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Zweites Kapitel.

Im Kiekhause.

Waldemar wählte auf dem Gange nach dem Kiekhause diesmal nicht den nächsten Weg; er fühlte das Bedürfnis, seinen Körper in tüchtige Bewegung zu setzen, und da er zugleich seinen Geist aufheitern und sein Auge an schönen Fernsichten laben, vor allen Dingen aber das hohe Meer sehen wollte, so beschloß er, längs des Klippenufers von Jasmund nach dem Süden zu wandern, auf jenem hochgelegenen Waldpfade, den noch heutzutage die Reisenden allen übrigen vorziehen, wenn sie zu ihrem Vergnügen die herrlichsten Punkte des Rügenschen Hochlandes besuchen.

So schlug er denn in der Richtung nach Nordosten den Landweg über Quoltitz, Nipmerow und Ranzow ein, wo der eigentliche Hochwald der Stubnitz beginnt und von wo man in einer kleinen halben Stunde nach Stubbenkammer, also auf den schönsten Punkt in ganz Rügen gelangt.

Es war, wie gesagt, ein prächtiger Wintertag; einige Grad Kälte machten die Luft frisch, doch nicht rauh, und da der Wind unbedeutend wehte und mehr aus Süden als aus Osten kam, so erschwerte er dem Wanderer das Gehen nicht, belebte vielmehr mit seinem stillen Lispeln, womit er, den Schnee von den Bäumen streifte, das anmutige stille Landschaftsbild, welches ihm an diesem Tage sein geliebtes Vaterland bot. Es war zehn Uhr morgens gewesen, als er den Hofraum von Spyker verlassen hatte, und so stand die Sonne, als er aus dem Walde der Besitzung auf das freie Feld hinaustrat, schon hoch über dem Meere und vergoldete See und Land mit ihren purpurnen Strahlen, die bei unbedecktem Himmel und durchsichtig klarer Luft in ihrer ganzen Pracht herniederfielen.

Menschen begegneten auf diesem Gange dem einsamen Wanderer nur wenige, die Tiere des Feldes und Waldes aber kamen häufig aus ihren Schlupfwinkeln hervor, um sich den Wohnungen jener zu nähern und in ihren Gärten Nahrung zu suchen, die unter dem hochliegenden Schnee im Freien nur sparsam zu finden war. Namentlich aber trieben sich große Waldvögel in dichten Scharen in der Luft umher, ihr Ächzen und Kollern begleitete ihn den ganzen Tag und oft, wenn er in düstere Gedanken versunken war, genügte ein solcher rauher Ton der Wirklichkeit, ihn immer wieder aus den Träumen über Vergangenheit und Zukunft zu wecken und auf die Erde und zur Gegenwart zurückzuführen.

In der Nähe von Quoltitz aber erwartete ihn ein lieblicherer und sein ganzes Gemüt stundenlang wahrhaft erhellender Gedanke. Als er mit ringsum schweifenden Blicken langsam über das wüste Totenfeld schritt, dessen zahllose Gräber, Steine und Hügel jetzt eine blendende Schneehülle ebnete, bemerkte er schon von weitem den sogenannten Totenkranz, in dem er in jener Nacht mit Hille Vangerow verweilt hatte, als sie ihn dahin bestellt, um ihn vor äußeren Gefährlichkeiten zu warnen, ihm die Kümmernis seiner Eltern zu Gemüte zu führen und schließlich den Rat zu geben, sich mit seinem Freunde auf Pulitz in Sicherheit zu bringen. So konnte er es sich denn nicht versagen, einige hundert Schritte durch den tiefen Schnee zu waten, um in den dunklen Kreis der Wachholdergebüsche zu treten, die jenen Kranz bilden, und auf demselben Steine einige Minuten Platz zu nehmen, den damals das schöne Mädchen von Sassnitz mit ihm geteilt hatte. Die Erinnerung an jene nächtliche Stunde riß ihn eine Zeitlang aus seinem traurigen Gedankengange und begleitete ihn bis über Stubbenkammer hinaus. O wie wunderbar lieblich erschien ihm da mit einem Male die Welt, selbst in dieser öden Gegend, auf der noch dazu der schaurige Winter lagerte, als er dachte, daß auch außer seiner Brust Freundschaft und Wohlwollen darin walte und daß es noch andere Menschen als Gylfe Torstenson gäbe, Menschen, die warm fühlten und edel handelten, nicht aus Egoismus und Selbstsucht, sondern aus ursprünglichem Wohlwollen und allgemeiner Menschenliebe. O wie labend war es für seine schmerzerfüllte Seele, daß dieser Gedanke ihm gerade auf diesem Wege gekommen war, wie fühlte er sich plötzlich gehoben aus seiner tiefen Niedergeschlagenheit, wie war ihm das Leben wieder wünschenswert erschienen, da es noch Wesen gab, die die Leere auszufüllen vermochten, die durch Magnus' frühen unerwarteten Tod darin entstanden war. Von jeher gewohnt, jemanden zu lieben, für jemand zu sorgen und sich vielleicht selbst dabei zu opfern, glaubte er schon, durch Magnus' Tod sei ihm jede Möglichkeit genommen, dasselbe Gefühl noch einmal zu empfinden und dieselben Wünsche noch einmal zu hegen. Und nun trat die schöne Gestalt Hille Vangerows plötzlich vor seine wankende Seele; wie aus der klaren Himmelsluft herangeweht, trat sie ihm in dem blauen Äther entgegen, der ihn rings umgab, und alles einzelne, was er früher an ihr bewundert, ohne es sich selbst gestanden oder in. seine wesentlichen Bestandteile zerlegt zu haben, leuchtete ihm. von einem durchsichtigen Lichte vergoldet, gewissermaßen wie eine neue Erdensonne herunter. Da war es nicht allein ihre herrliche Gestalt, die sich in seinem Geiste noch einmal vertraulich und unschuldsvoll an seiner Seite niederließ, er fühlte fast mit noch süßerem Schauer den Druck ihrer Hand wieder und ihr klares blaues Auge schaute mit dem ihr eigentümlichen Seelenblick tief in seine eigens Seele hinein.

»Hille!« sagte er leise und fühlte sein Herz dabei in lauteren Pulsen schlagen, »da bist du, o ja, ich sehe dich, wie ich dich immer gesehen, nur noch schöner und stattlicher fast erscheinst du mir in der Einbildung als im wirklichen Leben. Glaubst du, ich habe dich vergessen in der Trübsal und Pein, die mein Herz in den letzten Tagen zerrissen hat? Ach nein, ich habe sogar oft an dich gedacht, aber immer nur im Fluge, wenn mir die eine oder andere von deinen schönen Eigenschaften vor die Seele trat. Auch bin ich dir zu tausendfachem Danke verpflichtet, denn du hast mir oft Hilfe geleistet und Rat erteilt, wo kein anderer Mensch in meiner Nähe war, der mich hätte damit beglücken und aufrichten können. Aber wie soll ich dir diesen Dank abtragen? Ach, auf gewöhnliche Weise geht das nicht, denn du bist mir unterdes weit entrückt, oder ich bin weit von dir zurückgetreten. Damals war ich noch der Bruder Magnus Brahes, sein Vater war mein Vater und für meine Zukunft war gesorgt. Jetzt aber bin ich arm und verlassen, habe nichts, was ich noch mein eigen nenne, als diese Hände, und kenne den Hafen noch nicht, in welchen ich, wie ich Adam Sturleson sagte, einst mein Schiff einführen und ruhen wollte von der Last der Erdenschmerzen. Du aber, du bist seit der Zeit aus einer armen Waise, die damals für mich paßte, die Erbin von Bakewitz geworden, du hast Land und Gut und ragst an Vermögen und Besitz weit über meine Kräfte hinaus. Das ist übel, das ist demütigend, für mich wenigstens, denn ich bin nicht der Mann, der mit leeren Händen zu einem Weibe tritt und sagt: Gib mir, was dein ist, ich will mich Dir selber geben. Ach nein, ach nein, das brächte ich nicht zustande und darum – darum liegt wieder eine große Kluft zwischen dir und mir und ich muß erst von neuem ringen und wagen, ob ich nicht etwas erschaffe und erraffe, was diese Kluft ausfüllt und meinen Mut so hoch erhebt, daß ich ohne Erröten zu dir ausblicken kann, wie man zu dem aufblickt, was dem Menschen erhaben, schön und wünschenswert erscheint! – Also vorwärts, vorwärts, Waldemar, auch dieser süße Kelch hat für dich einen bitteren Bodensatz, und du mußt weiter denken und wandern, um das Ziel deines Lebens zu erreichen, welches jetzt noch weit von dir entfernt ist.«

Er stand auf und bewegte sich träumerisch auf dem eingeschlagenen Wege fort; wie sehr auch die klare Einsicht in seine gegenwärtige hilflose Lage dazu angetan war, ihn in einige Unruhe zu versetzen, der einmal geweckte Gedanke an Hille hatte ihn dennoch erhoben und getröstet, denn er hatte ihm das Gegengewicht verliehen, das seinem Herzenskummer die Wage hielt. So schritt er, ohne weiter zu rasten, den etwa eine Meile betragenden Weg über Nipmerow nach Ranzow fort und erst hier, wo er gegen Mittag eintraf; hielt er sich eine halbe Stunde im Kruge auf, um ein einfaches Mahl zu genießen. Als er aber nun wieder aufbrach und schon von weitem die schneeweißen Wälder der Stubnitz vor sich liegen sah, schlug ihm das Herz höher und höher vor patriotischer Wonne, denn er betrat den hehren Waldtempel, der jedes wackeren Rügianers Blut lebhafter kreisen läßt, wenn er seinen naturkräftigen Duft einatmet.

»Ha,« sagte Waldemar wieder zu sich, »da ist unser Wald, da sind unsere Berge, Felsen und Klippen, und dahinter taucht unser Strand hervor, den die Wogen unseres Meeres bespülen! O wie sieht das alles ganz anders aus, als damals, wo man nur mit Zagen jeden Schritt vorwärts tun mußte! Kein Feind lauert mehr hinter jedem Baume, aus keinem Gebüsch streckt sich jetzt das blinkende Bajonett hervor, um die todbringende Kugel zu versenden, die der Mensch in seinem Wahn für seine Mitmenschen erdacht und geformt hat. O wie friedlich, wie still ragen die alten Bäume gegen den zufrieden lächelnden Himmel empor, wie säuselt der Wind so traulich durch die schneebelasteten Gebüsche und flüstert mir Hoffnung, Mut und Freude entgegen! O – aber wird es schon immer so bleiben? Ist das Ungewitter, welches mein Vaterland zu zerstören gedroht, schon ganz vorübergezogen? Sind keine Wolken mehr an jenem Himmel, die neuen Sturm und Wogendrang verkünden? Gott gebe es, daß keine da. sind, aber ich glaube es kaum, denn noch ist der Titane nicht bezwungen, der seinen stählernen Arm über die schlummernde Menschheit streckt, um auch das letzte noch an sich zu reißen, so lange nicht sein ist, was er in seinem Dünkel für sich allein erschaffen wähnt. Es ist jetzt bloß eine Pause in dem Kriegsgetümmel eingetreten, die Trompeten schweigen und die Trommeln ruhen, aber wie lange wird es dauern, bis die Furie wieder entfesselt ist und toll und wütend daherrast über Länder und Meere, um ihren letzten Reigen zu tanzen, der die Welt in seinem Strudel mit fortreißt und eine ganze Generation vernichtet, um die Ruhmsucht eines einzelnen zu nähren und seinen Blutdurst zu sättigen! O Herr des Himmels, sende uns bald deinen Friedensboten, wir bedürfen seiner sehr, denn alle Völker sind ermattet und möchten sich ruhen von der jahrelangen Hast und Qual, die du in deiner Weisheit über sie verhängt hast, vielleicht weil sie ihnen nötig war, um sie zu belehren, daß der Mensch nicht träge und schlaff nur dem Leibe leben und dabei den Geist vergessen soll, der in seinem ewigen Fortschritt allein die Welt regiert und erhält und ohne dessen Erkenntnis weder ein Fürst noch ein Volk seiner Pflicht genügen kann.«

Mit diesen Gedanken schritt er durch die Waldung fort, und bald hatte er die Mündung der Kluft erreicht, zu der er vor sieben Monaten in der Nacht heraufgeklettert war, um sich vor den Feinden zu retten, die schon von Deutschland aus auf seiner Ferse waren und ihn auch am Strande der Heimat erwarteten. Er trat hinaus unter die hochwipflige Buche auf dem Königsstuhl, die einzige, welche die schänderische Hand der Feinde daselbst verschont, und schaute hinaus über das weite Meer, das mit seiner blauen Spiegelfläche sich heute leise an das stille Ufer schmiegte, da kein Wind es dagegen aufbäumte. Ach, es war leer von Schiffen, denn um diese Zeit, wo das Eis in schweren Massen einhertrieb und die Häfen verschloß, waren die kühnen Menschen noch nicht gekommen, die sich so gern auf seinen klaren Wogen tummeln: noch hüteten sie den heimatlichen Herd, der in kalter Winterszeit am wohltuendsten und einladendsten ist.

Aber wie groß und hehr war dennoch der Anblick, den man von dieser Höhe aus genoß! In unabsehbarer Ferne mischte sich das Wasser mit dem Ätherblau des Himmels und verschloß durch die scheinbar undurchdringliche Nebelmauer den Horizont der Erde, wie die verschleierte Zukunft den Horizont der Gegenwart verschließt. Ruhig brandete die spielende Woge an dem mit Eis belegten Gestade, nur bisweilen atmete eine oder die andere höher auf und fuhr prasselnd über die kleinen Steine hin, die den Strand bedecken, als wollte sie wenigstens ein schwaches Zeichen ihrer schlummernden Kraft von sich geben und damit warnen, daß man sie nicht für immer entschlafen wähne.

Schön, unendlich schön war das Meer auch in dieser starren und leblosen Winterszeit, schön wie das Bewußtsein eines reinen Gewissens in der spiegelglatten Brust des strebenden Menschen, und mit neuem Mute erfüllt trat Waldemar endlich wieder zurück, um seinen Weg weiter fortzusetzen.

Aber da begegneten ihm auf jedem Schritte die traurigen Spuren der verwüstenden Hand der jetzt fernen Franzosen. Gelichtet war überall der stolze Forst, umgestürzt lagen die herrlichsten Bäume, und hier und da ragte eine zerfallene Bretterwand hervor, die sie als Wachthütte auf der von den Engländern gefährdeten Küste, wie sie meinten, aufgebaut hatten. Wehmütig über die sichtbare Zerstörung schritt Waldemar auf dem Klippenwege weiter den Hochstrand hinab und ließ einen Felsen nach dem andern zurück, die alle heimatliche Grüße zu spenden schienen, als wollten sie ihm sagen, daß auch sie wieder frei von dem Feinde seien, der überall die Länder verwüstet und ihn anklagende Trümmer seines zerstörenden Erdenganges hinter sich gelassen hatte.

So durchschritt er die ganze Stubnitz an ihrem östlichsten Rande, einen Hunk nach dem andern, ließ er hinter sich, eine Lithe nach der andern überklomm er, und überall lachte sein Auge, und sein Herz in stummem Entzücken auf, wenn er dachte, wie schön es sein müsse, wenn erst der Sommer wieder ins Land käme, statt des Schnees die Bäume grüne Blätter auf den Zweigen trügen und statt des starren Eises das rieselnde Wasser in den moosbedeckten Schluchten und Lithen voller Leben sprudelte. Endlich hatte er den Lenscherbach überschritten und näherte sich nun, die ihn von seiner Heimat trennenden Berge schnell überwindend, dem Uscaner Ort, womit der erste der fünf Hunke beginnt, die wir schon früher einmal beschrieben haben. Von hier aus konnte er bis nach dem Kiekhause hinabblicken, und als er dessen zwischen den Bäumen hervorspringenden Giebel wahrnahm, über dem der Rauch aus dem Schornstein in die klare Winterluft emporwirbelte, da faßte ihn eine neue wehmütige Rührung, und er blieb eine Weile stehen, um sein Auge daran zu laben, und sein noch immer kindliches Herz die Wollust empfinden zu lassen, die es ergriff, als er nach langer Abwesenheit in trübe verlebten Zeiten die Stätte seiner Heimat wieder vor sich liegen sah.

»Das ist das Kiekhaus,« sagte er und blickte mit weit geöffneten Augen hinüber, »da liegt die schneebedeckte Warte zwischen den alten Bäumen, da ist das alte Storchnest, auch mit einem Schneeturme versehen, und da, da steigt der Rauch von dem Feuer des Nachmittagskaffees, auf, den die gute Mutter dem Alten bereitet, der noch auf seinem Sorgenstuhle, unter seinen Pfeifen, seinem Fernglas und Sprachrohr sitzt und das unvermeidliche Mittagsschläfchen hält. O, wie lieblich und friedlich ist das alles! Ja, dort werde ich wieder ganz gesunden, ich fühle es schon jetzt, drauf los also und mache ihnen und dir die Freude, sie an das dankbare Herz zu drücken.«

Mit eilenden Schritten, aber möglichst hinter den Bäumen hinschlüpfend, damit man ihn so leicht nicht wahrnehmen könne, näherte er sich dem freundlichen Landhause, öffnete behutsam die unverschlossene Stackettür und trat in den Garten ein, dessen fruchtbarer Boden unter der schützenden Schneedecke ruhte. Von da war er bald in das Haus gesprungen, und zuerst in die Küche eilend, traf er Mutter Ilske, die eben die alte Trude antrieb, sich mit dem Kaffees zu beeilen, da der Strandvogt sogleich erwachen und nach seinem Labsal verlangen werde.

Als Mutter Ilske aber die hohe Gestalt ihres Sohnes unter der Küchentür erscheinen sah, stieß sie einen lauten Freudenschrei aus, der aus Trudens Munde sein Echo fand und damit den Strandvogt aus dem Schlummer aufscheuchte, der nun selbst aus der Wohnstube trat, um zu sehen, was sich ereignet habe. Da war denn die Freude groß, als er sah, was es gab, und die Begrüßungen von allen Seiten wollten kein Ende nehmen, bis Trude das Kaffeegeschirr hereinbrachte und damit den Umarmungen und liebevollem Händeschütteln eine Grenze setzte.

Da saßen sie denn alle drei wieder beisammen in dem traulichen Wohnzimmer des Strandvogts, das kein Fremdling mehr mit rohen Flüchen und zweideutigen Scherzen entweihte. Es war von neuem weiß getüncht und hatte auch eine breitere Efeuborte unter der Decke erhalten, seitdem die Franzosen das Haus verlassen, denn der alte Vogt konnte sich nicht entschließen, in einem Zimmer zu wohnen, das ihn noch mit widerwärtigen Spuren an Gäste erinnerte, die ihm zur Strafe ins Haus gelegt worden waren. Die Möbel aber standen alle wieder auf dem alten Flecke, nur noch ein bequemer Stuhl, der früher nicht darin gestanden, nahm seinen Platz dem Stuhle der Mutter gegenüber am Fenster ein, war aber jetzt unbesetzt, denn die freundliche Eigentümerin desselben, Hille Vangerow, weilte diesen Augenblick nicht mehr im Kiekhause, da sie vor wenigen Tagen erst nach Bakewitz gefahren war, um eine Zeitlang auf ihrem eigenen Grund und Boden zu leben und das Treiben zu beobachten, das der neue Pächter begann, seitdem auch aus seiner Nähe die bösen Feinde geschieden waren.

Trotzdem der Strandvogt eine außerordentliche Freude empfand, seinen Sohn allen Gefahren entronnen zu wissen und ihn wieder im Hause zu haben, so konnte er es doch nicht länger als etwa eine Stunde darin aushalten, denn es drängte ihn, nach Sassnitz hinabzusteigen und allen Freunden und Bekannten die Nachricht mitzuteilen, daß sein Waldemar gesund an Geist und Leib wieder bei ihm eingetroffen sei und nun eine Zeitlang das Kiekhaus mit ihm teilen werde. Nachdem er daher noch eine Viertelstunde mit Waldemar über den unerwarteten Hintritt des jungen Grafen Brahe gesprochen und sein tiefes Beileid geäußert, stopfte er seine Pfeife, drückte dem Sohne die Hand, küßte wie gewöhnlich Mutter Ilske auf die Stirn und eilte schmunzelnd nach Sassnitz hinab, um jung und alt das neueste Ereignis selbst zu verkünden.

Als er aber das Haus verlassen hatte, setzte sich Mutter Ilske an das Fenster und nötigte ihren Sohn, den Stuhl einzunehmen, den wir vorher als den neu hinzugekommenen bezeichnet haben. »So,« sagte sie, »nun ist der unruhige Alte fort und jetzt, mein Sohn, können wir ein vernünftiges Wort miteinander sprechen. Sage mir« –

»Erlaube, liebe Mutter,« unterbrach sie der glückliche Waldemar und legte seine Hand sanft auf die ihrige, »zwei Fragen möchte ich beantwortet haben, ehe ich dir auf die deinigen über mein Hierbleiben und meine ferneren Entschließungen Auskunft gebe – wann und durch wen habt Ihr zuerst den Tod Magnus Brahes erfahren??«

»Es war noch am Tage seines Todes selbst,« berichtete Mutter Ilske, »als Doktor Piper aus Sagard, den Ihr hattet nach Spyker rufen lassen, spät bei uns vorsprach. Er kam so eilig geritten, daß wir gleich die Vermutung von einem ernsten Ereignis hatten, und Hille erschrak so sehr« –

»Wie? War Hille denn an dem Tage noch hier?«

»Jawohl, mein Sohn. Erst vorgestern ist sie abgereist.«

»Aber warum das?« fragte Waldemar, nicht ohne einige Verlegenheit zu verraten.

Die Mutter lächelte, wie eine Mutter nur hoffnungsvoll lächeln kann, wenn sie ihren einzigen Sohn lebhaft nach einem Mädchen fragen hört, das ihr selbst ins Herz gewachsen ist. »Warum?« fragte sie. »Ei, das solltest du sie einmal selbst fragen, denn ich weiß es so genau nicht. Aber ich denke mir, sie wollte einmal zusehen, wie es in Bakewitz steht, und da dein Vater vorgestern sagte: nun, da der Graf Brahe tot sei, werdest du wohl einmal aus längere Zeit nach Hause kommen, da sprach sie schon am Abend den Entschluß aus, abzureisen, und führte ihn auch am nächsten Morgen aus, denn das Mädchen tut, was es will und einmal für das beste erkannt hat.«

»So, so!« sagte Waldemar nachdenklich und schaute etwas unbefriedigt zum Fenster hinaus.

»Hofstest du sie noch hier zu treffen?« fragte die Mutter, mit neugieriger Teilnahme ihr immer noch lebhaftes Auge auf den geliebten Sohn richtend.

»Ja, Mutter, ja; warum soll ich dir das verschweigen? Ich freute mich sogar darauf, sie hier zu treffen, um endlich einmal den Dank von meinem Herzen zu lösen, den ich ihr so tausendfach schuldig bin.«

»O, Dank sind wir ihr alle schuldig, mein Sohn, denn sie hat sich in der schweren Zeit nicht allein wie eine wirkliche Tochter, sondern als hilfreicher Engel gegen uns erwiesen. Aber mit dem Danke wird sie es nicht so eilig haben, und willst du sie durchaus sprechen, ehe sie wieder nach dem Kiekhause kommt, so kannst du ja leicht nach Mönchgut gehen und ihr einen Besuch abstatten.«

Waldemar erwiderte nichts auf diesen mütterlichen Vorschlag und hämmerte zerstreut mit den Fingern auf die Fensterbank. Endlich jedoch sagte er, zwar laut, aber doch wie in Gedanken zu sich selbst sprechend: »Nach Bakewitz? Nein, das kann ich nicht.«

»Warum nicht?« fragte die Mutter mit ernstem Gesichtsausdruck.

»Das will ich dir ein andermal sagen, Mutter, – doch du kannst es auch gleich hören, wenn du willst. Wenn Magnus am Leben geblieben wäre und auch der alte Lachmann noch lebte und Hille auf Bakewitz wohnte, dann wäre ich, wie auch schon damals, gleich morgen nach Mönchgut gegangen und hätte ihr einen guten Tag geboten. Nun aber ist Magnus tot, ich bin nur noch der Sohn des armen Strandvogts Granzow und Hille –«

»Nun, Hille, was denn, Waldemar?«

»Hille hat unterdes eine große Erbschaft gemacht und ist ein – ein reiches Mädchen geworden.«

Die aufmerksame und verständige Mutter, die die Festigkeit des Charakters und das uneigennützige Herz ihres Sohnes kannte, stieß einen langgezogenen Seufzer aus. Sie wußte, was Waldemar von einem Besuche bei Hille abhielt und ebenso, daß er keinen Schritt tun würde, der bei jener den Gedanken erregen könnte, er käme aus einem anderen Grunde, als um sie einmal wiederzusehen und ihr seinen schuldigen Dank zu sagen. So hoffte sie denn, daß Hille aus alter Freundschaft von selbst nach Sassnitz kommen werde, und dann, meinte sie, würde sich die Sache schon finden. Unter dieser Sache aber verstand sie in ihrem mütterlichen Sinne nichts anderes, als eine nähere Verbindung zwischen den beiden jungen Leuten, die sie für einander geschaffen hielt, und von der sie sich so viel Glück und Segen versprach, wie sie selbst in ihrer Ehe mit den braven Strandvogt gefunden hatte.

Ach ja, wir finden diesen Gedanken bei der alten Matrone sehr natürlich, aber daß er sich so schnell verwirklichen werde, wie sie selbst hoffte, glauben wir nicht, denn Waldemar war kein gewöhnlicher junger Mann, der sich schnell zu einem solchen Schritte entschloß, und die Zeit, in der er lebte, schien ihm nicht geeignet zu sein, den Gefühlen des Herzens freien Lauf zu lassen und das Geschick eines so schönen und edlen Mädchens mit dem seinigen zu verbinden, da er selbst nicht wissen konnte, welche Schwierigkeiten ihm die Vorsehung in den Weg legen würde, und bevor diese nicht alle und für immer, nach Menschengedanken, aus dem Wege geräumt wären, war Waldemar nicht in der Stimmung, einen Schritt zu tun, der für ein Weib wie für einen Mann von gleich großer Bedeutung ist.

 

Nachdem Waldemar am nächsten Morgen einen kurzen Besuch in Sassnitz abgestattet hatte, um seine alten Freunde vorläufig zu begrüßen und ihnen für die folgenden Tage längere Besuche zu verheißen, schrieb er fleißig an dem Bericht für den alten Grafen Brahe, in dem er alle mit Magnus seit ihrer letzten Trennung erlebten Vorfälle auseinandersetzte und mit Schonung der dabei Beteiligten, zuletzt des unerwartet frühen Endes gedachte, welches der Erbe von Spyker in seiner Heimat gefunden hatte. Als er diesen langen Bericht zu Papier gebracht und dabei seinerseits alles getan zu haben glaubte, um den alten Vater zu trösten, siegelte er seinen Brief mit Magnus' Paket zusammen und legte das Ganze an einen sicheren Ort, um es jeden Augenblick zur Hand zu haben, sobald eine gute Gelegenheit sich bieten würde, es nach Stockholm zu befördern. Aber er mußte etwas lange auf diese Gelegenheit warten, denn die Schiffahrt nach Schweden war durch den harten und anhaltenden Winter unterbrochen und erst im April wurden die regelmäßigen Postfahrten von der Buge aus, wie vor Jahren, wiederhergestellt. Allein auch da sollte das Paket noch lange nicht in die Hände des Grafen Brahe gelangen; derselbe befand sich zur Zeit auf wichtigen Reisen in Rußland und später in England, die mit der politischen Lage seines Vaterlandes in Beziehung standen, und als er endlich im Jahre 1814 nach Schweden zurückkehrte, fühlte er sich infolge einer längeren Krankheit und unter der Bürde seines großen Herzenkummers außerstande, sobald eine Antwort an Waldemar gelangen zu lassen, wie wir seinerzeit noch genauer erfahren werden.

Als nun aber Waldemar diese seine erste Pflicht erfüllt hatte, gab er sich den Beschäftigungen und Arbeiten seiner Nachbarn in Sassnitz hin und brachte den größten Teil des Tages in dem kleinen Dorfe zu, wo er den Lotsen und Fischern half, teils die Boote auszubessern, die sie vor den Franzosen verborgen gehalten, teils neue zu bauen, da viele derselben beim alltäglichen Gebrauch und in den Händen des Feindes zugrunde gegangen oder von ihnen ausgeführt worden waren. Diese Beschäftigung nahm nicht allein einen großen Teil seiner Zeit fort, sondern half ihm auch den Kummer beschwichtigen, der noch immer sein Herz erfüllte und zuweilen seinen Geist in bittere Gedanken versenkte, die er allen Bekannten, namentlich aber den Eltern zu verbergen trachtete. Nur die Mutter vermochte sein erkünstelter Gleichmut nicht zu täuschen, sie schaute tiefer als alle anderen in sein Herz und glaubte auch die Quelle zu kennen, die ihm diesen Kummer verursachte, denn daß er nicht allein um den verstorbenen Freund trauerte, dem er ein so treues Andenken bewahrte, daß auch nicht allein die zweifelhafte Lage seines Vaterlandes und die abermals in Anspruch genommen Leistungsfähigkeit der Rügianer, wovon wir sehr bald zu sprechen haben werden, seine stillen Seufzer veranlaßte, das glaubte die gute Frau sehr bald erkundet zu haben, obgleich sie niemals ein Wort zu unrechter Zeit darüber fallen ließ.

Als aber das Ende des März heranrückte, der unternommene Bau der Boote im besten Gange war und Waldemar, nachdem er weite und einsame Spaziergänge am Strande oder in dem aus dem Winterschlafe erwachenden Walde unternommen, stets später und später nach Hause kam und auch da noch nichts geschehen war, was mit ihren eigenen Wünschen und Erwartungen übereinstimmte, da glaubte sie die Zeit gekommen, um mit ihrem Sohne ein ernstliches Wort zu reden; nur hinderte sie noch immer der Strandvogt daran, der sie zur Geduld mahnte und sich allein von einer zufälligen Begegnung mit Hille den besten Erfolg versprach.

Eines Abends aber, als Waldemar ungewöhnlich spät nach Hause kam und mit schweigsamem Ernst sein Abendbrot verzehrte, ohne in das ihn beobachtende Auge der liebevollen Mutter zu blicken, führte das Gespräch sie zur Sache selbst und diesmal war es gerade der Strandvogt, der sie veranlaßte, einen Schritt vorwärts zu tun, den sie schon lange heimlich beabsichtigt hatte.

Doch bevor wir diesen Schritt und seine Veranlassung mitteilen, müssen wir erwähnen, daß Hille noch immer nichts von sich hatte hören lassen. Von Woche zu Woche, zuletzt von Tage zu Tage, hatte man ihre Rückkehr nach Sassnitz erwartet, aber sie war weder gekommen, noch hatte sie Botschaft gesendet, die ihre Freunde über ihr Ausbleiben beruhigt hätte. Endlich nahmen die beiden Alten an, daß irgend eine Absicht hinter diesem Schweigen stecke, und nun hüteten sie sich erst recht, in Waldemars Gegenwart davon zu reden, was diesem gewiß sehr peinlich gewesen wäre, da er für seine Person nur zu geneigt war, anzunehmen, daß allein seine Anwesenheit im Kiekhause das gute Mädchen verscheuche, da sie sonst nie so lange davon entfernt geblieben war, selbst nicht zur Zeit der Krankheit des alten Lachmann.

Als Waldemar an dem erwähnten Abend später denn je nach Hause kam, fand er seine Mutter vor dem gedeckten Tische sitzend und ihn mit einiger Ungeduld erwartend. Der Strandvogt hatte schon gespeist und saß, etwas mürrisch seine Pfeife rauchend, auf dem Sorgenstuhle hinter dem Ofen, denn das unheimliche und unklare Wesen im Hause behagte dem guten Manne nicht, der gewohnt war, selbst in trüben Zeiten, alles, was ihn bekümmerte, klar vor sich zu sehen und den seit einigen Tagen eine gewisse Unruhe gepackt hatte, als ob die Befürchtung Mutter Ilskes wahr sein könne und Hille aus einem anderen Grunde als aus reinen Geschäftsrücksichten abgehalten werde, sich ihrer Pflegeeltern in Sassnitz zu erinnern.

Waldemar trat in das Zimmer seiner Eltern und begrüßte sie freundlich, aber mit jenem schweigsamen Wesen, das ihm jetzt zur zweiten Natur geworden war. Mutter Ilske holte sogleich das Essen herbei und setzte es auf den Tisch, in der Erwartung, ihr Liebling werde eifrig zulangen, da er nach langer Arbeit wohl Appetit haben müsse.

Allein Waldemar zeigte sich sehr wenig geneigt, den Erwartungen der Mutter zu entsprechen, und nachdem er nur einige Bissen genossen, legte er Messer und Gabel nieder und setzte sich schweigsam auf Hilles Stuhl, den seine Mutter schon eine Weile vorher an den Tisch gerückt hatte.

Der Alte tat einige gewaltige Züge aus der holländischen Pfeife und räusperte sich auf eine ungewöhnlich laute Weise, was Mutter Ilske die Vorboten zu einem heftigen Ausfall zu sein schienen. Daher und um jeden Wortwechsel zu vermeiden, warf sie ihrem Manne einen beschwichtigenden Blick zu, der aber diesmal nicht die erwünschte Wirkung, vielmehr einen brummenden Ton zur Folge hatte, der mit einem gefahrdrohenden Blick vergesellschaftet war.

»Es ist doch eine seltsame Zeit jetzt,« begann er endlich mit einer gewissen Vorsicht zu reden.

»Wieso Vater?« fragte Mutter Ilske.

»He, wieso? Welche Frage! Siehst du es denn nicht? Alles ist aus den Kopf gestellt, seitdem die verdammten Franzosen hier gewirtschaftet haben, und anstatt in ruhiger Weise leben zu können, wie man hoffte, nachdem sie das Land verlassen, hat man alle Tage neuen Ärger.«

Waldemar hob verwundert den Kopf in die Höhe und sah den verstimmten Vater fragend an. »Was gibt es denn,« fragte er nach einer Weile, »ist etwas neues vorgefallen?«

»Ach nein,« fuhr der Alte noch grimmig fort, »immer nur das alte. Sag' mir mal, Junge, welcher Wind bläst denn eigentlich jetzt in dein Segel, denn, du mußt es mir nicht übel nehmen, ich sehe an dir keine einzige Bewegung, die mir kund täte, wohin du steuerst?«

Jetzt erst bemerkte der Angeredete, daß der Ausfall auf ihn gemünzt sei, und er zeigte sich sofort geneigt, den guten Vater aus seiner Unruhe zu reißen. »Kann ich dir irgend womit dienen, mein Vater,« sagte er, »so sag' es und du sollst mich zu allem bereit finden.«

»Das wird am besten die Zukunft lehren, wenn ich deinen guten Willen die Probe bestehen sehe, denke ich mir. Sage mir zuerst, wo du deinen gesunden Appetit gelassen hast, das übrige wird sich schon finden. Denn wenn ein kräftiger Mensch von deinen Jahren, der sich bei Tage müde und matt gearbeitet hat, abends nicht ißt und trinkt und immer wie eine stumme Pagode dasitzt, so ist es entweder im Oberstübchen oder in der Herzkammer nicht richtig, und ich möchte es gern wissen, wo es bei dir sitzt.«

Waldemar errötete lebhaft bei dieser unverhüllten Anspielung und sah bald den Vater und bald die Mutter an, die ihm einen Wink nach dem andern zuwarf, von denen er aber beim besten Willen keinen einzigen zu enträtseln imstande war. Endlich wandte er sich zum Vater und sagte mit der ihm eigentümlichen Milde:

»Mein Vater, du irrst, wenn du denkst, daß ich müde und matt bin. Im Gegenteil, ich könnte gleich jetzt wieder dasselbe arbeiten, was ich den ganzen Tag gearbeitet habe, und du würdest keinen Nachlaß in meinem Fleiße verspüren. Daß ich schon seit einigen Tagen keinen Appetit habe, ist wahr, aber ich weiß nicht, woher es kommt, und dafür werde ich ein andermal umsomehr essen, hoffe ich.«

»Bist du bis jetzt bei Piesing gewesen?« fragte in sanfterem Tone der Alte, dessen Mut die ruhige Entgegnung des Sohnes bedeutend herabgestimmt hatte.

»Nein, mein Vater, ich habe nur bis fünf Uhr bei ihm gesessen und ihm seine neue Takelage in Ordnung bringen helfen.«

»So, und wo bist du seit fünf Uhr gewesen, da du erst nach acht ins Haus getreten bist?«

Waldemar mußte bei diesem Examen unwillkürlich lächeln. Es erinnerte ihn lebhaft an seine Knabenzeit, wo er auch oft über die gebotene Stunde ausgeblieben war und dann jedesmal einen ähnlichen Verweis erhalten hatte. »Ich war im Walde bei Werder, Vater,« sagte er dann, »und habe mich an dem Erwachen der Natur erfreut, die allmählich aus ihrem Schlummer hervortritt. Auch hoffe ich, daß wir bald Schiffe hier sehen werden, und dann wird wieder das alte Leben im Kiekhause herrschen, denn du bist doch wohl nur unzufrieden, weil du keine Schiffe beobachten kannst.«

»Oha! Davon sprechen wir nicht, Junge; ich bin nicht gewohnt, daß man mir ausweicht, wenn ich entern will. Aber ich meine, wenn du drei Stunden lang im Walde bei Werder umherschweifst, um das Erwachen der Natur zu belauschen, so könntest du ebensogut einmal deine Schritte wo andershin lenken, als gerade dahin.«

»Vater!« rief die gute Mutter, die ihren Liebling nicht gern in Verlegenheit setzen sah, und daß er bereits darin war, bezeugte sein ehrliches Gesicht, das sich mit glühender Röte bedeckt hatte.

»Wohin soll ich gehen, Vater? Hast du einen Auftrag für mich?«

»Ich dächte doch, du hättest mir das schon lange angemerkt. Siehst du nicht, daß mir etwas hier im Hause fehlt? Etwas, woran ich seit Jahren gewöhnt bin?«

»Was wäre das, mein Vater?«

»Aha! Ich merke es, du willst meine Flagge vom Hauptmast flattern sehen. Wohlan denn, so will ich sie dir zeigen: mir fehlt hier ein freundliches Gesicht, das ist das ganze.«

»Granzow!« rief die vorsorgliche Mutter und winkte beschwichtigend mit der Hand.

Waldemars Röte verlor sich, denn er bezog das fehlende freundliche Gesicht auf sich selber, während doch der Vater ein ganz anderes meinte. Er wurde sogar etwas blaß, als er bescheiden sagte: »Es tut mir leid, Vater, daß dir mein Gesicht nicht gefällt. Aber verzeihe mir, du weißt ja, ich habe Kummer, und so leicht vergißt man nicht, was man so lieb gehabt, wie ich Magnus Brahe hatte.«

»Aha! Das brauchst du mir nicht zu sagen, das weiß ich, allein und darin habe ich dir nicht den geringsten Vorwurf zu machen. Gott behüte mich! Ich meinte aber gar nicht dein Gesicht, Junge, sondern ein anderes, schöneres, noch frischer und offener als deines.«

Jetzt konnte Waldemar sich nicht länger beherrschen, oder sein schlagendes Herz vielmehr trieb ihn aus der bisher behaupteten Ruhe. Er stand rasch vom Stuhle auf und trat zum Fenster, um die Bewegung nicht blicken zu lassen, die sich auf seinem Gesicht notwendig aussprechen mußte, denn die Worte des Vaters hatten einen wunden Fleck in ihm berührt, der ihn auch schon lange, und mehr als man glaubte, schmerzte. Hinter seinem Rücken aber gab es ein heftiges Pantomimenspiel, das von Mutter Ilske ausging und den alten Strandvogt abhalten sollte, das Gespräch in der angebahnten Richtung weiter fortzusetzen, aber der Alte war zu eifrig und auf sein Ziel zu erpicht, um sich dadurch einen Zügel anlegen zu lassen.

»Was sollen die Grimassen,« rief er endlich lebhaft seiner Frau zu, »laß mich sprechen, wovon das Herz voll ist. Ich habe recht mit dem, was ich sage. So gut er drei Stunden im Walde herumläuft, kann er auch fünfe oder sechse laufen und einmal nach Mönchgut gehen, um zu sehen, was die Hille macht, die mir hier fehlt wie der Frühling, der das Eis auftaut und die Blätter grün macht. Zum Teufel, ich ertrage das Gegrinse nicht länger, denn ich bin überzeugt, wie der hier grinst, grinst die dort – und das ist ein unnützes Stück Arbeit, denn sie könnten beide fröhlich und glücklich sein.«

So offen hatte noch niemand das Verhältnis berührt, welches zwischen Waldemar und Hille bestand oder wenigstens in Zukunft bestehen konnte, aber der handgreifliche Ausfall war nicht auf den milden Charakter und das im stillen strebende Herz des Jünglings berechnet, daher verfehlte er ganz und gar seine Wirkung. Rasch wie im Fluge durchforschte er sein Herz und ging mit sich zu Rate und ebenso rasch hatte er einen Entschluß gefaßt, den er sogleich auszusprechen den Mut besaß. Er drehte sich bedächtig nach dem Vater herum, trat dicht an den Tisch, hinter dem dieser, furchtbare Rauchwolken ausstoßend, saß, und sagte mit weichem und warmem Tone:

»Was willst du von Hille wissen, mein Vater?«

»Na, das heiße ich vernünftig gesprochen, mein Junge. So liebe ich es. Was ich von ihr wissen will? Wie es ihr geht? Ob sie gesund ist? Was sie so eifrig in Bakewitz zu tun hat und warum sie nicht ins Kiekhaus kommt, wo sie von sechs offenen Armen empfangen wird?«

»Ich verstehe dich,« fuhr Waldemar mit gleicher Ruhe und Wärme, aber auch mit unbeugsamer Festigkeit und Bestimmtheit fort. »Ich möchte auch wissen, wie es ihr geht und warum sie nicht – zu Euch kommt. Aber ich, mein Vater, ich – kann nicht zu ihr gehen und werde nicht zu ihr gehen« –

»Und warum nicht? Soll sie dir etwa eine Kutsche schicken?«

»Nein, das nicht, Vater, aber es widerstrebt meinen Gefühlen, sie jetzt zu besuchen – bitte, quäle mich nicht – ich kann nicht nach Bakewitz gehen.« Und nach diesen mit innerer Anstrengung und in Absätzen gesprochenen Worten verließ er das Zimmer und ließ sich den ganzen Abend vor beiden Eltern nicht mehr blicken.

»Nun, das heiße ich klar gesprochen!« fuhr der Alte auf und warf seine Pfeife in die Ecke. »Es widerstrebt seinen Gefühlen, sagt er, hast du's gehört, Ilske? Bei Gott, jetzt verstehe ich's! Paß auf, Ilske, paß auf, was ich dir sage. Die haben sich gebissen, irgendwo, irgendwarum, oder ich heiße nicht Daniel Granzow und bin nicht Strandvogt im Sassnitzer Bezirk.«

»Nun, dann werde ich dir wohl einen andern Namen geben müssen und den Herrn Gouverneur bitten, daß er dir auch ein anderes Amt gibt, denn daß deine Vorstellungen von unserm Sohne falsch sind, grundfalsch wie die von Hille, ist mir so klar, wie das Bewußtsein, daß ich ein Weib bin. – Alter, höre mich an. Ich begreife Hille und ich begreife auch Waldemar. Sie kommt nicht, weil Waldemar hier ist, denn sie denkt, daß ein Mann ein Mädchen aufsuchen muß, wenn er ihm danken und seine Freude über ihre beiderseitige Wiedervereinigung an den Tag legen will, – und er denkt, er könne nicht zu ihr gehen, damit sie nicht glaube, er käme aus eigennützigen Absichten zu ihr, da sie jetzt das Gut Bakewitz geerbt hat. So ist es, und das allein hält sie auseinander.«

Der Strandvogt riß beide Augen so weit auf, als sie sich öffnen ließen, und sein Mund half seinen Augen brüderlich dabei. »Na, das muß ich sagen,« rief er mit komischem Pathos. »Das ist mir eine sehr feine Arbeit, die ich mit meinen groben Händen nicht mehr beschaffen kann. O, wie haben sich doch die Zeiten geändert! Und das alles verdanken wir den verfluchten Franzosen, denn vor ihnen hat noch niemand an solche Finessen gedacht. Ja, ja doch, Ilske, ich glaube es ja, mach' nur nicht gleich solch altkluges Gesicht. Begreifen kann ich's, so gut wie du. Aber wie kommen wir denn weiter darin? Ich will nun einmal die Hille hier haben, trotz dem Jungen und seinem feinen Gefühl, oder – oder ich setze meinen Kopf daran.«

»Ereifere dich nicht, Alter, das ist ja sehr einfach. Geh du doch morgen selber 'mal nach Bakewitz und sieh, wie die Sachen stehen, du bist ja so eine Ewigkeit nicht dagewesen.«

»Ich – nach Bakewitz? Warum nicht gar! Ich würde' ein schönes Gepolter hören lassen, denn ich fiele gewiß mit beiden Torflügeln in das Haus. Geh du doch selber, wenn du was Gescheites ausgerichtet haben willst – die Frauen verstehen es ja vortrefflich, solch feines Gemüse appetitlich zuzurichten.«

»Das werde ich auch, Alter, und nun ist es beschlossen. Morgen bei Tagesanbruch gehe ich nach Crampas und borge mir des Müllers Wagen. So soll es sein!«

»Nun, nun, nur nicht so eilig. Warum nicht gar um Mitternacht darum aufstehen! Fahren kannst du, meinetwegen, und auch einen Tag ausbleiben –«

»So – erlaubst du es? Ich danke dir, Alter, komm her und gib mir einen Kuß – so! Das war ein schwerer Abend, Mann, nicht wahr? Nun gottlob, jetzt ist er ja vorüber! –«

 

Mutter Ilske war in der Tat am nächsten Morgen schon sehr früh mit ihrer Toilette zustande gekommen und mit einem gewissen triumphierenden Blick hatte sie vom Strandvogt, mit herzlichem Händedruck von Waldemar Abschied genommen, der ihr noch zuletzt, nachdem er sie bis Crampas geleitet und bis der Wagen in Bereitschaft gesetzt war, wiederholt die freundlichsten Grüße an Hille austrug und die Versicherung für sie hinzufügte, er sei noch derselbe Waldemar, der er früher gewesen, und Hille solle sich durch seine Anwesenheit im Kiekhause von demselben nicht zurückschrecken lassen, sondern kommen, um den Eltern die Tage angenehm zu machen, wie früher; er selbst wollte sie nicht im geringsten stören, und sie solle ihn nur morgens, mittags und abends auf kurze Zeit sehen.

Die Mutter lächelte innerlich, als sie diese Worte hörte und darin eine ganz andere Bedeutung las, als sie nach Waldemars Meinung haben sollten. Sie verabschiedeten sich sodann von ihrem Sohne, versprach alles wortgetreu auszurichten und fuhr im schönsten Märzwetter auf dem kleinen Wagen des Müllers dem Süden zu.

Diesen und den nächsten Tag nun verlebten der Strandvogt und sein Sohn anscheinend in der größten Ruhe, obgleich beide die Spannung und Erwartung, die sie erfüllte, aus ihren Mienen nicht ganz verbannen konnten. Nur bei Tische und abends spät sprachen sie sich, in der übrigen Zeit ging jeder seiner gewohnten Beschäftigung nach. Als aber Mutter Ilske auch am zweiten Tage, ja selbst am dritten nicht wiederkam, wurden beide etwas besorgt, und Waldemar ging ihr sogar, obwohl vergebens, wiederholt bis Crampas entgegen, wo ihm der Kutscher, der sie gefahren, versicherte, sie sei ganz munter nach Bakewitz gekommen und mit großer Freude empfangen worden, für die Rückfahrt aber habe die Besitzerin des Gutes zu sorgen versprochen und gleich von vornherein nichts von einem nur zweitägigen Besuch hören wollen.

Nach dieser etwas spät eintreffenden Meldung war denn die längere Abwesenheit der guten Mutter Ilske erklärt und beide Männer schickten sich in das Unabänderliche, obgleich mit noch größerer Spannung den Dingen entgegensehend, die da kommen sollten. Denn wie der Vater hoffte, Hille werde zugleich mit seiner Frau in das Kiekhaus zurückkehren, so war der Sohn begierig zu erfahren, wie sie seine Botschaft aufgenommen und was sie darauf erwidert habe.

Endlichem Abend des vierten Tages kehrte Mutter Ilske und zwar allein zurück; aber nach ihrem seelenvergnügten Aussehen zu schließen, war sie im innersten Herzen befriedigt, und ebenso brachte sie die günstigsten Nachrichten mit heim. Allein, wenn die Männer geglaubt hatten, sie werde, noch auf der Schwelle stehend, gleich alles haarklein erzählen, was auf Bakewitz vorgefallen war und was Hille gesprochen, so irrten sie sich, denn Mutter Ilske war nie so schweigsam gewesen wie diesmal, und nie hatte sie ihren Mann so lange auf die Befriedigung seiner Neugierde inbetreff des Ausfalls ihrer Reise warten lassen.

Der Strandvogt, von etwas unruhigem Temperament, merkte sofort, daß eine gewisse Absicht diesem Schweigen zugrunde liege, und er zwang sich geraume Zeit zur musterhaften Geduld. Als sie nun aber sämtlich nach dem Abendbrot um den Tisch saßen, der Strandvogt unmäßig aus seiner Pfeife dampfte und Waldemar still forschend in das heitere Antlitz der Mutter blickte, glaubte ersterer, es sei nun endlich die passende Zeit gekommen, wo man seine übermäßig gezügelte Neugierde befriedigen müsse. »Na, Alte,« sagte er etwas dringlich, »nun lege endlich dein Gepäck ab und schütte das Wasser aus deinem Topfe, ich sehe, er ist zum Überlaufen voll. Du hast gewiß einen ganzen Sack voll Neuigkeiten mitgebracht!«

»Daß ich nicht wüßte,« lächelte Mutter Ilske still vor sich hin. »Wenn du aber alle Neuigkeiten, die du erwartest, auf einen Strich hättest erfahren wollen, so wäre es klug von dir gewesen, allein nach Mönchgut zu gehen, statt mich zu schicken, womit ich indes für meine Person ganz zufrieden bin.«

»So, so; ja, ja! Nun, wir haben Geduld, Alte, ruhe dich in Gottes Namen aus. Ich rauche meine Pfeife mit Gleichmut und der Junge da hat Zeit zu warten, er ist jung genug dazu. – Daß dich der Satan!« brummte er in Gedanken vor sich hin und qualmte so heftig, daß seine Frau die Rauchwolken mit beiden Händen aus ihrer Nähe verjagen mußte.

»Was macht Hille?« fragte jetzt Waldemar ernst und bedächtig, aber nicht ohne einige innere Besorgnis.

»Das war eine vernünftige Frage, mein Sohn, und nun will ich erzählen, was ich erzählen kann. Hille ist ganz gesund, Kinder, und wohnt ganz allerliebst in ihrem neu aufgeputzten Zimmer, wozu sie die Maurer und Maler aus Bergen hat kommen lassen. Auch gefällt es ihr ganz gut auf Bakewitz, denn sie liebt nun einmal die grüne Saat, den duftigen Wald und die rauschende See.«

»Nun ja,« polterte der Alte heraus, »das wissen wir und das lieben wir auch, aber wir können das alles auch hier haben, wie überall auf Rügen.«

»Nicht so wie dort, Daniel. Bakewitz ist wirklich ein kleines Paradies und es wird diesen Sommer sehr hübsch dort unter den Nußbäumen am Wasser sein. Natürlich, wenn erst der Schaden überwunden ist, den ihr zuguterletzt die Franzosen zugefügt haben, denn sie will es nicht leiden, daß der Pächter allein die Kosten trägt, der sie doch dem Rechte und dem Kontrakte nach tragen müßte.«

»Hm! Es ist ein Wettermädel, ich sag's ja. Weiter!«

»Was denn weiter? Hast du noch nicht genug daran?«

»Nein, du hast noch gar nichts gesagt, wenigstens von der Hauptsache nichts.«

»Ach, ja so, die Hauptsache! Da habt Ihr sie. Ich habe Hille sehr verändert gefunden.«

»Wieso?« fragte der Alte mit dem Munde und Waldemar mit den Augen.

»Sie war sehr ernst gestimmt und viel nachdenklicher als gewöhnlich. Aber daran waren vielleicht ihre erlittenen Verluste und der Tod des Grafen Brahe schuld.«

»Ha!« rief Waldemar. »Ging ihr der zu Herzen?«

»So tief wie dir, mein Sohn, das kannst du glauben, und sie hat sogar geweint, als wir davon sprachen, daß deine Aussichten und Hoffnungen dadurch so sehr gelitten haben. Wie du aber weißt, weint Hille sehr selten und nur dann, wenn ihr etwas bis in das Herz geht.«

Waldemar wurde auffallend bleich und von neuem bekümmert: im stillen aber dankte er Hillen noch inniger, als er es je in Worten getan. Daß sie auch darin mit ihm sympathisierte, war ihm der süßeste Trost, der ihm bisher noch über den unersetzlichen Verlust zuteil geworden war.

»Hat sie vielleicht noch einen anderen Grund, um traurig zu sein?« fragte der Strandvogt mit schlauer Zurückhaltung.

»Ich wüßte keinen, aber man muß Geduld damit haben. Ich bin in meinem Leben auch oft traurig gewesen und nachher sind immer wieder heitere Tage gekommen.«

Nach diesen mit Bedeutung gesprochenen Worten erzählte Mutter Ilske, wie sie die vier Tage im allgemeinen auf Bakewitz verlebt und wie sie nur mit Mühe ihre Rückkehr schon so bald habe durchsetzen können. Endlich aber gab sie vor, ermüdet zu sein, und das hielt Waldemar für ein Zeichen, daß er die Eltern verlassen solle, was er auch bald darauf tat.

Kaum aber hatte er die Tür hinter sich geschlossen, so fuhr der Alte von seinem Stuhle in die Höhe und stellte sich dicht vor seine Frau hin. »Na,« sagte er, »da werde einer klug draus! Was bist du so rückhaltig und sparsam mit deinen Worten, Ilske? War das etwa die Hauptsache, die du uns aufgetischt hast?«

»Daniel! Wie sprichst du so voreilig! Wie konnte ich die Hauptsache in Waldemars Gegenwart erwähnen? Natürlich sollst du sie jetzt hören. Ich fragte Hille, warum sie nicht zu uns käme, und da gestand sie mir ein, was ich schon lange vermutet und dir bereits gesagt habe. Waldemar ist daran schuld, daß sie nicht kommt, und ich gebe ihr vollkommen recht darin. Sie hat den Jungen lieb, unbeschreiblich lieb und ihm schon hundert Beweise davon gegeben. Eben darum will sie nicht kommen. Er muß zu ihr, so ist es Sitte bei wohlerzogenen Leuten.«

»Hm! Dachte ich es mir doch. Also sie hat ihn lieb! Nun, das verdenke ich ihr nicht, ich habe ihn auch lieb, denn er ist ein braver und schmucker Kerl. Wenn er nun aber nicht hin will zu ihr, aus demselben Grunde oder vielmehr, weil es gegen seine einfältige Ansicht ist, um ein Mädchen zu freien, das reicher ist als er selbst?«

»Das habe ich mit ihr alles besprochen und ihr keinen Gedanken unseres Sohnes verhehlt. Sie sieht es auch ein! und liebt ihn nur um so mehr darum. Aber gut Ding will Weile haben, sie ist noch nicht neunzehn und er noch nicht dreiundzwanzig Jahre alt. Habe also Geduld, Alter, die Bäume werden auch nicht an einem Tage grün. Hille hat Geduld und sie wartet die Zeit ab, bis eine günstige Gelegenheit Waldemar nach Bakewitz führen wird. Sobald er das Kiekhaus auf längere Zeit verläßt, etwa um wieder in Dienst zu gehen, wie er neulich sagte, so kommt sie wieder zu uns, und das wird dem Jungen wohl endlich die Augen und auch den Mund öffnen.«

»Ja, ja doch, aber es dauert ein bißchen lange. Na, so viel Zeit habe ich nicht gebraucht, dir mein Herz auszuschütten; nicht wahr, Ilske?«

»Das waren andere Zeiten, Daniel, und andere Verhältnisse. Ich werde morgen selbst noch ein Wort mit Waldemar sprechen und das wird vielleicht entscheidend sein. Gott gebe es! Na, nun aber bin ich wirklich müde und sehne mich aus den steifen Sonntagskleidern heraus.«

»So lege sie ab, Alte, das ist bald getan. Ja, du hast recht, wir wollen zu Bett gehen, und überlege dir's vorm Einschlafen, wie du es dem Jungen recht klar eintränkst.« –

Am nächsten Morgen aber, sobald die Mutter mit dem arbeitsamen Sohn einen Augenblick allein war, wiederholte sie ihm die herzlichsten Grüße von Hille und fragte ihn dann nebenbei, ob er denn gar keine Neigung spüre, ihr einen recht baldigen Besuch abzustatten?

»Ach, Mutter,« erwiderte Waldemar und seine Augen flammten dabei lebhaft auf, »wie gern ginge ich zu ihr, denn ich habe ihr so viel zu sagen, was ich nur ihr allein sagen kann. Aber sieh, die Zeit ist nicht gut dazu angetan, wir haben noch keinen ordentlichen. Frieden und wie man hört, soll der Krieg in Deutschland von neuem beginnen. Da werden auch wir nicht in ungestörter Ruhe sitzen bleiben. So verlangt die ernste Zeit Taten, nicht aber Gefühle und Worte. Auch ist, du weißt es ja, mein Herz zerrissen von Schmerz und da empfinde ich die Freude nicht ganz, die ich empfinden möchte, wenn ich zu Hille gehe. Laß also den Orkan kommen, der über Länder und Menschen fährt, und er wird mich gerüstet finden; wenn er aber vorüber ist und wir innen und außen den Frieden haben, dann, dann, Mutter, will ich nach Bakewitz gehen und mein Herz zu bezwingen suchen, daß es meinem Munde Worte verleiht. Bist du damit einverstanden, meine gute Mutter?«

»Ja, mein Sohn, und Gott gebe den Frieden, dann wird alles gut werden, unter den Königen und den anderen Menschen, und auch du wirst deine Ruhe finden.«


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