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1. Kapitel. Wie die verschiedenen Berliner Gesellschaftskreise ihre Feste feiern.

a) Der Ball beim Herrn Bankdirektor.

In der dunkel gebeizten Bibliothek im ersten Stockwerk seiner Villa schritt der Geheime Kommerzienrat nachdenklich auf und nieder. Von Zeit zu Zeit führte er die Cigarre an die Lippen, nahm ein paar Züge und stieß sinnend den Rauch aus. – Vor dem prachtvollen, geschnitzten Schreibtisch saß seine Gattin und schrieb hastig Namen auf ein Blatt Papier. Neben ihr auf der Lehne ihres Stuhles kauerte graziös ein junges Mädchen. Sie blickte neugierig über die Schulter der Mutter und flüsterte ihr immer neue Namen zu, die sie selbst von einer langen, zerknitterten Liste ablas. – In einem Lutherstuhle hockte bequem nachlässig ein junger Mann, dessen Gesicht von Erfahrungen sprach, die seinen Jahren entschieden noch nicht zukamen. In der anderen Ecke des Gemaches stand ein Diwan, der mit einem wunderschönen Eisbärenfell bedeckt war. Hier hatte es sich ein anderer Herr bequem gemacht, der mehr liegend als sitzend abwechselnd gähnte und rauchte.

»Aber, liebste Rosa, noch nicht fertig?« – fragte er endlich in gelangweiltem Tone. »Sofort, Nicky, sei bloß nicht so ungeduldig!« – entgegnete sie besänftigend. Der Stift fuhr kritzelnd noch schneller über den Bogen. »Freiherr Tiede – – – Leutnant von Wülkes – – – Ihr beide – – – also, wie ich Dir sagte, Jaques! Im vorigen Jahre waren es ungefähr hundertundzwanzig, diesmal können wir auf einhundertundfünfzig Personen rechnen!« – – »Heiliger Strohsack, was ich diese Massenabfütterungen hasse!« – stöhnte der Assessor, der älteste Sohn, indigniert. Die Geheimrätin erhob sich. Die lange Schleppe ihres Teagown rauschte hinter ihr über den Teppich. Sie trat zu ihrem Gatten. »Sei nicht so indifferent, Jaques, Du siehst, daß Mausi bereits heute vor Ungeduld und Wonne zappelt!« – – Der Vater warf einen zärtlichen Blick auf die vergötterte Tochter, die wirklich wie die verkörperte Freude schon jetzt hin und her tanzte. »So viele Offiziere und Diplomaten wie bei uns, haben sie doch alle nicht!« – jubelte sie. – »Es wird himmlisch, Papy! Wir werden erstens doch wieder einmal ordentlich tanzen können, und dann die vielen Uniformen! Die anderen platzen ja vor Neid! Und das freut mich! Ach! – – Bei Lotte und Emmy, bei Klara, bei Tilly, überall war es so langweilig für uns junge Mädchen, weil keine Offiziere da waren! Das sind doch noch die einzigen Herren, welche tanzen. Aber die studierten Herren oder die Bankiers sind ja alle viel zu blasiert! Ja, ja, Max und Onkel Nicky, genau wie Ihr! Immer bleibt Ihr bei den verheirateten Damen oder bei den Künstlerinnen oder flegelt Euch an den Wänden herum. Wenn Ihr aber mit uns sprecht, dann nehmt Ihr solch überlegene Miene an, als ob Ihr Euch herabließet. Und was für Gespräche? Kunst, Litteratur, Tagesfragen wollt Ihr aufrollen! Bah, dazu haben wir doch unsere Fortbildungsstunden und Vorträge am Vormittage! Abends, in Gesellschaften, wollen wir tanzen oder uns den Hof machen lassen! Ihr – – – –« Sie schnitt den beiden Herren eine halb gekränkte, halb lachende Grimasse. »Mausi hat ganz recht mit ihren achtzehn Jahren!« bestätigte der Vater.

Die jungen Leute, Onkel und Neffe, die nur ein paar Jahre im Alter verschieden waren, tauschten Blicke. »Ihr amüsiert Euch auf eigene Faust! Seid zufrieden, wenn man Euch später heiratet!« – meinte der Assessor blasiert. – – »Ihr sogenannten jungen Damen seid auch jetzt gräßlich!« – stimmte Herr Veldt, der Bruder der Mutter, müde zu. – »Entweder verlangt Ihr, daß wir uns für Euch beim Tanzen abstrapazieren oder wie es jetzt unter Euch ganz modernen Dämchen Mode wird – – – – – Ihr wollt, daß wir mit Euch philosophieren über Dinge, die Ihr nicht verstehen könnt oder die wir mit Euch nicht ausspinnen dürfen. Entweder seid Ihr oberflächliche Kälberchen oder trotz aller Jugend schon bildungswütige Blaustrümpfe mit dem Wissen und den Ansichten eines gereisten Mannes, Ihr Mädel aus Berlin W. – Das eine wollen wir nicht, das Kälbern! Das andere, das Bildungs- und Erfahrungsprotzen sollen wir nicht oder wollen wir auch nicht. Daher – – – –«

Das junge Mädchen war zu ihrem Vater geflohen und umarmte ihn heftig: »So sind sie alle, alle, Papy, ist das nicht furchtbar? Und muß man denn wirklich immer nur ein Kalb oder ein Blaustrumpf sein? Max und Nicky machen oft solche verächtlichen Nebenanspielungen, die ich nie verstehe?! Was meinen sie denn eigentlich, sie deuten immer nur an, sagen aber nie die Wahrheit über uns!« – – »Wir kennen eben Euch besser! Dich vielleicht nicht; aber andere. – – – – Überhaupt, redet doch nicht, laßt doch – – –«

»Max, ich denke, wir lassen das Gespräch!« unterbrach die Mutter scharf. – »Wir sind hier, um unsern Ball zu besprechen. Aber es kommt gar kein Zug in die Sache! Jaques, sprich Du!« – – »Wozu soll ich sprechen? Ich bezahle nachher einfach die Geschichte und fertig! Ihr macht ja doch, was Ihr wollt! – – – – Wenn es nicht wirklich um Mausis Willen wäre, damit sie sich wieder ordentlich austanzen kann, so wäre ich gar nicht dafür, so viel Militär und Adel einzuladen! Die Leute kommen und amüsieren sich; aber hinterher – – – –« »Es wäre Dir gar nicht so unlieb, den Träger einer sieben- oder neunzackigen Krone zum Schwiegersohn zu bekommen!« – spottete seine Gattin. Er nickte mit dem Kopfe. »Nicht so unbedingt, wie Du denkst, Rosa! Im übrigen müßte ich auch dies Vergnügen so teuer bezahlen wie alle anderen. Die Sache variiert nur in den mehr oder weniger tiefen Griffen ins Portemonnaie!« – – »Papa, Du bist ein schrecklicher Geldmensch!« – – »Man wird es von Tag zu Tag mehr, besonders da die Umgebung eines solchen Unglückswurm immer mehr den Wert des Geldes vergißt. Nicht wahr, lieber Sohn?« – – »Ich bitte Dich, Jaques, seufze nicht! Das Geld ist da zum Gebrauchtwerden! Wir haben es doch nun einmal!« – rief die Geheimrätin ungeduldig. Sie ergriff ein Notizbuch und blätterte darin.

»Schrecklich, was es alles zu bedenken giebt! Nicky, thu mir den Gefallen und fahre nachher zu Liepmann in die Friedrichstraße. Erkundige Dich dort nach dem dernier cri in Paris, was Einladungskarten, Menus und Tischkarten anbetrifft. Man kann sich doch von denen in der Bellevuestraße nicht übertreffen lassen. Sie hatten »Jugendstil«, also nehmen wir einen recht ausgeprägten »Secessionsstil«. Er soll einen Diener mit einer Auswahlssendung herschicken, sage ihm nur, auf die Kosten käme es diesmal nicht an, es müsse etwas ganz besonders Eigenartiges sein!« – –

»Kunststück, für mein Geld!« – rief der Geheimrat aus.

Seine Gattin überhörte den Ausruf und zuckte nur leicht mit den vollen Achseln. »Den Traiteur – – – –«

»Wozu haben wir eigentlich einen Koch?« – – »Bitte, Jaques, misch Dich nicht in mein Wirtschaftsdepartement! Ich lasse Dir Deine Bank ja auch!« – – »Wer zahlt?« – – »Laß den Unsinn, Vater, auf ein paar Scheine kommt es doch, weiß Gott, nicht an!« – sagte müde der Sohn. – – »Natürlich, Du mit Deinem Assessoren-Einkommen kannst Von diesem Gefühl durchdrungen sein!« – – »Fade!« – – »Gar nicht fade; aber wenn man Dich so hört, kann man aus der Haut fahren! Das Geld hat für Euch gar keinen Wert!« – brauste der Hausherr auf. – – »Ich bitte Dich, lieber Schwager, nur keinen Eklat! Überlaß das Fest uns! Wir werden nicht verschwenden, aber anständig muß es doch sein!« – fiel Herr Veldt scharf ein. Der Kommerzienrat lachte zornig auf, warf sich in einen Stuhl und entfaltete den Börsencourier: »Auf so zwanzig- bis dreißigtausend Mark kann ich mich da wieder gefaßt machen! Das ist ein Vermögen, eine Mitgift! Die Sozialisten haben ganz recht!« – – »Aber, Väterchen, das Geld kommt doch auch unter die Leute. Denke doch, die Schneider, Lieferanten, Drucker, Gärtner, Köche müssen doch auch einkaufen. So haben doch mehr Menschen Gewinn und Freude davon, als wenn es im Schranke liegt!« – Die Tochter streichelte kosend seinen Kopf. Er schwieg und gab sich den Anschein, als ob er lese.

Die anderen Anwesenden hatten Blicke ausgetauscht und sich mit vielsagendem Lächeln wieder an ihr Gespräch begeben. »Also den Traiteur habe ich bestellt. Ich habe hier das letzte Menu, welches der Herzog von Orleans bei seinem Diner höchstselbst bestimmt hat. Es sagt mir zu, also können wir es mit kleinen Abänderungen geben lassen, natürlich wünsche ich französische Sprache! Die Wörter: Beiguß oder Tunke – genügen allein, um mir das Deutsch für die Speisenbezeichnung zu perhorrescieren!« – meinte die Hausfrau und machte eine Notiz. »So, den gärtnerischen Schmuck – – – – – Seid Ihr für Schmidt Unter den Linden oder für Möhrke?« – – Nach kurzer Beratung wählte man den ersteren. »Ich denke, wir lassen den ganzen Speisesaal in eine Laube von gelben Rosen, mattblauem Flieder und Maiglöckchen verwandeln?« – –

»Kunststück, für mein Geld!« – knurrte der Geheimrat unter der besänftigenden Hand der Tochter nur leise.

Andere Vorschläge wurden gemacht und verworfen, ehe die wichtige Blumenfrage erledigt war. »Ja; aber mit den Arrangements ist die Sache nicht abgethan, liebe Mutter!« – meinte der Assessor – »Essen und Trinken kann man überall! Was bietest Du den Leuten noch?« – – »Jeder bekommt eine erststellige, bombensichere Hypothek auf ein Grundstück, das fünfzig Prozent abwirft!« – fiel der Vater zornig ein. – – «Jaques, Deine Scherze sind so geistlos als überflüssig!« – – »Papa, es ist wohl besser, wir ziehen uns in Mutters Boudoir zurück! Um mit schwachen Witzen die kostbare Zeit zu vertrödeln, ist sie doch zu schade!« – höhnte der Sohn. – – »Für die Tischüberraschungen und Tanzgaben werde ich sorgen. Ich fahre bei Hoppenworth vor!« – – sagte Veldt schnell.

»Mit den faulen Bonbonnieren und Sträußen ist es allein nicht gethan!« – rief Max. – »Die hat jeder, und wenn Ihr wie die in der Stülerstraße zehn, statt vier weiße Ziegen vorspannt! Ich spreche von den Kleinigkeiten nicht, sondern von Künstlern. Man muß erzählen, daß man bei uns mit den Leuten zusammen war, welche am meisten in den Zeitungen besprochen werden! Tagesgrößen müssen aufgewartet werden! Das imponiert!«

»Wie wäre es mit ein paar handfesten Einbrechern und Raubmördern?« – schlug der Hausherr vor. –

»Väterchen, bitte, bitte, sei gut!« – bat Mausi flehend. –

Die anderen überhörten den Einwurf. »Ich habe mir hier eine Liste solcher Größen gemacht und werde unsere Einladungen dort persönlich überbringen. Seht her!« – Er breitete einen Briefbogen auf einen Tisch aus und umrahmte einige mit Bleistiftkreisen. »Die kommen um des guten Essens willen und um dagewesen zu sein. Das sind die Billigen! Höchstens muß man ihre Werke kaufen, sie singen oder spielen lassen. Allenfalls borgen sie Vater an!« – –

»Mich? Oho! Ich schicke sie dann zu meinem Herrn Sohne, der zahlt alles von seinem riesigen Einkommen!« –

»Diese im zweiten Kreis erhalten nach dem Fest je hundert Mark zugesandt. Bei dem hier und dieser genügt vielleicht die Hälfte! So, das hier sind die ganz first rate-Leute! Die erhalten Brillantbroschen oder Busennadeln. Vielleicht auch, ich werde auf den Zahn fühlen, ist ihnen der Dank in bar lieber! Weißt Du noch, wie es uns im vorigen Jahre damit erging, Nicky? Vorsicht ist besser, und diese Kunstmenschen sind neuerdings auch praktisch genug, ihre Künste als melkende Kühe zu verwerten, bah!« –

Dunkelrot fuhr jetzt der Geheimrat aus seinem Sitz empor: »Ich kann es nicht mehr mit anhören!« – schrie er – »Du Drohne! Ihr – – – Ihr – – – Geldprotzen, die Ihr nur zehrt und zehrt von dem, was andere erwarben! – – – Die Ihr von dem Verdienen, von Angst und Sorge, keine Ahnung habt – – – – – Ihr, die Ihr nur mit dem Gelde um Euch schmeißt und von Euerm Geldsack aus auf die Welt herabseht, Ihr solltet doch schweigen! Aber da noch die große Verachtung mit anhören, über Menschen, die sich ehrlich ihr Brot verdienen, über Künstler, die ihre schwer errungenen Künste verwerten, das kann ich nicht! Hol Euch – – – – – –«

Damit stürzte er fort, ohne das kühle: »Jaques, menagier Dich!« seiner Gattin zu hören. Sie wendete sich zu ihrer Tochter und sagte ruhig: »Geh, mein Kind, schicke mir Fräulein Hoff und die Stütze, ebenso den Hausmeister und François! Ich will mit ihnen über einige Anordnungen für das Fest sprechen! – – – Euch aber, Nicky und Max, wäre ich sehr verbunden, wenn Ihr Euch um die schon besprochenen äußeren Dinge kümmern würdet! Ihr seid ja darin au courant de la saison! Also besorgt und verabredet ganz nach Eurem Gutdünken! Schont meinen Mann mit ein paar Mark mehr oder weniger nicht! Wenn er sieht, daß das Fest gelungen ist, zahlt er ja doch alles! Sein Zorn ist meist Strohfeuer! Mich schreckt er nicht mehr! Ich weiß ihn zu nehmen!«

* * *

b) Schultzen sein Geschäftsjubileum.

»Was'n Mann is, mit'n Bankkonto und'n jutes, einjeführtes Laufjeschäft, derf sich entschieden nich lumpen lassen, Mile! (Emil.) Vornehmlich dieserhalb, daß de Konkurrenz sich ärjert, daß wa de Leute was zu reden jeben. Und zu reden jeben is bein Laufjeschäft Putput in de Kasse! Und denn außerdem, for wen und for wat hat man jeschuftet? Unse Kinder können alleine arbeiten! Wir haben se auf eijene Füße jestellt. Se passen fors Leben! Bedenke, Mile, Du hast ein Vierteljahrhundert hinter den Ladentisch jestanden, ick habe fünfundzwanzig Jahre an de Kasse jehuckt. Die Frostbeulen in Winter, der Reißmatismus und die Verflüssijung in'n heißen Sommer ha'm wa jratis jekriekt. Abjesehen dadervon woll'n wa doch auch eenmal wirklich den jroßen Mann spielen un' 'n paar harte springen lassen! 'n bisken Fettlebe woll'n wa doch ooch bei Lebzeiten jenießen, wat, Oller?« – – Frau Lina Schultz, – Posamentier en gros und en detail – saß auf dem schwarzen Ledersofa und strickte Kniewärmer. Sie hatte sich in ein Tuch gehüllt, Pulswärmer über das Handgelenk gestreift und den Rücken durch Kissen gestützt. Durch die starke in verschiedenen Farben schimmernde, falsche Zopfkrone war eine überflüssige Stricknadel gesteckt. Ab und zu zog sie diese heraus und kraute den Kopf, fuhr auch wohl vorsichtig durch den Kragen hinten durch, um den Rücken zu schubbern. Das war ihre besondere Wonne! –

Während sie sprach, blickte sie meist auf ihre Arbeit. Erst am Schlusse ließ sie die Strickerei in den Schoß sinken und schaute den Gatten an. Er las im Lokalanzeiger mit Vorliebe die Mordgeschichten und Greulscenen, während er behaglich nach Ladenschluß in seiner Bude saß und rauchte. Zum Glück für sein Weib war er gerade mit der neusten Schandthat fertig. So schenkte er ihren Worten Gehör. Aber seine Stirn krauste sich bedenklich. Er schüttelte den Kopf: »Habe ich Dir nich in de letzten Jahre imma nach Sommerwohnung und sogar nach Ahlbeck an de Ostsee jeschickt, Lineken?« – meinte er vorwurfsvoll. – – »Na jewiß doch, mein juter Mann, aber des waren ohne Dir, so muttawind alleene, doch imma nur halbe Plaisiervajniejen!« – schmeichelte sie. – »Aberst zusammen woll'n wa und doch mal 'n kiebijen Tag machen! Man muß doch de Feste feiern, wie se fallen! Un' nu unsa Jubileum, Mile, fünfundzwanzig Jahre ein Posamentierjeschäft? Is des noch nischt? Und – – –« sie neigte sich mit schlauem Gesicht ihm zu. – »Weißte, de Bazare und de villen Konkurrenzjeschäfte, wo jetzt in de Jejend jezogen sind, rücken uns doch auf de Pelle. Unter uns können wa's doch zujeben? – Da thut 'ne kräftige Reklame mal janz gut! So'ne Uffmöblung muß sein, denn de Leute wollen nich den ollen Schlendriang. De rennen schon bei Wertheim und Tietz, um de Ufmachung und det Gefexe da zu sehen!« – – »Wir jehen doch bei so ville Vereine, Lineken! Der Kejelklub »Mannesmuskel« jiebt man an 'n fufzehnten erst wieder een Damenfest, wo De Dir ausscherbeln kannst!« – – »Jott, Mile, in meine Jahre jiepert man ja nich mehr so uff das Jehopse. Na, und besonders in de »Mannesmuskel«. Da holt mir imma der Pullwig zu de Extratouren, weil wa bei ihm die Wollsachen bestellen. Und der Mann drückt einem fast die Rippen ein und, wenn's rumjeht, drückt er mit de Kniescheiben, daß ich's noch acht Tage spüre!« – – »Na, da haste doch wenchstens was vons Tanzen, Olleken!« – sagte Schultz lachend. – »Na, ick danke for Obst und Südfrüchte!« – entgegnete sie strickend. – – »Nee, Du, ick hat ma unser Jubileum janz anders vorjestellt!« – rief er seufzend. – »An den Tag machen wa den Laden zu, schlafen bis zwölfe. Dann jondeln wa in 'ne Droschke 'ne Stunde spazieren – de Linden lang. Bei Aschinger lassen wa halten und frühsticken. Denn fahren wa nach Haus, und die Liese setzt uns 'ne fette Janz mit Schmorkohl vor, so scheen nach Deinen Rezept, Lineken, des man's vajnügte Aufstoßen von kriegt. Danach 'n Täßken Extrakaffe mit zehn Bohnen mehr, een Mittagsschlaf, und abens machen wa mit de Kinder nach de Stettiner Sänger oder bei Puhlmanns Varjetö runter. Det wär 'ne Nummer, wat?« – Er rückte näher und tätschelte ihre Schulter. Sie schüttelte aber energisch den Kopf.

»Nee, Mile, des wäre ja wie an jeden ersten Feiertag! Nee, Du, sowas janz Jewöhnigliches wollen wa denn doch nich an unsa Jubileum haben! Da bildt Dir man nischt ein! So billig kommste nich wech, Du oller Knauser!« – – »Aber, Lineken, für wen spare ick? Doch nur for Dir und Deine Kinder?« – – »Meine Kinder? Du, Mile, sag' mal, jehören die nich Dir och? Oder verleugnest Du etwa Deine Vataschaft? »Aba – – –« – – »Ach was, Mensch, ick muß mir wundern! Von de mierige Seite habe ick Dir ooch noch nich kennen jelernt!« – – »Lineken«, – bat er – »sei doch man nich so! Denk doch an de Hypothekenbank. Den Sanden sein Krach kost' uns über sechstausend Märker! Des Jeschäft steht seit vier Jahren uff denselben Fleck still, während wir sonst weita jekommen waren! Ick bin ängstlich, entweder muß so ein Fetz ordentlich sein un' nobel, wie's for Schultzens paßt oder nich in de Lameng! Lumpen können wa uns, bei unse Anjesessenheit in de Straße, nich lassen!« – – Frau Schultz fuhr empor und setzte sich nieder. Auf so viel Widerstand hatte sie nicht gerechnet. »So?« – schrie sie. – »Und als Pitschke in der Destille sein zehnjähriges feierte? Des Freibier, die Würste – –« – – »Hottehüh!« – wieherte er eklig. – »Ach was, ob nu Schwein oder Rind? Pferde sind auch Tiere! Die Hauptsache war, es hat de Leute in de Augen jestochen! Schon det Schild mit die Zehn und den Kranz 'rum. Nu, denk mal, an unse fünfundzwanzig, wie des de Leute zu denken jiebt. Alle, die frisch herjezogen sind, müssen doch von unse Solidität futsch sind. Die kaufen alle bei uns, det Alter vons Jeschäftbestehen jarantiert doch for de Ware! – – – – – Nee, ach! Ick ärjere mir über Dir, Mile! So een oller Kaufmann, un' nich de Spur von Jeschäftsjeist steckt in Dich! Bedenk mal de Reklame! Reklame is allens! Un' die sparen wa, wenn wa des riskieren. Frag mal Liesen un' Karl un' Paulen!« – – »Ach, laß die man in ihren Schliddervaein! Die sind ooch fors Ausjeben und stecken mit Dich doch unter einer Decke. Wenn's Vaters Jeld kost und ihr Vajniejen is, denn bin ick doch varatzt!« – – »Na, nu hör aber uff, Du! Nu sei still! Ick hab de Nese pleng! Wenn's nach Dich jejangen wäre, hockten wa heute noch an de Ecke in Keller!« – schrie sie zornig und klopfte auf den Tisch. Schultz drängte sich in seinen Sofawinkel und schwieg verschüchtert. Gegen diesen Ton gab es kein Auflehnen. Im Grunde hatte seine energische, tüchtige Frau auch immer recht behalten. Ihr Fleiß und ihr kaufmännischer Geist hatte ihr Geschäft erst vorwärts gebracht. Er mußte ihr noch danken, daß sie es ihn so selten fühlen ließ. –

»Nimm eenen Zettel und 'ne Bleistift!« – befahl sie kurz. – »Wa wer'n ausrechnen, was wa sparen können, und was die Kiste kost! Kommste mich mit vernünftige Einwände und redtst von die sechstausend Märker, denn sag ick jewiß nich 'n Ton. Aber kohlen kann ick nich vatragen! Nee! Un' nu red kein Wort, Du!« – – Gehorsam erhob er sich und kam mit dem Gewünschten zurück. Er setzte sich in Bereitschaft, legte das Papier auf den Tisch und leckte an der Bleistiftspitze. – Sie hatte die Stickerei fortgelegt und stützte den Kopf in die Hand, um besser nachzudenken. Endlich schien ihr Plan entwickelt.

»Vorerst de Kundschaft! Die muß jeblendet werden! Also von morgen ab, werden wa unta de Leute bringen, des an'n 31. unsa Jubileum is! Des an den Tag jeder wat zukriegt und wa von de Preise fünf Prozent ablassen. – – – – Des wer'n wa natürlich nich machen; aber sagen könn' was! Morgen kommt der Kohn von Magdeburg. Bei den bestellen wa dreihundert Notizbücher. Uff die muß stehen: »Notizbuch, überreicht von der Firma Emil Schultz, – Adresse – Aus Anlaß des fünfundzwanzigjährigen Bestehens.« Denn des Datum! – Die Sache kann Karl machen, wozu war er uff de Hochschule? – Denn kommt der Reisende von Levy und Kompernieh. Da bestellst Du dreihundert Sterne mit Stecknadeln, wie a c 520; anstatt's 'ne Oblate, dieselbe Soße rauf! Dito zweihundert Garnwickel 1522, auch mit Druck drauf. Des jeben wa jratis. Langsam bereiten wa uff die Jeschenke vor. Na, un' paß Achtung, was de Käufer strömen wer'n!« – – Schultz brummte mürrisch: »Varrickt!« und machte Notizen. Sie überhörte seinen Einwurf kluger Weise und fuhr fort: »Dann bestellste, oder ooch Pauleken kann jehen, mit den poussiert die Gärtnersfrau so jerne seit'n Sommer, – hundertfufzig Meter Jirlanden!« – – »Nanu?« Er blickte auf. – »Natierlich, fier de Schaufenster, de Ladenthür un's Innere. Det bleibt acht Tage hängen und macht Summs! Fors Publikum brenn' wa den janzen Tag den elektrischen Jas un de Bogenlampen. Du ziehst Dein Frack mit de Ehrenabzeichen, ick mein braunseidenes an. Auch die Kinder jehen ins beste Zeuch. Wa schließen um sechsen!«

»Wat nich noch? Du mußt ja höllensch reich sind!«

»Sind wa ooch! Dazu langt es, laß man jut sein, Mile!« – entgegnete sie jetzt gemütlich und vergnügt. – »Sollst mal sehen, wie sich det bezahlt!« – – »Na??« – – – »Also abens je'm wa unsa Personal 'n Ball!« – – »Line!« – – »Ja, Mile! Die zehn Mechens, den Laufjungen, dem Verkäufer und allen Reisenden und Lieferanten. Wa laden jedruckt ein, ooch in de Zeitung. Alle Bekannte müssen kommen, und später danken wa in 'n Skandalanzeiger mit 'ne jroße Annonce!« – – »Nu wird's Tag!« – – »Wa mieten bei Puhlmeyer den Saal un de Musicke: een Klaviertreter und een Streicharm jenügt. Die Puhlmeyer schuldt uns noch zweihundert Märker von früher. Det Jeld kriejen wa ja doch nie wieder! Daher muß sie des Abendbrot jeben oder wa klagen's ein. Ick wer' schonst mit se 'n Flötenton reden. – – Natierlich des andre zahlen wa, ooch die Trinkerei!« – –

»Lineken, jute Frau, biste denn bestrampelt! Her doch bloß auf, ick halt's nich mehr aus! Bedenk doch, Du schädigst Dir doch, es jeht doch von Dein Jeld wech!« – jammerte Schultz händeringend. Seine bessere Hälfte schmunzelte vergnügt: »Wart doch ab, olla Krakehler! Ick wer' Dir schonst nachher beweisen, wie der Hase rennt. Erst müssen wa ins Personal durchfließen lassen, daß wa uns 'n Teppich for diese Stube wünschen. Die Lieferanten sollen hören, daß wa'n Kronleuchter jebrauchen. Und de Bekanntschaft kann uns 'ne schwarze Säule mit 'ne Alabastervase spendieren. Die Kinder und ick wer'n des schonst jeschickt besorjen! Denn sagen wa de Menschen, daß se noch mehr mitbringen sollen. Soviel se man wollen. Wa laden alle ein, die sich in das bittre Leben mal tüchtig amesieren mechten!« – – »Lina!« – – »Wart doch ab, Mile! Da wa doch nich for alle zahlen kennen, so nehm' wa einfach for jedes Billjet 'ne Mark Engtreh. Wat meinste, wat de Leute zum Schultzschen Jubileumsball laufen? Die janze Jejend kommt! An zweihundert Billjetters wer'n wa los! Sechsig kost der Saal mit Musike. Des Essen for unsere Ehrentafel, für die ick mit de Vawandtschaft schonst fufzig Personen rechne, ge'm Puhlmeyers: Häringssalat, Gänsebraten und Kalbsbraten mit Kartoffeln und Jurken, hinterher Apfeltorte. Später Kaffe und Napfkuchen! – Is doch nobel? Die Sauferei zahlt jeder for sich selbst. Wenn wa bloß zweihundert Mark for Engtreh kriejen und sechzig abjeben, bleiben uns bei des unbezahlte Essen, denn der Puhlmeyers ihr Konto könn' wa so nich mehr rechnen, noch hundertvierzich for unsere Familie zum Vertrinken! Du, Mile, mit de Juirlanden sind wa, jlaub ich, auch raus?« – Sie stubste ihn über den Tisch. »Du?« – – »Ja, Olleken, die Idee is jut! Bei so 'ne Jelegenheit lassen die Leute wat springen. Der Puhlmeyer macht seinen Schnitt; aber nich schlechte!« – – »Na, siehste, Du Thrantute! Und der Radau vorher und nachher!« – –

»Ja, wenn man nur so ville kommen mechten?« – sagte er zweifelnd. – »Da is mir nich bange, Mile! Bei unse zwei heiratsfähigen hübschen Jungen, die so flott tanzen? Übrigens wat aufführen müssen se, un Liese kann singen. Alle Mädchen und Schneiderinnen ins ledige Mannesalter kommen, na, un Liese und de Ladenmächen ziehen wieder die Herrens in de Jejend an. All de Kommis ringsum!« – – »Wo kriejen se aber de Billjetter?« – – »Bei mir an de Kasse. Drüben bein Kaufmann un dein Papierfritzen. Der muß se schon absetzen, weil wa se bei 'n drucken lassen. Auch de Programme, die muß Karl machen. Na, und bei Kuntze holen wa doch. Der thut's uns zu Jefallen! Paß auf, wa vadienen noch, des wa janz uff de Kosten kommen!« – –

»Lineken, mein Komplemang, Du bist eene mit Ärmeln und Schrauben!« – bewunderte er seine Gattin. – – Diese überlegte wieder: »Weißte, Mile, sicher schicken doch unse Vaeine: »Mannesmuskel« un »Radaubrüder«, »Frohe Fahrt« un der Jesankskohr Deputatjohnen?« – – »Ja, des kann schonst sind!« – bestätigte er. – »Soo? Weeßte, denn lassen wa's Komptor ausräumen und stellen dort den anjejangenen Samoswein auf und belegte Brötchen. Den Wein wollte wa doch alle nich trinken; aber in Flaschen jezogen und bei die gerührte Feststimmung mit Rederei und Anstoßen, merkt keen Jott wat! Und wa sind de Nobeln!« – – »Die Idee is jut! Aber de Stullen könnten wa uns doch eijentlich schenken, Olleken?« – – »'mal sehen, weißte, die Bäckermeister Pietsch aus 'n Norden, erzählte mich bei ihr'n Jeburtstag, daß se imma ufjebackene Torte jiebt. De kost de Hälfte, und keen Mensch ahnt wat von. Valleicht laß ich mir von sie gleich zwei sone Dinger schicken!« – – »Worum nich, des jeht eha!«

»Na, Du oller Quatschkasten, sind wa nu einig?« – meinte sie lachend und reichte ihm die Hand, die er ergriff und drückte. »Na ob, Du bist een kleenes Aaschen, mit Luderchen gepolstert!« – erkannte er an.

Das Schultzsche Jubiläum des fünfundzwanzigjährigen Geschäftsbestehens fand am letzten Tage des Monates statt. Es hatte viel Arbeit und Nachdenken erfordert; aber es war auch großartig. Die ganze Umgegend sprach davon. Und Herr und Frau Schultz kamen in die »Woche« mit ihren Photographien. Die Leute schienen mit ihren gesamten Einkäufen gerade auf diesen großen Tag gewartet zu haben, denn man stürmte das Magazin. Die Tageskasse war einfach unerhört. Zu dem »Jubiläumsball« bei Puhlmeyer waren zweihundertsechzig Eintrittskarten verkauft worden. Der Restaurateur machte ein Bombengeschäft. Was scherte es ihn, wenn Schultzens seine »Ehrentafelgerichte« für »überzuckerten Schlangenfraß« erklärten. Seine Frau war ihre Schulden los! Herr und Frau Schultz machten zwei Tage nach dem Fest, als ihr »Kater« überwunden war, Kostenaufstellung. – Sie sah stolz auf ihre Geschenke, auf die Adressen, die Blumen. Dann addierte und subtrahierte sie geschäftig. Und siehe da! Nach allen Abzügen und Aufwendungen ergab sich ein barer Überschuß von zweiundsiebzig Mark dreißig Pfennigen! –

Seitdem regiert Lina Schultz noch unumschränkter!

* * *

c) Souper beim Herrn Leutnant von X.

»Lore, wir müssen uns endlich revanchieren! Wir sind jetzt bei allen Bekannten eingeladen gewesen und haben uns überall durchgefuttert. Ich schäme mich schon vor den Kameraden. Leutnant von Sangersberg hat schon sein Souper erledigt. Nur wir sind immer noch fällig!« – –

Der schlanke, junge Offizier rannte nervös in dem einfachen Zimmer auf und ab. Er warf keinen Blick auf seine blasse, abgearbeitete Frau, die schon seit Stunden vor der Nähmaschine saß und räderrasselnd ein Kinderkleidchen nähte. Im Zimmer roch es scharf nach Benzin. Bevor sie sich an die Arbeit begab, hatte sie seine gesamten Handschuhe einer gründlichen Reinigung unterzogen. Er nahm sich so sehr in Acht. Trotzdem waren die Dinger ewig schmutzig. Und der Handschuhmacher war zu teuer, als daß man ihm die Wäsche auf die Dauer anvertrauen durfte! – Sie seufzte tief auf, so schmerzlich, daß er vor ihr stehen blieb und mit der Hand kosend über ihre blonden Scheitel fuhr. »Lore?« sagte er bittend. – Mit einem leidenschaftlichen Griff packte sie seine Rechte und preßte sie gegen die müden Augen.

»Sangersberg hat eine reiche Frau geheiratet! Er war nicht so thöricht wie Du, sich die Schrecken einer Kommißehe aufzubürden!« – murmelte sie. – »Ich habe Dich lieb! Ich bin glücklich!« – entgegnete er schlicht. – – »Du Guter! – – – – – Aber Arthur, was hilft das alles? So viel Mühe ich mir auch gebe, so sehr ich mich abarbeite, es reicht nicht her und nicht hin! – Drei Kinder, der Jochen, die Lina, Du und ich? Wie sollte das bei dem Einkommen denkbar sein!? – Dabei immer nach außen repräsentieren, immer die Sorglosen spielen! Der Kaufmann, der Schlächter – – – – – überall stehen noch Rechnungen an. Mein Hochzeitskleid fällt bald auseinander, es platzt in den Nähten. Du brauchst den neuen grauen Paletot, die Stiefel! Fritzchen muß in die Schule, Hänschens Wäsche ist wie Zunder, und Baby soll noch die teure Bollemilch haben? Der Doktor will es durchaus! Wir können es dem kränklichen Kindchen doch nicht entziehen? Ich habe uns schon auf die schmalsten Rationen gesetzt. Die Leute glauben auch nicht an unser Vegetarianertum und murren. Und es geht auch absolut nicht so weiter. Bei dem anstrengenden Dienst kannst Du nicht, ohne Fleisch bestehen!« – –

»Ach was, Schatz, um mich sorg' Dich nicht! Ich bin gesund und kräftig!« – meinte der Gatte und warf sich in einen Stuhl. – »Wenn ich nur einen Ausweg wüßte! Aber sag' selbst, ein von X. kann doch unmöglich etwas anderes sein als Offizier? Möchtest Du mich als Civilist sehen?« – – »Um Gottes willen, nein, Arthur!« – rief sie überzeugt. – – »Na also, es blieb mir nur die diplomatische Karrière oder mein geliebter Waffenrock! Da die erstere aber noch teurer ist, so entschied ich mich eben – – – –«

Frau Lore hatte aus dem Fenster über den Hof gesehen. Sie seufzte leicht. »Weißt Du, eigentlich ist es doch ein Unsinn, wie man sich für seinen alten Namen abschindet! Alles ist uns doch verschlossen! Wenn ich so sehe, wie behaglich die Werners drüben leben, wie die sich Theater und Gesellschaften leisten, könnte mich manchmal ein wahrer Neid befallen. Dabei ist der Mann doch ein bloßer Bankbeamter! Und im ersten Stock der Fabrikbesitzer, und oben über uns im dritten der Buchhändler und der Schriftsteller drüben. Sie alle haben es so leicht im Leben. Sie kommen mir so frei vor gegen uns! Denke nur, wie sich die Majorin und die Frau Hauptmann und ich abrackern!« – – »Ja, Lore, Noblesse oblige!« – sagte er fest. – – »Du, – meinte sie schüchtern – manchmal, wenn es so gar nicht geht, frage ich mich, ob diese Noblesse nicht eigentlich ein Unsinn ist? Arbeiten müssen wir auch, und Arbeit schändet nicht! Man wird über all' der Sorge zuweilen förmlich rebellisch!« – – »Das darfst Du aber nicht!« – rief er und legte entschieden die Hand auf den Tisch. – – »Die andern im Hause müssen keine Gesellschaften geben, wenn sie es nicht können!« – – »Glaubst Du, die haben keine Sorgen und keine Verpflichtungen? Jeder Stand hat seine Qual!« – –

Frau Lore nähte, daß die Maschine den Fußboden förmlich erzittern machte. – Sie schwieg, wozu sollte sie die tausendmal besprochenen Dinge noch einmal durchkäuen. Alles Besprechen half doch nichts. »Wie schön, daß wir im Sommer bei Deinem Bruder unterkriechen können! Die gute Luft, das reichliche Essen und die Bewegung thun uns allen gut! So ein Rittergutsbesitzer hat es doch herrlich!« – – »Aber, Lore, Du weißt doch genau, wie sich Herbert abplagt, um durchzukommen. Der ist doch wahrlich nicht weich gebettet!« – – »Ach was, warum läßt er seine Jungen zur Kavallerie gehen?« – warf sie ein. – »Ich beneide Martha doch! Sie hat doch keine Essenssorgen. Die Naturalien wirft solch' Besitz immer noch ab!« – – »Schreib' ihr doch und – – –« – – »Niemals!« – schrie die junge Frau. – »Es ist genug, daß sie uns im Sommer acht bis zehn Wochen durchfüttern. Noch mehr zu verlangen, wäre unglaublich! Nein, weißt Du, Liebster, Du verbreitest einfach, ich wäre krank, so daß wir zu unserem größten Bedauern keine Gäste bei uns sehen könnten. Ich verlasse ein paar Wochen nicht das Haus, und der Winter geht vorüber! Ist das nicht eine famose Idee?« – – »Nein, Schatz, denn wer geht inzwischen mit den Kindern spazieren? Und alle Damen des Regimentes würden doch herbeilaufen, um Dich zu besuchen!« – – »Ach ja!« – entgegnete sie kleinlaut. – – »Martha ist Babys Taufpatin. Sie weiß, daß das Kind nicht recht gedeiht. Vielleicht schickt sie irgend einen Braten?« – – »Vielleicht?« – wiederholte seine Gattin resigniert. –

Wieder verstrichen fast zwei Wochen. Der Leutnant ging aufs Tiefste verstimmt umher. Er schämte sich vor den Kameraden, denen gegenüber er sich verpflichtet fühlte. Er arbeitete im Salon an seinem Schreibtisch die halbe Nacht hindurch. Nebenan im Wohnzimmer saß sein treues Weib meist bis gegen ein oder zwei Uhr in der Nacht über ihre Holz- und Lederbrandmalereien gebeugt. Sein Herz krampfte sich oft schmerzlich zusammen; aber er mußte sich blind und taub stellen. Arthur ahnte, daß sie für ein Geschäft arbeitete, um ihre Schulden abzubezahlen. Nach den mühseligen Lasten des Tages plagte sie sich heimlich ab. Ihm redete sie vor, daß sie für die Kinder, für die Bekannten nähe und arbeite. Um ihren Schreck, ihre Verlegenheit nicht zu sehen, betrat er das Zimmer nie, wenn sie derart thätig war. – Tief gerührt vergalt er der Teuren ihren aufopfernden Fleiß durch verdoppelte Liebe. Hindern konnte und durfte er sie nicht. Aber er brachte es auch nicht fertig, selbst das Bett aufzusuchen und zu schlafen, während sie sich für seinen Haushalt aufrieb. Gar oft kamen ihm Thränen der Wut, des Zornes, der Rührung und Scham, wenn er so in nächtlicher Stille dasaß. – Sein Kummer mußte unwillkürlich in den üblichen Brief an seine Geschwister durchgeflossen sein, denen er alle vierzehn Tage Bericht über die Seinen und sein Thun und Treiben sandte. –

Schwer bedrückt kam er an Babys Geburtstag in sein Heim. Sein Freund hatte ihn nichts ahnend gefragt, ob er seine Gesellschaft wieder am zwanzigsten Februar geben wolle? Er hätte eine andere Einladung zu diesem Datum, würde es aber vorziehen, bei ihm und seiner reizenden Gattin den Abend zu verleben! Arthur hatte die Frage bejaht. Nun konnte er nicht mehr zurück. Das Souper mußte stattfinden. Und wenn er das Geld bei allen Würgeengeln der Hauptstadt zusammenborgen sollte! – – Als er die Eingangsthür aufschloß, stürzte ihm seine blasse Lore entgegen. Lachend und weinend umschlang sie ihn und zog ihn in die Küche. Da lagen und standen all' die Herrlichkeiten, welche Bruder und Schwägerin vom Gut, anstatt eines Geburtstagsgeschenkes, für die Familie gesandt.

»Zehn Pfund Butter, Eingemachtes, einen Centner Kartoffel – drei Riesenhechte – ein Schock Eier – zwei Puten und eine Kalbskeule – – und ein Roastbeef!« – zählte die junge Frau jauchzend auf. – – »Lore, Lore!« – jubelte auch er und wirbelte mit ihr durch die Küche. Die Kinder tanzten begeistert mit. Auch der Bursche und die Magd lachten teilnehmend und verständnisvoll. Nachher überlegten sie ihr Menu und versandten die Einladungen. Großmamas Zehnmarkstück für Baby, die zwanzig Mark, welche sie mühevoll verdient, und die Weinsendung des Patenonkels vom Rhein! Oh, es waren Reichtümer! Sie dünkten sich Krösusse! –

Frau Lore wanderte mit Jochen in die Centralmarkthalle am Alexanderplatz. Was scherten sie die drei Stunden zu Fuß? Dort gab es alles viel billiger als im Westen! – Lina, der »Trampel«, konnte nichts weiter, als die Wohnung für den großen Abend sauber zu machen. Sie that es mit Feuereifer. Jochen putzte das »Blanke«. Der Tag der Gesellschaft war da. Frau Lore las den Zettel, auf den sie das Speisenprogramm notiert: »Wir sind furchtbar nobel, Arthur! Denke nur: Bouillon in Tassen, farcierter Hecht mit Kapernsauce, Puten und Kalbskeule mit Gemüsen belegt und Kompott. Danach Wein-Gelee in Gläsern mit Biskuits. Eine Käseschüssel. Dazu Rot- und Moselwein. Nachher Bier, Liköre und Kaffee! Und für die nächste Zeit sind wir auch noch versorgt!« –

– Damit band sie ihm eine große Schürze um. Der Herr Leutnant war nicht nur ein tüchtiger Soldat, sondern ein vorzüglicher und gut geschulter Kochgehülfe. – Das war ein Lachen und Necken in der Küche, während vom Kinderzimmer Toben und Schreien herüberklang. Dorthin war heute Lina verbannt. Und ihre Oberaufsicht über die wilden, kleinen Menschen zeitigte immer einen wüsten Skandal. –

Der schneidige Offizier entgrätete die Hechte, rieb Weißbrot, hackte das Fleisch. Er nahm die Puten aus, klopfte die Keule und begoß die Braten fleißig mit Fett und Sauce. Dann kochte er wie ein erprobter Koch sein »weitberühmtes« Wein-Gelee, seihte es durch ein Mulltuch in die Gläser und stellte es kalt.

»Na, sieh Dir mal das an, Schatz! Schöner kann es bei Majestät nicht schmecken! Ob Moltke bei allem Genie solch' Gelee fertig gekriegt hätte? Du, die denken heute sicher, wir haben bei Huster bestellt!«

»Ich freue mich besonders auf die Überreste und das gesparte Roastbeef! Arthur, das wird Euch gut thun. Und schuldenfrei zu sein? Liebster, für solch' schöne Tage lohnt sich das Geplacke der übrigen schon. Baby hat schon rötere Wangen von den frischen Landeiern!« – Lore erschrak. Ihr Gatte stürzte auf den Burschen zu. »Jochen, Du Schweinigel, wirst Du Dir mal gefälligst erst die Pfoten waschen, wenn Du die Kartoffel geschält hast! Fuhrwerkt der Kerl mit den schwarzen Klauen an das Gemüse, pfui! Gleich nimm' die Bürste!« – – »Zu Befehl, Herr Leutnant!« – grinste der brave Pommer. –

Ganz spät bereiteten beide, Hausherr und Hausfrau, noch die Käseschüssel. Dann nähte Frau Lore an Jochens Livree neue Köpfe und stopfte seine Handschuh. Inzwischen brachte sie die Kinder ins Bett. Tätlich erschöpft taumelte sie dann in ihrem Schlafzimmer auf einen Stuhl. – Ihr Gatte ordnete nebenan den Rauchtisch. »Du, Lore!« – schrie er, die Thür weiter öffnend. – »Ja, Arthur?« – – »Bist Du mit dem Decken fertig?« – – »Ja!« – – »Sind die Tischkarten geschrieben und hingelegt?« – – »Ja!« – – »Schlafen die Kinder?« – – »Gewiß!« – – »Hast Du Jochen und Line instruiert, inspiziert?« – – »Natürlich!« – – »Ist schon geräuchert?« – – »Auch das!« – – »Bist Du fertig angezogen?« – – »Nein!« – – »Um Gotteswillen, Schatz, eil' Dich! Sie können bald kommen! Womit hast Du nur die Zeit vertrödelt!?« – –

Bitter lächelnd erhob sich die bleiche, abgehetzte Frau und zog sich an. Das schwarze Standesamt-Kleid glänzte in den Nähten und war, trotz allen Umänderns, zu eng. Darum nahm sie ein von ihrer Mutter ererbtes Spitzentuch und drapierte es vor dem Spiegel geschickt auf der schadhaften Taille. Ihr Arthur trat zu ihr: »Famos sieht es aus bei Leutnants, wie bei reichen Leuten! Im Korridor riecht es verheißungsvoll! Paß auf, all' das Gute wird unsern Gästen schon munden!« – – »Wenn sie doch recht viel übrig lassen würden!« – wollte sie sagen; aber sie unterdrückte den Satz. Denn in dem Glase sah sie ihres Mannes Gesicht freudig strahlen. »Ich freue mich mächtig auf unser Souper, Schatz! Wenn man so überlegt, hat es doch eigentlich gar nicht soviel Arbeit gemacht!« – – »Aber, Arthur! Wenn man bedenkt, wie rasch die Stunden vergehen, wie schnell all' das Gute verzehrt wird – – – –« – –

»Laß gut sein, Frauchen! Nichts wäre schwerer zu ertragen, als die bewußte Reihe von Jubeltagen. Wir wollen das Gute genießen, wie es kommt. Was hätten wir ohne Herberts und Marthas Sendung angefangen?« – – »Gewiß, Arthur, ich bin nicht undankbar!« – – »Wie hübsch Du aussiehst, Schatz! Toilette macht bei Dir enorm viel aus. Die roten Wangen holst Du Dir im Sommer auf dem Gute!« – – »Gewiß!« – – – sie seufzte. »Bis dahin?!« – – »Du, es klingelt! Das sind Hauptmanns, die kommen immer zuerst! Nun, frisch und fröhlich sein, meine alte Lore! Jetzt sind wir die Wirte! Du weißt doch: Kopf hoch! Noblesse oblige!« – –

* * *

d) Das Diner beim Herrn Sanitätsrat.

»Jenni, warum läßt Du nicht einfach tanzen? Doktor Feller und Lotte Bach sind ja wild, wenn sie nur Musik hören! Solch' junges Paar will sich amüsieren und auszappeln! – Ich finde ein Diner mit seiner langen Futterei einfach öde,« – erklärte der Sanitätsrat. – »Gebe ich etwa mein Diner für die Berliner Range oder um überhaupt unsere Verpflichtungen los zu werden?« – fragte die üppige Dame gereizt. – – »Pardon, ich dachte, Du wolltest das Brautpaar feiern?!« – – »Gewiß; aber ich sehe doch nicht ein, warum ich nicht das Nützliche mit dem Unangenehmen verbinden soll?« – – »Bezieht sich das von Dir erwähnte Unangenehme auf Lotte?« – lachte er. – »Warum nicht, das Mädchen hat mich von ihrer Geburt an genug gekränkt! Ihre Bemerkungen, ihre ewige Enfant terrible-Art hat mir genug ausgeteilt. Ich muß ihr nun noch ein Verlobungsgeschenk und über lang oder kurz ein Hochzeitsgeschenk geben. Jetzt kostet das Fest für sie noch einen hübschen Batzen. Eigentlich müßte sie uns etwas zahlen!« – – »Aber ein Abendbrot, ein Thee mit Kränzchen und Tänzchen kostet nicht mehr und ist viel zweckentsprechender, liebe Jenni!« – – »Frede, geh' mir mit Deinen Einwänden! Gegen junge Welt haben wir gar keine Verpflichtungen. Dagegen müssen wir Geheimrat Siebers, Regierungsrat Wernickes, Gerichtspräsident Bach, Direktor Feller, Landrichter Schneider, Admiralitätsrat Schuch, Oberst von Schall mit den Frauen ohnehin einladen. Warum sollte sich das nicht vereinen lassen? In die Nähe des Brautpaares kommen ein paar jungverheiratete Kollegen, Deine Assistenten und Assessors. Die passen ganz gut! Lotte ist fürs Essen. Ich gebe ihr ein solennes Diner und ein elegantes Geschenk, ist das nicht mehr als zuviel?« – – »Was bekommt sie denn von uns?« – fragte der Arzt begierig. – »Nun, es ist ein Rundreisegeschenk, ich habe es mindestens zwölf Jahre für solch' einen Zweck liegen! Entsinnst Du Dich noch des Goldfischglases auf Bronzefüßen? Das Monstrum, welches mir Dein Cousin Adolf einst verehrte?« – – »Ach ja, sehr dunkel allerdings!« – – »Siehst Du, das stifte ich Lotte mit zwei Goldfischen und einigen Blumen verziert als Zimmerschmuck in die Wirtschaft!« – – »Na, Jenni, mach' Dich nicht lächerlich! Bei Lotte riskierst Du eine Bosheit damit! Nimm es mir nicht übel; aber das ist eine Kateridee! Ich spende gern für eine anständige Gabe – zehn bis fünfzehn Mark!«

»Lächerlich, bald hat sie Geburtstag und dann Hochzeit! Spar' unser schönes Geld dafür!« – erwiderte die Gattin energisch. – – »Höre 'mal, wenn wir solche alte Leute-Abspeisung haben, dann lade bitte Cousine Bach und die verheirateten Töchter auch ein!« – – »Frede, wie Du immer bist! Der selige Bach war mit Sieber auf stetem Kriegsfuß. Neuwald und Schneider sind spinnefeind. Kläre Bach konnte Schuchs nie ausstehen!« – – »Hm, liebe Jenni, dann paßt aber die Lotte auch nicht hierher! Lieber lade die ganze Familie zu einem gemütlichen Abend, als solch' steife, unpassende Zusammenwürflung!« – – »Überlaß das gütigst mir, lieber Frede, ich habe bisher doch noch stets das Meinige gethan!« – rief die Sanitätsrätin spitzig. – »Seit wann kümmerst Du Dich um meine Wirtschaftssachen?« – – »Das thue ich absolut nicht, liebe Frau, aber – – –« – – »Bitte zahle, und mische Dich nicht ein, Frede!« – –

Er erhob sich resigniert und verfügte sich in sein Sprechzimmer. Ehe er die Thür erreichte, drehte er sich noch einmal um. »Bestelle einfach das Essen beim Koch, den Wein bei Hoehl und die Torten etc. bei Schilling. Die Rechnungen sollen die Leute an mich senden. So machen wir es doch immer!« – – »Nun, und was so eine Sache drum und dran kostet?« – – »Bitte, Jenni, ich denke, wenn ich Dir noch hundert Mark extra gebe, kannst Du alles Nebenbei decken?« – – »Wahrscheinlich!« – – »Also, ich muß hinüber, das Wartezimmer ist bereits wieder voll. Mach', was Du willst, Jenni, ich füge mich; aber einverstanden bin ich mit diesem Diner als Feier für das Pärchen nicht. Wann soll es übrigens steigen?« – – »Sonntag in acht Tagen!« – – »Bon! Adieu, Jenni, bleibst Du daheim?« – – »Nein, ich gehe zu Bötgers zum Jour!« – – »So, also an revoir, heute Abend, überleg' Dir die Sache noch einmal, und viel Vergnügen!« – –

Beim Abendbrot fand sich das Ehepaar mit seinem Sohne wieder zusammen. »Frede!« – Die Sanitätsrätin nannte ihren Gatten stets bei dem Familiennamen. »Ja, mein Kind?« – – «Ich habe mir die Sache anders überlegt!« – – »Sehr verständig!« – – »O nein, so meine ich es nicht, wie Du gern willst! Dazu bin ich zu außer mir auf die Person!« – – »Auf wen?« – – »Auf Deine edle Großcousine Lotte Bach!« – – »Nanu?« – – »Ja, sie hat zu Alice Hutten in Gegenwart von Frieda Bötger gesagt: Jetzt sei sie schon ein halbes Jahr verlobt, und nur wir hätten sie noch nicht eingeladen. Es wäre ihr ordentlich peinlich vor ihrem Bräutigam! Wenn wir nicht wir wären, würde sie uns eine öffentliche Kollekte zur Fêtierung verwandter Brautpaare in Vorschlag bringen. Aber ich – Du – ich! – sei nun einmal nicht so happig! Es gäbe eben Knickeier und Knickstiebel! – – – – Unerhört!« – – »Unerhört ist die Klatscherei der alten Bötger, die Dir brühwarm wieder erzählen muß, was ihre schwatzhafte Frieda aufschnappt! Das sind mir die echten Klatschbasen! Die zwei!« – – »Traust Du Lotte die Bemerkung etwa nicht zu?« – – »O – – – – ja – – – sie sähe ihr fast ähnlich; aber nebenbei hat sie recht! Wir haben zu lange gewartet!« – – »Laß nur gut sein, Frede, ich nehme an der naseweisen Person meine Rache! Sie soll sich wundern! Aber den »Knickstiebel« werde ich ihr gedenken!« – – »Sei doch nicht komisch, Jenni!« – –

Diese antwortete nicht auf seine Warnung. Endlich meinte sie verärgert: »Eingeladen müssen sie werden. Gut, das soll geschehen! Aber das sage ich Dir, nur mit den alten Leuten zusammen. Nicht ein junger Mensch außer Albert soll dabei sein. Und wenn die Lotte denkt, daß sie ihre Lieblingsgerichte bekommt, so irrt sie sich! Hehehe! Sie verabscheut Hammel und Wild! Sie wird es essen! – Sie giert immer auf Eis und Konfekt; aber sie wird mit einer Torte und Kakes auch zufrieden sein müssen. Ich freue mich auf den Moment, wo ich die Enttäuschung bei ihr bemerke. Sie kann ja nichts verheimlichen, sie zeigt ja alles und spricht alles aus, was sie denkt. Sobald sie ein Wort sagt, reibe ich ihr den »Knickstiebel« unter die Nase!« – – »Jenni, wie kannst Du, alte Frau, so kindlich sein! Schäme Dich!« – – »Oho, Frede, möchtest Du mir vielleicht vor meinem Sohn – Injurien sagen? »Ich« habe nicht nötig, mich zu schämen! Es handelt sich um Deine Verwandten!« – –

Damit stürzte sie fort, die Thür hinter sich zuschlagend. Der Vater seufzte still und griff zur Zeitung. Der Sohn, ein junger Referendar, blickte erschreckt von seinem Buch auf. Er hatte sich die Ohren zugehalten und gelesen. – Am folgenden Tage wollte Frau Sanitätsrat Frede gerade zum Koch wandern, als ihr ein Besuch gemeldet wurde. Es war ihre Cousine, ein jung verheiratetes Frauchen: »Ach, Klärchen, das ist mir ja sehr lieb! Du kommst mir wie gerufen!« – rief sie der Dame entgegen. Diese hatte im Salon wartend gesessen und erhob sich, um die »Tante Frede« zu begrüßen. »Hör' 'mal, liebes Kind,« – sagte die Rätin und drückte den Gast auf den Stuhl zurück – »Du mußt mir raten! Wir müssen dem Brautpaar Bach-Feller ein großes Mittagessen geben. Leider! Es ist scheußlich! Aber man muß die bittere Pille schlucken, es hilft nichts! Nun hat es uns neulich bei Dir so gut geschmeckt, wie noch lange nicht! Du bist eine so praktische, kleine Frau und wirfst auch nicht mit dem Gelde. Das will ich auch nicht! Mein Koch ist aber sehr teuer und hat uns das letzte Mal keinen frischen Fasan geschickt. Sobald ich einen besseren wüßte, würde ich gern von ihm abgehen! Ist es ein Geheimnis oder würdest Du mir die Adresse Deines Kochkünstlers anvertrauen?« –

Frau Klärchen lachte hell auf: »Aber mit Wonne, Tante Frede, es ist ein ganz berühmter Hoftraiteur!« – – »Hoftraiteur, – – – nein, danke bestens. Ich habe nicht Lust, den Titel mit zu bezahlen!« – – »Das brauchst Du auch nicht, ich scherzte nur. Mein Hoftraiteur ist die bekannte Kochfrau Kloß, die in der Steinmetzstraße 258 auf dem Hof im Keller wohnt!« – – »Eine Kochfrau? Das ist unmöglich!« – – »Gewiß nicht!« versicherte die andere. »Das schmeckte wie von Hiller, und wie sie alles dekoriert und zerlegt hatte! Klärchen, das kann nicht sein!« – – »Doch, Tantchen; aber die Kloß ist wirklich eine Berühmtheit. Sie kommt in die ersten Adelshäuser. Fünfzehn Jahre war sie Kochköchin bei einem Finanzbaron. Dort hat sie ihre Kunst dem französischen Küchenchef abgelauscht.« – – »Warum wohnt sie im Keller? So eine Stellung wirft doch Ersparnisse ab? Irgend etwas stimmt da nicht? Ich kenne die Welt!« – – »Nein, Tante Frede, Du bist auf falscher Fährte! Die arme Kloß heiratete sehr spät einen ganz jungen Burschen, der sie um alles gebracht hat. Er ist von ihr fort, und sie muß jetzt allein für ihre drei Kinder sorgen!« – – »O weh, dann erscheint sie wohl mit der üblichen großen Tasche, in der die verschiedensten Töpfchen schon bereit stehen?« – – »Na, einen Korb brachte sie allerdings mit; aber ich paßte scharf auf und gab ihr selbst gleich einige Sachen mit, um sie nicht erst in Versuchung zu führen!« – – »Ich muß Dir gestehen, daß ich unsere Reste immer gern zum nächsten Mittagbrot verwende!« meinte die Rätin. – – »Wir auch, Tante Frede, und denke, wir hatten auch noch zum Abendbrot genug. Ich kann Dir die Frau dringend empfehlen!« – – »Sooo! Du, Kind, was verlangt sie denn? Und wann kommt sie gewöhnlich?« – – »Sie verlangt zwölf Mark und tritt schon um zehn Uhr an. Und was sehr angenehm ist; sie bringt Geflügelscheren und Messer aller Art mit. Im übrigen sprich mit ihr. Sie weiß, daß Du sie eventuell weiter empfehlen kannst. Reibe es ihr wenigstens unter die Nase, vielleicht thut sie es schon für zehn Mark.« – – »Weißt Du, Kind, ich hätte die größte Lust, es einmal mit Deinem Schützling zu versuchen. Es kommt diesmal überhaupt nicht so sehr darauf an. Die alten Herrschaften geben mehr auf Unterhaltung und gute Weine. Ein Brautpärchen achtet aber nicht so auf die leibliche Versorgung. Die haben genug von ihrer Liebe!« – – »Die Lotte ist entzückend in ihrer Frische, nicht wahr, Tante Frede?«

Die Gefragte lächelte süß: »Ich liebe das Kind wie mein eigenes!« – – »Gefällt er, der Feller, Dir?« – – »Ein herrlicher Mensch!« – – »Warum ladest Du das Pärchen mit so würdigen Leuten ein?« – – »Beide haben mich ausdrücklich darum gebeten. Feller scheint daran zu liegen, die hohen Beamtenkreise zu poussieren. Wenigstens schien es mir so! Ich komme dem neuen Familienmitglied gern darin entgegen. Zudem sein Großonkel geladen wird. So ehre ich einen durch den andern! – – – – – Klärchen, ob ich die Kloß noch bekomme?« – – »Schreibe ihr sofort, und bestelle sie her oder gehe zu ihr. Sie ist meist furchtbar besetzt!« – – »Wenn sie es nur so gut macht, wie bei Dir, Klärchen!« – – »Aber zweifelsohne, Tante Frede!« – –

Das Hausmädchen der Sanitätsrätin erwischte noch an dem gleichen Abend die besagte Kochfrau, als diese schwer beladen von einem Diner heimkehrte. Sie schleppte die Ermüdete sofort zu ihrer Herrin. Unterwegs erzählte sie ihr klagend, was für ein Satan die Frede sei, und wie knickrig sie den Haushalt führe. Er wäre eine Seele von einem Mann! Und wenn er nicht immer heimlich die Mädchen für alles entschädige, so hielte es kein Mensch dort aus. –

Also vorbereitet trat Frau Kloß vor Frau Frede. Die letztere war aber außerordentlich liebenswürdig. Sie ließ die andere am Tische Platz nehmen und sich von ihr Vorschläge aller Art machen, die sie sofort notierte. »Die Hauptsache ist mir, daß wir einen Hammelbraten und Wild dabei haben, das essen meine Gäste besonders gern!« – betonte die Rätin. – – »Gut, gnädige Frau, dann wollen wir sagen: Zuerst Hühnerbrühe mit Pastetchen. Danach Steinbutt mit Austernsauce – – –« – – »Gut, Frau Kloß!« – –»Danach einen schönen Hammelrücken mit guter Tunke à la Rehziemer. – – Einen Gang Spargel. – – Punscheis in Glä – – – –« – – »Nein, Eis gar nicht!« – – »Also Plumpudding mit Arrak!« – – »Sehr gut!« – Frau Frede freute sich, denn es fiel ihr ein, daß Lotte von England seinen brennenden, schweren Pudding besonders haßte. – – »Alsdann eine delikate Rehkeule und Fasan – – – – – Vanille-Eis?« – – »Nein, Frau Kloß, gar kein Eis diesmal!« – – »Wie gnä' Frau befehlen! Nehmen wir einen Tuttifrutti-Creame – Käseschüssel und Dessert!« – –

Man einigte sich endlich. Frau Frede fuhr im Wagen ihres Gatten, mit einem langen Zettel bewaffnet, in die Stadt und machte Einkäufe. Sie suchte alles möglichst billig zu erstehen und besorgte Einladungs- und Tischkarten bei Wertheim. – – Auf einen Tafeldecker verzichtete sie. Für dreißig Personen brachte sie selbst noch eine nette Tafel zu Stande. Ihre Mädchen waren beständig auf dem Wege zu ihrer Schwester, um das noch fehlende Silber, die Bouillontassen, die nötigen Vasen und Kleinigkeiten zu leihen. Trotzdem der Haushalt des Sanitätsrats Frede von Jahr zu Jahr sich in seiner mehr als gut bürgerlichen Ausstattung vervollkommnete, fehlte bei entscheidenden Gelegenheiten immer noch eine Menge. So sehr auch der Hausherr nachkaufte und schenkte, er brachte seine Gattin nie so weit, daß sie ihre verwitwete Schwester unbeansprucht ließ. Dabei war deren Wirtschaft mit der reichhaltigen Fredeschen nicht zu vergleichen! – Geliehen mußte werden! Selbst wenn die Dinge nicht benutzt wurden! Sie standen dann wenigstens da! –

An einem Sonntag um sechs Uhr sollte das Diner stattfinden. Durch Erfahrungen von früher her gewitzigt, hatten sich der Sanitätsrat und sein Sohn schon früh morgens aus dem Staub gemacht. Sie speisten in einer Weinstube und ließen sich erst daheim blicken, wenn der Wechsel ihrer Garderobe es unbedingt erforderte. – Drei Tage war die Wohnung gründlich aufgeräumt worden. Alle Zimmer hatten unter Wasser gestanden: »Himmeldonnerwetter, Jenni, unsere Gäste kriechen doch nicht in den Winkeln, unter den Schränken herum. Sauber haben wir es doch stets!« – stöhnte der abgejagte Arzt zornig. – – »Frede, das verstehst Du nicht!« – donnerte ihm die Gattin entgegen. Ihr Sohn kannte die Mutter. Er wich ihr stets aus, wenn sie »vom Gesellschaftskoller besessen war«. Und der hatte sie auch diesmal gepackt. Ei bewahre, nicht Lottes wegen! Sondern, weil Frau Schuch, geborene Komtesse Schnädelbach, immer so mockant lächelte und mit der Sieber Blicke tauschte. Frau Wernicke beäugte durch ihre Lorgnette in der That jede Ecke und jedes Nippes auf Staub hin. Frau von Schall redete sich in ihrer Einbildung ein, daß man nirgends so speise wie bei ihr selbst! – Kurz, all' ihre Besucher waren, in solcher Zeit die Feinde der nervösen Frau!

Natürlich heizte an dem Tage die Maschine nicht ordentlich! Es war kein Zug im Bratofen. Und der Gaskochherd bullert so gefährlich! – Alles ging quer. Die sonstige Köchin ging tief beleidigt mit einer Riesenschippe umher. »Was so eine popliche Kochfrau vermochte, das brachte sie schließlich auch noch zu stande! Ja, wenn es noch ein veritabler Traiteur gewesen wäre! Aber so? Sollte das fremde Weibsbild da in ihrer Küche 'rumwirtschaften und kommandieren? Sollte sie, die im Kasino kochen gelernt und neunzig Thaler Lohn bekam, wie ein »Prudel« umhertanzen, wenn die pfiff! Oho, sie wollte ihr!« – – Die Sanitätsrätin raste mit glühenden Wangen umher, tröstete, flehte um Ruhe und Geduld. Sie griff selbst mit zu, selbstverständlich am verkehrten Ende. Innerlich Wut schnaubend, schwieg sie zu einer zertrümmerten Lampenglocke, zu einem Tablett zerschlagener Likörgläschen! – – In einer unheilvollen Stunde war ihr durch Klärchen die Idee gekommen, ihrem braven erprobten Koch untreu zu werden! Nie wieder wollte sie eine Kochfrau in ihren Haushalt lassen! Nie, nie wieder!

In diese Vornahme gerade hinein schneite Frau Kloß. Am Arm einen schier gigantischen Korb, in dem leises Klirren »Gefäße« verriet. Ein Mantel mit riesigen Taschen, die mit Wachstuch deutlich sichtbar gefüttert waren, wurde in eine Ecke hinter dem Küchenschrank gehängt, der Korb daneben gestellt. So, alles hübsch zu Händen und unter Aufsicht der Künstlerin. Diese blitzte wenigstens vor Sauberkeit, ebenso ihre Bestecke. – »So, Frau Sanitätsrat, jetzt weiß ich, wo alles steht und liegt!« – meinte sie mit freundlicher Energie nach einem Rundgang durch die Küche. »Wer ist die Köchin? Sie! Aha! Wie heißen Sie? – – – – – Pauline! Gut, also Sie, Pauline, werden mir jetzt tüchtig helfen! – – – – – – Sie, gnädige Frau, und die Minna können uns freundlich allein lassen!« – – Frau Frede machte ein entsetzlich verdutztes Gesicht, als sie so aus ihrer eigenen Küche vertrieben wurde. »Können wir Ihnen nicht helfen?« – fragte sie ordentlich schüchtern. – – »Nein!« – lautete die entschiedene Antwort. – »Ich kann so viele Menschen um mich herum nich' vertragen. Dann wer' ich nervös und garantiere nich' für mein Diner!« – – »Aber die Kleinigkeiten – – – – –« – – »Bei der Gräfin Mirberg hatte ich gestern ein ganz anderes Menu zu kochen als Ihre einfache Hausmannskost, gnä' Frau, und ich bin ganz alleine damit fertig geworden – – – – Übrigens, ich bin gewöhnt, um zwölf Uhr zu frühstücken. Dazu bitte ich höflichst um eine Flasche echtes Bier. Wein trinke ich nicht gern!« – –

Die Rätin stand wie versteinert. – »Sehen Sie doch, Sie haben mir ja ganz nett vorgearbeitet!« – erkannte die Kloß an. – »Da kann ich bald an die Arbeit und spare die zeitraubenden Vorbereitungen. – – – – – – Bitte, Frau Rätin, gehen Sie einstweilen an Ihre Tischdeckerei!« – – Was war zu thun? Gehorsam verschwanden Hausfrau und Stubenmädchen. Beide, gleich empört, begaben sich zankend über diese Frechheit in das Speisezimmer. Dort wurde die Tafel begonnen. Auf einmal gab es draußen einen fürchterlichen Krach. »Himmel, Minna! Rennen Sie schnell 'raus, die zerschmeißt mir sonst meine Wirtschaft!« – Das Mädchen verschwand und kehrte nach einigen Minuten mit vor verhaltenem Lachen roten Gesicht zurück. »Die Kloß hat sechs Mittelteller und die Gemüseschüssel von's Alltagsgeschirr zerkeilt!« – meldete sie. – – »Na, das kann nett werden!« – stöhnte die Rätin und faltete ihre Servietten auf das Kunstvollste. – Nach einer halben Stunde ein erneuter Kladderadatsch. Minna stürmte von selbst hinaus. Mit glitzernden Augen erschien sie wieder. »Die Kloß hatte man bloß die kleine Aufwaschschüssel aus Steingut fallen lassen!« – – »Ist sie entzwei?« – – »Na aber, in tausend Stücke. Die Kochfrau läßt sagen, sie sei an Aufwaschschränke jewohnt. Die Schüssel wäre von selbst gesprungen!« – – »Natürlich, wie immer!« – lachte die Hausfrau im schärfsten Diskant. – »Das kenne ich!« – –

»Gnä' Frau, die Kloß läßt um eine Flasche Fürstenbrunn' und ein Antiperinpulver bitten. Sie hätt' von dem Schreck Kopfschmerzen!« – – Minna kicherte. Frau Frede zitterte vor Wut; sie beherrschte sich mühsam und meinte: »Hat der Kaufmann den Fürstenbrunnen und das Bier noch nicht gesandt? So! Dann telefonieren Sie sofort an ihn. Er soll augenblicklich all' das Bestellte herüberschicken!« – – Die schadenfrohe Minna verschwand kaum in das Sprechzimmer, in dem das Telephon hing, als Pauline hineinstürzte. Knallrot und heulend erklärte die Küchenfee: »Das hält kein Mensch aus, Frau Sanitätsrat! Ich bitte um meine sofortige Entlassung! Dis Weib ist schlimmer als ein Unteroffizier! Ich laß mir nich schubiaken von sone! Ich habe auch meine Ehre im Leibe! – – – – Huhu! – – – – Fortwährend hat se 'was anders im Mund, in eins weg kaut se. Jetzt Mandeln und denn Eingemachtes. Alle Töpfe hat sie ausjebunden und kostet. – Ich muß allens machen, sie aber befiehlt nur, sitzt auf'n Stuhl und frißt!« – – Die Hausfrau fühlte sich einer Ohnmacht nahe. Aber sie konnte nichts thun, als schweigend dulden. Jede vorschnelle Handlung von ihr konnte einen Strike ihres gesamten Personals hervorrufen. Und dann? Was wollte sie thun, wenn die Kochfrau nicht mehr kochen wollte? – – Sollte sie sich auslachen lassen? – – Heiser und mit bebender Stimme bat sie Pauline um Ruhe. Aber sie erzielte diese nicht eher, als bis sie dem zornigen Mädchen fünf Thaler Zulage versprochen hatte. –

So gingen die Stunden langsam mit immer erneuten Ärgernissen hin. Franz, der Kutscher ihres Mannes, trat um halb fünf Uhr in voller Livree an. Er ersetzte bei festlichen Angelegenheiten den Diener. – Frau Kloß, Pauline, Minna und Franz aßen auf Befehl der ersteren jetzt schon ein gut bemessenes Mittagbrot. Trotzdem die Kochfrau ohne Aufhören gespeist, erklärte sie: »Wir haben alle genug geschuftet, gnä' Frau! Vor Hunger umfallen, woll'n wir auch nicht! Nachher kommen wir nich dazu, in Ruhe zu essen, darum ist jetzt die beste Zeit!« – – »Wird auch nichts anbrennen?« – fragte die Hausfrau bescheiden. – – »Ich muß doch sehr bitten, Frau Sanitätsrat Frede!« – schrie die Kloß beleidigt. – »Ich habe, weiß Gott, schon in ganz andere Häuser und ganz andere Diners gekocht. Aber noch kein Mensch hat von mir je etwas Angebranntes gesehen! Sie waren ja selbst so entzückt von meinem Essen. Warum denn heute die Angst? Trietzen lasse ich mich janz jewiß nicht! Das hat mir noch keiner versucht!« – –

»Aber, meine beste Frau Kloß! – – – –« jammerte die Hausfrau. – – »Ach bitte, Frau Sanitätsrat, ziehen Sie sich lieber immer an, sonst kommen Ihre Gäste! Sie machen einen ganz nervös und dann garantiere ich für nichts! Bis jetzt war alles so gut in Gang!« – rief diese energisch.

Wieder war Frau Frede herausgeworfen. Sie begab sich ganz zerschlagen an ihre Toilette. Minna frisierte sie noch einmal. Während dieser Prozedur sagte sie erbittert: »Franz hat doch schon überall Licht gemacht! Wenn wir jetzt hier fertig sind, dann rufen Sie die Kloß in das Speisezimmer, und zeigen Sie ihr die Tafel. Verstanden?« – – »Sehr wohl, gnä' Frau!« – – Wie ein Habicht stürzte die Sanitätsrätin in die Küche, als die Kochfrau im Speisezimmer verschwand. Mit einem Sprung war sie an der Ecke am Küchenschrank und lüftete den Korbdeckel. »Aha! Sehen Sie nur, Pauline! Die reine Speisekammer!« – flüsterte sie empört. – – »Das ist noch janischt, die Taschen hat sie auch vollgestopft. Und das mit eine Frechheit unter meine sehenden Augen. Worum lassen sich gnä' Frau auch mit 'ne Kochfrau ein? Ich hab's ja jleich jewußt. Eine Flasche von den juten Burgunder will se auch für ihre bleichsüchtige Kleine mitnehmen! Die hat's jut. Bestimmt wer' ich auch Kochfrau!« – –

Die Kloß kehrte unbefangen wieder. Frau Frede stürzte zur Wasserleitung und that, als ob sie trinken wollte. Mit einem mißtrauischen Blick musterte die Kochfrau ihre Raubecke und die Anwesenden. Dann lächelte sie wohlwollend. »Die Sache vorn haben Se ganz nett gemacht, Frau Sanitätsrat! Doch das nächste Mal nehmen Se lieber einen Lohndiener. Der faltet die Servietten besser, und wenn Se ein paar Mark mehr für die Dekorationen und Blumen ausgegeben hätten, so wäre es nobler geworden. Aber immerhin, es geht wenigstens!« – – »Na, Ihr Lob ehrt mich ja sehr!« – entgegnete die Hausfrau scharf. – »Doch nun gestatten Sie wohl, daß ich mich hier nach meinem Essen erkundige. Wie steht es damit?« – – »Fein, wozu hätten Se mich denn genommen? Sie kennen ja meine Leistungen von Ihrer Verwandten her. » Die« ist wirklich 'ne feine und liebenswürdige Dame! »Die« hat nich in einer Tour geschnüffelt und gefragt! Sie kannte ihre Kloß und vertraute ihr. Na, wir werden uns schon auch noch ineinander einarbeiten! Sie sind nervös, ich bin nervös, da muß man erst die nähere Bekanntschaft machen!« – – »Meinen Sie! Das ist mir lieb zu hören! Im übrigen, Frau Kloß, Franz ist sehr gewandt. Wenn Sie die Schüsseln angerichtet haben, so überlassen Sie ihm und Minna nur das übrige. Auch den Aufwasch. Sobald abgegessen ist, können Sie ruhig gehen!« – – »Ich konnte doch heute nich zu Hause kochen, und was meine Nachbarin ist, die meine Kinder versorgt, so hat se nach Spandau bei ihren Vetter gemacht. Daher habe ich meine kleine Bande herbestellt, daß se Muttern abholen. Soviel, daß die kleinen Sünder satt werden, fällt bei so einem großen Diner immer noch ab. Es ist doch recht?« – –

Die Sanitätsrätin stürzte hinaus. »Das ist denn doch zuviel des Guten! Schleppt die halben Gerichte fort und füttert sich noch obendrein mit drei Kindern durch! Da soll doch – – – –« – – Sie stürzte zu ihrem Gatten, der sich gerade in seinen Frack warf. Fast weinend berichtete sie ihm von der Frechheit der Kochfrau. Der Arzt nahm die Sache von der lustigen Seite. Er war von den vielen Besuchen gräßlich abgespannt und hatte keine Lust, sich zu ärgern. Sein gutmütiges Lachen brachte die gequälte Frau fast zum Weinen. Doch plötzlich fuhr sie von ihrem Sitz auf: »Heiliger Himmel, ich habe ja vergessen, die Mokkalöffel herauszugeben. Das kann nett werden!« –

Kaum hatte sie der harrenden Minna das Etui übergeben, da traten die ersten Gäste bereits ein. Nun mußte sie die Liebenswürdige spielen, trotzdem sie wie auf Kohlen saß. Ihr Mann und ihr Sohn waren wie stets noch nicht bereit. Endlich, endlich kamen sie in die Salons. Nun war sie entlastet und konnte schnell noch einmal einen Blick auf die Tafel, die Leute und in die Küche werfen. »Gottlob, alles war in Ordnung!« – – Als alle Geladenen versammelt waren, erschien das Brautpaar. Die beiden jugendfrischen Menschenkinder nahmen sich unter all' den würdigen, alten Herrschaften etwas sonderbar aus. Aber all' die alten Herren umdrängten Lotte und neckten sich mit ihr herum. Sie schwamm in Wonne und beherrschte die Situation mit ihrem liebenswürdigen Freimut.

Endlich bat der Hausherr zu Tisch. Lottes Falkenaugen entdeckten vor ihrem Platz sofort das gläserne Monstrum mit den Goldfischen: »Du, Schatz, paß 'mal Achtung, jetzt brock' ich Tante Knickstiebel 'was ein!« – flüsterte sie ihrem Willy zu und kniff ihn in den Arm. Er wollte seinen »Unband« gerade warnen; aber es war schon zu spät! Mit ihrer hellen, hoch erhobenen Stimme rief das lose Mädchen: »Du, Tante Frede, da treffe ich ja einen lieben alten Bekannten wieder! Das ist zu famos! Denk' nur, das Goldfischglas da, bekam Mama zu Väterchens funfzigsten Geburtstag. Sie schenkte es sofort an Adolfs weiter, trotzdem ich heulte und bettelte; denn ich wollte es so gern als Badewanne für meine Puppen haben. Und nun finde ich es bei Dir als Tafeldekoration wieder. Dabei meinte Mutter, Adolfs schenken es sicher weiter, und es geht durch hundert Hände!« – Sie stand jetzt vor ihrem Platz und ergriff das Pappschild, welches an die Bronzefüße gelehnt war: »Ach, Verse? Sieh einmal an:

Wir roten Fischchen im Glase vor Eurem Teller,
Bitten, daß im neuen Heim bei Doktor Feller
Ihr freundlichst uns ein kleines Plätzchen schenkt,
Und manchmal auch der Fredes gern gedenkt,
Die Euch als Glückstalisman mit freudigen Händen,
In Liebe die bescheidene Gabe spenden!

Aber Tantchen, das ist zu lieb von Dir! Also geht mein Kinderwunsch durch Dich in Erfüllung!« – –

Lotte fiel der bleichen, tödlich verlegenen Tante um den Hals und küßte sie. Die andern, welche den kleinen Vorgang belauscht und wohl verstanden, lächelten ein wenig. Der Sanitätsrat löste gewandt die unangenehm gewordene Situation. »Liebe Lotte!« – sagte er laut. – »Also Du hast den kleinen Scherz so verstanden, wie Tante und ich es wollten! Die ersehnte Puppenbadewanne geht erb- und eigentümlich in Deinen Besitz oder auf eine neue Tour! Tante und ich erlauben uns, Dir und Deinem lieben Willi diese kleinen Glückszeichen aus Gold als noch weitere Glückspender für Eure Uhrketten zu geben, bitte!« – –

Neuer Dank! – Die Ehre des Hauses war gerettet! Die Wirtin atmete erleichtert auf. Vernünftig verbiß sie den geheimen Ärger über des Gatten Verschwendungssucht. Er konnte eben nicht anders! Na, und in diesem Falle war sie ja sehr gut zu statten gekommen. –

Das Essen der »Kloß« war so vorzüglich, daß sich die Rätin innerlich mit ihr aussöhnte. Trotzdem kam sie nicht auf ihre Rechnung. Nach einem Blick auf die Menukarte erkannte Lotte in der Wahl der Speisen eine Spitze gegen sich selbst. »Oho!« – dachte sie – »die Freude an Deiner Niedertracht sollst Du nicht erleben, Knickstiebel!« – Mit wenigen Worten verständigte sie ihren Bräutigam, der ja wie immer sich fügte. Fräulein Bach nahm enorme Portionen Hammelbraten und Wild. Sie ergriff eine gehörige Scheibe Plumpudding. Kein Mensch bemerkte, daß sie geschickt die Teller vertauschte oder mit der Gewandtheit eines Taschenspielers die Stücke auf Willis schleuderte. Dieser mußte seine und ihre Rationen verzehren. »Du, Lotte, um Gottes willen, höre auf. Ich kann nicht mehr oder ich gehe auseinander!« – raunte er ihr zu. – »Iß, Liebster, iß! Mir zu Liebe! Ich flehe Dich an. Du rauchst nachher eine schwere Cigarre, die schlägt nieder. Oder Du läßt Dir Vom Onkel Natron geben! Bitte, geliebter, guter, süßer Willi!« – – Konnte er da widerstehen? Gehorsam aß er wirklich für zwei. –

Frau Sanitätsrat Frede beobachtete erstaunt Lottes Eßsucht für diese Gerichte. Diese bemerkte ihren forschenden Blick: »Du wunderst Dich wohl, was ich für eine Klinge schlage, Tantchen? Sei nicht böse, wenn ich so zulange! Aber warum bist Du auch so lieb und aufmerksam und kochst lauter Lieblingsspeisen von mir?!« – – »Schmeckt es Dir, mein Goldkind? Das freut mich innig, dann habe ich ja meinen Zweck erreicht! Weiter guten Appetit!« – – erwiderte sie süßlich lächelnd. –

Im Stillen ärgerte sich die Hausfrau aber doch. Hatte sie denn ein so schlechtes Gedächtnis? Oder hatte sie Lottes Liebhabereien und Abneigungen für die Tafelgenüsse verwechselt? – Daß die bis zur Grobheit aufrichtige Lotte eine solche Komödie aufführen, und daß der vornehme Doktor Feller dabei helfen konnte, schien ihr undenkbar! Als Lotte sogar noch zu guterletzt meinte: »Tantchen, Du bist zu lieb! Du hast sicher erfahren, daß mir Willi meines Magens wegen das Eisessen verboten hat? Zu aufmerksam, denn denke, wenn »ich« hätte zusehen sollen, wie die andern dies Ambrosia genießen! Ich? »So« kann ich mich tüchtig dranhalten!« – – »Das ist nett, mein Goldkind, thue es nur!« – –

Willi war über seine medizinische Maßregel etwas verdutzt, denn er hatte in seinem Leben noch nicht einen solchen Idealmagen wie den seiner kleinen Braut gesehen! Aber er witterte richtig wieder irgend einen Streich hinter ihrem merkwürdigen Ausspruch. So lächelte er vergnügt, verneigte sich schweigend nach Tante Frede und – – – – – – – – – – fühlte sich phänomenal satt! Himmel, wenn sein Magen dies Diner überwand, dann war er auch darin seiner Lotte würdig.

* * *

e) Wie der Kunstmaler A. und seine Gattin einen Empfang mit Dejeuner auffassen!

Sein Atelier war der Gipfelpunkt des Modern-Verrückten! Jedoch elegant! Man entdeckte, abgesehen von seinen kostbaren Kunstsammlungen, bei jedem Blick andere Gegenstände. Stundenlang gab es da zu schauen! Er war ja in der halben Welt gewesen. Und die Geschenke! – Das Atelier war eine Berühmtheit der Stadt. Die Familie des Meisters galt gleichfalls als Stadtberühmtheit. Man zeigte sie sich auf der Straße, im Theater, in den Salons. Man brachte ihre Bilder und die Ansichten aus ihrer Wohnung in den illustrierten Blättern. Kurz – – – – – großartig!

Die neuen vom Staate bestellten Gemälde waren fertig geworden. Die Zeitungen berichteten es der Mitwelt. Alle Menschen waren gespannt, was »er« wieder geleistet hatte! – –

Der Meister und seine schöne, interessante Frau saßen in seltener Eintracht in ihrem secessionistischen Boudoir beisammen. Sie lebten gewöhnlich dann am friedlichsten, wenn die Sorgen, die ungeheure Schuldenlast ihnen über den Kopf zu wachsen drohte. Trotz aller Einnahmen litten sie ewig an Schulden. Die Villa, die Feste, die Toiletten, die Reisen verschlangen Unsummen. Er zauste seinen Bart: »Alle Welt habe ich auf die Fertigstellung der Bilder vertröstet. Wir müssen wieder etwas geben; etwas, was der Welt zu reden giebt! Nur, wenn wieder alle Zeitungen, und die ganze Gesellschaft von uns spricht, nur dann haben wir Kredit!« – – »Und diese riesige Summe, welche Dir der Cyklus bringt?« – – »Ist bereits fort! Sie müßte zehnfach so groß sein, wenn sie unsere Außenstände decken sollte!« – – Frau Adelheid erschrak und machte eine ungeduldige Handbewegung: »Du quälst mich! Schaffe Geld! Deine ewigen Lamentationen langweilen mich!« – – »Aber, Heidi, Du bist mein Weib! Habe ich nicht redlich das Leben mit Dir geteilt! Arbeite ich nicht genug?« – – Sie gähnte: »Gewiß, Arni!« – – »Nun also!« – – »Aber habe ich nicht auch das meine gethan, führe ich nicht Dein Haus zu Deiner Zufriedenheit?« – –

Der Künstler sprang auf und trat neben sie. »Heidi, der neue große Staatsauftrag soll ausgeschrieben werden. Meine drei Hauptkonkurrenten treten mit mir in Wettbewerb. Ich darf nicht unterliegen, hörst Du, ich darf nicht! Jene sind Spießbürger, unbekannt in der großen Welt, unbekannt noch in der kleinen! – – Wenn wir nicht auf der Höhe bleiben, verliere ich die Aussicht. Spricht man von uns wie von einem Tagesereignis, so ist mein Ruhm so begründet, so auf der Höhe, daß man mir den Auftrag als selbstverständlich giebt!« – – »Arrangieren wir ein Herrenessen und laden die Juroren!« – – »Nein, Heidi, das genügt nicht! Die Fürstin B., die Erbprinzessin, die beiden Komtessen X., die Geheime Kommerzienrätin F., die Bankdirektor W. – Alle wollen sich malen lassen! Wir müssen sie einladen, ihnen etwas vorsetzen. In der Gesellschaftsplauderei bringe ich sie so weit, daß sie mir die festen Aufträge geben. Ich setze die ersten Sitzungen an. Ich hülle sie in meine Liebenswürdigkeit und habe sie in der Tasche!« – – – »Ja, Arni, weiß Gott, das verstehst Du!« – sagte die schöne Frau bitter. – Er überhörte ihren Einwurf. »Ein großes Fest bei uns, von dem die Stadt spricht, das ist unser Rettungsanker!« – –

Sie erhob sich, trat an ihren Schreibtisch und kramte in den Schubladen: »Du, Arni, der Rubensball im Kunsthause – der symbolistische Ateliertraum – das Diner in der Villa des Lukullus und die beiden Soupers: L'heure rouge und L'heure bleue sind noch nicht bezahlt!« – – »Bah, was thut es! Vertröste die Leute! Nur wer im größten Stile pumpt, kommt vorwärts! Nur die kleinen Schuldner manifestiert und exmittiert man!« – rief er frivol. – – »Die Aufgabe ist für mich als Bestellerin nicht gerade angenehm. Die Dekorateure und die Köche werden nicht mehr liefern wollen!« – – »Ach, Heidi, Kind, lächerlich! Zieh' Deinen Zobelpelz an, rausche auf starrer Seide, glitzere mit Deinen Brillanten und fahre mit der Equipage vor. Sprich nicht sanft mit dem Pack, sondern von oben herab, und ich wette, man liefert Dir noch zehnmal gegen unbar! – – – – – Im übrigen, Heidi, keine Kostümfeste mehr! Man hat die Maskeraden satt!« – – »Ein einfacher Ball also?« – – »Pfui, ordinär!« – – »Diner oder Souper?« – – »Abgeschmackt!«

Sie zuckte die vollen Schultern: »Du verwirfst alles, was bleibt übrig?« – – »Das überlaß ich Deinem Geschick!« – – »Sehr leicht! Ich bin zu Ende!« – – Er warf sich auf einen Diwan. Sie setzte sich auf einen Stuhl und spielte mit ihren Ringen. Ein Schweigen trat ein. Beide dachten angestrengt nach. Plötzlich lachte er hell auf, sprang in die Höhe und fiel vor ihr in die Knie: Anima mea, Du hast einen Genie zum Gatten. Ich habe eine göttliche Idee! Ich brauche Hofgesellschaft, Adel, Finanz – Kunstwelt und Presse. Sie alle werden kommen. Alle! Der Markt der Eitelkeit wird unser Fest, weil wir alle heranziehen. Die einen werden kommen, um zu hören, zu sehen, dagewesen zu sein! Die andern, aus Reklamezwecken, um bei uns mitgewirkt zu haben! Die Presse wird es beschreiben. Alle Welt wird davon sprechen, hurra!« – – »Erkläre Dich deutlicher, Arni!« – – – Er sprang empor und entwickelte seinen Plan: »Wir sprechen heute auf dem Fest, morgen, übermorgen; wir sprechen überall davon. Wir hetzen einen Künstler gegen den andern – eine Partei gegen die andere auf; dann haben wir alle in den Händen. Du bestellst beim ersten Traiteur der Stadt ein Buffet mit Dejeuner, wie es Berlin noch nicht gesehen! Der Champagner muß fließen, muß strömen! Will der Schuft es nicht übernehmen, so sagst Du ihm, daß er dann nicht in die Zeitungen, in die Hautevolee kommt. Weil Du den Auftrag seinem Konkurrenten giebst. Du hast ihn!« – – »Wenn ich Dich nur schon verstände, Arni!«

Der Künstler lachte: »Also wir geben eine Matinee, teuerstes Weib! Eine Matinee, auf der gedruckte Programme mit den Einladungen versandt werden. Zuerst Besichtigung meiner Gemälde und andere meiner verehrten Kollegen, die Hölle verschlinge sie! Also ad 1: eine Führung von mir durch die Kunstausstellung im Atelier, ad 2: Auftreten erster Sänger der Hofbühne und des Wintergartens in getauschten Rollen. ad 3: Unsere ersten Bühnenkünstler als Vortragende der gewürztesten und humorvollsten Dinge. ad 4: Kurzes Konzert. – Danach ein Frühstück im Oberstock mit schon erwähntem Dejeuner. Selbstredend bedienen auch nur Künstler und Künstlerinnen in irgend welchen selbst gewählten Kostümen. Als Schluß ein Kongreß unserer ersten Schriftsteller und Geistesgrößen mit recht pointierter Satire. Die Sache verfaßt mir unser berühmter, alter Bottenberger! Ist das nicht glänzend?« – – »Gewiß, Arni, schlecht ist die Idee nicht! Wie gewinnen wir aber die Künstler? Wer von ihnen giebt sich heute noch umsonst dazu her?« – – »Bei mir? – – – – – Mir zu Gefallen, aber Heidi! Alle kommen, nicht einer sagt ab! Denke nur den Tamtam! Ein Auftreten bei mir bringt mehr Reklame als dreißig gute Kritiken!« »Und die Kosten?« – – »Schreib's zu den übrigen!« Er umarmte sie. Beide lachten.

»Gleich heute laden wir die Hauptmatadore zu einer Beratung auf nächsten Sonnabend ein. Sie sollen mit entscheiden, wie wir unser Fest taufen. Ob »Varièté-Eröffnung« oder »Austern und Kaviar« oder »Der Rettungsanker« oder – – – – –«

»Meine Schulden Deine Schulden! Da es nun einmal ein Hazardspiel wird!« – ergänzte sie jubelnd, fügte aber ernster hinzu: »Wenn Du aber die erwarteten Aufträge nicht bekommst, Arni?« – –

»Ach was, ich vertraue auf mein Glück! Ich bekomme sie! Und wenn nicht, dann geben wir ein Bachanal, von dem nicht nur Berlin und Deutschland, sondern die Welt sprechen soll. Va banque!«

* * *

f) Unser Abend unter den Zigeunern.

Ernst Georgy stürzte zu Lotte Bach. »Mädchen, durch wie viel Rehkeulen und Puten haben Sie sich in dieser Saison schon durchgefuttert?« – Die Gefragte blickte lachend von der Wäsche auf, in die sie ihren Namenszug einstickte. »Ach, Menschenskind, das ist kaum noch nachzurechnen. Ich komme mir schon selbst wie ein Fasan oder ein Eiskegel vor!« – – »Nicht wahr, es ist doch im Grunde immer das Gleiche? Ob nun die Gesellschaft oder das Menu?« – – »Na ob und öbse!« – – »Ist Ihnen die Sache noch nicht zum Halse heraus?« – fragte Georgy und rückte seinen Stuhl dicht vor den Platz der Freundin. Diese schüttelte den Kopf, daß ihre Ponnyhaare durcheinanderflogen. »Lotte, schonen Sie Ihre Frisur!« – rief er. – »Ihre Ponny neigen ohnehin zur Struppigkeit!« – – »Ach was, Ponny soit, qui mal y pense!« – entgegnete sie übermütig! »Mir ist es noch lange nicht über!« – – »Na, ich danke! Filet und Fasan oder Roastbeef und Pute, darum dreht sich doch die ganze Geschichte!« – – »Das stimmt, lieber Ernst, aber unsere häusliche Wochendrehe ist ja ähnlich. Über Kalb – Rind und Schwein kommt die Menschheit vorläufig nicht hinaus. Ach nee, richtig, Fisch und Geflügel sind Oasen in der Wüste!« – – »Vergessen Sie Pferd und Kaninchen nicht, Teuerste!« – – »Ich verzichte!« – –

»Bon, Range, aber sehen Sie 'mal vom Essen ab, wenn Ihnen das möglich ist?« – – »Schwer!« – – »Denken Sie sich 'mal so in unsere Wald- und Wiesenabfütterungen hinein!« – – »Mach' ich!« – – »Na also, Sie kommen und legen Ihre Garderobe im zu engen Korridor oder einem ausgeräumten, zu diesem Zwecke bestimmten Gemach ab. Dann ordnen Sie Frisur, Toilette, Handschuh?« – – »Sehr richtig, nebenbei versuche ich immer noch, meinem Willi einen Kuß zu geben!« – – »Meinetwegen. Als Herr bekommen Sie die übliche Karte: »Herr X. X. wird gebeten, Frl. N. N. zu Tisch zu führen.« Kennen Sie das Unglückswurm, bon! Wenn nicht, lassen Sie es sich schleunigst zeigen. Sieht sie blaß und weniger chik gekleidet aus – – – –« – – »Dann ist es eine moderne, verarbeitete Dame, die für Emanzipation schwärmt. Sie verzichten traurig auf freudige Hingabe an die Tafelfreuden und präparieren sich auf geistreiche Unterhaltung!« – ergänzte Lotte. – »Richtig! Sieht sie frisch und freundlich aus, freue ich mich auf das zu Tisch gehen. Doch wozu weiter die Sache ausmalen, Sie wissen Bescheid. Ich habe nach erfolgreicher, langjähriger Beobachtung meine Tischdamen in sechs Klassen rangiert, nur vom Sehen!« – – »Verloben Sie sich, dann gehen Sie sicher! Bevor ich meinen Willi hatte, teilte ich auch meine Tischherren in drei Hauptgruppen. Erstens: Unterhalter, die aßen und unterhielten mich trotzdem! Zweitens: die Fresser, welche stopften und sich von mir unterhalten ließen. Und last not least, die Anöder, welche wenig aßen und gar nicht sprachen!« – – »Nicht schlecht; aber seien Sie 'mal erst verheiratet. Dann werden Sie von Ihrem Ehegespons doch wieder getrennt, und die alte Misere geht von neuem los. Lieber gar nicht erst anfangen! – – – – – Doch weiter in unserm Text. Also Sie sind in den Salons. Sie werden vorgestellt und begrüßen Bekannte. Es bilden sich Cliquen. Sie öden sich in allen möglichen Stellungen umher. Es wird Thee gereicht. Sie danken oder Sie ergreifen das haarfeine Täßchen, trinken einen unlohnenden Schluck und balancieren das gebrechliche Möbel in Ihren reinen Handschuhen, bis sich irgend ein Samariter Ihrer erbarmt. – Dann erbraust eine Sonate, erschmettert ein Gesang, ertönt eine Deklamation. – Endlich wird zu Tisch gebeten. Die Paare finden, aber erst nach dem drangvollen Durchwinden und Schubsen ihre »Plätze«. – Das Menu steigt nebst einigen Reden. Danach trennen sich Damen und Herren in Salons und Herrenzimmer. Höchstens vereinzelte Maskulina bleiben bei den schönen Frauen und plaudern. Einige Vorträge. Etwas Tanz für die Jugend. Der Mokka wird gereicht. Eine Stunde später trennt man sich. Das sind nun unsere Gesellschaften! Stimmt es, Lotte?«

Georgy blickte Fräulein Bach an. »Ähnlich so ist es! Nun bringen jetzt die Jours fixes und die Kostümfeste einige Abwechslung. Ich denke oft mit Bewunderung über die Arbeit und den Kostenaufwand der Leute nach. Nirgends giebt man sich soviel Mühe wie gerade in Berlin, um seine Gäste zu amüsieren. Die Dekorationen der Wohnungen, die bezahlten oder schwer erreichten Vorstellungen, die Tafellieder, die Blumen und sonstigen Geschenke, die überreichlichen Futtereien! Wir wollen nicht ungerecht sein, Ernstchen! – – Denken Sie nur, neulich bei Direktor Stillmann der famose Abend im D-Zug oder das Geishafest – der Tiroler Ball – das Reklame-Plakatfest – der Ball de Tête – die Grunewaldfetze! Himmel, ich kann Ihnen eine ganze Reihe aufzählen! Lauter höchst schwierig ertüftelte, teuer bezahlte und reizend durchgeführte Vergnügungen. Ich staune über die Erfindungsgabe und Liebenswürdigkeit der Berliner Gastlichkeit! Darin sind wir doch Paris, London, Petersburg weit über! Dort herrscht vielleicht größere Pracht. Dafür kann sich aber der Mittelstand nicht beteiligen, während bei uns gerade dieser für seine verhältnismäßig geringe Kapitalskraft ganz Erstaunliches bietet!« – – »Sehr richtig, o weiseste aller Rangen! Ich beuge mein Haupt in Demut. Das hätte ich ahnen können! Wenn es heißt, ihre Vaterstadt zu verteidigen, dann findet Lotte ihre ganze Logik in Bereitschaft!« – – »Na ob, uns kann keiner!« – – »Bravo, Sie Berliner Vollblut, ich gebe Ihnen alles zu! Trotzdem müssen Sie mir eingestehen, daß die Gastlichkeit aller Welt mehr oder weniger auf Schablone beruht. Ich aber will Sie und Ihren Bräutigam zu einem Abend unter Zigeunern einladen!« – – »Na, ich danke, meine dicke Wonne würde bei dem Gedanken schon Kopf stehen und mit den Beinen bammeln!« – – »Schäfchen, ich meine unter Zigeunern einen mir bekannten Kreis junger Künstler: Maler, Schriftsteller, Musiker und Bühnenkinder über zwanzig Jahre. Dazu einige Studenten! – – – Alle vorläufig noch dunkle Sterne, Berühmtheiten nur in ihren eigenen Zirkeln. Alle sehr begabt, heißhungrig nach Ruhm, Größe und Freiheit. Die Köpfe voller Kenntnisse und Wissensdrang, voller unreifer sozialistischer Ideen. Die Herzen zum Überschäumen leidenschaftlich, – – – – – die Beutel leer. Sie leben von ihren Schulden und Luft; aber in ihnen toben die Ideale! Gärender Most!« – –

»Das ist famos, Donnerwetter, da muß ich hin! Ja, ja, nehmen Sie mich mit, lieber Ernst! Dem Willi, dem geliebten Knöppchen, sagen wir vorher nicht allzuviel von der Gesellschaft. Er ist nun 'mal der Sohn von Etepetetchen! Das verlernt sich erst nach und nach! Wollen Sie?« – – »Gut, also schweigen wir vor Ihrem akuraten Bräutigam! Das sage ich Ihnen allein, Lotte, zu essen giebt es da nicht viel und auf Toiletten müssen Sie verzichten. Dafür hören und sehen Sie soviel Interessantes und Originelles, wie sonst in vier Wintern nicht!« – –

Lotte jubelte. Sie zappelte bei dem Gedanken an etwas so Außergewöhnliches. »Wo ist das Fest? Wie soll ich es meinem Schatz mundgerecht machen?« – – »Das thun Sie folgendermaßen!« – erklärte der Schriftsteller. – »Sie kommen nach Charlottenburg in die Schloßstraße 260, zweiter Hof: Atelierhaus. Dort haben die beiden Malerinnen Bothke und Kochau auf gemeinsame Unkosten eine große Werkstatt. Und in diesem Raum findet der Abend statt. Er bezweckt die Verlesung eines neuen realistischen Dramas: »Mordbuben« von Elly Dober. Sie wissen doch, daß unsere modernen Autorinnen tausendmal naturalistischer sind als wir männlichen Kollegen. Da nun die beiden halb verhungerten, völlig unpraktischen Mädel nicht den ganzen Kreis bewirten können, so ist eine Art Picknick veranstaltet. Wer kann und will, der bringt etwas mit!« – – »Göttlich!« – jubelte Lotte. – »Ich spendiere eine bunte Schüssel, und Willi muß Wein rausrücken!« – – »Sehr vernünftig, Range! Ich bekenne Ihnen, daß ich ohnehin auf Sie gezählt habe. Die Bothke und Kochau haben vor Aufregung fast den Kopf verloren. Da habe ich ihnen Hilfe versprechen müssen. Ich habe fest zugesagt, daß ich mit Ihnen, Sie praktisches, kleines Huhn, am nächsten Mittwoch schon um fünf Uhr erscheine, und daß wir beide das Atelier etwas würdig in Stand setzen. Wollen Sie?« – – Lotte tanzte vor Vergnügen auf ihrem Stuhle: »Ob ich will, Kaffer?! Ich kann mir absolut nichts Schöneres vorstellen! Mittwoch sind wir zwar bei Verwandten eingeladen; aber da können wir uns heute noch frei machen!« – –

Georgy und Lotte Bach verabredeten alles Nähere. – Herr Doktor Feller sagte sein Erscheinen um acht Uhr, nach Schluß eines klinischen Kurses, zu. Schon um halb fünf Uhr am Nachmittag holte der Autor seine Freundin ab. Und gegen ein viertel auf sechs waren sie bei dem bewußten und bestimmten Hause angelangt. Sie traten in einen halbdunklen Treppenflur. Georgy bückte sich und holte unter einer Strohmatte einen Schlüssel hervor. Sachkundig schloß er eine Thür auf und geleitet Lotte in einen winzigen Korridor. Dann half er ihr ablegen und hängte ihre Sachen an einen Nagel. »Nun 'rin!« – rief sie ungeduldig. »Ruhe im Glied!« – schalt er und stieß eine Pforte auf. Sie standen in dem Atelier. Auf dem Fußboden im Winkel kauerte ein Geschöpf und scheuerte kraftvoll mit einer Rohrbürste die Dielen. Ringsum war eine schwarze, schaumige Flüssigkeit zu Lachen zusammengeflossen. Auf einer Leiter vor dem riesigen Fenster stand eine andere weibliche Person und seifte aus Leibeskräften die Scheiben ab. Von diesen herunter triefte eine unappetitliche Brühe auf den anscheinend schon gesäuberten Teil des Raumes. In der Mitte stand ein Tisch, auf dem lagen Bilder, Skizzenbücher, und Farbentöpfe, Staffeleien und Paletten hoch aufgeschichtet. In einer Ecke prangte die Tortenschüssel mit Kuchenstücken, Welche Lotte schon vorher direkt hergesandt hatte. Das alles überflog sie mit einem Kennerblicke und machte geekelt: »Äx!« – Vor den Scheuerfrauen brauchte sie sich keinen Zwang anthun. Umsomehr aber erstaunte das junge Mädchen, als Georgy dröhnend rief: »'n Tag, Bothke und Kochau, da sind wir!« – – Sofort verließen die »Scheuerfrauen« ihre Arbeit und begrüßten lachend und herzlich die ihnen Fremde. Mit großer Sympathie schaute Lotte in die schmalen, klugen Gesichter, die jetzt von der Bewegung stark gerötet waren. Sie fühlte sich sofort daheim. »Also Sie sind die kleine Range? So habe ich Sie mir auch vorgestellt! Willkommen!« – sagte die eine. »Guten Tag, Lotte Bach, das ist brav, daß Sie mitgekommen sind!« – die andere. »Ja, die Hand können wir Ihnen alle beide nicht reichen!« – –

»Macht nix, es geht auch so! Wir begrunzen uns später richtig. Vorläufig wollen wir 'mal hier erst gründlich Ordnung schaffen!« – rief Lotte. – »Menschenskinder, das ist ja der reine Augiasstall! Ihr verferkelt ja die Sache anstatt – – – –« – – »Hilf Du uns! Kommandier' uns, wir wollen alles wie gehorsame Sklaven ausführen. Aber wir arbeiten schon seit zwölf Uhr, und es wird nicht sauber, sondern immer schmutziger!« – entgegnete die Bothke ärgerlich, sofort das »Ihr« mit einem »Du« erwidernd. – – – – Eins, zwei, drei hatte Lotte ihren Rock aufgekrempelt. »Gebt mir eine Schürze!« – – »Schürze, oh weh!?« – – »Unsere Malschürzen sind so klebrig, daß Sie Ihr Kleid ruinieren würden?« – sagte die Kochau zaghaft. »Na, irgend 'was andres zum umhängen! Etwas werdet Ihr doch haben!«

Die Künstlerinnen sahen sich ratlos an. »Aha, ich hab's! Meine Bettdecke!« – jubelte die eine und stürzte fort, ehe Lotte Einspruch erheben konnte. Nach wenigen Minuten kam sie mit einem großen roten Kattunlappen wieder und band ihn triumphierend dem jungen Mädchen um. Dieses betrachtete starr und stumm das seltsame, ungesäumte Stück Zeug, welches mit dem stolzen Namen »Bettdecke« bezeichnet wurde. – Aber sie lachte freundlich: »Na, nu los! Jetzt pariert Ihr mir hübsch, und in einer Stunde ist das Atelier in Ordnung!« – –

Lotte gab ihre Anordnungen praktisch und energisch wie eine alte Hausfrau. Sie stellte ihre Truppe auf die richtigen Plätze und arbeitete selbst kräftig mit. Richtig, es wurde! Nach kurzer Zeit war der Raum gesäubert. – – »So hat es noch nie ausgesehen, das ist ja wie im Schloß!« – bewunderte die Bothke. – Die Kochau und Ernst Georgy drapierten alte Zeugfetzen über rahmenlose Bilder. Skizzen und Entwürfe, unverkaufte Gemälde wurden mit Nägeln möglichst künstlerisch an den Wänden verteilt. – Der abgescheuerte Tisch, kühnlich »Buffet« genannt, kam in die Ecke am Fenster. Die Farbentöpfe und Staffeleien in die Schlafkammer. »Jetzt Stühle her!« – rief Lotte. – »Wir haben nur vier; aber einer steht nicht. Ihm fehlt ein Bein!« – – »So? Worauf sitzt Ihr sonst, wenn Besuche hier sind?« – – »Pah, auf der Schwelle, auf dem Boden, dem Tisch. Oder wir borgen uns Stühle im Hause zusammen!« – antwortete die Kochau. – – »Na, dann wollen wir uns alle drei menschlich machen und dann auf Stuhlpump ziehen!« – schlug Lotte vor. Georgy wartete. Das junge Mädchen ordnete seine Frisur und beobachtete mit geheimem Vergnügen die Toilette der Malerinnen. Sie ging unglaublich schnell, als sie sich gereinigt. Wo die Kleider nicht schlössen oder paßten, da halfen Nadeln nach. Aber es ging auch so! Beide sahen zwar nicht ladylike, aber höchst apart aus. Besonders amüsierte sich Lotte, als Fräulein Bothke zwei große Mohnblumen mit schwarzen Schleifen in ihrem hochgepufften Haare befestigte. Während über dem linken Scheitel der Kochau eine verwegene Narzisse wippte. Schadet nix, es machte sich gut! –

Das liebenswürdige, im ganzen Hause als »die verdrehten Malmädchen« bekannte und beliebte Pärchen zog mit Lotte treppauf treppab, um Stühle zu borgen. Und richtig brachten sie zwanzig Sitzgelegenheiten zusammen. – – »Es klappt wie bei Lenbach!« – rief die eine begeistert. – »Jetzt wollen wir unsere Gaben auf dem Buffet deponieren. Hätte ich mein Bild verkauft, ja dann« – ein schwerer Seufzer – »Na, ein Lump giebt mehr als er kann!« – Sie verschwanden. Mit zwei Fünfzigpfennig-Broten und einem Pfund Butter kommen sie zurück. Vier Messer, vier Gabeln und sechs Teller brachten sie auch herbei. »Was spendierst Du, Georgy?« – – »Da kommt der Junge schon über den Hof!« – sagte dieser. Ein Laufbursche des zunächst wohnenden Koches trug eine große Schüssel Häringssalat und zwanzig kleine Pappteller hinzu. – – »Kinder, bei uns ist's nobler als bei Bleichröder!« – jauchzte die Bothke und tanzte mit ihrer Freundin durch das Atelier. Lotte war ordentlich gerührt von dieser Bescheidenheit. –

Dann kamen nach und nach die Gäste. Dieser brachte eine Wurst, jener ein Pfund Aufschnitt. Der: hartgekochte Eier, der: zehn heiße Würstchen. Eine Studentin trug im Triumph einen Kasten Sprotten herbei. Fünf junge Musiker offerierten zusammen eine gebratene, kalte Gans, die sie bei ihrer Wirtin erstanden. Eine Malerin packte einen Napfkuchen und Obst aus. Ein junger Dichter trug am Arme jubelnd einen großen Henkelkorb mit dreißig Flaschen Bier: »Kinder, ich habe heute für ein lumpiges Feuilleton zwanzig Mark verdient. Ich hole noch eine Ladung Schultheiß. Ich bin reich wie Rothschild!« – – Und so füllte sich der Tisch mit immer neuen Spenden, und ein Jubel und eine harmlose Fröhlichkeit erfüllte den kahlen Raum. Auch die kleinsten Beiträge zum Abendbrot wurden von den Wirtinnen mit solcher Begeisterung hingenommen, daß der verwöhnten Lotte das Weinen nahe war. – Man wartete nur noch auf Doktor Feller. Der Kreis war vollzählig. Er kam mit einem Expreßdienstmann, der zehn Flaschen Wein trug. Nun war der Gipfelpunkt erreicht! – Das Souper begann!

Willi und Lotte machten große Augen, als man die Flaschen zu Gläsern erhob. – Die wenigen vorhandenen Trinkgefäße sollten für den Wein geschont werden. Die Messer und Gabeln wanderten von einem zu andern. Was that es? – Oben auf einem Stuhle hockte ein junger Künstler und geigte die fröhlichsten, feurigsten Weisen. Zwei Sänger improvisierten einen Wechselgesang mit bezüglichen Pointen. Und alles aß und amüsierte sich. Wenn die Teller gebraucht waren, eilten Fräulein Bothke und Kochau an die Wasserleitung und wuschen sie ab. Dann kehrten sie zurück, und sechs weitere Gäste konnten sie benutzen. Ohne Ernst Georgys Papptellerchen wäre das Mahl allerdings sehr in die Länge gezogen worden. – Endlich hatte man abgespeist. Die Reste wurden jubelnd verauktioniert. Es waren nicht viele! –

Dann las die Dichterin mit zwei ihrer Freundinnen das Drama: »Mordbuben« vor. An die Vorlesung knüpfte sich eine Debatte von hinreißender Leidenschaft. Lotte kämpfte begeistert die Wortschlacht mit. – Die Stunden flogen. Um fünf Uhr am Morgen lieferten Doktor Feller und Ernst Georgy die »Berliner Range« daheim ab. – Gegen zehn Uhr erwachte sie aus tiefem Schlaf. Die Mutter stand am Bett. »Guten Morgen, Langschläfer! Na, wie war es?« – – »Ach, Wonnemiez geliebte, so himmlisch wie unter den Zigeunern habe ich mich noch nie unterhalten. So etwas von Geist und Witz kennt man unter den lakierten Mitteleuropäern gar nicht! Herrlich!« – – »Wie gefiel es Willi?« – – »Famos!« – –»Habt Ihr gut gegessen?« – – »Na, besser als bei den Koch- und Kochfrauenmenus!« – – »Was gab es denn?« – – »Kaltes Buffet!« – – »Nun, Lotte, und was hast Du genommen?« – –

Lotte streckte und dehnte sich behaglich. »Ajidibaji!« – stieß sie den bekannten Bachschen Ausruf für höchstes Wohlbefinden aus. »Ich bin sehr befriedigt! Also ich aß, der Reihe nach: Ein hartes Ei – eine Sprotte – einen Mohrenkopf – einen Gänseflügel, himmlisch mit freihändiger Pote, alles ohne Messer, Gabel und Teller! Dann etwas Salat – ein Stück Nußtorte und Bier, direkt aus der Flasche! Nach der Vorlesung ein Stück Napfkuchen und einen Tassenkopf voll Rotwein!« – – – – »Heiliger Vater, erbarm Dich!« – schrie die Geheimrätin und ließ sich geknickt auf das Sofa fallen. »Warum?« – – »Dein Magen, Mädel, Du nimmst sofort Natron oder Salzsäure!« – – »Ich denke gar nicht daran, mir ist sauwohl!« – lautete die fidele Antwort. –

»Und das hat Willi erlaubt? Ist er denn bei Sinnen gewesen?« – – »Na aber, er der schönste, geistvollste, eleganteste Herr von allen dort!« – – »Natürlich! Du bist ja so verliebt, daß Du schon alles Urteil verloren hast. Glaubst Du, daß mir der Herr Doktor imponieren kann? Gänsebraten und Torte, Salat und Kuchen? Ich danke für Willis Tüchtigkeit! Das nennt er seine Energie und Autorität Dir gegenüber?« – –

»Aber, Dickes! In Gegenwart des Arztes kann einem ja nichts schaden! Reg' Dich nicht auf, Du siehst ja, wie es mir bekommen ist! Ajidibaji!« – Und Lotte dehnte sich und schnurrte vor Wonne wie eine kleine Katze. Was sollte da Frau Bach thun??

Sie küßte ihr Kind und freute sich, daß es den Zigeunern gesund entkommen war! Aber – – – – – – – ihr Schwiegersohn Willi sollte das seinige hören! Der!


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