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Eine Leidenschaft.

1.

In einem schattigen Garten, der sich weit hinter einem alterthümlichen Giebelhause streckte, saß auf einer Steinbank, mit verschlungenen Händen, ein schönes junges Paar. Es waren Bruder und Schwester, zwei lebendige ansprechende Physiognomien, die, obgleich ihre Züge nur eine entfernte Familienähnlichkeit zeigten, denselben Ausdruck hatten, den Ausdruck einer großen geistigen Erregbarkeit. Nur war neben dem fröhlichen Uebermuth, der solchen Gesichtern eigen ist, bei dem Bruder noch eine humoristische Falte zu entdecken, deren die Schwester glücklicherweise entbehrte.

»Nach deinen Aeußerungen von gestern Abend, befürchte ich wirklich, Katharina, daß du den festen Entschluß hegst, der irdischen Liebe immer fremd zu bleiben!« sagte, indem der erwähnte Zug um den Mund besonders deutlich hervortrat, nach längerer Pause der Bruder.

Katharina hob drohend den Finger. »Soll ich deine Beschuldigung dem Sinne nach, oder wörtlich widerlegen?«

»Erst wörtlich. Erst en detail und dann en bloc.«

»Gut. Also sage ich dir: Es gibt für uns Frauen gar keine irdische Liebe. Es gibt nur eine Liebe, die himmlische. Lasse mich ausreden, ehe du spöttische Gesichter ziehst. Ich will nicht den abgedroschenen Satz, daß eine nicht ewig währende Liebe gar keine Liebe sei, behaupten, – nicht von ihrer Dauer hängt es in meinen Augen ab, ob sie unsterblich genannt zu werden verdient, sondern davon, ob sie das Unsterbliche im Menschen liebt oder nicht. Du selbst wirst mir doch nicht als Liebe ein Gefühl bezeichnen wollen, welches sich nur an die äußern Formen heftet und um den Inhalt der schönen Hülle sich nicht kümmert?«

»Erklären Sie sich deutlicher, Fräulein Schwester.«

»Nun wohl, so will ich durch ein Bild meine Gedanken klar zu machen suchen:

In Rom, im Palast Borghese, hängt ein wunderschönes Bild von Tizian. Neben einem alten steinernen Sarkophage, der als Brunnen dient, sitzen zwei schöne weibliche Gestalten. Die vom Beschauer links ist im vollen Putzgewande, wie die Frauen es zur Zeit des Malers trugen, und blickt mit ernster Miene in einen reichverzierten Becher, den sie auf dem Schoose hält.

Die Gestalt rechts hingegen ist beinahe nackt, nur ein leichtes Tuch hat sie um die Hüften geschlungen; sie neigt sich mit unaussprechlich süßem Lächeln zu der andern und hält einen Kelch zum Himmel empor. Im Hintergrunde steht Amor und schöpft aus dem Sarkophage.

Man ist übereingekommen, dies Bild für eine Darstellung der irdischen und der himmlischen Liebe zu erklären und zwar die geputzte Frau links, die mit niedergeschlagenen Augen dasitzt, für die irdische.

Hätte der begabte Tizian bei dem herrlichen Bilde wirklich einen solchen banalen Gedanken gehabt?

Diese zwiefache Liebe ist eine der widerlichsten doctrinären Lehren, die kluge Köpfe ersonnen haben!

Die Liebe können wir uns nur als eine unendlich erhabene Gestalt denken – sie umfaßt Gott und die Menschen, die Tugend und die Schönheit! Und wer zu einem Kinde sagt, du mußt Gott mit einem andern Herzen lieben denn die Menschen, begeht eine Sünde. Liebe, wirkliche Liebe ist immer rein, und die Mutter, die für ihre Kinder, das Weib, das für seinen Geliebten, die Jungfrau, die für ihren Glauben stirbt, stehen auf ganz gleicher Stufe, sie sind alle Drei Märtyrer der Liebe und des Glaubens, denn die beiden sind bei einem echten Weibe unzertrennlich.

Wie der Riese Antäus, sobald sein Fuß die Erde verließ, die Kraft verlor, ebenso geht es uns Frauen, wenn unsere Gefühle nicht in dem Himmel wurzeln. Ein Weib, das Gott und die Tugend nicht liebt, hat auch keine starke Liebe für ihren Geliebten!«

»Mich wundert«, sagte Alfred, »daß du dir die schöne Gelegenheit entgehen ließest, uns Männern, wie gewöhnlich, einen Hieb zu geben.«

»Welche Gelegenheit?« frug mit eifrigem Drängen die Schwester.

»Da sieht man die Blutgier! Und wie nahe lag der Vergleich, den Riesen Antäus als Repräsentanten des männlichen Geschlechts am Boden wurzelnd zu zeichnen, und darüber eine euer Geschlecht darstellende Frau vom Himmel schwebend, ohne ihn jedoch mit den Flügelspitzen zu verlassen – das wäre ein gutes Bild für die irdische und himmlische Liebe –; schade, daß ich kein Tizian bin!«

Katharina drehte schmollend dem Bruder den Rücken, er aber sagte bittend: »Nun widerlege mich auch noch in Beziehung auf den Sinn meiner Frage.«

»Der Sinn, der Sinn«, sagte sie zornig, »ist, daß ich heirathen soll, damit du ein Haus hast, wo du nach deiner Bequemlichkeit hingehen kannst, um den Kaffee zu trinken, nachdem du bei unserer Mutter gespeist, deswegen soll ich heirathen, und auch, damit man nicht einmal in deiner Nähe von deiner Schwester ›der alten Jungfer‹ spricht!«

»Du könntest Recht haben, ja du könntest sogar sehr Recht haben, nur hast du den Hauptgrund vergessen.«

»Und der ist?«

»Der ist meine Ueberzeugung, daß du eine hinreißend liebenswürdige Frau sein würdest, während du als Mädchen nur von sehr zweifelhafter Liebenswürdigkeit bist.«

Katharina kreuzte die Arme, lehnte sich bequem mit dem Rücken an die Bank und sagte gleichmüthig: »Jetzt ist an Ihnen die Reihe, Herr Bruder, sich deutlicher zu erklären.«

»Auf das vollständigste sollst du befriedigt werden. Siehst du, liebe Schwester, ein junges Mädchen ist in Deutschland ein Geschöpf, das nach einer ganz bestimmten Schablone zugeschnitten sein muß. Sie darf nicht lachen, außer wenn es Niemand hört, sie darf nicht die Augen aufschlagen, außer wenn es Niemand sieht, sie darf nicht reden, außer wenn man sie fragt, und dann selbst darf sie keine bestimmte Meinung haben, kurz sie darf durch nichts als durch ihre äußere Form verrathen, daß sie ein menschliches Wesen sei, und auch im Aeußern darf sie das nur mit größter Discretion, Geschnürtheit und Steifheit verrathen. Ist sie nun aber so, wie ich eben gesagt daß sie sein muß, und vermeidet sie glücklich, durch irgend etwas zu zeigen, daß sie Gefühl und Geist habe, so wird die große Welt einstimmig sagen: Welch charmantes, wohlerzogenes Mädchen!

»Nun, sage selbst, Katharina, ist meine Zeichnung nicht wahr, und gleichst du mit einem einzigen Zuge dieser Zeichnung?«

»Du hast Recht«, entgegnete sie heiter, »aber nun sage mir auch, warum ich als Frau eher Glück machen würde?«

»Glück machen? das ist ja eben dein Hauptfehler, daß du Glück machst, daß du alle unsere jungen Leute zu Anbetern hast, darum findet man eben, daß du nicht mädchenhaft bescheiden, sondern herausfodernd coquett bist.«

»Wer findet das?«

»Alle ohne Ausnahme, selbst deine Anbeter, denn da du keinen begünstigst, will sich auch keiner das Ridicule geben, sich deinen Feinden gegenüber als dein Ritter aufzuopfern.«

»Ein schönes Geschlecht, das der jetzigen Ritter!«

»Nicht viel schlechter als früher auch; und – wenn auch, so sind die Ausnahmen um so viel mehr werth.«

»Wozu du natürlich gehörst.«

»Und Derjenige, den du erwählen wirst.«

»Wen soll ich denn wählen?«

»Den, welcher dir am würdigsten scheint, du hast freie Wahl.«

»Unter welchen? Nenne mir Namen!«

»Nun wohl – den Hofrath, den Hauptmann, den Gymnasialdirector.«

Katharina lachte laut auf. »Schöne Freier das! Soll ich etwa den Hofrath nehmen, ihn, dem von seinem ganzen Lebensschiff Alles gescheitert und versunken ist bis auf eine einzige Planke, die nur deshalb den Elementen Trotz bot, weil sie gefährlicher, böser und giftiger war, als Alles was gegen sie wüthete?«

»Die Planke ist sein Verstand, aber diese einzige Planke ist doch noch sehr viel werth, mehr als manches vollständige Schiff«, warf Alfred ein.

»Es bleibt doch der letzte Theil eines Wracks! Sein Glaube, seine Gesundheit, sein Vermögen, ja sogar seine Kenntnisse sind verschleudert! Wenn ich ihn heirathete, käme ich mir vor wie Einer, der auf einem wüsten Eilande im Besitze eines in Fetzen gehüllten Goldklumpens verhungert und verdurstet.«

»Aber der Hauptmann?«

Katharina lachte wieder. »Dieser Mann, der nichts begreift als seine militärischen Glaubensartikel? der sagt, er werde blindlings allen Befehlen des Fürsten gehorchen bis zum Tode, und heiße auch einer davon ihn seine eigene Frau schlachten?«

»Aber der Director?«

»Nun gar den, der seine Frau nur lieben könnte, wenn sie vor ein bis zwei Jahrtausend gelebt hätte, und der alles Lebendige als ›modern‹ verachtet!«

»Bei dir tadelt er das nicht«, sagte lachend Alfred; »er liebt dich wirklich.«

»Er liebt mich wie der Banquier von Herrmann, der einmal von den Frauen geäußert hat, er liebe sie nur als den besten Contrast mit dem Zahlenwesen, das er den ganzen Tag vor Augen haben müsse: weil man gar nicht auf sie rechnen könne.«

»Das ist freilich ein schlechter Witz«, sagte pathetisch Alfred.

»Oder«, fuhr Katharina in zornigem Eifer fort, »soll ich unsern Vetter Wilhelm nehmen, dem sein Schneider zehn mal interessanter ist als ich?«

»Ich wundere mich, daß du noch immer nicht die Hauptperson, den Magnet unserer Damen, den, der uns Alle bei euch aussticht, genannt!«

»Du meinst unsern Dichter! Der ist freilich interessanter als ihr Alle seid, doch nichts für mich, denn ich will geliebt sein, glühend, überwältigend, und wenn auch auf kurze Zeit nur – was liegt daran – wenn auch nachher die Welt uns schal und öd' erscheint – dafür hat Gott den Tod ja in die Welt gesandt!«

Alfred zog die Mundwinkel herab: »Die alte Passion der Frauen! Seit Anfang der Welt wollen sie Leidenschaften, immer Leidenschaften! Ihr seid die wandelnde Unvernunft! Eine Leidenschaft kann ja nicht lange währen, und so stürzt ihr euch selbst ins Unglück, indem ihr euch nur einem Gefühle hingeben wollt, das durch seine Natur schon den Keim des Vergänglichen in sich trägt. Wenn du es aber durchaus nicht anders willst, so findest du dies Gefühl immer noch am ›großartigsten‹ bei dem Poeten.«

Katharina schüttelte den Kopf. »Er glaubt mich zu lieben, weil er dieses Gefühls für seine Verse bedarf; in den Gedichten, die meinen Namen tragen, glaubt er mich zu besingen, aber das Mädchen, dem er da huldigt, gleicht mir so wenig wie jedem andern. Sobald er das merkt, wird er abgekühlt sein, ehe er noch recht entflammt war. Menschen mit solcher Phantasie, wie er, können sich nur für Ideen, nicht für Personen begeistern, denn jede geliebte Person ist ihnen wiederum nur die Trägerin einer Idee. Ich will aber um meiner selbst willen geliebt sein.«

»Um deiner selbst willen!« Und Alfred sah aus wie die Ironie in Person, aber seine Schwester merkte es nicht, denn sie starrte, in Gedanken versunken, in den Kies des Bodens, den ihr schmaler Fuß zerwühlte.

Nach einer langen Pause, in welcher ihr Bruder sie unausgesetzt beobachtete, sagte er: »Du machst solche Ansprüche, Katharine, daß ich doch fragen muß, ob du das Recht dazu hast? Ehrlich gestanden, ich halte dich selbst keiner Leidenschaft fähig, diese intensive Glut reift nur in stillen verschlossenen Gemüthern, du bist viel zu lebhaft: kein wahrer Sprichwort als das von den stillen Wassern.«

Katharina wendete langsam den Kopf und sah ihren Bruder durchdringend mit ihren großen dunkel beschatteten Augensternen an.

»Keiner Leidenschaft fähig hältst du mich? Was ihr Männer darunter versteht, dessen bin ich freilich nicht fähig. Für einen Unwürdigen werde ich mich nicht aufopfern, für einen Treulosen nicht ins Wasser springen. Aber fände ich einen Mann, der mich wirklich liebte mit allen meinen Fehlern und Unvollkommenheiten, und um dieser Liebe willen mir ein Opfer zu bringen im Stande wäre – sei's nun ein Opfer seiner Vorurtheile, seines Ehrgeizes – kurz eine That, die mir bewiese, daß ich ihm über Dem stehe, was bei euch Männern nach der Ehre das Höchste zu sein pflegt, so würde ich ihm mit Freuden ausschließlich und nur ihm allein mein Leben widmen – sei's nun in einer kühnen That oder in einem langen aufopfernden Leben. O, ich könnte lieben!«

Und sie legte ihren schönen Kopf zurück auf die Lehne der Bank, und obgleich sie ihre Augen fest geschlossen hatte, spielte doch um ihre feinen Lippen ein so unaussprechlich süßer Zug, daß selbst Alfred allen Spott darüber vergaß und in Bewunderung versunken den Ausdruck dieses schwärmerischen Mädchenkopfes belauschte.

Eine sanfte Frauenstimme rief Katharina's Namen aus einem Fenster des Hauses. Im Nu sprang sie auf ihre Füße, Alfred aber, der sitzen blieb, sagte nach dem Hause deutend, dessen Anblick durch die alten Bäume halb versteckt war: »Die Mutter da ist an allem Unglück schuld, die hat dich verzogen und verwöhnt auf eine Weise, daß du jetzt immer was Besonderes haben willst.«

Katharina, die schon im Weggehen begriffen war, wendete noch einmal das Haupt und sagte stolz und zuversichtlich: »Ja, sie hat mich verwöhnt, denn sie liebt mich mehr als ich's verdiene – und mit dieser Liebe will ich mich für die eurige trösten!« setzte sie lachend hinzu, »da sie mir doch in der erwünschten Qualität nicht zu theil werden wird!« Dann folgte sie mit raschen Schritten dem mütterlichen Rufe nach dem Hause.

Alfred blieb im Garten, und indem seine Züge wieder den frühern ironischen Ausdruck annahmen, murmelte er vor sich hin:

»Diese Weiber sind alle eine wie die andere, selbst Katharina, die ich immer für ein Original, für eine Ausnahme hielt, ist ebenso thöricht, ebenso eitel, ebenso unbesonnen, wie die andern. O ihr unbesiegbaren stolzen Herzen, nie seit ihr leichter zu besiegen, als wenn ihr ›Beweise‹ verlangt. Beweise! du lieber Gott, nichts ist leichter zu schaffen.«

*

2.

Es war einige Tage später, Katharina befand sich in einer Gesellschaft im Hause des dirigirenden Staatsministers. Sie war weniger lebhaft und angeregt, als gewöhnlich, denn sie hatte am Nachmittage mehre Stunden lang gesungen und gespielt, und ihre Seele war von der Musik weich und träumerisch gestimmt. So kam es denn, daß sie sich heute von der wie gewöhnlich zur Schau getragenen Oberflächlichkeit und Albernheit des gesellschaftlichen Treibens um sie her verletzt fühlte und Das was sonst ihre Heiterkeit sie nicht gewahren ließ, sie heute mit einer gewissen Entrüstung erfüllte. Zuletzt vertrieb eine im größern Kreise vorgetragene verleumderische Geschichte, deren kleinste Details mit martervoller Genauigkeit vorgetragen wurden, sie ganz und gar aus dem großen Salon, wo Alles versammelt war; sie flüchtete sich in eines der Durchgangszimmer und barg sich dort hinter einer dichtbelaubten Epheuwand.

Die Thüre nach dem Corridor stand wegen der Wärme des Sommerabends offen; ein leichter Zugwind bewegte die Zweige der zu beiden Seiten des Eingangs aufgestellten Orangenbäume und streute ihre Wohlgerüche in die schwüle Zimmerluft.

Katharina sah gedankenvoll dem Schattenspiele der Blätter auf der gegenüberliegenden weißen Wand des Corridors zu, als plötzlich die Gestalt eines Mannes verdunkelnd in dem Rahmen der Thüre erschien. Unsichtbar hinter dem grünen Schutz ihres Epheus verborgen, dachte sie bei dem späten Ankömmling ihre gewöhnlichen Studien über menschliche Eitelkeit zu machen. Wie oft hatte sie nicht bei dem Ablegen der Mäntel im Vorzimmer sich daran ergötzt, zu sehen, wie Alle, Männer und Frauen, sich zu den Spiegeln drängten, um Haare und Anputz mit komischer Sorgfalt zu glätten und zu ordnen, ehe sie sich auf den Kampfplatz der Gesellschaft begaben.

Aber der Neuangekommene, ein noch junger großer Mann mit einem geistreichen dunklen Kopfe, gewährte ihr diese maliciöse Freude nicht. Er warf keinen Blick in die große Psyche, die am Pfeiler stand, nur zu den Blüten der Orangenbäume neigte sich seine hohe Gestalt und er sog mit geschlossenen Augen langsam den süßen Duft ein; dann wandte er sich nach der Ecke, wo die Epheuwand, die Katharina verdeckte, einigen Marmorstatuetten zum Hintergrund diente.

Wie erschrak sie bei dem Gedanken, daß der fremde Mann sie hier entdecken und dadurch ihr eine peinliche Verlegenheit bereiten könne.

Nachdem er die ziemlich unbedeutenden Statuetten, Erfindungen eines berliner Bildhauers, flüchtig gemustert, zog der schöne großblätterige Epheu seine Aufmerksamkeit an. Aber erst als er dicht davor stand, gewahrte er Katharinen, die in gebückter Stellung auf einem Tabouret saß.

Als er ihren feuerrothen schönen Mädchenkopf so plötzlich vor sich sah, war er beinahe so erschrocken, wie sie selbst. Er trat einige Schritte zurück, indem er flüsterte: »Ich bitte tausend mal um Vergebung!«

Katharina aber, die sich rasch erhoben hatte und hervorgetreten war, wußte nichts Anderes zu sagen als: »Es ist so kühl hier!«

Der Fremde maß mit verwundertem Blick ihre schöne große Gestalt und versetzte dann mit wiedergewonnener Fassung, indem er ihr den Weg nach dem Salon, wohin sie sich zurückbegeben wollte, vertrat: »Ich beschwöre Sie, mein Fräulein, sich nicht durch mich aus Ihrer Waldeinsamkeit verscheuchen zu lassen. Ich gehe jetzt und werde Niemand Ihr Asyl verrathen.«

Aber Katharina sagte mit einer Verlegenheit, die ihr sonst durchaus nicht eigen war: »Bitte, lassen Sie mich gehen, ich muß in den Salon zurück, man vermißt mich dort.«

»Gewiß vermißt man Sie! und Sie haben Recht, sich nicht länger der Gesellschaft zu entziehen. So erlauben Sie mir denn, Sie in den Saal zurückzubegleiten.«

Zwei große Zimmer waren noch zu durchschreiten und Katharina konnte durchaus ihrer Verlegenheit nicht Meisterin werden, als sie an der Seite des Fremden dahinging. Sie kam sich wie eine zurücktransportirte Entflohene vor. Da sie nicht sprach, war ihr Begleiter auch zu bescheiden, sie nochmals anzureden.

Dicht an der Thür des Saales saß Katharina's Mutter mit der Ministerin, der Hausfrau, auf einer Causeuse; erstaunt sah sie ihre Tochter, deren Entfernung sie eben bemerkt, mit dem fremden Mann eintreten.

»Wer war das?« frug sie Katharina, die nach einer leichten Verbeugung gegen den Fremden sich unter den mütterlichen Schutz begab, während er selbst mit einer auszeichnenden Freude von der Dame des Hauses bewillkommnet wurde.

Katharina zuckte die Achseln.

»Aber du grüßtest ihn doch wie einen Bekannten?«

»Später, Mütterchen, erkläre ich dir Alles«, und damit wandte sich Katharina zur Ministerin, deren Gemahl soeben den Fremden mit Beschlag belegt, und frug die Dame, wer Letzterer sei.

»Dieser Herr?« frug sie verwundert. »Mein Gott, Sie sind ja eben mit ihm hereingekommen.«

»Ein Zufall, ein sonderbares Zusammentreffen. Ich kenne ihn durchaus nicht. Bitte, sagen Sie mir, wer es ist?«

»Wenn Sie denn durchaus die Unwissende spielen wollen, so sei es. Daß Sie übrigens diesen Mann nicht kennen wollen, ist ein neuer Beweis, wie Unrecht man Ihnen thut, wenn man Ihre aristokratischen Gesinnungen verdächtigt und behauptet, Sie seien eine kleine Demokratin. Die einzige Ursache, daß Sie ihn verleugnen, kann doch nur sein, daß er bisher nicht in unsern Cirkeln erschien, wie er denn auch heute Abend nur auf dringendes Bitten meines Mannes kam. Er lebt schon viele Jahre in der Stadt, es ist –«

In diesem Augenblicke trat der Minister mit dem Fremden zu Katharina heran: »Herr Professor Schwandahl wünscht Ihnen vorgestellt zu werden, liebes Fräulein. Er wünscht es dringend, trotz aller meiner Abmahnungen, nicht eine so interessante Bekanntschaft wie die Ihrige am Vorabend seiner Abreise nach dem Orient zu machen, und sich so den ohnedem schweren Abschied vom Vaterland noch mehr zu erschweren.«

Katharina war seit ihrer Kindheit an die scherzhaften Complimente des Ministers gewöhnt und lachte sonst darüber, heute aber setzte dem Fremden gegenüber die gewohnte Weise ihres alten Freundes sie in Verlegenheit.

Sie wußte daher selbst nicht recht was sie sagte, als sie, nur um etwas zu sagen und der Höflichkeit zu genügen, sich an den Professor mit der Frage wandte, »ob er eines rein wissenschaftlichen Zweckes halber die Reise unternehme?«

»Verstehen Sie darunter, ob ich bei dieser Reise für die Wissenschaft neu Entdeckungen zu machen beabsichtige, so muß ich Nein sagen, indem mein Ehrgeiz nicht so weit geht, obleich ich,« setzte er nach einer Pause lächelnd hinzu, »den heutigen Abend für ein gutes Omen nehmen könnte, denn was ich so glücklich war hinter dem Epheu zu entdecken –»

»Epheu?« rief die Ministerin neugierig, »was haben Sie hinter dem Epheu entdeckt?«

Schwandahl heftete die Blicke fragend auf Katharina's Augen, ein kaum merkliches Zucken belehrte ihn, daß er von seinem kleinen Abenteuer besser schweige, und er sagte mit komischer Miene:

»Das ist ein Staatsgeheimniß, Excellenz!« Auch den stürmischen Fragen des Ministers gab er durchaus keine befriedigende Antwort, weil es ihm schmeichelte, mit dem schönen Mädchen ein kleines Geheimniß zu theilen.

Sobald sie Platz genommen, setzte er sich neben sie. Sie frug ihn, seit wie lange er den Plan zu seiner großen Reise gehabt?

»Nicht sehr lange, mein gnädiges Fräulein, denn es geht gar nicht von mir aus. Ich begleite den Prinzen Christian.«

»O,« sagte Katharina heiter, »sind Sie Derjenige, welcher der Fahrt unserer jungen Hoheit einen gelehrten Anstrich geben soll, auf daß man nicht murre, wenn zu den andern kostspieligen Liebhabereien des ›ritterlichen‹ Prinzen auch noch die Reiseliebhaberei kommt?«

»Gnädiges Fräulein, Sie sind boshaft; obgleich ich vollkommen der Meinung bin, daß Prinz Christian nicht der Wissenschaft zu Liebe eine Weltfahrt macht, sondern mehr um dem sehr verzeihlichen Triebe, die Welt zu sehen, zu folgen, so bin ich dennoch überzeugt, daß er ein wirkliches warmes Interesse für Kunst und Wissenschaft besitzt, wie er mir durch seine schon seit drei Monaten währenden Studien im Sanskrit zeigt, mit dem er sich unter meiner Leitung bekannt macht.«

»Drei Monate?« frug sie lachend; »bei Ihrer Zurückkunft, Herr Professor, werde ich Sie fragen, ob der wissenschaftliche Eifer des Prinzen noch weitere drei Monate gewährt.«

»Werden Sie dann nicht längst Das sowol wie meine ganze Person vergessen haben? Bedenken Sie, ich bleibe zwei Jahre mindestens – und was vergißt eine junge Dame, wie Sie, nicht in zwei Jahren!«

»Zu was Allem die Gelehrsamkeit doch nicht gut ist«, neckte Katharina. »Sogar was eine junge Dame binnen zwei Jahren vergißt und was sie nicht vergißt, wissen die deutschen Professoren à merveille!«

Schwandahl sah sie von der Seite verwundert an.

»Sie scheinen sehr grausam gegen deutsche Prinzen und deutsche Professoren, mein gnädiges Fräulein. Welches Vorurtheil –«

»Vorurtheil – o – mein Herr Professor, wenn Sie erst wüßten, daß mein Vorurtheil sich nicht blos auf Prinzen und Professoren erstreckt, sondern überhaupt Ihr ganzes weltbeherrschendes Geschlecht umfaßt und die Kühnheit zuweilen so weit treibt, für ein Urtheil gelten zu wollen!«

»Immerzu, mein Fräulein, immerzu. Ich werde mich aber rächen, indem ich feurige Kohlen auf Ihr Haupt sammle und die Kunde irgend einer Großthat zum Besten einer Frau – etwa indem ich eine Suttieh vom Feuertode errette, zu Ihren Ohren dringen lasse.«

»Diese Großthat glaube ich aber nicht, wenn Sie nicht die gerettete Witwe selbst mitbringen – denn ich bin mistrauisch und verlange eine demonstratio ad oculos.«

»Sie sprechen Latein?«

»Nur jetzt, um das Vergnügen zu haben, Ihre ironische Miene bei solchem Eingriff in Ihr Metier zu sehen.«

»Ich wüßte nicht, was dabei meine Ironie wecken sollte. Ich freue mich immer, wenn ich das schöne Latein aus schönem Munde höre.«

»Wie, ist es nicht Ihr Grundsatz, daß dem Volke und den Frauen nur gelehrt werden solle: wie man arbeitet und gehorcht, alles Uebrige sei vom Uebel?« frug Katharina mit komischem Pathos.

Schwandahl schüttelte lächelnd den Kopf. »Ich bin zwar nicht gerade ein Emancipationskämpfer –«

»Davor sei auch Gott«, sagte Katharina ernsthafter. »Schon das Wort ist mir fürchterlich! Im Ganzen kann uns armen Frauen nicht geholfen werden, aber wenn ich wüßte, wie das Elend jeder Einzelnen zu lindern wäre«, setzte sie mit Wärme hinzu, »ja wenn ich das wüßte, dann hätte meine Seele keinen Wunsch mehr!«

»Eine so junge und schöne Dame und nur diesen Wunsch – nur diesen einzigen Wunsch?«

Katharina sah den Redenden offen mit ihren großen Augen an. »Ich begreife nicht, wie überhaupt Jemand mehr als einen Wunsch hegen kann – oder auch, wenn Sie wollen, wie nicht ein Wunsch immer alle andern überwuchert, überragt und erstickt. Wer viele Wünsche hegt, ist nicht wirklich unglücklich oder der Hülfe bedürftig, während Ein heißer Wunsch dem Menschen, der ihn beharrlich in seiner Brust trägt, gewöhnlich gewährt wird, wenn er nicht so ungeschickt wie ich ist, ihn aus dem Reiche des Unmöglichen zu wählen! Die Treue ist das einzige Gute, was auf Erden belohnt wird.«

»Sie können Recht haben«, sagte Schwandahl in Sinnen verloren. »Auch ich habe von meiner Kindheit an nur Einen Wunsch gehegt – den Wunsch, den Orient zu sehen. Um dieses Wunsches willen, der bei mir, je mehr ich orientalische Literatur und Sprachen kennen lernte, desto höher wuchs und zur stärksten Sehnsucht wurde, habe ich auch einzig und allein diese Sprachen zu meinem Hauptstudium erwählt. Ehe mir das vergönnt war«, setzte er mit einem Seufzer hinzu, »mußte ich aber auf meines Vaters Wunsch drei Jahre Jurisprudenz studiren; erst als er starb und mir auf so traurige Weise meine Freiheit gewährt wurde, kehrte ich zu meinem Lieblingsstudium zurück, worin ich es denn auch in einem Jahre weiter brachte, als mit der Jurisprudenz in drei.«

»Sie werden aber auch wol in den drei Jahren mehr Mahabârata und Ramâjana, als Justinian's Institutionen und die Fragmente des Ulpian zur Hand genommen haben.«

»Allerdings«, sagte Schwandahl gedehnt, indem er Katharina wieder von der Seite anblickte, aber aus Furcht sie zu beleidigen seiner Verwunderung keine Worte zu geben wagte. Sie wußte das recht gut und mußte den Kopf umdrehen, um ihm ein Lächeln zu verbergen, indem sie scheinbar unbefangen die große Quaste einer Portière ergriff, die über ihrem Haupte hing.

Es entstand eine Pause, denn Katharina hinderte jetzt ein beschämendes Gefühl am Reden, das Gefühl, zum ersten male in ihrem Leben eine absichtliche Coquetterie begangen zu haben.

»Allerdings«, wiederholte endlich der junge Gelehrte, »allerdings habe ich als Student der Rechte mehr Sanskrit als Jurisprudenz studirt. Das gestehe ich aber nur Ihnen, weil Sie es doch wissen – wie Sie Alles zu wissen scheinen!«

»Scheinen«, lachte Katharina, »das ist das rechte Wort! Eigentlich weiß ich gar nichts, aber oberflächlich habe ich von Manchem eine Kenntniß. Von Ihrem Fache weiß ich aber mehr, als von allen andern Dingen, weil es zufällig mit einer meiner liebsten Erinnerungen zusammenhängt.«

»Erinnerungen? Sie sehen gar nicht aus, als wenn Sie schon Erinnerungen hätten! Sie stehen ja erst auf der Schwelle des Lebens.«

»Dieses Lebens wol. Aber ich habe schon ein mal gelebt.«

»Ah«, lächelte der Professor, »Sie glauben an Seelenwanderung?«

Katharina nickte. »Mein früheres Leben verfloß im Orient. Schon als Kind, als ich zuerst die Uebersetzungen indischer Dichter las, stiegen mir meine Erinnerungen glühend zu Kopf. Deutlich sah ich vor mir die Palmenwälder, die Wüste, aber vor allem ward lebendig in mir das Andenken an mein geliebtes weißes Roß mit dem schlanken Hals, den es beständig nach mir wandte. Wenn ich wüßte, was aus dem Pferde geworden ist – ob seine Seele auch wol kräftig genug war, um den Tod zu überdauern?«

»Nehmen Sie an, ich sei es, mein gnädiges Fräulein, die deutschen Professoren haben ja alle Pferdenaturen. Wirklich«, scherzte er weiter, als Katharina erröthend schwieg, »warum sollte ich nicht Ihr Dscherid oder Alkama gewesen sein?«

»Sind Sie so eigensinnig«, frug das Fräulein, um abzulenken, »so eigensinnig, oder« – setzte sie wieder lachend hinzu – »besitzen Sie Das, was man nur bei den Frauen Eigensinn, bei den Männern aber Charakter nennt?«

»Ich schmeichle mir damit. Ich glaube auch, daß ich eben diesem Charakter die Erfüllung meines Wunsches danke. Wer weiß – unter vier Augen darf man so etwas ohne Hochverrath wol sagen – ob meine Sehnsucht nach dem Orient nicht die des Prinzen geweckt?«

»Da wäre ein offenbares Wunder zu Ihren Gunsten geschehen; denn wer hat je gehört, daß ein Fürst auf den Wunsch eines andern Sterblichen einging?«

»Das Wunder ist mir auf jeden Fall sehr zu statten gekommen. Denn wenn der Vorschlag von mir ausgegangen wäre und ich allein mich nach dem Lande meiner Sehnsucht hätte begeben wollen – die Klagen und Vorwürfe meiner Mutter hätten es mir unmöglich gemacht.«

»Sind Sie ein so guter Sohn?«

»Nein, aber ich habe das Unglück, ein einziges Kind zu sein, was mit in einem Gefängnisse geboren und erzogen zu sein vollkommen gleichsteht. Ein einziges Kind hat keine Freiheit!«

»Jetzt werden Sie aber doch frei?«

Schwandahl zuckte lächelnd die Achseln. »Frei von der Sorge meiner Mutter um mich, aber beschränkt durch meine Sorge für den Prinzen – und da war doch das Erstere noch besser!«

»So sind die Herren der Welt! Nie zufrieden!«

»Doch, mein Fräulein, ich bin vollkommen zufrieden, noch mehr, ich bin vollkommen glücklich, und wenn ich denke, daß ich nächste Woche abreise, um dahin zu gehen, wo Ramâjana's Dichter, Valmiki, gewandelt, überglücklich!«

»Da freut es mich doppelt, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben, denn mir ist bis jetzt Niemand bekannt, der mir gestanden hätte, daß er glücklich sei.«

»Dies zu hören hing doch nur von Ihnen ab«, sagte Schwandahl ziemlich leicht, und es war ein Glück für das phantastische Mädchen, welches in ihrer lebhaften Unbesonnenheit so oft solche Reden hervorrief, daß in diesem Augenblicke ihre Mutter zu ihr trat und sie zum Heimgehen auffoderte. Schwandahl begleitete die Damen bis zum Wagen und ging dann langsam zu Fuße nach seiner stillen einsamen Gelehrtenklause.

*

3.

Wir sind im Zimmer Katharinas. Welch ein Gegensatz zu dem Zimmer des Gelehrten und die beiden Menschen, die noch eben in so belebter Unterhaltung miteinander gescherzt, – wie verschieden ist die Umgebung, die sie sich erwählt!

Blühende Blumen ringsum, schlummernde Vögel in Körben dazwischen, kleine Tische mit Spielsachen für große Kinder, Arabesken-verzierte Teppiche, schwellende Fauteuils und ein kleines, zitterndes Windspiel, – inmitten aller dieser Dinge begab sich Katharina und löschte die helle Lampe und öffnete weit die Fensterflügel, um Mondlicht und laue Nachtluft zu Gast zu bitten in ihr trauliches jungfräuliches Gemach.

Nach einer langen Pause begann sie ein leises Selbstgespräch: »Er ist anders als unsere jungen Herren und es ist natürlich, daß er von uns, unserm langweiligen, überkünstelten Leben sich wegsehnt in eine ursprüngliche, reinere Natur. O könnte auch ich weg aus dieser abscheulichen Cultur!« Und ihr Blick schweifte über die mondbeschienenen krystallnen, bronzenen und vergoldeten Nichtigkeiten, womit ihr kleines Zimmer überfüllt war, und sie gestand sich lächelnd, daß ein guter Theil dieser »abscheulichen Cultur« auch in ihrer Umgebung, wenn auch nicht in ihrer Seele zu finden sei.

»Morgen werfe ich das Zeug all hinaus«, sagte sie dann – »und Divans, Teppiche und Blumen sollen hinfort die einzige Zierde meines Zimmers sein, es ist einer reinen Menschennatur unwürdig, sich mit solchen Lappalien zu umgeben.«

Sie schloß die Augen und träumte sich wachend zurück in Das, was sie ihr früheres Leben nannte.

Sie saß unter dem Palmbaum, das Haupt an seinen Stamm gelehnt, Dscherid, das weiße Roß, ruhte neben ihr im Sande. Plötzlich sprang es auf seine Füße und unruhig schnaubten seine Nüstern nach Süden hin.

Katharina schützte die Augen mit der Hand, doch sie gewahrte nichts, aber der Zelter wurde immer unruhiger und sie mußte die purpurnen Zügel fester an den Baum binden.

Endlich, endlich erblickte auch sie etwas. Im weißen wallenden Burnus, auf schwarzem Hengst, kam ein schlanker, bärtiger Mann daher gesprengt, der schimmernde Säbel schlug um die Weichen des Pferdes. – Wer war das? sie erwartete ja Niemand! Als er näher und näher kam und sie die dunklen Augen blitzen, die feinen Züge lächeln sah, bemerkte sie eine Aehnlichkeit – wie sonderbar – ein hindostanischer Reiter und ein deutscher Professor!

Ein wüthendes Gebell ihres kleinen Hundes schreckte sie aus diesen Träumen, – das leise Gespräch zweier auf der Straße Vorüberwandelnden regte das kleine Thier so auf. Katharina gab dem Liebling, der ihre Träume gestört, einen Schlag mit dem Fächer, mit dem sie sich noch eben Kühlung zugeweht.

Ein paar Tage waren verflossen und wir sehen sie wieder mit ihrem Bruder im Garten auf- und abwandeln. Alfred erzählte, daß er diesen Morgen eine interessante Bekanntschaft, die des Professors Schwandahl, gemacht, und Katharina versetzte rasch: »Die Bekanntschaft dieses Confusionärs?«

»Warum Confusionär?«

»Vor einigen Tagen machte auch ich seine Bekanntschaft bei dem Minister Grolmar. Er saß den halben Abend neben mir und erzählte mir von seiner projectirten Reise, und schwärmte dafür und vertraute mir, daß mit dieser Reise ihm die Erfüllung seines einzigen Lebenswunsches zu theil werde.«

»Nun, dabei ist doch nichts Confuses?«

»Nein, aber heute Morgen begegnet er mir auf der Straße, schon von weitem erkenne ich seine ungewöhnlich hohe Gestalt, seine dunklen Augen, er aber, – er erkennt mich nicht.«

»Das ist freilich ein großes Verbrechen«, lachte Alfred.

Katharina aber sagte ärgerlich: »Es ist weiter nichts als die gewöhnliche Gelehrtenzerstreuung, aber immerhin das Beleidigendste, was ich mir denken kann. Eine Dame, mit welcher man vor drei Tagen eine so lebhafte Unterhaltung gehabt, die man zum Wagen geführt, auf der Straße mit ungewissen Augen anzustieren und sie zuletzt zu grüßen, aber mit dem confusen Wesen eines Menschen, der nicht weiß, wen er vor sich hat, und vergebens in seinem Gedächtniß wühlt, wie in einer verworrenen Zwirnschachtel nach einem fortlaufenden Faden!«

»Ein echter Frauenvergleich«, spottete Alfred.

»Für eine echte Männerunart.«

»Verzeihe dem armen Professor, Du sagst selbst, daß er am Ziele seiner Wünsche stehe, wie kann er da noch für das gewöhnliche Zusammentreffen mit einem jungen Mädchen Sinn haben?«

»Gewöhnliches Zusammentreffen? Unser Zusammentreffen war nicht gewöhnlich! Im Gegentheil, ganz ungewöhnlich, und deshalb ist es eine doppelte Beleidigung für mich, daß er es vergißt, vergißt, nachdem er mir eine Stunde lang aufs eifrigste den Hof gemacht!«

»Liebes Schwesterchen, wie viel Menschen hast du schon nach einer Stunde vergessen, obgleich sie dir drei Tage lang den Hof gemacht haben! Ich begreife nicht, wie du so unbillig sein kannst.«

Als sie schmollend schwieg, sagte ihr Bruder mit ernsterm Tone: »Was ist es, Katharina, sage mir, was kränkt dich so bei der Vernachlässigung dieses Mannes? Hätte endlich die Stunde meiner stolzen Schwester geschlagen?«

Katharina wurde bleich vor Zorn, ihre Lippen zitterten, nach einer Weile faßte sie sich aber und sagte mit ziemlich ruhiger Stimme: »Ich sehe, nur die volle Wahrheit kann mich bei dir von einem schimpflichen Verdachte retten.«

»Schimpflichen Verdacht!«

»Ja schimpflich. In meinen Augen wenigstens. Nach meinem Begriffe von Jungfrauenehre ist es schimpflich, einen Mann zu lieben, der mich – nicht einmal kennt! Das Geständniß, das ich dir machen will, wird mir übrigens nicht leicht, denn um mich von einer Schmach zu rechtfertigen, muß ich eine Thorheit eingestehen! Du weißt, du sprachst in voriger Woche, gerade ehe ich den Professor Schwandahl traf, mit mir davon, was mich wol bewegen könne, einem Manne meine Freiheit hinzugeben. Du erinnerst dich des Spottes, mit welchem du mich überhäuftest, als ich eine Leidenschaft foderte, und als Beweis dieser Leidenschaft ein Opfer verlangte – ein Opfer, nach dessen Größe ich die Liebe zu mir bemessen könne.«

Alfred lächelte, er hatte seine Schwester verstanden, ehe sie noch gesprochen, aber Katharina fuhr fort, obgleich ihr dies Geständniß offenbar immer schwerer wurde, dennoch drängte es sie zu reden: »Als Schwandahl mir erzählte, daß durch seine Reise nach dem Orient der einzige Wunsch seiner Seele erfüllt sei, durchblitzte mich der Gedanke (bin ich nicht ehrlich, Alfred, dir das zu gestehen?): Wenn mir ein Mann ein solches Opfer brächte, die Erfüllung seines Lebenswunsches aufgäbe, nur weil er mich kennen lernte, und hier bliebe um meinetwillen, das wäre eine Leidenschaft!

Durch diese Ideenverbindung wurde mir Schwandahl interessanter als andere Männer. Verstehe mich recht – nicht weil er mir gefiel, brachten ihn meine Gedanken in Beziehung zu mir selbst, sondern weil es ihm zufällig gegeben wäre, durch ein freiwilliges großes Opfer Etwas zu beweisen, wozu Andern geradezu die Möglichkeit vielleicht fehlt. Außerdem ist er mir aber sehr gleichgültig, und daß ich es ihm auch bin, habe ich heute Morgen gesehen und jetzt – assez, assez! Bist du mit deinem neuen Pferde zufrieden, Alfred?«

Alfred gab ihr keine Antwort. Zu ihrem unaussprechlichen Aerger fixirte er sie nur starr. Aber nicht spöttisch wie gewöhnlich, nein, mit intensivem Ernste weilte sein kluges Auge auf den Zügen seiner einzigen Schwester.

*

4.

Die Abreise des Prinzen Christian nahte heran. In den Gesellschaften sprach man von nichts Anderm und bedauerte sie allgemein, denn Prinz Christian hatte den Ruf eines schönen, lebenslustigen und geistvollen Prinzen. Die jungen Mädchen sagten: Wer wird jetzt noch Anlaß zu Bällen, Schlittenfahrten und Maskeraden geben? Wer wird noch durch einen leichten Scherz die unaussprechliche Monotonie unsers gesellschaftlichen Lebens aufrütteln – es war dem jugendlichen Theile dieser Cirkel zu Muthe, als verlasse sie in dem Prinzen das bewegende Lebensprincip, der einzige Funke, der in der Asche der Gesellschaft schlummerte, der einzige fließende Blutstropfen in dem stagnirenden alten Hofkörper.

Katharina sah ihn gleichgültig ziehen, im Gegentheil, sie freute sich seiner Abreise. Die jungen Damen seiner Umgebung hatten sich ihm stets so dankbar für jede seiner Aufmerksamkeiten gezeigt, daß er keine einzige von ihnen auszeichnete, weil er überzeugt war, alle seien in ihn verliebt, und weil sein Herz sich sträubte, diesem allgemeinen guten Vernehmen durch eine einzelne Huldigung ein Ende zu machen. Katharina nun hatte er behandelt wie alle die andern, das heißt, höflich, aber mit jener Suffisance, die für ein stolzes Gemüth beleidigender ist als Vernachlässigung; sie hatte ihn darauf ebenfalls höflich, aber auch mit derselben Suffisance behandelt, die sie allen jungen Männern ihrer Umgebung angedeihen ließ, weil sie ebenso von ihnen, wie der Prinz von den jungen Damen verwöhnt war. Das hatte Beide auf ewig getrennt – Katharina wurde von dem Prinzen für eine hochmüthige Coquette, der Prinz von ihr für ein eitler Geck gehalten. Aber Keines sprach diese Meinung aus, weil keine von beiden gesellschaftlichen Größen es wagen wollte, die andere offen anzugreifen. Sie mieden sich, wo sie konnten, ohne daß es auffiel, und Niemand als Alfred mit seinen scharfen Augen hatte den eigentlichen Stand der Dinge durchschaut.

Der Prinz wurde außer seiner persönlichen Bedienung nur von drei Personen begleitet, dem Professor, einem jungen talentvollen Arzt, einem Freunde Alfred's, und einem sehr beschränkten Cavalier, denn der Prinz war viel zu eitel, um ohne Noth einen bedeutenden Menschen neben sich zu dulden; bei Schwandahl und dem Arzte sah er in ihrer bürgerlichen Geburt ein hinreichendes Gegengewicht für ihre geistige Bedeutung; aber einen interessanten jungen liefländischen Grafen mitzunehmen, der sich ihm zum Cavalier angeboten, dazu hatte ihn Niemand bewegen können.

Es war zwei Tage vor der Abreise, als Alfred seiner Schwester den jungen Arzt, der zu der Reise in der Stadt eingetroffen, Helfrich hieß er, zum Besuche für den Abend meldete. Es war sein ehemaliger Studiengenosse und ganz genauer Freund, und oft hatte er Katharinen, die ihn nie gesehen, von seinen Eigenthümlichkeiten erzählt, sodaß sie auf seine persönliche Bekanntschaft gespannt war.

Alfred war gegangen ihn zu holen, und Katharina erwartete ihres Bruders Zurückkunft. Es war schon spät, schon halb neun vorüber, endlich wurde die Klingel am Hause gezogen, endlich ließen sich Schritte auf der Treppe vernehmen, aber wie staunte sie, als die Thüre geöffnet wurde und mit einer tiefen Verbeugung – Schwandahl eintrat.

Ihr Bruder, der mit dem Arzte folgte, stellte ihn seiner Mutter mit den Worten vor: »Ich fand Herrn Professor Schwandahl bei meinem Freund Helfrich, und er war so gütig, meiner Einladung hierher zu folgen.«

Katharina's Mutter, eine schöne sanfte Frau, sagte den beiden Fremden einige gleich freundliche Worte, Katharina aber nahm von Schwandahl kaum Notiz und überhäufte Helfrich mit Artigkeit. Schwandahl bemerkte es wol, war aber durchaus nicht empfindlich, im Gegentheil, je auffallender Katharina ihn übersah, desto triumphirender wurde der Ausdruck seines Gesichts. Alfred saß beobachtend da und sprach gegen seine gewöhnliche Weise äußerst wenig. Die Kosten der Unterhaltung wurden beinahe ausschließlich von Doctor Helfrich bestritten.

Das Aeußere des jungen Arztes war so auffallend, daß es wol die Erwähnung verdient. Er war klein, mager und sehr häßlich. Rothe Haare, schlechte Zähne und eine nachlässige gebückte Haltung – kurz es fehlte nichts, um seine Erscheinung unschön zu machen, und dennoch zog er durch den geistigen Ausdruck seiner blaßblauen Augen an – es war, als könne er damit in der Seele eines jeden Menschen lesen. Sein Mangel an Schönheit war heute aber besonders auffallend zwischen Alfred's und Schwandahl's edel geformten classischen Köpfen – doch wie gesagt, Katharina hatte nur Augen für ihn.

Er war vor mehren Jahren in Griechenland gewesen, »zu jener Zeit«, sagte er lachend, »als das bairische Bier durch seinen classischen König auf classischen Boden verpflanzt wurde – Malvasier aus Hopfen und ein hellenischer König – aus einem bairischen Prinzen, sie sind beide nicht gelungen – ich aber als orientalischer Tourist ebenso wenig, denn schon in den ersten Tagen wurde ich in Athen krank und verließ es dicht eingepackt und elend nach einem halben Jahre, ohne die Akropolis gesehen zu haben.«

Katharina lachte. »Und dennoch wollen Sie nach dieser verunglückten Heldenfahrt eine zweite noch tiefer in den Süden wagen?«

»O«, sagte Helfrich verächtlich, »jetzt thut es mir nichts – das Klima schadet mir jetzt nicht mehr.«

»Aber vielleicht bekommen Sie eine andere Krankheit?«

»Auch nicht; als mir durch meine schlechte Gesundheit meine Lebenspläne so durchkreuzt worden waren, studirte ich Medicin und habe es jetzt so weit gebracht, daß ich nicht mehr krank werde. Das ist das Erste im Leben.«

Schwandahl's Mund zuckte spöttisch und er frug: »Darf man wissen, was Sie früher zum Studium erwählt?«

»Eigentlich Allotria – Allotria zum Brotstudium, nämlich Sprachen, die orientalischen Sprachen.«

Schwandahl biß sich auf die Lippen. Hatte Helfrich vergessen, daß das Schwandahl's Fach war oder wollte er ihn absichtlich verletzen?

Katharina wandte sich jetzt zu dem Professor hin und sagte freundlicher: »Nennen Sie das auch Allotria?«

»Gewiß«, entgegnete er scharf. »Der Herr Doctor hat vollkommen Recht; ist nicht Alles Allotria außer seiner Wissenschaft? Kann der beste Jurist, der tüchtigste Forstmann, der geistreichste Mathematiker, von den unnützen Philologen und Archäologen rede ich gar nicht, auch nur einen kranken Hund gesund machen? Und gesund sein ist doch das Erste im Leben, wie der Herr Doctor ganz richtig bemerkt.«

Schwandahl's Absicht mislang, Helfrich war nicht getroffen, er lachte nur und sagte kopfnickend:

»Ja, ja, so ist es. Sie brauchen freilich nicht Medicin zu studiren. Für den Fall, wo Sie einen Doctor brauchen, kann ein Anderer sich das Gedächtniß mit Salben und Latwergen und Mixturen vollpfropfen, während Ihr Geist sich mit Siwa auf grüner Flur ergeht. Ich aber brauche einen Doctor ganz allein für mich, und da ich nicht reich genug bin, mir einen Leibarzt zu halten, muß ich es selbst sein, und kann ihn nur nebenbei an Andere ablassen.«

»Wird Prinz Christian mit dieser momentanen Nebenbeiablassung zufrieden sein?« frug Schwandahl.

»Ein Prinz ist mit Allem zufrieden, was er nicht versteht und was ihn nicht in seinem Vergnügen stört, und das weiß ich mir zu merken – in weiser Resignation, wenn sein unnützes Prinzenleben dabei zu Grunde gehen sollte! Uebrigens wird er gewiß auf der ganzen Reise meiner nicht bedürfen.«

»Auch ich werde Sie nicht übermäßig bemühen«, sagte Schwandahl mit eisiger Höflichkeit; Helfrich aber zuckte die Achseln so impertinent, indem er sagte: »das Klima kann man nicht aus Büchern kennen lernen«, daß Katharina dunkelroth wurde und Alfred kaum das Lachen unterdrücken konnte.

Als die Rede wieder auf den Orient kam, suchte Schwandahl mehre male Helfrich's Kenntnissen auf den Grund zu kommen, er mistraute seinem prahlerischen Wesen. Aber der Doctor bestand glorreich diese Proben und überhaupt verrieth er in seiner Unterhaltung, und wol nicht ohne Absicht, die vielseitigste Bildung, die mannichfachsten Kenntnisse. Als aber Schwandahl zu ihm sagte: »Sie scheinen sehr viel studirt zu haben«, entgegnete er mit seiner gewöhnlichen Unverschämtheit:

»Ich habe meine Zeit benutzt. Ich weiß viel und werde bald noch mehr wissen. Nur an Einem verzweifle ich und wird all mein Studium zu Schanden«, setzte er plötzlich laut lachend hinzu.

»Und was ist das einzig Eine, was Ihrer Weisheit widersteht?«

»Der Charakter der Frauen!«

Katharina lachte laut auf, dann sagte sie: »Wir sind Ihnen unverständlich, weil Sie uns als Ganzes betrachten, weil Sie in doctrinärer männlicher Einschachtelungswuth uns Alle in eine Rubrik stopfen wollen, während wir gar nicht einzutheilen sind. So viel Frauen es gibt, so viel verschiedene Arten. Jede ist anders.«

Helfrich beugte das Haupt, als nehme er dankbar diese Belehrung an, dann sagte er: »Wir Männer werden zu dieser Charakter-Rubrikenliebhaberei desto mehr verleitet, weil wir selbst nur drei Gattungen ausmachen!«

»Wie heißen diese drei Gattungen?«

»Selbstanbeter, Feueranbeter und Götzenanbeter.«

»Und zu welcher Gattung gehöre ich?« frug Alfred.

»Zu den Selbstanbetern.«

»Und ich?« frug Schwandahl.

»Feueranbeter. Das sind alle Gelehrte, alle Künstler, kurz alle Diejenigen, die für die Idee wirken, hingegen Götzendiener alle Diejenigen, die für den Besitz eines materiellen Gutes kämpfen. Die Advocaten, die Kaufleute, in Masse die Beamten, und zu denen gehöre ich selbst; wir haben also hier von allen drei Gattungen eine Species.«

»Ich glaube, Sie selbst gehören zu allen drei«, sagte Katharina.

Helfrich schüttelte den Kopf. »Ich lege zu viel Werth auf Geld, um Feueranbeter sein zu können und zu wenig auf meine Person, um Selbstanbeter sein zu können. Ich finde mich so über alle Begriffe unausstehlich, daß ich gar nicht begreifen kann, wie irgend Jemand mit mir umgehen mag.«

»Ist das Ihr Ernst?« frug Katharina lachend.

»O mein gnädiges Fräulein, so weit geht die Misachtung meiner selbst noch nicht, daß ich einen Scherz über meine eigene Person machte!«

»Dann bewundere ich die naive Ruhe, mit der Sie Ihr ›unausstehliches Selbst‹ der Welt darbringen.«

»Was mich zuweilen kräftigt, ist das Gefühl, daß diese Welt mit wenigen Ausnahmen noch unausstehlicher ist als ich.«

»Das ist eine leichte Art, sich selbst liebenswürdig zu finden«, versetzte der Professor.

»Ich finde mich nicht liebenswürdig«, entgegnete Helfrich, indem er das erste Wort übermäßig betonte.

»Wer findet sich denn selbst liebenswürdig?« frug Katharina schnell, weil sie bemerkte, daß Schwandahl die Röthe ins Gesicht stieg.

»Ich wüßte Niemand, mein Fräulein«, sagte nun Helfrich leicht hin. »Ich mache überhaupt nie Anspielungen – es gibt nichts, was ich mehr verachte. Wer nicht den Muth hat, seinen Spott geradezu auszusprechen, muß wenigstens so viel Selbstbeherrschung haben, sich die Hinterthüre der Anspielungen zu verschließen – das ist Etwas, was ich nur einer Frau gestatte.«

»Großmüthiger Mann«, spottete Katharina, Schwandahl aber nahm ein Buch, das auf dem Tische lag und blätterte darin, und auf seinem feinen ausdrucksvollen Gesicht spiegelte sich nicht Hohn, nicht Spott, aber ein tiefer Widerwille, der dem beobachtenden Alfred nicht entging. Auch Katharina sah das und um diese Stimmung in der Gesellschaft auszulöschen, ging sie an ihr Klavier und zündete ein paar Kerzen an.

»Singen Sie?« frug der Doctor.

»Soll das heißen, ob ich überhaupt singe oder jetzt singen will?«

»Nehmen Sie es auf beiderlei Art und beantworten Sie mir es gnädigst mit einem lauten vernehmlichen Ja!«

»Ich kann mir nicht denken, daß Sie Musik lieben«, sagte Katharina gleichgültig, indem sie ihr Notenbuch auflegte.

»Ich erscheine Ihnen als eine unharmonische Natur, während der Herr Professor den Eindruck macht, als – mache Musik Eindruck auf ihn.« –

Katharina wurde dunkelroth. Die impertinente Aeußerung Helfrich's, deren Sinn, daß sie Schwandahl gewinnen wolle, sie recht gut verstand, überschritt für sie doch das Maß Dessen, was sie übersehen wollte und konnte. Helfrich war auch beinahe erschrocken, als die Aeußerung heraus war, aber er hatte sich heute Abend in das schöne Mädchen verliebt, und in seiner launigen Weise hatte er sogleich eine heftige Eifersucht gegen den Professor gefaßt, weniger weil er ihn von Katharina ausgezeichnet fand, als weil er ein schöner Mann war und ein gewisser Instinct ihm sagte, daß diese melancholische Natur seine giftige Schlangennatur bei jeder Frau ausstechen mußte.

Als Alfred sah, daß seine Schwester im Begriffe stand, seinem vorlauten Freunde die verdiente Zurechtweisung zu ertheilen, gab er ihr einen Wink, es zu unterlassen und sagte rasch: »Singe, Katharina, ich bitte dich, und überlasse mir die Sorge, Helfrich den Kopf zu waschen.«

Der Doctor lachte, Katharina aber setzte sich an den Flügel und, erregt, wie sie war, sang sie mit ihrer schönen Stimme ein spanisches Volkslied.

Es gibt Stimmen, die man nur mit dem Rauschen des Meeres, mit den Tönen der Aeolsharfe, mit dem Gesange der Nachtigal vergleichen kann, kurz nur mit jener Musik, die unmittelbar aus der Brust der Natur entquillt, nicht aber mit irgend Etwas, das der Kunst sein Dasein verdankt.

Katharina's Stimme gehörte zu diesen Zauberinstrumenten; der Zauber, den man abwechselnd Metall, Schmelz oder Klang der Stimme nennt, war bei ihr unaussprechlich stark. Menschen von reizbarem Gefühl konnten sie nicht singen hören ohne tiefe Erschütterung, und ihr selbst kamen die Thränen ins Auge bei ihren schwellenden Tönen, bei ihren ersterbenden Lauten. Oft wenn sie aufstand, zitterten ihre Hände und ihre Brust wogte.

Als sie geendigt hatte, sagte Schwandahl leise: »Sie könnten mit Ihrem Gesange einen Menschen zum Mondsüchtigen machen.«

Helfrich aber schwieg, seine Wangen waren bleich und seine durchsichtige Hand, die aussah, als ob sie einer kränklichen Frau gehöre, schützte die Augen vor dem Lichte oder eigentlich vor den Augen der Uebrigen, denn Alfred bemerkte, wie die Lippen seines Freundes leise zuckten – seine reizbare nervöse Natur war diesen Sirenentönen erlegen. Katharina, die nichts ahnte, trat an den Tisch zurück, Niemand sprach, ihre Mutter, reichte ihr mit einem dankbaren Blicke die Hand.

Endlich sagte Alfred: »Warum sind nur die meisten Volkslieder so melancholisch?«

»Weil alles Schöne melancholisch ist«, antwortete Schwandahl, »und sie eben nur deshalb, weil sie schön und also melancholisch sind, zu Volksliedern geworden sind.«

Helfrich nahm die Hand von den Augen und das Blut schoß ihm wieder etwas in die Wangen, als er mit seinem leisen, doch nicht unangenehmen Organe versetzte: »Ich behaupte das Gegentheil. Alles Schöne ist heiter, Melancholie ist immer eine Krankheit, und wenn mir sie Jemand als Schönheit preist, so macht mir das gerade denselben Eindruck, wie wenn Jemand mir von ›interessanter Blässe‹ redet.«

Der Professor erwiderte eine Weile nichts, dann sagte er scharf: »Das sind Geschmackssachen. Ich liebe melancholische Weisen und gesunde Menschen, Andere lieben einen Walzer und ein Paar blasse Wangen, noch Andere aber«, sagte er kurz, »lieben gar nichts als – Widersprüche und Widerspruch.«

»Und das bin ich«, versetzte Helfrich, indem er sich lang und behaglich in seinem Sessel streckte – »das bin ich. Der Widerspruch, der Tadel, Das, was man in Süddeutschland Nergeln und in Berlin Kritik nennt, ist die eigentliche Würze des Lebens! Habe ich nicht Recht?« frug er Katharina, die ihm lachend zunickte und dann sich in ein langes Gespräch mit Schwandahl verwickelte, während Helfrich ihrer Mutter von einer Somnambule erzählte, die er auf höchst merkwürdige Art curirt habe. Er sprach mit erhobener Stimme, weil er gern Katharina's Aufmerksamkeit gewinnen wollte, aber es half ihm nichts, und er mußte sich mit der einen Zuhörerin begnügen, denn Alfred hatte sich ans Klavier gesetzt und phantasirte über die Melodie:

Du bist wie eine Blume,
So hold und schön und rein!

*

5.

In einem kleinen, ganz mit rothem Damast bekleideten Cabinet saß in einen dunkelblau seidenen Kaftan gehüllt, die griechische Mütze auf dem Kopfe, eine Cigarre im Munde, ein bleicher, schlanker junger Mann. Er war nicht schön, denn Alles, worauf die Schönheit ihren Thron hätte aufschlagen können, überschritt bei ihm das richtige Maß. Sein Gesicht war zu lang, seine Augen zu groß, seine Nase zu sehr gebogen, sein Mund zu klein und seine ganze Figur zu schlank und zu groß. Es war bei ihm wie bei vielen Sprößlingen uralter Fürstenfamilien, die sich von jeder Mesalliance rein erhalten haben; die ursprünglich edle aristokratische Schönheit war nach und nach bei ihren Abkömmlingen mehr oder minder zur Caricatur geworden.

Prinz Christian war aber dennoch immer »eine anziehende Persönlichkeit, eine gewinnende Erscheinung«, ob auch für Jene, die nicht mit seinem Range und seiner Geburt bekannt waren, müssen wir dahingestellt sein lassen.

Der Doctor Helfrich wurde durch den Kammerdiener gemeldet. Wer ihn gestern Abend nur gesehen, würde ihn kaum heute Morgen wieder erkannt haben, so sehr war er verändert. Aber nicht nur der bronzefarbige Phantasierock war mit einem schwarzen Frack, die blaue Binde mit einer steifen weißen Cravatte vertauscht, selbst das Haar war gekürzt und der nachlässig gebeugte Körper hatte eine militärische Haltung bekommen.

Er blieb an der Thüre stehen und verbeugte sich tief, so tief, daß es dem Prinzen selbst auffiel, der aufstehend ihm freundlich entgegenging mit den Worten: »Es ist lange, daß wir uns nicht gesehen haben, Helfrich, seit Bonn, wo ich nichts und Sie so viel gelernt haben, wie man mir versichert. Nehmen Sie Platz.«

Helfrich that es mit einer gewissen Feierlichkeit, über welche sich Alfred, hätte er ihn gesehen, halb todt gelacht hätte, dann sagte er in gemessenem Tone: »Hoheit scherzen, denn was ich gelernt habe, ist nichts gegen Das, was Hoheit wissen. Ob Sie es nun gelernt, errathen oder mit auf die Welt gebracht, ist ziemlich einerlei und mein einseitiges Studium kann nicht in Vergleich kommen mit dem reichen Schatze von Lebensklugheit und Erfahrung, die Sie spielend errungen.«

Der Prinz lächelte geschmeichelt bei diesem plumpen Complimente, denn es war wirklich sein höchster Stolz, für ein Universalgenie zu gelten.

»Wissen Sie, Helfrich, daß ich mich Ihrer sogleich erinnerte, als ich Ihren Namen unter den Bewerbern für die ärztliche Stelle fand und deshalb auch ohne Weiteres allen andern vorzog?«

Helfrich verbeugte sich stillschweigend.

»Ich bin in der Erinnerung Ihrer heitern Studentenstreiche so schnell auf Ihren Antrag eingegangen, daß ich nichts abgewartet, als das Zeugniß des Kanzlers, der Sie einen ›überaus tüchtigen Arzt‹ nennt, und habe ganz vergessen zu fragen, welchem Systeme Sie folgen. Sie sind doch nicht Homöopath?«

Helfrich verneinte durch eine abwehrende Bewegung.

»Ich bin überhaupt gegen alle strenge Befolgung von Systemen.«

»Wie jeder weise Mann«, schaltete Helfrich ein.

»Es kann nie Jedes für Jeden taugen, ebenso sicher, wie Jedes für Einzelne das Beste ist. So wie die Aegyptier, die Babylonier und überhaupt viele Alten ihre Kranken an den Weg setzten, damit sie von Vorübergehenden berathen würden, ebenso sollten die heutigen Aerzte die verschiedenen Methoden als Vorübergehende betrachten und Den anhören, der das Beste für den speciellen Fall räth. Welche bestimmte Methode für einen gewissen Kranken nun die beste ist, das ist Sache des Arztes und darin allein kann er sein Judicium zeigen. Aber darüber bin ich klar, daß jede Natur nur nach Einem Systeme behandelt werden darf, wie z. B. der Mensch, der ein mal mit kaltem Wasser geheilt worden, nie mehr zu einem andern Mittel seine Zuflucht nehmen soll – befolgten nur Alle in seinem ganzen Umfange das von Hippokrates aufgestellte Princip des empirischen Rationalismus!«

Helfrich schloß die Augen, weil er selbst diesen nicht traute – er fürchtete, daß gegen seinen Willen ein Strahl des Spottes, der sein Inneres bei diesem Galliamthias erfüllte, daraus entwischen möchte. Als aber der Prinz schwieg und offenbar eine Aeußerung von ihm erwartete, frug er langsam:

»Und mit welchem Systeme haben sich denn Eure Hoheit für Ihre eigene Person unauflöslich vermählt?«

Der Prinz zauderte einen Augenblick, ehe er antwortete, indem er etwas mistrauisch nach dem Doctor blickte; aber ganz beruhigt versetzte er nach einer Weile: »Diese Vermählung sollen eben Sie vollziehen, Sie sollen durch tägliche Beobachtung entdecken, was mir am heilsamsten ist – ich habe selbst bisher noch keine Zeit gehabt, auf meinen Körper zu achten – ich hatte was Besseres zu thun.«

Die echt aristokratische Unbefangenheit, mit welcher Prinz Christian dem Doctor auftrug, Etwas zu thun, woran ihn »Besseres verhindert«, trieb diesem das Blut ins Gesicht, er war noch nicht genug Hofmann, um so etwas ganz natürlich, ja, wie der Prinz selbst gewiß es meinte, ehrenvoll zu finden. Aber er faßte sich und sagte: »Die beste Cur ist eine einfache Diät.«

»Einfach? Ja wohl, Einfachheit in Allem. Sie glauben nicht, lieber Doctor, wie ich das Einfache liebe, nur dabei läßt Geschmack sich bethätigen. Jeder Luxus ist eine Krankheit.«

Helfrich konnte sich doch nicht enthalten, zu sagen: »Es kommt darauf an, was man unter Luxus versteht.«

»Was glauben Sie denn, daß ich darunter verstehe?« frug lächelnd der Prinz.

»Sie treiben schon einen Luxus, der zu den größten gehört, den Luxus einer vielseitigen Bildung.«

»Und begehen Sie nicht denselben Fehler, lieber Doctor?«

Helfrich zuckte die Achseln. »Leider, mein Fürst! Wenn jeder Doctor nichts verstände, als Medicin, jeder Rechtsgelehrte nichts als Jurisprudenz, jeder Arbeiter nur sein Handwerk: welche bewundernswürdige Ordnung würde dann in der Welt herrschen! Man überließe dann einzig den Diplomaten die Politik, den Ministern das Regieren – eine Revolution wäre unmöglich!«

Prinz Christian sah Helfrich von neuem mistrauisch an, als dieser ihm aber voll in die Augen blickte, unterdrückte er seinen Verdacht und sagte lächelnd: »Und welches Metier sollen dann die regierenden Fürsten ausschließlich üben?«

»Die Kritik alles Dessen, was vorgeht. Sie sehen, Hoheit, ich halte mich auf streng loyalem Boden. Der König ist der Einzige, der das Recht hat, die Maßregeln seiner Beamten und seiner Unterthanen zu tadeln, also übe er es allein.«

Der Prinz lachte laut auf. »Sie sind royalistischer als der König! Eine göttliche Idee, die einzige Opposition der regierende Fürst!«

»Ist das nicht das Ideal eines absoluten Staates?« frug Helfrich unverschämt naiv.

Ehe ihm der Prinz antworten konnte, trat der Kammerdiener ein und meldete Professor Schwandahl.

Als Schwandahl den Doctor erblickte, flog eine Wolke über sein Gesicht. Der Prinz empfing ihn mit den Worten:

»Wußten Sie schon, lieber Professor, daß Doctor Helfrich ultra-conservativ ist?«

»Nein, Hoheit«, sagte Schwandahl kalt. »Ein Büchermann weiß ohnedem nicht viel von der Meinung lebendiger Menschen.«

»Sie haben sehr Recht, lieber Professor; diese Meinung ist auch heutzutage etwas sehr Wechselndes und wenn der Doctor Helfrich eine historische Person geworden ist, hat er vielleicht ein ganz anderes Glaubensbekenntniß.«

»Die Reise, die Eure Hoheit mir bis China auszudehnen halb und halb versprochen, kann meine conservativen Grundsätze nur befestigen.«

Als Helfrich diese Phrase entschlüpft, war er erschrocken, er fürchtete, sie sei zu stark und der Prinz und Schwandahl würden die Ironie daraus merken, was ihm durchaus unerwünscht gewesen wäre; aber er hätte ruhig sein können, wenn er bedacht, daß seine beiden Zuhörer ein Prinz und ein Gelehrter waren und also mit geringer Menschenkenntniß begabt. Schwandahl war nur mistrauisch bei historischen Thatsachen, und seine frische Seele hatte in ihrer steten ernsten Beschäftigung keine Muße gefunden, für Ironie oder Spott ein Verständniß zu erlangen.

Er warf auf Helfrich einen unaussprechlich verachtenden Blick. Dieser Mann, der gestern noch so freisinnig sich geäußert, war heute im Cabinet des Prinzen so ganz anders!

»Wissen Sie, meine Herren«, sagte Prinz Christian heiter, »daß wir schon übermorgen abgehen werden?«

Helfrich war unangenehm von dieser Ankündigung einer so schnellen Abreise berührt, aber er sagte nichts und verbeugte sich nur, Schwandahl hingegen kämpfte offenbar mit einem großen Entschlusse, der plötzlich m folgende Worte ausbrach: »Halten zu Gnaden, Hoheit, übermorgen kann ich noch nicht mitgehen.«

Offenbar beleidigt fuhr der Prinz auf. »Sie können nicht, nachdem Sie seit zwei Monaten sich haben vorbereiten können? Was soll das heißen?«

Schwandahl war etwas blaß als er antwortete: »Ich bitte einstweilen nur um einen Aufschub für mich – Familienangelegenheiten – meiner Mutter Gesundheit – erlauben mir nicht, jetzt zu gehen.«

»Wann wollen Sie mir denn nachfolgen?« frug verdrießlich der Prinz.

»Nachfolgen?« das hatte Schwandahl nicht erwartet. Er hoffte, daß der Prinz von seiner Weigerung so beleidigt sein werde, daß er ihn auf der Stelle freigebe.

»Nun so antworten Sie doch, Herr Professor, wann wollen Sie mir nachfolgen, ich bleibe vier Wochen in Venedig?«

»Ich werde mir erlauben, Hoheit zu benachrichtigen, sobald ich die Stadt verlassen kann. Doctor Helfrich kann solange auch meine Stelle vollkommen bei Eurer Hoheit ausfüllen. Er ist Orientalist, Botaniker, Physiker, Chemiker und noch mehr, wozu ich gar kein Talent habe.«

Der Prinz begann zu merken, woran ihn anfangs seine souveräne Eitelkeit verhindert, daß nämlich Schwandahl die Lust zur Reise mit ihm verloren habe und sagte eiskalt: »Vortrefflich, Herr Professor, geniren Sie sich also durchaus nicht, Doctor Helfrich wird Sie vollkommen ersetzen können, auch wenn Sie gar nicht sollten Muße finden, mir später zu folgen.«

»Ich danke Hoheit unterthänigst für die mir so gnädig gewährte Freiheit«, sagte Schwandahl mit einer tiefen Verbeugung, und den leichten Gruß des Prinzen mehrmals ehrerbietigst erwidernd, zog er sich zurück.

Der Prinz sprach, als er draußen war, kein Wort von ihm mit Helfrich, war aber sichtbar verstimmt und verabschiedete für heute auch bald seinen neuen Leibarzt.

Helfrich hatte seine Beurlaubung kaum erwarten können. Mit einer Eile, die selbst für die Livréebedienten des Prinzen etwas Auffallendes hatte, stürmte er die Treppen hinab und wäre beinahe gestürzt, indem fein Fuß im raschen Laufe in den über die Marmorstufen gespannten Teppichen sich fing. Er suchte Alfred in seiner Wohnung auf und als er ihn da nicht fand, stürmte er auf das Regierungsgebäude, wo sein Freund gerade arbeitete. Wie war Alfred erstaunt, den bequemen Freund so erhitzt und athemlos zu sehen, und wie staunte er noch mehr, als er die Ursache dieser Eile erfuhr!

Was Helfrich ihm Alles mittheilte, werden wir später erfahren, für jetzt genügt uns zu wissen, daß er von ihm verlangte, er solle in seinen Angelegenheiten augenblicklich zu Professor Schwandahl gehen, was jener auch besonders bereitwillig that. Diesmal war der kluge Doctor mit aller seiner Menschenkenntniß aber dennoch der Betrogene – er hätte für diese Angelegenheit keinen schlimmern Unterhändler wählen können, als Alfred Leythen.

Am Abend desselben Tages war wieder eine kleine Gesellschaft bei Katharina's Mutter versammelt und Helfrich und Schwandahl waren zugegen. Einige Gäste verwunderten sich über die Feierlichkeit, womit die beiden künftigen Reisegefährten sich begrüßten und die Hand schüttelten. Niemand außer Alfred ahnte etwas von Schwandahl's Zurücktreten. Daß er kurz abbrach, wenn man mit ihm von seiner Reife sprach, fiel Niemand auf, wol aber die besondere Aufmerksamkeit, welche Katharina für ihn an den Tag legte. Wir können es nicht über das Herz bringen, unsern Lesern die nöthigen Aufklärungen über die Ursache dieses zuvorkommenden Benehmens zu verschweigen.

Alfred war am Nachmittag zu ihr gekommen und hatte ihr erzählt, daß er bei einem Morgenbesuche bei dem Professor die Entdeckung gemacht habe, daß dieser sterblich in sie verliebt sei. »Er hat mich ja vorgestern nicht erkannt«, hatte sie darauf erwidert, Alfred aber hatte ihr versichert, mit diesem Nichtkennen habe es eine ganz eigene Bewandtniß und sie würde sich ihres Unrechts gegen Schwandahl, der Unfreundlichkeit, mit der sie ihn anfangs am gestrigen Abend behandelt, schämen, wenn sie wisse, welche Ungerechtigkeit sie begangen. Als seine Schwester in ihn drang, sich deutlicher zu erklären, schützte er sein gegebenes Wort, zu schweigen, vor; es war weiter nichts aus ihm herauszubringen.

Als nun Schwandahl blaß und verdrießlich aussehend am Abend bei ihr eintrat, bemühte sie sich förmlich, die Wolken auf seiner Stirn zu zerstreuen, in ihrem ganzen Leben war sie einem Manne nicht auf diese Weise entgegen gekommen. Es gelang auch dem schönen, anmuthigen Mädchen bald, die düstern Blicke des jungen Professors aufzuhellen.

Helfrich hielt sich an diesem Abende fern von ihr und dem Professor. Er schien Schwandahl's abgelegte düstere Laune anzunehmen, je weiter der Abend vorrückte, und Alfred konnte nicht ohne eine gewisse Schadenfreude den sonst so übermüthigen, spottenden, satirisirenden Freund an seinen Nageln kauend in einer Ecke sitzen sehen.

Katharina sang auch heute wieder. Schwandahl stand neben ihr und wendete die Blätter um.

Als sie geendigt, frug sie: »Und musikalisch sind Sie auch?«

»Keine Note«, lachte er heiter, »ich konnte mich nur bei dem Umwenden der Blätter nach dem Texte des Gesanges richten.«

»Da werden Ihnen Noten zu lernen wol ebenso schwer werden, wie mir Sanskrit.«

»Es käme auf einen Versuch an, ich erbiete mich zum Lehrer bei Ihnen, wobei ich gewiß eher mit Ihnen concurriren kann, denn als Schüler.«

»Welche Phrasen sind das! Sie bieten mir an, mich Sanskrit zu lehren, währenddem Sie wissen, daß Sie übermorgen nach Japan oder China gehen!«

»Wer weiß«, sagte Schwandahl, und sah ihr mit einem ganz besondern Ausdruck in die Augen.

Katharina wurde dunkelroth, ihr Herz klopfte hörbar. Sollte es möglich sein? Hatte ihr Bruder wirklich Recht? War er in sie verliebt? verliebt bis zu dem Grade, um ihretwillen diese ersehnte Reise aufzugeben?

Sie hatte ganz und gar alle Fassung verloren. Diese beiden Wörtchen »wer weiß« hatten ihr ganzes Innere durcheinander geworfen. Sie wagte nicht mehr, ihn anzublicken, und sah deshalb nicht sein freudiges Erstaunen bei ihrer Gemüthsbewegung. Trotz seines Mangels an Menschenkenntniß, war ihm dies nicht entgangen.

Katharina sang und spielte, als schon alle Gäste sich entfernt hatten. Sie improvisirte dazu die Worte und die Melodie – ein süßes Lied aber, das sie erst heute gelernt, sang sie nicht, nur den Refrain dieses Liedes sprach sie leise aus, als sie ihr Licht gelöscht, er hieß: Wer weiß!

*

6.

Es gab eigentlich keine zwei verschiedenern Naturen als Schwandahl und Katharina. Sie hatte bei einer Existenz, die sich fortwährend in der Gesellschaft, auf Reisen und in der großen Welt bewegte, dennoch nur rein innerliche Phantasieinteressen gehabt. Sie hatte geträumt, Romane combinirt, worin sie selbst mitspielte, sich mit dem Schicksal ihrer Freunde beschäftigt, aber Grübeleien über Dinge der Gefühle und der Empfindungen waren ihr das Liebste gewesen.

An so Etwas hatte Schwandahl nie gedacht. Obgleich mit viel poetischem und Schönheitsgefühl begabt, hatte dennoch bisher das Historische und Positive eigentlich allein einen wirklichen Werth für ihn gehabt.

Auf sich selbst, seine Neigungen, seine Sympathien hatte er nie geachtet. Er wußte weniger von sich selbst als seine entferntesten Bekannten. Hatte ihn eine Persönlichkeit angezogen, so hatte er sich unbewußt diesem Hange hingegeben, der aber bisher nie so mächtig bei ihm gewesen war, daß er irgend einen Menschen eigentlich aufgesucht hatte, wenn es nicht um einer Belehrung willen geschah.

Seine Mutter war die einzige Person, zu der er sich täglich ohne einen bestimmten Zweck begab. Das geschah nicht aus Pflicht, sondern weil sie ihn darum ausdrücklich bat, und er erfüllte diese Bitte gern, denn er fühlte sich am wohlsten bei ihr. Wenn sie mit ihm von seiner künftigen Frau sprach, hatte er einfach ihren Reden, mit den Worten ein Ende gemacht: Findest du eine, die dir gleich ist, so werbe sie mir, aber dann immer hinzugesetzt: doch das hat noch lange Zeit. Da er aber täglich seine Abende bei seiner Mutter zubrachte und diese einen Kreis von gebildeten Frauen um sich zu versammeln pflegte, so hatte er eine anmuthige und ungezwungene Art, mit Frauen umzugehen, von seiner Kindheit in sein ernstes Gelehrtenleben mit herübergenommen. Das hatte auch seine Mutter beabsichtigt, sie, die so oft zu ihm gesagt: Bei euch sieht man recht die Wahrheit des französischen Sprichworts: Les extrêmes so touchent, denn die höchste Blüte der Civilisation ist doch die Gelehrsamkeit und es gibt Niemand, der einem Wilden näher kommt, als ein echter Gelehrter. Davor, daß er nicht verwildere, suchte sie ihn nun zu bewahren. Nie duldete sie, daß er am Abend ein wissenschaftliches Buch zur Hand nahm. Um ihn der geselligen Form zu erhalten, um ihn zu zwingen, täglich mehre male auszugehen, hatte sie auch, als er von der Universität zurückkam, ihn eine besondere Wohnung beziehen lassen.

»Einer Hausfrau bedarf er nicht«, sagte sie lächelnd zu ihren Freunden, die sich ob dieser Einrichtung verwunderten, »er ist häuslich genug, er bedarf einer Gesellschafterin und zwar einer solchen, die ihn wieder der Gesellschaft zuführt – seine Frau würde die entgegengesetzte Aufgabe anderer Frauen haben: statt ihn ans Haus zu fesseln, müßte sie ihn daraus hervorlocken oder doch in sein eigenes Haus ein Stück der Außenwelt durch Geselligkeit und heitern Umgang verpflanzen.« Es war schade, daß sie Katharina nicht kannte, dadurch, daß sie nur bei sich empfing und nie ausging, war sie mit dem lebhaften jungen Mädchen nicht zusammengetroffen, und bedauerte es doppelt, als ihr Sohn ihr von dieser Bekanntschaft erzählte und sie ihr mit einer Lebhaftigkeit schilderte, wie er es bisher nie von einem weiblichen Wesen gethan. Das geschah an demselben Morgen, an welchem er seiner Mutter mittheilte, daß er die Reise mit dem Prinzen aufgegeben habe. Es war am Tage, nachdem er bei diesem gewesen und den Abend bei Katharina's Mutter zugebracht hatte.

»So glücklich mich dein Hierbleiben macht, Arthur«, sagte seine Mutter sehr erfreut, »so möchte ich doch wissen, um welcher Ursache willen mein Sohn dem liebsten Wunsche seines jungen Lebens entsagt?«

»Wenn ich dir nun sagte, Mutter, ich sei um deinetwillen hier geblieben?«

»So würde ich das nicht glauben, mein theurer Arthur!«

Schwandahl schwieg und lächelte. Dann sagte er kurz, aber freundlich: »Frage nicht weiter, Mutter, denn ich schäme mich, dir die Ursache meines veränderten Entschlusses mitzutheilen, ich fühle selbst, daß es eine Schwäche von mir war – eine Schwäche, ob welcher mich gewiß dein Spott nicht verschonen würde.«

Und als Arthur ihr darauf von Katharina erzählte, frug seine Mutter nicht mehr, und bedauerte nur im Stillen, daß ihr Sohn Das eine Schwäche nenne, was sie für das beste Gefühl des menschlichen Herzens erkannte.

Hatte bei des Professors Mutter die Kunde von seinem veränderten Entschlusse solche Freude und solche Auslegungen erweckt, was fühlte erst Katharina, als ihr Bruder es ihr ungefähr um dieselbe Zeit mittheilte!

Solch einen Triumph hatte sie, die gefeierte Schönheit, bisher noch nie empfunden, denn daß Schwandahl blos um ihretwillen dableibe, konnte sie nach den Reden ihres Bruders keinen Augenblick bezweifeln. Alfred versicherte sie, als Schwandahl ihm selbst an diesem Morgen mitgetheilt, daß er der Reise entsage, und er ihn um die Ursache befragt, habe er eine so eigenthümliche Antwort bekommen, daß es ihm unmöglich sei, nicht daraus auf eine heftige Neigung für Katharina zu schließen. Eine Schwester würde diese nach jedem Worte Schwandahl's gefragt haben, ihrem Bruder gegenüber war sie zu stolz, so viel Neugierde zu verrathen – aber sie glaubte ihm und beschloß, die Leidenschaft des Professors zu belohnen.

*

7.

Es war ein paar Tage später, Prinz Christian war mit dem Doctor längst abgereist, als Schwandahl wieder mit Alfred einen Besuch in Katharina's Hause machte.

Sie empfing ihn mit solcher Gemüthsbewegung, daß es sogar seiner Harmlosigkeit auffiel. Sie hatte sich vorgenommen, besonders freundlich und zuvorkommend, dankbar für seine Liebe ihn zu empfangen, aber nicht bedacht, daß sie sich während dieser Zeit selbst in ihn verliebt, und war deshalb nur – befangen. Sie vermochte kaum ihn anzusehen, ihre Hand zitterte, als sie sie ihm zur Begrüßung bot, und ihr sonst so beredter Mund versuchte sich kaum in ein paar leisen Worten. Es war ein Glück, daß Arthur die Ursache ihrer Zurückhaltung errieth; war es Sympathie oder hatte ihm Alfred auch auf die Spur geholfen? Genug er durchschaute Katharina und war unaussprechlich beglückt; die Ueberzeugung, daß dieses schöne begabte Mädchen ihn liebe, hob ihn wie auf Schwingen aus all den Banden, in denen er sich bisher bewegt. Er war an diesem Abende von einer so brillanten geistsprühenden Lebhaftigkeit, von einer solchen Genialität, daß Katharina unfehlbar sich in ihn verliebt haben würde, wenn das nicht schon der Fall gewesen wäre. Alfred, den sie bisher klüger und vielseitiger gebildet als alle ihre übrigen Bekannten gefunden hatte, erschien ihr neben Schwandahl als ein ganz gewöhnlicher Mensch und selbst ihre Mutter sagte, als Schwandahl weggegangen war: Ich habe in meinem ganzen Leben keinen liebenswürdigern Mann kennen gelernt! Katharina kam sich vor wie eine Königin, weil sie das größte Reich, das edle, tieffühlende Herz des besten Menschen ihr eigen nennen konnte!

Das Verhältniß der beiden jungen Leute kam nun bald in das für die Unbetheiligten so komische und für die Betheiligten so tragische Stadium, wo der Liebhaber täglich in das Haus seiner Angebeteten mit dem festen Vorsatze, sich ihr zu erklären, geht, und jeden Abend, ohne es gethan zu haben, verzweifelnd nach Hause kommt. Katharina's Mutter ermüdete diese Spannung, Alfred langweilte und Katharina marterte sie. Katharina wurde blaß und mager bei dieser Aufregung, für die sie durchaus nicht geschaffen war, denn wie alle lebhaften Menschen war sie innerlich ruhig und bedurfte der Ruhe, um ihre Gemüthsharmonie nicht einzubüßen.

Der Professor litt nicht minder, als sie. War er von ihr fern, so zählte er die kleinen Zeichen ihrer Liebe auf und schwelgte in der Ueberzeugung, von ihr geliebt zu sein. War er bei ihr, so schien es ihm unbegreiflich, daß dieses schöne anmuthige Geschöpf an ihm, dem schlichten Büchermenschen, wie er sich nannte, einen Gefallen finden könne. Alfred um seinen Rath und seine Meinung zu befragen, verschmähte er, weil er durchaus keine Sympathie für den Bruder seiner Geliebten fühlte. Er war ihm eine viel zu moderne Natur und er traute ihm noch viel weniger geistige und wissenschaftliche Interessen zu, als Alfred wirklich besaß, woran dieser aber selbst schuld war, denn er affectirte, um Schwandahl bei dem oft gespannten und peinlichen Zusammensein zu necken und zu reizen, noch mehr den Löwen, als er wirklich war. Es gewährte ihm ein kindisches Vergnügen, des Professors gelangweilte Miene zu sehen, wenn er von Damentoiletten, Zimmereinrichtungen, Equipagen und französischer Kochkunst sprach – es war eine Rache, die er an ihm für sein »langweiliges Anschmachten Katharina's« nahm.

So quälte denn Eins das Andere, ohne Aussicht auf eine glückliche Lösung – die nur allein ein Zufall hätte bringen können, weil aber Alle auf einen Zufall rechneten, vernichteten sie ihn, ehe er eintrat.

Da wurde Schwandahl als ordentlicher Professor nach B. berufen und zwar mit ganz kurzer Frist, da die Ferien schon beinahe verflossen und er schon mit dem Beginnen des neuen Semesters seine Vorlesungen anfangen sollte.

Als Katharina es von ihm hörte, freute sie sich, denn sie dachte: Das bringt eine Entscheidung! Seine Mutter, deren Geduld auch jetzt zu Ende war und die ein längeres Schweigen nicht mehr ertragen hätte, dachte Dasselbe und ließ ihn jetzt gewähren. Die letzten Tage kam er am Abend eine Stunde früher in Katharina's Haus und ging eine Stunde später, oft schlug es schon Mitternacht, wenn er in sein stilles Zimmer kam – aber es war Alles vergebens – er brachte nichts über die Lippen.

Einmal fand er sogar Heldenmuth genug in sich, als er sie bei seinem Eintritt allein im Zimmer fand, um zu sagen: »Ich komme heute so früh, weil ich Sie allein zu finden hoffte.« Hätte sie nun gefragt: »Weshalb?« so hätte er vielleicht den Muth besessen, sich zu erklären, da sie das aber nicht that, sondern nur die Augen niederschlug und mit zitternder Stimme hastig frug: »Wie befindet sich Ihre Frau Mutter?« so sagte er: »Ich danke Ihnen, wohl!« und dabei blieb es für heute.

Mit seinen Blicken war er nicht so schüchtern, da hatte er ihr schon hundert mal gesagt, wessen sein Mund sich weigerte, und sie – beinahe, ja vielleicht – wenn sie es nicht übel nimmt, ganz Dasselbe.

Endlich kam der Tag der Abreise. Um 12 Uhr Mittags sollte er mit der Eisenbahn abgehen, um 11 Uhr nahm er von seiner Mutter Abschied, die an der Thüre mit leiser Stimme zu ihm sagte: »Ich hoffte, du würdest mir für den weggehenden Sohn einstweilen eine Tochter hier lassen?« Er wurde roth, dann blaß und flüsterte ebenso leise: »Ich gehe jetzt zu ihr!«

Seine Mutter sagte nun nichts mehr, aber in ihrer freudigen Umarmung, die Arthur stürmisch erwiderte, lag der beste Segen.

Katharina stand mitten im Zimmer, ihre Mutter saß auf dem Sopha, als er eintrat, mit einer alten Dame, die sogleich aufstand und von Katharina's Mutter in das Vorzimmer begleitet wurde.

Diesen Augenblick benutzte Schwandahl, um Katharina die Hand zu küssen – er würde vielleicht jetzt auch gesprochen haben, aber ihre Mutter trat wieder ein und mit den stotternden Worten: »Es ist die höchste Zeit, ich muß fort! Leben Sie wohl, meine Damen, erhalten Sie mir Ihr gnädiges Andenken« – empfahl er sich mit einer tiefen Verbeugung.

Katharina kam nicht zu Tische, sie hatte sich in ihr Zimmer eingeschlossen und weinte; das stolze Mädchen fühlte sich tief gedemüthigt.

Um 3 Uhr klopfte es an ihre Thüre. »Mache auf, mein Kind. Ein Brief von Schwandahl«, rief die Stimme ihrer Mutter.

Und nachdem Katharina aufgeflogen, geöffnet und das Papier aufgerissen, las sie Folgendes:

Liebes gnädiges Fräulein!

Ich bin auf der ersten Station ausgestiegen, um Ihnen zu schreiben, was ich zu sagen nicht den Muth hatte und worüber von Ihnen eine Antwort zu vernehmen doch Lebensbedingung bei mir geworden.

Ich hätte Ihnen schon längst schreiben sollen, da mir die Angst immer den Mund verschloß; aber mir bangte vor einer abschlägigen Antwort schwarz auf weiß. Ich wollte lieber den Korb von Ihrem rosigen Munde selbst empfangen. Den Korb! Merken Sie nun, was ich will – aber keinen Korb, um Gotteswillen keinen Korb! Ich habe Ihnen nichts zu bieten, nicht einmal mehr mich selbst, denn ich habe mich schon längst ganz und gar an Sie verloren – stellen Sie die Bedingungen meines höchsten Glücks, mögen sie auch noch so hart und schwer sein, nur keinen Korb!

Also seien Sie dem armen bürgerlichen Professor gegenüber wirklich ein gnädiges Fräulein und schicken Sie mir eine gnädige Antwort!

Ihren Boten, wählen Sie dazu Ihren alten treuen Diener, erwarte ich bis nach Ankunft des letzten Zuges hier im Gasthofe zum Lamm.

Sie verglichen mich einst im Scherz mit Nal – gleichen Sie jetzt an Huld Damajanti, wie Sie ihr in allem Uebrigen gleichen, und seien Sie gnädig

Station Heiligenthal.

Ihrem allerergebensten
Arthur Schwandahl.

»Wo steckt ihr denn Alle heute?« rief Alfred's Stimme, und einen Augenblick darauf trat er ein; – Katharina saß weinend auf ihrem Bette, die Mutter reichte ihm den Brief – aber Alfred, als er ihn gelesen, lachte laut auf.

»Verrücktes Volk, die Verliebten! Ist sonst ein ganz tüchtiger Mann und was ist das für ein jammervoller Brief!«

Katharina's Thränen trocknete schnell der Zorn.

»Verderbe mir nicht den besten Tag meines Lebens durch deinen herzlosen unzeitigen Spott«, sagte sie gereizt, indem sie ihm das Blatt nahm.

Aber Alfred ließ sich nicht irre machen, er lachte immerfort. Als er sich etwas gefaßt, sagte er endlich: »Sei nicht böse, Schwesterchen. Ich will dich versöhnen und ihm deine ›sehr gnädige‹ Antwort selbst bringen. Schreibe jetzt mit einer Weisheit und einem Stile, die denen deines Freiers nichts nachgeben, einige Zeilen, und ich eile damit zum Bahnhofe, in einer Viertelstunde geht ein Zug ab und ich bringe ihn dir dann noch heute Abend mit.«

»Ich will dich nicht zum Boten«, sagte Katharina noch immer böse, »Andreas soll ihm meine Antwort bringen, wie er es wünscht.«

»Andreas ist in den Garten vor die Stadt gegangen, um Obst zu holen«, sagte Frau von Leythen, und wenn du wartest, bis er zurückkommt, kann Schwandahl heute Abend nicht mehr hier sein.«

Was blieb Katharina übrig? Sie flog zum Schreibtisch, Alfred sah, daß sie nur zwei Zeilen schrieb, aber: »Wie viel können zwei Zeilen enthalten!« sagte er ironisch, indem er den Brief in die Brusttasche steckte und dann sich schnell verabschiedete.

Katharinas Anzug war durch ihren Verzweiflungsanfall ganz in Unordnung gerathen, sie eilte jetzt zum Spiegel, um sich zu schmücken zum Empfange des – Bräutigams!

»Schade, daß es ein so garstiges Wort ist«, sagte sie plötzlich in Lachen ausbrechend!

Es war, als hätte die Zeit bleierne Flügel! Stunde um Stunde verrann langsamer als je! Endlich, endlich schlug es 8, ein Viertel nach 8 konnten sie da sein.

Katharina hatte keinen Athem mehr, sie ging mit raschen Schritten im Zimmer und doch waren die Glieder ihr so schwer und ihre Knie zitterten, aber sie konnte nicht ruhen, nicht sitzen!

»Du wirst sehen, Mutter«, sagte sie plötzlich, »es ist ihm irgend ein Unglück zugestoßen – ich ahne, daß ich heute Abend nicht glücklich an seiner Seite hier sitzen werde!«

Die Mutter lachte.

Da hörte man fern einen Wagen rollen; wie oft an diesem Nachmittage hatte Katharina auf dieses Geräusch schon gehorcht! Der Wagen hielt vor dem Hause, Katharina setzte sich jetzt nieder, aber ihre Mutter erschrak vor ihrem blassen Gesicht.

Man hörte Schritte, aber nicht rasch – endlich öffnete sich die Thüre und Alfred trat allein ein.

»Was ist, was ist geschehen?«

»Das sind schöne Geschichten! Denke dir, er ist doch nach B. abgereist und zwar mit demselben Zuge, mit welchem ich gekommen bin!

Ja, seht euch nur verwundert an, so ist es. Ich blieb, als ich ausgestiegen war, noch einen Augenblick im Gespräche mit einem Bekannten am Bahnhofe stehen, und es gab einen ziemlich langen Aufenthalt, ehe der Zug weiter ging, da einige Waggons für eine Menge neu hinzugekommener Passagiere angehängt werden mußten. Und als der Zug endlich langsam an mir vorüber defilirte, wen glaubst du, daß meine scharfen Augen eben in einem jener letzten Waggons erster Classe in einer Ecke entdeckten – deinen Professor!«

Katharina gab keine Antwort. Ihre Mutter aber sagte entrüstet: »Er hat uns zum besten oder er ist wahnsinnig geworden!«

»Ich ging nun doch in den Gasthof«, fuhr Alfred fort, »denn ich dachte, ich könnte mich geirrt haben – aber nein, richtig, der Herr Professor war vor einer halben Stunde nach dem Bahnhofe gegangen und die Wirthin hatte ihm noch den Regenschirm aufgenöthigt, weil es etwas regnete und er vorgab: Jemand abholen zu wollen!

»Die arme Frau habe ich wegen ihres Regenschirms trösten müssen – und dich soll ich nun wegen deines Bräutigams trösten, der entschieden nicht von ›bestem Stoff‹ ist, wie es nach der Versicherung der Frau bei dem Schirme der Fall war.«

Katharina sagte nichts, selbst ihres Bruders spöttische Bemerkungen, die dieser doch nur in der Absicht, sie aus ihrer Lethargie zu wecken, geäußert, vermochten nicht, ihr den Mund zu öffnen. Der schnelle Sturz vom Gipfel ihres Glücks und ihrer Freude hatte sie ganz und gar betäubt, sie rührte und regte sich nicht.

Ihre Mutter, der ihr bleiches Schweigen beunruhigend vorkam, sagte endlich: »Da du vor einigen Tagen die Bekanntschaft der Geheimräthin Schwandahl gemacht hast, solltest du zu Arthur's Mutter gehen, Katharina! Nimm seinen Brief mit und vertraue ihr Alles, sie kennt ihn ja doch am besten!«

Das half – sie konnte doch nun wenigstens dies Zimmer, dies Haus, dessen Wände sie erdrückten, auf einige Stunden verlassen.

»Alfred, willst du mich begleiten? Aber du darfst nicht mit hinaufgehen, ich will die alte Dame allein sprechen.«

Alfred ließ ihr Hut und Shawl bringen, er gab ihr den Arm, er führte sie durch mehre Straßen, er brachte sie bis an das Haus der Mutter Arthur's, ohne daß sie ein Wort zu ihm gesagt hätte. Glücklicherweise war die alte Dame allein. Auch sie war in ängstlicher Spannung und hatte deshalb alle Besuche zurückweisen lassen. Als ihr Sohn mit den Worten: »Ich gehe zu ihr«, von ihr schied, hatte sie natürlich erwartet, ihn in einigen Stunden am Arme Katharina's wiederzusehen. Dann, als sie an seiner Abreise nicht zweifeln konnte, hatte sie wieder lange auf Katharina, allein vergebens, gewartet. »Endlich, endlich«, sagte sie ihr entgegentretend. Als aber das Fräulein ihr den Brief ihres Sohnes zu lesen gab und dann erzählte, wie er vor ihrem Boten förmlich entflohen, stutzte auch sie vor Ueberraschung.

Nach einer kleinen Pause aber lächelte sie und sagte heiter: »Er hat Sie eben zu lieb – und deshalb ist er so ängstlich! Wahrscheinlich fürchtete er nun dennoch eine abschlägige Antwort und wollte vor dieser entfliehen. Das wird es sein. Das Schlimmste ist, daß wir vor drei Tagen, wenn er wirklich nach B. gereist ist, keine Antwort von ihm erwarten können.«

Als Katharina nach Hause kam, war sie auch beruhigter. Arthur's Mutter hatte einen Theil ihrer Zuversicht auf sie übergetragen. Sie wartete ziemlich geduldig bis zum dritten Tage, wo wirklich ein Brief von Schwandahl an sie ankam. Er hieß:

»Was werden Sie von mir denken? Ich bin entflohen vor Ihrem Boten. O Gott, wenn ich vor meinem Glücke geflohen wäre? Aber das ist nicht möglich! Als ich in Heiligenthal vom Fenster des Wartezimmers aus Ihren Bruder aussteigen sah, zweifelte ich keinen Augenblick mehr an meinem Unglücke! Eine günstige Antwort würden Sie mir, wie ich bat, mit ein paar Zeilen durch Ihren Diener gesendet haben. Aber die ungünstige sollte Ihr Bruder mildernd und mündlich mir mittheilen, weil doch ein gewisses Mitleid Ihnen sagte, wie sehr ich des Trostes dann bedürfe; er sollte bei mir verweilen und mich nicht in meinem Unglück allein lassen! O ich habe Alles errathen, als ich ihn erblickte! Und als ich ihn dann in ein Gespräch mit einem Bekannten verwickelt sah, eilte ich mit demselben Bahnzuge, der ihn gebracht, wegzukommen von dem Orte, wo ich solche Täuschung erlebt.

Bestätigen Sie nicht durch einen Brief meine bange Ueberzeugung, lassen Sie mich lieber ohne Antwort, immer noch hoffend, vergehen.«

Frau von Leythen sagte: »Das ist doch baarer Wahnsinn«, und Katharina lachte und sagte fröhlich: »Es kostet viel Mühe, ihn zu überzeugen, daß er geliebt wird, und wie viele Männer, die mir unausstehlich waren, hielten sich fest von meiner Zuneigung überzeugt!«

Sie ging mit dem Briefe wieder zu seiner Mutter, und diese gute Mutter, der es wehe that, ihren Sohn noch eine Stunde länger als nöthig in bangen Zweifeln und ferne von seiner Braut zu lassen, schlug ihr vor, morgen in aller Frühe nach B. abzureisen, freilich müßte Alfred sich dazu verstehen, die Damen zu begleiten.

Katharina entschloß sich zur Fahrt. »Eigentlich«, sagte sie lachend am andern Morgen, als sie glücklich alle drei im Waggon saßen, »eigentlich ist es sehr unpassend, was ich thue – denn ich laufe offenbar einem flüchtigen Liebhaber nach.«

Als sie in B. angekommen und in einem Gasthofe abgestiegen waren, hielten sie einen Familienrath, wozu Alfred die Damen auf das feierlichste einlud.

Als sie Platz genommen, sagte er sehr pathetisch: »Die Frage ist nun: wie werden wir Seiner Hochwohlgeboren des Herrn Professors Arthur Schwandahl habhaft?«

»O, ich lasse ihn zu mir bitten«, sagte seine Mutter.

»Er kommt nicht, Frau Geheimräthin, er kommt nicht. In der festen Ueberzeugung, daß Sie ihm einen Korb mit mildernden Umständen beibringen wollen, entsagt er sogar dem mütterlichen Anblick.«

»So gehe ich zu ihm.«

»Sie finden ihn nicht zu Hause um diese Zeit. Ein unglücklich Verliebter hält es bei Tage nicht in seinen vier Wänden aus.«

»So gehen Sie!«

»Daß er wieder in irgend einen Eisenbahntrain springt bei meinem Anblick? Nein, verehrteste Frau Geheimräthin, wir können einen so verstockten Verbrecher nur durch List zur Haft bringen.«

»Wohl«, sagte Katharina, die jetzt auch die Sache von der komischen Seite nahm, »wohl, ich habe einen guten Plan. Ich werde ihm im Namen eines Gelehrten ein Billet schreiben und ihn darin auffodern, um fünf Uhr hierher zu kommen. Das zieht gewiß!«

Einstimmig wurde der Vorschlag angenommen, und Katharina schrieb ein Billet im Namen von Julius Mohl, dem berühmten Orientalisten, worin es hieß: er habe zufällig bei seiner Ankunft von der Anwesenheit Schwandahl's in B. gehört und bedauere, indem er durch einen Unfall auf der Reise eine Verwundung am Fuße erhalten, den Professor nicht selbst aufsuchen zu können; bitte ihn aber recht sehr um einen Besuch in seinem Gasthofe Nr. 19, da er etwas für seine Wissenschaft äußerst Wichtiges und Erfreuliches ihm mitzutheilen habe.

»Der Brief ist vortrefflich, aber – mein Sohn steht mit Julius Mohl in Correspondenz und kennt dessen Handschrift«, sagte die Geheimräthin.

Aber auch jetzt wußte Katharina Rath. »Wir dehnen den Unfall auch auf die Hand aus, der edle Mohl verzeiht es gewiß den Umständen, wenn wir ihm in effigie auch noch so viele Wunden beibringen; ich gebe den Brief für dictirt aus, er ist leicht noch einmal geschrieben!« – So geschah's. Und Alfred übergab einem Lohndiener den Zettel mit der Weisung, Schwandahl überall zu suchen.

Nach einer Stunde meldete der Kellner: »Herr Professor Schwandahl wünsche den Herrn auf Nr. 19 zu besuchen.«

Die Andern gingen ins Nebenzimmer, Katharina blieb allein. Der Fauteuil, auf welchem sie Platz nahm, wurde so gestellt, daß man ihn beim, Eintritt ins Zimmer nicht gleich gewahrte.

Als Schwandahl die Thüre hinter sich geschlossen hatte, sah er sich verwundert im Zimmer um. Katharina hatte schon längst im Spiegel sein Antlitz gesehen, als er endlich die Dame im Sessel, die ihm den Rücken zuwandte, gewahrte.

Sie erhob sich jetzt, und indem sie auf ihn zuging, sagte sie leise: »Ich bin Julius Mohl!«

Schwandahl aber, der mit einem Blick in ihr strahlendes, glückspendendes Antlitz Alles erfahren, kniete vor ihr nieder, und indem er tief sein dunkles Haupt beugte, sagte er leise: »Das ist zu viel, das verdiene ich nicht.«

Katharina bat ihn aufzustehen, er hielt die Hand, die sie ihm bot, fest, und kniete immerfort. Endlich rief sie seine Mutter aus dem Nebenzimmer, aber erst als Alfred eintrat, stand der Professor auf, denn kein Mann wird vor einem andern Manne sich über solcher Demuth ertappt sehen wollen.

Arthur wurde von allen Seiten mit Vorwürfen überhäuft, er nahm Alles lachend hin, ohne sich zu vertheidigen, und schwieg und sah Katharina an.

Als die erste Aufregung vorüber und man mit heiterer Ruhe am runden Theetische Platz genommen, kam natürlicherweise die Rede auf die ersten Anfänge der Bekanntschaft der Liebenden.

Arthur's Mutter sagte: »Ich hätte nie gedacht, daß so schnell eine Leidenschaft bei dir solche Stärke erlangen könne.«

»Nun, so schnell kam das auch nicht, liebe Mutter.« –

»Du kanntest Katharina erst acht Tage, als du um ihretwillen die Reise mit dem Prinzen aufgabst.«

Arthur antwortete nicht und sah zu Boden. Alfred aber sagte mit einer unbeschreiblich feinen Ironie: »Diesem Opfer verdanken Sie allein die Hand meiner Schwester. Sie hat alle Freier zurückgewiesen, weil bisher keiner im Stande war, ihr einen glänzenden Beweis einer Leidenschaft zu geben. Und eine Leidenschaft verlangte sie durchaus – da sie alle ihre Anbeter bisher immer im Verdacht hatte, sie wollten sie nur um ihres Vermögens willen heirathen.«

»Sie ist reich, o hätte ich das gewußt! Sie war immer so einfach in Allem, wem konnte so etwas einfallen!« sagte er mit einem Tone der tiefsten Trauer.

Nun mußte auch Katharina lachen. »Seien Sie vernünftig, Schwandahl, denn wenn Sie mein Vermögen zu sehr beklagen, ist Alfred im Stande, meine Schwäche für Sie zu einer Abtretung meines Erbtheils an ihn zu benutzen – und Sie könnten das später doch bereuen.«

»Liebes Fräulein, ich fürchte, von einer Heirath zwischen uns wird schwerlich mehr die Rede sein!«

»Um Gottes willen, Arthur, erklären Sie sich.«

»Nun wohl, weil Sie reich sind und also nicht einer Speculation, sondern nur der Liebe folgen wollten, verlangten Sie den Beweis einer großen Liebe und glaubten den in meinem veränderten Reiseentschluß zu erblicken. Nicht wahr, nur deshalb wollten Sie mir angehören?«

»Ja freilich, aber –«

»So hören Sie denn – und wenn mir meine Ehrlichkeit das Leben kosten sollte – so hören Sie denn und verstoßen Sie mich: ich bin gar nicht um Ihretwillen hier geblieben.«

Alfred bekam beinahe Convulsionen vor Lachen, aber Niemand achtete auf ihn. Katharina sah den Mann ihrer Wahl unbeschreiblich erschrocken an, seine Mutter aber frug besonnen und wieder ganz gefaßt:

»Weshalb bliebst du denn hier?«

»Weil mir der Doctor Helfrich unausstehlich war und ich in seiner Gesellschaft sogar auf den Himmel verzichtet haben würde.«

»Also Sie lieben mich gar nicht?« frug Katharina mit weinerlicher Stimme.

Arthur, der die ganze Zeit über mit gesenktem Haupte im Zimmer auf- und abgegangen war, blieb plötzlich vor ihr stehen und sagte mit einer Feierlichkeit, die sogar dem Lachen Alfred's Einhalt that:

»Mehr als mein Leben.«

»Warum wollen Sie mich denn aber nicht heirathen?«

»Weil ich Ihren Irrthum nicht zu meinem Glücke benutzen will.«

»Wenn ich aber nun selbst freiwillig meine verrückte Foderung des Beweises einer Leidenschaft zurücknehme?«

»Ja dann – o Gott, wenn Sie nur nicht reich wären! Das war das Letzte, was ich befürchtete. Sie werden nun nie an meine tiefe Liebe glauben können – das ist unmöglich – Sie können mich nicht lieben – wodurch hätte ich Ihnen bewiesen, wie sehr, wie tief, wie innig meine Seele an die Ihre gekettet ist!«

»Lieber Schwandahl«, sagte Katharina, indem auch sie aufstand und lächelnd ihre Hand auf seinen Arm legte, »Sie sind freilich nicht meinetwegen hiergeblieben, aber Sie sind doch ganz gewiß meinetwegen fortgelaufen, und daß dies kein Irrthum war, davon habe ich mich überzeugt, indem ich Ihnen nachlief. Nehmen wir das als Beweis – mir genügt es, und ich bin hier Richter und Partei zugleich.«

Schwandahl ergab sich in sein Glück, wenn auch mit Sträuben; Alfred aber sagte:

»Mir gehört das ganze Verdienst. Ich habe euch durch meine Weisheit zusammengeführt.«

Als Alle ihn mit ungläubigen Gesichtern ansahen, erklärte er:

»Als Schwandahl in Helfrich's Gegenwart dem Prinzen abgesagt, ging dem klugen Doctor ein Licht auf, weshalb es geschehen und er bat mich, zu dem Professor zu gehen und den ungünstigen Eindruck zu verwischen, indem ich ihn entschuldige und ein gutes Wort für ihn einlege. Das hütete ich mich aber wohl zu thun, obgleich ich recht gut merkte, daß Helfrich nur aus Eifersucht, weil er selbst ein Auge auf meine Schwester geworfen, Schwandahl gegenüber so unerträglich war. Denn sonst ist er ganz anders! Ich richtete Ihnen«, fuhr er zu Schwandahl gewendet fort, »weiter nichts aus, als eine ziemlich kühle Frage Helfrich's nach dem Beweggrunde Ihres Hierbleibens, was Sie natürlich ebenso kühl beantworteten. Helfrich aber sagte ich, Sie blieben, wie Sie mich errathen lassen, um einer Dame willen hier, und ihm gab ich dann auf, die Dame zu errathen. Er nannte natürlich Katharina – ich sagte nicht Ja, aber ich ließ ihm seinen Glauben. Dir, Katharina, brachte ich denselben Gedanken bei, damit du Schwandahl entgegenkommen solltest, auf daß wahr werde, was ich dir vorlog, daß er dich liebe.«

»Welcher Leichtsinn!« rief Katharina; »wenn ich im festen Glauben an seine Liebe ihm nun entgegenkam und er kalt blieb?«

»Ist nie vorgekommen. Und an Wunder glaube ich nicht. Ich kenne die schwachen Herzen unsers starken Geschlechts. Ueberdem hatte ich bei Schwandahl durch den Hebel seiner Eitelkeit ein gewisses Interesse für dich erweckt, indem ich ihm erzählte, wie ungehalten du seiest, daß er dich auf der Straße nicht erkannt – denn du hattest ganz Recht gehabt, damals that der Herr Professor noch etwas Vernünftigeres als von Morgens bis Abends spät an dich zu denken!«

*


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