenn sich die Blumen neigen.
Und wenn am Himmel auf die Sterne gehn;
Gleichwie ein Bach, an dem ihr vormals, ruhtet,
Zur Zeit des Durstes durch den Geist euch flutet,
So hör' ich immer noch ihr süß Getön;
Bis, matt vor' Lechzen, meiner Seel' ich sage:
O, einer Taube Flug, daß er davon mich trage,
Zu meiner Arche! – Doch wohin, wohin? –
Ein sehnend Herz, ich nehm' es mit ins Grab!
Ich bin von denen, über deren Sinn
Ein Hauch – und flog' er hörbar kaum hinab
Den glatten See und seines Schilfrohrs Hecken –
Gewalt hat, Schatten früh'rer Zeit zu wecken.
Wie eines Zaubrers machtbegabter Stab!
So muß es sein! – der Himmel über mir,
Mein eigner wird er nie! – Ruhn meine Toten hier?
Nein, unter Blumen ruht ihr fern im Süden;
Um eure Gräber lächelnd spielt das Licht!
Bis auf ein einz'ges! – Über einer Müden
Aufbraust ein einsam Meer: hier ruht ihr nicht!
'S ist nicht des Ölbaums feierlich Geflüster,
'S ist nicht das Wasser, das da rauscht, wo düster
Kastanien säuseln, was zum Ohr mir spricht;
Die Halle sind's, die nur im Herzen tönen,
Und, Muscheln gleich der See, sich klingend heimwärts sehnen.
Still! – Von mir werf', ich diesen Gram, ein Aar,
Der von den kräft'gen, ausgespannten Flügeln
Den Regen schüttelt! – Land das mich gebar,
Mich und mein Kind: – mit deinen prächt'gen Hügeln,
Mit deinen Reben du, Hispania,
Was steht dein Sohn im Urwald finster da?
Mit Kett' und Falter wolltest du ihn zügeln!
Der Schmerz vernarbt nicht: – seht die Spuren ihr?
Schmach, zorn'ges Brüten, Groll – das gab die Heimat mir!
Schmach! – Ein befleckter Name! – Horch, der Wind!
Sein Rauschen spricht ihn doch nicht aus! – Das Zittern
Der Blätter hör' ich, die voll Taues sind,
Und höre rings der Waldung leises Schüttern!
Sie sprechen ihn nicht aus! – Der Zedern Dom
Hallt ihn nicht wieder, und der freud'ge Strom
Verrät ihn nicht des Schilfes grünen Gittern!
Was ist ein Name, wo der Herr allein
In stolzer Einsamkeit spricht zu den Wüstenei'n?
Und ist's nicht viel, daß frei und unbeschränkt
Ich vor Ihm knien darf an des Waldsees Welle?
Knien darf im Forst, der Ihm die Kronen senkt,
Und dumpf ertönt vom Sturz der Wasserfälle?
Was bin ich still, warum denn jauchz' ich nicht?
Lernt' ich doch endlich, was Er liebend spricht.
Von Menschenrede sondern! – Licht und helle
Brach meine Seele sich durch Wollen Bahn,
Und schwebte fessellos und stolz zu Ihm hinan!
Und du, mein Sohn, der du auf meinen Knien
Aufschlägst das Auge, dunkel, ernst und mild.
Voll von der Kindheit heißem Liebeglühn,
Das seinen Tiefen ohne Trug entquillt;
O du, der schlummernd mir am Herzen lag,
Indes ich sorgsam anhielt seinen Schlag –
Für deine Träume schlug es allzu wild! –
Mein Sohn, mein Sohn, und ist es keine Gnade,
Daß beten du gelernt auf frischem Waldespfade?
Was sollt' ich weinen auf dein lockig Haar?
Nie wird dein Schritt der Väter Schloß durchtönen;
Ihr flatternd Banner schwingst du nimmerdar.
Gehst nicht voran der Bergbewohner Söhnen,
Die für die Freiheit einst verspritzt ihr Blut! –
Von Spanien fern trug uns des Meeres Flut:
Doch wird dein Herz auch unterm Druck nicht stöhnen;
Du wirst nicht tragen, was ich selber trug,
Der ich um meinen Zorn, der Falschheit Mantel, schlug!
Du sel'ges Kind, dein Los wird anders fallen!
Umsonst nicht lebt' ich, litt umsonst nicht Weh'!
Hört mich, ihr alten, prächt'gen Waldeshallen,
Hört mich, ihr Ströme, die ihr braust zur See!
Hör' mich, du Wildnis, grasbewachs'ne, große,
Durch die der Sturmwind fährt mit jähem Stoße: –
Hört alle mich! Zu sterben, ohne je
Sein Leid zu klagen, es ist schön! Doch brechen
Sah' ich mein trotzig Herz, dürft' es vor euch nicht sprechen!
Ihr schaut die Eiche dort; sie war der Stolz
Der Wälder rings: – ihr seht es an den Resten.
Wie grün ihr Laub, wie üppig war ihr Holz,
Bis wilder Wein den Tod gab ihren Ästen.
Er warf die Fesseln keck von Ast zu Ast,
Da sank der Baum, da welkte Blatt und Bast,
Da starb er ab, den man genannt den besten.
O Gott, o Gott! und was erblick' ich hier?
Ein Bild der Menschenhand, mein Vaterland, mit dir!
Doch bist du lieblich! Deine Berge klingen –
O, Spaniens süße, trübe Melodien!
In meiner Kindheit mocht' ich gern sie singen.
Die den Verbannten schmerzlich jetzt durchziehn!
Um Fels und Hügel wehn Hispanias Lieder:
O, hört' ich einmal noch den Hirten wieder;
Und in den Tälern, die von Trauben glühn,
Den Maultiertreiber, daß sein Mund die Stille
Mit unsrer Heldenzeit volltön'gen Namen fülle!
Doch einst lag Schweigen ernst auf deinen Wäldern
Und deiner Felsen moosbewachs'nem Wall.
Öd war's im Weinberg, öd war's auf den Feldern,
Öd in den Gärten – Schweigen überall!
Wer, nahm dem Rebstock seine Purpurbürde?
Frei zog die Herde, fern von ihrer Hürde:
Wo war der Hirt, wo seiner Pfeife Schall? –
Kein Lied, kein Rufen, kein Gestampf von Rossen: –
Es hatten in die Stadt die Weiler sich ergossen!
Die Berge still! – Doch in der Stadt Gedränge,
Gewühl und Toben! – Wie ein Waldstrom brach
Sich ihren Weg die aufgeregte Menge; –
Dann einer dumpfen, tiefen Glocke Schlag!
Horch, Schlag auf Schlag! – dazwischen tote Pausen,
Wie furchtbar still der Sturmflut zorn'ges Brausen
Sie unterbrechen; jetzo tausendfach
Ton hast'ger Schritte, dröhnend, wie ein Regen,
Der ein weithallend Dach peitscht unter Donnerschlägen!
Und nun – o, welch ein Zug! Aufflog das Tor,
Das einen Kerker von der freud'gen Helle
Des Tages schied! – Wer wankte draus hervor,
Langsam geleitet über seine Schwelle?
Sie, die gelernt auf feuchten Moderstreu'n,
Wie man in Nacht vergißt den Sonnenschein;
Wie man entfremdet wird in dunkler Zelle
Menschlichen Zügen selbst! – Vor ihr Gesicht
Die Hände preßten sie, geblendet schier vom Licht!
Und
das am Menschen sind des Menschen Werke! –
Es waren ein'ge drunter, die ihr Leid
Mit der Verzweiflung düstrer, herber Stärke
Umgürtet hatten, wie ein ehern Kleid
Der Krieger trägt, der im Gefecht sich maß:
Doch
ihre Rüstung drückte sie, man sah's!
Und andrer Geist war Härterm noch geweiht:
Sie lächelten; – o, schrecklich Lächeln dessen,
Dem irr die Seele floh! – wo schläft sie unterdessen?
Doch weiter, weiter (seines Glaubens wegen
Zum Feuertode!) schritt der finstre Zug.
Es war das Opfer, das dem Herrn entgegen
Das stolze Land des Rittertumes trug.
Sie schritten stumm an Tausenden vorbei;
O Gott, wie anders alle diese – frei,
Stolz, schön, geliebt! – doch jede Fiber schlug!
Ein Volk hielt seinen Odem an; mit Zittern
Ließ den Gedanken:
Tod! es seine Brust durchschüttern!
Wohl mochte rings von Mitleid und von Zorn
Manch Herz erglühn von diesen tausend Herzen,
Denn allenthalben quillt der Liebe Born,
Und auch das Weib, das lächelnd unter Schmerzen
Gebiert und säugt, auf dessen treuen Knien
Zuerst Gebete lallend uns entfliehn –
Das Weib auch sah des Zuges Trauerkerzen!
Doch sonnig lacht der Herd, süß ist das Leben,
Und wert der freie Schritt – drum sah man alle beben.
Mut, Jugend, Kraft! – Ihr Wille war gebunden,
Ein Frost befiel ihr Lieben und ihr Hassen;
Still, wie ein Wald in schwülen Mittagsstunden,
So standen rings die atemlosen Massen;
Starr, ein gefrorner Strom! – Doch bald befreit.
Braust er und brandet, wie zu bess'rer Zeit!
Die Dulder aber hielten aus; – gelassen,
Mit festem Gange schritten sie zur Glut!
Wer band das Volk? – es sah, und alles däucht' ihm gut.
Und mir auch däucht' es gut; – aus fernem Land
Denselben Tag erst war ich heimgekommen;
Doch voll von meines eignen Geist; – die Hand
War noch nicht da, die mir vom Aug' genommen
Mit kräft'gem Griff des Irrwahns falt'ge Decken.
Ich starrte, wie durch Flor; – mit stummem Schrecken
Sah ich den Festprunk, düster und beklommen;
Und regten Mitleid sich und Ungeduld:
Hinwarf ich schaudernd sie, dem Giftkelch gleich der Schuld.
Doch ich erwachte, jenen Träumern gleich.
Die jäh bei Nacht das Horn ruft auf die Wälle;
Anstürmt der Feind; sie führen Streich auf Streich;
Sie müssen kämpfen, bis die eigne Schwelle
Ihr Blut gefärbt. In meine Seele brach,
Rasch und gewaltig, wie ein Donnerschlag,
Das Licht sich Bahn: und mit des Lichtes Helle
Einschritt die Freiheit lächelnd durch Ruinen;
Spät, doch vergebens nicht: – neu ließ den Schutt sie grünen.
Und immer noch, wie eine Wolke schier,
Die, langsam zieh'nd, am Horizonte dräu't,
Traumhaft vorüber glitt die Festschar mir,
Und ohne Tränen sah ich an ihr Leid.
Ein jeglich Opfer schien mir nur ein Bild,
Gemalt, zu zeigen, was den Geist erfüllt,
Der auf dem Rande bebt der Sterblichkeit;
Bis einer kam – kalt überlief es mich;
Mein Freund, mein erster Freund! – und fiel mein Blick auf dich?
Auf dich, mit dem zur Zeit des Herbstgetümmels
Ich einst als Kind der Heimat Trauben brach;
Vor dessen Auge, wie vor dem des Himmels,
Des Knaben Seele kindlich offen lag;
An dessen Seite kühn zur Schlacht ich trabte;
Aus dessen Helme frische Flut mich labte,
Als heiß mein Haupt die Tropensonne stach:
Mild zu dem Wunden beugtest du dich nieder; –
Die Jahre flohn indes, – und so sahn wir uns wieder!
Noch seh' ich sie – die Miene, stolz und kühn,
Die bleiche Stirne, machtbewußt und klar,
Denselben Blick, der einst so hell mir schien,
Und mich erhob zur Stunde der Gefahr,
Als in den weißen, schneebedeckten Anden
Von Indianern wir umzingelt standen,
Dem Berghirsch gleich in gier'ger Hunde Schar;
O, welch' ein Tag!– Durch Speer- und Pfeileregen
Bluttriefend brachst du Bahn: o, wärst du da erlegen!
Doch nein! Ich wünsch' es nicht! Denn edler starbst du!
Starbst für die Wahrheit! – Und an ihrem Thron,
Mein Freund, mein Alvar, eine Statt erwarbst du
Dir bei den Tausenden, die lächelnd schon
Ihr Blut verspritzt auf seinen Stufen haben:
Ihr Tod war ihr Triumph! – Ob unbegraben,
In alle Welt ist ihre Asch' entflohn!
Frisch weht der Wind, in den man aus sie streu'te,
Daß er, ein Säemann, als Saatkorn sie verbreite!
Du, dem der Seele Trachten offenbar:
Du, dem kein Frevel noch verhüllt geblieben;
Du, der allwissend den Gedanken gar
Sieht, wie ein Ding, mit Sonnenstrahl geschrieben;
Du weißt es, Herr, was dieser Mann, verbrach:
Daß er, wie jene, sein Gebet dir sprach,
Die stille dir ihr Herz zu opfern lieben;
Daß er dich ehrte, jenen ersten gleich,
Die auf des Ölbergs Haupt hinknieten ins Gesträuch,
Denn durch die Nebel, die ihn hier umfloren,
Bricht oft der Geist, dem du ein Wecker bist;
Und fühlt und ahnt – er ist von dir geboren! –
Daß Menschenwort nicht immer dein Wort ist!
Und – o du Staub, dem Toren Macht verleihn;
Gebrechlich Rohr, das Geißel möchte sein;
Ohnmächt'ger Funken, der zerstörend frißt,
Weil Gott ihn nicht zertrat – wo blieb' ein Hoffen,
Ständ' uns vor Menschenspruch nicht eine Zuflucht offen?
Doch das empfand ich später erst; denn jetzt
Sah ich nur ihn! und Tage, längst gewichen.
Frischt' er mir auf, wie, wenn es Wasser netzt,
Neu glüht ein Bild, das dunkel und verblichen.
O Tag des Stolzes, als im Eisenhut
Zuerst ich unter Bannern focht, mein Blut
Vollpulsig springend zu der morgendlichen
Trompete Schmettern – als sein Schwert mir blitzte,
Wie eines Bruders Schwert, der seinen Bruder schützte!
Mich traf ein Speer in jenes Tages Lauf;
Ich fiel – die Schlacht ging über mein Gesicht;
Bewußtlos lag ich, endlich wacht' ich auf;
Wie sah ich alles wieder jetzt: – das Licht,
Des Mondes Licht – Rüststücke – blut'ge Kiesel, –
Der Quelle Saum – des Wassers süß Geriesel –
Und Alvar über mir, der warm und dicht
Mit seinem Mantel vor der Nacht mich deckte:
O, nichts was nicht sein Schau'n in meiner Seele weckte!
Bis ich zuletzt, im Drange der Gesichte,
Ward, wie ein Mann in schwerer Träume Haft;
Sein Leib erbebt; es drückt ihn, wie Gewichte;
Er sieht, er hört, doch starr und ohne Kraft.
Manch teuer Antlitz beugt sich über ihn,
Doch Düstres auch sieht er sein Haupt umziehn:
So stand auch ich, so ward ich selbst entrafft
Von diesen lieben, wohlbekannten Zügen,
– Und konnte weinend doch an seine Brust nicht fliegen!
Er schritt vorüber, – und wer schritt ihm nach?
Zwei: – seine Schwestern! – ach, um gleiche Schuld!
Die Hoheit, die auf diesen Stirnen lag,
Wohl kannt' ich sie, und dieser Züge Huld!
Doch o – wie anders beider Angesicht!
Blumen, wie diese, blühn im Kerker nicht:
Ihr, so geliebt, vom Glück so eingelullt,
Inez, Therese – königliche Frauen,
Erwuchst ihr einzig denn zu dieser Stunde Grauen?
Öd euer Haus jetzt! An der Wand, bestaubt,
Hängt eure Zither unter Spinngeweben!
Und in der Halle, jedes Tons beraubt,
Der seinen Rufen Antwort einst gegeben,
Stumm und verarmt in seiner Banner Kreis
Sitzt euer Vater, ein gebrochner Greis!
Die Banner flüstern und er wähnt mit Beben,
Daß jetzt ein Name, den in stolzer Reih'
Ein Stamm von Helden trug, durch euch geschändet sei.
Weh' euch, ihr Süßen – unter Liebesblick
Und Liebeswort und Liebesgruß erzogen!
Einst sah ich euch in Schönheit und in Glück,
Dem Liede lauschend und vom Kranz umflogen!
– Doch in der einen mochten da wohl schon
Gedanken schlummern, die die Menge flohn!
Trüb oft umflort' es ihrer Stirne Bogen;
Und ernstes Sinnen, wie es nachts erwacht,
Lag tief in ihres Aug's gesenkter Wimpernpracht.
Und ging sie hin, dem Feste sich zu zeigen,
So war es nur, wie wenn ein düstrer Stern
Zusieht im Felde einem Hirtenreigen;
Lichtvoll zugegen, aber hoch und fern!
Zu lächeln strebend – ach, auch das wie lieb! –
Sah sie die Freude, der sie fremd doch blieb!
Einsam und trüb in ihres Wesens Kern,
Stritt sie mit Ird'schem nicht – nur ein zu klares
Licht goß sie drüber aus, ein allzu traurig wahres.
Allein das Unglück weiß aus seinem Schacht
Den Hort der Seele an das Licht zu bringen:
Den Mut, die Stärke! So auch läßt die Nacht
Melodisch nur der Ströme Wellen klingen!
Noch gestern schlummernd, zuckte jede Kraft
In ihrer Brust heut, ewig langer Haft
Zum ersten Male stolz sich zu entringen!
Sie gab sie frei! – Könnt eine Rose mild
Trotz bieten dem Orkan, die wäre wohl ihr Bild!
Denn sieh', der milde Trübsinn, dessen Schleier
Ihr schönes Haupt umwallte, war geflohn,
Und eine Flamme, wie prophetisch Feuer,
Blitzt' ihr im Auge. War es Stolz – war's Hohn –
Gefühl der Kränkung – ach, das alles band
Mit eh'rnen Reifen, fest wie Diamant,
Manch zagend Herz, daß es nicht breche, schon!
Das ihre nicht! Ihr Seelenhalt war fester;
Hinschritt sie ungebeugt – des Tapfern tapfre Schwester!
Doch ist es qualvoll, ach, bei allem Süßen,
Ein Weib zu sehn, das so sich Kränze flicht;
Zu sehn dies reine, reiche Überfließen
All' jener Quellen, draus die Liebe bricht!
In fremdem Leben, es umklammernd, ruht
Des Weibes Leben: keiner Stürme Wut
Raubt ihm den Halt! die Frau umstrahlt das Licht
Der Zärtlichkeit, ihr Aug' ist naß von herben
Tränen der Leidenschaft – drum kann sie so auch sterben!
Drum schrittest du auch hoch und stolz von hinnen.
Als hätt' ein Sieg die Seele dir erweitert!
Drum warfst du ab dein eignes holdes Sinnen,
Und ruhtest nicht, bis du den Freund erheitert!
Den Stern, den Bruder deiner heil'gen Jugend,
Der an dem Born der Wahrheit und der Tugend
Vom Staub der Erde deine Brust geläutert!
Du wolltest nicht, daß er, in dessen Nähe
Du nie gezittert noch, zuletzt dich zittern sähe!
Denn keine Liebe noch war eingekehrt
In deinen Traum, als die mit sanfter Kette
Zusammenhält, was eine Brust genährt.
Und was erwuchs an einer Feuerstätte!
Die hob dein Leben! – Ich begreif' es kaum:
Dasselbe Spielen unter einem Baum,
Dasselbe Mahl, dasselbe kleine Bette,
Dasselbe Knie'n, dasselbe erste Flehen –
Muß alles das so oft im Hauch der Welt verwehen?
Doch dich berührt' er nicht; noch auch den Lieben,
Mit dem du littest! Ja, du warst beglückt!
Dir konnte nichts das Bild der Neigung trüben:
Drum wie 'nen Schild auch hast du es gedrückt
An deinen Busen! hast du lange Nächte
Gewacht am Pfühl des Dulders, seine Rechte
In deiner haltend! hast du aufgeblickt,
Mit seinem Schicksal deines kühn vermählend,
Ein Hoffen und ein Licht – und einen Tod auch wählend!
So gingst du strahlend! Herber
ihr Geschick,
Die, nach dir wandelnd, Furcht und Kummer beugten!
– Barmherz'ger Gott, daß eines Menschen Blick
Um solchen Jammer je sich mußte feuchten!
Die Herrliche! wie war ihr Weg bis heut,
Ein Elfenpfad, mit Rosen nur bestreut!
Wie blitzt' ihr Auge mit verklärtem Leuchten!
Wie hob empor ihr jubelnd Wort den Schwachen,
Ein selig Lerchenlied, bei dem die Saaten lachen!
Sie, ach, und sterben! – der die Welt so schön
In ihren Blumen noch und ihren Blättern!
Glich nicht ihr Lächeln selber dem Entstehn
Des Regenbogens auf des Lenzes Wettern?
War nicht ihr Schreiten dem des Rehes gleich?
Und ihre Stimme, silberhell und weich,
Die jauchzend oft mit unbewußtem Schmettern
In prächt'gem Wildsang sich ergoß: – wer ahnte,
Daß Tod und Sterben sei, wenn die ans Leben mahnte!
Als ich zuletzt sie schaute – welch ein Bild!
Durch meine Seele glänzend sah ich's fließen:
Ein goldner Abend draußen im Gefild
Zur Zeit der Lese! – Matter Sterne Grüßen
Durchbrach das Laub, der Nachtwind hauchte frisch;
Da saß sie froh im rank'gen Weingebüsch
Guitarre spielend zu des Vaters Füßen,
Und lacht' empor zu ihm und ließ erklingen
Ein schlicht und herzig Lied, wie Hirtenkinder singen.
Und nun – o Gott! die Furcht des Todes bog
Und schüttelte dies stolze junge Leben!
Ihr Busen hob sich und ihr Odem flog,
Und ihre bleichen Lippen sah ich beben!
Sie schaut' empor mit wildem, wirrem Blick:
Der strahlte warm das tiefe Blau zurück
Des südlichschwülen Himmels; – ach, zu heben
Ein flehend Auge nur! hart und metallen
Schwieg er, und ließ kein Wort der Gnade niederfallen!
Du zitternd Erdenkind! Wie sehr gehörte
Der Erde schon dein ganzes Trachten an!
Der ersten Liebe süßes Feuer zehrte
An deinem Sein! Wohl kannt' ich einen Mann –
An dessen Hand mit unentfärbten Wangen
Wärst du vielleicht kühn in den Tod gegangen;
Doch der war fern; – Und als nun erst heran
Die schwere Stunde kam mit ihren Flammen,
Da brach in Todesangst dein schwacher Leib zusammen!
Kein Helfer nah! – Hingingst du deine Bahn!
Mit dir die andern; stark – verzweifelnd – zagend!
Die, wie vom Sturm dahingeführt ein Kahn;
Die, wie das Laub im Wirbelwinde jagend;
Und die, wie Krieger, die das Blutgefild
Zum letzten ruft – dann ruhn sie auf dem Schild;
Des sind sie froh! – Um mich zusammenschlagend,
Riß wogend ietzt von dannen mich die Menge,
Wie steuerlos ein Schiff hintreibt im Flutgedränge.
Ein weiter Platz! Wir haben ihn betreten;
Hoch und geschmückt in seiner Mitte sah
Ich einen Altar, festlich zu Gebeten
Und Opfern rufend! O, war keines da
Von all' den Früchten, von den Blumen allen,
Die in den sonn'gen Schoß der Erde fallen?
War jung und weiß kein Herdenerstling nah,
Wie da vor Gott die Patriarchen lagen?
– Blick nieder, Herr! der Mensch wird Menschen dir erschlagen!
Schuldloses Bruderblut! Hör' seine Stimme!
Aufsteigt ein Wehruf vom befleckten Rain; –
Such' den Vergießer heim in deinem Grimme:
Nachtwandelnd Fürchten laß Genoß ihm sein!
Gib Macht dem Winde, zornig ihn zu fragen:
»Wo ist dein Bruder?« – Mögen ihn verklagen
Nachts die Gestirne, wenn mit wildem Schein
Ihr brennend Auge blitzt auf seine Pfade;
Auf daß die Erde weiß: »Nicht Opfer will ich:–Gnade!«
Triumphgesang! Die Messe ward gesungen!
So, dacht' ich einst mir, sängen Engelchöre!
So hat es wohl in Salem einst geklungen,
Als der Allmächt'ge seiner Gegner Heere
Warf in den Sand auf Syrias Palmenflächen! –
Ein Meer von Tönen hört' ich stolz sich brechen.
Oft, wenn der Sturmwind braust um Eich' und Föhre,
Und ihre Kronen niederbeugt zum Grunde,
Bringt mir sein Ton zurück das Loblied jener Stunde.
Es starb dahin; – die Weihrauchwolken flogen –
Das Urteil schallte!– Glühend, wie vor Scham,
Hat sich die Sonne trüb mit Duft umzogen.
Und Wolken brannten, als sie Abschied nahm!
Abschied von denen, die gedämpft und hohl
Zuletzt heut riefen: »Sonne, lebe wohl!« –
Der Abend flammte – Nacht und Mondlicht kam –
Schlaf sank, wie Tau, auf Wald und Schlucht und Welle –
Nur nicht auf eine Statt: auf eine Todesstelle!
Sie war nicht in der Stadt – hell sah man blitzen
Der freien Sierren schneebedeckte Höh'n,
Mit Adlerhorsten auf den blanken Spitzen,
Und Jägerhütten, die am Waldbach stehn;
Dazu mit Tälern und mit Rebenhügeln,
Mit Wasserfällen und mit Wasserspiegeln
Und stolzen Wäldern, die mit Laubgetön
In mancher Hütte sel'gen Schlaf umschlossen!
Ein prächtig Nachtstück – ach, von Sterbenden genossen.
Mit ihren Sternen kam die Mitternacht,
Die prächtige, die funkelnde! – Was weh'ten
Pechkranz und Fackel noch durch ihre Pracht,
Mit frechem Scheine flackernd sie zu röten?
Blutig, Therese, überlief er dich!
Schon unterm Holzstoß, hobst du feierlich
Dein dunkles Auge, schwimmend in Gebeten!
Und dich auch, Inez! tief die Stirne neigend,
Verhülltest du dein Haupt – farblos, o Gott, und schweigend!
Und Alvar, Alvar! – Dich erschaut' ich auch;
Fest, königlich – bis deiner Blicke Rollen
Auf Inez fiel! da trübte sich dein Aug',
Und deine Brust, in Qual und Lieb' und Grollen,
Hob sich und senkte sich, zerspringend schier!
Was kam ich her, für alle Zukunft mir
Das Bild zu holen? goß es seinen vollen,
Endlosen Jammer nicht in meine Seele,
Daß es noch heute mich in meinen Träumen quäle?
Was kam ich her? O Rätsel! – Warum hängt
Denn auch das Auge starr noch über Zügen,
Auf die der Tod schon seinen Tau gesprengt,
Und über Herzen, die verpulsend fliegen?
So, glaub' ich, war's: mich riß ein Sehnen fort!
Nur einmal wollt' ich hören noch sein Wort!
Meins war gebannt – ich hab' entsetzt geschwiegen,
Und zugesehn, wie Mond- und Fackellicht
Abwechselnd überflog sein marmorblaß Gesicht.
Ansprengt' ein Pferd! – ein hohes, weißes Pferd!
Es brach durchs Volk mit raschen, zorn'gen Hufen –
Ein Donnersturm, der einen Forst durchfährt! –
Und eine Stimme hört' ich »Inez!« rufen.
O, welch ein Ton! Sie kannt' ihn – schaute groß
Und frei sich um! Ein Reiter, atemlos,
Sprang aus den Bügeln, flog die Rasenstufen
Zu ihr hinunter, warf mit kräft'gem Streiche
Die Gaffer rings zurück, und schloß ans Herz die Bleiche.
Und einen Augenblick wich alles weit
Der Leidenschaft, die so zu Tage blitzte;
Ein zitternd Vöglein – doch in Seligkeit! –
Lag an der Brust sie, die sie trug und stützte,
O Liebe, Liebe, heilig, heiß und fest,
Die Wonne selbst aus solchen Stunden preßt:
Gäb' es ein Fleckchen, das dich dauernd schützte,
Zu herrlich wär' die Welt, zu voll des Schönen!
Zu bitter wär's, im Tod sich ihrer zu entwöhnen!
Doch sie – der Weide gleich, die sturmgeknickt
Hinsinkt am Strome mit zerwehten Zweigen –
Sie hing gebrochen, ach! und doch entzückt
An seinem Halse; fühlt' in sel'gem Schweigen
Tiefsicher sich bei dem geliebten Mann;
Ihr war's, als trennte nichts mehr sie fortan,
Als wäre sie für immer nun sein eigen! –
So wähnt ein Kind auch, bar sonst aller Wehre,
Daß an der Mutter Brust kein Blitzstrahl es versehre.
Ein kurzes Ruh'n! – Auf zorn'ger Wellen Höh' .
Ein flüchtig Klingen süßer Himmelslieder,
Hinschwimmend durch die sturmzerwühlte See
Und ihre Schäume. – Bald verfinstert wieder,
Drang Ort und Stunde grimmig auf sie ein!
Wie Tropfen Blutes, rot vom Fackelschein,
Rann ihrer Tränen wilde Stürzflut nieder –
Heiß, Guß auf Guß! – als wollt' ihr ganzes Wesen
An des Geliebten Brust in Tränen auf sich lösen.
Doch er; – wohl wüßt' er, daß umsonst sein Streben!
Und dennoch hofft' er! mit der Liebe Flehn
Von ihrem Glauben wollt' er sie dem Leben
Zurückgewinnen! – O sie war so schön!
Der Zeit gedacht' er, wo sie wild und frei,
Wie lauter Licht, wie lauter Lenz und Mai
Ans Herz ihm flog! Er konnt' es nicht verstehn,
Daß all' die Lust, die frisch durchs Blut ihr rollte,
Im Ernst die Bitterkeit des Todes kosten sollte!
Er küßt' ins Leben sie zurück. – »Sei mein!
Inez! mein alles! O', wirf ab den Wahn,
Der dich verlockte! Hat nicht Sonnenschein
Rundum gelacht noch, Inez, deiner Bahn?
O, bann' ihn dir! dein sei die Lust, das Licht!
Nimm sie und gib sie! o, verlaß mich nicht!
Du warst mein Glück, mein Hort von Kindheit an!
Dein Bild im Herzen schweift' ich durch die Meere;
O, bleib' am Leben mir! o, stirb nicht, da ich kehre!«
Wild sah sie auf; ängstliche Augen harrten
Auf dies Emporschau'n – Augen, ernst und trüb!
Alvars, Theresens! – Ihrer Kindheit Garten,
Mit allem drin, was heilig ihr und lieb,
Lag in
den Augen! – Ihre Hände rang sie;
Furcht, Glaube, Liebe – alles das durchdrang sie,
Ach, und des Lebens heißer, mächt'ger Trieb!
Du bebend Rohr! Mir war's, als ob ich wüßte,
Daß brechen dich der Sturm – nicht bloß erschüttern müßte!
Und also war's – sie wurde bleich und rot,
Wie ihres Blutes Welle kam und ging;
Blau ihre Stirn beschattete der Tod,
Ihr Auge sank, und durch der Wimpern Ring
Schien feuchter Glanz. Dann überkam ein Zittern
Den zarten Leib – ein Zucken und ein Schüttern,
Bis ihren Geist, was drüben ist, empfing.
Still lag sie da, vom Arm der Lieb' umfangen:
Sie – was von Erde war! was liebte, war gegangen!
Triumph um dich! Triumph, befreite Taube!
Wo du entflogst, ist eine Siegesstätte!
Getäuschte Rache naht sich deinem Staube,
Doch du bist frei, und
durch ist deine Kette!
Und nicht verleugnet in der letzten Stunde
Hast du dein Hoffen, ob mit bangem Munde
Die Lieb' auch kam, daß bittend sie dich rette;
Ob auch des Lebens hell und sonnig Glänzen
Wach deine Sehnsucht rief mit allen seinen Kränzen!
Doch Weh' um ihn, der fühlen es gemußt,
Wie zuckend dein Herz dicht an seinem brach!
– Die eis'ge Kälte kaum der stillen Brust,
Das Schweigen kaum, das um dein Auge lag,
Brachte zurück den Glauben ihm, den herben,
Den fürchterlichen, daß du wirklich sterben,
Gewißlich sterben konntest! – Ach, der Schlag
Traf ihn zu jäh in seines Hoffens Fülle –
Schlaff löste sich sein Arm – hinsank die starre Hülle!
Man zwang ihn fort. – In seiner Seele Jammer
Ausstieß er Worte, wild und grimm und dreist,
Wie glühend Eisen unterm wucht'gen Hammer
Hierhin und dorthin zorn'ge Funken schmeißt!
Sie wußten's höhnisch ihm als Schuld zu deuten:
O, sprengt' ein Herz im Brechen seine Saiten,
Manch rauhe Hand dann, kalt und frevelnd, reißt
An den zersprungnen, daß sie gellend dröhnen,
Und nennt Verbrechen gar ihr schrill und seltsam Tönen.
Doch dich in ernster Freude, gläubig Paar,
Sah ich herab auf die Gestorbne schauen;
Der Fackeln Glut beschien dich tagesklar: –
In deinen Zügen Friede, Ruh', Vertrauen!
Ich sah die Angst von meines Alvars stolzen,
Erhabnen Mienen glorreich fortgeschmolzen;
Kein Zweifel mehr bewegte seine Brauen.
Die blasse Stirn der Toten küßt' er leis:
»Dein Kampf ist ausgekämpft! Ruh' aus! dem Herren Preis!«
Ich fuhr empor; – er war es, der gesprochen! –
Ein einz'ger Hauch schrie meine Seele wach;
Ihr eh'rner Schlaf, ihr Starren war gebrochen –
Gefühl, Gedanke kehrten hundertfach.
– Zieht nicht im Südwind so ein weiches Wehen,
Vor dem die Ketten springen und vergehen,
Die rauh der Winter schlug um Strom und Bach?
– Ich riß mich los – wild bin ich vorgedrungen.
»Freund, Bruder! lebewohl!« so hielt ich ihn umschlungen.
Rief
er nicht »Lebewohl?« – Kein Hauch, kein Ton!
Doch sagt' ein heiser Murmeln aus der Menge,
Daß ihr verhüllt blieb allzu lange schon
Der Todesschau geheimnisvoll Gepränge.
Dann – wie zwei Männer trennt der Brandung Rollen,
Die miteinander mutig sterben wollen,
Trennt' uns der Volksflut Anprall und Gedränge!
Er ging drin unter –
ich bin durchgeschwommen;
Seelzagend stürzt' ich
fort von dem, was sollte kommen!
Fort! – Sieh', da hob die Flamme sich mit Macht!
In spitzigen Säulen wuchs sie rasch und hoch,
Bis hellen Scheins die klare Mitternacht
In ihrem Rot ein blut'ger Mantel flog;
Bis, wie sie strömt' und wallte mit den Winden,
Die Stadt zu glimmen und sich zu entzünden
In ihrem Glaste schien; – taghell umzog
Das Werk des Todes er! – von Furcht gebannt,
Harrt' ich des ersten Schrei's, die Augen in der Hand.
Und hört' ich ihn? – Hört' ich ins Ohr mir dringen
Den gellen Wehruf, der es nie verläßt? –
O nein! ein süßes, feierliches Singen
Durchbrach die Flammen, laut und klar und fest!
Die stolzen Töne! Wohl erkannt' ich sie,
Als voll heranfloß ihre Melodie!
Stimm' eines Mannes – frei und ungepreßt,
Wie sie die Schlacht beherrscht in ihrem Grimme –
Dröhnt' in das weiche Flehn von eines Weibes Stimme.
O, furchtbar war's und glorreich doch, zu wissen,
Daß diese Töne, die so jauchzend klangen,
In ihrer Luft den bodenlosen Rissen
Des allertiefsten Menschenweh's entsprangen!
Alvar, Therese! – was ist stark, was hehr? –
Der Odem Gottes in der Seele! –
Der
Schwellt' eure Stimmen, daß so kühn sie sangen! –
Zunahm die Glut – die Hitze stieg und stieg –
Matt wurde der Gesang – ich lauschte hin – er schwieg!
Und du warst Asche nun, o du Getreuer,
In dessen Blick sich meine Seele sonnte;
Du, der allein durch spät'rer Jahre Schleier
Der Kindheit Bilder frisch mir zeigen konnte!
Wohl mochten andre fürder stützen mich: –
Doch
die Gedanken mischten du und ich,
Die einmal nur am Lebenshorizonte,
Und dann nicht wieder, sprühn! – Kein ander Wesen
Vermochte mir zu sein, was du mir warst gewesen!
Doch weint' ich nicht um dich! zu tief für Zähren
Die Leidenschaft, mit der ich hing an dir!
Du Kühner, Stolzer –
dir ein Grab zu wehren!
Dir deines Kriegernamens blanke Zier
In Schmach zu tauchen!
Du und schuldig sein! –
Kannt' ich von Kind auf nicht dein Trachten? – Nein,
Und hatte laut die ganze Erde mir
Dein Urteil zugeschrien aus einer Kehle:
Doch hätt' ich dir vertraut mit fester, voller Seele!
Es gibt im Leben starke, schnelle Stunden,
Die Stürmen gleich sind, recht in ihrer Macht!
Sie stürzen Dinge, die wie Felsen stunden
Dem zweifellosen Geist; – in seine Nacht
Gießen sie Licht: – so wird der Wald erhellt,
In dem ein Eichbaum jähen Sturzes fällt! –
Die Nebel jagen sie – und wild entfacht
Glühn sie das erzene, von Jahren volle
Blatt des Gedankens an – es schrumpft wie eine Rolle!
So
diese Stunde! – mit gewalt'gem Fluten
In meine Seele trat sie, ernst und groß!
Noch wogten auf und ab die roten Gluten,
Sengend mein Herz; – es lechzte atemlos
Nach Luft, nach Freiheit und nach Einsamkeit!
O, eine Wüste damals, wild und weit,
Um meine Stimme mit der Winde Stoß
Brausenden Schalles durch den Raum zu jagen,
Und der Geschicke Sinn den Sternen abzufragen!
Die Wolk' im Flug, die zorn'ge Windesbraut,
Die ältesten Himmel hätt' ich gern beschworen:
»Sprecht! zeigt mir Wahrheit!« – Durch die Sturmnacht laut
Hätt' ich es Alvars, des Gestorbnen, Ohren
Zurufen mögen: »Kehre! gib mir Wahrheit!« –
Heiß, fiebrisch durstend rang mein Geist nach Klarheit,
Voll von Gedanken, die gefesselt goren! –
Von neuem floh ich – ziellos wild hinaus! –
Bis plötzlich mich umfing ein einsam Gotteshaus.
Ein mächt'ger Münster, dunkel, stolz und weit! –
Wie still die Schläfer unter seinen kalten
Marmornen Fliesen! – Die Vergangenheit,
Als müßte schweigend Totenwacht sie halten
Auf diesem Estrich, schien mit finsterm Brüten
Die prächt'gen Räume nebelhaft zu hüten!
Trüb in den Gängen starrten die Gestalten
Steinerner Männer unter Panzerwucht; –
Stumm alles, wie die Nacht in einer Bergesschlucht.
Und stummer noch! – Denn dort ist Wasserfall
Und Wind und Laub und krachender Äste Schwingen!
Hier ließ ein eigner hohler Widerhall
Sogar mein Atmen noch zu taghaft klingen!
Zu laut mein Fußtritt für den Mondenschein,
Der durch die Bogen strömte, voll und rein! –
Und ich stand still: – verhallt Gebet und Singen!
Nur wehte noch ein leichenhafter Duft
Von Weihrauch. – Ich stand still – vor Gott und vor der Gruft.
Denn ihr umgabt mich, Tote dieser Stätte!
Ich sah euch ruhn mit Kreuz und Helm und Schild!
Ob euer Staub sich nicht erhoben hätte,
Wär' ihm ein Ruf erklungen, dreist und wild?
Wohl trug kein Beter noch an eure Gitter,
Was ich euch bot, ihr Priester und ihr Ritter!
So war wohl keiner noch von Zorn erfüllt,
Von Angst und Zweifel! – Hätt' ich reden wollen,
In eurer Särge Pomp hättet ihr zittern sollen!
Doch könnt' ich's nicht! – Hier nicht, in diesen Chören,
Die ein Jahrtausend langsam schon durchfloß!
Hier nicht, bei Schreinen, hell noch von den Zähren,
Die brünst'ge Andacht knieend dran vergoß!
In ihrer düstern Pracht zu mächtig drohten
Altar und Gruft mir – drohtet auch ihr Toten!
War nicht
der Glaube euer Sarggenoß,
Der auf der Brust mir lag mit Bergeslasten;
Hier wälzt' ich ihn nicht ab; – wozu noch bei euch rasten?
Ich wandte mich; – ein mattes Glänzen schon!
Gleichwie durch Nebel Schnee der Bergesau
Dem Auge schimmert! Nacht und Mondlicht flohn;
Frühdämm'rung nahte – langsam, schattig, grau,
Doch immer Dämm'rung! – durch die Fenster strömend,
All' ihre Farben glorreich mit sich nehmend,
Warf Strahl auf Strahl sie, eine glüh'nde Schau!
Der Strahlen einer aber glänzte klar,
Wo still und bleich ein Bild herabschien vom Altar.
Dein Bild, Sohn Gottes! – Eine zorn'ge Tiefe
Mit Schaum und Sturm und Wolken um dich her,
Und eine Wucht von schwarzer Nacht! – wer schliefe
In solcher Nacht auf einem solchen Meer?
Und vor dir trieb ein Fahrzeug, sturmgefaßt,
Zerrißnen Segels, mit gebognem Mast;
Du aber, gleitend wie ein Geist, und hehr,
Bewandeltest die Flut mit festen Füßen,
Hin durch der Winde Groll, die einen Pfad dir ließen.
So still dein weiß Gewand! kein Lufthauch war,
Der es bewegte – ruhig jede Falte!
So still dein wellig, dein gescheitelt Haar,
Das von der hellen Stirne niederwallte!
Die Himmel schwarz, die auf dich niederschauten,
Die Wogen finster, die den Kahn umgrauten!
Auf dich allein, da rings Gewölk sich ballte,
Floß hellen Lichtes breite, volle Pracht –
Du warst der einz'ge Stern, o Heiland, dieser Nacht.
Hilf, Herr, ein Sinkender! – Dein einsam Glühn
Fiel auf sein bleich und zagend Angesicht,
Das furchtverzogen dir zu rufen schien
Durch Sturm und Brandung: »Hilf, Herr! – laß mich nicht!« –
Und nicht vergebens! Daß er Rettung fand,
Reichtest du helfend seiner Angst die Hand!
Du bist das Leben und du bist das Licht: –
Zuviel von unsrer Qual hast du getragen,
Als daß du unsrem Flehn je könntest dich versagen!
Du stärktest ihn! – Könnt' überm
Tode auch
Aufgehn dein Antlitz, Herr, mit seinem Schein?
Dein Antlitz, strahlend durch des Irdschen Hauch,
Und doch so hehr, so mild, so göttlich rein?
– O, dies Prophetenauge, still und stet,
Von Liebe voll und Schmerz und Majestät!
Und diese bleiche, hohe Stirn! – Ein Schrein,
Auf dem die Macht saß, hell und frei und groß,
Ansagend: »Dieses Haupt ist
jetzt nur kronenlos!«
Und über allem dieses Lächeln dann,
Und dieser Mund, voll Gnade, voll Verzeihen!
Zu diesem Blick einst sah der Staub hinan?
Zu eben diesem – dem verhüllten, treuen?
So warst du ganz, als dich die Erde trug?
Gewiß! mein Herz, das erst so zornig schlug,
Ward still vor dir, gleichwie vor deinem Dräuen
Still ward das Meer und leis die Winde wehten: –
Was hatt' ich hier zu tun, als weinen, knien und beten?
Und in der Stille fleht' ich bei den Toten:
»Bei jenem Kelche, den die Sterblichkeit,
Voll ihres Weh's, Erlöser, dir geboten –
Hör' eine Seele, die nach Lichte schreit!
Gib Licht, gib Licht! auf daß ich wissen mag,
Ob man in
deinem Namen sengender Schmach
Und frühem Tode Menschenherzen weiht!
Und wo denn nur zuletzt, wenn
du es bist,
Der solche Dinge will, Heil und Erbarmen ist?
Doch ließest du nicht aus den gier'gen Fluten
Hilfreichen Arms den Sinkenden erstehn?
Und hat man dich, den Milden und den Guten,
Bei Menschengräbern weinen nicht gesehn?
Ist denn gewiß dies Stacheln und dies Quälen,
Dies Niederhalten offner, freier Seelen,
Die, ihren eignen Weg zu Gott zu gehn,
Der Satzung Schranken mutig niederrissen,
Dein Wille nur? – gib Licht! laß mich die Wahrheit wissen!
Denn meine Seele blutet und ist wund
Von dieses Tages Leidenschau und Tränen;
Und meines alten Glaubens fester Grund
Weicht unter mir – woran soll ich mich lehnen?
O, wenn du jemals mit der letzten Angst,
Der allerbittersten, des Staubes rangst;
Wenn du das Sterben kennst: – hilf meinem Sehnen!
Reck' aus die Hand, mein wild und wandernd Denken
Von seinem nächt'gen Ziel huldvoll zurückzulenken!«
Und ruhig stand ich auf: – am Himmel schweben
Sah ich die Sonne schon mit freud'gem Glühn!
O, könnt' es Unrecht, Kerker, Ketten geben
In einer Welt, der solch ein Leuchten schien?
Die Kirche füllt' es; seine Flammen strahlten
Das bleiche Haupt an, das aus dem gemalten
Sturm niederblickte: selbst die Gräber sprühn
Und leben ließ es! – Weh', daß solche Pracht
Der Mensch sich wecken läßt – und doch zu Schmerz erwacht!
Ich suchte meinen Herd: – und du, mein Sohn,
Der du dich tummelst auf des Waldes Kante,
Und dessen Auge tausend Qualen schon
Mit seines Lachens hellem Blitz mir bannte –
Ein Säugling noch, auf deiner Mutter Schoß,
Sahst du mich an, du Lieber, klar und groß!
O, wie dein Lächeln heiß ins Herz mir brannte!
Ein besser Erbteil schien es zu erflehen,
Als
das: auch einst zu sehn, was schaudernd ich gesehen!
Nun spiel', denn du bist frei! – Die Vögel jagend
Von Baum zu Baum mit ausgelassnem Schrei,
Um deines Rehes Hals die Arme schlagend,
Spiel' zu, mein jubelnd Kind! denn du bist frei!
Ja, jene Stunde schwur ich innerlich,
Ein besser Teil, als meines war, für dich
Zu suchen, Knabe! – nimmer wollt' ich scheu
Bei deiner Lust vor künft'gem Elend beben;
Furchtlos wollt ich sie schau'n und froh – wie jetzo eben!
Reich deine Welt hier! – Wald und Felsenhänge,
Die frisch Gerank und üppige Blumen zieren!
Die Sonne schwimmt durch die gesäulten Gänge
Der laub'gen Halle, wie durch Klostertüren.
Nur Gräbern scheint sie nicht – hier fällt kein Strahl
Durch farb'ge Scheiben auf Altar und Mal;
Doch du, den Quell und Waldgemurmel führen
Zur Andacht, bist beglückt: – dein einz'ger Schrein
Die Erde, grün geschmückt für ihren Gott allein!
Du .... stehst nicht ein,
Wie diese treue liebe Seele
Von ihrem Glauben voll,
der ganz allein
Ihr seligmachend ist, sich heilig quäle,
Daß sie den liebsten Mann verloren halten soll.
Faust.
Nie werd' ich lächeln mehr; all' meine Tage
Gesenkten Auges leise werd' ich gehn,
Ein ewigklingend Lied in meiner Seele.
Wilson.
Bringt mir das Brausen freud'ger Waldesbäche!
Und noch ein volleres: – frischer Bergwind, weh'!
Und du sodann, Strom, dessen grüne Fläche
Nie Schlachten färben – du auch, heller See,
Der du dich dehnst in deinem Wälderringe
Vor meinem Blockhaus – kettenlose Dinge
In eurer Einsamkeit: betäubt mein Weh'
Mit frohen Stimmen! sorgt, daß meine Seele
Mutvoll zurückschau'n kann in eine Kerkerhöhle!
Indianerhäuptling, rasch von Blick und Füßen,
Der du im Dickicht oft begegnest mir,
Mit deinem Bogen und mit deinen Spießen
Das Reh verfolgend und das Elentier:
Du, der bei Nacht im Schein der roten Glut
Unter den Sternen und den Zedern ruht: –
Fremd sind, o Wandrer, die Verließe dir,
Die Menschen bauen auf der grünen Erde,
Daß Menschen ihre Pracht und Lust genommen werde!
Drin liegen sie, und denken, wie so helle
Die Sonn' indes am blauen Himmel glüht;
Wie sie die ödeste, die fernste Stelle
Mit Lichte füllt; und wie der Strom hinzieht
Durchs dunkle Gras mit seinem lust'gen Glänzen
Und durch die Wasserblumen, die ihn kränzen;
Und wie der Frühwind rauscht in Baum und Ried! –
O,
das zu denken, und indes gebunden
Ans Herz der Nacht zu sein: – ich hab' es
auch empfunden.
Und warum das? – Weil ich mit freiem Wagen
Die Bibel las, mit Licht zu sättigen mich!
An ihrem Ursprung dorten fand das Tagen,
Den Tag, den Mittag aller Freiheit ich.
Weh', nur zu hell fällt dieses Lichtes Brennen
Auf das, was Menschen stolz die Wahrheit nennen –
Drum sucht der Mensch dem Menschen freventlich
Den Blick zu trüben! darum sucht er dreist
Zu fesseln an den Staub, was himmlisch ist – den Geist!
'S ist ein Bestreben, herb und mühevoll,
Das brennende Wort zu halten in den Schranken,
Und in der Seele dunkler Urne Groll
Und Zorn zu häufen – selber den Gedanken
Zu einem Schatze machend, der nur dann
Mit kühnem Spruch gehoben werden kann,
Wenn Nacht und Schlaf und Schatten niedersanken.
Ich trug es nicht – in dumpfen Kerkermauern
Mußt' ich gefesselt drum an einem Pfeiler kauern.
Ha – ich, ein Sohn des Kriegs, der unter Speeren
Zu Hause war und auf bewegten See'n;
Ich, der ich, jubelnd auf den Kordilleren
Kastiliens Banner ließ im Winde weh'n;
Ich, der ich färben sah ihr schneeig Weiß
Des runden Regenbogens vollen Kreis:
Ich, der daheim ich von den Pyrenä'n
Bis zur Morena schritt – wie hatt' ich Kraft,
Zu retten Seel' und Leib aus dieses Grabes Haft?
Weil
du mich nicht verließest, o mein Gott!
Du warst mit denen, so die Wahrheit bargen
In Wüsteneien weiland vor dem Spott
Und vor dem Blutdurst der gewalt'gen Argen:
Du schütztest sie, wenn sie im Haus der Toten
Unsterblich Feuer unsrer Leuchte boten;
Und im Gebirge, wenn sie unterm kargen
Sternlicht dich ehrten, warst du allezeit
In ihrer Mitte, Herr – ein Stärker da, wie heut!
Doch einmal sank ich! O, des Geistes Schwäche!
Warum, woher die Stürme, die ihm nahn?
Die, wie vom Boden an die Oberfläche
Versunkne Trümmer aufspült ein Orkan,
Ein schwimmend Heer von längst vergeßnen Dingen
Zurück ans Licht aus seinen Tiefen bringen!
Warum, wie Rohr, weht uns ein Lüftchen an,
Erzittern wir? – So, Vater, müssen wir,
Bis unser Auge fest ausruhen kann auf dir!
Einmal starb in mir meine Seele. – Was
Ließ sie erliegen? – Ein Erinnern nur
An eine Quelle, rieselnd durch das Gras
Auf meiner Kindheit blumenreicher Flur! –
Das Wasser wohl, das von der Decke tropfte,
Und also hallend auf den Boden klopfte,
Daß weckend es durch meine Seele fuhr,
Lieh vom Gedächtnis einen Ton der Klänge,
Die ewig jener Bach singt durch die Felsenhänge.
Und so von Sehnen ward ich hingerissen,
So schaffend glühte meiner Seele Brand,
Daß jener Ort in meinen Finsternissen
Urplötzlich sichtbar mir vor Augen stand.
Ja, wie ein Stern hervortritt aus der Nacht,
Brach er durchs Dunkel, hell, in laub'ger Pracht,
Mein liebster Zufluchtsort! – bis rings die Wand
Gewichen schien, und tiefe Himmelsbläue
Schwülatmend mich umgab und ernster Hügel Reihe.
Ich blickt' hinaus: – des Stromes klare Flut;
Hoch auf dem Berg die maurische Ruine;
Der alte Turm, schroff in des Westens Glut
Die Zinnen reckend; drüben dann die Grüne
Glorreicher Waldung, die herniederlief
Bis an die Wasser, drauf der Abend schlief,
Daß sie sich spiegle noch mit finstrer Miene!
O, welch ein Bild! Und in dem Bilde lachte
Mir meines Kindes Blick, und ihrer, die mir's brachte!
Ihr sanftes Auge schaute still hinan
Und liebevoll zum glüh'nden Himmelszelt,
Wie da zuletzt wir dort am Flusse sah'n
Des Sonnenunterganges reiche Welt: –
Ein Strom von Zärtlichkeit durchwallte mich –
Ich stürzte vor – ausstreckt' ich brünstiglich
Die Arme – Weh', verschwunden Strom und Feld!
Der teuren Züge jeglicher verwehte!
Hinschmolzen alle sie – hin mit der letzten Röte!
Dann Finsternis! sie kam, und schloß mich ein,
Eng, immer enger! einzuschrumpfen schien
Um mich die Zelle, als mit seinem Schein
Ich das Gesicht in Dunkel sah entfliehn!
In eitel Nacht verschwamm es meinem Blick,
Doch solch ein Dürsten ließ es mir zurück,
Daß um den Tod ich schrie auf meinen Knien!
O Gott, wie oft wohl weinte sich der Kummer
Zu Tode, käme
der beim Weinen, wie der Schlummer!
Ich ward geweckt – und wie? – selbst nicht für euch,
Ihr schattigen Öden hier, ist die Geschichte!
Nicht mach' ihr Hören meinen Knaben bleich!
In seine Waldlust nicht bei Tann' und Fichte
Tret' ihr Gespenst! – Erst werde dunkler noch
Sein sinnend Auge! männlicher Gepoch
Heb' erst die Brust ihm, eh' ich das berichte,
Was ihn durchzucken wird, wie fressend Feuer! –
Freundlich umhüll' ihn noch der Kindheit lichter Schleier!
Genug, daß ich die Stunden überstand,
Und unentwürdigt, die uns niederbeugen,
Weil Staub wir sind. Es liegt in unsrer Hand,
Des Unterdrückers grimme Lust zu schweigen!
Der Indianer lacht und stirbt am Pfahl:
Und sollte siegend nicht aus kurzer Qual
Die Wahrheit heben ihre freud'gen Zeugen?
Die Folter auch kann überwunden werden –
Ich sah, wie Alvar starb – und rang den Schmerz zur Erden!
O Herz des Menschen, unterliege nicht!
In dunkeln Höhlen und in tiefen Zellen –
So tief, daß brausend sich das Weltmeer bricht
Hoch über ihnen mit empörten Wellen! –
Hob Dulder schon ein unauslöschlich Hoffen;
Sie harrten still – da stand ihr Kerker offen,
Und ließ erstehn sie zu des Tages Hellen!
So mich! die Kette warf ich rasselnd nieder,
Und sah die grüne Welt in sel'ger Freiheit wieder!
Es war ein Augenblick, der durch mein Leben,
Wie lang es flutet, seine Furche zieht! –
Zornig Gewölk sah um den Mond ich schweben,
Doch sprang mein Herz und sang ein jauchzend Lied! –
Du Licht des Schiffers und des müden Hirten;
Des Jägers auch, des im Gebirg verirrten,
Wo ewig zitternd deine Sichel glüht
In tausend Strömen! – Weinend mußt' ich stehn –
O, welch ein Anblick ist der Himmel, so gesehn!
Die Wolken! – Ha – den ganzen blauen Raum
Durchsegeln sie! – Bis in die fernste Bucht
Des Äthermeers mitsegelte mein Traum –
Dann aber hastig wandt' ich mich zur Flucht!
Wie der gejagte Wolf flieht, mußt' ich fliehn!
Fern wußt' ich eine Stätte: nie beschien
Die Sonne sie – die rauhste, wildeste Schlucht
Von allen Schluchten in der Sierra Mitten,
Die Sturmesflügel nur und Adlerflug durchschnitten!
Und Sturm fand ich in ihr! Gewonnen hatt' ich
Der Wildnis Herz mit schnellem, scheuem Fuß!
Ein ächzend Wehn! Die Bäume, hoch und schattig,
Streuten ihr Herbstlaub raschelnd mir zum Gruß!
Ein Wehn – ein Windstoß – und mit Blitz und Schloßen
Losbrach das Wetter – Wald- und nachtumflossen,
Stand ich auf Klippen, flutbenetzten Schuh's! –
Auf jähen Klippen, einst Wohl Glaubensfesten,
Als Trommeln Afrikas erschütterten den Westen!
Doch durch den finstern Hohlweg kamst du schwellend –
Wild in den Hügeln hausest du, Orkan!
In deinem Flug die stolzen Zedern fällend,
Helmfedern gleich auf des Gefechtes Plan!
Ein Eichbaum krachte neben mir zu Boden –
Du bist ein Held im Brechen und im Roden!
Aufflog ein Falk – scheu lief ein Reh bergan!
Ein Glöcklein aber tönte fern durchs Brausen
Des Sturmes – ha, mein Geist fuhr hin mit seinem Sausen!
Und mit dem Wetterstrahl! – Er zuckt' und blitzte,
Und brach entzwei der Bäume krumm Geäst,
Und leuchtete, wo wild der Waldbach spritzte
Empor am Felsen bis ins Adlernest!
Ha, frei zu stehn in dieses Kampfes Dröhnen,
Den Sturm zu hören und der Fichten Stöhnen,
Dazu den Donner – war es nicht ein Fest?
Ein prächtig Fest in lauter, tobender Macht,
Nach Jahren, drin ich sah nur eine stumme Nacht?
Dann aber führten eine sanft're Stunde,
Ein mild'rer Mond zurück zur Heimat mich;
Durch die Kastanien eilt' ich tief im Grunde,
Wo mancher Mittag mir am Quell verstrich.
Einst ruht ich hier – jetzt schritt ich hin wie einer.
Der nicht verweilen darf, wo Murmeln reiner
Waldbäche rauscht, und Vögel schwingen sich.
Des Rächers Stimme tönt ihm nach im Winde,
Des Feindes hast'ger Fuß im Laub der Waldesgründe.
Haus meiner Kindheit! o, wenn es ein Schmerz,
Ein bittrer Schmerz ist, von der Statt zu scheiden,
Die lieben lehrte unser junges Herz;
Wenn es ein Schmerz ist, alle die zu meiden,
Die unsrer Brust fürs Leben angehören –
Ist's ein gering'rer, zagend heimzukehren,
Wenn alles schwand? – Es ist ein herbes Leiden!
Selbst Tränen stillen's nicht! sagt nicht ihr Fließen,
Daß alles anders ist, als da wir es verließen?
Die Sonne nicht, die ewig prangend steht,
Die grüne Flur nicht und der Quelle Singen,
Der Duft der Blumen nicht, der kommt und geht
Durchs Lenzgefilde, wie ein wandernd Klingen: –
Sie wechseln nicht – sie sind's nicht, die uns lehren,
Wie Zeit und Kummer nagend an uns zehren!
Das trübe Aug' ist's zwischen tiefen Ringen;
Die falt'ge Stirn; der lange, starre Blick,
Der schmerzlich es gesteht: »auch du kehrst alt zurück!«
Vor meinem Vater stand ich – ernst und trübe.
Ein Fremdling jetzt, trotz meiner Wiederkehr!
Hier war ein Kind ich: – ach, dieselbe Liebe,
Die einst mich großzog, kannte mich nicht mehr!
Dort hing die Rüstung, die von Rost zerfress'ne;
Der alte Helmbusch dort, der unvergess'ne;
Dort das Panier, durchbohrt vom Heidenspeer.
Und ich, der müde, früh ergraute Wandrer,
Wer war und stand ich hier? Derselbe, doch ein andrer!
Ein Knabe sprang herein – schwarzäugig, dreist!
Daß ich ihm fremd war, könnt' ich schelten drum?
Als man uns trennte, sah sein junger Geist
Zuerst verwundert in der Welt sich um.
Ihm folgt' ein Weib – ach, meiner jungen Tage
Geliebte Gattin! Mit entsetzter Frage
Traf ihr Blick meinen Blick – dastand ich stumm –
Wild starrte sie – bis heiße Tränen kamen.
Und meine Lippen laut aussprachen ihren Namen!
»Leonore!« rief ich; – sie erkannte mich;
Ihr Herz gab Antwort! – o, mit einem Ton
Tief in die Seele drängt die Stimme sich.
Auffrischend, weckend längst Begrabnes schon!
Die Stimme zündet, wenn: die Wangen sanken,
Wenn auf die Stirn sich lagerten Gedanken,
Wenn Licht und Jugend aus dem Antlitz flohn!
– Sie flog ans Herz mir, stürmisch und mit Weinen,
Wie derer Weinen ist, die Furcht und Elend einen!
Denn hier war unsres Bleibens nicht! – Mein Schloß
Mußt' ich verlassen; – ach, und dem Verfalle
Ging es entgegen; wuchernd Unkraut floß
Bald wohl hernieder schon von Turm und Walle!
Und keiner blieb, der fromm den Schutt benetzte
Mit seinen Tränen! Unsres Stammes Letzte
Ich und mein Kind! – Ich schritt hinaus zur Halle;
Mein Vater aber hob die zitternden Hände,
Daß mir und meinem Sohn er seinen Segen spende!
Mit Kummer, ach! belastet halt' ich ihn
In seinem Alter! ewig, glaubt' er, färbe,
Was ihm ein Brandfleck meines Namens schien,
Mit roter Schmach mein leuchtend Ruhmeserbe!
Und dennoch Segen! – Vater, wenn zu Staube
Schon deine güt'ge Lippe ward – mein Glaube
Hofft dort ein Wiedersehn, wo alles Herbe,
Wo Groll und Gram und Schande nicht mehr sind!
Dort weißt du: nicht durch Schuld betrübte dich dein Kind!
Und du, Leonore, die du alles gern
Um mich verließest: – o, wenn hell sich spiegelt
In meiner Wildnis Bächen Stern um Stern –
Wie wird dein Denken wieder mir entsiegelt!
Sie schienen unsrer Flucht; ihr tauiger Strahl
Ließ dich in Tränen durchs Olivental
Zuletzt den Ort schaun, der uns jetzt verriegelt
Für immer war! So flohn wir – zwei Verbannte,
Hinblickend, wo das Schwert vor unserm Eden brannte!
O Schmerz, zu sagen: »Heimat, gute Nacht!
Fahrwohl, du sonnig Land, du Land der Reben!«
– Für dich gestorben war' ich in der Schlacht
Doch nimmer fürder konnt' ich in dir leben!
Mein Spanien – ach, mit Myrtendüften schwimmen
Um deine Hügel des Gesanges Stimmen;
Orangenbäume siehst du voll sich heben –
Was galt mir alles? – zu der Bäume Füßen
Knien konnt' ich nicht, und frei mein Herz vor Gott ergießen!
Und übers freie Weltmeer fuhr ich frisch!
– O Mannesherz, das noch im Elend schwillt,
Wenn seine Barke teilt der Flut Gezisch,
Und wenn der Wind stolz ihre Segel füllt!
Ja, männlich schwillt es, was es auch begräbt!
Der Geist erhebt sich, wie der Wind sich hebt!
Der Zukunft angetraut, fortstürmt er wild;
Mit ihm das Weltmeer: ähnlich seinem Sinnen,
Sucht einen bessern Strand es brausend zu gewinnen.
Nicht so das Weib! – Selbst mit dem Lebenlosen
Verflicht ihr Herz sich, liebevoll und weich;
Ihr weiß sich alles in die Brust zu kosen,
Was sie umgibt. Der stillen Taube gleich.
Möchte sie weilen ewig an der Statt,
Wo sie geliebt, wo sie geboren hat!
Kein Blättchen bringt der Frühling, kein Gesträuch
Mit farb'gen Blüten läßt er neu sich kleiden,
Das, heimatduftend, nicht verbitterte das Scheiden.
Ich sah Leonoren an – ach, und wenn mehr
Als bloßer Tiefsinn ihre Stirn verhüllte;
Wenn ihre Augen, tränenfeucht und schwer,
Ein stiller Ernst, ein trübes Lächeln füllte:
So hielt ich es für ein Gedenken nur,
Ein sehnendes, an ihre Heimatflur,
Die bald des Westens prächt'ge Waldnacht stillte!
Die, dacht' ich mir, mit ihrem stolzen Klingen
ihrem Herzen bald den Frieden wiederbringen!
O, dürften länger, fester wir dich halten,
Wahn, der zu leicht nur taub uns macht und blind!
Dich, der da birgt in seines Mantels Falten,
Was wir nicht sehn und darum glücklich sind!
Doch, glüht ein Auge, Jahre schon uns nah,
Das unsre Seelen froh und finster sah,
Tönt eine Stimme, die sich traut und lind
In unsre Brust schlich, nicht zu hell der Liebe,
Als daß ihr Meinen uns je lang ein Rätsel bliebe?
Nur Heimweh, meint' ich, könne so verdüstern,
So niederbeugen dies geliebte Haupt!
Ich täuschte mich nur halb: – Ein leises Flüstern,
Stets wiederkehrend, manchmal auch geglaubt,
Ließ andre Furcht in meinem Herzen keimen!
Ach, Träumern sind wir gleich, die,
daß sie träumen,
Im Traume wissen! Wirr und lustberaubt,
Sehn seine Pracht sie, weil sie vorempfinden:
Das alles wird versprühn, das alles wird verschwinden!«
Doch vorwärts strebt' ich mit der Winde Wehn,
Hin durch des Meeres zorn'ge Wogenschlacht!
– O, fern und einsam auf den öden See'n,
Die für des Menschen Fuß nicht sind gemacht,
Hat je ein Mensch gelitten und erduldet,
Was du, Geliebte – ach, und unverschuldet! –
Auf ihnen littest? Müd' und überwacht,
Erlag dein Geist! Dein stiller Gram ward Schrecken
Ausgab dein Hoffen mich, den Frechen, Überkecken!
Du sahst mein Inn'res – nackt und unverhüllt
Stand dir vor Augen jeder seiner Züge!
Vor andern mußt' ich heucheln noch, zum Schild
Für meinen Glauben machen noch die Lüge!
Ich konnt' es, mein' ich: hoffend sah mein Sinn
Nach einem grünen Heiligtume, drin
Zu seinem Urquell frei mein Denken stiege,
Wie Morgenwehn! – Doch du durchschautest mich
Bis tief ins Herz hinein, und bebtest innerlich!
Gefallen schien ich dir – doch unerschüttert
Blieb deine Liebe! Ob auch schmerzgeknickt,
Ob auch verdüstert und von Schmach verbittert,
Sie blieb, sie trieb! – Die Blume war gepflückt,
Doch stand die Wurzel frisch noch und voll Kraft,
Wie herb auch jetzt, wie ätzend auch ihr Saft!
Die Liebe war's, die noch das Elend schmückt,
Die auch der Schuld noch Kuß und Träne spendet,
Die vor dem Tode selbst sich nicht zur Seite wendet!
So warst du, ja! Achtlos des eignen Heils,
Wärst du gefolgt mir – nicht bloß auf die Meere,
Nein, aufs Schafott! Und wenn beim Blitz des Beils
Der Männer Wange blaß geworden wäre –
Dich hätte man auf des Gerüstes Höh'n
Zu meiner Seite betend knie'n geseh'n,
Mit meinem Herzblut mischend deine Zähre!
So warst du ganz! so hättest du – geneigt
Dein stilles, frommes Haupt – der Liebe Macht gezeigt!
Und das war deine Qual! Da noch zu lieben,
Wo dir die Liebe Züchtiger mußte sein!
Sonst – kamen Wolken, dir den Tag zu trüben –
Durchflog dein Geist sie, hoch im Sonnenschein
Sich Trost zu suchen! Ja, dein Auge sprach
Zumeist vom Himmel am
bewölkten Tag!
Das war vorbei – denn fortan nur
allein
Hättest du sehnend dich erheben können: –
Grad' vor dem Himmel sahst du unsern Weg sich trennen!
Momente gibt es, wo ein flüchtig Zeichen,
Ein halber Blick, arglos dem Aug' entflohn.
Wo ein Erröten oder ein Erbleichen,
Ein Wort – nein, wen'ger, eines Wortes
Ton
Der Seele Schleier hebt: er weht zerrissen –
Wir schau'n hindurch, und holen uns ein Wissen,
Das töten muß! So du und ich! Obschon
Kein Hauch von dir es ahnen ließ: ich wußte,
Daß ich – als Abtrünnling! – das Herz dir brechen mußte!
Dein süßes, trübes Abendlied – voll Seele
Hör' ich es jetzt noch durch die Meere ziehn!
Inbrünstiglich entströmen deiner Kehle,
Floß es von dannen mit dem prächt'gen Glühn
Des Sonnenuntergangs! – Heranzulocken
Die Heimat schien's und ihre Vesperglocken –
Ganz Spanien klang in seinen Melodien!
–
»Ave, sanctissima!« – Wie oft mit stolzen
Schwingungen hat
das Lied mein starres Herz geschmolzen.
Ave, sanctissima
'S ist Abend auf den See'n!
Ora pro nobis!
Aufsteigt unser Fleh'n!
Schütz' uns, nun Schatten sich
Breiten auf Golf und Sund!
Neig' unsern Herzen dich –
Deins auch war wund!
Du, die das Sterben sah –
Hilf, tut sich auf das Meer!
Hilf, ist der Tod uns nah!
Mutter, o hör!
Ora pro nobis!
Die Flut wiegt unsre Ruh'!
Ora, mater, ora!
Stern der Tiefe du!
»Ora pro nobis!« –. Welch ein Zauber lag
In dem Gebet nicht, wie es mit den Hellen
Des Tags vertönte! – Schien es Schlag auf Schlag
Von den Gewölben nicht heranzuschwellen,
Drin meine Väter schlummerten? – Wie scholl
Die fromme Weise süß und vorwurfsvoll!
»Ora!« – und Antwort murmelten die Wellen.
Das Rätsel meines Seins schien sie zu lösen –
Und Kett' und Folter doch war mir zu viel gewesen!
O Qual! – Ein Auge voll von mildem Schmerz,
Ängstlich entschauend seinem Kummerflore,
Durchbohrt uns tiefer, stechender das Herz,
Als Schwerter selbst, wie tief ihr Strahl auch bohre!
Ich trug es stumm – seit ich umsonst mich mühte,
Der Wahrheit Licht, das in der meinen glühte.
In deine Brust zu gießen, Leonore! –
Schweigen trat ein, wo gleiches Hoffen fehlte,
Wo ein Gebet nicht mehr die Seelen fromm vermählte!
Vereint nicht beten konnten wir fortan! –
Ringsum die Tiefe blitzte spiegeleben;
Die Tage sprüh'nd; prachtvoll die Nächte dann,
Klar, dunkelblau! – Also mit mut'gem Streben
Hinaus zum mächt'gen Kordilleren-Land
Mit Männern ging's, die jener goldne Strand
Meerüber lockte von der Heimat Reben. –
O, welch Gefühl, wenn auf den Wogen glüh
Die Abendsonne lag mit stolzer Alchymie!
Und dann die Nacht – die tiefe, tiefe Nacht!
Die brennenden Sterne! – Dich auch sah ich wieder,
O Kreuz des Südens! Licht, in heitrer Pracht,
Flammte dein strahlend Zeichen auf mich nieder,
Wie da zuerst dich meine Jugend sah –
Nein, anders flammt' es jetzt; nicht mehr, wie da: –
Mich traf seitdem der Pfeilschuß meiner Brüder!
Auf eine Stirne, die Gedanken beugten,
Auf eine Brust voll Schmerz sah mild herab dein Leuchten!
Doch Glück und Glanz auf die kristall'ne Flut
Ergossest du! Mein Weib indes – mit matten,
Anbetenden Augen folgend deiner Glut –
Stand in des Grabes langgeworfnem Schatten!
Wie schweiften rastlos suchend ihre dunkeln,
Verklärten Blicke, bis dein tröstlich Funkeln
Im tiefen Raume sie gefunden hatten! –
O kurzes Glüh'n! o allzu flücht'ger Schimmer!
O letzter süßer Strahl – erloschen bald für immer!
Noch ahnt' ich nichts – nur fühlt' ich mich gedrückt!
»Auf, lust'ger Seewind,« rief ich eifrig, »wiege
Uns an ein Land, das laub'ge Kühle schmückt,
Wo flatternd Grün an ihre Stirn sich schmiege!
Wo sie der Bach, verhangen vom Gebüsch,
In Träume singe! wo der Rasen frisch,
Sternig von Blumen, ihr zu Füßen liege!«
Doch fest gebannt hielt uns die Meeresstille;
Nie mehr betrat ihr Fuß der Erde Blumenfülle.
Als ob der Himmel auf den Wellen schliefe,
So ruhig war das Meer! Und reglos lag
Auf seiner blauen, grenzenlosen Tiefe
Der Schatten unsrer Segel, Tag für Tag!
Indessen
Sie – o Gott, kein herb'rer Schmerz,
Als der da packt ein stark und männlich Herz!
Und dennoch leb' ich! leb' und sinne nach,
Wie leise, leise, mählich sie verging!
Lieben, was sterben muß – es ist ein furchtbar Ding!
Ein furchtbar Ding, daß Tod und Liebe wohnen
Auf einer Welt! – Sie schwand dahin – und ich –
Ach, ich war blind! »Der Tod wird ihrer schonen« –
So täuscht' ich hoffend Stund' auf Stunde mich!
Bis ganz zuletzt! – Doch erst noch überkam
Ein Wechsel sie, eigen und wundersam:
Ein Ton, der jenem heitrer Freude glich,
Hob ihre Rede; dreist in neue Bahnen
Schwang ihr Gedanke sich! – Weh, dennoch nichts zu ahnen!
Dazu entsandte freien, wilden Strahl
Ihr flammend Aug', als trotzt' es dem Geschicke!
Dem Kinde glich sie, das zum ersten Mal
Der Erde Pracht sieht mit erstauntem Blicke!
Doch blieb ich blind – blind selbst bei solcher Schau!
Sonst lag im Auge der geliebten Frau
Ein lieblich Sinnen, auch im höchsten Glücke!
In sich gekehrt vordem, zu allen Zeiten
Durch eine Traumwelt schien die Lächelnde zu schreiten!
Und
solchem Feuer mocht' ich trau'n! – sie schied,
All seine Glut auf ihren frommen Zügen!
– Der Abend hatte seinen Glanz versprüht:
Sie aber war von ihrer Sehnsucht Flügen
Nach Spaniens Bergen stets noch nicht gekehrt.
Den ganzen Tag von Heimat und von Herd,
Vom Waldgebirg, drin still die Täler liegen,
Erzählte sie; von Myrten auch und Reben –
Wie zeigt dem Tode sich so schimmernd oft das Leben!
Und alte Lieder sang sie wild zur Zither,
Stückweis, wie jedes durch den Geist ihr schoß;
Das Lied vom Rächer, das vom Mohrenritter,
Das »Rio Verde.«« – Weich und klagend floß
Hinaus aufs Weltmeer ihrer Töne Flut. –
Nun sah sie an der Sonne letzte Glut –
O Gott, und jetzt zum letzten Mal ergoß
Ihr Herz im »
Ora, mater!« sich. – Wie trübe,
Wie traurig klang das Lied – ein Lebewohl der Liebe!
Zu ihren Füßen schlummernd lag ihr Kind –
»Den hätt' ich wieder still in Schlaf gesungen!«
Durch seine Locken strich der Abendwind –
Ich hob ihn auf, ich hielt ihr hin den Jungen.
Wie ruhig war sie jetzt! Des Knaben Wange
Mit bleichen Lippen küßte heiß und lange
Das fromme Weib – fest hielt sie ihn umschlungen!
An meine Brust dann, die zu springen drohte,
Sank ihre Stirn – im Arm lag blaß mir eine Tote!
Ich rief! – Zu rufen, was nicht Antwort gibt:
Mit tausend Tränen ungehört zu stehen
Und ungesehn bei dem, was wir geliebt,
Und reglos es bei unserm Schmerz zu sehen;
In des erloschnen Auges dunkler Höhle
Umsonst zu suchen die gefloh'ne Seele: –
Dies wartet unser! – Tot! – All unser Flehen
Bannt nicht
den Laut! Ihn, ach, von dem wir wissen,
Daß wir das Liebste auch mit ihm benennen müssen!
Und nun die Trennung! Ach, der letzte Blick
Auf diese fromme, rührende Geberde!
Das letzte Knieen bei dem süßen Glück,
Das einzig mein ward, daß geknickt es werde!
O, ernst und feierlich war ihre Ruh' –
Nein, nicht zu schauen wie der Schlaf bist du,
Tod, Tod! – Sie lag, bereit, daß sie die Erde
Mit Kränzen decke! – Weh, die nackte Flut,
Die keine Bahre schmückt, stöhnt Klagen, wo sie ruht!
Ein Totenglöcklein mitten auf der See,
Durch ihre Öde meinen Kummer läutend!
Es klang so lieb – o Gott, und doch so weh! –
Dunkle Gewässer, wüstenhaft sich breitend;
Des Südens Kreuz, dem Westen zugeneigt,
Vom Morgenstrahl beinahe schon gebleicht;
Rötliche Wolken fern im Osten gleitend –
Umgab mich das? – Aus meiner Seele Grunde
Auftaucht es mindestens, gedenk' ich jener Stunde!
Und nun die Sonne, breit und klar! – das Spritzen
Der grauen Salzflut unterm Leichenbrette!
Es schoß hinab – jählings mit raschen Blitzen
Auftat und schloß sie sich! – Ach, und dein Bette
Ist ein Geheimnis nun der finstern Meere,
Du Leuchtendste vordem! und keine Zähre
Findet den Weg zu deiner Ruhestätte!
Kein Mal bewahrt die See! Nicht zeigt sie an,
Wo, wer einst trauerte, von neuem trauern kann!
So schwandest du! O, der Verlorenheit,
Der Herzensöde dieser grausen Stunde!
Dich Staub zu wissen – der Unendlichkeit
Anheimgefallen – auf des Meeres Grunde
Rastend für immer – spurlos wie ein Laub
Hinabgerissen, wüster Klüfte Raub: –
Dich das zu wissen, die an meinem Munde,
An meiner Brust hing, wie ein süßer Mai –
Ich trug's, doch himmelan stieg meiner Seele Schrei!
Wo die Wracke liegen, wo das Blei nicht gründet,
Erstehn die Toten dort auch? – Selig sie.
Denen ein Hügel hoffnungsgrün verkündet:
»Hier einst erhebt der Staub sich!« – Spät und früh
Kann ihre Hand des Grabes Blumen pflegen,
Können sie Kränze auf den Rasen legen.
Und in sein Moos hinsinken auf die Knie!
Doch – welche Gruft nur dunkelt um
dich her?
O Träume! – bist du nicht, wo nicht mehr ist das Meer?
Auftat der Wind sich; unserm Ziel entgegen
Trieb uns sein Odem frisch und mit Gesang!
Ach, allezeit hier hätt' ich träumen mögen,
Den Fleck anstarrend, der mein Glück verschlang!
Da schnob der Seewind – meine Dumpfheit wich –
Weiß unterm Bugspriet brach die Welle sich –
Und du, umflutet von des Weltmeers Drang,
Bliebst einsam nun zurück! dein stilles Grämen,
Dein Bild nur folgten mir – wo ließ ich die mir nehmen?
Ich will nicht jammern! stumm jetzt ist mein Weh,
Stumm jetzt die Qual, die mir im Herzen brannte,
Als durch den Schaum der aufgewühlten See
Ein wild Fahrwohl ich deinem Grabe sandte! –
Der über uns in seines Lichtes Schein
Gelassen dasitzt, wird dem Staub verzeih'n,
Der allzu liebend sich zum Staube wandte!
Er weiß es ja, daß Liebe Schmerz gebiert –
Schmerz, der zu ihm zurück die müde Seele führt!
Und kann ich's leichter, freier jetzt ertragen,
Zu denken dein in deiner öden Ruh';
Gewöhnt mein Herz sich, stetiger zu schlagen,
Und heilen langsam seine Wunden zu;
Sind deine Augen, seh' ich sie im Schlummer,
Nicht voll von Vorwurf, nur von stillem Kummer –
So ist's, weil er, der meines Herzens Truh'
Aufschließt und zuschließt, hell in meine Nacht
Den Lichtstrahl goß: der Herr hat alles wohl gemacht!
Ja, du wirst nun – O, warum kalt und bleich
Jetzt und allzeit muß ich dich vor mir sehn?
Dein triefend Haar durchwuchert Seegesträuch –
Der Sand dein Kissen – o, du warst so schön!
Das aber ist der Erde ew'ge Macht
Über den Leib, der irdisch ist gemacht! –
Doch jetzt in reinern Lüften wirst du gehn,
Von allem Irrtum frei, von allem Trug,
Der sengend einst, ein Blitz, in deine Tage schlug!
Und wenn dein Lieben immer noch dasselbe
Dort ist, wie einst, auf niedrer Erdenflur –
O, wüßten wir's! O, zückte durchs Gewölbe
Des eh'rnen Himmels eine Stimme nur
Zu uns herab, ansagend unserm Sehnen,
Daß wir noch sind, was wir einst waren, denen,
Die tot wir nennen! daß ihr letzter Schwur
Mehr als ein Atmen war! – Ein bess'rer Glaube
Sei mein: – Dein Lieben ist, gereinigt nur vom Staube!
Ganz rein, ganz himmlisch! frei von allem jetzt,
Was mich und dich wie eine Wolke schied!
Der Furcht enthoben, die noch bis zuletzt
Es hin und her warf, wie ein schwächlich Ried!
So hoff' ich! oft zwar, wenn der Forst sich biegt,
Wenn er die Nacht auf krachenden Ästen wiegt,
Wenn es wie Wehlaut in den Lüften zieht,
Steht meine Seele bangem Zweifel offen –
Doch bald ermann' ich mich, und gleich bleibt sich mein Hoffen!
Seit jenen Tagen rastlos irrt mein Fuß!
Wie wilde Vögel großziehn ihre Jungen,
So meinen Knaben ätzt' ich in Perus
Pfadlosen, stillen Waldesdämmerungen!
Wo übern Abgrund Hängebrücken wehn,
Tief in den Anden hat man uns gesehn –
Da ist auch dort der Heimat Horn erklungen,
Und neue Wälder, dichter noch belaubt,
Sucht' ich, zu bergen drin mein müd, gezeichnet Haupt!
O, wie mein Sohn die Wildnis froh durchstrich!
Zwar – manchmal auch, wie träumend, konnt' er sitzen!
Dann fragt' er still nach seiner Mutter mich,
Still und betrübt! – doch das war nur ein Blitzen,
Das auf Momente seinen Geist durchschoß!
Bald wiederum, ein jauchzender Genoß,
Grüßt' er die Llanos und das zorn'ge Spritzen
Des Orinokostroms, des wildempörten,
An dem die Felsen wir im Frühlicht klingen hörten.
O, welch ein Ton! wie einer Harfe fast!
Lieblich und süß, und doch gespenstig schrillend!
Aus andern Sphären schien er mir ein Gast,
Des Menschen Herz mit Furcht und Freude füllend!
Ich hört' ihn gern! – allein die tiefen Schatten,
Die reglos wuchten auf des Südens Matten,
Erdrückten mich! – der Brust Verlangen stillend,
Die nach Gesaus von Eichen und von Buchen
Sich sehnte, wandt' ich mich, der Rothaut Land zu suchen!
Und eine sichre Zufluchtslaube jetzt
In diesem Urwald haben wir gefunden,
Der meine Stirn mit heilendem Tau benetzt,
Und dessen Hauch gekühlt hat meine Wunden;
Der tempelgleich mit Zeder und mit Föhre
Sich um mich wölbt, daß mich kein Welttraum störe;
In dessen grünen, dämmernden Rotunden
Ihr Bild nur naht, die wir beseligt wähnen,
Dort, wo der Liebe Kelch sich nicht mehr füllt mit Tränen!
Da kommt ein Stern – der erste! – sein Gefolg
Erinnerungen, ewig süß und teuer!
Die Waldzypresse, spitzig wie ein Dolch,
Erhebt sich dunkel in des Himmels Feuer;
Die Fichte duftet, und mit rotem Glühn
Flammt auf der See, ein einziger Rubin;
Der Wind erwacht – bis ihm die ries'ge Leier
Des Waldes Antwort gibt; mit allen Zweigen
Tönt sie – denn jeder hat ein Säuseln, das ihm eigen!
Und noch ein Murmeln zittert durch die Luft –
Nicht das des Baches und der Felsenquelle!
Der Katarakt ist's, der Gebüsch und Kluft
Mit hohlem Ton füllt, stöhnend wie die Welle,
Die an dem öden Küstensaum zerschellt
Des blauen Meeres, das die Toten hält!
Doch
sie sind fern! – hier leiht die letzte Helle
Des Tags ihr Flackern jedem schlanken Stamme,
Bis dunkelrot er strahlt, ein Wunder, eine Flamme!
Prächtig, doch düster! – dieses ist die Stunde,
Da weht durch Spanien frommes Abendläuten;
Über den Strom und im Olivengrunde
Klingt es, den Dörfern Freude zu bereiten.
Dem Maultiertreiber hallt es nach durchs Tal –
Doch ich bin hier, und lebe noch einmal
Jeglich Fahrwohl durch aus vergangnen Zeiten!
Hier leb' ich's durch, wo keins noch ward gesprochen,
Und bringe Gott ein Herz, trüb – aber ungebrochen!
Nun läßt der Siedler Perl' auf Perle fallen,
Der Landmann kniet in seiner Rebenlaube,
Laut singt der Schiffer – Friede sei mit allen,
Die jetzo flehn, was immer auch ihr Glaube!
Komm, Sohn! – daheim, soweit die salz'ge Flut
Mein Spanien gürtet, hebt des Abends Glut
Allwärts die Seelen hoch empor vom Staube!
– Laß
uns auch beten! uns auch
den verehren,
Den wir zur Abendzeit den Wald durchwandeln hören!
Dann nur? – o nein, zu jeder Tageszeit! –
Aus finstern Träumen jählings oft erwacht,
Schau' ich hinaus – dann preßt die Einsamkeit
Mein zitternd Herz – du aber atmest sacht!
Die Sterne glühn, fern blitzt der Berge Schnee,
Die Forste schlummern, und der tiefe See
Strahlt hell zurück der Feuerfliege Pracht.
Einsame Welt! –
zu öd' fast meinem Gram,
Fühlt' ich mir
den nicht nah, den ich hier suchen kam!
Anmerkungen mußten leider gelöscht werden, da Referenzen im Text größtenteils fehlen. Re.