Ludwig Ganghofer
Waldrausch
Ludwig Ganghofer

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7

Dem Toni Sagenbacher, als er in dieser duftschwülen Rauschnacht heimkam, wäre es fast geschehen, daß er sich eine schärfere Ähnlichkeit mit dem Krispin zugezogen und eine Dulle ins Nasenbein geschlagen hätte. Beim Eintritt in die dunkle Stube stolperte er über eine dicke Sache, die auf dem Fußboden lag. Er stürzte vornüber, fiel gegen den Ofen, und nur seine flinken, federnden Arme bewahrten ihn vor einer folgenschweren Auseinandersetzung mit einem der Dinge, die sich hart im Raume stoßen. »Sakra! Was liegt denn da?«

Erschrocken klang es aus der Kammer: »Hast dich angschlagen?«

»Na, na, Mutter! Aber was liegt denn da? Dös spürt sich, als wär's a Bett.«

»Ja, dein Bett! Seit gestern hab ich dich nimmer ghabt. Morgen in aller Fruh mußt aussi zur Arbeit. Drum hab ich am Abend der Kathrin gsagt, daß sie 's Bettzeug abitragt aus deiner Stuben. Da hab ich dich in der Nacht net weit von mir.«

»Wie näher bei dir, so lieber is mir's.« Toni trat in die Kammer, die von den kleinen Mondflecken ein kaum merkliches Licht erhielt. »Wie hat dir denn gangen seit gestern?«

»Du bringst mir allweil a Bröserl Gsund. Lang bist ausblieben.«

»In Unterach bin ich erst fort auf'n Abend. Und da hab ich noch gschwind a Sprüngl zur Beda gmacht. Gelt, dös tust mir net verübeln?«

»'s junge Glück muß vor die alten Freuden allweil den Fürgang haben.«

Am Klang ihrer Stimme merkte Toni, daß irgend etwas nicht richtig war. »Mutter? Tut dich ebbes aufregen?« Er setzte sich auf die Bettkante und nahm ihre Hände.

»Na, Tonele! Jetzt hab ich dich. Jetzt laß ich dich nimmer aus die ganze Nacht. Ich weiß ja, was für einer als bist. Aber kein Mensch is a Heiliger. Weit von aller Versuchung heißt weit von aller Sünd.«

Toni schien nicht gleich hinter den Sinn dieser wunderlichen Worte zu kommen. Dann lachte er. »Hast schon recht: Für mich kunnt ich net einstehn. Aber mein Bedle is ebbes Saubers durch und durch. Da brauchst kei' Sorg net haben, daß wir 's Türl einschnappen lassen, vors Haus fertig ist.«

Jetzt lachte auch die Lahneggerin, seltsam lustig, fast schadenfroh.

»'s fertige Haus?« Toni tat einen schweren Atemzug. »Freilich, da wird's noch a harts Warten kosten. Net gut schaut's aus in Unterach. Da täten wir uns schiech einisetzen.«

»Soso?« Die Lahneggerin schien mit ihren Gedanken bei anderen Dingen zu sein. Immer schwieg sie, während der Toni von Unterach erzählte, von dem brüchigen Haus, von den verhungerten Feldern. »Mutter? Was tust denn allwei so auffilusen zur Stubendecken?«

Sie nahm den Kopf zwischen die Hände. »Der Krispin halt! Soviel Sorge tut er mir machen, der Krispi!«

Nun lauschte auch der Toni. »Wird halt wieder sein' Sonntagsrausch heimbracht haben und geistert umanand da droben.«

»Mit heimbracht hat er ebbes, ja!« Die Lahneggerin lachte gallig. »Und allweil hin und her, da droben. Als tät er vier Füß haben, der Krispi, zwei schwere und zwei leichte.«

»Im Rausch und in der Sauerei wird der Mensch allweil wieder vierfüßig.«

»Jetzt hast es gsagt, 's richtige Wörd! Und so ebbes muß ich haben im Haus!«

»Soll ich auffi, Mutter, und schauen?«

»Jesus, Maria!« Die Lahneggerin umklammerte den Toni. »Net um d' Welt laß ich dich auffi.«

»No, no, no, Mutter! Soviel Sorgen brauchst dir net machen um den Krispin. Mein, a Lackl is er halt. Derzeit ich bei dir bin und mein Glück hab, trag ich ihm nix mehr nach. Tät er sich zu dir a weng besser stellen, so kunnt ich ihm noch gut sein. Schau dir die andern an im Dorf! Da is der Krispi noch lang net der Schiechste.«

»So? Meinst?« Hohn und doch ein Hauch von mütterlicher Hoffnung war in diesem Wort. Dann flüsterte sie vor sich hin, als wär's nicht für den Toni gesagt: »Es kunnt ja sein, daß ich mich täuscht hab. Und daß mir alles bloß aussigwachsen is aus der Angst vor seiner Spinnerei! Aber sicher is sicher!« Sie schmiegte die Wange an Tonis Brust. »Heut schlafst da herunt! Da kann's sein, wie's mag. Morgen bist in der Arbeit, und die krumpen Rösser laufen wieder aussi zum Tal. Und dein Glück hat sich kein' Ellbogen net angstößen. Und am Fuier, dös einer net kennt, hat sich noch keiner verbrennt.«

Toni lachte. »Heut redst ja wie d' Wahrsagerin auf'm Jahrmarkt.«

Die Lahneggerin lachte nicht mit. »Jetzt tu dich schlafen legen! Die Kathrin hat dir schon alles hinglegt, was d' morgen brauchst. Und gelt, die Tür in d' Stuben aussi tust offenlassen?«

»Freilich, ja! Meinst net, ich kunnt allweil herunt schlafen? Oft hab ich d' Leut schon sagen hören, wann a Gsunder net weit von eim Kranken schlaft, dös tät arg gut sein. Da tät sich a Kranks viel leichter schnaufen. Heut nacht schnauf ich dir alles eini ins Kammerl, was mir gsund und froh in der Seel is!« Er streichelte die Hand des kranken Weibes und ging auf den Fußspitzen in die Stube hinaus.

Die Lahneggerin fiel unter wohligem Seufzer in die Kissen zurück und begann dafür zu beten, daß sich der liebe Herrgott in dieser Nacht was ausdenken möchte für das Glück des Toni und der Beda. Gebete, die so heiß und gläubig sind, müssen erhört werden. Mancherlei Wunder geschehen im Leben. Die Menschen erkennen sie nur nicht immer, weil sich die ewige Schicksalsmacht, wenn sie Gutes wirkt, zuweilen der seltsamsten Werkzeuge bedient – zum Beispiel des Krispin Sagenbacher und seiner vierfüßigen Klugheit.

Lautlos hatte sich der Stubengast entkleidet und unter die Decke des Dielenbettes geschoben. Er atmete so tief wie einer, der die gefrorenen Fensterscheiben anhaucht. Da fiel ein dünner Lichtschein durch eine Ritze der Stubentür, und Krispin, mit nackten Füßen, nur in Hemd und Hose, schob sich halb herein, in der Hand eine brennende Unschlittkerze. Ein paar Heufäden hingen an ihm, als hätte er die Hälfte dieser Rauschnacht nicht im Bett seiner Kammer, sondern in der Scheune verduselt. Perplex betrachtete er das Nachtlager auf dem Fußboden.

Toni ermunterte sich. »Krispi? Was willst denn?«

»Nix! Ich habe dich net auffigehn hören und hab mir denkt, es kunnt ebba der Mutter was sein.«

»Na, d' Mutter is heut schon wieder besser.«

»So? Freut mich, ja! Da hätt ich mir d' Unruh sparen können.« Unter einem etwas sonderbaren Lachen zog Krispin seinen Kopf und die brennende Kerze zurück. Und draußen konnte man einen, der jetzt Schuhe an den Füßen hatte, die Treppe hinaufgehen hören, sehr laut. Dazu pfiff er lustig eins von den Liedern, die der Toni gern sang.

Aus der Kammer klang es: »Tonele?«

»No schau, Mutter, der Krispi is tagnüchtern. Und gsorgt hat er sich um dich.«

»Da hab ich ihm heut unrecht tan, 's erstemal!«

Nun Stille.

Das Gefühl, einem Menschen unrecht getan zu haben, kann süß schmecken. Das erfuhr die Lahneggerin in dieser Nacht. Als ihr ein wohltuender Schlaf die fieberheißen Augen schloß, träumte sie von einem guten Menschen, welcher Krispin Sagenbacher hieß. So fest war dieser Schlaf, daß der blinkende Morgen die Lahneggerin nicht weckte.

Toni, als er aufstand, aß in der Küche die Morgensuppe, die ihm die Kathrin vorsetzte. »Wann der Tag schön wird, tragst den Lehnstuhl in'n Garten und tust d' Mutter aussiführen in d' Sonn!« Axt und Pickel auf der Schulter, im Rucksack den Wettermantel und das ›Mahlzeitpackerl‹, trat er in den Morgen hinaus, durch dessen graue Frische die rosig angesonnten Bergspitzen herunterglänzten.

Während Toni die Straße hinwanderte, spähten ihm zwei Augen nach, die durch einen Spalt des halboffenen Scheunentores herausfunkelten. Krispin trat aus der Tenne, lauschte gegen die Stallfenster und sprang auf die Haustür zu. In der Küche sah er die Kathrin, die mit dem Wasserganter zum Brunnen wollte. Dem Krispin fuhr ein Fluch durch die Zähne. Dann sagte er freundlich: »So? Bist schon auf? Die zwei Knecht, scheint mir, verschlafen wieder? Schau gleich hinter und pumper an der Kammertür.«

»Es hat erst dreiviertel gschlagen.«

»Tu, was ich sag!« Krispin guckte zu, wie die Magd in einem dämmerigen Gang verschwand. Als da hinten das Gepumper anfing, sprang er hurtig zur Haustür hinaus.

Lang mußte Kathrin trommeln, bis die beiden Knechte munter wurden. »D' Mannsbilder haben an Schlaf wie d' Ratzen am Tag.« Sie nahm den Wasserganter, ging zum Brunnen und meinte zwischen den Holunderstauden was Buntfarbiges gegen den Garten hin und um die Scheunenecke verschwinden zu sehen. »Soso? Wieder amal! Drum hab ich pumpern müssen!« Sie tat, als sähe sie den Jünglingsbauer nicht, der nach einer Weile mit vergnügtem Gesicht aus dem Garten kam. Trotz seiner guten Laune benahm er sich jetzt gegen die Kathrin minder freundlich als zuvor. »Siehst net, daß der Kübel schon überlauft? Was stehst denn noch allweil da?«

Die alte Magd drückte die Augen zu und schmatzte auf eine sonderbare Art. Als sie zur Haustür hineinging, hielt sie dieses Selbstgespräch: »Ja, ja, 's wird schon amal überlaufen! Alles in der Welt hat sein Maß. Geht's drüber aussi, so verliert unser Herrgott d' Langmut. Da schlagt er zu.«

Ferne von aller Ahnung der gerechten Prügel, die ihm aus blauen Höhen zugedacht waren, stand der schlaue Jünglingsbauer am Zaun, äugte die Straße hinunter und schmunzelte, als er aus einem Wiesenpfad etwas Rundes und Buntfarbenes herauswandern sah, das mit eitel geschwenkten Röcken auf das Gasthaus »Zum goldenen Posthörndl« zusteuerte. »Du Gans, du scheckete! Jetzt hast es!« Krispin lachte. Dann drehte er den Kopf und guckte kalkulierend nach der Richtung, die der Toni genommen hatte.

Das war die Richtung, in der das Haus der Beda lag. So weit war Toni noch nicht gekommen. Es fehlten auch noch zehn Minuten bis fünf. Aber Beda stand schon auf der Lauer. Dem Toni blieb nur so viel Zeit, um ihr etwas klein Eingewickeltes über den Zaun hinüberzuwerfen. Denn Ambros trat schon auf die Straße. »Ich hab' dich kommen sehen. Und da bin ich gleich herunter.«

»Nnno«, meinte der lange Sagenbacher, »gar so pressiert hätt's net. Aber in Gottes Namen, marschieren wir halt!« Er nahm es mit dem Geheimnis seines Glückes, dem noch das Hausdach fehlte, so genau, daß er sich nimmer umsah, war aber auch so gewissenhaft, daß er gleich zu Ambros sagte: »Neulich hab ich gmeint, ich kunnt dir heut ebbes anvertrauen. Da muß ich noch a Zeitl warten.«

Ambros sah verloren auf und nickte. »Nur schön Geduld haben! Besonders, wenn sie das einzige ist, was einem Menschen bleibt.«

Hinter den beiden stand unter den Zweigen der Obstbäume die Beda mit enttäuschten Augen. Einen Schnaufer lang hätte der Toni doch stehenbleiben können – nur um ihr zu sagen, daß zwei von den sechs Rossen die unterländische Witib wieder aus dem Wildachtal hinausgezogen hätten. Bei diesem Gedanken wickelte sie das Zeitungspapier von der kleinen Sache, die der Toni ihr zugeworfen hatte. Es war das Tüchelchen, mit dem sie die gebissene Hand verbunden hatte. Das war nun sauber gewaschen und fein gebügelt. Die Beda mußte lachen, drückte das Gesicht in das Tuch und sprang auf die Straße hinaus, um vom Toni noch einen Joppenzipfel zu erspähen. Weil sie ihren Buben nimmer sehen konnte, blickte sie träumend hinauf zu dem trunkenen, blühenden Wald, über den schon die ersten Sonnengrüße niederfluteten.

Das gleiche tat der Toni, während er mit seinem schweigsamen Kameraden nach der Notburg wanderte. Immer hingen seine Augen an dem roten Rausch der grünen Wipfel. »Der Wald is reif in der Bluh. Heut fangt er zum Stäuben an.«

»Das tat er schon in der Nacht.«

»Na, Brosle! Da braucht er d' Sonn dazu. In der kühlen Nacht laßt d' Waldbluh kein Herzstäubl net ausfliegen.«

»Dann muß ein Unterschied zwischen einer Baumseele und einem menschlichen Herzen sein. Das reißt in kalten Nächten seine Kammern auf und läßt ins Leere fliegen, was es an blühendem Reichtum besaß.«

Das war ruhig gesagt. Dennoch drehte Toni das Gesicht. »Brosi? Gar net gut schaust aus. So viel übernächtig. Hast ebba net gschlafen?«

»In dieser Nacht? – Gestern am Abend ist meine Mutter gekommen.«

»D' Mutter haben, dös ghört zu die besten Sachen.«

»Ja! Das hat mir den Schlaf genommen. Erst ums Tagwerden ist noch etwas über mich hergefallen, das mir die Augen schloß. Ich weiß nicht, ob das Schlaf gewesen ist. Ich glaube, das war ein Erwachen.« Ambros lächelte. Etwas Helles glomm in seinen müden, blau geränderten Augen. »Wir sehen die schönste Wahrheit unseres Lebens nie mit aufgerissenen Augen. Was wir in unseren Träumen schauen, das ist Wahrheit. Die hungrigen Augen müssen geschlossen sein. Nur das Herz darf wachen, schauen und glauben.«

Toni schüttelte den Kopf. »Da redst mir jetzt a bißl z' stadtisch! Derschlagen durft mich einer, wann ich dös ausdeutschen sollt.«

Stumm wanderten die beiden durch die Wiese. Dann fing Toni von der Arbeit zu sprechen an. Der neue Rottmeister hatte, um die Einheimischen zur Vernunft zu bringen, schon seinen festen Plan. Zuerst muß man's mit aller Torheit in Güte versuchen. Was sich nicht biegen will, muß brechen. Die ärgsten Schreier schickt man davon. Die anderen sammelt man an jedem Morgen und Abend zu gemeinschaftlichem Ausmarsch und Heimweg. Der geht fern vorüber am wällischen Barackenlager. Dann teilt man es so in der Arbeit ein, daß die Einheimischen möglichst weit von den Italienern zu schaffen haben. Im Lager baut man einen Feldaltar. Dann muß aus dem Gerichtsstädtl an jedem Sonntag ein Kaplan kommen und für die Italiener Messe lesen. So sprach der Toni in seiner festen Ruhe weiter. Ambros nickte immer. Er hörte alles. Doch wie mit schlafenden Sinnen. Ferne von diesen Sinnen wachte sein Herz und sang ein Lied:

»Es ging ein Traum auf leisen Sohlen
Vorüber mir in banger Nacht.
In mir ein tiefes Atemholen –
Ich lächle – und ich bin erwacht.

Wie war mein Traum? Ich kann's nicht sagen,
Ob auch die Seele sinnt und lauscht.
Ich fühle nur ein Flügelschlagen,
Das mich wie Frühling hold umrauscht.

Ein Glänzen ist, mit weißem Scheine,
Zutiefst in meines Lebens Kern,
Als ging' ich durch geweihte Haine,
Dem Staub der grauen Wege fern.

Ich sehe Feld mit goldnen Halmen
Und weit ein Meer in blauer Ruh
Und drüben Land mit grünen Palmen –
Und fühle, Lieb, mein Traum warst du!«

Ganz nahe klang das Rauschen der Wildach. Mit diesem Rauschen mischte sich ein wirres, zeterndes Geschrei. Ambros und Toni blieben stehen, um zu lauschen. Dann fingen sie zu laufen an und verschwanden im rot blühenden Wald.

Fern im Tal war schon die Sonne. Immer höher stieg sie. Und überall, wo sie leuchtete und wärmte, ging von den blütenreichen Wipfeln ein feines Gezüngel auf. Kleine, zarte, rostfarbene Wölkchen begannen zu fliegen, wehten über eine kurze Strecke des Gehänges hin, wurden durchsichtig und waren verschwunden. Fliegende Sehnsucht, die das dürstende Erwarten suchte! Hochzeit des von Liebe berauschten Waldes!

In dieser reifen Freudenstunde der Bergwaldhöhe geschah es, daß die buntfarbene Witib von Zipfertshausen vor dem Gasthaus ›Zum goldenen Posthörndl‹ ihr nettes Wägelchen bestieg. Sie trug in der einen Hand den seidenen Regenschirm, der auf dieser Reise durch die Sonne höchst überflüssig erschien, und in der anderen Hand die Tasche mit dem Osterhasen, der zufrieden sein gelungenes Werk betrachtete. Genauso zufrieden sah die runde Barbara aus. Ihr Sternenantlitz strahlte von rosiger Frische. Und eine so prächtige Laune durchschimmerte ihr molliges Wesen, daß auch die bös gesalzene Rechnung keinen Schatten in dieses blütenfrohe Licht geworfen hatte. Ohne Widerspruch hatte Barbara geblecht. »A Gauner, mein Schwager! Aber 's Glück is ebbes wert.«

Hansele guckte seine Bäuerin studierend an.

Blinkend rollte das Wägelchen über die Straße hin. Von einem krummen Pferdefuß war nichts zu merken. Während die Fahrt durch das Dorf gegen die Wildach ging, drehte der Hansele ein paarmal das Gesicht. Immer wieder schüttelte er den grauen Kopf, wenn er seine Gebieterin so rosig in der Kutsche sitzen sah. Nun kam der Lahneggerhof. Der Hansele spähte aufmerksam. Haus und Hofreut lagen still in der Morgensonne. Im Garten waren zwei Weiberleute mit weißen Kopftüchern. Als das nette Wägelchen am Lahneggerhofe vorüber war, guckte sich der Hansele wieder um. Noch immer saß die Bäuerin lächelnd neben dem zufriedenen Osterhasen. »Frau! Sechzg Jahr bin ich alt und hab allweil gmeint, ich kenn mich aus mit die Menschenleut. Aber sie müssen doch a bißl anders sein, als ich gmeint hab.«

»Warum denn?«

»Z' wetten hätt ich mir traut, daß d' heut gallgiftig zum Tal aussifahrst.«

Barbara lachte, wie nur das Glück zu lachen versteht.

»Was bist denn so redgeizig?« inquirierte der Hansele. »Wie bist denn füranand kommen mit'm Toni?«

»Gar net schlecht. Jetzt weiß er, wie er dran is. Jetzt braucht er keine fürsichtigen Brieferln nimmer schreiben. Heut kann er sagen: Herzl, jetzt hast es!«

»Sooo?«

»Ja. 's wird an der Zeit sein, daß er zu uns wieder aussikommt. Soviel sauber hat der Toni bei uns sein Kammerl allweil ghalten. Daheim hat er sich d' Ordnung völlig abgwöhnt. Schiech hat sein Stüberl ausgschaut. Aber ich bring ihm d' Ordnung schon wieder bei. Und 's Reden auch! Freilich, von dieselbigen, die viel ratschen, is er nie keiner gwesen. Jetzt redt er gleich gar nix nimmer. Ich denk mir halt, d' Sorg um d' Mutter macht ihn so verstockt. Aber da dauert's nimmer lang. Nacher wird er die richtigen Wörtln schon finden.« Sie blies über die seidenen Ärmel ihres Spenzers und schüttelte die Atlasschürze. »Ich weiß gar net, warum's heut in aller Fruh schon soviel stäuben tut.«

»Ob's net ebba von der Waldbluh kommt? Da, schau auffi, wie alles fliegt da droben!«

Auf dem Gehäng der Sonnleite war über weite Strecken alles Grün der Bäume unter safrangelben Schleiern verschwunden. In solcher Menge wehte der suchende Blütenstaub durcheinander. Immer wieder blies der Morgenwind einen verirrten Schwarm dieser reisenden Sehnsucht über das Tal hinüber. Dann ging aus den Lüften ein zartes Geriesel nieder, wie im Herbste, wenn wehende Dunstwolken sich verwandeln in feines Nebelreißen. Die runde Braut aus Zipfertshausen hatte immer zu blasen, zu klopfen und zu schütteln, um ihre bunte Seide sauberzuhalten. Stets aufs neue fiel mit erloschenem Rot dieses Gestäube aus der Luft herunter und überpulverte die glückliche Barbara mit verirrter Sehnsucht, mit tausend Opfern der enterbten Liebe. Schließlich nahm sie die Sache heiter. »Grad, als tät der Himmel sagen: Punktum, Streusand drauf!« Nach diesem vieldeutigen Worte wurde die mollige Witib von einer seltsamen Schweigsamkeit befallen. Sie spähte über den Weg voraus, und plötzlich nahm sie ihren schönen seidenen Regenschirm, warf ihn rückwärts über die Kutsche hinaus auf die Straße und drängte aufgeregt: »Fahr zu, Hansele! Fahr zu!«

Als der Hansele weiterfuhr, sah er vor einem Zaungatter ein junges Mädel stehen, das immer rief und lockte, in Sorge um einen weißen Spitz, der mit einem großen Nachbarhund in Meinungsverschiedenheiten geriet. Schon wollte Beda losrennen, um den bedrohten Spitz zu retten. Der Hufschlag der beiden Rosse aus dem Unterland machte sie aufblicken. Als sie die Kutsche gewahrte, vergaß sie alle Gefahr, in der sich der weiße Spitz befand, und musterte schmunzelnd die angestaubte Reisende aus Zipfertshausen.

»Mar' und Joseph!« kreischte Barbara in gut gespieltem Schreck. »Mein' Regenschirm hab ich verloren. Tu d' Roß aufhalten! Die Zügel gib her! Lauf, Hansele, lauf über d' Straßen z'ruck! Such mein' Regenschirm!«

Flink war der Hansele vom Bock herunter. »Den haben wir gleich!« Erst machte er hurtige Sprünge; dann ließ er sich Zeit; ein Regenschirm hat keine Beine, um Reißaus zu nehmen. Die ›Paradachl‹ wartete auch schön geduldig, bis der Hansele kam. Der hob es auf und klappte das feine Seidendächl ein paarmal hin und her, um den Staub davon abzuschütteln. Aufmerksam betrachtete er den Griff, um sich zu überzeugen, ob an diesem Kunstwerk nichts passiert wäre. Es war ein Schlangenkopf mit zwei kleinen, gelben Glasaugen, die so tückisch funkelten, als hätte der Regenschirm eine böse, rachsüchtige Seele. Dem Hansele fiel das nicht auf. Doch als er zur netten Kutsche zurückmarschierte, machte er die Wahrnehmung, daß seine runde Bäuerin und das schlanke Mädel sich in einer temperamentvollen Unterhaltung befanden, deren Inhalt auf den zwei verschiedenen Gesichtern verschiedene Farbe erzeugte. Während Barbaras Sternenantlitz zinnoberdunkel glühte, war Beda so bleich, als wäre ein grausamer Lebensschreck über ihre blühende Herzensfreude gefallen. Hansele, der dem angestaubten Wägelchen näher kam, vernahm unter Staunen dieses Zwiegespräch, das von Barbara kreischend, von Beda mit unheimlicher Ruhe geführt wurde:

»Sie! Frau! So ebbes laß ich net sagen auf'n Toni. Dös nehmen S' z'ruck! Auf der Stell!«

»Na! Net um d' Welt!«

»Verlogen is alles!«

»Kannst ja den Toni selber fragen.«

»Z'rucknehmen tust es, du!« Die Beda faßte energisch das sichere Glück aus dem Unterland am seidenen Spenzerärmel. »Den Toni laß ich net verschimpfen von dir. Nimm's z'ruck! Ich sag dir's zum letztenmal.«

»Was wahr is, muß –« Die mollige Bürgerin von Zipfertshausen hatte noch sagen wollen: »muß wahr bleiben!« Das brachte sie nimmer heraus. Beda hatte ihr eine so kräftige Ohrfeige appliziert, daß Barbara sich sprachlos zurücklehnte in die Polsterecke der netten Kutsche.

»O du heilige Mutter!« klagte der Hansele. »So a Landstrich, wie der da! Am Sonntag regnet's Busseln, und am Werktag regnet's Watschen!« Er war auf den Bock gesprungen, hatte der Bäuerin den Regenschirm mit den rachsüchtigen Schlangenaugen auf den Schoß geworfen und peitschte los, daß die Zipfertshausener Viertelsblüter ein rasendes Vollblutrennen begannen.

Barbara fing zu zetern an: »He! Hansele! Sakrament noch amal! Dös laß ich mir net gfallen. Tu d' Roß aufhalten!«

Die Pferde waren nimmer zu bändigen. Und der Hansele schimpfte: »Himi Sakra! Da kenn ich mich nimmer aus! Wann's Busserln gibt, da schreist: ›Hau eini auf d' Roß, fahr zu!‹ Und wann's Watschen setzt, da schreist mir: ›D' Roß tu aufhalten!‹ Willst denn noch mehrer kriegen? Ebba fünfhundert? Soviel wie wällische Busseln?«

Die Pferde rannten. Erst als die Straße gegen den Bergpaß zu steigen begann, erinnerten sie sich ihrer angebotenen Gutmütigkeit und ließen ihre Sehnsucht nach der unterländischen Heimat zügeln.

Barbara hatte die logische Erörterung des Hansele mit keinem Wort erwidert. Sie betrachtete ihr Gesicht in dem Spiegel, den sie aus der Osterhasentasche genommen. Jetzt sah sie nicht mehr zufrieden aus. Ihr Sternenantlitz schien abermals auf eine Krankheit hinzudeuten – nicht auf die Pocken, eher auf Brandblasen oder was Ähnliches. Die glühende Wange zeigte vier längliche, kalkweiße Flecken, die trotz allem Reiben nicht vergehen wollten. »Macht nix! Den Toni hab ich! 's ander is mir alles wurst.« Barbara vertraute das Spiegelchen wieder dem Osterhasen an. »Aber gfallen laß ich mir's net. Dös unverschämte Weibsbild verklag ich.«

Hansele drehte das Gesicht. Er schien dunkle Zusammenhänge zu ahnen. »Gscheiter, du tätst die Sach gut sein lassen. Gib mir wieder zwanzg Markln, und ich halt den Schnabel.«

»Na und na und na! Dö muß eingspirrt werden. An Advakaten nimm ich mir. Und wann's mich fünfhundert Markln kostet! Dö muß eingspirrt werden.«

»No ja, meintwegen! Aber deim Schutzengel kannst a Vergelt's Gott sagen, daß bloß dös einzige Madl zugschlagen hat und daß die paar hundert Italiener bloß busselt haben. Wann's umgekehrt gwesen wär – o du heilige Mutter! Da hätt ich dich als Karminadl heimbracht nach Zipfertshausen.«

Die nette Kutsche rollte in den hochzeitlichen Wald hinein, der überwirbelt war vom Fluge der safrangelben Sehnsucht.


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