Ludwig Fulda
Der Seeräuber
Ludwig Fulda

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Dritter Aufzug

Schlafstube bei Pedro

Kurze Bühne. In der Mitte der Hinterwand offener Alkoven mit breitem Bett (Längsstellung); links daneben die einzige Tür. In der sehr schrägen rechten Wand ein Fenster nach der Gasse, an welchem das über diese hinweggespannte Wäscheseil, zu einem möglichst großen Teil sichtbar, befestigt ist. Ganz vorne rechts Toilettentisch mit Spiegel; mehr nach der Mitte zu rundes Tischchen mit Stühlen. An der Wand links große Kommode mit Spiegel darüber; dahinter Kleiderriegel. Die Einrichtung, im Geschmack der Zeit gehalten, zeugt von kleinstädtischem Wohlstand

Erster Auftritt

Manuela (sitzt am Toilettentisch, ihre Frisur beendend). Pedro (in Hemdsärmeln, steht bei der Kommode, auf der zwei neue Reitsättel liegen, und rasiert sich. Dann) Lisarda

Manuela (ihre innere Unruhe verbergend)
Bist du fertig?

Pedro                   Gleich. – Umsonst
Hab' ich meine Morgenruh'
Nicht geopfert.

Manuela                 Legtest ja
Gestern abend mit den Hühnern 122
Dich dafür zu Bett und schliefst
Nach dem Schlummer in der Laube
Bald von neuem wie ein Sack.

Pedro Doch ich habe schwer geträumt:
Die zwei Gäule, Gott verdamm' mich,
Waren mit mir durchgegangen
Mitten auf das Meer hinaus.

Manuela (belustigt)
Auf dem Meere du? Haha!

Pedro Taugen sie nicht für die Kutsche,
Dann verwend' ich ganz und gar
Sie zum Reiten.

Manuela                 Du beritten?!

Pedro (mit dem Rasieren fertig, zieht seinen Rock an)
Spaßes halber tät' ich's nicht;
Sondern weil es mir der Bader
Kürzlich dringend anempfohlen
Gegen meine Fettigkeit.

Manuela Komm nur schneller nicht herunter
Als hinauf!

Pedro (öffnet die Tür, ruft hinaus)
                  Lisarda, he! 123

Manuela (ist aufgestanden, mit kaum verhehlter Ungeduld)
Gehst du nun?

Pedro                   Ich warte bloß
Auf das Fuhrwerk, das mich abholt.
        (Zu der eintretenden Lisarda)
Ist der neue Wächter da
Mit dem Eselswagen?

Lisarda                           Nicht
Daß ich wüßte.

Pedro                     Hab' ihm deutlich
Eingeschärft . . . Wo bleibt er denn?
        (Er geht zum Fenster, öffnet es, sieht hinaus)

Manuela Ja, wo bleibt er? (Gespannt) Siehst du ihn
Kommen? (Sie wechselt mit Lisarda Blicke)

Pedro             Wäsche seh' ich nur,
Vor der Nas' uns aufgehängt.

Manuela Schau von drüben.

Pedro (ärgerlich das Fenster schließend)
                                    Unverschämtheit,
Uns die Aussicht zu versperren! (Ab) 124

Zweiter Auftritt

Manuela. Lisarda

Manuela. Nun? Die ganze Nacht kein Auge
Tat ich zu. Wie steht es? Hast du
Was erkundet? Ist er schon
Auf dem Posten?

Lisarda                     Alle zwei
Schafften wie der böse Feind
An dem Abbruch ihrer Bude
Seit dem Morgengrau'n; und jetzt
Laden sie den Karren voll.

Manuela Wenn er mir sein Wort nicht hielte!

Lisarda Da verlaßt Euch nur auf mich.

Manuela Wie dir lohnen kann ich jemals,
Was du für mich tust?

Lisarda                             Ich tu's
Um der guten Sache willen.

Manuela Wackres Mädchen du! 125

Lisarda                                     Sobald
Sich der Herr empfohlen, zupf' ich
Meinen Trillo flugs am Ärmel . . .

Manuela Und der Wagen noch nicht hier!
Hörst du nichts?

Lisarda (lauschend)     Es könnte sein . . .

Manuela Wenn der Wächter sich verspätet . . .
Wenn er überhaupt verschlief . . .
Wenn mein Mann nicht zeitig fortkommt
Oder gar zu Hause bleibt . . .
Wenn aus Gründen trift'ger Art
Estornudo seinen Aufbruch
Nicht imstand ist zu verzögern . . .
Was, Lisarda, dann? Was dann?

Lisarda (deutet auf die sich öffnende Tür)
Eure Furcht war unnütz.

Manuela                             Ah!

Dritter Auftritt

Vorige. Pedro (mit Hut und Mantel. Ihm folgt) Torribio (neu ausstaffiert)

Torribio (devot, zu Manuela)
Diener. 126

Pedro         Saubre Trödelei.

Torribio Herr, ich dachte . . .

Pedro                                     Denk du künftig
Nichts.

Manuela (zu Pedro, drängend)
            Vom Rand der Gartenmauer
Werden Vater, Mutter schon
Ängstlich nach dir spähn. Beeil' dich!

(Sie gibt Lisarda einen heimlichen Wink; diese geht ab)

Pedro (zu Torribio, auf die Kommode zeigend)
Nimm die neuen Sättel.

(Torribio gehorcht)

Manuela                             Wann
Ungefähr gedenkst du wieder
Da zu sein?

Pedro               Auf keinen Fall
Vor dem Mittag. (Näher, mit gedämpfter Stimme)
                        Daß du mir
Hübsch zu Hause bleibst inzwischen.

Manuela Selbstverständlich. 127

Pedro                                 Auch dich nicht
Vorn zum Fenster breit hinauslegst.

Manuela Gott bewahr'!

Pedro                           Die Sittsamkeit
Über alles.

Manuela         Über alles! –
        (Er geht, sie ruft ihm nach)
Grüß die Eltern! sei behutsam!

Pedro (mit Torribio bei der Tür angelangt, kehrt wieder um)
Wetter auch! Das Wichtigste
Hätt' ich um ein Haar vergessen.

Manuela Was denn?

Pedro                       Meinen Rosenkranz.

(Er nimmt ihn von der Kommode; mit Torribio ab)

Vierter Auftritt

Manuela. (Gleich darauf) Lisarda. (Zuletzt) Serafin

Manuela (allein, aufatmend)
Endlich! – Nein, du pochend Herz,
Juble nicht zu früh! – Vielleicht 128
Kehrt er um, besinnt sich anders . . .
Für Sekunden halt noch an dich,
Zitternd auf der Schwebe zwischen
Höll' und Himmel!

Lisarda (eintretend)       Euer Mann . . .

Manuela (erschrocken)
Was?

Lisarda     Ist glücklich abgefahren.

Manuela (mit ausbrechendem Übermut)
Er ist fort, ist fort, ist fort!
Seligkeit, so grenzenlos,
Um vor Wonne zu zerspringen!
Er ist fort, ist fort, ist fort!

Lisarda Und sogleich – dies läßt Euch Trillo
Melden – wird der Gegenstand
Eurer Wünsche nah'n.

Manuela                           Sogleich? –
        (In steigender Fieberigkeit)
Und ich bin . . . ich hab' . . . ich konnte
Nicht einmal mich zum Empfang
Festlich schmücken. Pedro hätte
Sonst Verdacht geschöpft . . . Wie schau' ich
Aus? 129

Lisarda     Als wär't Ihr eben frisch
Aus dem Ei geschält.

Manuela                         Dies Kleid?

Lisarda Zart wie Morgentau.

Manuela                               Das Haar?

Lisarda Hingehaucht.

Manuela (vorm Spiegel) Die Flechte hier
Fällt herab.

Lisarda             Verführerische
Regellosigkeit.

Manuela               Mein erstes
Stelldichein! Die Stube dreht
Sich im Kreis . . .

Lisarda                       Mit der Gewohnheit
Legt sich das. (Lauschend) Tapp, tapp; ich hör' ihn
Auf der Treppe.

Manuela (halb für sich) Was ist jetzt 130
Richtiger? Entgegeneilen?
Oder sitzen?

Lisarda (hat die Tür geöffnet, spricht hinaus)
                    Hier herein.

Serafin (erscheint in der Tür, in seiner Alltagskleidung, mit einem langen Theaterschwert bewaffnet)
Guten Morgen.

Lisarda                 Tretet näher.

Serafin Kann ich? Darf ich?

Lisarda                               Dürft und sollt.

Manuela (befangen)
Guten Morgen.

Serafin (zu Lisarda)   Trillo will
Abschied von Euch nehmen, Fräulein.

Lisarda (leichtfertig)
Dieses überleb' ich nicht. (Ab)

Fünfter Auftritt

Manuela. Serafin

Serafin Hochgeneigte Lichtgestalt,
Ihr befahlt; hier bin ich. 131

Manuela                             Dank,
Daß Ihr kamt. – Ihr seid bewaffnet?

Serafin (gleichsam vorstellend)
Mein erprobtes Schwert, dem nicht
An der Wiege war gesungen,
Daß vor einem Pöbelhauf
Ich's auf meiner Nasenspitze
Tanzen lassen muß.

Manuela                       Wozu
Habt Ihr's mitgebracht?

Serafin                               Zur Ansicht.

Manuela (angstvoll)
Nein, gesteht, Ihr seid erkannt,
Seid bedroht . . .

Serafin                       Noch nicht. Noch ist
Frei die Bahn.

Manuela               Doch Ihr gewärtigt . . .

Serafin Unberechenbare Schlingen
Lauern auf ein Edelwild.
Jeder Schritt nach links, nach rechts
Kann auf eine Mine stoßen,
Die zerplatzend Unheil spuckt. 132

Manuela Gruselig – und doch so wonnig!

Serafin Ist nicht gestern mir's geglückt,
Eine ganze Stadt zu hänseln?
Muß ich, eh' sie Lunte riecht,
Nicht bedacht sein, ihren Staub
Von den Sohlen abzuschütteln?
Läge nicht zu dieser Stunde
Schon ihr Weichbild ein paar Meilen
Hinter mir, wenn Ihr nicht wär't?

Manuela (entzückt)
Mir zu lieb mißachtet Ihr
Eure Sicherheit?

Serafin                     Glattweg.

Manuela Wagt für mich das Äußerste?

Serafin Ja, so bin ich.

Manuela                     Das – das ist es
Was mir immer vorgeschwebt!

Serafin Scheut ein Mann – ein Mann wie ich
Einen Halsbruch oder zweie,
Wenn ihm eine Frau wie Ihr – 133
Eine Frau? Was sag' ich da? –
Wenn ein Cherub, eine Sylphe
Mitgefühl ihm zeigt, Verständnis,
Ja sogar für seine großen
Zukunftspläne Förderung
Ihm verheißt?

Manuela               Ist's wahr? Ich könnt' Euch
Mehr bedeuten als . . .

Serafin (vor Begeisterung halbwegs aus der Rolle fallend)
                                  Ihr fragt?
Förderung! Welch ein Gedanke!
Sonnenaufgang! Wendepunkt!
Statt der Wandrung durch die Wüste,
Statt der unabänderlichen
Hungersnot in der Provinz
Eine Wirkungsstätte, würdig
Meines Könnens, festgezimmert
Und mit allem zeitgemäßen
Zubehör . . .

Manuela             Das neue Raubschiff?

Serafin (sich besinnend)
Ja, das Raubschiff! Mich erwartend
Liegt's vor Anker in verschwiegner
Bucht.

Manuela     Schon fertig? 134

Serafin                           Segelfertig.

Manuela Was noch mehr?

Serafin                             Doch nicht bezahlt.
Und noch zwischen ihm und mir
Strecken Landes; noch das heikle
Kunststück, mich bis nach Sevilla
Durchzuschlagen.

Manuela                   Nach Sevilla!

Serafin Meiner Mannschaft Sammelplatz.

Manuela Schon geworben ist sie?

Serafin                                         Wohl.
Aber vorderhand vertröstet
Auf den Sold. – Kurzum, ein Beitrag,
Nicht geschenkt, nur vorgestreckt
Und mit Zinsen rückvergütet . . .

Manuela Alles, was in meiner Macht!
Aber sagt erst . . .

Serafin                       Himmlische!
Wollt Ihr? 135

Manuela         Sagt erst, ob es Wahrheit,
Was im Ohr mir wundertönig
Wiederklang die ganze Nacht,
Ohne daß ich's glauben konnte;
Sagt mir, ob von all den Frauen,
Die sich Euch zu Füßen warfen,
Keine schöner war als ich!

Serafin Schöner? Keine war es wert,
Nur das Schuhband Euch zu lösen.
Keine hat wie Ihr beim ersten
Anblick schon zu solcher Sturmflut
Meine Tiefen aufgewühlt.

Manuela (ergriffen)
Estornudo!

Serafin             Göttin! Göttin!
        (Er umschlingt sie)

Manuela Ist's denn möglich? Liebt Ihr mich?

Serafin Bis zum Wahnwitz.

Manuela (berauscht)           Das ist Glück!

Serafin Allzu kurzes! 136

Manuela                   Nein, o nein,
Ewig, ewig soll es währen!

Serafin Aber meine Zeit ist knapp.

Manuela Könnt Ihr noch Euch von mir reißen?
Könnt mich blindlings meinem Elend
Überlassen?

Serafin               Seid Ihr nicht
Angekettet?

Manuela             Und an wen!
Einen Mann, so klein und nüchtern,
Wie Ihr groß und heldenhaft;
Einen Alltagsmenschen, fähig
Nur der Liebe zu sich selbst,
Faul und krittlig und gefräßig,
Der von Mut und Kraft und Feuer
Lebensdurst und Todbereitschaft
Nie sich etwas träumen ließ!
O, wie soll mit ihm fortan
Ich dieselbe Luft noch atmen,
Ohne daß mich beim Vergleich
Dieses himmelweiten Abstands
Die Verzweiflung sterben läßt?

Serafin So bedenk doch, Teuerste:
Kann ich hier bei dir, obschon 137
Blutend es mein Herz verlangt,
Wohnen bleiben?

Manuela                   Nein, es wäre
Dein Verderben!

Serafin                     Und das deine.
Nur der Augenblick ist unser;
Nützen wir ihn drum!
        (Er zieht sie wieder an sich)

Manuela                           Geliebter,
Nein, du sollst erkennen, wem
Du dein Herz geschenkt; erkennen,
Daß ihm meins an Liebe weder,
Noch an Stärke weichen will.
Zieh, wohin dein Stern dich ruft;
Aber dennoch nichts von Trennung:
Nimm mich mit; ich folge dir!

Serafin (höchst verdutzt)
Folgst mir?!

Manuela           Folge dir hinaus
In die Freiheit, in das Leben . . .

Serafin Darauf war ich nicht gefaßt! 138

Manuela Hand in Hand bis nach Sevilla,
Dann zur Bucht und auf dein Raubschiff,
Wenn du dort mich hegen willst.

Serafin Kind, besinn dich . . .

Manuela                               Kein Besinnen!

Serafin Das ist Tollheit.

Manuela                       Um so besser.

Serafin Die Gefahr . . .

Manuela                     Die lockt mich grad.

Serafin Flutgetos . . .

Manuela                   Und unsre Seelen
Wilder wogend als das Meer –
Danach lechz' ich!

Serafin                       Kampfgetümmel . . . 139

Manuela Sieg, für mich von dir erfochten,
Und gefangne Könige,
Die du zwingst, vor mir zu knien.

Serafin Doch bevor mir Beute winkt,
Bleicher Mangel, dem schon einzeln
Kaum die Stirn ich bieten kann.

Manuela Hab' ich nicht genug für zwei?

Serafin (mit großen Augen)
Wie?

Manuela Beträchtlich mehr als nötig,
Schiff und Mannschaft zu bezahlen
Und noch vieles andre?

Serafin                               Was?

Manuela (auf die Kommode weisend)
Dort im Kasten Schmuck und Barschaft,
Mein gesondert Eigentum,
Über das ich frei verfüge,
Von den Eltern mir gestiftet
Und in Jahren aufgespart.

Serafin Und dies alles . . .

Manuela                           Heiß' ich mitgehn
Als gemeinsam Reisegut. 140

Serafin (schwindlig)
Potz, da wär' ich ja mit einmal
Übern Berg! Da hätt' ich . . . könnt' ich . . .
Ja, du Heldin, bis zum letzten
Atemzuge nichts von Trennung!
Ich, dein Held, entführe dich!

Manuela Einziger!
        (Feurige Umarmung. Hinter der Szene erhebt sich Stimmengewirr. Sie fährt zusammen)
                      Was für ein Lärm?

Serafin (aufhorchend)
Zank, so scheint es.

Manuela                       Hier im Haus?

Serafin Wenn uns jemand überraschte . . .

Manuela (ist zur Tür geeilt, schiebt den Riegel vor)
So! Geborgen! – Auf Lisarda
Kann ich baun.
        (Wiederholtes Pochen an der Tür. Sie sehen einander an)
                        Es klopft.

Serafin                                   Es klopft.

Manuela (zitternd)
Wer . . . 141

Stimme des Alkalden (von außen)
              Im Namen des Gesetzes –
Öffnet!

Manuela (entsetzt)
            Allbarmherziger!
Der Alkalde.

Serafin               Nun wird's heiter.

Stimme des Alkalden Öffnet!

Manuela                                 Flieh! Du bist entdeckt!
Auf den Fersen sind sie dir!
Rette dich!

Serafin (der sich vergeblich nach einem Ausweg umsieht)
                  Wohin? Dies ist
Eine Mausefalle.

Stimme des Alkalden Nochmals:
Öffnet, wenn ich nicht Gewalt
Brauchen soll.

Manuela (nach außen laut antwortend)
                        Sofort. Beim Anziehn
War ich grad; will nur mein Kleid
Überwerfen . . .

Stimme des Alkalden Bitte, schnell! 142

Manuela (verzweifelt)
Du verstrickt – und ich der Anlaß!

Serafin (sehr gefaßt)
Pah, der Tod für dich ist süß.

Manuela Sei getrost; ich schütze dich!

Serafin Wie?

Manuela       Versteck dich!

Serafin                                 Wo?

Manuela (ratlos)                           Ja, wo denn?

Serafin Unterm Bett?

Manuela                   Nein, nein! Da sucht man
Einen Räuber doch zuerst! –
In dem Bett vielmehr.
        (Sie eilt hin, deckt es auf)

Serafin                             Du meinst . . . ?

Manuela Rasch, nur rasch!

Serafin                               Ich soll . . . ?

Manuela                                                 Hinein!

(Er legt sich, von ihr gedrängt, mit seinem Schwert ins Bett. Sie zieht sämtliche Decken über ihn)

Hier dich zu vermuten, hindert,
Geb' es Gott, mein guter Ruf.

(Neues energisches Pochen)

Stimme des Alkalden Eilt Euch!

Manuela (antwortend)                 Ja.
        (Sie bemerkt mit Schrecken, daß ein Stück des Schwertes aus dem Bett herausragt)
                                              Das Schwert! (Sie schiebt es hinein)
                                                                  Hier bin ich. (Sie rennt zur Tür und macht auf)

Sechster Auftritt

Vorige. Alkalde (begleitet von) zwei Schergen (die jeder mit einer großen Pistole versehen sind und sich an der Tür aufpflanzem. Unmittelbar dahinter) Lisarda, Isabel (in heftigem Wortwechsel)

Alkalde (behutsam eintretend, zu den Schergen)
Vorsicht! Umsicht! (Zu Manuela)
                            Wollt vergeben . . .

Manuela (mit gewaltsamer Beherrschung)
Was verschafft mir . . .

Isabel                                 Ei, das Täubchen!
Wie verwundert sie noch tut! 144

Lisarda (zu Isabel)
Könnt Ihr's wagen . . . ?

Isabel                                 Wollt Ihr's wehren?

Lisarda (eifrig)
Ich versichr' Euch, Herr Alkalde,
Sie verleumdet.

Isabel (ebenso)         Ich versichr' Euch,
Herr Alkalde, die da lügt.

Lisarda Stänkerei!

Isabel                     Mit meinen Augen
Sah ich . . .

Lisarda             Täuschung!

Alkalde                               Ruhe!

Isabel                                           Täuschen
Herr Alkalde, will man Euch.

Lisarda Aber . . .

Isabel                   Wenn doch . . . 145

Alkalde                                         Ruhe jetzt!
Mich laßt reden! (Zu den Schergen)
                        Vorsicht! Umsicht!
        (Er geht einen kleinen Schritt vor, stets sich den Rücken deckend, zu Manuela)
Wollt vergeben, werte Frau,
Daß ich störe. Doch die Pflicht
Meines Amts, in diesem Falle
Doppelt leidig, sintemal
Meine Schätzung Eures Hauses
Stadtbekannt . . .

Manuela                   Ich bin begierig,
Zu vernehmen . . .

Isabel                           Seht, sie schlottert!

Manuela Welcher Grund . . .

Alkalde                                 Ein Grund, gegründet
Auf die sehr bestimmte Meldung,
Die mir abgestattet worden
Von der hier befindlichen
Witwe Galvez.

Isabel                   Ja, von mir.
Rache, Rache will ich haben 146
Für den Treubruch des Verhaßten
Und für Eure Heuchelei!
Stellt sich an, als wäre sie
Nicht imstand, bis drei zu zählen,
Bittet mich um Unterweisung
Ihrer Einfalt, und dabei
Hat sie's dicker hintern Ohren
Als ich selber.

Manuela               Herr Alkalde,
Solche Schmähung . . .

Isabel                                 Ohne Scham
Hinter ihres Mannes Rücken
Nimmt sie sich den ersten besten
Hergelaufnen Strolch ins Haus.

Manuela Solcher Schimpf!

Lisarda                             Empörend!

Isabel                                                 Leugnet
Ihr noch gar?

Manuela             Wodurch verdient' ich
Das um Euch?

Isabel                     Und ich? Und ich? 147

Manuela Eure Bosheit?

Isabel                           Euren Undank?

Lisarda Himmelschreiend!

Manuela                           Niederträchtig!

(Die drei Weiber schreien gleichzeitig durcheinander, so daß man kein Wort mehr versteht)

Alkalde (dazwischen)
Ruhe! Ruhe, sag' ich! Ruhe!
Hab' ich meine Zeit gestohlen?
Hört ihr nicht? Gebt Frieden! Oder
Ich verhaft' euch alle drei.

(Sie lassen voneinander ab und wenden sich ihm zu)

Manuela Herr Alkalde . . .

Isabel                                 Herr Alkalde . . .

Lisarda Herr Alkalde . . .

Alkalde                             Werd' ich wohl
Heut' noch hier zu Worte kommen?
Weiberzwist und Liebeshändel
Gehn die Obrigkeit nichts an;
Sondern einzig und allein 148
Die Behauptung, hier im Haus
Steck' ein Missetäter . . .

Isabel                                   Ja,
Die Behauptung wiederhol' ich.

Alkalde Dann erschwert es mir nicht länger,
Nachzuprüfen, ob sie stimmt.
Tor und Türen sind besetzt,
Keine Ratze kann entrinnen;
Ihr somit seid nun entbehrlich.
Geht! (Zu Lisarda) Auch Ihr.

Manuela (zu Isabel)                   Doch seht Euch vor!
Wenn mein Mann davon erfährt,
Welche Kränkung man mir zufügt . . .

Isabel Euer Mann? Haha, seid ruhig;
Der erfährt es.

Manuela               Wie?

Isabel                           Dem hab' ich
Im Galopp auf meine Rechnung
Einen Boten nachgeschickt.

Manuela (leise)
O mein Gott! 149

Isabel                   Damit zum Vorteil
Seiner Nachbarn er in Zukunft
Vor der eignen Türe kehrt.

Alkalde Geht!

Isabel             Ich geh' schon. (Knicksend) Zücht'ge Gattin,
Dem gestrengen Herrn Gemahl
Schönsten Gruß von einer solchen. (Ab)

Lisarda (folgt ihr)

Siebenter Auftritt

Vorige (ohne Isabel und Lisarda)

Manuela (fast weinend)
Schändlich!

Alkalde             Nichts für ungut also,
Wenn mit aller schuldigen
Ehrerbietung ich das Haus
Bis hinein in jeden Winkel
Gründlich untersuchen muß.
Hier beginn' ich.

Manuela (in höchster Bedrängnis)
                          Hier ist niemand.
Möglich, daß in einen andern
Raum ein Dieb sich eingeschlichen. 150
Dies Gemach, das schwör' ich Euch,
Ward von mir seit gestern abend
Nicht verlassen. Hier ist niemand . . .

Alkalde Gut. Jedoch um einwandfrei
Dies auch amtlich festzustellen,
Wollen wir das Bett zunächst . . .

Manuela (vertritt ihm den Weg)
Herr Alkalde, nein, Ihr werdet
Mir und meinem wackren Mann
Die gehäufte Schmach nicht antun,
Mittels grober Schergenhand
Unser eheliches Lager
Zu durchwühlen . . .

Alkalde                           Werte Frau,
Just damit auf Eurem Haupte,
Das mir sehr am Herzen liegt,
Nicht ein Stäubchen von Verdacht
Haften bleibt, ist's unerläßlich.
        (Zu den Schergen, sehr ängstlich)
Vorsicht! Umsicht! Aufgepaßt.
        (Er sieht sie zittern)
Seid ihr Memmen? (gleichfalls zitternd)
                              Schaut auf mich!
Und vor allem die Pistolen
Schußbereit im Anschlag . . .

(Die Drei nähern sich mit umständlichster Behutsamkeit dem Alkoven)

Manuela (für sich)                       Aus!
        (Sie bemerkt Pedro)
Alles aus! – 151

Achter Auftritt

Vorige. (Durch die jäh aufgerissene Tür kommen eilig) Pedro, Torribio

Pedro (atemlos, in großer Erregung)
                    Was geht hier vor?
Puh! – Was hat das zu bedeuten?
Ich bin außer mir. Auf halbem
Wege dringend heimgerufen
Find' ich – puh – mein Haus von Wachen
Rings umstellt und die Behörde
Hier in meinem Schlafgemach!
Manuela, was geht vor?

Manuela (stockend)
Ich . . .

Pedro         Du bist ja weiß wie Kreide.

Manuela (zu letzter Notwehr entschlossen)
Ich bin außer mir wie du.

Pedro Herr Alkalde . . . ?

Alkalde (der bei Pedros Eintreten mit den Schergen halt gemacht hat)
                              Seht mich trostlos,
Mein Verehrter, ob des Wirrwarrs,
Den ich unter Eurem Dach
Anzurichten bin genötigt.

Pedro Und weshalb? Was ist geschehn? 152

Alkalde Urteilt selbst, ob mir die Wahl bleibt.
Ein unglaubliches Gerücht
Drang zu mir schon gestern abend . . .

Pedro Ein Gerücht?

Alkalde                   Jedoch da nahm ich's
Noch nicht ernst. Hingegen heut
Wird es mir mit so viel Nachdruck,
So viel Anschein von Beweis
Neu verbürgt . . .

Pedro                       Was ist sein Inhalt?

Alkalde Ein gemeingefährlicher
Bösewicht.

Pedro               Warum nicht gar!

Alkalde Ersten Rangs und größten Maßstabs.

Pedro (scheu)
Wer denn sollte das . . .

Alkalde                               Ja, denkt nur:
Hier in unsrer guten Stadt
Berge sich – so wird versichert – 153
Unter einem falschen Namen
Der gefürchtete Korsar
Estornudo.

Pedro (prallt zurück, wie von einem Faustschlag getroffen; stammelnd)
                  Das . . . das ist . . .

(Er wechselt einen Blick mit dem gleichfalls äußerst erschrockenen Torribio)

Alkalde Nicht wahr, schaudervoll? Doch mehr noch:
Seine Spur, nach Zeugenausspruch,
Weist hierher in Euer Haus.

Pedro (schnell und leise zu Torribio)
Schurk', du hast geschwatzt!

Torribio (ebenso)                         Mit keiner
Silbe, Herr!

Alkalde             Wie dünkt Euch das?

Pedro (bebend)
In mein Haus?

Manuela (zähneklappernd)
                        Nun sag doch bloß,
Ob du glauben kannst . . .

Alkalde (ebenfalls von neuem zitternd)
                                        Verläßlich
Ward mir angezeigt, er habe
Hier, gleichviel aus welchem Umstand,
Einen Unterschlupf gesucht
Und gefunden. 154

Pedro (leise zu Torribio)
                      Festgerannt!

Alkalde Folglich werdet Ihr verstehn . . .

Pedro (finster).
Fackelt nicht mit halben Worten!
Sagt, was Ihr im Schilde führt.

Alkalde Ihn, wenn's wahr ist, aufzustöbern.
Und ich hoffe sehr, Ihr werdet
Mir dabei behilflich sein.

Pedro (erleichtert)
Ich? – Ach so! –

Manuela                   Du wirst doch nicht
Auf ein leer Gered' . . .

Pedro (Oberwasser bekommend) Behilflich?
Habt nur etwas läuten hören,
Und ich soll mit Euch vereinigt
Forschen, wo die Glocke hängt?

Alkalde Muß Euch selber nicht als Hausherrn,
Ehrenmann und gutem Bürger
Viel daran gelegen sein,
Daß wir seiner habhaft werden? 155

Manuela (mit erlöschender Stimme)
Pedro . . .

Pedro             Was?

Manuela                 Ich kann nicht mehr.

(Sie sinkt wie ohnmächtig auf einen Stuhl)

Pedro Manuela – fasse dich! –
        (Er zieht aus seiner Tasche ein Riechfläschchen)
Nimm dies Fläschchen; riech daran!
        (Zum Alkalden, mit wiedergewonnener dreister Sicherheit)
Unverzeihlich, Herr Alkalde,
Grundlos meiner armen Frau
Solchen Schrecken einzujagen.

Manuela (von dieser Wendung höchlich überrascht, blickt verstohlen auf)

Alkalde Grundlos?

Pedro                     Ja, gelind gesagt.
Und ich kann als Hausherr, Bürger,
Ehrenmann Euch nicht verhehlen,
Daß ich über Euer Vorgehn
Tief entrüstet bin.

Alkalde                     Erlaubt . . .

Pedro Nein, erlaubt nun mir zuvörderst!
Weil Euch ein Altweibertratsch 156
Zugeweht wird, ein Gewäsch,
Dem auf Meilen anzuschaun,
Daß es aus der Luft gegriffen,
Tastet Ihr an meines Hauses
Frieden, überfallt bewaffnet
Meine Frau?

Manuela (neubelebt aufspringend)
                    Da habt Ihr's nun!

Alkalde Aber . . .

Manuela               Wenn sogar mein Mann
Keinen Argwohn hat!

Pedro                               Was, Argwohn!
Ich erklär' Euch rund heraus:
Hier bei Pedro Vargas hält sich
Weder ein Korsar verborgen
Noch ein andrer Sündenbock.

Manuela (triumphierend)
Seht Ihr?

Alkalde         Aber . . .

Manuela (zu Pedro)       Ganz dasselbe
Hab' auch ich von Anbeginn
Hoch und teuer ihm bekräftigt;
Er indessen ließ nicht ab. 157

Pedro Unverantwortlich!

Alkalde (mit einer Bewegung nach dem Alkoven hin)
                              Der Ordnung
Halber wenigstens . . .

Manuela (fällt vorbeugend ein) Und wollte –
Nein, ich schäme mich, es laut
Auszusprechen . . .

Pedro                           Sprich es aus!

Manuela Wollte, grad bevor du kamst,
Mit den Griffen seiner Schergen
Unser Ehebett entweihn.

Pedro Beispiellos! Das ist der Gipfel!

Alkalde (ärgerlich)
In Erfüllung meiner Amtspflicht!
Oder wähnt Ihr, zum Vergnügen
Trag' ich meine Haut zu Markt?

Pedro Unser keusches Ehebett!
Herr, das nenn' ich Tempelschändung,
Und ich werde mich darob
Heftig über Euch beschweren
Bei dem Herrn Corregidor. 158

Alkalde So? Doch wenn durch Eure Schuld
Mir der Fang entgeht, was dann?
Nehmt Ihr das auf Eure Kappe
Bei dem Herrn Corregidor?

Pedro Ja, das tu' ich, und ich will
Obendrein Euch schriftlich geben,
Daß Ihr Eure falsche Fährte
Nur auf meine Bürgschaft hin,
Auf das feierliche Pfand
Meines Namens, meiner Ehre
Zu verfolgen Abstand nahmt.

Alkalde Hm . . . nun freilich . . . hm, das dürfte
Wohl genügen. Ohnehin
Leidet meine Frau daheim
Todesängste meinetwegen.

Pedro (mit schwerem Aufatmen)
Puh! – So kommt; wir setzen's förmlich
Auf.

Manuela (leise für sich)
        Gerettet!

Pedro                   Und ich lege,
Wenn Ihr abgezogen seid,
Vor Erregung und Erschöpfung
In dies Bett mich selbst hinein.

Manuela (in neuer Bestürzung, leise)
O! 159

Pedro (an der Tür, komplimentierend)
      Nach Euch!

Alkalde (gleichfalls aufatmend, zu Manuela)
                          Empfehle mich.

(Er geht mit den Schergen ab. Pedro und, auf dessen Wink, Torribio folgen ihm)

Neunter Auftritt

Manuela. Serafin

Manuela (eilt zum Alkoven)
Liebster, sie sind fort. Geschwind,
Komm heraus!

Serafin (sich aus den Decken aufrichtend)
                        Ein warm Gefängnis.

Manuela Kannst da drinnen nicht mehr bleiben.

Serafin Leg' auch keinen Wert darauf.

Manuela Denn mein Mann . . . er will . . . du hörtest?

Serafin (sich herauswickelnd)
Allerdings. Ich mach' ihm Platz.

Manuela O wie war ich doch gefoltert! 160

Serafin O wie hab' ich doch geschwitzt!

Manuela (während sie die Decken wieder glatt streicht)
Und der Pinsel merkte nichts!
Gab sich noch die größte Müh',
Dich zu schirmen!

Serafin                       Starke Leistung,
Selbst für einen Ehemann.
        (sehr ängstlich)
Aber wenn er nun zurückkommt . . .

Manuela Eben darum!

Serafin                       Wie verschwind' ich
Diesmal?

Manuela         Wenn ich das nur wüßte!

Serafin Durch die Tür?

Manuela                       Wo denkst du hin!
Würdest ihnen gradeswegs
In die Arme laufen.

Serafin                         Zwar
Bin ich unerreicht im Zaubern; 161
Aber unsichtbar mich machen
Kann ich nicht aus freier Hand.

Manuela Und das Fenster viel zu hoch!

Serafin Laß doch sehn.
        (Er läuft hin, reißt es auf)

Manuela                       Du kämst zerschmettert
Unten an!

Serafin (hat das Wäscheseil entdeckt)
                Ein Seil!

Manuela                       Was hilft das?

Serafin (prüft es mit Kennerschaft)
Gut befestigt. Straff gespannt.
Beste Sorte Hanf. Es trägt. –
Alles, was wir brauchen.

Manuela (schaudernd)             Wie?
Dich erkühnen willst du . . . ?!

Serafin                                         Hättest
Meiner Vorstellung du gestern
Beigewohnt, so wär' dir klar, 162
Daß für mich solch eine schmale
Brücke zwischen Erd' und Himmel
Nichts als ein Spaziergang ist.

Manuela Dann mit Gott!

Serafin (sich auf die Brüstung schwingend)
                              Auf Wiedersehn.

Manuela Warte meiner!

Serafin                         Vor dem Stadttor.
Und vergiß das Zehrgeld nicht.

(Er wandelt, das lange Schwert als Balancierstange benutzend, mit virtuoser Selbstverständlichkeit auf dem Wäscheseil zum Fenster hinaus)

Manuela (sieht ihm nach, begeistert)
Glänzend! Majestätisch!
        (Sie hört die Tür gehen)
                                    Er!
        (Sie wirft schnell das Fenster zu)

Zehnter Auftritt

Manuela. Pedro, Torribio (kommen zurück)

Pedro (im Auftreten leise zu Torribio)
Unbegreiflich!

Torribio (leise)       Rätselhaft! 163

Pedro (laut)
Seinen Rückzug trat er an,
Manuela.

Manuela (fahrig)
              Welch ein Auftritt!
Alle Glieder zittern mir
Noch am Leibe.

Pedro                       Keine Furcht mehr!

Manuela (in Verfolgung eines Planes)
Keine Furcht? Wenn seines Lebens
Hier man nicht mehr sicher ist?

(Sie geht nach links zur Kommode, schließt eine Schieblade auf, öffnet sie)

Pedro Torheit!

Manuela         Ich auf jeden Fall
Will mich vorsehn.

(Sie beginnt eifrig in der Schieblade zu kramen)

Pedro (zieht Torribio nach rechts vorn; hastiges leises Gespräch)
                              Wer im Teufels
Namen hat das aufgebracht,
Wenn nicht du?

Torribio                 Hier auf dem Fleck
Soll ich sterben, kam ein Hauch
Über meine Lippen! 164

Pedro                             Flucht? –
Nein, die macht mich erst verdächtig.
Tief im Nebel tappen sie,
Könnten mir zudem so leicht
Nichts beweisen . . .
        (Laut zu Manuela)
                              Was dort kramst du?

Manuela (ohne aufzuschauen)
Laß mich nur.

Pedro (leise, wie zuvor)
                      Ein Glück noch wahrlich,
Daß dies Schäfchen nichts gemerkt.

Torribio (ebenso)
Nennt mich einen Tropf, wenn alles
Nicht im Sand verläuft.

Pedro (stirnrunzelnd)             Will's hoffen.
Hab' fürs Erste grad genug.

Manuela (hat, nachdem sie eine Anzahl von Schmuckkästchen und gefüllten Geldbeuteln zutage gefördert und auf die Kommode gestellt, sich umgewendet)
Wovon tuschelt ihr? Du glaubst
Hinterher, es könnte doch
Etwas dran sein?

Pedro (seinen Rock ausziehend)
                          Keineswegs. 165

Manuela Oder willst du dich im Ernst
Nun zur Ruhe niederlegen?
Und die Eltern, die sich fragen,
Wo du bleibst?

Pedro (während er seinen Rock an den Kleiderriegel hängt, von diesem einen geblümten Schlafrock nimmt und anzieht)
                        Mir leid. Ich bin
Außer Stand jetzt . . . (Zu Torribio) Fahr allein;
Sag, ich käme später nach.
        (Leise)
Nichts von dem, was hier geschah.

Torribio Gut. (Er geht)

Pedro (ihm nachrufend)
              Bewach den Stall! Es gibt
Allerhand Gelichter draußen.
Laß mir niemand Unbefugten
Zu den Gäulen.

Torribio                 Unbesorgt. (Ab)

Elfter Auftritt

Manuela. Pedro

Manuela (hat noch ein großes Tuch aus der Kommode genommen)
So, nun hilf! 166

Pedro (ungeduldig) Was soll das alles?

Manuela Hilf mein Geld und meinen Schmuck
In ein Bündel schnüren.

Pedro                                 Immer
Noch die Angst vor dem Gespenst?

Manuela War's nicht Leichtsinn, war's Ermuntrung
Nicht zum Einbruch, all dies Gut
In dem schwachen Rumpelkasten
Zu verwahren?

Pedro                     Kinderei!

Manuela Nein, ich werde mich nicht eher
Frei von einem Alpdruck fühlen,
Als bevor ich meine Schätze
Besser aufgehoben weiß.

Pedro Possen!

Manuela         Hilf mir!

Pedro                           Meinethalb. –
Bloß damit du dich beruhigst.

(Sie packen gemeinsam die Wertsachen in das Tuch, das Manuela dann zusammenschnürt) 167

Manuela Und du selber?

Pedro                             Ich?

Manuela                               Du selber?
Scheint es dir so ganz undenkbar,
Daß der Eifer des Alkalden
Recht gefahndet?

Pedro                       Ausgeschlossen.

Manuela (pikiert)
Nicht einmal ein Zweifel also!
Grad als wär' in deinem Hause
Gar nichts, was den Raub verlohnt!

Pedro Zu dem Raub gehört ein Räuber;
Und den gibt es nicht.

Manuela.                         So, so!
Gibt es nicht; hat überhaupt
Keinen je gegeben, gibt
Ganz ausschließlich Mustermenschen –
So wie du.

Pedro (eindringlicher)
                Wenn ich dir sage,
Daß es eine Fabel ist,
Ein erweislich Hirngespinst! 168

Manuela (mit wachsender Ironie)
Estornudo der Korsar
Eine Fabel?

Pedro               Eben der
Kann hier nicht lebendig umgehn,
Weil er schon seit langen Jahren
Modert auf dem Meeresgrund.

Manuela Wie du das nur so bestimmt
Wissen kannst!

Pedro                     Gescheitert ist er
Und ertrunken!

Manuela                 In der Tat?
Warst du denn dabei?

Pedro (ärgerlich)               Zum Kuckuck,
Ich, dein Mann, ich steh' dafür,
Und ich habe keine Lust,
Abgemattet, wie ich bin,
Mir die Lunge lahmzureden.
Der ist tot, und damit fertig!

Manuela (ausbrechend)
Ja, das möchte dir so passen!
Fertig – zu dem edlen Zweck,
Daß du mit dem alten Gleichmut
Übers Ohr die Decke ziehst 169
Und ich wieder dir die Mücken
Wehre, fromm danebensitzend,
Unverändert wie zuvor!

Pedro Was für eine Sprache?

Manuela (entfesselt)               Fabel
Alles, was dir die Verdauung
Stören könnte; Hirngespinst,
Was für dein Gehirn zu hoch!
Und so hast du mich bis heut
In Gewöhnlichkeit vergraben,
Hast mich mit gebundnen Flügeln
In die kahlen Bretterwände
Deines Stumpfsinns eingesperrt!

Pedro Überspanntes dummes Zeug!

Manuela Aber wenn du dachtest, ewig
Dauern würde meine Blindheit . . .

Pedro Ich verbitte mir . . .

Manuela                           Dann war
Deine Rechnung falsch, mein Bester.

Pedro Schweig! Sonst reißt mir die Geduld! 170

Manuela Mag sie!

Pedro                   Widersetzlichkeit?
Aufstand gegen den vor Gott
Angetrauten Herrn und Gatten?
Das ist neu!

Manuela           Ja, rolle nur
Mit den Augen; schnaub, soviel
Dir gefällt! Vor dir, du Weichling,
Bangt mir nicht – und fertig, fertig,
Hör, so ruf' ich gleichfalls!

Pedro                                     Weib,
Hast du den Verstand verloren?

Manuela (immer exaltierter)
Ihn gefunden hab' ich; sehend
Bin ich worden, auferweckt
Aus der Gruft – und das verdank' ich
Ihm, den du für tot erklärt,
Ihm, der dennoch höchst lebendig,
Tausendfach lebendiger
Ist als du.

Pedro (heiser)   Von wem – von wem
Redest du?

Manuela           Von Estornudo
Dem Korsaren. 171

Pedro (sprachlos)     Von . . .

Manuela                             Jawohl,
Von dem wilden Meereskönig,
Dem gewaltigen, dem kühnen,
Aller Männer männlichstem!

Pedro (grell auflachend)
Hahaha! Der Spaß ist gut! –
Estornudo, sagst du?

Manuela                         Ja,
Ja, du kluger Alleswisser,
Wohltat ist mir's, Hochgenuß,
Dir das ins Gesicht zu schleudern:
Estornudo lebt nicht nur,
Weilte nicht nur in der Stadt,
Sondern kam – verstehst du? – kam,
Gleich nachdem du fortgefahren,
Hier ins Haus.

Pedro (noch immer lachend)
                      Wenn da der Teufel
In Person dich nicht gefoppt . . .

Manuela (auftrumpfend)
Mehr noch – meinetwegen kam er,
War bei mir, als man die Jagd
Auf ihn anhob – und ich selbst,
Ich versteckt' ihn vorm Alkalden:
Denn er liebt mich – und ich ihn! 172

Pedro (in helle Wut versetzt)
Was? Ein Mensch hat sich erdreistet . . . ?

Manuela Wenn es nicht der Teufel war.

Pedro Ehrvergeßne! Dieser Mensch,
Dem du meines Hauses Tür
Öffnetest als deinem Buhlen –
Dieser nennt sich . . .

Manuela                           Soll ich's dir
Buchstabieren? (Mit Betonung jeder Silbe) Estornudo
Nennt er sich.

Pedro (schreiend)     Betrug!

Manuela                           Natürlich.

Pedro Grober Schwindel!

Manuela                         Offenbar.

Pedro Unverschämter Namensmißbrauch!

Manuela Und so fort. 173

Pedro (außer sich)       Zum Rasendwerden!
Weil dir irgendwer im Schmuck
Fremder Federn, mit gestohlnem
Titel, ausgeborgtem Licht
Irgendwas zusammenprahlte,
Gingst du diesem Affen, diesem
Popanz in die Falle – du,
Meine Frau?!

Manuela             Dein Schmähn vermag
Ihn so wenig zu verkleinern,
Wie's dich größer macht.

Pedro                                   Du Närrin,
Zum Korsaren braucht man mehr
Als ein Maulwerk.

Manuela                     Alles braucht man,
Was ihm eignet und dir fehlt.

Pedro (schäumend)
Mir das! Mir, den's nur ein Wort,
Kosten würd', ein einzig Wort,
Zu beweisen . . .

Manuela                   Daß er tot ist.

Pedro (würgend)
Daß er . . . daß ich . . . Oh! – Vor dir
Ihn entlarven werd' ich! Laß 174
Mich den Lumpenkerl, den Gauner
Nur erwischen . . . (Nachdenkend)
                            Aber wie
Konnt' er denn hinaus?

Manuela                           Du selber
Ebnetest ihm ja den Weg.

Pedro Ich?!

Manuela     Indem du den Alkalden
So geschickt beiseit' geschafft.

Pedro (schlägt sich vor die Stirn)
Sakrament! – (Wieder nachdenkend)
                      Unmöglich – nein!
Als die Wachen sich entfernt,
War doch ich auf Trepp' und Flur,
Und er mußte mir begegnen.

Manuela (lachend)
Falls er durch die Türe ging.

Pedro Wie denn anders?

Manuela (frohlockend)     Der vermag,
Was er will. Er ging durchs Fenster.

Pedro Unsinn! 175

Manuela         Übers Wäscheseil.

Pedro (stürzt zum Fenster, reißt es auf)
Ha!

Manuela Was ist?

Pedro                   Nun hab' ich ihn!

Manuela Schwerlich.

Pedro                       Drüben an des Nachbars
Zugeschloßnem Fensterladen,
Der ihm keinen Einlaß beut,
Unfreiwillig festgehalten,
Klammert, schwebend auf dem Seil,
Er sich hilflos an die Mauer!

Manuela (hinaussehend, erschreckt)
Ja, wahrhaftig!

Pedro (hinüberbrüllend)
                      Heda, Freund!
Auf dem Weg, den du genommen,
Augenblicklich kehr zurück;
Oder ich durchhau' den Strang,
Daß die Wäsche, drauf du stehst,
In dein Leichentuch sich wandelt!
        (Zu Manuela)
Schau, wie hurtig er gehorcht! 176

Manuela (mit funkelnden Augen)
Ei, das dürfte dich gereuen!
Spielend nimmt es der mit einem
Schock von deinesgleichen auf.

Zwölfter Auftritt

Vorige. Serafin (kehrt aus dieselbe Art wie vorhin durchs Fenster zurück)

Pedro Schuft, steh Rede!

Serafin (noch auf dem Seil, in großer Angst, mit zitternder Stimme)
                              Was befehlen
Euer Gnaden?

Pedro                   Du versuchtest . . .

Serafin (heruntersteigend)
Einen neuen Tanz versucht' ich
Auf dem Seil.

Pedro                   Dir anzumaßen
Wagtest du mit frecher Stirn
Einen Namen, der . . .

Serafin                               Ein Irrtum,
Euer Wohlgeboren. Ich
Nenne voll Bescheidenheit
Mich den Gaukler Serafin. 177

Pedro (hohnlachend, zu Manuela)
Merkst du wohl? Ein Gaukler!

Manuela (zu Serafin)                       Nein,
Estornudo! – Nicht mehr nötig,
Daß Ihr Euch vor ihm verstellt.
Denn – verzeiht – ich sagt' ihm alles.

Serafin (mit dummem Gesicht)
Alles?

Manuela   Aber wenn vor bittrem
Groll der Mund mir überlief –
Was auch immer draus erwächst,
Seid gewiß, mit Euch vereint
Werd' ich's tragen.

Pedro (auf ihn eindringend)
                            Bube, hast du
Mit erbärmlichem Geflunker
Meiner Frau den Kopf verdreht
Oder nicht?

Serafin (retiriert geschmeidig, das Schwert vor sich hinstreckend)
                  Ich bitte sehr . . .

Pedro (ihn verfolgend)
Wicht, verfluchter! Hätt' ich jetzt
Eine Waffe . . .

Manuela (zu Serafin) Zeigt es ihm,
Daß er einen Löwen angreift! 178

Pedro Memme, wart!

Serafin                       Ich bitte sehr . . .

(Er fuchtelt aus Todesangst mit seinem Schwert, Pedro sucht es ihm zu entreißen. Sie werden handgemein)

Manuela (zuschauend, klatscht vor Entzücken wie ein Kind in die Hände)
Zweikampf – und um meinetwillen!
Ich der Anlaß blut'gen Ringens;
Ich der Preis! Nur zu! Nur zu!

Pedro (hat Serafin das Schwert entwunden)
So! Nun sprich dein Vaterunser!

Serafin Bitte sehr . . .

Manuela                   Entsetzen!

Pedro (ausfallend)                       Da!

(Der Stoß trifft mit voller Wucht Serafins Brust. Aber das Schwert, aus billigem Blech hergestellt, dringt nicht in seinen Körper ein, sondern biegt sich krumm. Pedro wirft es verächtlich fort)

Schundzeug!

Manuela (zu Serafin) Durch ein Wunder bliebt Ihr
Unversehrt.

Serafin (da Pedro von neuem auf ihn eindringt)
                  Besänftigt Euch! 179

Pedro Einerlei; bei dir, Kujon,
Tut's ein Handgriff auch.
        (Er packt ihn an der Gurgel)

Serafin (sich verzweifelt wehrend) Laßt ab!

Manuela Drauf und dran!

Pedro (ihn drosselnd)         Erstick, du Hund! –
        (Plötzlich loslassend, greift er sich nach dem Herzen und taumelt)
Luft! – (Er sinkt auf einen Stuhl)

Serafin (sich den Hals reibend, erstaunt)
            Was hat er?

Manuela                       Kampfunfähig.

Pedro (luftschnappend)
Herzbeklemmung . . .

Manuela                           Frei die Tür!

Serafin Lass' ich mir nicht zweimal sagen.
        (Und schon ist er draußen)

Pedro Atemnot . . . 180

Manuela                 Ins Bett, mein Lieber!
Zur Erholung tu dasselbe,
Was du während unsrer ganzen
Ehe tatest: schlaf dich aus!
        (Sie nimmt rasch von der Kommode das Bündel)
Ich dagegen, jung und wach,
Zieh' mit ihm, das Herz voll Jubel,
Allen Wettern, allen Stürmen
Trottend in die offne Welt.

(Sie eilt hinaus und dreht von außen hörbar den Schlüssel herum)

Dreizehnter Auftritt

Pedro (allein)

Pedro (noch immer unfähig, sich zu rühren)
Puh – vermaledeite Schwäche! –
Du verdammtes Lotterleben,
Hast du mich so weit gebracht? –
Manuela, hör doch nur:
Ich – nicht er – ich selbst, ich selbst
Bin . . . (Verwundert) So still auf einmal? –
        (Er sieht sich allein)
                                                              Fort?! –
        (Er rafft sich gewaltsam auf)
Racker, büßen sollst du das!
        (Er gelangt zur Tür, sucht sie vergeblich zu öffnen)
Eingeschlossen!! – Höll' und Pest!
        (Er schleppt sich zu dem offen gebliebenen Fenster, schreit aus Leibeskräften)
Hilfe! Nachbarn! Mir zu Hilfe!
Frevel! Schandtat! Büberei! 181
Diebe! Mörder! – Nachbarn, Freunde,
Kommt herauf! Ich bin gefangen!
Eilt! Man stiehlt mir meine Frau!

Vierzehnter Auftritt

Pedro. (Die Tür wird von außen aufgeschlossen. Durch sie kommt eilig) Hurtado (mit einigen anderen) Nachbarn

Hurtado Was ist los? Weswegen brüllt Ihr
Wie ein Stier?

Pedro (halb wahnsinnig)
                      Was Ungeheures,
Schmähliches! Ein Galgenstrick
Hat mir meine Frau geraubt . . .

Hurtado Wohl der Ränder Estornudo?

Pedro (toll vor Wut)
Nein, der Räuber ist kein Räuber,
Nennt sich nur des Raubes wegen
Räuber ohne Fug!

Hurtado (zu den Nachbarn, auf seine Stirn deutend)
                            Bei dem
Rappelt's!

Pedro             Hinterdrein mit Schergen,
Bütteln, Häschern . . . Zum Alkalden! 182
Zum Corregidor! Gericht!
Staatsgewalt! – Er ist kein Räuber,
Ist ein Lügner! Ihr beweisen
Werd' ich's, kost' es, was es will!

(Er droht zusammenzubrechen. Die kopfschüttelnden Nachbarn stützen ihn) 183


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