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»Willi, es ist einfach zum überschnappen!« – stöhnte Lotte und hielt sich den Kopf. Doktor Feller, der just in das Zimmer trat, eilte besorgt auf sie zu und blickte sie forschend an. Er hatte jetzt nie die rechte Ruhe, wenn er seinem Berufe nachging. Alle Stunden klingelte er telephonisch an und erkundigte sich, wie es daheim ging und ob irgend etwas Besonderes vorgefallen sei? Antwortete dann die helle Stimme seiner Gattin, so atmete er erleichtert auf und trocknete die feuchte Stirn. Hörte er jedoch das tiefe Organ seines dienstbaren Geistes, so spürte er ein leichtes Beben in den Knieen, das erst nachließ, wenn die Auskunft beruhigend war! – Er – der erfahrene Arzt, der mit kaltblütigster Ruhe von einem Bette zum andern eilte, der die schwierigsten Operationen mit »anerkannter Eleganz« ausführte, er schämte sich manchmal vor sich selber. Keinem Menschen vertraute er an, wie unsäglich er sich vor dem Kommenden ängstigte. Jetzt erst fühlte er, was die heißgeliebte Frau ihm war! Seiner Liebe zu ihr war er sich immer bewußt gewesen. Wie groß diese war, das aber wurde ihm erst in dieser Zeit klar! –
»Was ist Dir, mein Liebling? Hast Du Kopfschmerzen?« Er legte die Rosen, welche er ihr mitgebracht, auf das Nähtischchen und faßte prüfend nach ihrer Stirn. Diese war jedoch normal kühl, und Frau Lotte sah blühend aus. – »Ach Unsinn, Kopfschmerzen! – entgegnete sie unwirsch – Ich bin quietschvergnügt; aber die Tanten und Tunten stören mich, nein, bringen mich um!« – – »Wie meinst Du das, Herzliebstes?« – – Willi zog einen Stuhl heran und setzte sich zu ihr. Dabei nahm er ihre Hand zärtlich in die seine. – – »Ja, siehst Du, jedes Femininum, das älter ist als ich oder länger verheiratet, fühlt sich verpflichtet mir Ratschläge zu geben. Alle vergessen, daß ich eine Arztfrau und kein Kind mehr bin.« – »Sie meinen es ja gut, Lotte!« – besänftigte er; aber die junge Frau war zu zornig, um sich beruhigen zu lassen.
»Ach was! – brummte sie – Ich habe meine Mutter und meine verheirateten Freundinnen. Von denen kann ich lernen! Die genügen mir auch vollkommen! – – – – Aber, da kommt heute Tante Frede angesegelt!« – – »Oh Weh!« – – »Siehst Du, Schatz, Du giebst es selbst zu! – sagte Lotte freudig – Sie kann mich nicht riechen, kann mich einfach nicht ausstehen! Aber sie fühlt sich verpflichtet, herzueilen und mir noch – vor Toresschluß, – wie sie sich geistvoll ausquetschte, Belehrungen, nee, ›Winke‹ zu geben. Anderthalb Stunden hat sie dort gesessen und Vortrag gehalten. Und in jedem zweiten Satz hat sie mir in aller Harmlosigkeit einen Stich versetzt!« – – »Du bist entschieden zu empfindlich, Katz! – wendete er ein – Du bist nervös!« – – »Gar nicht, Willi, wirklich nicht! – versicherte Lotte eifrig – Laß dir erzählen! Also Du bist doch im Verhältnis zu mir noch sehr jung und auffallend hübsch. Darum soll ich nicht Kurtchen selbst nähren – – – – – –«
»Ilse, wolltest Du sagen! – unterbrach ihr Gatte sie lächelnd – Du weißt, ich habe mir beim Storch ein Mädel bestellt! Mit einem Jungen, der Deine Anlagen erbt, werde ich doch nicht fertig! Ich gestehe meine pädagogische Unfähigkeit lieber schon heute ein. – – »Nein, Willi, weiß Gott, du wünschst noch wahrhaftig so lange, bis Du recht behältst! – schalt Lotte – Du bist ein Egoist! Für unsere Ilse ist es viel besser, wenn zuerst ein Brüderchen da ist. Auch für das Kind selbst! Kurt kann dann für seine Geschwister mit sorgen helfen, wenn er erst erwachsen ist! Denk doch nur, wenn Du mit unserm Sohne erst auf Praxis gehen kannst! Nein, Kurt wird – – –« – – »Hoffentlich eine Ilse! Ich will garnicht, daß mein Sohn Arzt wird! Die Ohren reiße ich ihm ab, wenn er auf solche Gedanken kommt! – – – – Viel schöner ist so ein kleines geputztes Mädel, mit dem ich spazieren gehen werde. So ein Rangchen mit Hängezöpfen, in dem ich Dich wieder aufleben sehe!« – – »Um Himmelswillen, ist der Mann vermessen! Ilse darf nie solche Range werden, wie ich war. Aber um Ilse wollen wir uns nicht den Kopf zerbrechen, das hat später noch Zeit! Erst muß Kurt kommen und wie Du werden!« – – –
»Also so ein Musterkind, ein Waschlappen, ein sanfter Heinrich, wie ich einst war. Nein, brause nicht auf, Katz, Du selbst hast mich früher so bezeichnet!« – Lotte umschlang ihn mit beiden Armen und lehnte ihren Kopf zärtlich an seine Schulter. – »Ach Du geliebter Tor! – antwortete sie lachend – Das ist lange her, hast Dich gut ausgewachsen, direkt überraschend verändert! Du wurdest unter einer unsichtbaren Glasglocke großgezüchtet, bis Du Dich freikämpftest. Das hat unser Kurt nicht zu befürchten! Der Bengel hat mich zur Mutter. Ich tobe mit ihm! Macht er auf eigene Faust Streiche, und sie sind gut, dann kriegt er erst die Hosen stramm gezogen und später doppelte Futterration als Belohnung. Natürlich darf er das selbst nicht merken! Macht er schlechte Streiche, haue ich ihn braun und blau und entziehe ihm Sonntagsleckereien und Nachtisch! Basta! Was seufzst Du?« – – Doktor Feller hatte in der Tat geseufzt. – – »Ach liebste, geliebte Herzensfrau! Ich wünschte, wir könnten uns vorher einigen. Schon vor der Geburt von Ilschen – –« – – »Kurt!« – verbesserte sie. – – »Selbst von Kurt! – gab er zu – Nur wollen wir uns fest versprechen, unsere Kinder ohne Schläge großzuziehen. Man kommt mit Güte viel weiter, und Schläge sind nach meiner Ansicht entwürdigend!« – –
Sofort ließ Lotte ihren Mann los und richtete sich zornrot auf: »Quatsch mit Sauce! – sagte sie wütend – Komm mir nur nicht mit solchem Blödsinn, Willi! Du weißt ja, wie ich zu diesem ganzen Humanitätsdusel stehe! Nicht nur bei Kindern bin ich für energische Keile zur richtigen Zeit, sondern auch bei Erwachsenen. Für gewisse Vergehen, besonders bei jugendlichen Verbrechern, würde ich, wenn ich Reichstag wäre, sofort wieder die Prügelstrafe einführen!« – – »Wie reaktionär Du bist!« – – »Ja, Gott sei Dank, ich werde es auch stets bleiben! Stets! Der liebe Gott hat ein gewisses Körperteilchen direkt prädestiniert für Mutters oder Vaters züchtigende Hand. Meine ist stark und fest, und unser Bengel soll sie fühlen, wenn's not tut. Das schwöre ich schon heute! Und Willi, Du wirst zu klug sein, um gegebenenfalls nicht 'neinzureden!«
Er war aufgestanden und hatte sich eine Zigarre geholt. »Na – meinte er lachend – kommt Zeit, kommt Rat! Vielleicht überlegst Du es Dir noch! Du wirst eine viel zu zärtliche Mutter werden!« – »Gewiß, aber gerade darum giebt's Dresche, weil die Mutter ihre Gören lieben wird! – bestätigte sie – Gleichgültige Kinder könnten meinethalben auf dem Kopf gehen, und ich würde sie nicht anrühren! – – – – – – – – Doch nun, lassen wir die Pädagogackerei, Schatz! Ich muß Dir von Tante Frede weitererzählen! Die alte Dame meint also holdselig grinsend: Da Du jung und schön, ich aber wiederum im Verhältnis zu Dir alt und nicht hübsch wäre, so könntest Du mir leicht untreu werden, wenn ich mich zu sehr dem Jungen widmete. Eine Amme wäre sehr teuer und eine Haustyrannin mit ihren Ansprüchen. Sie käme auch – höre! – einem bescheidenen jungen Ärztehaushalt nicht zu! – – – Ich hätte doch außer der Ausstattung und Einrichtung wenig Barvermögen, darum könnte ich auch an Dich keine großen Ansprüche stellen! Ich sollte mir – – von Deiner Mutter einen Soxhletapparat schenken lassen und Agnes schon beizeiten anlernen, auch das Kind mitzuversorgen!« – – Feller schüttelte den Kopf. »Was hast Du darauf geantwortet?« – –
»Ich habe krampfhaft mein Kinderstrümpfchen weitergestrickt, sonst hätte ich die alte Giftmorchel einfach an die Luft gesetzt. Dann schwindelte ich sie an. Recht plump, damit sie merkte, daß ich flunkerte!« – – »Wenn sie es nun übelgenommen?« – – »Laß sie doch, Schatz! Sie wollte mich herausfordern und kränken. Es mißlang ihr, und darum fuchst sie sich noch wochenlang innerlich ab. Das freut mich innig! Aber meine Quälerei war noch nicht beendet, nach ihr erschien Frau Doktor Vollert. Sie hat zwar nie ein Kind gehabt, aber sie sprach fürchterlich weise. Wie es jetzt Reformschneiderinnen giebt, so giebt es auch Reformerzieherinnen. Die Theorieen der Vollert sind ganz reformiert: Kalte Bäder, Abhärtung, keine Prügel, Ethik, Petetik und was es sonst noch giebt. Als sie gerade die künstliche Ernährung, bei der die Kleinen weder die Lust- noch Unlustgefühle der jeweiligen Ernährerin: Mutter oder Amme, mit in sich aufnehmen könnten, verfocht, trat Tante Feller ein!«
»Arme, kleine Katz! Wie ist man auf Dich eingestürmt!« – rief Willi bedauernd und lachend. – – »Na aber, Liebster, mir brummt der Schädel noch jetzt. Die Tante hättest Du hören müssen!« – – »Wofür war sie?« – – »Nun, keinesfalls für künstliche Ernährung! Auch nicht dafür, daß ich mich Kurtchen« – – – »Ilschen!« – – »Kurtchen ganz widme! Nur eine gesunde Amme. Fünfhundert Verhaltungsmaßregeln, wie man mit einer solchen umgeht, habe ich schon. Auch Adressen, wo ich sie bekomme und so weiter!« Willi stand vor dem Fenster, drehte seinen Schnurrbart und blickte nachdenklich auf die Straße hinaus: »Jede Theorie hat ihr Für und Wider! – sagte er – Und wofür bist Du, Liebstes?« – – Sie erhob sich und trat langsam auf ihn zu: »Immer für das Natürliche! Wenn Gott einer Mutter das Glück giebt, daß sie ihr Kleines selbst nähren kann, so giebt es für sie keine Wahl mehr, sondern nur noch eine Pflicht!« – – –
Er umschlang sein Weib und küßte es schweigend. Ernste Gedanken bewegten beide.
»Da geht Änne mit Walter!« – rief sie plötzlich. – – »Wo?« – – »Dort! Sie kommen her, siehst Du, Willi, da kommen sie ja auf unser Haus zu!« – – »Ist es Dir unangenehm? Du machst doch solch betrübtes Gesicht!« – – »Ich? Nee; aber weißt Du, der Bengel ist so schlau! Hoffentlich merkt er nichts?« – – »Nein, Katz, Kinder merken nie etwas!« – – »Gott sei Dank!« – Lotte ordnete den langschleppenden, faltenreichen Schlafrock noch vor dem Spiegel und eilte dann hinaus, um die Schwester herzlichst zu empfangen. – Frau Amtsgerichtsrat Neuwald kam langsam treppauf, während ihr Jüngster schon Sturm läutete.
»Bengel, Du reißt uns ja die Klingel entzwei! Wirst Du wohl loslassen!« – schalt Lotte, riß die Thür auf und packte den kleinen Neffen. »Du, Tante, Vater is mit Steppke bei Harders. Dürfen wir mit Euch zu Abend essen? Unsere Mädchen machen 'ne Landpartie mit ihrem Verein nach Schmargendorf!« – schrie er ihr selig entgegen und sprang an ihr in die Höhe. Sie beugte sich vorsichtig zu dem Wildfang und küßte ihn. »Wollt Ihr wirklich bei uns bleiben, Änne? Wir würden uns mächtig freuen! – fragte Lotte die Schwester, welche jetzt neben ihr stand. »Wenn wir nicht stören, nehmen wir es mit Dank an. Bei Mama ist »große Wäsche vieler kleiner Sachen!« – – Anna blinzelte Lotte verständnisinnig zu. Diese errötete und sagte lachend: »Es wird Zeit, daß ich alles vollständig hier habe. Wickelkommode und Wännchen sind auch schon seit einer Woche da. – Aber kommt herein und legt ab. Willi kam in den Korridor, begrüßte die Schwägerin und half ihr aus dem Mantel. »Du, Onkel, bei Großmutter Bach steht schon ein riesiger weißer Puppenwagen! So wie Lissy Fritschs; aber ganz groß. Weißte, wer den kriegt? Es ist ein Geheimnis; aber Dir kann ich es ins Ohr sagen. Du bist ja verschwiegen; aber du mußt mir die rechte Hand draufgeben, daß Du es nicht weiterpetzst!« – –
Walter stand sich vortrefflich mit dem Onkel Willi. Er zog ihn jetzt in das Sprechzimmer und flüsterte ihm recht vernehmlich ins Ohr: »Großmutter sagt, Tante Lotte kriegt den Wagen zum Hochzeitstag in der nächsten Woche, wenn sie noch von irgend einem Andern eine Puppe dazu kriegt! Du, eigentlich ist es doch doll, daß Tante noch Puppen spielen will! Dazu is se doch zu alt!« – – Willi hob den hübschen Knaben auf sein Knie und ließ ihn reiten: »Weißt Du, Walterchen, ich spiele auch gern. Vielleicht lassen wir uns eine lebendige Puppe schenken, so ein kleines süßes Mädchen oder einen lustigen kleinen Jungen. Was findest Du denn eigentlich besser?« – Der Gefragte überlegte ernstlich: »Na, weißte, ich mag kleine Kinder nich ausstehen! Sie tun ja doch nichts als brüllen und schlafen. Und wenn Du denkst, daß se Pferd spielen – – – woll ja, könn'se auch nich! Still sein muß man auch den ganzen Tag, sonst kriegt man noch Schimpfe zu.« – – »Was liebst Du nun aber mehr: Jungen oder Mädel?«
– – »Wenn schon – natürlich Jungs. Mädchen sind feige und heulen!« – – »So! Na, Walter, was würdest Du sagen, wenn Du so einen kleinen Vetter hättest, der Dir noch etwas Schönes aus dem Storchteich mitbrächte?« – – »Was denn?« – fragte er sofort neugierig. »Nun, zum Beispiel eine Festung und Soldaten und Schokolade. Würdest Du Dich nicht freuen?« – – »Was ist Vetter?« – – »Kleiner Dummkopf! Das könntest Du eigentlich schon wissen! Doch richtig, Du hast ja noch keinen Vetter! Also stell Dir einmal vor, bei Onkel und Tante Harder oder bei uns wäre ein Kindchen, ein Knabe! Das wäre dann Dein Vetter!« – – Walter lachte laut: »Quatsch! – meinte er despektierlich – Ihr habt ja keins!« – – »Wenn wir aber eins bekämen, das würdest Du doch lieb haben?« – – Der Junge überlegte und rief dann sicher: »Quatsch, Ihr kriegt ja doch keins!« – – »Woher weißt Du das?« – – »Ich denk mir's!« – – »Aber weshalb denkst Du Dir so etwas?« – – »Oh, Onkel Hauptmann hat es auch gesagt!« – triumphierte Walter. – »Was hat er gesagt?« »Daß Tante Lotte kein Kind kriegt, sondern einen – – –« – – »Na, was denn?« – – »Einen Ausbund!« – rief er nach kurzem Überlegen. – Willi lachte: »Bin dem Onkel Hauptmann sehr verbunden. Bestell ihm das und sage: Es würde ein Ausbund von guten Eigenschaften!«
Während der Neffe sich so mit dem Onkel unterhielt, hatten die beiden Damen in den hinteren Gemächern der Wohnung wichtige Besprechungen. Die ältere Schwester setzte die Taten ihrer Vorgängerinnen, den Fellerschen Besucherinnen, fort und erteilte Ratschläge. Diesmal lauschte Lotte mit mehr Aufmerksamkeit. – Später gab sie dem Mädchen ihre Anweisungen für das Abendbrot und deckte im Speisezimmer den Tisch. Für Walter wurden ein paar kleine Extraüberraschungen und Leckereien neben den Teller gelegt. Arm in Arm gingen dann die Schwestern zu den beiden, die noch immer eifrigst plauderten. »Walter, Du hast ja noch garnicht erzählt, wo wir gestern waren!« – sagte seine Mama. – »Na, wo wart Ihr?« – stellte sich Lotte neugierig. Sie stand gegen ihres Gatten großen Bücherschrank gelehnt und stützte sich mit der Hand auf.
»Wir waren bei Tante Alice Greif!« – – »Ach, das ist nett!« – – »Ja, – fuhr Anna Neuwald fort – die Jungen wollten den kleinen Günther so gern sehen. Sie schworen mir, artig zu sein, da nahm ich sie eben mit!« – – »Nun, Steppke I, wie gefällt Dir der kleine Schwarzkopf, ist er nicht reizend?« – fragte Lotte begeistert. Ihr Neffe blieb ungerührt. »Nee! – stieß er unmutig hervor – er hat ja keine Beine, und reden kann er auch nicht!« – – Alle lachten. »Er hat den kleinen Menschen nur im Steckkissen gesehen, und beide Jungen waren tief enttäuscht, daß Güntherchen nicht gleich mit ihnen spielen konnte!« – erklärte die Mama. – »Wie findest Du ihn?« – fragte Lotte, die über das Baby ihrer Freundin so begeistert war, wie über jedes Neugeborene in ihrem nächsten Freundinnenkreise. – Frau Rätin Neuwald nahm die Beurteilung ruhiger: »Er ist ein allerliebster, gesunder und daher artiger Säugling! Besondere Wunder kann ich an ihm nicht entdecken, trotzdem seine kleine Mama und seine Großmama voll davon sind. Sie versichern beständig, daß die ältesten Damen sich nicht entsinnen können, schon ein so fortgeschrittenes Kindchen gesehen zu haben! Ich versichere Euch, daß meine beiden Jungen absolut keine Wunderkinder waren und doch mindestens ebenso weit in gleichem Alter!« – –
Lotte und Willi sahen sich an und lachten hell auf. »Es sind doch alle Mütter gleich! – rief Feller – Und alle Familienangehörigen, die so ein kleines Wesen vom ersten Tage an mit leidenschaftlicher Liebe beobachten, sind absolut verblendet. Wo man liebt, bewundert man, und das klare Urteil ist getrübt!« – – Änne stritt; aber auch Lotte stimmte gegen sie. – »Doch, Änne, es ist ja so natürlich! Ich sehe es ja immer wieder, wie die verständigsten Frauen verdreht werden, wenn sie erst Mütter sind. Ich bin jetzt noch objektiv – – –« – – »Du?! Oho!« – – »Du bist, wo Du liebst, die Allertollste!« – – »Ich? Lachhaft! Ich werde jede kleine Häßlichkeit sehen, wenn ich ein Kindchen haben werde und Mama bin! Nicht wahr, Walter?« – –
»Du und Mama! Tante Lotte und Mama!! Hohoho!« Der Junge schlug ein wahres Hohngelächter auf und warf sich auf den Divan. – »Na, Affenschwanz, glaubst Du nicht, daß ich eine Mama werden kann?« – fragte Lotte amüsiert. »Nee, nie!« – – »Weshalb nicht?« – – »So sieht keine Mama aus!« – – »Weshalb denn nicht? Wie denn?« – – Alle schauten den Kleinen interessiert an. Er richtete sich wieder auf, musterte Frau Doktor Feller ganz eingehend und schob den Mund verächtlich vor: »P! Du! Nicht wahr, Mutti, früher war Tante Lotte so schön; aber jetzt – – – – jetzt is se so häßlich geworden! Se sieht ganz doll komisch aus!« – – »Wie denn komisch, erkläre Dich deutlicher, mein Junge?« – ermunterte Willi gespannt. – – »Na, so – wieder blickte er die Tante prüfend an – so verbogen und so verfressen!« – –
Die Wirkung dieses Urteils erstaunte ihn selbst. Die Großen lachten und konnten sich nicht beruhigen vor Vergnügen. – Walters Ausspruch kursierte noch lange in den beteiligten Kreisen. – Noch beim Abendbrot amüsierte sich »die verbogene und verfressene« Lotte über ihren Neffen. Dabei besprachen sie schon längst, wie sie den ersten Hochzeitstag besonderer Umstände halber nur im engsten Familienkreise feiern wollten. »Ich erlaube bei uns keine Gesellschaft, – erklärte Willi – Lotte soll keine Wirtschaftssorgen mehr haben!« – – »Sehr vernünftig! – bestätigte Frau Neuwald – Auch Mama muß einen freien Kopf haben. Sie ist ohnehin nervös. Darum will ich Euch einen Vorschlag machen: Ihr und die Allernächsten kommt einfach zu mir. Wir werden Euch diesen ersten Hochzeitstag in Eurer jungen Ehe schon so gemütlich machen, wie es nur in unsern Kräften steht!« – – »Mutti, haben Fellers wieder Hochzeit? Kann ich die Schleppe tragen? Giebt's Champagner und Eis?« – fragte Walter mit strahlenden Augen. Er war sehr enttäuscht, als man ihm die Bedeutung des Tages erklärte. »Herrjeh, dann brauchste doch nich so villen Summs zu machen, Mutti!« – murrte er. – – »Nein, Änne, richte nicht etwa eine Gesellschaft aus! Wenn Du Dir Umstände machtest, wäre ich außer mir! Überhaupt – – – – – – wer weiß, wie es ist? – – – – Richte Dich bloß nicht mit großen Vorräten ein!« – bat Lotte. – – »O nein! Es giebt einfach einen Braten, Butter und Käse und eine Torte! – meinte Frau Rätin – Das kann ich im schlimmsten Falle immer gebrauchen!« – – »Eine Torte! – rief ihr Ältester selig – Hurra! Du, warum schlimmsten Fall?« – – »Nun, wenn etwas dazwischen kommt!« – – »Was soll denn dazwischen kommen? – drohte er erbost. –
Ziemlich früh am Abend verabschiedete sich Anna Neuwald. Sie mußte heim, um ihren Jungen zu Bett zu bringen. »Ich werde also an alle schreiben oder telephonieren; vor allem an Deine liebe Mutter, Willi! Ihr seid dann Montag Abend bei uns; aber sicher!?« – – »Natürlich! – erwiderte Lotte bestimmt – Montag kann ich es noch versprechen; aber von nächstem Sonntag an – – – –« – – »Adieu, Kinder, weiter alles Gute! Na, Walter, sagst Du nicht Adieu und dankst für das empfangene Abendbrot?« – ermahnte die Mutter; aber ihr Sohn dachte anders. Er schüttelte den Blondkopf und meinte ernst: »Nee, Mutti, für das Bißchen lohnt es nicht! Eier und Aufschnitt haben wir alle Tage zu Haus!« – – »Na, so eine Unverschämtheit! – rief Lotte lachend – Und die Sardellen und Obst? Und die Schokolade, welche ich Dir geschenkt habe? Nun mach aber, daß du die Treppe 'nunter kommst, sonst giebt's was 'raus!« – –
Sie tat, als ob sie ihn verfolgen wollte. Er sprang hohnlachend die Stufen hinab, und seine Mutter folgte ihm nach. Willi aber zog Lotte schnell in die Wohnung und schloß die Tür: »Nun Schluß! Du bekommst es fertig und jagst hinterdrein!« – – »Ich – – – – sicher!«