Friedrich Gerstäcker
Das gespenstige Steinwerfen
Friedrich Gerstäcker

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Es ist eine merkwürdige Thatsache, daß die meisten Menschen, selbst die Gebildetsten der verschiedenen Nationen nicht ausgenommen, abergläubisch sind – das heißt, daß sie irgend einen kleinen oder größeren Winkel in ihren Herzen haben, in dem der sonst so starre und unbeugsame Verstand Nichts zu suchen hat. Ob sie nun an Ahnungen oder Sympathien, an Ohrenklingen oder »Berufen« glauben, ob sie nicht zu dreizehn an einem Tisch sitzen wollen, oder sich scheuen Nachts einen Gottesacker oder eine Kirche allein zu betreten – es liegt eben etwas in ihrem Nervensystem, das mit dem Materiellen in keinem Zusammenhang steht, und die Einwirkung einer für sie geheimnißvollen Welt nicht ausschließt.

Was ist der Traum? – wir wissen es nicht, so viele Gelehrte auch schon versucht haben eine Erklärung desselben zu geben. Was ist Somnambulismus, was Magnetismus, was sind selbst jene Ahnungen, die im Volke leben und unleugbar ihre Berechtigung haben? Wer von uns Allen weiß da nicht merkwürdige Beispiele aus seinem eigenen Leben?

Sonderbarer Weise existiren außerdem Erscheinungen, die sich allerdings meist natürlich erklären lassen, aber das Merkwürdige trotzdem haben, daß sie unter den verschiedensten Völkern und zwar in ganz gleicher Form auftauchen.

Nehmen wir z. B. das Steinwerfen, dem mein heutiger Aufsatz gilt, wo auf geheimnißvolle und unergründliche Weise Steine, die doch schwere, von »Geisterhand« nicht leicht zu regierende Körper sind, fallen oder geworfen werden. Ich erinnere mich in früheren Jahren von mehreren Orten, selbst hier in unserem Vaterland gehört zu haben, wo Aehnliches vorgekommen sein soll, wenn sich auch nie Bestimmtes oder Authentisches darüber erfahren ließ. Umsomehr war ich erstaunt, als ich in Java der nämlichen Sage begegnete, und mir dort ruhige und verständige Männer versicherten, daß ihnen dergleichen einzelne Fälle bekannt seien, die, von glaubwürdigen Leuten – von gebildeten Europäern constatirt, einen Zweifel über die Thatsache kaum aufkommen ließen, und doch jeder natürlichen Erklärung spotteten.

Es gelang mir damals nicht, Näheres, das heißt von Augenzeugen Belegtes darüber zu erfahren, und erst jetzt durch einen Freund, der selber seine halbe Lebenszeit auf Java zugebracht, bin ich in den Stand gesetzt, einige solcher Fälle, die damals von der holländischen Regierung selber untersucht, aber trotzdem keineswegs aufgeklärt wurden, in ihren Einzelnheiten und selbst mit Nennung der wirklichen Namen mitzutheilen.

Ich kann nur hinzufügen, daß die Glaubwürdigkeit meines Gewährsmannes, der selber eine vorzügliche Erziehung genossen hat, keinem Zweifel unterliegt, ja daß viele Leute noch leben, die alles dies bestätigen können. Ob sich diese von vielen Zeugen constatirten Thatsachen je aufklären werden, ist die Frage; ich selber maße mir kein Urtheil darüber an und will dem Leser den Bericht nur so geben, wie ich ihn selber erhalten habe, und wie er ihn in Java noch heutigen Tages bekräftigt hören kann.

»Der westliche Theil Javas hat zu allen Zeilen dem Besucher ein interessantes Feld der Beobachtung geboten. Ein wildes Gebirgsland, durchklüftet, von zahlreichen Bergströmen zerwühlt, die in tiefen Schluchten dahinstürzen und größere und kleinere Cascaden bilden. Berge und Thäler, noch heutigen Tages mit dichtem, sich meilenweit erstreckendem Urwald bedeckt, der Aufenthalt zahlreicher Tiger, Rhinocerosse und wilder Stiere. Dazu die vielen, oft in der malerischesten Waldeinsamkeit gelegenen Seen, an deren Ufern der Pelikan und Ibis melancholisch einherschreiten. Daraus aber ragen einige zwanzig theils ausgebrannte, theils noch thätige Vulcane mit ihren heißen Sprudeln, Schwefelgruben und aufquellenden Wasserdämpfen empor, die in majestätischer Ruhe und ununterbrochen ihre Rauchmassen Tausende von Fuß hoch dem blauen Aether entgegensenden, bis sie plötzlich, in erderschütternden Convulsionen, kochenden Schlamm, rothglühende Trachytmasse, Sand oder Asche speiend, nach allen Richtungen Tod und Verderben werfen.

Hier ist es, wo seit urhistorischen Zeiten der Stamm der SundanesenDie große Insel Java, die wenigstens von Ost nach West eine bedeutende Ausdehnung hat, wird im Westen Sunda und im Osten eigentlich erst Djava genannt. seinen Wohnsitz aufgeschlagen; ein Volk, in ethnographischer Hinsicht ebenso merkwürdig, wie die Topographie ihres in obigen kurzen Zügen beschriebenen Vaterlandes.

Mit unverbrüchlicher Treue am Alten hängend, einfach, friedliebend, bieder, und nur da stets kampfbereit, wo es galt, der Heimath gutes altes Recht gegen die Anmaßung der benachbarten ›Javanen‹ zu wahren, hat sich das Bergvolk der Sundanesen von manchen Fehlern und Untugenden ihrer östlichen Stammesgenossen, der Javanen oder Manduresen, fern zu halten gewußt.

Die holländische Regierung war dabei, auf diesen Racenunterschied fußend, von jeher beflissen, ihm auch in politisch-administrativer Hinsicht Rechnung zu tragen, und wir finden noch heutzutage die Sundanesen in der sogenannten Preanger Regentschaft im Besitz und Genuß einer gewissen Willensfreiheit und Selbstbeherrschung.

Kein Wunder, wenn ein Volk, unter solchen Verhältnissen aufgewachsen, mit all seinem conservativen Sinn und von einer so wunderbaren Scenerie umgeben, auch seiner Phantasie die Zügel schießen ließ; – etwas ganz Aehnliches, unter fast gleichen Verhältnissen, finden wir ja auch bei uns in Europa bei den Schotten.

Der Glaube an eine Geisterwelt, an gute oder böse Genien ist in der Preanger Regentschaft allgemein verbreitet, und obwohl das Volk äußerlich dem Islam anhängt, giebt es dort wohl kaum einen Berggipfel, Wasserfall oder eine Felsengruppe, woran der Volksmund nicht diese oder jene Legende knüpfte. Selbst der ganze Strand der südlichen Küste, ja manch ein aus dem grünen Laubdach emporsteigender riesiger Wipfel wird davon heimgesucht.

So herrscht auch in den Sundalanden allgemein, und übrigens im ganzen indischen Archipel, vorzüglich in den Molukken, der weit verbreitete Glaube an jene eigenartige Erscheinung aus dem Gebiet einer der materiellen Existenz fernstehenden Welt, welche sich selbst dem Auge des Menschen dadurch kundgiebt, daß in einem verschlossenen Raum Steine geworfen werden, oder Sand oder Kies niederfällt.

Der Name, den man dieser Erscheinung unter den Sundanesen und Javanen, wie auf den Molukken giebt, ist Gendarúa oder Gundarua, und unter den Eingeborenen wird es als etwas ganz Selbstverständliches betrachtet. Ein Fall brachte aber auch einmal, vor längeren Jahren, die ganze europäische Bevölkerung des Sundalandes in volle Aufregung, und ihn zu schildern, der, beiläufig gesagt, nie aufgeklärt wurde, ist der Zweck dieser Zeilen.

Im Jahr 1836 oder 37 lebte in Sumadang, in den Preangern, eine Familie v. Kessinger. Herr v. Kessinger, wahrscheinlich ein Deutscher von Geburt, stand im Dienst der holländischen Regierung und war Assistent-Resident, also höchster Verwaltungsbeamter eines Districts (Sub-Residentschaft). Die Familie bestand nur aus zwei Personen, aus ihm selber und seiner Gattin, einer in Indien geborenen Dame. Kinder besaßen sie nicht, dagegen hatte – was in Indien und besonders bei kinderlosen europäischen Familien sehr häufig geschieht – ein kleines, damals etwa zehnjähriges Mädchen von eingeborenen Eltern zu allen Zeiten freien und ungehinderten Zutritt zum Hause. Der Vater der Kleinen diente als Koch bei Kessinger.

Herr v. Kessinger bewohnte, wie alle Assistent-Residenten auf Java, eine sogenannte Dienstwohnung, ein in einem Garten freistehendes, aus Holz und Brettern errichtetes, mit gewöhnlichen Dachziegeln gedecktes, einstöckiges Gebäude.

Eines Tages spielte das kleine Mädchen wie gewöhnlich im Zimmer der Frau v. Kessinger. Ihr Gatte war gerade abwesend und auf einer sogenannten Inspectionsreise begriffen. Da springt das Kind plötzlich auf, rennt weinend zur Frau v. Kessinger und jammert, daß man ihre weiße Kabaya (das gewöhnliche vorn offene und rockähnliche indische Kleidungsstück) mit rother Sirihspucke beschmutzt habe.Das Sirih- oder Betel-Kauen ist in Indien allgemein; der Stoff besteht aus kleinen Stücken der sonst eigentlich geschmacklosen Arekanuß, etwas Kalk und den frischen Blättern der Sirih-Pflanze, eines Rankengewächses der Pfefferart. Der Speichel des Kauenden bekommt eine hochziegelrothe Färbung, die sich auch gewöhnlich schon an seinen Lippen zeigt.

Die Sache wurde sofort untersucht, aber ohne ein Resultat zu erzielen. Frau v. Kessinger glaubte auch natürlich, daß die Flecke von der Unart irgend eines der übrigen Dienerschaft Angehörenden herrührten. Die Kleine bekam ein reines Kleidchen, und man hielt die Sache für abgemacht.

Da springt das Kind auf's Neue auf, ihre Kabaya ist wieder, wie vorher, von rothen Sirihflecken beschmutzt und zu gleicher Zeit fällt ein Stein von der Größe eines Hühnereies zu Füßen der Frau v. Kessinger nieder, als wäre er von der Decke herabgestürzt. Dieselben Erscheinungen wiederholen sich aber in kurzen Zwischenräumen mehrere Male hintereinander, so daß Frau v. Kessinger sofort einen Diener zum gegenüberwohnenden Regenten (dem Fürsten der Eingeborenen, der aber unter holländischer Botmäßigkeit steht) schickt, und ihn bitten läßt, zu ihr herüberzukommen.

Raden Adi Pali Aria Soerio Natto Hoesoemo, als Regent im Dienst der niederländischen Regierung, die ihn an die Spitze von etwa dreihunderttausend Seelen Eingeborener des Districts Sumadang gestellt hatte, war ein Mann von erprobter Tüchtigkeit und Treue. Sein hervorragender Antheil an den Kämpfen der vieljährigen Unruhen in der nahen Residentschaft Cheribon hatte ihm den Rang und Titel eines Prinzen (Pangéran), eine große goldene Ehrenmedaille und den ersten Rang unter den Preanger Regenten eingetragen. Schon seit 1680 war aber auch die Würde eines Regenten von Sumadang in dieser Familie erblich, wie sie es jetzt noch ist.

Der Regent eilte sofort in die Wohnung des Assistent-Residenten, fand aber selber bald Gelegenheit sich von der Wahrheit des Erzählten zu überzeugen. Er ergreift jetzt alle erdenklichen Maßregeln, um dem Unfug zu steuern. Er läßt das Haus durch sein Gefolge besetzen und nachher sämmtliche Anwesende aus dem Zimmer selber weisen, aber die Sirihflecke auf den Kleidern der Kleinen zeigen sich trotzdem immer wieder auf's Neue. – Ab und zu fällt auch wieder ein Stein nieder, der Vorgang bleib unerklärlich, und man beschließt zuletzt, den Oberpriester zu rufen, um gewissermaßen den Teufel durch diesen auszutreiben.

Inzwischen war die Dämmerung eingetreten, der Oberpriester erreicht das Haus, legt seine Matte zurecht und setzt sich nieder, hat aber kaum, beim Schein einer Lampe, den Koran aufgeschlagen, um daraus vorzulesen, als, wie von unsichtbarer Hand, ein Schlag geführt wird, der das heilige Buch nach rechts und die Lampe nach links hinüberschleudert.

Frau von Kessinger fürchtete sich jetzt, die Nacht in diesem unheimlichen Hause allein mit dem Kinde zu verbringen, und nahm die Einladung des Regenten an, bis zum nächsten Tage mit dem Mädchen bei seinen Frauen zu schlafen, und dort blieb das Kind unbelästigt. Unter der Zeit riefen aber Eilboten Herrn v. Kessinger herbei, und kaum waren mit ihm Frau und Kind in die Wohnung zurückgekehrt, so wiederholen sich dieselben Vorfälle.

Während der Nachtzeit fällt selten ein Stein, aber auch am Tage wird nur allein das Kind mit Sirih bespuckt, während die anderen Personen unbelästigt bleiben.

Die Mähr dieser wunderbaren Begebenheit verbreitet sich indessen rasch in all den angrenzenden größeren Ortschaften und kommt endlich auch dem General-Gouverneur in Buitenzorg zu Ohren, der sofort einen seiner Adjutanten, den Major Michiels, zur Berichterstattung absendet.

Michiels, ein erprobt unerschrockener Militär, hatte mit großer Auszeichnung den letzten Javaschen Feldzug von 1826 bis 1829 (der der Regierung nahe an zwölftausend Menschenleben und fünfundzwanzig Millionen Gulden gekostet) als Colonne-Commandant mitgemacht. Er blieb später als commandirender General im Kriege gegen Bali 1848 vor dem Feinde, und seine Tapferkeit und Ausdauer hatten ihm sogar im ganzen Archipel (er war später Gouverneur von Sumatra) den Beinamen General Matjan (Tiger) erworben.

Michiels fand bei seiner Ankunft das Ganze noch genau so vor, wie es begonnen, und traf augenblicklich seine Vorkehrung, um dem Spuk auf den Grund zu kommen. Das Haus wurde besetzt und umzingelt, und er postirte selbst Leute auf das Dach und in die nächsten Bäume. Das Zimmer, in welchem der General sich befindet, wird mittelst weißen Zeuges zu einem Zelt umgestaltet. Der General nimmt dann das Kind auf den Schooß – und es wird wieder mit Sirih bespuckt, und wieder fallen die Steine, ohne jedoch Jemanden zu schädigen. Es waren Steine ganz gewöhnlicher Art, wie sie eben überall auf den Wegen und im Garten lagen. Bei starkem Sonnenschein fühlte man die Steine wie erwärmt, bei Regen naß, also frisch aufgenommen. Es fielen fünf bis sechs von ihnen gewöhnlich rasch aufeinander, wonach dann wieder eine Pause von oft einer halben Stunde eintrat. Nirgends zeigte die gut schließende Leinwand des Zeltes ein Loch. Die Steine fielen stets in grader Richtung von oben und wurden dem Auge erst etwa sechs Fuß über dem Erdboden sichtbar. An einem Tage sammelte man von diesen Steinen eine ziemlich große Kiste voll.

Nur ein einziges Mal fiel eine Papaya-Frucht (eine melonenartige Frucht, die an einem hohen palmenartigen Baume wächst) in's Zimmer, und als man die Nachbarschaft absuchte, fand man auch den Stamm, von dem sie gebrochen worden. Dem Blattstiel entträufelten noch große Tropfen des milchigen Saftes. Ein andermal fiel ein faustgroßes Kalkmauerstück in das Zelt, das, wie sich herausstellte, an die Ecke des Kochherdes in die Küche gehörte.

Wieder ein andermal sah man deutlich den Abdruck einer feuchten Hand über einen Wandspiegel fahren – Stühle, Gläser und Teller wurden gerückt.

Michiels blieb mehrere Tage auf Sumadang. Sein officieller Bericht an die Regierung ist aus den Archiven verschwunden. Man fand nur einen Zettel mit der Bemerkung: »de stukken door den heer Baud naar Nederland medegenomen« – die Stücke durch den Herrn Baud nach den Niederlanden mitgenommen.

Also hat sich der Herr General-Gouverneur diese jedenfalls höchst interessanten Papiere aus den Archiven ganz einfach zu seinem speciellen Vergnügen angeeignet, und sie existiren vielleicht noch in seiner Familie.

Vermuthlich war es auch Herr Baud, welcher später König Wilhelm den Zweiten über jenen mysteriösen Vorfall in Sumadang unterhielt.

In Folge dieses traf in Indien der Befehl ein, man solle nochmals versuchen, der Sache, wenn irgend möglich, auf die Spur zu kommen. Der Schreiber dieser Zeilen befand sich damals in Sumadang (1854) und bewohnte das nämliche Haus, was v. Kessinger früher bewohnt und wo die vorher beschriebenen Scenen spielten, und es lebten damals wohl noch zwanzig Augenzeugen der damaligen Vorgänge. Die Meisten waren Eingeborene; es befanden sich aber auch zwei Europäer dabei, die Herren Dikhuis und Dornseif, und aus allen deren Aussagen, die unabhängig voneinander abgegeben wurden, entstand obiger Bericht.

Die Familie von Kessinger hatte Indien schon lange verlassen, der alte Regent war gestorben, das kleine Mädchen, die Heldin der ganzen Handlung, war schon zur Großmutter geworden, und zwar im Dienste des Herrn A. Baud, Theepflanzers auf Java – aber niemals wollte sie wieder Aehnliches erlebt haben.

Die Herren setzten allerdings eine Prämie von zweihundert Gulden aus für Jeden, der ihnen Gelegenheit geben würde, einer solchen Gendarúa oder Erscheinung beizuwohnen, aber es verlautete in der Zeit nichts weiter davon. Auch die jetzigen Nachforschungen blieben, wie die vorigen, ohne entscheidendes Resultat.

General Michiels vermied es geflissentlich, in späteren Jahren auf eine Erzählung des Ereignisses einzugehen oder es nur zu berühren, da er die Erfahrung gemacht, daß es die Zuhörer gewöhnlich belächelten. Im Jahr 1847 nun drang der sich in außerordentlicher Mission in Indien befindende General von Gagern (später gefallen) eines Tags bei Tisch in ihn, die Sache zu erzählen. Michiels weigerte sich zuerst und erst auf wiederholtes Bitten gab er nach. Als General von Gagern aber ebenfalls lächelte, führte dies zu einer so heftigen Scene, daß Gagern endlich gezwungen wurde, förmlich Abbitte zu thun.

In Folge des persönlichen Auftrags der Regierung ließ es sich jetzt der damalige Resident von Sumadang besonders angelegen sein, auch noch anderwärts in Bezug auf derartige Erscheinungen Erkundigungen einzuziehen. Vom Regenten von Sukapure, im südlichen Theil der Regentschaft, vernahm er auch alsbald, daß zu Lebzeiten seines Vaters ein ganz ähnlicher Fall vorgekommen sei, dem er selber persönlich beigewohnt.

Einige wenige Miles von Sukapure entfernt lebte damals die Familie Teisseire. Herr Teisseire, ein geborener Franzose, war Aufseher einer dort bestehenden und der Regierung gehörenden Indigofabrik. Obgleich nun damals (es wird im Jahr 1834 gewesen sein) die Indigocultur als ein schwerer Druck auf den Eingeborenen lastete und auch später, als unhaltbar in dortiger Gegend, aufgegeben werden mußte, so stimmen sämmtliche Berichte überein, daß Herr Teisseire selber, wie auch seine ganze Familie, als freundlich gute Leute bei Allen beliebt waren.

Eines Tages, als die Familie noch bei Tische sitzt, fallen unerwartet einige eigroße Steine mitten auf den Tisch, und von jenem Augenblick an wiederholte sich die Erscheinung regelmäßig und beinahe unausgesetzt ungefähr vierzehn Tage lang, bald in dem, bald in jenem Zimmer des Hauses. Einige Mal wurde Herr Teisseire selbst, auf offenem Felde, auf einem Büffelkarren sitzend mit Erde und Büffelkoth beworfen. Dann wieder fielen Büffelknochen, ja einmal sogar ein ganzer Büffelschädel in sein Zimmer.

Diese Gegenstände fielen stets senkrecht aus der Höhe nieder und sollen genau so wie später in Sumadang immer erst fünf oder sechs Fuß über dem Boden dem Auge sichtbar geworden sein.

Den Bewohnern des Hauses geschah übrigens körperlich nichts zu Leide.

Der Regent von Sukapure, mit der Familie Teisseire befreundet, eilte sofort herbei, und es wurde für ihn, wie gewöhnlich, eines der Gemächer zum Wohnzimmer hergerichtet. Kaum aber hat er sich Abends zur Ruhe begeben, so ward – wie sein Sohn, der junge Regent von Sukapure, versichert – vor des Letzteren Auge an dem Bette erst gerüttelt und dann das ganze Bett einige Mal in die Höhe gehoben. Es brannte dabei Licht in dem Zimmer, und es befanden sich auch noch einige Personen von des Regenten Gefolge darin. Der Regent sprang übrigens erschreckt vom Lager auf und verließ sogleich das Haus.

Das Gebäude selber stand hart am Rand des sehr steil abfallenden Ufers eines Bergstromes Tjitandoog, der etwa hundertfünfzig Fuß tief unter ihnen dahin sprudelte. Der Regent versichert, daß sie mehrere Male einen der gefallenen Steine mit einem Strich oder Kreuz von weißem Sirihkalk gezeichnet und dann in den Strom geworfen hätten, derselbe Stein sei aber mit demselben Zeichen, und zwar naß vom Wasser, immer wieder gekommen und oft kaum eine Minute später, als man ihn hinunter geworfen.

Wie in Sumadang verlief die Erscheinung auch hier ganz harmlos, nur dauerte sie in Sukapure bedeutend länger.

Der Resident Ament versicherte, ebenfalls Augenzeuge eines solchen Auftrittes gewesen zu sein.

Er befand sich als Inspecteur der Kaffeecultur in den Preanger Regentschaften auf Reisen, und hörte in Bandong von einer derartigen Gendarúa in einem kleinen Hause, das von einer alten Sundanesin bewohnt wurde und hinter den Gebäuden des Assistent-Residenten von Bandong lag. Der Assistent-Resident hieß Nagel. Mit diesem und dem Regenten von Bandong (dem eingeborenen Fürsten) wird verabredet, der Sache sofort auf den Grund zu kommen. Die eingeborene Miliz wird mitgenommen und das Haus, wie auch in Sumadang, selbst im Innern besetzt. Es hatte, wie alle diese Wohnungen der Eingeborenen, nur einen einzigen Wohnraum. Die alte Frau schreitet voran – unmittelbar hinter ihr der Resident Ament, dann der Assistent-Resident und der Regent mit seinem Gefolge. Es führte nur ein schmaler Pfad zum Hause.

Sowie die Alte die Schwelle der Wohnung betritt, wird sie wie von unsichtbarer Hand bei den Füßen ergriffen und einige Schritte weit fortgeschleppt, während sie zugleich laut um Hülfe ruft.

Das Haus ist, wie gesagt, gänzlich umzingelt; das Zimmer, wie alle diese kleinen Bambushäuser, ohne Plafond und offen bis zum Dach, darunter die aufgespannte Leinwand. Der Inspecteur Ament tritt zuerst hinein, setzt aber kaum den Fuß über die Schwelle, als ihm mit voller Kraft eine Hand voll groben Sandes gegen die Brust geschleudert wird.

Herr Ament, ein durchaus unerschrockener Mann, der jetzt noch in Batavia lebt, versicherte später, nie im Leben Lust verspürt zu haben, die Probe noch einmal zu versuchen. Uebrigens führten auch hier sämmtliche und genaueste Nachforschungen zu keinem Resultate.

In den letzten fünfundzwanzig Jahren ist die Gendarúa seltener geworden, ja hat gänzlich aufgehört, oder wird auch vielleicht von den Eingeborenen verheimlicht, um nicht deshalb verspottet zu werden.

Vor zwölf Jahren etwa fiel allerdings wieder etwas Aehnliches und zwar ebenfalls in Bandong vor, und der damalige Assistent-Resident Visscher van Gaasbeek begab sich augenblicklich in das Haus, ohne daß aber die Erscheinung wiedergekehrt wäre.

Mit den mehr unbefangenen und schon einigermaßen gebildeten Regenten und Häuptlingen des Landes kann man ruhig über diese räthselhafte Erscheinung sprechen. Sie leugnen dabei keineswegs ab, daß sie an die Wirklichkeit derselben fest glauben, gestehen aber auch ein, daß sie sich nicht im Stande sehen, sie zu erklären. Der wirklich hochgebildete Regent von Tjamis erklärte sogar: ›Ich nehme an, daß es Geschlechter giebt, in denen die geheimnißvolle Macht, sich unsichtbar zu machen, erblich ist und daß in Folge des Aussterbens dieser Familien die Erscheinung jetzt weniger häufig zu Tage tritt als früher.‹«

Soweit der Bericht, der von zuverlässigen Leuten stammt, bei denen kein Zweifel obwalten kann, daß sie von dem, was sie gesehen und worüber sie aussagten, auch fest überzeugt waren. Interessant bleibt es immer, und wie weit dabei an eine Selbsttäuschung der Betreffenden zu glauben ist, muß ich dem Urtheil der Leser selbst überlassen.


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