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Zwei Arten von Fürsten gibt es in der Welt: die einen wollen mit eigenen Augen sehen und die Regierung ihrer Staaten selber in der Hand behalten, die anderen verlassen sich ganz auf die Ehrlichkeit ihrer Minister und lassen sich von denen leiten, die Einfluß auf sie gewonnen haben.
Die Herrscher der ersten Gattung sind die Seele ihrer Staaten; auf ihnen allein ruht das volle Gewicht der Regierung wie die Welt auf den Schultern des Atlas. Sie regeln die äußeren wie die inneren Angelegenheiten, alle Verordnungen, Gesetze, Erlasse gehen von ihnen aus; sie füllen zur selben Zeit das Amt eines Justizministers aus, des Oberfeldherrn wie des Finanzministers, kurz, alles, was nur irgend für den Staat von Wichtigkeit sein kann, geht durch ihre Hand. Ihnen stehen zur Seite, nach dem Vorbilde Gottes, dem als die Vollstrecker seines Willens geistige Wesen von höherer Art denn der Mensch gesellt sind, scharfsichtige und arbeitsfrohe Geister, um ihre Absichten auszuführen und im einzelnen zu verwirklichen, was sie in großen Zügen entworfen haben. Ihre Minister sind eigentlich nur Werkzeuge in der Hand eines weisen und geschickten Meisters.
Die Herrscher der zweiten Gattung sind, aus angeborener Trägheit oder weil ihnen der Genius fehlt, wie versunken in einen Abgrund von Gleichgültigkeit. Wie man nun einen Ohnmächtigen durch starke ätherische und balsamische Gerüche wieder ins Leben zurückruft, genau so muß ein Staat, der infolge der Schwäche seines Herrn ohnmächtig daniederliegt, durch den Geist und das Feuer eines Ministers, der fähig ist, die Mängel seines Herrn zu ersetzen, wieder aufgerichtet werden. In diesem Falle ist der Fürst nur das Werkzeug seines Ministers, seine Bedeutung beschränkt sich höchstens darauf, vor dem Volke dem leeren Schemen der Königshoheit sichtbare Gestalt zu geben; seine Person ist für den Staat so entbehrlich, wie die des Ministers unentbehrlich ist. Bringt für den Fürsten der ersten Art die rechte Wahl seiner Minister nur eine Arbeitserleichterung ohne erheblichen Einfluß auf das Wohl des Volkes, so hängt beim Fürsten der zweiten Gattung geradezu alles von dieser Wahl ab: das Wohl und Wehe des Volkes wie sein eigenes.
Es ist für einen Fürsten gar nicht so leicht, wie man meint, die Sinnes- und Gemütsart der Männer, die er für seinen Dienst ausersieht, recht zu ergründen; denn so schwer es dem Fürsten gemacht ist, sein inneres Wesen vor den Augen der Welt zu verhehlen, so leicht hat es der einzelne, vor dem Auge des Herrn eine falsche Rolle zu spielen. Mit dem inneren Wesen der Höflinge ist es wie mit dem Gesicht geschminkter Frauen: mit vieler Kunst erreichen sie es, daß einer genau dem anderen gleicht. Könige sehen die Menschen niemals, wie sie in Wirklichkeit sind, sondern nur so, wie sie erscheinen wollen. Ein Mensch beim Hochamt im Augenblick der Weihe, ein Höfling bei Hof in der Gegenwart des Fürsten, und derselbe im Freundeskreise – jedesmal wird das ein völlig anderer Mensch sein; der Cato des Hofes gilt als der Anakreon der Stadt; der Weise vor der Öffentlichkeit ist ein Narr daheim, und wer mit lauter Stimme ein großes prunkendes Wesen von seiner Tugend macht, vernimmt in seinem Innern die leise Stimme seines Gewissens, die ihn schmählich Lügen straft.
Doch hier handelt es sich nur um Verstellung gewöhnlicher Art. Nun laßt aber erst einmal selbstsüchtige, laßt ehrgeizige Zwecke mit dareinreden, laßt sie sich um eine erledigte Stelle drängen mit einem Eifer, wie die zahlreiche Freierschar Penelope umwarb! Mit der Habgier eines Höflings wächst seine Dienstbeflissenheit für seinen Fürsten und seine Achtsamkeit auf sich selbst; alle Mittel der Betörung, auf die sein Geist verfällt, sind ihm recht, wenn es gilt, sich angenehm zu machen; er schmeichelt dem Fürsten, teilt seinen Geschmack, heißt seine Leidenschaften gut – ein Chamäleon, bereit, jede Farbe seiner Umgebung anzunehmen.
Ohne Mühe wird ein Fürst von Geist sich ein Urteil bilden über das Genie und die Fähigkeiten seiner Diener. Aber fast ein Ding der Unmöglichkeit ist es für ihn, ein rechtes Bild zu gewinnen von dem Grade ihrer Selbstlosigkeit und Treue; besteht doch gewöhnlich darin die ganze Kunst der Minister, ihre Ränke und Schliche vor dem geheim zu halten, der, wenn er dahinter käme, berechtigt wäre, sie zu bestrafen.
Oft erlebt man es, daß Menschen im Scheine der Untadligkeit dastehen, nur weil es ihnen an der Gelegenheit fehlte, sich als das Gegenteil zu entpuppen, daß sie aber, kaum daß ihre Tugend auf die erste Probe gestellt ward, auf alle Ehrbarkeit verzichteten. Ehe Tiberius, Nero, Caligula auf den Thron gelangt waren, wußte in Rom kein Mensch ihnen etwas Arges nachzusagen; wer weiß, ob nicht ihre Ruchlosigkeit in der Entwicklung steckengeblieben wäre, ohne die Gelegenheit, die ihr Luft machte, die gleichsam den Keim ihrer Niedertracht erst aufgehen ließ.
Es gibt Menschen, bei denen sich eine Fülle von Geist, Weltgewandtheit und Fähigkeiten zu dem schwärzesten, undankbarsten Gemüte gesellt, und wieder andere mit allen Vorzügen des Herzens ohne jene lebendige und glänzende Treffsicherheit, die dem Genie eigen ist. Da haben denn kluge Fürsten gewöhnlich solchen Männern, bei denen die Gemütsseite überwog, den Vorzug gegeben für die Verwendung im inneren Staatsdienst; für ihre auswärtigen Verhandlungen dagegen bedienten sie sich lieber der lebhaften und feurigen Köpfe. Mit gutem Grunde, denke ich: handelt es sich nur um die Aufrechterhaltung von Ordnung und Recht im eigenen Lande, so ist Redlichkeit dafür Bürgschaft genug; gilt es aber, den Nachbar durch Scheingründe hinters Licht zu führen, den Pfad des Ränkespiels zu beschreiten und sogar Bestechungen anzuwenden, wozu Gesandte im Ausland oftmals gezwungen sind, dann ist es mit der Ehrlichkeit nicht getan, das liegt auf der Hand, dann braucht es Witz und Geschmeidigkeit.
Ich meine, ein Fürst kann Treue und Diensteifer gar nicht genug belohnen eine Erkenntlichkeit, die uns schon unser natürliches Gerechtigkeitsgefühl zum unabweisbaren Bedürfnis macht. Außerdem aber gebietet es den Großen der eigene Nutzen, Dankbarkeit mit ebensoviel Hochherzigkeit zu üben, wie sie mit Milde strafen sollen. Kommt ein Minister dahinter, daß die Tugend gar kein so schlechtes Geschäft ist, so fühlt er sich ganz gewiß nicht mehr auf verbrecherische Streiche angewiesen und wird sich lieber die Wohltaten des eigenen Herrn gefallen lassen als die Bestechungen eines fremden. So begegnen sich hier durchaus die Forderung der Gerechtigkeit und die der Weltklugheit, und wollte einer, statt großmütige Dankbarkeit zu üben, die Zuneigung seiner Minister auf eine gefährliche Probe stellen – ich weiß nicht, was dabei bedenklicher wäre: seine Herzlosigkeit oder sein Unverstand.
Manche Fürsten verfallen wieder in einen anderen Fehler, der ihrem wahren Vorteil genau so zuwiderläuft: sie wechseln ihre Minister mit bodenloser Leichtfertigkeit und ahnden mit übertriebener Härte die geringfügigsten Fehle. Arbeitet ein Minister unmittelbar unter den Augen seines Fürsten, so kann dem Herrn nach einer geraumen Amtsdauer unmöglich entgehen, wo jener etwa versagt; je scharfsichtiger er ist, desto leichter kommt er dahinter. Da wird denn ein Herrscher ohne philosophische Besonnenheit gar bald die Geduld verlieren, wird außer sich geraten über die Schwächen seines Beamten, wird ihm seine Gnade entziehen, ihn fallen lassen. Ein Fürst, der tiefer denkt, kennt die Menschen besser: er weiß sie allzumal gezeichnet mit dem Mal der Menschlichkeit, wie es denn nichts Vollkommenes hienieden gibt; er weiß, daß alle wertvollen Eigenschaften gewissermaßen durch große Mängel aufgewogen werden, und daß ein Genie aus dem Guten wie dem Schlechten seinen Vorteil ziehen muß. Aus diesem Grunde behält er lieber, wofern keine Pflichtvergessenheit im Spiel ist, seine Minister mit ihren guten wie ihren schlechten Eigenschaften bei, hält sich lieber an die, die er schon ausgeprobt hat, statt es mit neuen, die er vielleicht fände, zu versuchen. So wird ein Musiker von Verstand sein altes Instrument, dessen Vorzüge und Schwächen ihm geläufig sind, einem neuen von unbekannter Güte vorziehen.