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7. Unter den Schatten

Am nächsten Morgen schritt Walburg mit ihrem Führer dem Walde zu. Hinter ihr rief Gertrud traurig in die Flur: »Neig dich, Laub, und neig dich, Gras, denn eine freie Magd will sich vom Sonnenlicht scheiden.«

In dem lichten Gehölz über dem Dorfe weidete die Rinderherde. Die Kühe liefen neugierig aus dem Gebüsch und starrten die Jungfrau an, auch der Hirt trat an den Weg, bot den Gruß und fragte, wohin sie im Frühlicht wandle. »In die Berge«, antwortete Walburg leise, und der Mann schüttelte den Kopf. Ein vorwitziges Kalb trabte hinter ihr her und roch an ihrem Korbe. »Weiche von mir, Braunchen,« mahnte sie, »denn der Weg, den ich gehe, wäre dir gefährlich, du hast Frieden bei den Leuten, alle müssen dich beachten, wenn du auch nur ein Jährling bist, und wenn dich ein Fremder schädigt, so muß er es deinem Herrn schwer büßen. Der aber, den ich suche, ist ärmer als du, denn jeder darf ungestraft seinen heißen Mut an ihm kühlen, und schutzlos schweift er ohne Recht.« Sie faßte ihren Handkorb fester und eilte dem Führer nach.

Auf dem Gipfel des Hügels wandte sie sich um und streckte die Hand grüßend nach der sonnigen Ebene aus, sie schaute über die Beute der Ackerflur, auf die grauen Dächer des Dorfes und auf den Meierhof, in dem sie Zuflucht gefunden hatte; sie dachte an die Kinder, wer ihnen das Frühbrot austeilen werde, und sah die Brüder mit heißen Wangen bei ihren Holztafeln in der Schule sitzen, und den kleinen Bezzo, der schreiend durch den Hof lief, sie zu suchen. »Wenn er schreit, wird er die Schule stören, und ich fürchte, sie werden ihn abstrafen, weil er um mich weint.« Und vor ihrem Auge erschien das ernste Angesicht Winfrieds, als er zu ihr sprach: »Du folgst irdischer Liebe, und auf diese Welt hast du deine Sache gestellt, ich aber auf jene.« Da seufzte sie: »Ob er mir im Herzen zürnte, das möchte ich wohl wissen. Aber er hat mich doch gesegnet«, tröstete sie sich. »Vielleicht bittet er gerade jetzt zum Himmelsherrn für mich, wie er mir verhieß, und unter seinem Gebet fahre ich sicher dahin; denn ich denke, er muß dem großen Gott sehr lieb sein, und ihm zu Gefallen werden mich die Himmelsboten beschützen. Doch meinetwegen fliegen sie schwerlich, weil der Friedlose sich so gröblich gegen den Bischof erhoben hat.«

Längs dem rauschenden Bach gingen sie wohl eine Wegstunde, bis sie dahin kamen, wo die letzten Markzeichen in den Grenzbaum gehauen waren und die Geleise der Holzwagen aufhörten. Dort begann die Wildnis, welche nur der Jäger betrat, ein scheuer Wanderer, der über die Berge zog, und der gesetzlose Räuber, welcher heimatlos über die Erde irrte. Vor ihnen erhob sich der wilde Wald, Urstämme mit langen Flechten umhangen glänzten silbergrau, gleich riesigen Säulen, welche hoch oben das Laubdach trugen. Dichter Schatten deckte den Grund, über dem Wurzelgeflecht und gestürzten Stämmen lag die grüne Moosdecke, und große Farnwedel breiteten sich in der Dämmerung. Wolfram zog die Mütze, wie dem Jäger geziemte, wenn er unter die Wildbäume trat, und Walburg neigte sich mit ehrfürchtigem Gruß gegen den Hochwald: »Ihr Gewaltigen wachst frei gegen den Himmel, Sonnenschein und Regen fühlt ihr auf den Gipfeln, und der Quell im Felsen netzt euren Fuß. Gönnt auch mir das Gute, das ihr uns Fremdlingen gewährt, wenn wir euch furchtsam nahen, die Waldfrucht als Kost, weiches Moos als Lager, eure Zweige als Decke und eure Stämme als eine Ringburg gegen die Feinde.« Noch einmal wandte sie sich zum Lichte zurück, dann trat sie beherzt in den Schatten.

Wohl eine Stunde führte Wolfram zwischen den Stämmen über Berg und Tal. Endlich hielt er auf der Höhe vor einer riesigen Buche und sprach mit gedämpfter Stimme: »Dies ist der Baum.« Er bog vorsichtig das Farnkraut zurück, hob ein Stück Buchenrinde ab, welches die Höhlung verdeckte und wies hinein. Dann spähte er vom Höhenrand ringsumher. Nichts war zu sehen. »Es ist noch nicht die Zeit, in welcher er kommt, doch bist du sicher, daß er heut nicht ausbleibt, denn er hofft auf sein Roß.«

Der Jungfrau pochte das Herz, als sie um sich sah, eine Riesensäule hinter der anderen, bis die fernsten sie dicht einhegten wie eine ungeheure Mauer. »Wir scheiden, Wolfram, weiche zurück nach dem Hofe und laß mich hier, daß ich ihn allein treffe.«

»Wie darf ich ein speerloses Weib unter dem wilden Gewächs zurücklassen!« versetzte Wolfram unwillig.

»Geh dennoch, du Treuer, was ich mit ihm zu reden habe, geht uns allein an und kein anderer soll es hören. Willst du mir freundlich sein, so kehre morgen um Mittag hierher zurück und frage den Baum, wie es um mich steht. Ich will es, Wolfram, und du kränkst mich, wenn du anders tust.«

Wolfram streckte ihr die Hand hin. »Fahre wohl, Walburg, ich ginge nicht, aber ich weiß, daß der andere nicht lange säumen wird.« Er schritt abwärts, solange die Jungfrau ihn sehen konnte, dann warf er sich auf den Boden. »Harren will ich, bis ich seine Gestalt merke, damit ihr jemand nahe bleibt, der den Waldbrauch kennt.«

Walburg saß allein unter dem Baum, sie legte die Hände zusammen und blickte empor nach der Höhe, wo sie den blauen Himmel nicht mehr sah, nur Äste und Blätter. Unter den grauen Stämmen herrschte tiefes Schweigen, selten tönte von hoch oben der Ruf eines Vogels. Da fuhr es leise am nächsten Baumstamm herab, ein Eichhorn setzte sich ihr gegenüber auf den Ast, neigte ihr zuweilen den kleinen Kopf zu und blickte sie mit den runden Augen an, während es eine Ecker in den Pfoten hielt und daran nagte. Auch Walburg grüßte das Waldtier und sprach rühmend: »Gut stehen dir deine Ohrbüschel und dein stolzer Schweif; sei mir freundlich, Rothaar, denn ich sinne dir nichts Böses, und könnte ich dir helfen mit Eicheln und Eckern in deinem Haushalt, ich täte es gern. Doch reicher bist du als ich, denn du hältst dein Wesen hoch in der Baumhalle, wir Menschenkinder aber schreiten beschwerlich über die Wurzeln. Ich kümmere mich um einen, den du leicht erspähst, wenn du durch die Wipfel schweifst, siehst du ihn auf seinem Wege, so laufe vor ihm, daß du ihn zu mir führst.« Das Eichhorn nickte mit dem Kopf, warf die Frucht auf den Boden und fuhr eilig den Stamm hinauf.

»Es tut nach meinem Willen«, sprach Walburg lächelnd. Da vernahm sie einen schnellen Schritt, sie hörte sich beim Namen rufen und sah den Friedlosen, der zwischen den Stämmen auf sie zusprang, sich neben ihr in das Moos warf und ihre Hand faßte. »Kommst du doch«, rief er, und in dem frohen Schreck versagte ihm die Stimme. »Dich noch einmal zu sehen, habe ich heimlich gehofft, und täglich wandelte ich über das Moos, wie gebannt an den Baum.« Walburg strich ihm liebkosend die Wange und das Haar. »So bleich das Antlitz, verworren die Locke und hager der Leib, du armer Schatten, der das Sonnenlicht meidet, dir war der Wald feindlich, denn dein Aussehen ist vergrämt und dein Auge starrt wild auf das Kind deines Gastfreundes.«

»Es ist unmenschlich im Walde, und fürchterlich ist die Einsamkeit für den Ausgestoßenen,« antwortete Ingram, »seinen Fuß klemmt die Baumwurzel, die Äste raufen ihm das Haar, und die Krähen in der Höhe reden mißtönend miteinander, ob er ihnen zum Fraß wird oder nicht.« Er fuhr empor. »Weiß ich doch nicht, ob ich mich freuen soll, da ich dich sehe; du kommst von den Priestern und du gehst zu ihnen zurück, um ihnen die gute Botschaft zu verkünden, daß du mich in Elend und Jammer gefunden hast.«

»Ich war bei den Priestern und ich komme zu dir,« antwortete Walburg feierlich, »aus dem Hof der Christen bin ich gegangen, um für dich zu sorgen, wenn ich es vermag; die Menschen habe ich verlassen und den wilden Wald habe ich gewählt, wenn du mich haben willst.«

»Walburg!« schrie der Friedlose, warf sich wieder neben ihr auf den Grund, er umschlang sie mit seinen Armen, drückte sein Haupt an ihren Leib und schluchzte wie ein Kind.

Walburg hielt ihm das Haupt, küßte ihn auf sein Haar und sprach ihm tröstend wie eine Mutter zu: »Sei ruhig, du Wilder, ist dein Schicksal auch schwer, du hast eine, die dir's tragen hilft. Auch ich bin aufgewachsen nahe der Wildnis und nahe den Räubern der Grenze; die Bedrängten rettet wohl geduldiger Mut. Setze dich dort mir gegenüber, Ingram, und laß uns bedächtig reden wie sonst, wenn wir am Herde meines Vaters zueinander sprachen.«

Ingram setzte sich gehorsam, aber er hielt ihre Hand fest.

»Drücke auch nicht so traulich meine Hand,« mahnte Walburg, »denn ich habe dir Schweres zu sagen, was der Mund eines Mädchens nicht gern spricht.« Ingram aber unterbrach sie: »Bevor du redest, höre auch meine Meinung.« Er hob einen Kiesel aus dem Moose und warf ihn hinter sich. »So tue ich ab, was uns trennte, vergiß auch du, Walburg, was dich an mir gekränkt hat, gedenke nicht der Sorbenfessel und nicht der Lösung durch die Fremden, und ich flehe, verstöre mich nicht durch strenge Rede, denn so selig fühle ich mich jetzt, da ich dich vor mir schaue und deine Treue erkenne, daß ich um Bann und Friede wenig sorgen will. Du bist meinem Herzen sehr lieb, und heut, wo du zu mir kommst, mag ich an nichts denken als an dich und mich deiner zu freuen.«

Der Schleier, welcher das halbe Antlitz der Jungfrau verhüllte, bewegte sich. »Sieh doch erst zu, Ingram, wen du lieb hast, wir loben den Freier, der vorher betrachtet, was er erwerben will.« Sie schlug den Schleier zurück, eine rote Narbe zog sich über die linke Wange, eine Hälfte des Gesichts war ungleich der anderen. »Das ist die Walburg nicht, deren Wange du einmal gestreichelt hast.« Er sah das Angesicht vor sich, welches ihn damals erschreckt hatte, wo er das Schwert gegen den Bischof hob. Sie blickte spähend nach ihm, und als sie sein Staunen sah, verhüllte sie die Wange wieder und wandte sich ab, um ihre Tränen zu verbergen.

Ingram rückte sich näher und rührte leise an die andere Wange. »Laß mich diese küssen«, sagte er treuherzig. »Ich bin erschrocken, denn wild steht die Narbe in deinem Gesicht, aber ich weiß, daß du sie erhalten hast, als ich ein Tor war; und die Männer und Frauen werden dich darum nicht weniger ehren.«

»Du sprichst ehrbar, Ingram, aber ich fürchte, mein Anblick wird dir dereinst mühselig, wenn du mich mit anderen vergleichst. Ich bin stolz, und wenn ich dein Weib werde, so will ich dich allein haben für Leben und Tod, denn das ist mein Recht. Auch ich will dir sagen, wie mir ums Herz ist. Als ich noch aussah wie andere Mädchen, hatte ich dich mir als Ehewirt gehofft, und wenn du nicht mein Gemahl wirst, so wird es schwerlich ein anderer Mann auf Erden, auch wenn mich einer begehren wollte. Vor kurzem aber hörte ich eine Stimme, die wie aus meinem Innern zu mir sprach, daß ich mich einem anderen Herrn verlobe, dem Himmelsgott, der selbst die Wundenmale trug. Den halben Schleier haben sie über mich gelegt, ob ich dereinst mein Haupt ganz verhülle oder nicht, darum sorgte ich in bitterer Angststunde.«

Ingram sprang auf. »Viel Böses wünsche ich den Priestern, denn sie haben deine Gedanken von mir abgewandt.«

»Das haben sie nicht getan,« versetzte Walburg eifrig, »du kennst sie nicht, die du schmähst. Setze dich wieder und höre ruhig, denn zwischen uns soll Vertrauen sein. Stündest du im Glück vor mir, so würde ich vielleicht mein Herz verbergen, und wenn du noch bei meinen nächsten Verwandten um mich werben wolltest, so wäre dir die Freite langwierig wegen der Narbe, denn ich würde deiner Beständigkeit nur schwer trauen. Jetzt aber sehe ich, daß dir ein Freund not tut und daß dein Leben in großer Gefahr ist, da ist die Angst um dich in mir übermächtig geworden, und ich bin zu dir gekommen, damit du unter den Raubtieren nicht verwilderst und, wenn ich's hindern kann, im Walde nicht vergehest. Denn ich weiß, und du weißt es auch, daß ich in der Not zu dir gehöre.« Sie nahm den Schleier ab: »Sehen sollst du mich fortan, wie ich bin, ich verstecke mein Gesicht nicht vor dir.«

Wieder warf sich Ingram an ihrer Seite nieder und umfing sie. »Sorge nicht um meine Rettung und nicht um meine Seligkeit, an beiden liegt mir wenig, wenn du mir nicht sagst, was ich hören will, daß du zu mir kommst, weil du mich lieb hast.«

»Ich will mich dir angeloben,« sprach Walburg leise, »wenn du mir dasselbe tust.«

Jauchzend zog er sie in die Höhe. »Komm, wo die milde Sonne scheint, daß wir die heiligen Worte sprechen.« Aber als er ihr in die Augen sah, die in Liebe und Zärtlichkeit an seinem Angesichte hingen, verwandelte sich seine Gebärde, die herbe Sorge fiel ihm auf das Herz, und er wandte sich ab. »Wahrlich,« rief er, »ich bin wert, unter Wölfen zu hausen, daß ich die Tochter des toten Gastfreundes dem Grauen der Wildnis preisgeben will. Vergessen habe ich, wer ich bin. Jetzt sehe ich um mich graues Holz und wildes Kraut, und ich höre über mir den Schrei der Adler. Übel habe ich mein eigenes Leben beraten, aber ein niedriger Mann bin ich nicht, und die Treue eines Weibes mag ich nicht mißbrauchen, damit auch sie verderbe. Geh, Walburg, es war nur wie ein lustiger Traum.« Er lehnte sich an einen Baum und stöhnte, Walburg hielt seinen Arm fest.

»Ich stehe doch unversehrt an deiner Seite, und ich vertraue auf den mächtigen Schutz dessen, den wir Vater nennen, und dazu auch auf Speer und Schwert meines Helden, an dem ich mich festhalte.«

»Ich war ein Krieger, jetzt bin ich ein ruchloser Schatten. Es ist hart, Walburg, Feuer und Rauch zu meiden, noch härter, jedem Wanderer scheu aus dem Bereich seiner Augen zu weichen oder eines Kampfes gewärtig zu sein ohne Feindschaft und Grimm, nur weil der andere nach dem Friedlosen wie nach einem tollen Hunde schlägt. Aber härter als Leibesnot und Mord im Waldesdunkel ist es, feige das Haupt zu bergen und unrühmlich dahinzuleben wie das Ungeziefer unter den Bäumen, unerträglich ist solches Lungern, und die einzige Hilfe wird ein schnelles Ende im Schwertkampf. Geh, Walburg, und willst du mir deine Liebe erweisen, so sage einem, der einst mein Mann war, daß er mir ein gezäumtes Roß herführe, damit ich mir die letzte Rache suche.« Er warf sich auf den Boden und barg das Gesicht in dem Moos.

Walburg fühlte heiße Angst um den Liegenden, aber sie zwang sich zu mutiger Rede; neben ihm sitzend strich sie ihm die wirren Locken zurecht. »Tust du doch, als ob du niemand im Lande hättest, der noch um dein Wohl sorgte. Schon mancher, der den Frieden verloren hatte, gewann ihn zurück, wenn der Zorn geschwunden war. Es tat vielen leid, daß der Spruch gegen dich fiel. Herr Winfried selbst hat bei dem Grafen für dich gebeten.«

»Sage mir das nicht zum Troste,« fuhr Ingram zornig auf, »ganz widerwärtig ist mir solche Bitte und verhaßt jede Guttat des Priesters. Vom ersten Tage, wo ich ihn sah, hat er mich richten und schicken wollen wie einen Knecht, dich und mich wollte er hinterlistig für sich benützen. Als ich das Urteil über mich vernahm, da dachte ich besser von ihm als je zuvor, wenn ich ihn auch haßte, denn ich meinte, er hat doch den Mannessinn, sich an seinem Feinde zu rächen. Sein Mitleid aber ist mir das Unerträglichste von allem, denn ganz will ich ihm verleidet sein.«

Walburg seufzte. »Wie darfst du ihn schelten, er übt doch nur, was ihm der Glaube gebietet, Gutes zu tun seinen Feinden.«

»Vielleicht kommst auch du zu mir, Christenmädchen, um Gutes zu tun nach deinem Glauben, und im Innern verachtest du mich.«

Walburg schlug ihn leise auf das Haupt. »Dein Kopf ist hart und deine Gedanken sind ungerecht.« Und sie küßte ihn wieder auf die Stirn. »Nicht allein der Bischof ist dir wohlgesinnt, auch der neue Frankengraf hat dich gegen den Bruno bedauert, dein Schwert hat er hoch gerühmt und wie ungern er dich missen würde bei der nächsten Schwertreise gegen die Slawen. Denn vernimm, du Held der Thüringe, sie sagen, daß noch diesen Herbst nach der Ernte ein Volksheer gegen die Wenden geboten wird.«

Ingram fuhr auf. »Ha, das ist gute Kunde, Walburg, wenn sie auch mich Unseligen ausgeschlossen haben.«

»Höre noch anderes,« fuhr Walburg fort, »der große Frankenfürst liegt, wie sie sagen, selbst gegen die Sachsen im Felde, und überall rüsten die Helden zu neuem Streit.«

»Du machst mich toll; meinst du, ich werde überleben, von den Schwertgenossen getrennt zu sein, wenn sie sich Ehre erwerben?«

»Ich denke darauf, daß du in ihren Reihen kämpfen sollst, und auch darum bin ich hier.«

Ingram sah erstaunt zu ihr auf, aber ein Hoffnungsstrahl fiel in seine Seele, und er fragte: »Wie kannst du mir dazu helfen?«

»Noch weiß ich es nicht,« antwortete Walburg mutig, »aber ich hoffe Gutes für dich. Ich gehe zu dem Grafen, und wenn er nichts vermag, zum Frankenfürsten selbst in die Fremde, und ich flehe zu unseren Landsleuten. Von Hof zu Hof will ich wandern und bitten, vielleicht, daß sie mir günstig sind, weil sie dein Schwert jetzt gebrauchen.«

»Du treues Mädchen!« rief Ingram hingerissen.

»Und doch willst du mir verwehren, dir zu helfen, du törichter Mann,« mahnte Walburg leise, »denn du weigerst dich, mein Gelübde anzunehmen. Wie kann die Jungfrau vor den Fremden für dich sprechen, wenn sie dir nicht verlobt ist.«

Ingram hob die Hand und rief: »Wenn ich leben soll und wenn ich jemals noch mit leichtem Mut über die lichte Flur wandle, dann will ich versuchen, ob ich deiner Gesinnung zu danken vermag.«

»Jetzt sprichst du, wie ich's gern höre,« sagte Walburg froh, »und wie mit meinem künftigen Hauswirt will ich alles mit dir bereden, damit wir ein besseres Glück für uns finden. Du behältst mich bei dir hier im Walde oder wo es sonst sei, solange ich dir tröstlich bin; und wenn es dir gut dünkt, sendest du mich in das Land, damit ich als deine künftige Hausfrau um deine Sachen sorge. Die Leute werden mir's glauben, wenn ich es ihnen sage, daß ich als deine Braut komme. Für den Rabenhof wird es gut sein, wenn eine Frau nach Ordnung sieht. Deine Dienerinnen haben sich verlaufen, und sie dürfen nicht wiederkommen, denn ich denke allein Herrin im Hause zu bleiben.« Ingram nickte zustimmend. »Auch das Vieh braucht Pflege, wie ich merke, und ich werde dir eine Magd werben; das bespreche ich mit Bruno, der ein bescheidener Mann ist. Seinen Rat höre ich auch, wie wir dir den Frieden wiederschaffen. Nicht ohne schwere Buße kannst du ihn gewinnen, wenn es dir glückt; die Buße wirst du leisten, wenn sie dich auch einen Teil deines Landes kostet, entweder an deinem Hofe oder an dem Erbacker deiner lieben Mutter im Tale.« Ingram seufzte. »Es war ein schwerer Spruch, den sie gegen dich ausriefen, daß du Friede haben sollst, wo dich niemand sieht und hört. Aber das harte Wort vermögen sie mild zu deuten. Auch die Christen werden nicht nach dir spähen und nicht horchen, bis du wieder sichtbar und ruchbar wirst im Volke, wenn du gleich in dem Rabenhofe weilst oder im öden Hofe meines lieben Vaters, in den ich gern zurückkehrte. Dies sind meine Gedanken, und jetzt sage mir die deinen.«

»Mein Gedanke ist,« rief Ingram, »daß ich ein gutes Weib haben werde, wenn das Schicksal mir verstattet, im Lichte zu leben, und eine Hausfrau, die verständiger für das Rechte sorgt als ihr Wirt.«

»So rühme ich dich, Ingram«, fuhr Walburg siegreich fort. »Wie wir aus der Not kommen, weiß der liebe Gott allein, aber ihm vertraue ich und ihm danke ich, daß ich dich im Walde gefunden und dein Herz erkannt habe, wie du gesinnt bist.« Sie neigte das Haupt und sprach das Vaterunser, Ingram saß still an ihrer Seite und hörte auf die Bitten, die sie raunte. Als sie darauf neben ihm saß mit gefalteten Händen und lächelndem Munde, rührte er leise an ihren Arm und bat: »Komm, Walburg, daß ich dich aus dem Schatten in die Sonne führe.« Das Mädchen wandte sich zu ihm: »Steht mir die Narbe häßlich?«

»Ich merke sie nicht mehr«, versetzte Ingram ehrlich.

Walburg seufzte. »Vielleicht wirst du sie gewohnt. Du aber, mein Held, harre noch ein wenig. Wie du jetzt bist, darf dich die Sonne nicht sehen, denn sie scheint ungern durch Löcher im Gewande auf die bloße Haut, und auch das wilde Haar steht einem Bräutigam schlecht. Zieh erst die Jacke aus, daß ich dir sie nähe, und suche unterdes den Quell, damit du dir daran das Haupt schmückest, wie sich's gebührt.« Sie öffnete ihren Korb und holte emsig Faden und Nadel hervor. »Allerlei habe ich mitgebracht, was kein Mensch unter den Bäumen findet und was doch jeder braucht, wenn er anderen gefallen will. Hier ist dein Bräutigamshemd, ob du es meinetwegen tragen willst, ich habe es unter Schmerzen genäht, als ich krank saß. Denn du lebst jetzt nicht mehr für dich allein, auch für mich hast du zu sorgen, und vor allem hast du darauf zu denken, daß du mir immer gefällst.« Sie trieb ihn fort und besserte eifrig die Risse in dem braunen Wollkleide.

Als er wieder aus der Tiefe auf sie zusprang, riß sie den letzten Faden ab und half ihm die Jacke anziehen und vom Moose säubern: »So gefällst du mir, denn ganz verwandelt stehst du unter den Bäumen. Und jetzt, Ingram, bin ich bereit, dir zu folgen, wohin es auch sei.« Sie packte ihr kleines Gerät zusammen, und als er den Korb heben wollte, wehrte sie es. »Das geziemt dem Krieger nicht, nur mich selbst darfst du tragen, wenn mich die Kraft verläßt. Gib mir deine Hand, damit ich mich darauf stütze.«

So schritten sie schweigend nebeneinander über den Moosgrund bis zu einem Felshaupt, das sich zwischen den Bäumen erhob. Der Stamm, welcher einst darauf gestanden hatte, war gefallen, und auf der Stätte blühten im Sonnenlicht wallende Gräser, Heidenröschen und blaue Glockenblumen. Da drückte sie seinen Arm und mühte sich, ihre Bewegung unter einem Lächeln zu verbergen: »Halt an, Ingram, und vernimm noch das letzte. Deine Braut will ich werden zu dieser Stunde, aber dein Ehegemahl wird die Tochter deines Gastfreundes erst im Ringe der Verwandten, wenn mein Oheim die Frage der Vermählung tut. Denn der Sitte gedenken wir, auch wenn wir allein sind. Bis dahin liegt zwischen uns ein blankes Messer, das du mir einst geschenkt.« Sie zuckte in ihr Gewand und hob die Klinge heraus, die sie in der Halle des Ratiz gegen sich gebraucht hatte. »Denke an das Messer, Ingram, wenn du meine Wange nicht siehst.«

»Leidig ist das Messer«, rief Ingram unwillig.

»Ein guter Warner ist es«, rief Walburg und faßte bittend seine Hand. »Mahnen soll es dich, damit du dein lebelang deine Hausfrau ehren kannst.«

Ingram seufzte, aber gleich darauf sprach er mit gehobenem Haupt: »Du denkst, wie meinem Weibe gebührt.«

Beide traten in das Licht und sprachen vor der Himmelssonne ihre Namen und die Worte, durch welche sich jedes dem anderen verlobte für das Leben und den Tod. Als Ingram das Weib nach der Sitte durch ein Zeichen binden wollte und zurück sah, um ein Reis zu brechen, das er ihr um den Arm winde, da sagte sie leise: »In deiner Tasche barg ich das feste Band, welches mich an dich bindet.« Er faßte den harten Gurtriemen des Messers, das er ihr in der Todesnot gereicht hatte. Und als er sie nach dem Verlöbnis umschlang, da fühlte sie, wie sein starker Leib in der Aufregung bebte, und sie sah, daß die Sonne ein bleiches und trauriges Antlitz beschien. Lange hielt sie ihn fest und ihre Lippen bewegten sich. Aber gleich darauf begann sie heiter: »Jetzt lagere, Held, damit ich dir das Brautmahl bereite, denn das ist eine Ehre der Braut und sie läßt sich's nicht nehmen. Fehlt's heut an anderen Gästen, so laden wir die kleinen Waldvögel, wenn diese hier auf der Höhe bereit sind uns Freundliches zu singen.« Sie zwang ihm die Kost ein, welche sie mitgebracht hatte, und legte ihm die guten Bissen vor, wie einem Kranken. Dabei erzählte sie ihm gleichmütig ihre Sorbenfahrt, und von dem Fleiß auf dem Meierhofe, auch von dem Kranz der wilden Gertrud, bis er sie wieder mutig anlachte.

Die Sonne stieg aus der Mittaghöhe hinab und Ingram sah nach dem Himmel. »Ich erkenne, mein Herr denkt an den Aufbruch«, sagte Walburg. »Führe deine Waldbraut, wohin es dir gefällt. Sicher hast du als rühmlicher Jäger eine Baumhütte, die ich dir stattlich machen will.«

»Das Lager des Wildtiers, nach dem du fragst, ist unter den Steinen,« antwortete Ingram ernsthaft, »zufällig habe ich es aufgefunden, und außer mir kennt es wohl nur einer, der lebt. Es ist weit von hier, und ungern führe ich dich hinein; doch ist es gut, wenn du die Zuflucht kennst.«

»Komm,« rief Walburg, »mich ängstigt, daß deine Augen so unruhig umherfahren, wenn ich zu dir rede.«

Wieder gingen sie unter dem Schattendach auf ungebahntem Wege dahin, aus dem Laubwald in Nadelholz, über Berg und Tal, durch Erdspalten und rinnende Bäche. Einmal hielt Ingram still, warf sich zu Boden und riß Walburg nach. »In der Nähe läuft ein Saumpfad über die Berge«, raunte er. Gleich darauf hörte Walburg Männerstimmen und sah in einiger Entfernung zwei Bewaffnete vorüberreiten. Als Stimmen und Hufschlag verhallten und Ingram sich erhob, war er bleich wie ein Sterbender und kalter Schweiß lag auf seiner Stirn. »Es waren Reisige des Grafen«, sagte er heiser. Sie strich ihm mit ihrem Tuch über die Stirn. »Halte nur aus, auch der Tag wird kommen, wo diese sich grüßend vor mir neigen«, aber sie fühlte tief im Herzen die bittere Scham des Friedlosen. Stumm gingen sie weiter. Oft hielt Ingram an, lauschte und sah ängstlich um sich, endlich drangen sie abwärts durch dichtes Laubholz, zwischen dem nur einzelne Hochstämme ragten. Als Walburg mühsam an den Fuß eines steilen Abhangs niedergetaucht war, wo das Gebüsch dicht umschloß, hielt Ingram an: »Hier ist die Stelle; fürchte dich nicht, Walburg, und vertraue mir.« Sie nickte ihm zu, er bog die Zweige auseinander und wälzte eine Steinplatte zur Seite, vor ihm gähnte eine schwarze Öffnung. »Enge ist der Pfad, der in die Tiefen der Erde führt, hier ist fortan deine Wohnung, Wolfsbraut.« Walburg trat schaudernd zurück und machte das Kreuzeszeichen. »Bist du es erst gewöhnt, dann lachst du wie ich«, tröstete Ingram, aber er selbst lachte nicht. »Ich gehe voran und halte dich an der Hand, bücke dein Haupt, daß der Fels dich nicht verletze.« Er drang hinein und zog sie nach. In schwarze Nacht ging es eine Strecke abwärts, sie tastete mit Fuß und Hand.

»Fürchterlich ist der Weg in die Totenhölle«, seufzte sie; er aber zog sie weiter. »Jetzt steh fest, damit ich dir leuchte.« Er ließ ihre Hand los; sie stand auf unebenem Boden, an ihren Seiten war der Fels gewichen und mit Entsetzen griff sie um sich in leere Finsternis. Da erglomm ein Funke, das Licht ging auf und erfaßte einen Haufen Reisig; bei der roten Flamme sah sie rings um sich eine gewölbte Höhle, die scharfen Zacken des Gesteins blitzten wie Silber und rotes Gold. Vor ihr neigte sich der Boden schräg hinab bis zu einer schwarzen Wasserfläche, welche den hinteren Grund der Höhle bedeckte. Der Rauch wirbelte aufwärts um den strahlenden Fels, bis er in graulicher Dämmerung schwand, wo durch einen Spalt in der Höhe ein bleicher Schimmer Tageslicht hineinfiel. Zwischen dem blinkenden Stein, dem schwarzen Wasser und der lodernden Flamme sank Walburg auf die Knie und schloß mit gefalteten Händen die Augen. »Fürchte dich nicht, Walburg,« tröstete Ingram, »ist der Stein auch kalt und das Wasser auch tief, dennoch ist der Felsbau ein guter Schutz.«

»Hier ist die Behausung der Heidengötter,« murmelte Walburg bebend, »in solcher Höhle schlummern sie im Wintersturm, wie die Leute sagen. Jetzt mögen sie hier weilen, um sich vor dem Christengott zu bergen, und frevelhaft war es für dich und mich, in ihre Nacht zu dringen.«

Ingram sah unruhig um sich, aber er schüttelte das Haupt. »Hausen sie hier, ich habe sie noch nicht gefunden, obgleich ich gezagt habe ganz wie du, da ich zuerst hier eindrang. Und wieder zu anderer Stunde habe ich hier gelegen am flammenden Feuer und in schwarzer Finsternis, und ich habe sie mit wildem Mute gerufen, daß sie mir halfen, alle heiligen Götternamen. Aber Walburg,« flüsterte er, »keiner hat mich gehört. Der hohen Menschenherrin Frija, meinte ich, gehöre die Steinhalle, denn die Weisen sagen, daß sie gnadenvoll in den Bergen waltet und sterbende Männer zuweilen bei sich aufnimmt, und da ich zweifelte und ausgestoßen war, so wähnte ich, daß sie mir die Gunst ihrer Höhle gewährt habe, und obwohl sich mir das Haar sträubte, so nannte ich sie doch, ich flehte und schrie und gelobte mich ihrem Dienst, aber sie kam nicht. Die Flamme loderte wie jetzt, nur in dem Wasser wirbelte es, und ich erkannte eine große Wasserschlange, welche umherfuhr. Ich schaute in ihr die Göttin, warf mich zu Boden und hörte die Schlange rauschen, gerade wie jetzt«, er wies auf das Wasser, Walburg stieß einen gellenden Schrei aus, denn eine große Schlange wand sich in der Flut, und ihr Kopf hob sich über die Wellenringe an der Oberfläche.

»Flieh, Ingram,« flehte Walburg, »ich weiß, und es steht in den heiligen Büchern geschrieben, daß solcher Wurm dem Menschen alles Unheil sinnt.«

»Er bringt Schätze, sagen sie,« versetzte Ingram leise, »doch habe ich hier noch kein Gold erspäht. Einmal kam die Schlange hervor und rollte sich auf der warmen Kohlenstätte, da meinte ich sicher, daß sie die Herrin der Höhle sei. Aber Mädchen, ich glaube nicht mehr, daß sie es ist. Denn ich sah einst, wie eine Maus längs dem Wasser dahinfuhr. Und der Wurm schnellte hervor und verschlang die Maus und lag dann am Ufer mit geschwollenem Leibe.«

»Weißt du, wer die Maus war?« mahnte Walburg ängstlich. »Mancher Unhold wandelt in Maushülle.«

Aber Ingram versetzte kopfschüttelnd: »Ich meine, es war eine Waldmaus wie viele andere. Seitdem fürchte ich die Schlange nicht sehr. Und wenn sie auch manches vermag, so ist's doch nichts Arges, denn friedlich hausen wir nebeneinander. – Und daß ich dir alles vertraue, Walburg,« fuhr er schwermütig fort, »ich glaube nicht mehr, daß die Menschengötter groß um mich sorgen. Es gelang mir auch nicht mit Hilla, der weisen Frau, als ich mich in ihre Hütte wagte.«

»Unseliger,« schrie Walburg, »zu der Zauberfrau bist du gegangen, die sie eine Hegisse nennen? Sie opfert den Nachtgeistern und heillos wird jeder, der mit ihr zu tun hat.«

»Das sagt ihr Christen. Doch leugne ich nicht, ihr Wesen ist traurig und unhold ihre Arbeit. Sie forderte zu dem Nachtwerk, das sie für mich beginnen wollte, ein lebendiges Kind.«

»Du aber widerstandest?« rief Walburg.

»Ich dachte an dich,« versetzte Ingram zögernd, »und daß ich zu den Sorben gefahren war, um Kinder zu lösen. Und ich ging nicht wieder zu ihr. Seitdem lebe ich wie einer, den die Überirdischen nicht mehr schützen, denn auch sie achten den Friedlosen gering. Nur einer hohen Herrin vertraue ich mich,« fuhr er geheimnisvoll fort: »der Schicksalsfrau, welche mit ihren Schwestern auf dem Gewässer schwebt, und ich meine, es wird besser um mich stehen, wenn ich in dem Tale flehe, über dem sie waltet.«

»Von der Wasserfrau am Idisbach sprichst du?« fragte Walburg scheu. Ingram nickte. »Sie ist meinem Geschlecht seit der Urzeit hold, und eine Sage kündet, wie sie uns günstig wurde. Willst du sie hören, so vernimm, denn dies ist die Stunde, wo ich dir mein Geheimnis vertrauen darf.« Er warf neue Holzbündel in die Flamme, daß sie prasselnd aufloderte, zog die erschrockene Walburg neben sich auf einen Moossitz und begann feierlich: »Ingo ist der Ahn genannt, von dem ich stamme, ein Held der Thüringe. Er war der Tochter seines Häuptlings lieb, die der Vater einem anderen gelobt hatte. Und als der Held seinen Feind auf der Kampfaue gefällt hatte, machten sie ihn friedlos, und er schweifte als fahrender Recke. Einst ritt er am Wasser dahin, sie sagen, es war der Idisbach, da sah er eine wilde Otter, welche gegen einen Schwan kämpfte. Er erlegte die Otter, und als er darauf unter dem Eschenbaum saß auf der Höhe, hob sich aus dem Schwanenkleid die Herrin des Baches, sang über ihm glückbringende Runen und begabte ihn mit einem Zauber, der ihm Sieg und Unsichtbarkeit gegen seine Feinde verlieh. Mit dem Zauber drang der Held bei Nacht in den Hof des Häuptlings und entführte die Jungfrau, welche er liebte. Er zimmerte sich über dem Bach der Göttin seinen Hof, dort hauste er gewaltig, die Männer des Tales dienten ihm, und keiner seiner Feinde vermochte ihm obzusiegen. Einst aber holte der kleine Sohn des Helden den Zauber aus der Truhe, hing ihn um und wandelte in den Wald. Da wurden die Feinde meines Ahnen mächtig und verbrannten ihn und die Hausgenossen mit dem Hofe. Nur der Knabe entrann. Von ihm stamme ich.«

»Weißt du, Ingram, ob die Gabe in Wahrheit Glück brachte?« fragte Walburg.

»Wie darfst du zweifeln,« rief Ingram unwillig, »es ist geheime Kunde meines Geschlechtes, und ich selbst bewahre noch den Zauber, das Erbe meiner Ahnen.«

»Du trägst bei dir, was von Unholden stammt?« schrie Walburg angstvoll. »Laß mich's sehen, daß ich wisse, denn auch dies ist jetzt mein Recht.«

»Du stehst unter dem Kreuze,« versetzte Ingram besorgt, »und ich weiß nicht, ob du dem Zauber günstig bist und er dir. Doch will ich dir's heut nicht bergen.« Er riß das Kleid auf und wies eine kleine Tasche von abgestoßenem Fell, die an seinem Halse hing. »Dies Zeichen ist so echt und heilig als irgend etwas auf Erden; sieh her, du magst noch erkennen, daß es in Wahrheit vom Otterfell stammt. Mein Vater trug es zuweilen, und meine Mutter übergab es mir. Als ich nach den Kindern ritt, barg ich es im Gewande, und darum, fürchte ich, ward der Sorbe mein Herr. Nach der Heimkehr band ich es um.«

»Und an demselben Abend verlorst du den Frieden«, mahnte Walburg.

»Ich verlor ihn,« versetzte Ingram düster, »vielleicht, daß der Zauber nicht den Frieden bewahrt, denn friedlos war auch mein Ahnherr, da er ihn empfing.«

Mit geheimem Grauen erkannte Walburg, daß der Mann, den sie liebte, unter der Macht unholder Gewalten stand. Die Flamme loderte und warf rote Funken umher, der zackige Stein leuchtete und blitzte, und unten in der Tiefe wirbelte der teuflische Wurm.

»Wer wärmt hier so frech sein Gebein?« rief eine wilde Stimme vom Eingang her, »den Rauch roch ich über den ganzen Berg.«

Aus dem Felsspalt trat schwerfällig in dunklem Kleide von Fellen eine riesige Gestalt, blutbespritzt war das Gesicht und Blut träufelte von den Armen, als der Unhold sich dem Feuer näherte. Walburg fuhr entsetzt in die Höhe. »Ich sehe zwei. Bist du unsinnig, Wolfsgenoß, daß du dir ein Weib unter die Erde holst?«

»Du wähltest üble Stunde einzudringen, Bubbo,« entgegnete Ingram unwillig, »und dir steht Drohen schlecht an, wo du selbst die Hilfe anderer gebrauchst; denn ich sehe, hartem Kampf bist du entronnen.«

»Den Bär erlegte ich, mich packte die Bärin, und wir rollten zusammengeballt vom Felsen. Mein gutes Glück war, daß sie unten lag und für mich den Sturz bezahlte, ich schleppte mich mühsam hierher, wo ich dich zu finden hoffte«, versetzte Bubbo und setzte sich schwerfällig auf das Moos.

»Sieh zu, wo er wund ist, damit ich ihn verbinde«, mahnte Walburg, welcher die Not des anderen den Mut zurückgab, und sie trug den hilfreichen Korb heran.

»Bist du's, Walburg?« murrte Bubbo. »Der Armknochen ist gebrochen, und der Leib voll Risse, schiene den Arm mit Rinde und sprich deinen Segen, wenn du es vermagst, denn ich fürchte, meine Braunen werden über diesen Sturz frohlocken.«

Während Ingram Wasser schöpfte und aus der Höhle eilte, um Baumrinde und Moos zu holen, bereitete Walburg den Verband. »Nimmer hätte ich gedacht, daß mein Schleier einmal an deinen Wunden haften würde, Bubbo«, sagte sie gutherzig.

»Es ist nicht zum erstenmal, daß du an mir bindest«, versetzte der Waldmann so höflich als er vermochte. »Und wenn noch jemand unser Geheimnis teilen soll, so ist mir recht, daß du es bist, obgleich ich dich für ganz unklug halte, weil du aus dem Meierhofe unter diesen kalten Stein fährst.«

Als Ingram zurückkehrte, schiente Walburg mit seiner Hilfe den Arm und deckte die Fleischwunden.

»Vermagst du mir einen Trunk zu reichen, so wäre mir's lieb,« bat der Waldmann, »das Wasser dort unten ist rein und kalt.« Der Jungfrau grauste hinabzusteigen, sie hob eine Flasche aus dem Korbe und füllte einen kleinen Holzbecher. »Dies ist ein Trank, den Herr Winfried uns gelehrt hat, er ist heilsam gegen scharfen Schmerz. Er wird dich zuerst sorglos machen und darauf müde, und das ist jetzt für dich das beste.«

»Ich würde den Trank deines Bischofs rühmen, aber er schwindet wegen seiner Spärlichkeit auf dem Wege abwärts«, seufzte Bubbo, den Becher zurückgebend. »Doch leugne ich nicht, daß es besser ist, einen Trunk aus seinem Vorrat zu bekommen als einen Fluch.«

»Du kennst den Bischof?« rief Walburg. Ein langes Brummen war die Antwort. »Wie sollte ich ihn nicht kennen, da er sich selbst meiner rühmt. Denn im letzten Mond, als er mit Reisigen des Grafen über die Berge nach den Frankendörfern ritt, schlugen die Speerleute ihr Kreuz, da sie bei meinem Hofe vorbeikamen, doch er sprach: ›Hier halten wir an.‹« Bubbo lachte laut. »Die Reiter machten große Augen und redeten leise zu ihm, er aber versetzte: ›Hier wohnt mein Gastfreund.‹ Sie pochten lange am Tor,« fuhr er redselig fort, »obgleich ich auf der Innenseite stand. Als ich endlich öffnete, sprach der Bischof zu mir: ›Wir wollen dich nicht durch unser Einlager beschweren, nur um einen Trunk Wasser bitte ich dich und daß du mir sagst, ob ich dir in etwas nützen kann.‹ Als wir nun allein am Herde saßen, mahnte ich ihn an ein altes Versprechen, daß er mir wohl etwas von seiner Kunst mitteilen könnte. Und er sprach: ›Ich bin immer bereit, was begehrst du?‹ Ich sagte: Gold; ich will es finden oder gewinnen. Er antwortete: ›Gut, ich will dir's weisen.‹ Und er holte aus seinem Ledersack Pergament in einem Holzkasten, was sie ein Buch nennen, und schlug es auf. Ich erstaunte mehr als jemals in meinem Leben, denn von Gold waren die Runen, welche auf das weiße Leder geschrieben waren. Sie leuchteten mir in die Augen, daß ich erschrak, da sprach er: ›Du tust wohl, deine Mütze abzunehmen, denn die Worte, welche geschrieben stehen, sind heilig, und hier ist die Verkündigung, welche für dich gegeben ist.‹ Er wies mir die Stelle und deutete sie: ›Es war einmal ein Mann, so armselig, krank und verachtet, daß niemand mit ihm verkehren wollte, und gerade den trugen die Boten der Überirdischen in die Himmelsburg und setzten ihn auf den Ehrenplatz; den reichen und vornehmen Mann aber, der in Purpur wandelte, stießen sie hinab in das finstere Nachtreich.‹ Und der Bischof sprach: ›Merke wohl, im Christenhimmel ist den Armen, Verfolgten und Ausgestoßenen gutes Gemach bereitet, ob sie auch heimatlose Leute und Bärenführer sind, wenn sie ihre Sünden bereuen. Schwerer wird dem Reichen der Weg in den Himmelssaal als dem Armen. Darum, wenn es dir übel gedeiht bei deinen Bären, denke auf ein besseres Leben und komm zu mir, damit dir dort oben das Glück bereitet werde, das dir hier verkündet ist.‹ Gleich darauf ritt er davon, ich aber saß am Herde und merkte, daß er mir nicht übel geraten hatte. Denn auch ich begehre nach diesem Leben ein besseres Glück, als ich hier im Wintersturm bei meinen langlodigen Genossen hatte. Und mir fiel ein, wie ich dereinst im Frankenreich mehr als einen Siedler gesehen habe, der einsam bei seinem Kreuze um die Gunst des Himmelsherrn bittet. Wenn der Christengott auch dem schicksalslosen Waldmann einen Ehrensitz zuteilt, so möchte ich ihm wohl dienen, wie er's begehrt. Und diese Höhle, in der ich jetzt gezaust liege, könnte einmal meine Wohnung sein.«

Ingram lachte laut. »Du, Bubbo, willst unter den Christen beten?«

»Vielleicht tue ich's«, versetzte der Waldmann trotzig. »Ist die Christenlehre so mild gegen die Armen und Unfreien, dann mögen alle, die den Nacken hoch tragen, sich fortan wahren, denn alles arme Volk muß dem Bischof zufallen, und der Armen sind mehr als der Reichen.«

»Du aber weißt ein Schwert zu führen«, rief Ingram.

»Ich habe getötet mit jeder Waffe, Menschen und Tiere, wie mich die Not trieb,« versetzte der Riese finster, »was habe ich davon gehabt? Daß mich die Leute scheu anblicken, daß ich in Schnee und Wintersturm allein hause und daß kein Gott und kein Mann Sorge um mich trägt. Wer seit dreißig Sommern und Wintern in der Waldwüste mit den Raubtieren heult, der kümmert sich nicht mehr um die Menschengötter der Heiden. Graubärte hörte ich schwatzen und fahrende Sänger hörte ich viel singen von der Götterhalle, zu der die Helden aufsteigen, aber daß dort jemand den Bärenfänger freundlich begrüße, habe ich niemals gehört. Du bist kaum einen grünen Sommer Wolfsgenosse und hast gelernt am Opferstein zu flehen und Gutes zu hoffen. Ich aber habe zuweilen neben der Felskluft gelauert, aus welcher der Uhu fliegt, wenn er sein Wu-hu schreit, damit die Männer im Tal ihre Köpfe bergen und das sausende Gottesheer erwarten, und ich habe dem Schreier den Kopf zerschlagen und die Fänge abgeschnitten, ohne daß sein Gott mich hinderte. Und ich sage euch, ich fürchte die Götter nur selten, und ihrem guten Willen vertraue ich gar nicht. Erbarmungslos sind die Gewaltigen des Waldes und immer feindlich dem Menschen, nur Leiden und Ungemach teilen die zu, welche im Sturme fahren und um die Baumgipfel schweben; was ich Gutes genossen habe, erwarb ich mir mühevoll selbst.«

Ein Dröhnen unterbrach seine Rede, so gewaltig, daß der Felsen bebte; Ingram und Walburg fuhren empor, Bubbo lauschte, dann lachte er: »Ein Baum stürzte; der Wurm und der Moder haben ihm das Holz zerfressen. Meint ihr, das ist eine Mahnung der Menschengötter? Es stürzen ihrer viele, wo sie niemand hört.« Und er fuhr fort: »Ich scheue den Bären, wenn ich ohne Waffen bin, ich scheue die giftige Schlange, ich fürchte die tückischen Elbe, wenn sie in meine Glieder fahren und mich kraftlos machen, und ich fürchte zuweilen den Biß der Kälte und den Strahl aus den Wolken. Im übrigen weiß ich, daß die Überirdischen nur gegeneinander wüten in grimmigem Kampfe. Darum denke ich, daß in den goldenen Buchstaben des Bischofs ein Geheimnis liegt, welches mir wohl helfen kann aus dieser Waldöde. Und in kurzem werde ich es sicher erkennen.«

»Gehe zu ihm, Bubbo,« rief Walburg, »damit du seine Lehre noch einmal hörst.«

»Gerade das will ich nicht tun,« versetzte Bubbo schlau, »es könnte mir jetzt auch übel bekommen. Eine bessere Prüfung weiß ich. Wenn der Christengott stark genug ist, seinen Häuptling selbst vor der Gefahr zu schützen, so mag dereinst wohl auch mir Gutes geschehen. Darum hänge ich mein Schicksal an das Schicksal des Bischofs. Gerade in dieser Stunde ziehen, wie ich meine, seine Feinde gegen ihn. Würgen sie ihn, dann ist der Christengott auch nicht stärker als die anderen, und ich jage meine Braunen, bis mich wieder einmal einer umarmt wie heut. Wird aber mein Gastfreund seiner Feinde mächtig, dann werde ich ein Mann seines Gottes.«

Der Jungfrau preßte die Angst das Herz zusammen, sie mühte sich, ruhig zu sagen: »Wunderlich ist deine Hoffnung, wie soll dem Herrn Winfried nahe Gefahr drohen, das Land ist im Frieden und die Reiter des Grafen umgeben ihn.«

Bubbo lächelte finster. »Da ihr Wolfskinder seid wie ich, so mögt ihr's hören. Vielleicht kommt der Ratiz über ihn.«

Ingram fuhr auf. »Woher willst du das wissen?«

»Die Blätter im Walde haben mir's erzählt, und die Krähen haben mir's zugetragen«, versetzte Bubbo. »Ich war bei Ratiz, kurz nach deinem Ausbruch; wie ein toller Kater fuhr er zwischen den verbrannten Hütten umher. Und zuerst fand ich so üblen Empfang, daß ich um den Rückweg sorgte. Schnell aber änderte er die Miene und bot mir Frankengeld, wenn ich einem Reiter in meiner Hütte heimlichen Unterschlupf geben wollte und selbst nach der Werra gehen, um dort eine Botschaft seiner Gesandten zu empfangen, sobald diese vom Frankenherrn zurückkehrten. Denn nur langsam vermögen sie im Geleit durch das Land der Thüringe zu ziehen und werden überall verweilt. Ich tat nach seinem Willen, nahm den Läufer mit mir in den Hof und ritt westwärts zur Werra, auf die Gesandten zu harren. Diese gaben mir mit trüben Mienen ein Zeichen für den Läufer und drängten mich, heimzureiten. Als ich das Zeichen dem Läufer gab, sprang dieser zur Stelle aufs Pferd und fuhr wie vom Winde getrieben nach der Richtung des Sorbenbachs zu.«

»Von deinem Hofe zum Dorf des Sorben vermag kein Reiter in gerader Richtung zu sprengen, denn pfadlos ist die Gegend nach Osten«, rief Ingram.

»Über den Rennweg ritt er, du Narr. Ist der hohe Pfad auf den Bergen noch den Thüringen heilig und euren Rossen verboten, warum sollte er es den Sorben sein? Den Fremden graut vor anderen Göttern, und sie fragen wenig nach den euren, wenn sie auf Raub sinnen. Darum sage ich, der Ratiz will in die Täler der Thüringe einbrechen, bevor sie das Volksheer gegen ihn führen. Fängt er den Bischof, so zwingt er die Franken zu vielem. Vielleicht weiß er auch einen Hof, an dem er gern sein gebranntes Lager rächen würde. Denn damit drohte der Bote in meiner Hütte.«

Ingram tat schweigend seine Waffen um. »Wann ritt der Sorbenläufer zum Lager des Ratiz?«

»Heut ist der vierte Tag«, versetzte Bubbo in schläfrigem Behagen. »Was greifst du nach dem Speer, du Tor? Dich haben sie hinausgeworfen, und wenn du heimkehrst, mag dich jeder erschlagen.«

Ingram antwortete nicht, sondern gab Walburg einen Wink, ihm zu folgen. »Treuloser Wicht,« rief Bubbo, sich mühsam erhebend, »willst du deinen Genossen in der Not verlassen?« Walburg setzte die Flasche und den Speisevorrat an das Lager. »Hier magst du dauern, bis wir wiederkehren,« rief sie, »und wenn du Gutes für deine Zukunft hoffst, so versuche zum Christengott zu beten, daß er dir die Lose verzeihe, die du über den Bischof geworfen hast.«


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