Ludwig Fulda
Jugendfreunde
Ludwig Fulda

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Erster Aufzug.

Gartenzimmer bei Martens.

Sehr komfortable Junggesellen-Einrichtung. Im Hintergrund, nach dem Garten hin, eine zweiflügelige Glasthür, zu deren beiden Seiten je ein Fenster. In der rechten Seitenwand hinten die Eingangsthür und eine Thür ganz vorn; der letzteren gegenüber eine Thür in der linken Seitenwand. Weiter hinten links Kamin; auf dessen Sims Bierkrüge. Zwischen den beiden Thüren rechts großes, elegantes Regal mit Bibliothek. In der Mitte des Vordergrundes Ottomane; daneben Rauchtischchen mit Cigarrenkisten, Rauchutensilien und elektrischer Klingel; daneben Schaukelstuhl. Vorn rechts Schreibtisch; vorn links runder Tisch mit Wasserflasche und Stühle. Die übrige Ausstattung des Raumes verrät den geschmackvollen Sammler von Kunstgegenständen aus aller Herren Ländern: Schränkchen, Etageren, Statuetten, japanische Bronzen, orientalische Teppiche und Decken; an den Wänden Trophäen von exotischen Waffen und Gerätschaften, Reliefs, Aquarelle und Landschaftsphotographien. Kronleuchter für elektrisches Licht.

Erster Auftritt.

Winternachmittag. Die Scheiben der Glasthür und der Fenster im Hintergrund sind vereist und gewähren daher keine Aussicht. Im Kamin brennt Feuer.

Bruno. (Dann) Stephan.

Bruno (liegt, eine Cigarette rauchend, auf der Ottomane und liest in einem Roman; nach einem Weilchen drückt er auf die Klingel).

Stephan (eleganter Diener, gleich darauf von rechts hinten).

Bruno (deutet lässig nach dem Kamin, ohne von dem Buch aufzusehen). Legen Sie noch ein bißchen nach, Stephan. 8

Stephan. Jawohl, Herr Doktor.

Bruno. Muß heute draußen barbarisch kalt sein.

Stephan (Holzscheite in den Kamin legend). In Batavia hatten wir's wärmer, Herr Doktor.

Bruno. Sehr treffend bemerkt. (Nach einer kleinen Pause, stets, ohne aufzusehen.) Wieviel Uhr ist denn?

Stephan. Fünfe vorbei, Herr Doktor. (Er geht nach rechts.)

Bruno (wieder nach einer kleinen Pause). Ja, was ich noch sagen wollte, Stephan – heute abend kommen meine Freunde.

Stephan. Hab' ich mir schon gedacht, Herr Doktor.

Bruno. Sorgen Sie dafür, daß genug Bier im Hause ist.

Stephan. Hab' ich schon besorgt, Herr Doktor.

Bruno (das Buch zuklappend). Ach, der Roman da langweilt mich. Den können Sie für mich zu Ende lesen, Stephan.

Stephan. Hab' ich schon gelesen, Herr Doktor. 9

Bruno. Stephan, Sie sind eine Perle. (Es pocht an der Eingangsthür.) Hat es da nicht geklopft?

Stephan (öffnet die Thür; zu Bruno, meldend). Herr Winkler. (Er verneigt sich vor dem eintretenden Philipp und geht ab.)

Zweiter Auftritt.

Bruno. Philipp Winkler. (Im Verlauf des Auftrittes allmähliche Dämmerung.)

Philipp (nervöser, etwas blutarmer Kulturmensch; feine, vergeistigte Gesichtszüge; sehr adrett gekleidet, aber nicht nach neuester Mode. Er ist merklich präoccupiert). Guten Tag, Bruno.

Bruno (in seiner Lage verharrend). 'Tag, Philipp. Nimm mir's nicht übel, ich bin zu faul, um aufzustehn.

Philipp. Na, dann bleib doch liegen.

Bruno. Leg ab, setz dich, steck dir 'ne Cigarre an.

Philipp. Ja, Bruno, das will ich gern thun. (Er nimmt sich eine Cigarre, setzt sich auf den Schaukelstuhl.) Eine Bärenkälte – wie? 10

Bruno. Ich bin nicht vor der Thür gewesen – 'ne Woche mindestens. Nicht einmal in meinem Garten. Hinaussehen kann ich glücklicherweise auch nicht; die Fenster sind vereist.

Philipp. Aber was treibst du denn den lieben langen Tag?

Bruno. Du siehst es ja. »Ich lieg' und besitze« – ganz wie der selige Fafner. Dagegen du, der Pflichtenmensch, der Normaluhrenmensch – das ist doch sonst deine Arbeitszeit. Was bedeutet es, daß dein Geist zu so ungewohnter Stunde bei mir umgeht? Oder hast du die Schamlosigkeit, mir für heut abend abzusagen?

Philipp. I bewahre. Ich komme heute abend; natürlich komme ich. (Er zieht an seiner Cigarre.) Aber allerdings, ich . . . ich wollte vorher etwas allein mit dir besprechen.

Bruno. Dann schieß los! – (Auf Philipps Cigarre deutend.) Die hat keine Luft; nimm dir 'ne andre.

Philipp. Wirklich, sie hat keine Luft. Das kann ja vorkommen. (Er steckt sich eine neue Cigarre an.)

Bruno. Also, was giebt es denn? 11

Philipp (etwas zögernd). Siehst du, Bruno, im Frühjahr werden es volle zwanzig Jahre, seit wir unseren Freundschaftsbund begründet haben . . .

Bruno. Ja, daran ist nichts zu ändern.

Philipp. Als Knaben haben wir ihn geschlossen, als Jünglinge befestigt, als Männer erprobt. Wenn man bedenkt, vier so durch und durch verschiedene Menschen wie Heinz, Waldemar, du und ich, in so wechselnden Stadien der Entwicklung . . .

Bruno. Philipp, du bist aber heute wieder mal beängstigend gründlich.

Philipp. Ich bitte dich, mach keine Scherze! Das Leben ist so ernst.

Bruno. Ich mache sie ebendeshalb. Erkläre mir also, warum du gerade jetzt diese feierlichen Reminiscenzen . . .

Philipp. Von unserer Freundschaft muß ich reden; es gehört unmittelbar zur Sache.

Bruno. In Gottes Namen.

Philipp. Nun ja, wir haben die ganze Zeit treu zu einander gehalten, und obgleich wir uns heute eingestehen müssen, daß nicht alle Blütenträume reiften . . . 12

Bruno. Hab' ich mir schon längst eingestanden.

Philipp. Es steckte damals doch in uns eine ungeheure Idealität.

Bruno. Falls du es Idealität nennst, daß ich lange Locken trug und miserable Verse machte . . .

Philipp. Deine Verse waren ebensowenig miserabel wie meine Kompositionen. Es war gärender Most.

Bruno. Und als er ausgegärt hatte, war's Essig.

Philipp. Du magst es bezeichnen, wie du willst. Immerhin, wir sind nun alle über dreißig, und wenn man nicht so genügsam ist wie Heinz oder so optimistisch wie Waldemar . . .

Bruno. Oder so faul wie ich . . .

Philipp. Wenn man ab und zu eine möglichst ehrliche Bilanz macht . . .

Bruno. Und die Daseinskomödie so verflucht schwer nimmt wie du . . .

Philipp (steht auf). Bruno, bist du mit dem gegenwärtigen Zustand vollkommen zufrieden? 13

Bruno. Herrgott, warum denn nicht?

Philipp. Ich meine, entbehrst du gar nichts? Hast du gar keine unbestimmten Wünsche, keine Sehnsucht?

Bruno. Vorhin hatt' ich die Sehnsucht, daß es hier etwas wärmer wird. Jetzt ist mir wieder mollig.

Philipp. Ach, deine ewigen Witze!

Bruno. Nein, ganz im Ernst, mein Junge. Mollig, das ist die Hauptsache; darin faßt sich bei mir alles Wünschenswerte zusammen. Und wonach soll ich mich denn sehnen? Ehrgeiz hab' ich keinen, Illusionen erst recht nicht; Geld mehr als genug, drei famose Freunde, einen großartig dressierten Diener, eine gute Köchin und dazu den entsprechend guten Magen. Die Welt kenn' ich von einem Ende bis zum andern, und nun gar die Weiber . . .

Philipp. Es giebt auch Frauen, vergiß das nicht.

Bruno. Ja, ja. Aber die Frauen sind schließlich auch nichts anderes als Weiber, zumal wenn man sie heiratet. Der Himmel möge uns in seiner Gnade davor bewahren.

Philipp. Bruno, ich begreife nicht, wie du . . . 14

Bruno (ihm ins Wort fallend). Nein wahrhaftig, Sehnsucht hab' ich nie, höchstens manchmal Langeweile.

Philipp. Das ist schon schlimm genug.

Bruno. Wieso? Dem läßt sich ja abhelfen. Man raucht ein bißchen mehr; man schläft ein bißchen länger; oder man schreibt ein Buch.

Philipp. Ist es wahr? Du willst also doch wieder . . .

Bruno. Verse machen – nein, sei unbesorgt. In diesem Leben nicht mehr. Aber wozu ist man denn rund um die Welt gegondelt? Man hat das Zeugs mit offenen Augen angesehn, sich nichts weismachen lassen; man hat Eindrücke, Erinnerungen, Gesichtspunkte, und zum Zeitvertreib . . .

Philipp. Wirst du sie niederschreiben?

Bruno. Selber schreiben – gräßlicher Gedanke. Diktieren werd' ich sie – einem Stenographen. Weißt du vielleicht einen? Die Kerle, die sich bisher auf mein Inserat gemeldet haben . . .

Philipp (auf und ab gehend, in Gedanken vertieft). Das ist es auch nicht, Bruno. Thätigkeit allein füllt den Menschen nicht auf. Ich hab' im letzten Jahr 15 geschuftet – unglaublich. Einen ganzen Band Musikgeschichte, zwei Broschüren, fünfundzwanzig größere und kleinere Aufsätze . . .

Bruno. Hör' auf; mir wird schlecht.

Philipp. Aber der Friede des Herzens, die Abgeklärtheit, die Harmonie im Goetheschen Sinn, oder wie ich es früher nannte, die innere Musik der Dinge . . .

Bruno. Das Klavezimbel in unserem Busen.

Philipp. Wirklich, Bruno, es ging so nicht weiter. Im Kampf mit den Lappalien, mit den Bagatellen – da bin ich vollständig waffenlos. Ich hätte vielleicht ein Löwenjäger werden können . . .

Bruno. Na, na, renommier' nicht!

Philipp. Aber der ewige Krieg mit Mücken . . . dieses Chambre-garni-Leben, dieses Restaurationsessen . . .

Bruno. Warum führst du nicht eigene Haushaltung wie ich?

Philipp. Du hast leicht reden. Wenn man eine Villa geerbt hat und die Bedienung gleich dazu! Für solche Sachen bin 16 ich einfach zu unpraktisch; ich will mich nicht drum kümmern; gar nicht existieren sollen sie! Stell' dir nur vor, daß ich jede Woche selbst meine Wäsche abzählen muß.

Bruno. Schaudervoll; höchst schaudervoll.

Philipp. Und gestohlen wird sie mir trotzdem. Mit einem Wort, (nach seinem Hals zeigend) ich hab's bis hierher; ich bin schachmatt.

Bruno. Mein lieber Philipp, nun setz dich mal manierlich hin; laß deine tiefe Weltanschauung möglichst beiseite und sag mir klar und deutlich: Was geht vor?

Philipp (sich unruhig setzend). Bruno, es wird mir faktisch nicht leicht, bei deinen Ansichten . . .

Bruno. Mensch, du machst einem ja ordentlich gruslig. Diese Fahrigkeit, diese dunklen Anspielungen, diese Leichenbittermiene – was ist denn los mit dir? Willst du auswandern? Willst du ins Kloster gehn? Willst du dir das Leben nehmen?

Philipp. Nichts von alledem, Bruno. Ich . . . (mit einem Ruck) ich habe mich verlobt.

Bruno (von der Ottomane emporschnellend). Donner und Doria! Da hört die Gemütlichkeit auf. 17

Philipp. Gott sei Dank, daß es heraus ist.

Bruno (umherlaufend). Schockschwerenot! Verlobt hat sich der Mensch! Meuchlings verlobt! Und das sagt er mir so ohne weiteres ins Gesicht.

Philipp. Du bist der erste, der es erfährt.

Bruno. Das ist Verrat, schnöder Verrat! Das ist Meuterei, Apostasie . . .

Philipp. Lieber Freund, ich war ja auf einiges gefaßt; aber diese eigentümliche Kritik eines reiflich erwogenen Schrittes . . .

Bruno. Verlobt! Weiß Gott, ich zittere am ganzen Leibe; solch einen Riß hat mir das gegeben. Verlobt! War das die Meinung, als wir nach meiner Rückkehr von der Reise unseren Junggesellenbund hier in diesem Zimmer neu besiegelten? Als wir die Kneipe verschworen und dieses Haus zum Tempel der Freundschaft machten? Als wir eine stolze Fahne aufrichteten gegen das Philisterium?

Philipp. Ach was! Philisterium ist es, die Ehe so wie du in Bausch und Bogen zu perhorreszieren. Unser Freundschaftsbund steht mir genau so hoch wie dir; aber zum Cölibat hab' ich mich meines Wissens niemals verpflichtet. 18

Bruno. Heiliger Strohsack, was werden Heinz und Waldemar dazu sagen!

Philipp. Aergeres als du gewiß nicht.

Bruno (ihn bei den Schultern fassend). Philipp, alter Junge, weißt du denn auch, was du thust? Bist du bei voller Besinnung? Hast du dir die Sache wirklich überlegt?

Philipp. Kennst du mich so schlecht? Bin ich etwa der Mann der plötzlichen Entschlüsse? Aufs gewissenhafteste hab' ich es überlegt – das Pro und das Contra, monatelang, nach allen Dimensionen. Es ist ja auch wahrhaftig keine Kleinigkeit.

Bruno. Sapperlot, das will ich meinen.

Philipp. Glaubst du, ich unterschätze die riesige Tragweite, die kolossale Verantwortung?

Bruno. Wie ist denn das Unglück passiert?

Philipp. Bei meinem letzten Aufenthalt daheim – da hat es sich entschieden. Sie ist nämlich meine Landsmännin, mir sozusagen von Jugend auf bekannt. Seit vierzehn Tagen schlepp' ich die Geschichte mit mir herum und traue mich 19 nicht, euch was zu sagen, aus purer Angst vor eurem Junggesellenfanatismus. Ich kann nichts essen; ich schlafe keine Nacht . . .

Bruno (ihm die Haare streichelnd). Armer Teufel, du thust mir leid. Ich bin wütend; aber du thust mir aufrichtig leid.

Philipp (sich von ihm losmachend). Warum thu' ich dir denn leid? Das muß ich mir verbitten. Im Grunde genommen bin ich doch überglücklich, hab' auch alle Ursache dazu. Sie ist aus sehr angesehener Familie, wohlerzogen, gebildet, schon dreiundzwanzig, hat also die Tanzjahre hinter sich, schwärmt für eine stille Häuslichkeit . . . Ich bekomme eine Frau, die mich von allen Kleinlichkeiten befreien wird und dabei für mein Geistesleben das vollste Verständnis besitzt.

Bruno (kopfschüttelnd). Hm, hm! Philipp mit einer Frau am Arm; Philipp als Ehekrüppel; Philipp als Familienvater!

Philipp (drängt ihn zur Ottomane). Liebster, nun setz' dich doch auch wieder – oder leg' dich meinetwegen – und laß vernünftig mit dir reden. (Bruno setzt sich.) Siehst du, gerade unsere Freundschaft – die hatte ich mit im Auge. Denk dir nur, wie reizend das werden wird, wenn ihr euch künftig an meinem traulichen Herde versammelt . . . Ich hab' auch meiner Braut schon so viel von euch erzählt; sie hat schon ein so warmes Interesse für euch alle, und wenn du sie erst persönlich kennst . . . 20

Bruno. Gegen deine Braut hab' ich nicht das Geringste. Ich setze stillschweigend voraus, daß du dir das Beste ausgesucht hast, was zu haben war. Aber sie ist ein Weib; das kannst du nicht leugnen.

Philipp (steht ärgerlich auf). Bruno – ist ja thöricht! Ist ja einfach lächerlich! Diese blinde Aversion gegen die größere Hälfte der Menschheit. Deine Erfahrungen mit Ballettdamen oder mit Japanesinnen . . .

Bruno. Lassen wir meine Erfahrungen. Du verheiratest dich, abgemacht – und wir bleiben ledig, gleichfalls abgemacht. Da beißt keine Maus einen Faden ab. (Aufstehend.) Und nun, mein guter Philipp – nun muß ich dir doch eigentlich gratulieren.

Philipp. Es wäre deine verdammte Pflicht und Schuldigkeit.

Bruno (ihm mit gelinder Rührung die Hände schüttelnd). Werde glücklich, mein Sohn, werde glücklich!

Stephan (tritt auf). Herr Doktor . . .

Bruno. Was giebt's?

Stephan. Da ist eine junge Dame.

Bruno. Junge Dame? 21

Philipp (diskret, nach vorn rechts deutend). Ich kann ja durch dieses Zimmer . . .

Bruno (ihn zurückhaltend). Halt! – Stephan, habe ich die junge Dame einmal gekannt?

Stephan. Nein, Herr Doktor.

Bruno. Nun also, was will sie denn?

Stephan. Sie sagt, sie käme wegen dem Inserat.

Bruno. Ach so! Soll morgen wiederkommen. Ich habe Besuch.

Philipp. Nein, Bruno, laß dich nicht stören. Ich muß so wie so . . .

Bruno. Was denn? (Zu Stephan.) Oder soll warten. (Stephan ab.) Schrecklich – jetzt rücken mir gar noch Damen auf die Bude.

Philipp. Ich will nämlich noch ein Geschenk für meine Braut besorgen. Kannst du mir nichts raten? Du hast so viel Geschmack.

Bruno. Woher soll ich denn wissen, wie man Bräute beschenkt! Geh doch zum Juwelier. 22

Philipp. Das ist eine gute Idee. Das will ich thun.

Bruno. Und komm bald wieder. Wir werden sie leben lassen; denn schließlich – Unmenschen sind wir nicht.

Philipp (ihn umarmend). Ich danke dir, Bruno, mein treuer, alter . . . (Die Stimme versagt ihm vor Ergriffenheit; dann, sich die Augen wischend.) Es ist ja keine Kleinigkeit. (Ab.)

Dritter Auftritt.

Bruno. (Gleich darauf) Dora Lenz.

Bruno (allein; geht auf und ab, schüttelt den Kopf). Unglaublich! (Er wirft sich auf die Ottomane, steckt sich eine neue Cigarette an. Es klopft.) Herein!

Dora (tritt ein. Sie ist einfach, aber sorgfältig gekleidet, in ihrem Auftreten bescheiden, schlicht, bei voller Selbstsicherheit; in ihrem Mienenspiel ab und zu ein leichter Anflug von Ironie). Ich bitte um Entschuldigung . . .

Bruno (richtet sich halb auf, sie kaum ansehend). Ach ja so! Womit kann ich dienen?

Dora. Sie suchten durch die Zeitung einen Stenographen. 23

Bruno. Ganz richtig. Einen Stenographen. Aber keine Stenographin.

Dora. Ich hätt' es mir denken können. Verzeihen Sie, daß ich . . . (Sie will sich zurückziehen.)

Bruno. Na, warten Sie doch mal einen Augenblick Es läßt sich ja darüber sprechen. (Er klingelt.) Nehmen Sie Platz. – Es ist hier schon etwas duster – nicht wahr? (Zu dem eintretenden Stephan.) Stephan – Licht! (Stephan dreht neben der Eingangsthür die elektrische Beleuchtung auf und geht wieder ab.) Na, wollen Sie nicht Platz nehmen? (Dora setzt sich. Er sieht sie an.) Ei, ei – das ist aber merkwürdig.

Dora. Was meinen Sie?

Bruno. Sehr merkwürdig. Stenographin, so, so! Die Leute, die bisher deswegen bei mir waren, die . . .

Dora. Ich verstehe Sie nicht.

Bruno. Meine Gedanken sind für Sie nur schmeichelhaft. Ich bin erstaunt, daß eine Dame wie Sie sich um einen solchen Posten bewirbt. Sie sind so jung, so . . .

Dora. Ich bin darauf angewiesen. 24

Bruno. Sie können fertig stenographieren?

Dora (holt Papiere aus der Tasche). Hier meine Zeugnisse.

Bruno (abwehrend). Danke; ich glaub's Ihnen. Verstehen Sie fremde Sprachen?

Dora. Französisch, Englisch und Italienisch.

Bruno. Potztausend!

Dora. Ich gebe auch Sprachunterricht. Aber da ist gegen die Konkurrenz nicht aufzukommen. Wenn ich hoffen dürfte, noch ein paar Schülerinnen, vielleicht aus dem Bekanntenkreis Ihrer Frau Gemahlin . . .

Bruno (lachend). Haha, sehr gut! Frau Gemahlin! Ich habe gar keine Frau Gemahlin. Sie sehen in mir einen eingefleischten Junggesellen.

Dora (steht auf). Pardon, das wußt' ich nicht. Dann ist es doch wohl besser . . .

Bruno. Was ist besser? – – Ach so! (Lachend.) Nun, was das anbelangt, da können Sie ganz ruhig sein, noch viel ruhiger, als wenn ich eine Frau Gemahlin hätte. Ich kann Ihnen versichern, in dieser Hinsicht haben Sie bei mir nichts zu befürchten. 25

Dora (ein wenig verlegen). Ach Gott, das war auch dumm von mir. Man wird nur mit der Zeit etwas mißtrauisch.

Bruno. Ja, das wird man. Ich bin es leider auch, im höchsten Grade. Und wenn ich mich überhaupt mit dem Gedanken befreunden soll, Sie zu beschäftigen, dann müssen Sie mindestens doppelt so gut stenographieren können als ein Mann. Denn – ehrlich herausgesagt – ich kann im allgemeinen die Weiber nicht ausstehn.

Dora (schlicht). Mir geht es mit den Männern genau ebenso.

Bruno (steht auf; viel freundlicher als bisher). Schau mal an! Da hätten wir ja einen Weg der Verständigung. Bitte, nehmen Sie doch wieder Platz. Da könnten wir uns ja miteinander vertragen. Wie ist Ihr Name?

Dora (sich setzend). Lenz. Dora Lenz.

Bruno. Bin wohl vorhin, bei Ihrem Eintritt, nicht hervorragend höflich gewesen?

Dora (mit seinem Lächeln). O bitte, das bin ich nicht anders gewöhnt.

Bruno. Um so beschämender für mich, Fräulein Lenz. Aber wissen Sie, ich habe heute noch eine ganz besondere Wut 26 auf Ihr Geschlecht. Gerade bevor Sie kamen, hat mir ein alter Freund aus heiterem Himmel seine Verlobung angekündigt. So etwas wirkt verstimmend – begreifen Sie das?

Dora (überzeugungsvoll, mit leichtem Seufzer). Ach ja, die Aermste!

Bruno. Die Aermste? Nein, der Aermste! Sie kann voll Glück sagen.

Dora. Du lieber Himmel, das ganze Leben ist ja zu Gunsten der Männer eingerichtet, und die Ehe erst recht.

Bruno (heiter). Hoho, Sie gehen tapfer ins Zeug.

Dora (über ihre eigenen Worte erschrocken). Um Vergebung; ich . . .

Bruno. O bitte, macht nichts. Nur immerzu!

Dora (wieder aufstehend). Darf ich also darauf rechnen, daß Ihnen meine Dienste . . .

Bruno. Freilich, freilich; versuchen wir's mal. Ueber das Honorar werden wir uns ja leicht einigen.

Dora. Ich zweifle nicht. 27

Bruno. Also dann gleich morgen früh, wenn Ihnen das paßt.

Dora. Gewiß.

Bruno. Das heißt, unter früh versteh' ich eigentlich spät. Vor zehn Uhr bin ich nicht aus den Federn.

Dora. Ich werde kommen. Guten Abend.

Bruno. Guten Abend, Fräulein Lenz. – (Sie zurückrufend.) Nur noch eine Frage – wenn es nicht indiskret ist . . .

Dora. Bitte.

Bruno. Ich hoffe, Sie werden mich nicht mißverstehen. Was versetzt ein junges Mädchen von Ihrer Bildung in die Notwendigkeit . . .

Dora. Mein Vater verarmte kurz vor seinem Tod; meine Mutter starb bald darauf, und ich blieb mittellos zurück.

Bruno (bedauernd). Hm! – Aber es müßte sich doch am Ende etwas Vorteilhafteres für Sie finden, etwas Ihren berechtigten Ansprüchen mehr Genügendes . . .

Dora. Es giebt nicht allzuviel. Ich habe mancherlei ausprobiert – als Erzieherin zum Beispiel. Aber da ist mir denn doch meine jetzige Unabhängigkeit lieber. 28

Bruno Das gefällt mir von Ihnen. Das kann ich Ihnen nachfühlen. Jawohl, die Unabhängigkeit! Gar nicht zu begreifen, wie sich Menschen freiwillig ins Joch begeben können!

Dora. Ich hab' es nie begriffen. – Guten Abend. (Sie nickt und will gehen.)

Vierter Auftritt.

Vorige. Heinz Hagedorn.

Heinz (durch die Eingangsthür. Er macht in seiner Erscheinung den Eindruck eines Menschen, der auf sein Aeußeres wenig Sorgfalt verwendet; neigt zur Korpulenz; in seinem Wesen behäbig, phlegmatisch, alter Student). 'nabend, Knorz.

Bruno. 'nabend. (Er bemerkt, daß Dora ein Lachen verbeißt.) Erschrecken Sie nicht, Fräulein. Ich heiße für gewöhnlich nicht Knorz. Das ist nur mein alter Kneipname. (Vorstellend.) Mein Freund, Maler Hagedorn – Fräulein Lenz.

Heinz (sich verbeugend). Sehr angenehm. (Er schlendert zum Rauchtischchen, nimmt sich eine Cigarre, steckt sie an.)

Bruno (Dora zur Thür begleitend). Geben Sie acht, daß Sie sich nicht erkälten. Finden Sie denn den Weg? Gleich um die Ecke links ist die Pferdebahn. 29

Dora. Ich danke sehr. Guten Abend. (Ab.)

Bruno (ihr nachrufend). Also pünktlich um zehn.

Fünfter Auftritt.

Bruno. Heinz.

Heinz. Wer war denn das?

Bruno. Stenographin. Hab' ich eben engagiert. Sehr tüchtige Person.

Heinz. Hübscher Schädel. (Er zieht mit der Hand eine Linie durch die Luft.) So im Profil – ganz fein.

Bruno. Weißt du denn schon, Heinz, weißt du schon – das mit Philipp?

Heinz. Oui. Bin ihm eben begegnet.

Bruno. Nun, was sagst du dazu?

Heinz. Was soll ich denn dazu sagen, Knorz? 30

Bruno. Na, höre mal – so kalt läßt dich das? Eine so rebellierende Neuigkeit?

Heinz. Find' ich gar nicht so rebellierend.

Bruno. Heinz, der Mensch will sich verheiraten – schlankweg verheiraten – und das rüttelt dich aus deinem Bierdusel nicht empor?

Heinz. Nee – absolut nicht. Das ist doch seine Sache, Knorz.

Bruno. So? Und wir – seine Freunde . . .

Heinz. Wir werden ihm was zur Hochzeit dedizieren. Ich habe mir schon gedacht, ich schenk' ihm vielleicht die Skizze aus dem Spreewald – weißt du, die mit der Abendsonne. Die gefiel ihm sehr gut, und verkaufen kann ich sie doch nicht.

Bruno. Ich beneide dich um dein Phlegma. Mich bringt sonst auch nicht so leicht etwas aus der Contenance. Aber die Geschichte hat mich in einer Weise aufgeregt . . .

Heinz. Lachhaft. Aufregen ist unmodern. Der moderne Mensch stellt sich breitbeinig auf den Boden der Thatsachen. 31

Bruno. Und wenn er da steht, was dann?

Heinz. Da bleibt er stehn und trinkt seinen Schoppen.

Bruno. Recht geistvolle Beschäftigung das.

Heinz. Du bist ein Schriftgelehrter, Knorz; du bist auch ein Weltumsegler, Knorz; aber was so im letzten Grunde der moderne Geist ist . . . Ja, was ich noch sagen wollte – kannst du mir vielleicht fünfzig Reichsmark pumpen?

Bruno. Mit dem größten Vergnügen. (Er nimmt den Schein aus seiner Brieftasche und giebt ihn Heinz.)

Heinz Mein Müggelsee ist so gut wie verkauft. Du bekommst alles zusammen am Ersten wieder.

Bruno. Eilt nicht.

Heinz (das Geld einsteckend). Ja, wie gesagt, der moderne Geist . . . da muß dir erst noch eine Laterne aufgehn. 32

Sechster Auftritt.

Vorige. Philipp.

Philipp. Da bin ich wieder.

Bruno. Der Bräutigam!

Philipp. Waldemar noch nicht hier?

Heinz. Noch nicht, Stöpsel.

Philipp (zieht einige Etuis hervor und öffnet sie). Seht einmal – wie findet ihr das? Ich habe mir dreierlei zur Auswahl geben lassen.

Heinz. Feudal.

Philipp. Neueste Façon, versicherte mir der Juwelier. Nun, wofür seid ihr?

Heinz. Das ist doch deine Sache, Stöpsel.

Philipp. Ja, ja; aber es ist immerhin eine schwerwiegende Entscheidung . . . Ich habe mir auf alle Fälle eine mehrtägige Bedenkzeit vorbehalten. 33

Bruno. Laß doch deine Braut selber wählen.

Philipp. Ja freilich, da hast du recht. Aber nein, das geht nicht. (Die Etuis nervös zusammenklappend.) Ach, wär' ich nur erst weg über all diese Nebensächlichkeiten!

Bruno (schadenfroh). Das kommt noch ganz anders.

Philipp. Wo nur Waldemar bleibt? Der ist doch sonst immer der pünktlichste.

Bruno. Hast wohl ein bißchen Lampenfieber vor ihm?

Philipp. Wieso denn? (Zu Heinz.) Thut dieser Mensch nicht accurat, als hätt' ich ein Verbrechen begangen?

Heinz. Laß dich nicht klein kriegen, Stöpsel.

Bruno. Na wartet nur, wenn Waldemar kommt! An dem hab' ich einen Bundesgenossen. 34

Siebenter Auftritt.

Vorige. Waldemar Scholz.

Waldemar (beweglicher Sanguiniker und geräuschvoller Enthusiast; neigt in Erscheinung und Auftreten zu einem gemäßigten Gigerltum. Er stürzt in höchster Ekstase herein). Hurra! Hurra! Halleluja! (Die Freunde springen verwundert auf und wenden sich ihm zu.)

Bruno. Waldemar, was hast du?

Waldemar. Kinder, Kinder, ich bin der glücklichste Mensch unter der Sonne.

Philipp. Was ist denn geschehen?

Waldemar. Kinder meines Herzens, es giebt auf dieser Erde ein Götterweib! Ein Götterweib! Ein veritables Götterweib!

Heinz. Das wievielste?

Waldemar. Das erste und einzige!

Bruno. Und was sagt dazu Lola, die feurige Reifenkönigin? 35

Waldemar. Mit allen Lolas und mit allen Reifenköniginnen bin ich fertig für immer!

Bruno. Was?!

Philipp. Wie?

Waldemar. Heinz, Bruno, Philipp, Kampfgefährten, Waffenbrüder, vor einer Stunde hab' ich mich verlobt.

Philipp. Nicht möglich!

Heinz. Famos!

Bruno (erstarrt). Nein, jetzt wird es mir zu bunt.

Waldemar. Wasser! Wasser! Ich ersticke vor lauter Wonne.

Heinz (klopft ihm auf die Schulter). Sei gut, Zephyr; mach keinen so mordsmäßigen Skandal.

Waldemar. Wasser! (Zu Philipp, der ein Glas Wasser eingeschenkt hat und es ihm bringt.) Habe Dank, mein Engel. (Er trinkt; dann mit meckerndem Lachen.) Ehäha – ich mochte die ganze Welt umarmen. (Er geht auf Bruno los.) Bruno, mein Bruno . . .

Bruno (zurückweichend). Drei Schritt vom Leibe! – Die erprobtesten Säulen stürzen ein. An wen soll man noch glauben? Auf wessen 36 Wort soll man noch schwören? Mehr als hundertmal hast du es. mir beteuert . . .

Waldemar. Was hab' ich beteuert, altes Haus?

Bruno. Niemals zu heiraten, außer wenn du deinen Verstand verlierst.

Waldemar (geht zuerst von einem zum andern; da Bruno ihn nicht anhören will, bleibt er zwischen Heinz und Philipp). Aber ich hab' ihn ja verloren; vollständig hab' ich ihn verloren. Dieses Götterweib hat ihn mir geraubt. Auf dem Elektrotechnikerball – vor drei Wochen – hab' ich sie kennen gelernt. Eine Elfe – ehähä – eine Sylphide! Sie war dort mit ihrer Mutter, einer prachtvollen Frau; ihr Vater ist Gutsbesitzer – dahinten irgendwo – ein herrlicher Mann. – Sie sehen und lieben war eins. Mit ihr tanzen bis zur Bewußtlosigkeit war das zweite. Ich kam unzurechnungsfähig nach Haus; wütender Orkan all meiner Gefühle. Dann trafen wir uns auf der Eisbahn; alle Tage auf der Eisbahn; das gab mir den Rest. Gestern erfahre ich, daß Lisbeth heute abreisen wird – das Götterweib heißt Lisbeth. Unerhörte Qualen, Verzweiflung, männlicher Entschluß. Ich gehe in ihr Hotel; ich erkläre mich; sie liebt mich rasend; sie betet mich an. Die Mutter segnet uns mündlich, der Vater telegraphisch; darauf bringe ich die Damen zur Bahn: Rührung, Seligkeit und ein Abschiedskuß – o, daß ich ihn euch schildern könnte, diesen Abschiedskuß! Das ist Amor, Kinder, das ist Amor; da hilft kein Widerstreben. 37

Bruno (trocken). Jawohl, da ist nichts mehr zu wollen. Du bist ebenfalls geliefert.

Waldemar. Ebenfalls? Wer denn noch?

Philipp. Ich, lieber Waldemar.

Waldemar. Philipp, mein Philipp – du . . .?!

Philipp. Ich kam dir um vierzehn Tage zuvor.

Waldemar. Großartig, altes Haus – ehähä – großartig! Und das sagst du mir erst jetzt?

Philipp. Du hast mich ja nicht zu Worte kommen lassen.

Waldemar. An mein Herz, Bruder! Wie mich das elektrisiert! Geteilte Freud' ist doppelt Freud'. – Ist es dir da drinnen auch so weich, so butterweich?

Philipp. Ja, Waldemar, es ist ein eigentümlicher Zustand.

Waldemar. Wie heißt denn deine? 38

Philipp. Amelie.

Waldemar. Amelie – schöner Name. Meine heißt Lisbeth. Hab' ich dir schon gesagt, daß sie Lisbeth heißt? (Sie gehen, eifrig zusammen weiter sprechend, nach hinten.)

Bruno. Heinz, ist es denkbar? Das wollen zwei ausgewachsene Menschen sein.

Heinz. Man muß sie austoben lassen, Knorz. Dauert nicht lange.

Bruno. Aber ich halt' es nicht aus. Es geht mir auf die Nerven . . .

Heinz Das kommt von deiner fabelhaften Ueberschätzung der ganzen Angelegenheit. Ob ein Mensch sich verheiratet oder nicht, ist ja total irrelevant.

Bruno. Na, ich danke!

Heinz. Was hat das mit der Humanität zu thun oder mit der Freundschaft oder mit was weiß ich?

Bruno. Erlaube gefälligst!

Heinz. Diese sogenannte brennende Frage kann mir gestohlen werden. Die Ehe, die Liebe, das Weib – nichts als 39 aufgebauschter Unsinn. Ob man seine natürlichen Funktionen so oder so vollzieht – total belanglos.

Bruno. Haha, die Ehe hat wohl noch gar niemand zu Grunde gerichtet?

Heinz. Pah, wer sich von so was zu Grunde richten läßt, an dem ist nichts verloren. Halbnaturen, Schwächlinge, Mollusken; Kerls, die sich ebensogut an einer Partie Billard den Tod holen könnten. Nee, mein Gutester, der Stöpsel wird weiter seine Musikbücher schreiben und der Zephyr weiter seine elektrischen Birnen fabrizieren, und wenn sie so nebenher noch für ein paar kleine Stöpsel und ein paar kleine Zephyre sorgen – allerhand Hochachtung.

Bruno. Brrr, schauerlich! Der Canaille Natur als willenloses Werkzeug zu dienen; nur der Durchgangspunkt zu sein von einer Generation zur andern – nein, wir beide, Heinz, wir wollen uns zu so schnöden Bestimmungen nicht hergeben. Du und ich – wir sind jetzt natürliche Verbündete. (Die anderen herbeirufend.) Ja, das geht euch an, ihr Ueberläufer. Wir werfen euch den Handschuh hin, zwei gegen zwei, Macht gegen Macht. Hie Welf, hie Waiblingen! Laßt ihr als euer Banner die Schürze flattern; wir halten mit verdoppelter Kraft die Junggesellenfahne aufrecht!

Heinz. Das kannst du doch nicht so schroff hinstellen, Knorz. 40

Waldemar. Hört, hört!

Bruno. Warum denn nicht! Oder . . . oder willst du dich vielleicht auch verloben?

Heinz. Denke nicht dran.

Bruno (erleichtert). Nun also!

Heinz. Habe gar keine Veranlassung dazu.

Bruno (triumphierend zu den anderen). Da habt ihr's!

Heinz. Denn ich bin schon über zwei Jahre verlobt.

Philipp. Was?!

Waldemar. Ehähä – großartig!

Bruno (in einen Sessel sinkend). Auch du, Brutus! Dann, Cäsar, hülle dich in deinen Mantel und gieb deinen Geist auf.

Waldemar. Köstlich, köstlich! Heinz, mein Heinz . . .

Philipp. Meinen innigsten Glückwunsch! 41

Heinz. Laßt mich zufrieden! Ich hab' nun mal keinen Sinn für Feierlichkeit.

Philipp. Zwei Jahre schon? Und das hast du uns bis auf den heutigen Tag verheimlicht?

Heinz. Herrjeses, muß man denn so 'ne Privatgeschichte gleich an die große Glocke hängen? Ich nehme das einfach nicht so tragisch.

Philipp. Wer ist es denn? Kennen wir sie?

Heinz. Die Toni Leitenberger.

Philipp. Die Tochter deiner Wirtsfrau?

Waldemar. Das schneidige Wiener Mädel? Ehähä – grandioser Geschmack!

Heinz. Oui. Ein gutes Tier – und stilvoll – echte Rasse. Am Tag hilft sie ihrer Mutter bei der Putzmacherei, abends ist sie gern fidel. Da hab' ich sie manchmal mitgenommen, ins Theater oder so; ab und zu kam sie auch in mein Atelier – hat übrigens von der Malerei keinen Schimmer – na, und so hat es sich gemacht. 42

Waldemar. Aber Bruderherz, wenn ihr schon so ewige Zeiten verlobt seid, dann müßt ihr doch zuguterletzt mal heiraten.

Heinz. Hat uns bis jetzt nicht pressiert.

Waldemar. Ehähä – unbezahlbarer Mensch, dieser Heinz.

Heinz. Zwar, um euch Gesellschaft zu leisten – da ließe sich der Fall nunmehr in wohlwollende Erwägung ziehn.

Bruno. (hat wie gelähmt dagesessen, springt jetzt auf). Alle drei! Alle drei! Wer mir das noch heute morgen gesagt hätte! Des Himmels Einsturz hätt' ich mir eher vermutet. Drei gegen einen! Da hocken sie nun schon beisammen, die Triumvirn, und ich bin ein entlaubter Stamm.

Heinz. Knorz, nimm doch endlich Raison an.

Waldemar. Bruno, mein Bruno, sei kein Frosch und laß jeden auf seine Façon selig werden. Ich bin selig. (Zu Heinz und Philipp.) Kinder, ihr nicht auch?

Heinz. Nee; denn ich hab' einen zu schandbaren Durst. 43

Bruno. Die beste Gelegenheit zu einer edelmütigen Rache. Mir ist zwar – ohne Scherz – gottesjämmerlich zu Mut, und für ein gutes Wort könnt' ich heulen wie ein Schloßhund; aber (er klingelt) man soll es Bruno Martens dereinst nicht nachsagen, daß er die Verlobung seiner drei einzigen Freunde mit Bier gefeiert hat. (Zu dem eintretenden Stephan.) Stephan – Sekt!

Stephan. Hab' ich mir schon gedacht, Herr Doktor.

Bruno. Wieso wußten Sie . . .

Waldemar. Von mir. Mein Herz lief über, als er mir die Thür aufmachte.

Bruno. Vorläufig vier Flaschen, Stephan.

Stephan. Sind scholl kaltgestellt, Herr Doktor. (Er geht ab, kommt während des folgenden Dialoges zurück mit den Champagnerflaschen und Gläsern und stellt sie auf den Tisch links, dann wieder ab.)

Philipp (geht zu Bruno hin). Sieh mal, mein Junge, es mußte so kommen. Es lag in der Luft. Du hast es nur nicht gemerkt, weil dieses Thema aus unserem Kreise verbannt war. Jeder von uns hatte Scheu vor den andern; daher dieser unerwartete Eclat. 44

Bruno. Besser auf einmal als tropfenweise. Um so geschwinder wird man damit fertig.

Philipp (bittend). Bruno, morgen früh reise ich zu meiner Braut . . .

Waldemar. Und ich übermorgen zu Lisbeth – juchhe!

Philipp. Es ist voraussichtlich der letzte gemeinsame Abend in unserer Junggesellenzeit.

Bruno. Und das soll mich zur Feststimmung begeistern? Seht, irgend etwas muß es doch geben, woran man sich halten kann. Sämtliche sogenannten Herrlichkeiten der Welt verlohnen mir nicht mehr die Mühe, vom Sofa aufzustehn; aber euch drei hab' ich lieb.

Philipp. Wir dich etwa nicht?

Bruno. Ihr wart mir genug; drum hab' ich mir in meiner Dummheit eingebildet, es verhielte sich bei euch ebenso; drum hab' ich geglaubt, wir alle wären für dieses Leben versorgt. Nun ist es anders gekommen; von nun an wird es für jeden von euch ein Wesen geben, das ihm näher steht als ich . . . Protestiert nicht! Es ist so; es muß so sein. 45

Waldemar. Und ob ich protestiere! Aufs allerheftigste protestier' ich. Amor ist Amor; das steht auf einem besonderen Blatt – und wenn du vernünftig bist, altes Haus, dann folgst du so bald als möglich unserem Beispiel.

Philipp. Bravo!

Bruno (heftig). Niemals! Niemals! Niemals! Die alte Garde stirbt; aber sie ergiebt sich nicht.

Waldemar. Abwarten! Wenn du erst unser fulminantes Glück mit Augen siehst . . .

Heinz (hat inzwischen mit Gemütsruhe den Champagner entkorkt und eingeschenkt). Herrjeses, wollt ihr nun eigentlich mittrinken oder nicht?

Bruno (geht zum Tisch, ergreift ein Glas). Auf das Wohl eurer Bräute!

(Alle stoßen lebhaft an und setzen sich dann um den Tisch. Bruno trinkt mäßig; die anderen sprechen dem Sekt eifrig zu. Heinz füllt immer nach.)

Waldemar (singt nach der bekannten Melodie). »Hoch sollen sie leben! Hoch sollen sie leben! Dreimal hoch!« – – Schade, daß sie nicht mit dabei sind. Ich habe schon eine Sehnsucht nach Lisbeth – nicht zu beschreiben. (Er zieht eine Photographie aus der Tasche.) O, du zuckersüße kleine Göttin du! (Er küßt die Photographie.) 46

Heinz. Zeig mal her.

Waldemar (giebt ihm das Bild, welches cirkuliert). Danach kannst du gar nicht urteilen – ehähä. Schwacher Abglanz. In natura ist sie zehntausendmal hübscher. (Zu Philipp.) Hast du von deiner Amelie auch eins?

Philipp. Natürlich. (Die Photographie hervorziehend.) Hier. (Sie cirkuliert.)

Waldemar. Pompös.

Heinz. Na, die Toni habt ihr ja schon alle gesehn. (Er zieht auch eine Photographie hervor.) Hab' ich selbst aufgenommen.

Bruno. Was? Du schleppst gleichfalls ihr Bild mit dir herum?

Heinz. Macht ihr Spaß, Knorz. Warum soll ich ihr den Gefallen nicht thun?

Philipp (erklärend). Amelie hat viel lebhaftere Augen, als es hier den Anschein hat.

Waldemar. Sapristi, Kinder – Lisbeths Augen, das sind überhaupt keine Augen – das sind feurige Kohlen. Prosit. (Er trinkt.) 47

Heinz (die Bilder vergleichend, trocken). Nee, was nun grade dies Kapitel betrifft – da ist Toni hors concours.

Bruno (verzweifelt). Heiliger Strohsack, das ist ja, um die Wände hinaufzulaufen.

Waldemar (zu Philipp). Habt ihr schon ausgemacht, wann ihr heiratet?

Philipp. Ich denke, so im Frühjahr.

Waldemar. Viktoria, wir auch! Halt – einen Vorschlag! Wie wär's, wenn wir alle möglichst gleichzeitig Hochzeit feierten?

Heinz. Könnte man ja machen.

Waldemar (sich die Hände reibend). Und dann – ehähä – dann auf die Hochzeitsreise. Wonnevoll!

Philipp. Wir gehen wahrscheinlich nach Italien.

Heinz. Aber Stöpsel, dieses ewige Italien! Ist ja furchtbar altmodisch.

Philipp. Wohin möchtest denn du? 48

Heinz. Na, wenn es so weit kommt, dann setzen wir uns wohl auf ein paar Wochen nach Eberswalde. Erstens ist das 'ne vernünftige moderne Gegend, und zweitens haben wir für weiter weg kein Geld.

Waldemar. Kinder meines Herzens, und wenn wir zurückkommen, dann muß es das erste sein, daß unsere Weiberchen sich gegenseitig kennen lernen.

Philipp. Das versteht sich.

Waldemar. Freundinnen müssen sie werden – und gebt mal acht – ehähä – sie werden großartig zu einander passen.

Philipp. Sie werden sich ergänzen.

Waldemar. Genau wie wir. – Hallo, hallo – jetzt hab' ich eine pyramidale Idee! Wißt ihr, wo sie sich kennen lernen müssen? Hier bei Bruno! Auf dem klassischen Schauplatz unserer Freundschaft – hier muß die erste Begegnung stattfinden.

Philipp. Wirklich, ein glänzender Einfall.

Heinz. Die Verliebtheit wirkt überraschend günstig auf seinen Denkapparat. 49

Philipp. Bruno, du bist doch einverstanden?

Bruno. In drei Teufels Namen, ja. Denn ich fange jetzt an, eine diabolische Neugier zu kriegen, wie das werden wird.

Waldemar. Göttlich wird es werden. Denn was hat unserem Bunde bisher gefehlt? Die himmlischen Rosen haben ihm gefehlt. Die werden von zarten Frauenhänden erst hineingeflochten. – Prosit.

Philipp. Glaubt ihr, daß wir mit unseren Frauen die Kneipabende fortsetzen können?

Heinz. Warum denn nicht? Toni kneipt mit.

Waldemar. Nein, ihr Brüder, mir schwant noch Größeres in meinem prophetischen Gemüt. Verjüngen werden wir uns. Die goldenen Zeiten kehren wieder. Habt ihr nicht alle zu früh die Flinte ins Korn geworfen? Habt ihr mich nicht seit Jahren regelmäßig ausgelacht, wenn ich euch an unsere Jugendideale erinnerte?

Heinz. Zephyr, mach's gnädig. (Zu Bruno, halblaut.) Der Weichling kann absolut nichts vertragen. 50

Waldemar. 'ne Schande ist es, ihr genialen Spitzbuben, 'ne wahre Schande, daß ihr's nicht weiter gebracht habt.

Philipp. O, da hat er leider nicht so unrecht.

Waldemar (sich erhebend, immer emphatischer). Ich sage euch – vier Kerle wie wir, wenn wir damals nur Ernst gemacht hätten mit dem Gesamtkunstwerk . . .

Bruno. Gott steh' uns bei! Das unglückselige Gesamtkunstwerk.

Heinz. Er ist schwer bezecht.

Waldemar. Bruno die Poesie, Philipp die Musik, Heinz die Malerei und ich die Elektricität – die Welt hätten wir damit einreißen können.

Philipp (wird immer melancholischer). Ach Gott! Ach Gott!

Heinz (zu Bruno). Paß auf, jetzt ist Stöpsel fällig. Innerhalb fünf Bierminuten bekommt er das weinende Elend.

Waldemar. Aber, meine geliebten Kampfgenossen, mit unseren holden Frauen an der Seite, da fängt ein neues Dasein 51 an, und ich sage euch, wenn wir zu einander stehen im Geist unserer Jugend, dann giebt es kein Ziel, das uns verschlossen wäre; dann ist das Gesamtkunstwerk realisierbar.

Philipp. Ach ja, ihr Freunde, wir wollen uns . . . (fängt an zu schluchzen) wir wollen uns immer, immer treu bleiben.

Heinz (zu Bruno). Was hab' ich dir gesagt?

Philipp (schluchzend). Es ist ja wahrhaftig keine Kleinigkeit.

Waldemar (in höchster Ekstase). Nein, es ist der entscheidende Wendepunkt des Sieges! Es ist die Wiedergeburt! – Prosit.

Philipp (stets von Schluchzen unterbrochen). Wißt ihr noch – wißt ihr noch, wie wir den Hamlet mit verteilten Rollen lasen?

Waldemar. Ja, ihr meine Brüder, jetzt brauchen wir die Frauenrollen nicht mehr mit Männern zu besetzen. Das dank' ich dir, meine zuckersüße Ophelia; das dank' ich dir. Ich bin der glücklichste Dänenprinz unter der Sonne. – Prosit.

Heinz. Ist kein Laertes hier, der ihn totsticht? 52

Philipp (wie oben). Sein oder nicht sein, das . . . das ist hier die Frage.

Bruno (zu Heinz). Meinst du nicht, wir sollten sie nach Hause schaffen?

Heinz. Laß nur. Sie werden schon wieder zu sich kommen, Knorz. Wart' mal einen Augenblick. (Er holt vom Kaminsims vier Bierkrüge.)

Bruno. Was denn?

Heinz (Waldemar und Philipp anpackend). Heda, seid ihr Männer? Könnt ihr noch auf euren Füßen stehn? Mit der Jugend ist es ex, mit dem Gesamtkunstwerk dito; aber einen Salamander wollen wir reiben auf die Freundschaft. (Er gießt Champagner in die Bierkrüge.)

Waldemar (strahlend). Auf die Freundschaft!

Philipp (schluchzend). Auf unsere Freundschaft!

Heinz. Auf daß sie blühe, wachse und gedeihe. (Kommandierend.) Ad exercitium salamandri. – Parati estis?

Bruno, Waldemar, Philipp. Sumus. 53

Heinz. Eins, zwei, drei. (Sie reiben die Krüge in kreisförmiger Bewegung auf dem Tisch.) Bibite! (Sie trinken.) Eins, zwei, drei. (Sie setzen die Krüge auf und klappern damit.) Eins – zwei – drei – (Das Klappern hört auf.) Eins, zwei, drei! (Bei »drei« stoßen sie die Krüge gleichzeitig fest auf den Tisch. Nur Philipp klappt nach.)

Philipp (umarmt Waldemar). Mein alter Waldemar!

Waldemar. Philipp, mein Philipp!

Philipp (umarmt Bruno). Mein treuer Bruno!

Waldemar (umarmt Heinz). Heinz, mein Heinz – hab' ich dir schon gesagt, daß sie Lisbeth heißt?

Bruno (händeringend). Eine solche Vertrottelung ist mir mein Lebtag noch nicht vorgekommen. 54


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