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»Ja, aber die Ärzte, die Ärzte! Ich bringe Sie nicht dazu, auf das eigentliche Thema unserer Unterredungen einzugehen. Sie weichen mir noch immer aus. Es handelt sich doch darum, ob man nicht den Ärzten das ausschließliche Vorrecht auf die Ausübung der Analyse zugestehen muß, meinetwegen nachdem sie gewisse Bedingungen erfüllt haben. Die Ärzte sind ja gewiß nicht in ihrer Mehrheit die Kurpfuscher in der Analyse, als die Sie sie geschildert haben. Sie sagen selbst, daß die überwiegende Mehrzahl Ihrer Schüler und Anhänger Ärzte sind. Man hat mir verraten, daß diese keineswegs Ihren Standpunkt in der Frage der Laienanalyse teilen. Ich darf natürlich annehmen, daß Ihre Schüler sich Ihren Forderungen nach genügender Vorbereitung usw. anschließen, und doch finden diese Schüler es damit vereinbar, die Ausübung der Analyse den Laien zu versperren. Ist das so, und wenn, wie erklären Sie es?«
Ich sehe, Sie sind gut informiert, es ist so. Zwar nicht alle, aber ein guter Teil meiner ärztlichen Mitarbeiter hält in dieser Sache nicht zu mir, tritt für das ausschließliche Anrecht der Ärzte auf die analytische Behandlung der Neurotiker ein. Sie ersehen daraus, daß es auch in unserem Lager Meinungsverschiedenheiten geben darf. Meine Parteinahme ist bekannt, und der Gegensatz im Punkte der Laienanalyse hebt unser Einvernehmen nicht auf. Wie ich Ihnen das Verhalten dieser meiner Schüler erklären kann? Sicher weiß ich es nicht, ich denke, es wird die Macht des Standesbewußtseins sein. Sie haben eine andere Entwicklung gehabt als ich, fühlen sich noch unbehaglich in der Isolierung von den Kollegen, möchten gerne als vollberechtigt von der profession aufgenommen werden und sind bereit, für diese Toleranz ein Opfer zu bringen, an einer Stelle, deren Lebenswichtigkeit ihnen nicht einleuchtet. Vielleicht ist es anders; ihnen Motive der Konkurrenz unterzuschieben, hieße nicht nur sie einer niedrigen Gesinnung zu beschuldigen, sondern auch ihnen eine sonderbare Kurzsichtigkeit zuzutrauen. Sie sind ja immer bereit, andere Ärzte in die Analyse einzuführen, und ob sie die verfügbaren Patienten mit Kollegen oder mit Laien zu teilen haben, kann für ihre materielle Lage nur gleichgiltig sein. Wahrscheinlich kommt aber noch etwas anderes in Betracht. Diese meine Schüler mögen unter dem Einfluß gewisser Momente stehen, welche dem Arzt 331 in der analytischen Praxis den unzweifelhaften Vorzug vor dem Laien sichern.
»Den Vorzug sichern? Da haben wir's. Also gestehen Sie diesen Vorzug endlich zu? Damit wäre ja die Frage entschieden.«
Das Zugeständnis wird mir nicht schwer. Es mag Ihnen zeigen, daß ich nicht so leidenschaftlich verblendet bin, wie Sie annehmen. Ich habe die Erwähnung dieser Verhältnisse aufgeschoben, weil ihre Diskussion wiederum theoretische Erörterungen nötig machen wird.
»Was meinen Sie jetzt?«
Da ist zuerst die Frage der Diagnose. Wenn man einen Kranken, der an sogenannt nervösen Störungen leidet, in analytische Behandlung nimmt, will man vorher die Sicherheit haben – soweit sie eben erreichbar ist –, daß er sich für diese Therapie eignet, daß man ihm also auf diesem Wege helfen kann. Das ist aber nur der Fall, wenn er wirklich eine Neurose hat.
»Ich sollte meinen, das erkennt man eben an den Erscheinungen, an den Symptomen, über die er klagt.«
Hier ist eben die Stelle für eine neue Komplikation. Man erkennt es nicht immer mit voller Sicherheit. Der Kranke kann das äußere Bild einer Neurose zeigen, und doch kann es etwas anderes sein, der Beginn einer unheilbaren Geisteskrankheit, die Vorbereitung eines zerstörenden Gehirnprozesses. Die Unterscheidung – Differentialdiagnose – ist nicht immer leicht und nicht in jeder Phase sofort zu machen. Die Verantwortlichkeit für eine solche Entscheidung kann natürlich nur der Arzt übernehmen. Sie wird ihm, wie gesagt, nicht immer leichtgemacht. Der Krankheitsfall kann längere Zeit ein harmloses Gepräge tragen, bis sich endlich doch seine böse Natur herausstellt. Es ist ja auch eine regelmäßige Befürchtung der Nervösen, ob sie nicht geisteskrank werden können. Wenn der Arzt aber einen solchen Fall eine Zeitlang verkannt hat oder im unklaren über ihn geblieben ist, so macht es nicht viel aus, es ist kein Schaden angestellt worden und nichts Überflüssiges geschehen. Die analytische Behandlung dieses Kranken hätte ihm zwar auch keinen Schaden gebracht, aber sie wäre als überflüssiger Aufwand bloßgestellt. Überdies würden sich gewiß genug Leute finden, die den schlechten Ausgang der Analyse zur Last legen werden. Mit Unrecht freilich, aber solche Anlässe sollten vermieden werden.
»Das klingt aber trostlos. Es entwurzelt ja alles, was Sie mir über die Natur und Entstehung einer Neurose vorgetragen haben.«
332 Durchaus nicht. Es bekräftigt nur von neuem, daß die Neurotiker ein Ärgernis und eine Verlegenheit sind, für alle Parteien, also auch für die Analytiker. Vielleicht löse ich aber Ihre Verwirrung wieder, wenn ich meine neuen Mitteilungen in korrekteren Ausdruck kleide. Es ist wahrscheinlich richtiger, von den Fällen, die uns jetzt beschäftigen, auszusagen, sie haben wirklich eine Neurose entwickelt, aber diese sei nicht psychogen, sondern somatogen, habe nicht seelische, sondern körperliche Ursachen. Können Sie mich verstehen?
»Verstehen, ja; aber ich kann es mit dem anderen, dem Psychologischen, nicht vereinigen.«
Nun, das läßt sich doch machen, wenn man nur den Komplikationen der lebenden Substanz Rechnung tragen will. Worin fanden wir das Wesen einer Neurose? Darin, daß das Ich, die durch den Einfluß der Außenwelt emporgezüchtete höhere. Organisation des seelischen Apparats, nicht imstande ist, seine Funktion der Vermittlung zwischen Es und Realität zu erfüllen, daß es sich in seiner Schwäche von Triebanteilen des Es zurückzieht und sich dafür die Folgen dieses Verzichts in Form von Einschränkungen, Symptomen und erfolglosen Reaktionsbildungen gefallen lassen muß.
Eine solche Schwäche des Ichs hat bei uns allen regelmäßig in der Kindheit statt, darum bekommen die Erlebnisse der frühesten Kinderjahre eine so große Bedeutung für das spätere Leben. Unter der außerordentlichen Belastung dieser Kinderzeit – wir haben in wenigen Jahren die ungeheure Entwicklungsdistanz vom steinzeitlichen Primitiven bis zum Teilhaber der heutigen Kultur durchzumachen und dabei insbesondere die Triebregungen der sexuellen Frühperiode abzuwehren – nimmt unser Ich seine Zuflucht zu Verdrängungen und setzt sich einer Kinderneurose aus, deren Niederschlag es als Disposition zur späteren nervösen Erkrankung in die Reife des Lebens mitbringt. Nun kommt alles darauf an, wie dies herangewachsene Wesen vom Schicksal behandelt werden wird. Wird das Leben zu hart, der Abstand zwischen den Triebforderungen und den Einsprüchen der Realität zu groß, so mag das Ich in seinen Bemühungen, beide zu versöhnen, scheitern, und dies um so eher, je mehr es durch die mitgebrachte infantile Disposition gehemmt ist. Es wiederholt sich dann der Vorgang der Verdrängung, die Triebe reißen sich von der Herrschaft des Ichs los, schaffen sich auf den Wegen der Regression ihre Ersatzbefriedigungen, und das arme Ich ist hilflos neurotisch geworden.
Halten wir nur daran fest: der Knoten- und Drehpunkt der ganzen 333 Situation ist die relative Stärke der Ichorganisation. Wir haben es dann leicht, unsere ätiologische Übersicht zu vervollständigen. Als die sozusagen normalen Ursachen der Nervosität kennen wir bereits die kindliche Ichschwäche, die Aufgabe der Bewältigung der Frühregungen der Sexualität und die Einwirkungen der eher zufälligen Kindheitserlebnisse. Ist es aber nicht möglich, daß auch andere Momente eine Rolle spielen, die aus der Zeit vor dem Kinderleben stammen? Zum Beispiel eine angeborene Stärke und Unbändigkeit des Trieblebens im Es, die dem Ich von vornherein zu große Aufgaben stellt? Oder eine besondere Entwicklungsschwäche des Ichs aus unbekannten Gründen? Selbstverständlich müssen diese Momente zu einer ätiologischen Bedeutung kommen, in manchen Fällen zu einer überragenden. Mit der Triebstärke im Es haben wir jedesmal zu rechnen; wo sie exzessiv entwickelt ist, steht es schlecht um die Aussichten unserer Therapie. Von den Ursachen einer Entwicklungshemmung des Ichs wissen wir noch zuwenig. Dies wären also die Fälle von Neurose mit wesentlich konstitutioneller Grundlage. Ohne irgendeine solche konstitutionelle, kongenitale Begünstigung kommt wohl kaum eine Neurose zustande.
Wenn aber die relative Schwäche des Ichs das für die Entstehung der Neurose entscheidende Moment ist, so muß es auch möglich sein, daß eine spätere körperliche Erkrankung eine Neurose erzeugt, wenn sie nur eine Schwächung des Ichs herbeiführen kann. Und das ist wiederum im reichen Ausmaß der Fall. Eine solche körperliche Störung kann das Triebleben im Es betreffen und die Triebstärke über die Grenze hinaus steigern, welcher das Ich gewachsen ist. Das Normalvorbild solcher Vorgänge wäre etwa die Veränderung im Weib durch die Störungen der Menstruation und der Menopause. Oder eine körperliche Allgemeinerkrankung, ja eine organische Erkrankung des nervösen Zentralorgans, greift die Ernährungsbedingungen des seelischen Apparats an, zwingt ihn, seine Funktion herabzusetzen und seine feineren Leistungen, zu denen die Aufrechthaltung der Ichorganisation gehört, einzustellen. In all diesen Fällen entsteht ungefähr dasselbe Bild der Neurose; die Neurose hat immer den gleichen psychologischen Mechanismus, aber, wie wir erkennen, die mannigfachste, oft sehr zusammengesetzte Ätiologie.
»Jetzt gefallen Sie mir besser, Sie haben endlich gesprochen wie ein Arzt. Nun erwarte ich das Zugeständnis, daß eine so komplizierte ärztliche Sache wie eine Neurose nur von einem Arzt gehandhabt werden kann.«
Ich besorge, Sie schießen damit über das Ziel hinaus. Was wir 334 besprochen haben, war ein Stück Pathologie, bei der Analyse handelt es sich um ein therapeutisches Verfahren. Ich räume ein, nein, ich fordere, daß der Arzt bei jedem Fall, der für die Analyse in Betracht kommt, vorerst die Diagnose stellen soll. Die übergroße Anzahl der Neurosen, die uns in Anspruch nehmen, sind zum Glück psychogener Natur und pathologisch unverdächtig. Hat der Arzt das konstatiert, so kann er die Behandlung ruhig dem Laienanalytiker überlassen. In unseren analytischen Gesellschaften ist es immer so gehalten worden. Dank dem innigen Kontakt zwischen ärztlichen und nichtärztlichen Mitgliedern sind die zu befürchtenden Irrungen so gut wie völlig vermieden worden. Es gibt dann noch einen zweiten Fall, in dem der Analytiker den Arzt zur Hilfe rufen muß. Im Verlaufe der analytischen Behandlung können – am ehesten körperliche – Symptome erscheinen, bei denen man zweifelhaft wird, ob man sie in den Zusammenhang der Neurose aufnehmen oder auf eine davon unabhängige, als Störung auftretende organische Erkrankung beziehen soll. Diese Entscheidung muß wiederum dem Arzt überlassen werden.
»Also kann der Laienanalytiker auch während der Analyse den Arzt nicht entbehren. Ein neues Argument gegen seine Brauchbarkeit.«
Nein, aus dieser Möglichkeit läßt sich kein Argument gegen den Laienanalytiker schmieden, denn der ärztliche Analytiker würde im gleichen Falle nicht anders handeln.
»Das verstehe ich nicht.«
Es besteht nämlich die technische Vorschrift, daß der Analytiker, wenn solch zweideutige Symptome während der Behandlung auftauchen, sie nicht seinem eigenen Urteil unterwirft, sondern von einem der Analyse fernstehenden Arzt, etwa einem Internisten, begutachten läßt, auch wenn er selbst Arzt ist und seinen medizinischen Kenntnissen noch vertraut.
»Und warum ist etwas, was mir so überflüssig erscheint, vorgeschrieben?«
Es ist nicht überflüssig, hat sogar mehrere Begründungen. Erstens läßt sich die Vereinigung organischer und psychischer Behandlung in einer Hand nicht gut durchführen, zweitens kann das Verhältnis der Übertragung es dem Analytiker unratsam machen, den Kranken körperlich zu untersuchen, und drittens hat der Analytiker allen Grund, an seiner Unbefangenheit zu zweifeln, da sein Interesse so intensiv auf die psychischen Momente eingestellt ist.
»Ihre Stellung zur Laienanalyse wird mir jetzt klar. Sie beharren 335 dabei, daß es Laienanalytiker geben muß. Da Sie deren Unzulänglichkeit für ihre Aufgabe aber nicht bestreiten können, tragen Sie alles zusammen, was zur Entschuldigung und Erleichterung ihrer Existenz dienen kann. Ich sehe aber überhaupt nicht ein, wozu es Laienanalytiker geben soll, die doch nur Therapeuten zweiter Klasse sein können. Ich will meinetwegen von den paar Laien absehen, die bereits zu Analytikern ausgebildet sind, aber neue sollten nicht geschaffen werden, und die Lehrinstitute müßten sich verpflichten, Laien nicht mehr zur Ausbildung anzunehmen.«
Ich bin mit Ihnen einverstanden, wenn sich zeigen läßt, daß durch diese Einschränkung allen in Betracht kommenden Interessen gedient ist. Gestehen Sie mir zu, daß diese Interessen von dreierlei Art sind, das der Kranken, das der Ärzte und – last not least – das der Wissenschaft, das ja die Interessen aller zukünftigen Kranken miteinschließt. Wollen wir diese drei Punkte miteinander untersuchen?
Nun, für den Kranken ist es gleichgiltig, ob der Analytiker Arzt ist oder nicht, wenn nur die Gefahr einer Verkennung seines Zustandes durch die angeforderte ärztliche Begutachtung vor Beginn der Behandlung und bei gewissen Zwischenfällen während derselben ausgeschaltet wird. Für ihn ist es ungleich wichtiger, daß der Analytiker über die persönlichen Eigenschaften verfügt, die ihn vertrauenswürdig machen, und daß er jene Kenntnisse und Einsichten sowie jene Erfahrungen erworben hat, die ihn allein zur Erfüllung seiner Aufgabe befähigen. Man könnte meinen, daß es der Autorität des Analytikers schaden muß, wenn der Patient weiß, daß er kein Arzt ist und in manchen Situationen der Anlehnung an den Arzt nicht entbehren kann. Wir haben es selbstverständlich niemals unterlassen, die Patienten über die Qualifikation des Analytikers zu unterrichten, und konnten uns überzeugen, daß die Standesvorurteile bei ihnen keinen Anklang finden, daß sie bereit sind, die Heilung anzunehmen, von welcher Seite immer sie ihnen geboten wird, was übrigens der Ärztestand zu seiner lebhaften Kränkung längst erfahren hat. Auch sind ja die Laienanalytiker, die heute Analyse ausüben, keine beliebigen, hergelaufenen Individuen, sondern Personen von akademischer Bildung, Doktoren der Philosophie, Pädagogen und einzelne Frauen von großer Lebenserfahrung und überragender Persönlichkeit. Die Analyse, der sich alle Kandidaten eines analytischen Lehrinstituts unterziehen müssen, ist gleichzeitig der beste Weg, um über ihre persönliche Eignung zur Ausübung der anspruchsvollen Tätigkeit Aufschluß zu gewinnen.
336 Nun zum Interesse der Ärzte. Ich kann nicht glauben, daß es durch die Einverleibung der Psychoanalyse in die Medizin zu gewinnen hat. Das medizinische Studium dauert jetzt schon fünf Jahre, die Ablegung der letzten Prüfungen reicht weit in ein sechstes Jahr. Alle paar Jahre tauchen neue Ansprüche an den Studenten auf, ohne deren Erfüllung seine Ausrüstung für seine Zukunft als unzureichend erklärt werden müßte. Der Zugang zum ärztlichen Beruf ist ein sehr schwerer, seine Ausübung weder sehr befriedigend noch sehr vorteilhaft. Macht man sich die gewiß vollberechtigte Forderung zu eigen, daß der Arzt auch mit der seelischen Seite des Krankseins vertraut sein müsse, und dehnt darum die ärztliche Erziehung auf ein Stück Vorbereitung für die Analyse aus, so bedeutet das eine weitere Vergrößerung des Lehrstoffes und die entsprechende Verlängerung der Studentenjahre. Ich weiß nicht, ob die Ärzte von einer solchen Folgerung aus ihrem Anspruch auf die Psychoanalyse befriedigt sein werden. Sie läßt sich aber kaum abweisen. Und dies in einer Zeitperiode, da die Bedingungen der materiellen Existenz sich für die Stände, aus denen sich die Ärzte rekrutieren, so sehr verschlechtert haben, daß die junge Generation sich dazu gedrängt sieht, sich möglichst bald selbst zu erhalten.
Sie wollen aber vielleicht das ärztliche Studium nicht mit der Vorbereitung für die analytische Praxis belasten und halten es für zweckmäßiger, daß die zukünftigen Analytiker sich erst nach Vollendung ihrer medizinischen Studien um die erforderliche Ausbildung bekümmern. Sie können sagen, daß der dadurch verursachte Zeitverlust praktisch nicht in Betracht kommt, weil ein junger Mann vor dreißig Jahren doch niemals das Zutrauen beim Patienten genießen wird, welches die Bedingung einer seelischen Hilfeleistung ist. Darauf wäre zwar zu antworten, daß auch der neugebackene Arzt für körperliche Leiden nicht auf allzu großen Respekt bei den Kranken zu rechnen hat und daß der junge Analytiker seine Zeit sehr wohl damit ausfüllen könnte, an einer psychoanalytischen Poliklinik unter der Kontrolle erfahrener Praktiker zu arbeiten.
Wichtiger erscheint mir aber, daß Sie mit diesem Vorschlag eine Kraftvergeudung befürworten, die in diesen schweren Zeiten wirklich keine ökonomische Rechtfertigung finden kann. Die analytische Ausbildung überschneidet zwar den Kreis der ärztlichen Vorbereitung, schließt diesen aber nicht ein und wird nicht von ihm eingeschlossen. Wenn man, was heute noch phantastisch klingen mag, eine psychoanalytische Hochschule zu gründen hätte, so müßte an dieser vieles gelehrt werden, 337 was auch die medizinische Fakultät lehrt: neben der Tiefenpsychologie, die immer das Hauptstück bleiben würde, eine Einführung in die Biologie, in möglichst großem Umfang die Kunde vom Sexualleben, eine Bekanntheit mit den Krankheitsbildern der Psychiatrie. Anderseits würde der analytische Unterricht auch Fächer umfassen, die dem Arzt ferneliegen und mit denen er in seiner Tätigkeit nicht zusammenkommt: Kulturgeschichte, Mythologie, Religionspsychologie und Literaturwissenschaft. Ohne eine gute Orientierung auf diesen Gebieten steht der Analytiker einem großen Teil seines Materials verständnislos gegenüber. Dafür kann er die Hauptmasse dessen, was die medizinische Schule lehrt, für seine Zwecke nicht gebrauchen. Sowohl die Kenntnis der Fußwurzelknochen als auch die der Konstitution der Kohlenwasserstoffe, des Verlaufs der Hirnnervenfasern, alles, was die Medizin über bazilläre Krankheitserreger und deren Bekämpfung, über Serumreaktionen und Gewebsneubildungen an den Tag gebracht hat: alles gewiß an sich höchst schätzenswert, ist für ihn doch völlig belanglos, geht ihn nichts an, hilft ihm weder direkt dazu, eine Neurose zu verstehen und zu heilen, noch trägt dieses Wissen zur Schärfung jener intellektuellen Fähigkeiten bei, an welche seine Tätigkeit die größten Anforderungen stellt. Man wende nicht ein, der Fall liege so ähnlich, wenn sich der Arzt einer anderen medizinischen Spezialität, z. B. der Zahnheilkunde, zuwendet. Auch dann kann er manches nicht brauchen, worüber er Prüfung ablegen mußte, und muß vieles dazulernen, worauf ihn die Schule nicht vorbereitet hatte. Die beiden Fälle sind doch nicht gleichzusetzen. Auch für die Zahnheilkunde behalten die großen Gesichtspunkte der Pathologie, die Lehren von der Entzündung, Eiterung, Nekrose, von der Wechselwirkung der Körperorgane, ihre Bedeutung; den Analytiker führt seine Erfahrung aber in eine andere Welt mit anderen Phänomenen und anderen Gesetzen. Wie immer sich die Philosophie über die Kluft zwischen Leiblichem und Seelischem hinwegsetzen mag, für unsere Erfahrung besteht sie zunächst und gar für unsere praktischen Bemühungen.
Es ist ungerecht und unzweckmäßig, einen Menschen, der den andern von der Pein einer Phobie oder einer Zwangsvorstellung befreien will, zum Umweg über das medizinische Studium zu zwingen. Es wird auch keinen Erfolg haben, wenn es nicht gelingt, die Analyse überhaupt zu unterdrücken. Stellen Sie sich eine Landschaft vor, in der zu einem gewissen Aussichtspunkt zwei Wege führen, der eine kurz und geradlinig, der andere lang, gewunden und umwegig. Den kurzen Weg versuchen 338 Sie durch eine Verbottafel zu sperren, vielleicht, weil er an einigen Blumenbeeten vorbeiführt, die Sie geschont wissen wollen. Sie haben nur dann Aussicht, daß Ihr Verbot respektiert wird, wenn der kurze Weg steil und mühselig ist, während der längere sanft aufwärts führt. Verhält es sich aber anders und ist im Gegenteil der Umweg der beschwerlichere, so können Sie leicht den Nutzen Ihres Verbots und das Schicksal Ihrer Blumenbeete erraten. Ich besorge, Sie werden die Laien ebensowenig zwingen können, Medizin zu studieren, wie es mir gelingen wird, die Ärzte zu bewegen, daß sie Analyse lernen. Sie kennen ja auch die menschliche Natur.
»Wenn Sie recht haben, daß die analytische Behandlung nicht ohne besondere Ausbildung auszuüben ist, daß aber das medizinische Studium die Mehrbelastung durch eine Vorbereitung dafür nicht verträgt und daß die medizinischen Kenntnisse für den Analytiker großenteils überflüssig sind, wohin kommen wir dann mit der Erzielung der idealen ärztlichen Persönlichkeit, die allen Aufgaben ihres Berufes gewachsen sein soll?«
Ich kann nicht vorhersehen, welcher der Ausweg aus diesen Schwierigkeiten sein wird, bin auch nicht dazu berufen, ihn anzugeben. Ich sehe nur zweierlei, erstens, daß die Analyse für Sie eine Verlegenheit ist, sie sollte am besten nicht existieren – gewiß, auch der Neurotiker ist eine Verlegenheit –, und zweitens, daß vorläufig allen Interessen Rechnung getragen wird, wenn sich die Ärzte entschließen, eine Klasse von Therapeuten zu tolerieren, die ihnen die mühselige Behandlung der so enorm häufigen psychogenen Neurosen abnimmt und zum Vorteil dieser Kranken in steter Fühlung mit ihnen bleibt.
»Ist das Ihr letztes Wort in dieser Angelegenheit, oder haben Sie noch etwas zu sagen?«
Gewiß, ich wollte ja noch ein drittes Interesse in Betracht ziehen, das der Wissenschaft. Was ich da zu sagen habe, wird Ihnen wenig nahegehen, desto mehr bedeutet es mir.
Wir halten es nämlich gar nicht für wünschenswert, daß die Psychoanalyse von der Medizin verschluckt werde und dann ihre endgiltige Ablagerung im Lehrbuch der Psychiatrie finde, im Kapitel Therapie, neben Verfahren wie hypnotische Suggestion, Autosuggestion, Persuasion, die, aus unserer Unwissenheit geschöpft, ihre kurzlebigen Wirkungen der Trägheit und Feigheit der Menschenmassen danken. Sie verdient ein besseres Schicksal und wird es hoffentlich haben. Als »Tiefenpsychologie«, Lehre vom seelisch Unbewußten, kann sie all den 339 Wissenschaften unentbehrlich werden, die sich mit der Entstehungsgeschichte der menschlichen Kultur und ihrer großen Institutionen wie Kunst, Religion und Gesellschaftsordnung beschäftigen. Ich meine, sie hat diesen Wissenschaften schon bis jetzt ansehnliche Hilfe zur Lösung ihrer Probleme geleistet, aber dies sind nur kleine Beiträge im Vergleich zu dem, was sich erreichen ließe, wenn Kulturhistoriker, Religionspsychologen, Sprachforscher usw. sich dazu verstehen werden, das ihnen zur Verfügung gestellte neue Forschungsmittel selbst zu handhaben. Der Gebrauch der Analyse zur Therapie der Neurosen ist nur eine ihrer Anwendungen; vielleicht wird die Zukunft zeigen, daß sie nicht die wichtigste ist. Jedenfalls wäre es unbillig, der einen Anwendung alle anderen zu opfern, bloß weil dies Anwendungsgebiet sich mit dem Kreis ärztlicher Interessen berührt.
Denn hier entrollt sich ein weiter Zusammenhang, in den man nicht ohne Schaden eingreifen kann. Wenn die Vertreter der verschiedenen Geisteswissenschaften die Psychoanalyse erlernen sollen, um deren Methoden und Gesichtspunkte auf ihr Material anzuwenden, so reicht es nicht aus, daß sie sich an die Ergebnisse halten, die in der analytischen Literatur niedergelegt sind. Sie werden die Analyse verstehen lernen müssen auf dem einzigen Weg, der dazu offensteht, indem sie sich selbst einer Analyse unterziehen. Zu den Neurotikern, die der Analyse bedürfen, käme so eine zweite Klasse von Personen hinzu, die die Analyse aus intellektuellen Motiven annehmen, die nebenbei erzielte Erhöhung ihrer Leistungsfähigkeit aber gewiß gerne begrüßen werden. Zur Durchführung dieser Analysen bedarf es einer Anzahl von Analytikern, für die etwaige Kenntnisse in der Medizin besonders geringe Bedeutung haben werden. Aber diese – Lehranalytiker wollen wir sie heißen – müssen eine besonders sorgfältige Ausbildung erfahren haben. Will man ihnen diese nicht verkümmern, so muß man ihnen Gelegenheit geben, Erfahrungen an lehrreichen und beweisenden Fällen zu sammeln, und da gesunde Menschen, denen auch das Motiv der Wißbegierde abgeht, sich nicht einer Analyse unterziehen, können es wiederum nur Neurotiker sein, an denen – unter sorgsamer Kontrolle – die Lehranalytiker für ihre spätere, nichtärztliche Tätigkeit erzogen werden. Das Ganze erfordert aber ein gewisses Maß von Bewegungsfreiheit und verträgt keine kleinlichen Beschränkungen.
Vielleicht glauben Sie nicht an diese rein theoretischen Interessen der Psychoanalyse oder wollen ihnen keinen Einfluß auf die praktische Frage der Laienanalyse einräumen. Dann lassen Sie sich mahnen, daß 340 es noch ein anderes Anwendungsgebiet der Psychoanalyse gibt, das dem Bereich des Kurpfuschergesetzes entzogen ist und auf das die Ärzte kaum Anspruch erheben werden. Ich meine ihre Verwendung in der Pädagogik. Wenn ein Kind anfängt, die Zeichen einer unerwünschten Entwicklung zu äußern, verstimmt, störrisch und unaufmerksam wird, so wird der Kinderarzt und selbst der Schularzt nichts für dasselbe tun können, selbst dann nicht, wenn das Kind deutlich nervöse Erscheinungen wie Ängstlichkeiten, Eßunlust, Erbrechen, Schlafstörung produziert. Eine Behandlung, die analytische Beeinflussung mit erzieherischen Maßnahmen vereinigt, von Personen ausgeführt, die es nicht verschmähen, sich um die Verhältnisse des kindlichen Milieus zu bekümmern, und die es verstehen, sich den Zugang zum Seelenleben des Kindes zu bahnen, bringt in einem beides zustande, die nervösen Symptome aufzuheben und die beginnende Charakterveränderung rückgängig zu machen. Unsere Einsicht in die Bedeutung der oft unscheinbaren Kinderneurosen als Disposition für schwere Erkrankungen des späteren Lebens weist uns auf diese Kinderanalysen als einen ausgezeichneten Weg der Prophylaxis hin. Es gibt unleugbar noch Feinde der Analyse; ich weiß nicht, welche Mittel ihnen zu Gebote stehen, um auch der Tätigkeit dieser pädagogischen Analytiker oder analytischen Pädagogen in den Arm zu fallen, halte es auch für nicht leicht möglich. Aber freilich, man soll sich nie zu sicher fühlen.
Übrigens, um zu unserer Frage der analytischen Behandlung erwachsener Nervöser zurückzukehren, auch hier haben wir noch nicht alle Gesichtspunkte erschöpft. Unsere Kultur übt einen fast unerträglichen Druck auf uns aus, sie verlangt nach einem Korrektiv. Ist es zu phantastisch zu erwarten, daß die Psychoanalyse trotz ihrer Schwierigkeiten zur Leistung berufen sein könnte, die Menschen für ein solches Korrektiv vorzubereiten? Vielleicht kommt noch einmal ein Amerikaner auf den Einfall, es sich ein Stück Geld kosten zu lassen, um die social workers seines Landes analytisch zu schulen und eine Hilfstruppe zur Bekämpfung der kulturellen Neurosen aus ihnen zu machen.
»Aha, eine neue Art von Heilsarmee.«
Warum nicht, unsere Phantasie arbeitet ja immer nach Mustern. Der Strom von Lernbegierigen, der dann nach Europa fluten wird, wird an Wien vorbeigehen müssen, denn hier mag die analytische Entwicklung einem frühzeitigen Verbottrauma erlegen sein. Sie lächeln? Ich sage das nicht, um Ihr Urteil zu bestechen, gewiß nicht. Ich weiß ja, Sie schenken mir keinen Glauben, kann Ihnen auch nicht dafür einstehen, daß es 341 so kommen wird. Aber eines weiß ich. Es ist nicht gar so wichtig, welche Entscheidung Sie in der Frage der Laienanalyse fällen. Es kann eine lokale Wirkung haben. Aber das, worauf es ankommt, die inneren Entwicklungsmöglichkeiten der Psychoanalyse, sind doch durch Verordnungen und Verbote nicht zu treffen.