Sextus Julius Frontinus
Des Sextus Julius Frontinus' Schrift über die Wasserleitungen der Stadt Rom
Sextus Julius Frontinus

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10. Ebenderselbe, als er schon zum drittenmal Consul gewesen war, leitete unter dem Consulate des C. Sentius und des Q. Lucretius, 13 Jahre nach der Herleitung der Julia, auch die Virgo, auf einem Lucullanischen Felde gesammelt, nach Rom. Als der Tag, an welchem sie zuerst in der Stadt in Wirksamkeit getreten, wird der fünfte vor den Junischen Iden gefunden. Der Name Virgo (Jungfrau) schreibt sich daher, dass, als Soldaten Wasser suchten, diesen ein jungfräuliches Mädchen einige Adern zeigte : die nachgrabenden verfolgten diese und entdeckten ein ungeheueres Wasserlager. Ein an der Quelle erbautes Häuschen stellt diesen Ursprung in einem Gemälde dar. Gefasst also wird sie an der Collatinischen Strasse, beim 8ten Meilensteine, in sumpfiger Gegend. Sie wird durch Umlegung einer Art Mischung von gestossenen Scherben und Kalk, um die Brudelquellen zusammenzuhalten, unterstützt, so wie durch eine Menge anderer Zuflüsse. Sie kommt durch eine Strecke von 14,105 Schritten: davon in unterirdischem Gerinne van 12,865; über der Erde von 1240: davon in untermauerten Gerinnen an mehreren Orten von 540; auf Bogenwerk von 700 Schritten : die unterirdischen Gerinne der Leitung der Zuflüsse betragen 1405 Schritte.

11. Welcher Beweggrund den Augustus, den einsichtvollsten Fürsten, veranlasst hat, das Alsietinische Wasser, welches Augusta genannt wird, herzuleiten, durchschaue ich nicht recht, da es doch von keiner Annehmlichkeit, im Gegentheil sogar zu ungesund ist, und deshalb nirgends zum Nutzen des Volkes fliesst; es sey denn dass, als er zur Anlage der Naumachie schritt, er, um heilsameren Gewässern nichts zu entziehen, dieses gerade zu dem eigenthümlichen Zwecke hergeleitet und den Ueberfluss der Naumachie den am Fusse derselben belegenen Gärten und dem Gebrauche der Privaten zur Bewässerung überlassen hat. Es pflegt jedoch aus ihm im Stadtviertel jenseits der Tiber, so oft die Brücken ausgebessert werden und vom diesseitigen Ufer die Gewässer ausbleiben, aus Noth zur Aushülfe der öffentlichen Röhrbrunnen gespendet zu werden. Gefasst wird es aus dem Alsietinischen See, an der Claudischen Strasse, beim 14ten Meilenstein, 6500 Schritte rechterhand. Seine Leitung beträgt eine Länge von 22,172; auf Bogenwerk von 358 Schritten.

12. Auch hat Augustus zur Ergänzung der Marcia, so oft trockene Zeiten der Hülfe bedürftig waren, ein anderes Wasser von derselbigen Güte mittelst unterirdischer Anlage bis zum Gange der Marcia hergeleitet, welches nach dem Finder Augusta genannt wird. Es hat seinen Ursprung über die Quelle der Marcia hinaus: seine Leitung bis zum Eintritt in die Marcia beträgt 800 Schritte.

13. Nach diesen hat C. Cäsar, des Tiberius Nachfolger, weil die sieben Wasserleitungen sowohl zum öffentlichen Gebrauch als auch zum Privatvergnügen nicht hinreichend genug schienen, im zweiten Jahre seiner Regierung, unter dem Consulate des M. Aquilius Julianus und des P. Nonius Asprenas, im Jahre nach der Gründung der Stadt 789, die Anlage zweier Leitungen begonnen: welches Werk Claudius auf das Prachtvollste vollendet und unter dem Consulate des Sulla und des Titianus, im Jahre nach der Gründung der Stadt 803 an den Kalenden des Augustus, eingeweihet hat. Das eine Wasser, welches aus den Quellen Cärulus und Curtius hergeleitet wurde, erhielt den Namen Claudia. Dieses kommt an Güte der Marcia am nächsten. Von dem andern kam, weil nun zwei Gewässer des Namens Anio in die Stadt liefen, damit sie durch ihre Bennennung leichter unterschieden würden, der Name Neue Anio auf. Es verdirbt alle andern. Dem frühern Anio wurde der Zuname des Alten beigelegt.

14. Die Claudia wird gefasst an der Sublacensischen Strasse, beim 38ten Meilensteine, 300 Schritte linkerhand, aus zwei sehr geräumigen und schönen Quellen, der Cärulischen (Blauen), von der äussern Aehnlichkeit so genannt, und der Curtischen. Sie nimmt auch die Quelle auf Namens Albudinus, welche von solcher Güte ist, dass, so oft sie selbst die Marcia nöthigenfalls unterstützt, sie dergestalt befriedigt, dass sie durch ihren Eintritt in dieselbe nichts an deren Character ändert. Die Quelle der Augusta ist, weil die Marcia für sich allein offenbar für reichhaltig genug erschien, in die Claudia abgeleitet worden; sie blieb jedoch nichtsdestoweniger Hülfsquelle für die Marcia, so dass das Claudische Wasser erst in dem Falle von der Augusta unterstüzt wurde, wenn die Leitung der Marcia dieselbe nicht fasste. Die Leitung der Claudia hat eine Länge von 46,406 Schritten: davon in unterirdischem Gerinne von 36,230; auf überirdischem Bauwerk von 10,176: davon auf Bogenbau an mehreren Stellen des höher liegenden Thal-Theiles von 3076, und nahe bei der Stadt vom 7ten Meilensteine ab auf untermauertem Gerinne von 609, auf Bogenbau von 6491 Schritten.

15. Der Neue Anio wird auf der Sublacensischen Strasse, beim 6ten Meilensteine, in dem Subruinum aus dem Flusse aufgefasst; welcher, weil er um sich her angebaute Ländereien von fettem Boden und deshalb losere Ufer hat, auch ohne Einwirkung des Regens lehmig und trübe fliesst: deshalb ist an der Einmündung der Leitung ein Schlammteich vorgelegt, damit darin zwischen dem Fluss und dem Hohlgerinne das Wasser stehen bliebe und sich abklärte. Aber trotz dieser Vorrichtung kommt es, so oft Platzregen einfallen, getrübt in die Stadt. Es vereinigt sich mit ihm das Herculanische Fliess, welches an ebenderselben Strasse, beim 38ten Meilensteine, den Quellen der Claudia gegenüber jenseits des Flusses und der Strasse, seinen Anfang nimmt, an und für sich überaus rein ist, aber durch die Vermischung den Reiz seiner Klarheit verliert. Die Leitung des Neuen Anio beträgt 58,700 Schritte: davon in unterirdischem Gerinne 49,300; auf überirdischem Bauwerk 9400: davon auf Untermauerung oder Bogenbau an mehreren Stellen des höher liegenden Thal-Theiles 2300, und näher bei der Stadt vom 7ten Meilenstein ab auf untermauertem Gerinne 609, auf Bogenbau 6491 Schritte. Das sind die höchsten Bogen, die an einigen Stellen 109 Fuss hoch sind.

16. Wird man mit den so vielen dem Bedürfnisse der Menschen dienenden Wunderbauten so vieler Wasserleitungen die müssigen Pyramiden, oder sonstige unnütze obwohl durch den Ruf gefeierte Werke der Griechen vergleichen wollen?

17. Nicht unzweckmässig hat es uns bedünkt, nun die Strecken der Gerinne einer jeden Leitung auch in den einzelnen Theilen der Anlagen im Zusammenhange zu verfolgen. Denn da der wichtigste Zweig dieses Amtes in deren Erhaltung besteht, so muss der Beamte wissen, welche von denselben grössere Unkosten erfordern. Bei unserm Eifer aber genügt es nicht, die einzelnen Theile bloss in Augenschein genommen zu haben; auch Grundrisse der Leitungen haben wir machen lassen, aus denen ersichtlich ist, wo Thäler und wie grosse, wo Flüsse überbaut wurden, wo die au den Berggehängen angebrachten Hohlgerinne eine grössere und ausdauernde Sorgfalt in der Beschirmung und Instandhaltung erfordern. Dadurch wird uns der Vortheil gewährt, dass wir den betreffenden Gegenstand unmittelbar wie vor dem Blicke haben und zu Rathe gehen können, als ob wir dabei ständen.

18. Alle Gewässer kommen in verschiedener Höhe in die Stadt. Daher fliessen einige an höher liegenden Stellen : einige dagegen können sich zu mehr emporragenden Stellen nicht erheben; denn die jetzigen Hügel sind wegen häufiger Feuersbrünste durch den Schutt über ihren frühem Höhepunkt hinausgewachsen. Fünf Gewässer gibt es, deren Höhe sich bis zu allen Theilen der Stadt erhebt: jedoch von diesen werden einige durch stärkeren, andere durch schwächeren Fall getrieben. Am höchsten geht der Neue Anio, diesem zunächst die Claudia, den dritten Grad nimmt die Julia ein, den vierten die Tepula, und dieser folgt die Marcia, welche an der Fassung sogar der Höhe der Claudia gleicht. Allein die Alten haben in niedrigerer Richtung geleitet, sei es weil die Kunst des Nivellirens noch nicht bis zur Genauigkeit ausgeforscht war, oder weil sie absichtlich die Gewässer unter die Erde versenkten, damit sie, da noch häufige Kriege mit den Italikern geführt wurden, nicht leicht von den Feinden abgefangen würden. Jetzt jedoch werden sie an einigen Orten, wo etwa eine Leitung vor Alter verfallen ist, mit Vermeidung der unterirdischen Umgehung der Thäler, der Kürze wegen, auf Untermauerungen und Bogenstellungen fortgeführt. Die sechste Stufe der Höhe nimmt der Alte Anio ein, welcher gleichfalls auch für höher liegende Stellen der Stadt zureichen würde, wenn er, wo die Beschaffenheit der Thäler und gesenkten Gegenden es erfordert, durch Untermauerungen und Bogenstellungen oder Strebewerke in die Höhe gehoben würde. Auf dessen Höhe folgt die Virgo, dann die Appia; welche beide, aus städtischem Felde hergeleitet, nicht zu solchem Höhepunkte erhoben werden konnten. Niedriger als alle ist die Alsietina, welche dem jenseits der Tiber gelegenen Stadtviertel und den ganz besonders tief liegenden Orten dient.

19. Von diesen werden sechs an der Latinischen Strasse, innerhalb des 7ten Meilensteines, in bedeckten Teichen aufgefasst, in welchen sie, indem die Gerinne vom Laufe ausruhend gleichsam neuen Athem schöpfen, den Schlamm absetzen. Auch das Maass derselben wird durch ebendaselbst angebrachte Eichstäbe bestimmt. Von da ab einigen sich die Julia, Tepula und Marcia; von denen die Tepula, welche abgefangen, wie wir oben gezeigt haben, dem Gerinne der Julia zugetreten war, nun aus dem Teiche ebenderselbigen Julia ihr Maass empfängt und in eigenem Kanale und unter eigenem Namen fliesst. Diese drei werden von den Teichen ab auf ein und dieselbigen Bogen aufgenommen. Der oberste von diesen ist der der Julia, der untere der der Tepula; dann folgt die Marcia. Diese Gewässer kommen, in der Höhe des Viminalischen Hügels verbunden unter der Erde gehend, bis an das Viminalische Thor hin. Dort tauchen sie wiederum ans Tageslicht auf. Zuvor jedoch wird ein Theil der Julia, bei der Spes Vetus abgeleitet, in die Wasserschlösser des Berges Cölius vertheilt Die Marcia aber stürzt einen Theil ihres Wassers hinter den Pallantianischen Garten in das sogenannte Herculanische Fliess: dieses wird durch den Cölius fortgeführt, spendet aber gerade zu dieses Berges Gebrauch wegen zu niedriger Lage nichts, und endet über dem Capener Thor.


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