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Wer wäre wohl jemals von Leipzig nach Weimar gefahren oder gerannt, mochte es nun sein, um Goethen bei dessen Lebzeiten die Aufwartung zu machen, oder als wirkliches Mitglied der Freiheits- Versicherungsgesellschaft in den Jahren 1813-15, und hätte nicht in dem durch seine Salzwerke, mehr aber noch durch seine Zuckerwerke, durch Kuchen nämlich, bekannten Dorfe Kösen Halt gemacht, um einen der letztern bei dem berühmten Herrn Hemmerling – dessen Namen ich zu meinem Leidwesen in Reichards Voyageur vermisse – zu kosten? Gewiß Jedermann so gut, wie ohne Ausnahme Alle, welche vor, mit und nach mir an dem Mutterbusen der hehren Pforta Latein, Tabakrauchen, und infolge des letzteren Karrieren lernten, die im Augenblicke, wo ihnen diese Zeilen zu Gesichte kommen, freundlich zunickend meine Aussage bestätigen werden, und bei denen ich mich durch Nennung des Namens Hemmerling (ein anderes Mac-Benac oder Mabeignac) als Ordensbruder legitimiere.
Ich hatte gerade Thüringen und ein Stück von der Lausitz, d.h. die größte Hälfte eines sächsischen Apfelkuchen-Parallelogramms verspeist, und war sehr stark willens den Rest des verbotenen Apfels dem Genoss'nen einzuverleiben, als der Donnerruf: ein Unterlehrer kommt! mich und meine Fressgevattern mehr erschreckte, als wie die gerade damals in Wien versammelten Monarchen die Nachricht: Napoleon sei von Elba entwichen. Weniger beherzt wie unsere erhabenen Vorbilder, hüteten wir uns jedoch weislich, unserm Erbfeind zu Leibe zu gehen, sondern rannten zur Hinterthür, paene relicto clypeo, hinaus, im gestreckten Trabe feldeinwärts und – ein wahres steeple-chase – dem Kirchturm unsers Klosters zu.
Während dieser Parforcejagd schossen dem Flüchtigen folgende flüchtige Gedanken durch den Kopf; ihre unlogischen Sprünge versinnlichen die unregelmäßigen meiner Beine deutlich genug.
Verdammter Unsinn, hob ich roh genug an – welcher Mensch außer einem gehetzten Fürstenschüler oder exorzisierenden Schamanen würde wohl sonst seine Rede mit einer Verwünschung beginnen – Verdammter Unsinn, das ganze Prohibitivsystem! Nützt es wohl zu etwas erklecklichem, und ist die Synode trotz aller Mühe und List nicht jedesmal die angeführte? Kann denn der Rektor der Kontrebande, die wir im vollgestopften Magen einschwärzen, so gut auf die Spur kommen, als die Französischen Douaniers den mit Spitzen und Kaffeesäcken ausgestopften Bedientenpuppen, die hinter den Hamburger Karossen aufstanden? Er müßte denn einem dergestalt ausgepolsterten Alumnen den Leib aufschneiden lassen, wie die nach Gold suchenden Spanier den Mexikanern, oder nach Zschokke, Deodat von Batz in Rhätien dreien seiner Leibeignen, obgleich dieser es, der Sage nach, nur that, um zu erfahren, wie man am schnellsten verdaue, saufend, schlafend oder spazierend. Und wollte er, der Magnificus, auch den des Kucheneinschwärzens Verdächtigen, um den ungesetzlicherweise Übersättigten zu überführen, zwingen, vor dem versammelten Lehrerpersonale eine zweite Mittagsportion zu verzehren, auch diese neue Schwedische Tunke hätte ihm nichts geholfen, denn der farzierte Inkulpat schlänge sie gewiß eben so begierig als der Hundsnüchterne hinein.
Verdammter Unsinn! wiederholte ich, nachdem ich die Mauer übersprungen, und mich mit schuldloser freier Stirne unter meine eingepferchten Mitschüler mischte. Das nitimur in vetitum wurzelt zu tief in unsrer Brust, als daß es Synnodalreskripte herausreißen könnten. – Oder sollte etwa, fuhr ich ruhiger werdend fort, hier, wo Alles nur eine Vorbereitung auf den Eintritt in die Welt ist, auch dieses Zoll- und Mautsystem, welches den Schlagbaum zwischen den hesperidischen Äpfeln des Bäckers und unserm Magen fallen läßt, nur eine fast scherzhafte Vorübung sein zu dem Lernäischen Hydrakampfe zwischen Gesetz und freiem Willen, den der Staatsbürger bis an sein Sterbestündlein zu bestehen hat? Diese Ansicht würde freilich das Abschneiden und Aufheben unseres Provianttransports durch die überall umherschwärmenden Pandurenhorden der Kollaboratoren entschuldigen, ja wohl gar rechtfertigen.
In unserm eisernen Jahrhundert haben scharfdenkende Fürsten schon längst die Lykurgische Pädagogik beherzigt und bei ihren Völkern eingeführt. Der Staat verlangt nämlich von seinen Kindern, so gut wie die Spartaner von den ihrigen, außer dem Mangel an Vermögen, daß sie mit Gewandtheit stehlen, d. h. Kontrebande einschmuggeln können sollen, und straft einsichtsvoll, um dieses Diebsprinzip zur höchsten Vollkommenheit zu steigern, nur denjenigen, welcher, wie in den Londoner Spitzbubenschulen, die mit Schellen behangene Gliederpuppe klingeln und sich ertappen läßt. Weise Landesväter befolgen den Goetheschen Ausspruch: »daß Väter ihren Kindern gar nicht merken lassen dürften, wie lieb sie dieselben hätten, und ihren Willen manchmal durchkreuzen müßten«, aufs getreuste, indem sie streng darauf wachen, den kindischen Freudenhimmel ihrer Unterthanen, im vorliegenden Falle ungestört guten Wein und Kaffee zu trinken, zu trüben. Dergestalt bewirken sie nicht nur, daß ihre Semper-Unmündigen sich nicht in träger Stumpfheit mit den schlechten Landesprodukten begnügen, sondern auch baldmöglichst und auf das genaueste erforschen, wo Barthel Most hole, ich meine, daß sie den Wein, den ihre ingrata patria verweigert, aus der besten Quelle aufsuchen und hereinschleppen. Um den Vertrieb der verpönten Kolonialwaren recht lebhaft zu machen, befolgen die Landesherren nicht nur das Beispiel der römischen Kaiser, welche durch gewaltsame Unterdrückung des Christentums diesem erst den wahren Halt gaben, und begnügen sich nicht damit, die Einfuhr zu verbieten, sondern sie legen selber die trefflichsten Runkelrüben- und Zichorienfabriken oder Weinberge an, um den himmelweiten Abstand der inländischen Produkte von den ausländischen dem Volk recht plausibel zu machen. Und wenn nach Justus Möser eine fleischfressende Nation das Doppelte von einer Rüben verzehrenden leistet – was kann demnach der Fürst nicht von seiner Arrac de Goa-Punsch und Mokkakaffee saufenden erwarten?
Durch das Prohibitivsystem jedoch erreichen staatskluge Regenten noch einen zweiten, fast wichtigeren Zweck. Voll von der Überzeugung, wie Kampf und Streit eine Art Stahlbad für die Völker sei, wie unmöglich es aber jetzt, wo das Prinzip der Nichtintervention noch nicht gehörig konsolidiert ist, werde, einen rechtschaffnen Krieg wegen ein paar abgeschnittner Ohren anzustiften, wie im Anfang des 18. Jahrhunderts England und Spanien ihn führten, oder wegen eines ausgelassenen Etcetera, wie Schweden und Polen ihn führen wollten – wenden sie, die Autokraten nämlich, einstweilen diese Stahl- und Duschbäder, wie bei gichtischen Leiden, bloß auf die Extreme des Körpers, auf des Staates Grenzen an, und lassen diese letzteren die Schwefel- und Pulverkuren des kleinen Krieges gebrauchen, um den Körper selber zu purgieren. Blackstone's Meinung, ein freier Staat solle gegen nichts mehr auf der Hut als gegen ein stehendes Heer sein, und dies solle keine vom Volke abgesonderte Masse bilden, wird hierdurch auf das herrlichste befolgt; die kühnsten Wünsche der Ultraliberalen, welche gegen die besoldeten Armeen donnern, gehen in Erfüllung, denn das Volk übt den kleinen und großen Krieg nicht nur im Herbste während der Manöverzeit, sondern steht das ganze Jahr hindurch unter den Waffen gegen die Grenzsoldaten und Gendarmen, und bildet sonach ein unbesoldetes Guerillakorps, welches bei etwaigem Kriege vom wunderbarsten Nutzen sein muss. Wird denn nicht überhaupt die ganze Nation, ohne daß man sie in kostspielige Montierungsstücke zu zwängen braucht, lediglich durch Zolldefraudation zu einer heroischen umgeschaffen, wenn Weiber und Kinder den schmuggelnden Männern bei Nacht auf den ungebahnten Pfaden trotz Sturm und Kälte folgen müssen, gerade wie bei den kriegführenden alten Deutschen? Welcher immenser Vorteil! – Und damit auch der eingeschränkteste Kopf einsehen lerne, wie ernst es den Fürsten mit der Erreichung dieses Zweckes sei, so bestrafen sie nicht nur ungehobelte Douaniers, welche den Humor der Sache nicht einsehen, und sich nicht totschießen lassen wollen, sondern sich wehren, auf das nachdrücklichste, sie setzen auch die Novizen und Stümper der Gegenwart, die sich erwischen ließen, in feste Verwahrungsörter, wo sie ihren Verstand schärfen müssen, um Mittel und Wege zur Entweichung entdecken zu können, und die hohe Schule der Korrektionshäuser gewiß gewitzigter verlassen. – Divide et impera, lehrt Cäsar. Der Regent zerfällt sein Volk in solche, die über den Zoll wachen, und die ihn umgehen. – wahrend der Rivalität der beiden Parteien herrscht er aber spielend.
Diese und ähnliche Gedanken waren es, welche mich damals mit den Kongreßakten der Schulsynode und deren machtlosen Vetos, wie noch bis auf diese Stunde mit Schlagbäumen, mit impertinenten Accise-Physiognomieen, und dem schlechten Tabak, »Vivat Landwehr!« genannt, versöhnten, und die ich deshalb andern ungeduldigen Menschenkindern zum Troste hier niederlege.