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Die Ehrenrettung

Da saß sie schon wieder am Ufer des Teiches auf dem weißen Steine und sah nach den emsig arbeitenden jungen Menschen hinunter. Er fühlte es ganz genau, dass sie ihre großen, heißen, schwarzen Augen immerfort auf ihn gerichtet hielt. Von Zeit zu Zeit wandte er sich jäh nach ihr, um sie auf einem Blicke zu ertappen. Aber so schnell vermochte er doch niemals den Kopf zu drehen, als sie den ihren zu den Waldblumen neigte, die ihr im Schoße lagen. Dann ärgerte er sich immer. Und sie freute sich. Ihre Gegenwart bei seiner Arbeit war ihm mehr lästig als angenehm. Er getraute sich nicht so zu bewegen, wie ihm das seine Mühe am meisten erleichtert hätte. Es war ihm viel darum zu tun, vor ihren Augen nur lauter solche Stellungen einzunehmen, die ihr keine Kraft und Schönheit zeigten. Und das wurde ihm bald schwer. Seine Arbeit war auch gar zu hart. Er baute zwischen dem Teiche und der kleinen Sumpfwiese mit großen Steinen eine Ufermauer. Der Teich hatte bisher die kaum zwei Fuß hoch über seinem Spiegel liegende Wiese nach jedem Regenguss völlig überschwemmt. Dem wollte der junge Bauer ein Ende machen. Seine Wiese sollte nun bald trocken liegen und anstatt Schilf und Binsen süßen Klee tragen. Er hatte sich vor drei Jahren hier am Teiche angekauft. Außer der Wiese gehörte noch die jenseits derselben ziemlich steil aufsteigende Hügelseite ihm und ein vor der linksseitigen schwarzen Waldmauer wucherndes Staudengewirr. Und auf dem Hügelkamme stand seine kleine, neue Hütte. Lenz hatte sein eigener Herr werden wollen. Und nun war er das nach seinem Sinne. Vordem hatte er bei den Bauern des Dorfes gedient, das jenseits des Hügels lag. Eine kleine Erbschaft ermöglichte es ihm, sich selbständig zu machen. Bisher hauste er ganz allein an dem Teiche. Und er fühlte sich dabei soweit glücklich. Zu den Dorfleuten, die er gut genug kannte, zog es ihn nicht viel. Er suchte sie weit weniger auf als sie ihn. Sie sahen hauptsächlich aus Neugier zu jeder Zeit in sein kleines, neues Reich herüber, das zuvor eine völlige Wildnis gewesen war.

Mit der jungen, blonden Sägemüllerstochter, die nun schon seit einem Monat täglich an das Teichufer kam, hatte er noch nichts geredet. Sie tat immer, als ob sie ihn nicht sähe. Aber er wusste doch, dass sie seinetwegen und nicht der Waldblumen wegen kam. Das schmeichelte ihm. Sie war zu schön, um ihm ganz gleichgültig sein zu können. Wenn sie zu lange dasaß, wurde sie ihm freilich zuwider, denn es war ihm unmöglich, vor ihren Augen so zu arbeiten, wie er wollte.

Er entschloss sich plötzlich, seine Zuschauerin zu vertreiben. An der Teichecke lagen einige große Bausteine. Lenz ging auf dieselben zu. Dabei kam er halb an dem Mädchen vorüber. Er tat, als ob er sie nicht sähe. Sie blickte auch nicht von ihren Blumen weg und spielte mit denselben so unschuldsvoll wie früher. Lenz nahm einen der schweren Steine und ging dann damit den früheren Weg zurück. Vor dem Mädchen angelangt, tat er plötzlich, als ob er stolperte. Dabei ließ er den Stein so geschickt fallen, dass die junge Schöne über und über mit Schlamm und Wasser bespritzt wurde. Sie kreischte laut und sah mit Entsetzen den arg veränderten Zustand ihres frisch gebügelten, weißen Kattunkleides. Aber schon im nächsten Augenblick war ihre Empörung über Lenz größer als ihr Schrecken über das beschmutzte Kleid. »Das hast Du absichtlich getan!« rief sie mit zornflammendem Gesichte. Dann wurden ihre Augen nass, seine Tat schien ihr auch eine schmerzliche Enttäuschung zu bereiten.

Er durchblickte ihr ganzes Empfinden, und das war ihm eine hämische, wollüstige Genugtuung.

»Glaub', was Du willst«, sagte er, um sie nur recht zu beleidigen. Er wollte sie fort haben. »Gilt es Dir vielleicht nicht ganz gleich, was ich von Dir denke?« setzte er dann noch hämisch hinzu.

Sie nickte lebhaft. »Ja doch, Du Grobian, ja doch.«

Er lächelte. »Darum bist Du so viel hier gesessen.«

»Deinetwegen nicht«, behauptete sie leidenschaftlich.

Er lachte. »Aha! Du willst jetzt gewiss noch länger sitzen bleiben?«

»Ja gewiss, so lange es mir beliebt«, sagte sie trotzig.

»Aber ich will Dich nicht da.«

Seine Worte erregten sie aufs Höchste. »Du wärest es wohl imstande, Gewalt gegen mich anzuwenden, Du…«

Er nickte. »Ja, glaub's nur. Und geh', geh'!«

»Ich fürchte Dich nicht!« rief sie, ihn mit ihren Augen anfunkelnd.

»Geh'!« wiederholte er drohend.

»Nein!« Sie stampfte mit dem Fuße auf.

»Ich komm' Dir hin!«

»Komm' nur!«

»Soll ich wirklich?«

»Ja. ich reiß Dir das Gesicht herab.«

Jetzt stürzte er sich auf sie. Er nahm sie in seine Arme und presste sie an sich. Ihre Hände ließ er frei.

»Kratz'«, sagte er, »kratz' doch!«

Sie legte wohl ihr Nägel an sein glühendes Gesicht, riss aber nicht an.

Seine Leidenschaft, auf die sie gar nicht gefasst gewesen war, machte sie nun starr – starr vor Glück.

Sie versuchte es gar nicht, sich loszumachen, als sein Arm immer näher und heißer ihr Gesicht berührte.

»Jetzt wirst Du es doch nimmer leugnen, dass Du meinetwegen gekommen bist?« sagte er triumphierend. »Und jetzt weißt Du auch, was Dir geschieht, wenn Du wiederkommst. Komm' niemals wieder, hörst? Ich mag Dich nicht hier. Dass ich Dich jetzt in den Armen halte, das ist nur Deine Strafe. Und ich sollte Dich nun zur Strafe noch küssen. Aber ich bring' es doch nicht zuwege. Du bist nämlich gar zu schlecht. Ich sehe, Du freust Dich so sündhaft an dieser Strafe, die Dich demütigen sollte. Darum küsse ich Dich nicht.«

Und er fand wirklich die Kraft, sie nicht zu küssen. Da küsste sie plötzlich ihn. »So strafe ich mich selber«, sagte sie dabei. Er sträubte sich nun gegen sie. Mit den Armen ließ er sie zwar noch nicht ganz frei, aber den Kopf bog er weit vor ihr zurück. Da gebrauchte sie aber eine Gewalt, die ihn staunen ließ. Eine Weile betäubte sie ihn völlig mit ihrer Liebesglut. Aber dann stieß sie plötzlich ein wildes Geschrei aus, das er sich gar nicht zu erklären vermochte, und tat, als ob sie sich mit Anwendung aller Kraft von ihm losreißen wollte. Und er hielt sie eigentlich gar nicht fest. Er sah, dass sie plötzlich ein falsches Spiel spielte.

Sie hatte unweit an der Waldmauer einen scharf herüber spähenden Mann erblickt, dem wollte sie nun glauben machen, dass sie sich mit aller Macht gegen Lenz wehrte. Und der Mann kam ihr nun wirklich zu Hilfe. Lenz bemerkte ihn erst, als er schon vor ihnen stand.

»Du wildes Tier!« schrie ihn der Herbeigeeilte an. »Gleich totschlagen sollte man Dich!«

Jetzt begriff erst Lenz völlig seine Lage. Der Angekommene war der Furthofer, ein entfernter Verwandter des Mädchens. Vor dem wollte sie nun zu ihrer Ehrenrettung das Möglichste versuchen. Lenz musste nun zunächst lachen. »Jetzt werde doch am Ende bei der Geschichte ich der Gestrafte.«

»Ja, das wirst Du auch«, sagte der Furthofer mit einer Empörung, bei welcher er doch schwer seine Schadenfreude verbergen konnte. »Ich hab' alles gesehen. Die Sach' wird für Dich nicht gut ausgehen, Bub. Komm mit, Leni.« Er nahm das Mädchen an der Hand und führte es fort. Lenz fiel auf den Stein hin und wälzte sich erst vor Lachen, aber dann kam er vom Lachen in Wut.

Es war also umsonst, dass er sich abseits von dem Gesindel angesiedelt hatte. Sie waren ihm wieder nachgekommen und nahmen ihm seine Ruhe, um die er sich so viel gemüht hatte! –

Der Furthofer war mit Feuereifer erbötig, dem reichen Sägemüller und Leni in der Angelegenheit die größte Genugtuung zu verschaffen. Die beiden konnten sich seiner freundlichen Mühe gar nicht genug erwehren. Er wollte gleich zum Gericht laufen und dann zu allen alten Weibern, um bei denen einer unliebsamen öffentlichen Meinung vorzubeugen. Ehe es ihm der Sägemüller verständlich machen konnte, dass er und die Leni die Geschichte ganz zu vertuschen wünschten, hatte der Furt-hofer in seiner Freundschaft für die beiden bei vielen maßgebenden Leuten schon so viel wie möglich getan. Er begriff nicht früher, dass er schweigen sollte, als bis ihn der Sägemüller dafür bezahlte. Für Leni lief das Ganze damit ab, dass sie von ihren vielen wohlgemeinten Freundinnen darum bedauert wurde, das Opfer der Leidenschaft eines argen Menschen geworden zu sein.

Über einen offenen Zweifel blieb die Tugend des Mädchens erhaben, aber dem jungen Einschichtler am Teiche wich man fortan wie dem gefährlichsten Verbrecher aus. In einer kurzen Zeit war er ein schier unversöhnlicher Menschenfeind geworden.

Mittlerweile starb der alte Sägemüller, und Leni wurde die Herrin ihres eigenen Willens und eines ansehnlichen Vermögens. Sie hatte schon immer gewünscht, so tun zu können, wie sie wollte. Nun durfte sie das. Und da ging sie zu Lenz. Sie zog dazu ein feierliches, schwarzes Kleid an. Die Dorfleute wurden vor Staunen lahm, als sie das junge Weib über den Hügel nach der Einschicht hingehen sahen. Aber es dauerte doch nur wenige Minuten, dann waren alle Mäuler in Bewegung. Ihr lag nichts an allem, was sie sagen mochten. Sie hatte nur ihren Vater gescheut, der sie lieber erwürgt als dem armen Lenz gegeben haben würde. Und jetzt war sie frei und konnte ihrer Neigung folgen. Eine Scham hielt sie nicht zurück. Lenz staunte nicht wenig, als er sie plötzlich in seiner kleinen, armseligen Stube sah. Zunächst wollte er ihr die Tür weisen. Aber dann entschloss er sich doch aus Neugier sie anzuhören.

»Ich komme zu Deiner Ehrenrettung«, sagte sie. »Ich bin sie Dir schuldig. Aus Not hab' ich damals gelogen und Dich schlecht gemacht.«

Er lächelte. »Wie willst Du das tun? Willst Du die Wahrheit austrommeln lassen?«

Sie schüttelte den Kopf. »Du weißt ganz gut, was ich will… Wenn ich Dich jetzt heirate, dann werden die Leute schon das Wahre denken, ohne dass ich es austrommeln lasse. Es ist mir recht, wenn sie dann Dich, meinem Mann, mehr achten als mich. Also willst Du…«

Er antwortete nicht gleich. Er fand keine Genugtuung für sich in ihrem Ansinnen. Sie entrüstete und – belustigte ihn nur damit. Und es ekelte ihn vor der Gier, mit der das junge Weib nach ihm strebte.

»Es ist recht schön, dass Dir so viel an meiner Ehrenrettung liegt«, entgegnete er. »Und ich sehne mich auch so kindisch nach ihr, dass ich mich gar nicht sträuben will. Zum Heiraten habe ich Dich freilich nicht gern genug.«

Sie hoffte, dass er mit den letzten Worten scherzte, und sah ihm fragend in die Augen. »Vielleicht werde ich Dir doch noch lieber, wenn ich so recht danach tue…«

Er zuckte mit den Achseln. »Das müsste man erst sehen.«

»Also bist Du entschlossen?« fragte sie.

»Zu meiner Ehrenrettung, ja.«

Sie hielt das für seine Zusage. Eine Weile wartete sie atemlos, ob er sie nun nicht in seine Arme nehmen würde. Als der das nicht tat, sagte sie: »Wenn Du nur gegen eine baldige Hochzeit nichts hast.«

»Gut«, sagte er, »mach' es nur gleich bekannt, dass Du mich heiraten willst. Befreie meine Ehrenrettung nur so groß und glänzend vor, wie sich das gehört.«

Sie versprach ihm das. Dann traf sie wirklich Vorbereitungen zu so einem prunkvollen Hochzeitsfeste, wie man noch im Dorfe keines gesehen hatte. Und weil alle Dorfleute zu dieser Hochzeit geladen waren, wurde sie auch gebilligt.

Lenz ließ den Hochzeitstag herankommen und fand sich dann zu der so großartig vorbereiteten Feier bei seiner Braut nicht ein. Sie fanden ihn in seinen schlechten Werktagkleidern bei der Arbeit.

»Weißt Du denn nicht, was heute für ein Tag ist?« fragten sie ihn.

»O ja«, entgegnete er. »Heute ist der Tag, an dem Ihr etwas Besseres von mir werdet glauben müssen als bisher, an welchem ich beweisen kann, dass ich die Leni nicht gemocht hab', dass nicht ich, sondern sie das Liebestolle von uns beiden war – der Tag meiner Ehrenrettung! Ich weiß, dass Ihr mir um den Hochzeitsbraten viel lieber alle Schlechtigkeit verziehen hättet, als Ihr nun daran werdet glauben müssen, dass ich besser, reiner, ehrenhafter bin als einer, der sich mit Euch gemein machen möchte.«

Und man hieß ihn nun im Dorfe einen Narren, weil es nimmer gut anging, ihn einen sittlich verdorbenen Menschen zu heißen…


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