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Zimmer in Pandolfos und Matteos gemeinschaftlicher Wohnung, ein getäfeltes Gemach, das den Eindruck der Behaglichkeit hervorbringt. In der Mitte des Hintergrundes der Haupteingang, zu beiden Seiten ziemlich weit nach hinten ebenfalls Türen; eine vierte Türe, welche zu dem von Andrea bewohnten Zimmer führt, vorne links vom Zuschauer. Dieser gegenüber zur Rechten ein breites Fenster. Der Hausrat trägt ein gewisses künstlerisches Gepräge. An der Hinterwand links ein hoher offener Schrank mit Krügen, Humpen, Gläsern; zwischen den beiden Seitentüren zur Linken ein Stehspiegel; an der rechten Seite der Hinterwand eine Orgel oder sonst musikalische Instrumente, weiter vorn ein Notenpult. Tische und Armsessel sind geschnitzt.
Malgherita am Tische sitzend. Silvia steht vor ihr, eine Mandoline in der Hand.
Sylvia. Wollt Ihr nicht singen, Fräulein? Ich habe Euch die Mandoline gestimmt.
Malgherita. Ich mag nicht. Es ist eine ahnungsvolle Müdigkeit in meiner Seele, eine bange Erwartung, als ob mir etwas Großes widerfahren müßte.
Sylvia. Ihr habt wohl unruhig geschlafen?
Malgherita. Unruhig geschlafen, freilich. Aber schön geträumt.
Sylvia. O laßt hören, was war es? Ich habe die schönen Träume gar zu gerne.
Malgherita. Sieh, ich war mit Leonetto in einem großen blühenden Garten. Und der dicke Mann, den Herr Pandolfo gestern abend zum Nachtessen mitbrachte, und mit dem sie ihren dummen Spaß treiben, war auch da. Erst erschreckte er uns recht. Aber dann hatte er mit einem Male Herrn Matteos Geige in Händen und fing an, wunderlich darauf zu musizieren. Und wie er weiter und weiter spielte, da ward alles umher wie verzaubert, die Sonnenstrahlen blitzten noch einmal so golden, im Laub die Früchte leuchteten wie Edelgestein, und endlich tat der Himmel weit sich auf und schneite rote Rosen über uns herab.
Sylvia. Wie war das, Fräulein? Davon müßt Ihr mir noch mehr sagen.
Malgherita. Ein andermal, liebe Sylvia. Ich höre Herrn Pandolfo kommen, und das Reich der Wunder schließt sich zu. Seit unserm gestrigen Zusammentreffen am Tor ist er mir doppelt zuwider. Leonetto hat eine hübsche Schelmerei ausgedacht, seine Zudringlichkeit zu bestrafen.
Sylvia. Still, Fräulein, still!
Malgherita. Sylvia. Pandolfo kommt durch die Mitteltür.
Pandolfo. Nun, Mädchen, was sitzt ihr hier und legt die Hände in den Schoß? Ich habe meinem Bruder versprechen müssen, darauf zu achten, daß ihr eure Schuldigkeit tut.
Malgherita. Wenn er uns nur einmal dasselbe in bezug auf Euch auftragen wollte! Die Seidenhändler und Gastwirte sollten schon damit zufrieden sein.
Pandolfo. Laß den Mutwillen. Und nun ernsthaft gesprochen, sieh dich vor, daß du uns nicht um den Spaß bringst.
Malgherita. Ernsthaft gesprochen, ich will Euern Spaß nicht umbringen, wiewohl das eigentlich kein Totschlag wäre, sondern nur die Hinrichtung eines armen Sünders. Aber ich will Euer falsches Geld als vollwichtig annehmen.
Pandolfo. Du wirst den Dicken in allen Stücken behandeln, als ob er dein Vormund wäre.
Malgherita. Mit Vergnügen. Meine Vormundschaft kann ebensogut auf die Bildschnitzerei wie auf die Musik gepfropft sein. Mir gilt es gleich, ob Herr Matteo mich nach Noten ausschilt oder mir hölzerne Gesichter schneidet.
Pandolfo. Aber jetzt mach' fort! Sing' deine Tonleitern durch, und du, Sylvia, sorge für ein Frühstück; ich erwarte Besuch.
(Malgherita und Sylvia gehen ab durch die Mitteltür.)
Horch, da kommt auch der Dicke schon herangestapft. Sehen wir, was er treibt!
(Tritt hinter die Seitentür rechts vom Zuschauer.)
Andrea (kommt durch die Seitentür links vorne). Was man nicht alles erlebt! Hätte ich doch darauf schwören mögen, ich sei Andrea, den sie den Dicken nennen, und nun fängt es allmählich an, mir einzuleuchten daß ich mich geirrt habe. Sie sagen, ich habe das Fieber gehabt, und davon sei mir der Kopf noch angegriffen. Muß wohl wahr sein. Eigentlich kommt es mir vor, als sei während meiner Krankheit so ein Stück Seelenwanderung vorgegangen. Und nun will der alte Körper sich noch nicht recht an die neue Seele gewöhnen; denn – ehrlich gesagt, ich ertappe mich alle Augenblicke doch noch auf dem Gedanken, daß ich Andrea wäre. Da wird denn vor allen Dingen nötig sein, mir eine Notiz über die Sache zu machen. (Zieht die Kreide hervor.)
Nun fort mit all dem andern Plunder! (Wischt den Ärmel rein.) Ein dicker Strich bedeute, daß ich Matteo bin. (Macht den Strich.) Matteo? – (Hält inne.) Was ist am Ende dagegen einzuwenden? Matteo ißt gut, Matteo trinkt gut, Matteo schläft auf einem weichen Bette, Matteo hat einen sorgsamen Bruder und ein ganz allerliebstes Mündelchen – jawohl, ich bin Matteo. Warum soll ich nicht? Freilich ist Matteo auch ein Musiker – nun, man muß nicht unbillig sein, und das bißchen Elend bei so viel Vorteilen geduldig mit in den Kauf nehmen. – Ein berühmter Komponiste! Bei den elftausend heiligen Jungfrauen, ich weiß nicht, wie ich dazu gekommen bin; ich hätte ebensogut Generalfeldmarschall oder gar Papst werden können. Aber das Grübeln ist vom Übel, und Pandolfo hat recht, wenn er sagt, man könnte darüber verrückt werden.
Andrea. Pandolfo tritt rechts vom Zuschauer wieder hervor.
Pandolfo. Nun, lieber Matteo, wie geht's? Hat das Fieber ganz nachgelassen?
Andrea. Danke für gütige Nachfrage, lieber Bruder. Ich fühle mich so leidlich; leichter Atem, reine Zunge, sehr guter Appetit. Nur der Kopf will noch nicht recht. Immer noch einige Konfusion. Nun, du weißt schon.
Pandolfo. Das wird sich auch geben. Nach Tische wollen wir einen kleinen Spaziergang machen. Die frische Luft soll dir wohltun.
Andrea. Ganz wie du meinst. Aber weißt du was, lieber Bruder? Dann laß uns doch zum Peterstor hinausgehen. Dort hat der dicke Andrea seine Werkstatt; vielleicht steht er vor der Türe oder sieht aus dem Fenster. Ich begreife nicht, wie's kommt; aber es treibt mich ordentlich mit Gewalt, ihn mir einmal vom Kopf bis zu den Füßen recht anzusehen.
Pandolfo. Kommst du schon wieder mit deinen Grillen? Du wirst deinen Zustand nochmals verschlimmern.
Andrea (begütigend). Mißversteh' mich nur nicht! Ich meine ja gar nicht – als ob der Dicke nicht Andrea wäre – als ob er mich überhaupt etwas anginge. Ei Gott bewahre! Ich bin Matteo (sieht seinen Strich an), ich versichere es dir. (Kurze Pause.) Aber sehen könnt' ich ihn doch einmal.
Pandolfo. Was hast du nur von diesen Einbildungen und Gelüsten! Viel vernünftiger wär' es, wenn du einmal den Versuch machtest, ob's mit der Arbeit noch nicht wieder gehen will. Deine Notenhefte habe ich alle in den großen Eichenschrank in deinem Schlafzimmer gelegt.
Andrea (bestürzt). Notenhefte? (Hält einen Augenblick inne, dann das nächste sehr rasch.) Nein, lieber Bruder, das geht heute noch nicht, das würde mich noch zu sehr angreifen. – Aber sag' einmal, hat denn der große Schrank da drinnen schon immer meinem Bette gegenüber gestanden?
Pandolfo. Freilich, solange du das Zimmer bewohnst.
Andrea. Nun, dann hab' ich ihn mir heute zum erstenmal genauer angesehen. Das Schnitzwerk dran ist ja ganz abscheuliche Arbeit. Das hat ein rechter Stümper gemacht, der Schnitt unsauber, der Zierat ganz geschmacklos. So etwas immer vor Augen zu haben, ist wahrhaftig fatal; ich will mich daran machen und ein bißchen nachbessern, so gut es sich tun läßt. Gib mir nur ein ordentliches Messer.
Pandolfo. Hier, nimm! Aber wie kommst du zu der Fertigkeit, Matteo?
Andrea (herausfahrend) Nun, das muß ich doch – (Besinnt sich, da Pandolfo ihn scharf anblickt.) Naturanlage, lieber Bruder, Naturanlage! Wo der Trieb ist, entwickelt sich das Talent von selbst. Laß mich's nur versuchen.
(Geht vorne links in sein Zimmer.)
Pandolfo (allein). Die Sache geht besser, als ich dachte. Er getraut sich wahrhaftig kaum an seiner Matteoschaft zu zweifeln. Nur daß er den neuen Namen noch etwas unbehilflich trägt, etwa wie ein frischgebackner Doktor den schwarzen Mantel, wenn er zum ersten Male darin ausgeht. – Wo nur Buffalmaco bleibt? Er ließ mir sagen, er würde den Morgen noch vorsprechen. Ich hoffe, er kommt bald. Denn gegen elf Uhr muß ich zu meiner Ariadne von gestern, und er soll mich begleiten, um nötigenfalls Schildwache zu stehen.
Das ist ein allerliebstes Abenteuer. Wenn ich nur herausbringen könnte, welche Schöne eigentlich hinter der Samtmaske steckt. Zum Palast Frescobaldi beschied sie mich – sie hätte mir keinen längeren Weg aussuchen können; aber dort wohnt der Adel. Sicherlich ist sie eine ausnehmend vornehme Person. Ja, ja, ich bin ein Glücksvogel, nur die Flügel brauch' ich auszubreiten, so trägt mich der Wind gleich ins höchste Nest. Aber freilich gibt's auch keinen in Florenz, dem seine Sechsunddreißig so schmuck zu Gesichte stehen. Und dazu mein grünes Wams von gerissenem Samt und die knappen Beinkleider von Scharlach und die gestickte Krause. Ich habe mir auch einen neuen Busch Pfauenfedern an meine Kappe geheftet. (Setzt sie auf, vor dem Spiegel.) Wahrhaftig, das macht sich! Und den Degen trag' ich so, und dann blick' ich sie an – so – nein, nicht zu schmachtend, das macht die Weiber leicht übermütig, lieber die Augenbrauen etwas tyrannisch in die Höhe gezogen – so – nun seh' ich doch ganz aus wie ein Gegenstand für hochgeborne Passionen.
Buffalmaco ist schon während der letzten Reden Pandolfos in der Mitteltür erschienen. Er tritt jetzt rasch ein, mit ihm Cyprianus, der einen flachen Folianten und einen schwarz und weiß gestreiften Stab trägt.
Buffalmaco. Guten Morgen, lieber Gegenstand! Aber jetzt laßt Eure Passionen einen Augenblick beiseite. Hier bring' ich Euch den würdigen Bruder Cyprianus, den Amphion aller gläubigen Seelen, denn er erbaut sie; den Schrecken aller bösen Weiber, denn er ist ein gewaltiger Teufelsbanner.
Pandolfo. Seid uns willkommen, frommer Mann. Wollt Ihr Euch nicht setzen?
Cyprianus. Ich danke Euch. Die Dringlichkeit meiner Geschäfte gestattet mir nirgends längeren Verzug. Bis Sonnenuntergang habe ich noch sieben Spitzbuben zu vermahnen, vierzehn Brautpaare zusammenzugeben und zwei Herren zu inquirieren. Außerdem soll ich der großen Speiseverteilung im Klosterhof anwohnen; es gibt heute Makkaroni mit Liebesäpfeln. Das will alles abgetan sein; drum, wenn ich bitten darf, ohne Umschweife zur Sache!
Buffalmaco. Ich habe unsern verehrten Freund im allgemeinen bereits von dem eigentümlichen Seelenzustande Eures Bruders unterrichtet.
Pandolfo. So wird für mich wenig hinzuzufügen sein. Mein Bruder Matteo –
Cyprianus (fällt ihm in die Rede). Ohne Zweifel der Vormund der ehrbaren Jungfrau Malgherita, deren herrliches Stimmorgan uns beim Vortrage des Sanctus so oft in Entzückung versetzte?
Pandolfo. Ebenderselbe. Bei diesem also hat sich leider seit einigen Tagen die fixe Idee festgesetzt, er sei nicht der Kapellmeister Matteo, sondern vielmehr ein gewisser Andrea, der, ich glaube, Bildschnitzer ist.
Cyprianus. Seltsam allerdings, aber nicht unerhört. Ich wurde einst zu einem angesehenen Kaufmann gerufen, der sich für den schiefen Turm von Pisa hielt, und darum den Kopf immer auf die linke Schulter geneigt trug. (Macht die Pantomime.) Im übrigen war er ganz vernünftig und führte seine Bücher mit musterhafter Genauigkeit. So ist auch vielleicht der Herr Bruder sonst, was man so nennt, bei völligem Verstande? Er raset nicht, verspürt auch keine sonderlichen Gelüste, als etwa Spiegel zu zertrümmern, Feuer anzulegen oder mit Fliegen und Spinnen zu frühstücken?
Pandolfo. Nichts von der Art. Nur wenn man den einen Punkt berührt, beginnt das Faseln.
Cyprianus. So wird denn die Vermutung, die Herr Buffalmaco unterwegs gegen mich aussprach, doch wohl richtig sein. Ja gewiß, es ist irgendein unsauberer Geist in Herrn Matteo gefahren. Aber da seid Ihr bei mir vor die rechte Schmiede gekommen. Glaubt mir, meine Freunde, ich habe schon stärkere Teufel gebändigt. Wo ist der Besessene, daß ich den Dämon von ihm ausfahren heiße?
Pandolfo. Ich hör' ihn kommen. Geht mit Vorsicht zu Werke.
Cyprianus (wichtig). Laßt mich nur machen. Ich verstehe das.
Die Vorigen. Andrea kommt, vorne links.
Andrea. Du hast mir da vorhin ein schlechtes Messer gegeben, Pandolfo. Als ich kaum ein paar Schnitte getan hatte, zersprang die Klinge. – Ah, sieh da, Signor Buffalmaco! Und seid willkommen, würdiger Bruder. Wollt Ihr nicht mit uns frühstücken? Ich denke, es ist Zeit; mein Magen wenigstens hat bereits zehn Uhr geschlagen.
Cyprianus. Ich dank' Euch, lieber Herr Matteo. Ich sprach nur vor, um mich nach dem allerseitigen Befinden zu erkundigen, und freue mich, Euch wohl zu sehen. (Für sich.) Man merkt ihm nichts an. (Laut.) Was haltet Ihr denn von dem Wetter, lieber Herr Matteo?
Andrea. Je nun, ein prächtiger Sonnenschein, etwas heiß und so viel Stechfliegen, daß es einen ordentlich auf absonderliche Gedanken bringen könnte.
Cyprianus (ausforschend). Ei, ei, absonderliche Gedanken? Was meint Ihr damit zum Exempel?
Andrea. Nun, etwa im Zimmer am Sims eine Blaumeisenhecke anzulegen gegen die Fliegen, wie man gegen die Mäuse einen Hauskater hält.
Cyprianus (leise zu Pandolfo). Alles ganz vernünftig! Der Teufel hat sich in einen einzigen Winkel seiner Seele zusammengekauert. Aber wir wollen ihm ins Antlitz leuchten. (Laut.) Sagt mir doch, ihr Herrn, habt ihr denn schon von dem neuen Schnitzwerke gehört, welches die Dominikaner für ihre Kirche bestellt haben?
Andrea (rasch). Ist das nicht ein heiliger Georg?
Cyprianus. Jawohl, ein heiliger Georg mit dem Drachen. (Für sich.) Aha, nun faßt es. (Wieder laut.) Es soll von einem gewissen Andrea verfertigt sein.
Andrea. Allerdings, ich – (Pandolfo tritt drohend auf ihn zu, er erschrickt, blickt auf seinen Strich und spricht dann tonlos und abgebrochen.) Allerdings – es soll – von einem gewissen – Andrea verfertigt sein.
Cyprianus (für sich). Jetzt sind wir auf der richtigen Fährte. (Laut.) Heute morgen sprach ich verschiedene, welche die Arbeit in der Werkstatt des Künstlers in Augenschein genommen hatten, und diese sagten mir –
Andrea (ungeduldig). Was, was sagten sie?
Cyprianus. Daß es ganz und gar nichts tauge; der heilige Georg säße zu Pferde wie ein Mehlsack, und der Lindwurm sähe aus wie eine Eidechse, welche die natürlichen Blattern hat.
Andrea (heftig losbrechend). Dummköpfe sind das gewesen, Herr Frater, die das gesagt haben, zweibeinige Mülleresel, von denen hundertundzwanzig auf ein Schock gehen. Alle elftausend heiligen Jungfrauen! Der heilige Georg wie ein Mehlsack! Hab' ich darum nächtelang gesonnen, wie ich jeden Zug ausführen wollte? Bin ich darum neulich unmittelbar nach Tische zwei ganzer Stunden weit nach dem Ringelstechen hinausgelaufen, um zu sehen, wie einer beim Stoßen im Sattel sitzt! – Wie ein Mehlsack! Es ist zu arg, es ist unerträglich, es ist himmelschreiend!
Cyprianus (hat sein Buch aufgeschlagen und beschreibt Zeichen mit dem Stabe, mit erhobener Stimme). Exorciso te! Exorciso te! Apage Satana!
Andrea (ohne auf den Cyprianus zu achten). Aber laßt mir die Herren nur kommen! In die Zähne will ich's ihnen sagen, was ich von ihnen denke. Den Text will ich ihnen lesen, den nichtswürdigen Kritikastern!
Cyprianus (näher auf Andrea zutretend). Exorciso te! Apage Satana!
Andrea. Bleibt mir vom Leibe mit Eurem Gefuchtel und mit Eurem Latein! Mein Drach ist ein schöner Drach, ein ganzer Drach, ein echter Drach und mehr wert als zwanzig Fratres, die auf ihn zu lästern wagen.
Cyprianus. Exorciso te! Esruch, Sesruch, Balguch, Sanct Cassius, Elsazon!
Andrea (ihm auf das Buch schlagend, mit steigender Heftigkeit). Ihr sollt nicht Latein sprechen oder Ebräisch oder Ägyptisch! Ihr sollt bekennen, daß mein Drach ein guter Drach ist, oder es soll kein Knöchelchen an Euch ganz bleiben.
Cyprianus (sich retirierend, aber nur lauter beschwörend). Mentue, Semson, Sasion, Sangariel, Abiodenon, Faxan!
Andrea (wütend). Wartet, ich will Euch befaxen. (Er will auf ihn zuspringen; die andern halten ihn.)
Pandolfo. Halt, halt, Matteo, bist du rasend?
Cyprianus. Apage! Tetragrammaton, max, nax, pax Sesserod.
Andrea (dazwischen schreiend). Ha, so soll doch – (Er reißt sich los, um auf Cyprianus zu stürzen, verwickelt sich aber im Teppich und fällt, indem er Tisch und Stuhl unter großem Gepolter mit umreißt.)
Cyprianus (schlägt sein Buch zu). So! Jetzunder scheint der unsaubere Geist aus ihm gefahren. Er hat noch im Zorne den Tisch umgeworfen.
Buffalmaco. Jawohl, mir deucht, ich sah den Schatten seines Schwanzes über den Spiegel gleiten.
Andrea (am Boden). Helft mir nur auf die Beine! Helft mir nur auf die Beine!
Pandolfo. Aber liebster Matteo! Welch ein schrecklicher Rückfall!
Buffalmaco (Andrea mit Pandolfos Hilfe aufrichtend und in einen Armsessel führend). So! Ruht Euch aus. Der Anfall hätte durch den Fall leichtlich ein Unfall werden können. Ihr müßt Euern treuen Bruder nicht so betrüben.
Andrea (kleinmütig). Nein! Gewiß nicht wieder! Ach, ich bin so erschöpft, so erschöpft. – Wie war mir doch! Ich weiß nicht, wie es zuging, aber ich meinte ganz gewiß, ich wäre Andrea und hätte den heiligen Georg geschnitzt.
Cyprianus. Freilich, mein Sohn, Beelzebub hatte dein Gemüte verblendet; aber ich habe ihn von dir getrieben; er ist ausgefahren wie der Stöpsel von einer Flasche gärenden Weines, und du wirst hinfort Ruhe haben. – (Rüstet sich zum Aufbruch.) Guten Morgen, ihr Herrn. Ich verlasse euch; mein Geschäft ist glücklich beendet, und die Uhr geht auf elf.
Pandolfo. Auf elf! (Für sich.) Ariadne ruft. – (Wieder laut.) So geben wir Euch das Geleite. Lieber Matteo, ich habe einen notwendigen Gang in die Stadt, und Buffalmaco will mich begleiten. Du mußt heute schon mit den Mädchen allein frühstücken.
Andrea (der sich allmählich wieder erholt hat). Wohl, und ich werde für dich mitessen. Ich glaube beinahe, der Dämon hat mir im Magen gesessen. Denn drinnen spür' ich plötzlich eine Leere – der Walfisch des Jonas kann sie nicht ärger empfunden haben, als er den Propheten ausgespien hatte.
Buffalmaco. Gesegnete Mahlzeit denn!
Cyprianus. Und gute Besserung.
(Pandolfo, Buffalmaco und Cyprianus gehen ab durch die Mitteltüre; der letzte läßt seinen Folianten auf dem Tische liegen.)
Andrea (allein). Seltsam! Seltsam! Wie kam mir denn nur wieder der kuriose Einfall? Ja, richtig, bei dem Schnitzwerk. – Und der heilige Georg – hab' ich ihn denn nicht wirklich? – Apage Satana! Trägst du schon wieder Gelüste nach meiner armen Seele? Ich muß mich nur auf andere Gedanken bringen. (Er ergreift einen großen altmodischen Fliegenwedel, klatscht Fliegen und summt):
Es war eine Dirne hold zu schaun – Hatt' ein Aug' blau, das andre braun, Die sprach zum Junker Sausewind: Mein Schatz – |
Ah, da hör' ich Teller klappern! Das ist noch Musik. Bringt einen doch nichts so rasch in die liebe Wirklichkeit zurück als ein tüchtiges Frühstück.
Andrea. Malgherita und Sylvia mit dem Frühstück.
Malgherita. Guten Morgen, Herr Vormund!
Andrea. Guten Tag, ihr hübschen Kinder, guten Tag. Ihr bringt in dem Schinken da einen so dringenden Empfehlungsbrief an meinen Appetit, daß ich euch willkommen heißen würde, selbst wenn ihr bucklicht wäret und schieltet.
Malgherita (während sie sich zum Frühstücke setzen). Seht Euch vor, Herr Matteo, daß Euer Witz nicht bucklicht wird und Eure Gleichnisse nicht schielen. Das ist wenig Ehre für uns, wenn wir bei Euch einer geräucherten Empfehlung bedürfen.
Andrea. Immer schlagfertig, kleine Nachtigall?
Malgherita. Wozu gäb' es Nachtigallen, wenn sie nicht schlagen sollten? Die Gimpel freilich pfeifen bloß, es fehlt ihnen an gutem Ton. – Aber gelt, ich will Euch nicht böse machen. Kommt, reicht Euern Teller her, hier leg' ich Euch dies vortreffliche Schnittchen vor, nehmt es als Friedensopfer an.
Sylvia. Und ich schenk' Euch ein. Guter Wein findet gute Statt wie gutes Wort.
Andrea. Fürwahr, Kinder, man kann euch nicht gram sein. (Ißt.) Und der König Sardanapalus hat keinen besseren Schinken gekostet, wenn er seinen Namenstag feierte. – Aber du issest ja nicht, Malgheritchen. Tu mir's doch nach! Ich gehe dir mit gutem Beispiele voran.
Malgherita. Dafür seid Ihr auch mein Vor-Mund.
Andrea. Silbenstecherei und kein Ende! Nur bringst du deine Einfälle mit so betrübter Miene vor, als ob dir's mit dem Spaße kein rechter Ernst wäre. Fehlt dir denn etwas?
Malgherita. Ach, Herr Matteo, wenn ich Euch alles aufzählen sollte, was mir fehlt, ich würde vor Sonnenuntergang nicht fertig. Das Register meiner Klagen ist so lang wie die Arnobrücke und klingt jämmerlich wie eine zersprungene Vesperglocke.
Andrea (allmählich auftauend). Nun, nun – jeder hat am Ende sein Bündelchen zu tragen, es geht keinem ganz nach Wunsch. Sieh mich an. Ich habe eigentlich mein Lebtage die Musik nicht leiden können und bin nun doch Kapellmeister geworden, und berühmter Komponiste dazu. Und was andere Kleinigkeiten betrifft, da muß man sich etwas versagen lernen. Ich hätte zum Exempel für mein Leben gerne meinen Bruder oder sonst einen guten Kumpan hier, daß er mir beim Weine Bescheid täte. Indessen, es geht nicht an, und du siehst, ich maule nicht und laß es mir nichtsdestoweniger schmecken. – Aber sag' einmal, Malgherita, was hast du denn vor? Statt in die Schüssel zu sehen, schickst du deine Blicke zum Fenster hinaus und führst sie draußen auf dem Platze spazieren.
Malgherita. Ich sehe nur nach der Uhr am Glockenturme gegenüber.
Andrea (ist aufgestanden). Oder nach dem jungen Manne, der unten am Turme steht und eben heraufgrüßt.
Sylvia (für sich). O weh!
Malgherita. Er wird Euch gegrüßt haben.
Andrea. Auch möglich. Ich habe sein Gesicht schon irgendwo gesehen und kann dir versichern, daß es ein gutes Gesicht ist. Wenn ich mich nur besinnen könnte! (Blickt wieder hinaus.) Er bleibt noch immer stehen und blickt herauf. Vielleicht erwartet er jemanden. (Mitleidig.) Aber da unten im grellen Sonnenschein! Dauert mich, dauert mich in der Tat, der hübsche junge Mann. Wenn ich nur wüßte, wie er hieße, so könnte ich ihn heraufrufen! Hier im Schatten, bei einem Glase Wein, ist's doch immer besser, als draußen auf der brennenden Gasse.
Malgherita (ist von hinten an Andrea herangetreten, ihm die Hand auf die Schulter legend). Lieber Vormund, ich glaube, er heißt Herr Leonetto.
Andrea (unbefangen). Ei, das ist mir lieb zu hören. Ja, und ich erinnere mich ganz deutlich, er hat mir irgendeinen Dienst erwiesen, nur die Umstände (mit einem Blick auf den Ärmel) sind aus meinem Gedächtnisse verwischt. (Ruft aus dem Fenster.) Herr Leonetto! Lieber Herr Leonetto! Wollt Ihr nicht heraufkommen?
(Pause.)
Nein, gewiß nicht, gewiß nicht! Ich mache keinen Spaß; es wird mir eine Ehre sein, wenn Ihr mit mir frühstücken wollt. Nur hier unten herein und geradeaus die Treppe herauf.
Sylvia (leise zu Malgherita). Ach, Fräulein, ich zittere an allen Gliedern. Ich mache mich fort.
Malgherita. Den Kopf nicht verloren! Furchtlos und treu ist der Wahlspruch der Liebe.
(Sylvia geht ab durch die hintere Seitentüre links.)
Die Vorigen ohne Sylvia. Leonetto.
Andrea. Seid mir willkommen, lieber junger Herr. Nehmt Platz! Hier ist's kühler wie draußen vor den Häusern. Ich darf Euch doch einen Becher Wein anbieten?
Leonetto. Ich weiß nicht, wie ich Eure Güte und Freundlichkeit verdient habe, aber ich nehme sie fröhlich an als ein schönes Geschenk des Himmels.
Andrea. Macht keine Umstände. Es war ein gut Stück Selbstsucht dabei. Ich dachte eben: Zu zweien trinkt sich's doch besser. Da sah ich Euch dort unten in der Hitze stehen und rief Euch herauf.
Leonetto. So will ich der Mutter Natur ewig dankbar sein, daß sie den Geist der Geselligkeit in den Saft des Rebstockes bannte, da er mir wie mit goldenem Schlüssel Euer Haus öffnet.
Andrea. Sehr gut gesagt, junger Freund. Und rasch, Malgherita, schenke dem Herrn ein. Ei, du glühst ja über und über wie eine Rose. Wer wird so befangen sein! – Das ist meine Mündel, lieber Herr. Ihr müßt es dem hübschen Kinde nicht verargen, wenn sie sich ein wenig ziert.
Leonetto. Ihr lebt hier wahrlich wie im Olymp; Hebe selbst kredenzt den Nektar. Dreimal glücklich, wer an Eurem Tische sitzen darf. Erlaubt mir, daß ich diesen Becher auf Euer Wohlsein leere, und mögt Ihr mir immerdar so freundlich gesinnt bleiben.
Andrea. Warum sollt' ich nicht! Ihr gefallt mir. Ihr habt ein freies Auge und eine hohe Stirne, wie sie unser Herrgott seinen Schoßkindern zu geben pflegt. Ich könnte Euch für einen Künstler halten.
Leonetto. Ihr habt's erraten. Ich bin Baumeister.
Andrea. Baumeister, ei – ein herrlich Geschäft – so den ungeschlachten Stoff durch Maß und Verhältnis Sitte lehren, und die Wohnstatt richten für Gerechte und Ungerechte. Ich meinesteils, ich bin – ja – ich bin mit Eurer Erlaubnis ein Musiker. Aber reden wir von Euch. Was baut Ihr denn?
Leonetto. Nun, was eben vorkommt. Häuser und Brücken, Türme und Kapellen. Ich habe vollauf zu tun und fühle mich reich und glücklich dabei. Aber noch glücklicher würd' ich freilich sein, wenn ich mir erst den eigenen Herd bauen dürfte.
Andrea. Wer hindert Euch daran? Tut doch, wozu das Herz Euch treibt.
Leonetto. Ihr vergeßt, daß zum Herde auch die Hand gehört, welche das heilige Feuer schürt, und daß diese Hand oft schwer zu gewinnen ist. Aber Euer edles Wohlwollen könnte mir Mut machen, Euch die geheimsten Wünsche meines Herzens anzuvertrauen –
Malgherita (rasch, leise). Sachte, sachte, um Gottes willen –
Andrea (gutmütig). Ei, ei, vertraut mir immerhin, was Ihr wollt. Es soll gut aufgehoben sein. Und wenn ich Euch helfen kann – (Es klopft stark.) Heda, wer klopft denn so? Herein! Herein!
(Die Mitteltür öffnet sich weit, Pasquale erscheint in derselben.)
Ein vornehmer Herr!
Die Vorigen. Pasquale tritt verbindlich grüßend ein, ihm folgt ein Page, welcher einen Korb mit Wein trägt.
Pasquale. Der werten Gesellschaft freundlichsten Gruß! Habe ich die Ehre, dem großen Musiker und weltberühmten Komponisten Signor Matteo gegenüberzustehen?
Andrea (sieht auf seinen Strich). Zu viel Ehre, aber mein Name ist Matteo.
Pasquale. So habe ich im Auftrage Seiner Eminenz des Kardinals von Comalunga, des großmütigen Beschützers aller Künste –
Andrea. Verzeiht einen Augenblick – (Zu Leonetto, der nach seinem Barette gegriffen hat.) Lieber Herr Leonetto, ich bitte Euch, brecht nicht auf. Meine Geschäfte sind für niemanden ein Geheimnis. (Er ergreift Leonetto bei der Hand und führt ihn zu Pasquale in den Vordergrund, so daß er gewissermaßen genötigt wird, als dritter an der Unterhaltung teilzunehmen, und von Malgheriten getrennt bleibt, welche sich indessen an dem Schranke im Hintergrunde zu schaffen macht. Sobald die Personen gruppiert sind, wendet sich Andrea wieder zu Pasquale.) Bitte nochmals um Entschuldigung. Also Seine Eminenz, der Kardinal –
Pasquale. Von Comalunga sendet mich zu Euch, vorerst um Euch zu bitten, den beifolgenden Korb mit Syrakuser als eine kleine Ermunterung zu Eurer großen Arbeit annehmen zu wollen.
(Auf einen Wink Pasquales setzt der Page den Korb nieder und entfernt sich.)
Andrea. Sehr verbunden, lieber Herr, sehr verbunden – Syrakuser – ei ja, ich hab' ihn immer für ein ausnehmend vortreffliches Getränke gehalten. Auch Montefiascone schmeckt gut, und Lacrimä vom Vesuv, aber ich ziehe den Syrakuser dennoch vor. – Nicht wahr, Herr Leonetto, Seine Eminenz verstehen sich auf die Natur der Künstler? Andere Leute sind hungrig, aber ein Künstlergemüt ist ewig durstig. Es ist falsch, wenn man sagt: Kunst geht nach Brot. Handwerk geht nach Brot, aber Kunst geht nach Wein.
Pasquale. Ferner trugen Seine Eminenz mir auf, bei Euch anzufragen, wie es mit der Messe stände?
Andrea (mißverstehend, ganz unbefangen). Ei nun – wie soll es damit stehn? Ich denke, ganz wie Seine Eminenz es wünschen können. Die Messe wird diesmal wohl besonders reich und glänzend ausfallen, da das Wetter sehr schön zu bleiben verspricht.
Pasquale (Andreas Rede nach seinem Sinne deutend). Also Ihr seid in Euern Schöpfungen auch von den Einwirkungen der Euch umgebenden Natur abhängig? Ein echt künstlerischer Zug, den ich sonst namentlich an Poeten bemerkt habe.
Leonetto. Ihr habt recht, Signor. Ich selbst kannte einen, der im Herbste regelmäßig Elegien und Betrachtungen über die Hinfälligkeit alles Irdischen schrieb; im Winter gefroren seine Empfindungen zu steifen Sonetten, aber mit dem ersten Frühlingshauch kam das Tauwetter in seine Gedichte, und war nichts zu sehen als eitel Wasser.
Pasquale. Doch um wieder auf Euer Werk für die Kapelle des Kardinals zu kommen, so wünscht derselbe, daß besonders der Chor mit recht kunstreichen Figuren verziert sein möge, wie sie Euch so trefflich gelingen.
Andrea (warm). Nun, das freut mich doch, daß Ihr meine Figuren schön findet. Da war erst einer, der sprach von Mehlsäcken, der dumme Mensch – aber – (Starrt plötzlich wieder auf seinen Ärmel, völlig den Faden verlierend.) Wie ist mir denn? – Verzeiht, Herr – ich habe das Fieber gehabt und bin mitunter etwas geistesabwesend – aber jetzt besinn' ich mich – ganz recht – sagt mir doch, lieber Herr, wovon redet Ihr denn eigentlich?
Pasquale (für sich). Ein wunderlicher Kauz, aber einen Sparren haben sie alle. (Laut.) Ich sprach von dem Musikwerke, von der großen Messe, welche Seine Eminenz bei Euch bestellt haben, und wollte Euch den Wunsch meines Herrn ausdrücken, daß Ihr –
Andrea. Ja so – ganz richtig – der Kardinal hat eine Messe bei mir, bei dem Kapellmeister Matteo bestellt. Jetzt begreif' ich es ganz. O, seid versichert, sie ist in den besten Händen, sie wird ebenso vorzüglich werden wie meine andern musikalischen Werke. Sobald ich hergestellt bin, werde ich gleich wieder daran gehen.
Malgherita. Lieber Vormund, wollt Ihr dem Herrn nicht Eure Arbeit vorlegen, soweit sie vollendet ist? Sagt man doch: Aus der Klaue den Löwen.
Andrea. Recht gerne, mein Kind, recht gerne. Wenn ich nur wüßte, wo sie diesen Augenblick liegt.
Malgherita. Im großen Eichenschranke, Herr Matteo. Ich weiß sie zu finden und hole sie her.
(Geht ab durch die vordere Türe links.)
Andrea. Weiß das Blitzmädel am Ende besser unter meinen Skripturen Bescheid als ich selber! Ein wahres Glück für mich, solch Mündelchen zu haben. Denn offen gestanden, Herr, meine Gemütsart neigt einigermaßen zur Konfusion.
Leonetto. Künstlerwirtschaft! Künstlerwirtschaft!
Malgherita (kommt zurück mit Noten). Hier ist die Partitur. Werft einen Blick hinein, werter Herr, und wenn Ihr ein Kenner seid, werdet Ihr in diesem Wald von Noten die Vögel schon singen hören.
Pasquale (die Blätter durchsehend). In der Tat – eine großartige Introduktion. – Und hier dies Solo (mit dem Ausdruck eines Kunstenthusiasten) himmlisch, sage ich Euch – himmlisch! Wie reizend moduliert Ihr hier von einer Tonart in die andere. Und welche Instrumentation! Hier, wo die Hörner kommen, wo die Geigen staccato und pizzicato einsetzen – das wird eine Gesamtwirkung geben! Nehmt den Zoll meiner Bewunderung, verehrter Meister. Wenn Ihr das Werk so zu Ende führt, wie Ihr begonnen, so reicht es hin, Euch die Unsterblichkeit zu sichern.
Andrea (zuversichtlich). O, ich werde es schon zustande bringen, mir ist gar nicht bange. Ganz, wie Ihr sagt: Harmonie und Melodie zusammen in Ton modelliert – und die Nashörner und die Herrn Pack-Cato und Spizzi-Cato will ich auch schon wieder anbringen, und meinetwegen den Portius Cato obendrein.
Pasquale. Ihr scherzt, würdiger Mann, aber es freut mich, Euch bei so guter Laune zu finden. Mir ist immer gesagt, eine gründlich heitere Stimmung sei die Mutter der vorzüglichsten Kunstwerke. (Aufbrechend.) Ich kann also dem Kardinal Hoffnung machen, daß er die Arbeit bald vollendet sehen dürfte?
Andrea. Gewiß, gewiß. Und vergeßt ja nicht, Seiner Eminenz meinen aufrichtigsten Dank für den vortrefflichen Syrakuser abzustatten.
Pasquale. Werde nicht verfehlen. – Und somit Euer gehorsamster Diener.
(Andrea komplimentiert ihn hinaus.)
Andrea. Malgherita. Leonetto.
Andrea (zurückblickend, mit Behagen). Es hat doch auch seine angenehmen Seiten, ein Komponiste zu sein! Wenn's einem so mir nichts, dir nichts Syrakuser ins Haus regnet, das laß ich mir noch gefallen. (Zieht eine Flasche hervor und hält sie prüfend gegen das Licht.) Wie das blinkt! Eitel Rubin! Müssen's doch gleich versuchen. Rückt heran, junger Freund, und gib frische Gläser, Malgherita!
Leonetto. Ich habe vieler Menschen Städte gesehen, Herr Matteo; doch Ihr seid der freundlichste Wirt, der mir jemals begegnet.
Andrea. Meint Ihr? Nun, das ist mir lieb. (Trinkt.) Bei den elftausend heiligen Jungfrauen! Exquisit die Sorte da! Feurige Süßigkeit, süßes Feuer. Schenk' noch einmal ein, meine reizende Hebe, wir wollen auf dein Wohl trinken. Stoßt an, Herr Leonetto!
Leonetto. O, von ganzem Herzen.
(Beim Anstoßen haben sich die jungen Leute erhoben. Während Andrea ganz in sein Glas vertieft langsam und mit sichtbarem Wohlbehagen den Wein schlürft, ergreift Leonetto leise hinter dem Rücken oder vielmehr über dem Haupte des Trinkenden Malgheritas Hand und küßt sie. In demselben Augenblicke sieht Andrea auf.)
Andrea. Sagt einmal, Kinder, es will mir fast vorkommen, als wäre eure Bekanntschaft nicht von heute. Ihr habt euch wohl schon öfter gesehen?
Leonetto (etwas betroffen). Ich hatte das Glück, der Signora Malgherita häufig zu begegnen, wenn sie aus der Messe kam –
Malgherita (eifrig). Und da war Herr Leonetto immer so freundlich, mir Platz im Gedränge zu schaffen. Dafür, denk' ich, hat er doch die gerechtesten Ansprüche auf meine Dankbarkeit. –
Andrea (gutmütig). Nun, nun, Dankbarkeit ist eine schöne Tugend und selten genug in der Welt. Dagegen läßt sich nicht viel einwenden. Und glaubt mir nur, Kinder, ich bin auch jung gewesen und weiß, wie es tut, wenn einem das Feuer vom Herzen auf die Lippen steigt. (Mit immer stärker durchbrechendem Gemütston.) O die Jugend. die Jugend! Die schöne goldene Zeit, wo Kopf und Herz und Sinne noch einträchtig miteinander gehn! Mich überfällt es wie ein Heimweh, wenn ich daran denke, wie das nun alles so weit hinter mir liegt.
Leonetto. Ihr tut Euch selber unrecht, Herr Matteo. Ein echter Künstler altert nicht. Und ob Euch auch schon ein wenig Reif auf die Schläfe fiel, der Brunnen da drinnen (auf Andreas Herz deutend) gefriert nimmermehr.
Andrea. Ich glaube wahrhaftig, du hast recht, mein Junge. Ja, du hast recht. Nur verschüttet war er, der Brunnen, verdammt verschüttet, mit Trümmern und Unkraut, Sorg' und Ärger. – Aber Wein und Freundschaft räumen gut auf. Ich spür' es ordentlich, wie sich's drinnen rührt, wie's durch all das Geniste warm und sprudelnd hindurchbricht. Das Herz geht mir auf, als wollt' es noch einmal Frühling werden. (Warm und tief von innen heraus.) Ach, Kinder, mir ist wohl, von ganzer Seele wohl. (Kleine Pause.) Was seufzest du nur, Malgherita?
Malgherita. Ich kann's nicht helfen, aber ich muß immer daran denken, daß alle Freude so kurz ist. Der Augenblick ist schön, doch wer steht uns dafür, daß das nicht alles ein Traum ist! Die nächste Stunde kann uns erwecken, damit wir uns dann zwiefach betrübt fühlen.
Andrea. Wie kommst du nur auf solche Gedanken, Kind! Nein, nein! Schlag dir die Grillen aus dem Kopfe! Warum sollt' es nicht so bleiben! Warum sollten wenigstens sich solche Stunden nicht wiederholen lassen!
Malgherita. Das Glück hat schnelle Füße, und wenn es einmal davongelaufen ist, so ist es schwer wiederzuholen.
Andrea. Darum soll man es festhalten, wenn es da ist. – Hört, Kinder, nicht wahr, wir dreie taugen füreinander?
Leonetto. Gewiß. Wem sollte bei Euch nicht froh und heimlich werden?
Andrea. Wohl, so laßt uns unser Leben doch so einrichten, daß wir oft, recht oft beieinander sind –
Leonetto. Ich weiß nicht, ob ich Eure Worte nach meinen Wünschen auslegen darf. Aber der glücklichste Mensch unter der Sonne wäre ich, wenn ich Malgherita mein Weib, wenn ich Euch –
(Es klopft.)
Malgherita (betrübt). Ach, da kommt jemand, und nun wird es mit dem Traume vorbei sein, wie ich sagte.
>Die Vorigen. Cyprianus hastig durch den Haupteingang.
Cyprianus (mit der Eile eines Vielbeschäftigten). Verzeiht, verzeiht, wenn ich störe! Ich muß vorhin mein Spruchbuch hier zurückgelassen haben.
Andrea. Hier liegt es noch auf dem Tische. Keine profane Hand hat seine Blätter berührt.
Cyprianus. Danke Euch! Nun, wie geht's, wie steht's, Herr Matteo?
Andrea (herzlich). Sehr wohl, würdiger Bruder, sehr wohl. Ihr habt mir wahrlich einen großen Dienst erwiesen, da Ihr den bösen Dämon von mir triebet. Ich kann Euch nicht sagen, wie froh und heiter mir seitdem zumute ist; ich möchte die ganze Welt umarmen.
Cyprianus (welcher ein ihm von Malgherita gebotenes Glas rasch geleert hat). Herrliche Anzeichen vollständiger Wiederherstellung! Aber ich muß weiter. Meine Geschäfte drängen. Die Spitzbuben sind vermahnt, die Herren sind inquiriert; jetzt geht es an die vierzehn Trauungen –
Andrea. Trauungen? – Da kommt mir ein Gedanke. Sagte nicht erst jemand, das Glück habe schnelle Füße, und darum müsse man es festhalten?
Malgherita (dringend). Ja, und zwar so fest, daß es nicht wieder entwischen könne.
Andrea. So verzeiht, frommer Mann, wenn ich Euch doch noch einen Augenblick zu verziehen bitte. Wir bedürfen hier Eures Amtes.
Cyprianus. Wohl, wohl. Aber bringt die Sache rasch vor!
Andrea. Seht, dies ist Herr Leonetto –
Cyprianus. Ei, ei, ich kenne den Herrn Baumeister. Er hat noch im Frühjahr schwere Summen von uns verdient, da er die neue Kuppel über unserer Kirche wölbte.
Andrea. Desto besser. Also ganz kurz. Herr Leonetto wirbt um die Hand meiner Mündel Malgherita; ich, ich gebe meine Einwilligung, und Ihr sollt den Segen sprechen, und zwar auf der Stelle.
Cyprianus. Mit Vergnügen. – Macht also fünfzehn Trauungen für heute. – Das Nötige für die Zeremonie wird in der Nähe sein?
Malgherita. Jawohl, hier nebenan, die Nische meines Zimmers ist wie ein Kapellchen eingerichtet.
Leonetto. Ich weiß nicht, wach' ich? träum' ich? Ist's möglich, Malgherita?
Malgherita. Es ist kein Traum. Nun schneit es rote Rosen.
Cyprianus (drängend). Aber ich muß bitten, – es warten noch vierzehn andere Paare –
(Malgherita, Leonetto und Cyprianus eilen ab durch die hintere Seitentüre links vom Zuschauer, Andrea bleibt einen Augenblick zurück.)
Andrea. Seltsam! Es klingt mir da was so lustig im Herzen – das singt und spielt und jubelt – ich glaube wahrhaftig, die Musik kommt mir wieder. (Er folgt den andern.)
Die Szene bleibt einen Augenblick leer. Dann erscheinen Pandolfo und Buffalmaco, durch den Haupteingang auftretend, der erstere mit allen Zeichen heftiger Verstimmung.
Buffalmaco. Seid vernünftig, Pandolfo, und laßt den übel angebrachten Zorn! Wer Spaß ausübt, muß auch Spaß ertragen können.
Pandolfo. Aber dies ist zu arg. Muß ich da bei der brennenden Mittagshitze im engen Galaanzug den endlosen Weg zum Palast Frescobaldi hinauslaufen, und denke doch wenigstens ein paar holde Worte als Lohn zu gewinnen. Und als ich ankomme, staubig und schweißtriefend, stehen dort drei zerlumpte Musikanten und geigen und singen ein Spottlied. Und an der dritten Säule hängt ein abgerissenes Endchen Strick mit der Umschrift, das sei der Faden der Ariadne. Nein, nein, das ist herzlos, das ist abscheulich!
Buffalmaco. Ich sehe das nicht ein. Ihr habt mit uns den ehrlichen Andrea aufgezogen, Eure Schöne hat Euch aufgezogen: das ist ein Lustspiel in zwei Aufzügen, aber kein Grund zum Ärger.
Pandolfo. Hol' der Henker Euren Gleichmut! Ich mag und will nicht der Narr in der Komödie sein.
Buffalmaco. Warum denn nicht? Etwa weil Ihr ein geschlitztes Wams tragt und eine Krause wie ein Ritter? Lieber Freund, ich kenne manchen, der den Helden oder den ersten Liebhaber fürtrefflich zu tragieren meint, und es doch nicht über den Narren hinausbringt. Die Schelle klingelt uns allen an der Mütze, und offen gesagt – das ganze Spiel, das wir Leben heißen, würde unerträglich langweilig werden, wenn sie einmal aufhörte zu läuten. – Darum tröstet Euch!
Pandolfo (abbrechend). Von etwas anderem! Mein Bruder könnte unsern Schwank mit Andrea stören, wenn er zurückkehrt. Ich gehe darum, ihn schriftlich von dem Stand der Dinge zu unterrichten; wir können ihm dann einen Boten mit dem Briefe entgegenschicken.
Buffalmaco. Tut, was Ihr nicht lassen könnt, Pandolfo. Ich erwarte Euch hier.
(Pandolfo geht ab, rechts vom Zuschauer.)
Buffalmaco (allein). Daß so wenig Leute echten Spaß verstehen! Und wenn sie sich einmal auf einen Schwank einlassen, so müssen sie ihn regelrecht ausbauen, wie der Biber sein Haus. Wenn's nach mir ginge, ich überließe bei solcher Gelegenheit die Entwicklung dem Meister Zufall, der allezeit der beste Humorist auf der Welt ist. Der Scherz will frei in die Luft hineinranken, wenn er bunte Blüten treiben soll; wer ihn ängstlich an Latten und Pfähle bindet, dem verkümmert er unter den Händen. (Am Fenster.) Aber was seh' ich! Matteo selbst, der eben vom Maultier steigt! Ah, das gibt neuen Wirrwarr. Mein Humorist läßt sich sein Recht nicht nehmen.
Buffalmaco. Matteo durch die Mitteltüre.
Buffalmaco. Guten Tag, Herr Matteo. Schon zurück von Prato? Und mit freudestrahlendem Angesicht! Ihr kommt von einem Triumphe.
Matteo (geschäftig seine Noten auspackend). Ich darf wohl sagen: Ja! Mein Nebukadnezar hat einen unerhörten Beifallssturm erregt. In der Wut der Begeisterung hätte man mich fast zerrissen wie meinen Ahnherrn, den thrakischen Orpheus. Ich bin so mit Lorbeeren überschüttet worden, daß ich genug hätte, und wenn ich alle Gänse, die in unsern Ringmauern schnattern, sauer einkochen wollte.
Buffalmaco. Ein ansehnlich Stück Arbeit, besonders wenn Ihr die unbefiederten mitzählt.
Matteo. Und das ist noch nicht alles. Der Herzog von Mantua war dort, der hohe Gönner aller schönen Künste. Er versicherte mich in den huldvollsten Ausdrücken seines Wohlwollens. Und die Rosina, seine Kammersängerin, hatte die erste Sopranpartie übernommen – ein wahrer Engel – singt den Triller, den ich in G geschrieben hatte, im dreifach gestrichenen H! Ha! Wenn ich die immer zur Disposition hätte, ich wollte noch ganz andere Werke schreiben.
Buffalmaco. Einstweilen müßt Ihr Euch mit Malgheriten begnügen.
Matteo. Freilich. Doch auch die ist immer so viel wert als hundert andere Sängerinnen. Das G ist auch schon etwas. Aber wo steckt sie, wo ist Pandolfo, daß ich ihnen von meinem Siege erzählen kann?
(Er wendet sich gegen die hintere Türe links vom Zuschauer, in diesem Augenblicke tritt ihm Andrea aus derselben entgegen.)
Die Vorigen. Andrea.
Andrea. Nochmals willkommen, Signor Buffalmaco! (Zu Matteo.) Euer Diener, Herr. Habt Ihr schon jemanden gesprochen?
Matteo (mißt ihn mit verwunderten Blicken). Bis jetzt noch nicht. Ich suche meinen Bruder, dem ich die erfreulichsten Nachrichten mitzuteilen habe.
Andrea (zutulich). Da geht es Euch gerade wie mir, bester Herr. Auch ich suche meinen Bruder. Und Nachrichten hab' ich für ihn, die den Eurigen gewiß nicht nachstehen.
Buffalmaco (für sich). Nun hebt der Spaß an.
Matteo (für sich). Wer ist der Mensch?
Die Vorigen. Luigi kommt durch den Haupteingang.
Luigi (von der Türe aus zu Matteo). Heil, Heil Euch, würdiger Meister Matteo! Euer Ruhm fliegt auf den Schwingen der Fama durch die Gassen von Florenz. Die Aufführung Eurer neuen Kantate zu Prato war ein vollständiger Sieg. Amphion rührte Steine, aber Ihr habt es vermocht, ein übersättigtes Publikum zu rühren.
Andrea (Luigis Rede auf sich beziehend). Ich dank' Euch, Messer Luigi, ich dank' Euch für Eure freundschaftliche Teilnahme. Also mein Werk ist zu Prato aufgeführt worden und hat Glück gemacht? Nun, das freut mich von Herzen –
Matteo. Aber um des Himmels willen, was bedeutet das?
Luigi. Ja so, Matteo weiß nicht –
Andrea (wie oben). Was weiß ich nicht? Von der Aufführung hab' ich freilich nichts gewußt. Aber desto angenehmer ist mir die Überraschung. Was kann für den Künstler süßer sein, als wenn es über Nacht Kränze auf seine träumende Scheitel regnet!
Matteo (dringend). Ich bitt' Euch, Buffalmaco, sagt mir, was soll das heißen?
Buffalmaco. Faschingstollheit und endlose Konfusion! Wartet nur, es wird noch besser kommen.
Andrea (geht stolz auf und nieder). Wer von euch hätte gedacht, daß es so enden würde! Und ich kann nicht leugnen, ich habe selbst mitunter an mir gezweifelt. Aber nun erkennt mich die Welt, nun fühl' ich mich. Ich spür' es, wie die Blitze des Genius auf mich herniederzucken, wie meine Gedanken Melodie werden. (Singt.) Türülü, Türülü sangen die Hoboen an, rumdidum, rumdidum fallen die Pauken ein. Und dann geht es weiter durch generalpunktische Sonaten und kontrabassistische Evolutionen in einen ungeheuren Zentrifugalsatz hinein. Ja, Meister Matteo wird Euch zeigen, daß er ein Musiker ist!
Matteo (mit steigender Ungeduld). Bin ich denn im Tollhause? Wo steckt Pandolfo? Wer seid Ihr, Herr, mit Euren wahnsinnigen Musikphrasen?
Andrea (vornehm mitleidig). Wahnsinnigen Musikphrasen? – Herr, lernt Achtung vor Dingen, die für Euch zu hoch sind. Denn ich, ich selbst bin ja eben der glückliche Sieger, der frischgekrönte Musiker; ich bin der Kapellmeister Matteo. (Hält ihm den Strich vor die Nase.)
Matteo (losbrechend). Ihr? Ihr Matteo? Ein ausgemachter Narr seid Ihr, so wahr ich selbst Matteo bin.
Andrea (wie oben). Ich kann Euch nur bedauern, armer Mann. (Mit verändertem Tone, als wenn ihm plötzlich ein Licht aufginge.) Oder nein, Freunde! Ihr habt alles abgeredet, Ihr wollt mich prüfen, ob ich mich wieder vom Dämon bestricken lasse. Gesteht es nur und laßt es gut sein. Ich denke, ich habe die Probe bestanden, daß ich völlig wiederhergestellt bin.
Matteo (immer drohender). Ich weiß von keiner Probe, Herr. Aber das weiß ich, daß ich Euch von Eurem angemaßten Platze vertreiben und nötigenfalls die Treppe hinunterwerfen werde. Ich bin Matteo.
Andrea. Ich bin Matteo! Freunde, helft mir gegen den Menschen!
Buffalmaco (lachend). Eine kritische Frage: Welcher ist der Rechte?
Matteo (im äußersten Zorn). Hinaus, sage ich, oder –
Andrea. Wie hieß es doch nur! (Ergreift den Fliegenwedel als Beschwörungsstab, indem er schreit:) Exorciso te! Exorciso te!
Die Vorigen. Pandolfo mit einem Briefe in der Hand aus der Seitentüre rechts.
Matteo und Andrea (von beiden Seiten auf Pandolfo losstürzend, zugleich). Lieber Bruder!
Pandolfo (zu Matteo). Du bist schon von Prato zurück? Das gibt eine schöne Verwirrung!
Matteo. Das merk' ich. (Ihn nach rechts hinüberziehend.) Aber vor allem sprich, wer ist der Mensch dort?
Andrea (ihn nach der entgegengesetzten Seite ziehend). Ja, sprich, wer ist der unverschämte Mensch dort?
Buffalmaco (tritt in die Mitte, mit parodierender Rhetorik). Meine hochzuverehrenden Herren Matteo! Es steht allerdings nicht zu leugnen, daß seit einiger Zeit im Reiche der Musen eine fabelhafte Konfusion herrscht. Die Musik hat den Wohllaut aus ihren Diensten gejagt und treibt Philosophie, die Malerei schreibt Welthistorie, und die Poesie hat sich auf den Gewerbfleiß verlegt. Aber daß die Skulptur allen Ernstes musizieren wollte, das ist wenigstens bis heute unerhört gewesen; und ich armer Land- und Farbenstreicher kann es unmöglich geschehen lassen, daß dem Drachen der Verwirrung hier unter meinen Augen dies neue Haupt wächst.
(Er nimmt Pandolfo den Brief aus der Hand.)
Meine hochzuverehrenden Herren Matteo! Ich ersuche euch deshalb, euch friedlich nebeneinander zu stellen und diesen Brief zu lesen, den Herr Pandolfo soeben nach Prato absenden wollte. So wird nicht nur der gordische Knoten eurer künstlerischen Ansprüche in Wohlgefallen sich schlichten, sondern es wird euch auch alsbald klar einleuchten, was ihr von euch selbst, was ihr gegenseitig voneinander zu halten habet.
(Matteo und Andrea treten zusammen und lesen.)
Luigi. Nun bin ich doch begierig, bei Pluto. – Aber sie bleiben ganz stille.
Pandolfo. Die Stille vor dem Gewitter. Es wird bald genug losbrechen.
(Bis dahin haben Andrea und Matteo, in den Brief vertieft, das Lesen nur mit leisem Mienenspiel begleitet; jetzt fahren sie plötzlich in demselben Moment auf und schauen mit gleichzeitiger Wendung des Kopfes einander ingrimmig ins Gesicht; dann blicken sie, gleichsam um sich völlig zu überzeugen, noch einmal in das Schreiben, und während Matteo triumphierend gestikuliert, bricht Andrea los.)
Andrea. Aber das ist schändlich! Das ist unerhört! Ein wahrer Abgrund von Abscheulichkeit! Also bin ich doch Andrea? Ja, ich hab' es immer gesagt, es war mir auch ganz klar. Aber ihr habt mich verwirrt und geäfft und an der Nase herumgeführt und Spott und Hohn mit mir getrieben. Zum Esel habt ihr mich gemacht, um euern schlechten Spaß mir aufzupacken. – Fort, du verdammter Matteo, fort von meinem harmlosen Ärmel!
Buffalmaco. Lieber Herr Andrea, vergeßt nicht, daß Ihr uns zuerst geäfft habt. Gäste laden und sie dann vor verschlossenen Türen stehen lassen, ist auch nicht fein, und man muß es solchen Gästen schon nachsehen, wenn sie einen Schwank ersinnen, um sich an dem unhöflichen Wirte zu rächen.
Andrea (grimmig abweisend). Geht, geht! Ihr seid alle Taugenichtse! Und wenn man euch in einem Mörser zerstieße, die Schelmerei wär' euch nicht auszutreiben. Aber ich habe hinfort nichts mehr mit euch zu schaffen. Aus dem Hause will ich, aus der Stadt, aus dem Lande. (Er ist aufgestanden wie zum Aufbruch und hat instinktmäßig den Korb mit Wein über den Arm gehängt, dann wie durch eine plötzliche Erinnerung weicher.) Nur um das liebe Kind, um Malgherita tut mir's leid, daß ich von ihr muß –
Matteo. Richtig! Die hatt' ich über dem Lärmen vergessen. Sprich, Pandolfo, wo ist sie? Wohin hast du sie getan?
Pandolfo. Sie wird auf ihrem Zimmer sein oder im Garten.
Matteo (ruft). He, Malgherita! Malgherita!
Die Vorigen. Malgherita, Leonetto an der Hand führend. Sylvia aus der hinteren Seitentüre links.
Malgherita. Eure Dienerin, mein Vormund.
Matteo. Was seh' ich! Welche Frechheit! Ein junger Mann bei meiner Mündel! Herr, wie könnt Ihr Euch unterstehen, Euch in das Zimmer des Mädchens da zu schleichen! Oh – ich kenne Euch, Herr. Ich hab' Euch hier schon früher um das Hans streichen sehen wie den Fuchs um den Hühnerstall. Aber wartet! Ich will schon dafür Sorge tragen, daß Euch das Wiederkommen vergeht!
Leonetto (ganz ruhig). Es ist durchaus nicht meine Absicht, wiederzukommen.
Matteo (immer heftiger). Nun, das freut mich, freut mich von Herzen. Aber auch jetzt sollt Ihr keine Minute länger bleiben, Herr. Nehmt Eure Beine in die Hand und macht Euch fort!
Leonetto. Ganz wie Ihr befehlt, gestrenger Hausherr. Komm, liebe Frau, laß uns gehen!
Malgherita. Gleich, lieber Leonetto. – Ich empfehle mich euch, ihr Herren, ich gehe mit meinem Manne.
(Alle rasch ineinander:)
Matteo. Was!
Pandolfo. Wie!
Luigi. Beim Styx! Das ist seltsam!
Buffalmaco (reibt sich die Hände). Bravo! Mein Freund, der Zufall, macht sein Meisterstück.
Andrea (im Gefühle der Genugtuung). So! Das ist hübsch. Nun ist das Lachen an mir.
Matteo. Ich bin der Torheiten satt! Sagt, was soll das heißen?
Malgherita (mit schalkhaftem Knicks). Daß Leonetto und ich seit einer Viertelstunde verheiratet sind.
Sylvia. Und ich und der dicke Meister waren die Trauzeugen. Und Frau Leonetto hat mich gleich wieder in ihre Dienste genommen.
Pandolfo. Unmöglich.
Leonetto. Aber dennoch wahr. Hier ist der Trauschein.
Pandolfo (sieht hinein). Unterzeichnet: Cyprianus! Der Schein ist richtig. (Zu Malgheriten.) Aber wie konntest du –
Matteo. Ja, wie durftest du dich trauen lassen ohne meine Einwilligung, Verräterin!
Malgherita. Herr Pandolfo hatte mir noch diesen Morgen anbefohlen, den lieben Herrn dort in allen Stücken als meinen Vormund zu betrachten. Nun gab dieser seine Erlaubnis; in seiner Gegenwart wurde die Trauung vollzogen.
Matteo (aufbrausend). Himmel und Hölle! Das kommt von euern dummen Späßen. Aber du, Pandolfo, sprich, rede, unbrüderlicher Bruder, wie konnte das in deinem Hause, vor deinen Augen geschehen?
Pandolfo (verlegen). Ich – ja – lieber Bruder – ein wichtiges Geschäft zwang mich diesen Morgen, eine Stunde auszugehen, und währenddessen ist das Schändliche ausgeführt worden. Ich versichere dir, ein hochwichtiges Geschäft –
Malgherita (neckisch, den verstellten Ton annehmend, mit dem sie ihn im ersten Aufzuge getäuscht). Jawohl, guter Theseus, das kann ich Euch bezeugen. Habt Ihr den Faden der Ariadne gefunden? Es ist ein Endchen von dem Seil an der Wendeltreppe, die zu Eurer eignen Wohnung führt.
Pandolfo. Also – du stecktest hinter der Maske?
Malgherita. Niemand anders. Und ich versprach Euch gestern ein Wiedersehen. Nun halt' ich Wort.
Pandolfo (die Hand vors Gesicht schlagend). Oh!
Matteo (außer sich). Unsinn über Unsinn! Aber glaubt nicht, daß ich ruhig zuschauen werde, wenn man mich betrügt! Noch gibt es Gerechtigkeit in Florenz. Ich werde Einspruch tun gegen alles, was geschehen ist. Kardinäle und Papst werde ich in Bewegung setzen, um dieses hinterlistig angestiftete Ehebündnis zu zerreißen, das mich unglücklich macht, das mich ruiniert! Denn wer soll mir nun G singen! Wer soll mir G singen!
(Er geht, die Hände ringend, heftig auf und ab.)
Die Vorigen. Calandrino mit einem großen Briefe rasch durch den Haupteingang.
Calandrino. Seid mir gegrüßt, ihr Herren! Ich glaube, ich bringe fröhliche Botschaft. Soeben gibt ein Kurier von Prato diesen Brief ab –
Buffalmaco (nimmt das Schreiben und liest die Aufschrift). An den Hofkapellmeister Matteo.
Andrea (rasch). Gebt her! – (Besinnt sich.) Ach, ja so – nun ist der wieder Matteo.
Matteo (hart). Das wollt' ich mir ausgebeten haben. (Er hat Buffalmaco den Brief entrissen und erbricht ihn.) Vom Herzog von Mantua! – Nebukadnezar – allgemeines Furore – in Erwägung Eurer ausgezeichneten Verdienste – erledigte Hofkapellmeisterstelle – Rosina –
(Der Ausdruck seiner Züge hat sich während des Lesens völlig erheitert; jetzt wendet er sich strahlend zu den Umstehenden.)
Freunde, freut euch mit mir! Und ihr, Kinder, heiratet euch in Gottes Namen, soviel ihr wollt. Ich gehe nach Mantua, ich bin zum Hofkapellmeister ernannt, ich habe die Rosina zu meiner Verfügung, und die singt bis H!
Leonetto. Nehmt unsern Dank, Herr Matteo!
Buffalmaco. Glückauf denn, junges Paar! Und Eure Hand, Meister Andrea. Ihr könnt nicht grollen, wo alles so gut endigt.
Andrea (reicht ihm die Hand). Spitzbuben seid ihr –
Leonetto. Und Ihr sollt bei uns bleiben, lieber Meister. Ihr sagtet ja, wir dreie taugen füreinander. Ich habe neulich ein stattliches Haus am Arno gebaut. Das beziehen wir zusammen. Im großen Gartensaale richt' ich Euch die Werkstatt ein.
Andrea (bewegt). Ich nehm' es an, Kinder, ich nehm' es an. Und ich will euch im Vertrauen etwas sagen. Ich glaube wahrhaftig, der Pater hat einen unsaubern Geist von mir getrieben. War ich doch bis diesen Morgen ein schwerblütiger, sauertöpfischer Gesell, ein ganzer Grillenfänger, der keine rechte Freude mehr hatte, und dem niemand etwas zu Danke machte. Aber nun bin ich wie ausgetauscht. Mein altes Herz ist wieder frisch geworden, und ich könnte lachen und weinen aus Herzensgrund. Ja, ich ziehe mit an den Arno. – Gott segne euch, Kinder.
Buffalmaco. Und nun Wein her und Blumen und den vergessenen Schweinskopf von gestern! Er soll heut abend auf der Hochzeitstafel prangen.
(Der Vorhang fällt.)