Friedrich Gerstäcker
Schwarz und Weiß
Friedrich Gerstäcker

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Weit aus dem fernen Westen, da, wo die eisgekrönten Berge ihre zackigen Kuppen ineinanderdrängen und zwei Meeren, dem Atlantischen wie dem Stillen Ozean, die schäumenden Quellen zusenden; weit von daher, wo er sich seine rauhe Bahn durch die entsetzlichsten Felsmassen bricht, die er entweder mit starkem Arm zerreißt oder sich im tollkühnen Satz hinüberschwingt, um nachher, wie ob des gelungenen Wagstücks, Meilen lang weiter zu tanzen und zu sprudeln, – kommt der gewaltige Missouri herab, der ›schmutzige Strom‹, wie ihn der Indianer des Raubes wegen nennt, den er an seinem eigenen Ufer vollführt, oder der ›brüllende Strom‹ (roaring river), wie ihn erstaunt der Weiße taufte, als er da zuerst sein Bett erblickte, wo er Fall nach Fall, dem verfolgten Panther .gleich, aus den Gebirgsschluchten sprang und erst dort still und geräuschlos seine Bahn vollendete, als er das schützende Dickicht der Niederung erreicht hatte und nun zwischen den riesigen Stämmen des Urwalds hin dem starken Bruder, dem Mississippi, in die Arme glitt.

Dort nun, wo in dem Schatten der Eichen und Hickories der wilde Wein seine mächtigen Ranken von Zweig zu Zweig schlang und in zähen Armen die stattlichen Bäume verband, während mit zwar prunkenderem Äußern, mit bunter schimmernden Blüten und saftigeren Blättern andere Schlingpflanzen ebenfalls hinaufstrebten zu den starken Ästen und sich ihnen liebend anzuschmiegen schienen, indes doch Gift in ihren Adern floß und sie nur Macht zu bekommen suchten, das wackere Holz fest, fest zu umklammern und ihm Licht und Luft zu rauben, daß es endlich in ihrem Griff erstickte, verdorrte, – dort, in dem fast noch unentweihten Heiligtum, stand ein kleines, roh aufgebautes Blockhaus mit breitmächtigem, aus Lehm errichtetem Kamin, die Nordseite dicht an den dunkeln Wald geschmiegt, dessen ungeheure Wipfel hoch über das niedere Dach emporragten, an den drei anderen Seiten aber durch ein wahres Chaos gefällter Bäume, hoch aufgestapelten Busch- oder Oberholzes, abgeschlagener Stämme und knorriger, sich weit umherspreizender Äste im wahren Sinne des Wortes verbarrikadiert.

Der Eigentümer dieses Platzes mußte augenscheinlich erst vor kurzer Zeit hierhergezogen sein und die Urbarmachung des Bodens begonnen haben, was auch noch überdies ein dicht am Hause stehender, mit Leinwand bespannter Wagen bewies, der wohl, nebst einem nicht sehr weit von ihm entfernten Karren, sämtliche Habseligkeiten des Farmers in dessen neue Waldheimat eingeführt hatte.

Die Sonne schimmerte eben noch mit ihrem roten Glutlicht durch die Wipfel der Bäume, als sich ein Reiter auf einem kleinen indianischen Pony, einem schmalen Kuhpfad folgend, dem Platz näherte und endlich gerade da die Lichtung erreichte, wo Stämme und Äste am tollsten umhergestreut lagen. Wenige Sekunden hielt er auch wirklich sein schnaubendes Pferd an und schien, sich in den Steigbügeln hoch emporrichtend, nach irgendeiner Öffnung zu suchen, durch die er in diese Holzmasse eindringen und das Haus erreichen könnte. Der Wunsch mochte aber wohl unerfüllt bleiben, denn, einen leisen Fluch ausstoßend, preßte er seinem Tier den einen bespornten Hacken in die Flanke und setzte über die ersten ihm den Weg versperrenden Klötze hinweg.

Das kleine muntere Pferd sah auch bald, was sein Herr eigentlich beabsichtige, und daran gewöhnt, Hindernisse zu beseitigen, die bei fortwährendem Reiten im Wald fast stündlich vorkommen, wand es sich mit wirklich bewundernswerter Geschicklichkeit immer näher und näher dem Haus zu, hier einen Stamm überspringend, dort vorsichtig durch wild umhergestreute und zersplitterte Äste dahinschreitend, bis es sich plötzlich, nach einem besonders kühnen Satz über oder vielmehr durch den Wipfel einer gefällten Eiche, so von allen Seiten eingezwängt und von wirklich unübersteiglichen Hindernissen umgeben sah, daß es ruhig stehenblieb und in der festen Überzeugung, sein Äußerstes getan zu haben, ganz geduldig erwartete, was jetzt der Reiter beschließen würde, der doch eigentlich bei der Sache interessiert war.

Dieser aber blickte vergebens nach einem Ausweg umher und tat endlich das, was er von allem Anfang an hätte tun sollen: Er rief das Haus an, und zwar mit einem kräftigen, weit hinausschallenden »Hallo!«, das augenblicklich im ohrenzerreißenden Chor von zehn bis zwölf Rüden bellend und heulend beantwortet wurde.

Gleich darauf öffnete sich die Brettertür, auf deren Schwelle eine schlanke, schon etwas ältliche Frau erschien, die rings nach dem Rufenden, freilich vergeblich, umherschaute, während jetzt die durch den Anblick der Herrin immer noch mehr gereizten Hunde einen so fürchterlichen Lärm erhoben, daß er für kurze Zeit jeden anderen Laut vollkommen übertäubte.

»Ruhig, Muse, ruhig, nieder mit dir, Match, willst du still sein, Deik; Hunde, ihr bringt einen noch zur Verzweiflung, ruhig da, hört Ihr denn nicht!« rief die Frau, die Meute beschwichtigend, die sich denn auch zufriedengeben wollte, als ein zweites »Hallo the house!« ihren Grimm aufs neue erregte, der jetzt gar keine Grenze mehr zu kennen schien.

Die Geduld der guten Frau mochte nun aber auch wohl ihr Ende erreicht haben, denn einen zum Trinkbecher ausgeschnittenen großen Flaschenkürbis ergreifend, der in dem vollen, auf einem Gesims vor der Tür stehenden Eimer schwamm, goß sie die klare, kalte Flut über die Tobenden aus, die nun heulend und kläffend auseinanderstoben.

Zum dritten Mal rief jetzt, diesen Augenblick der Ruhe benutzend, die Stimme ihr immer ungeduldiger werdendes »Hallo!« herüber, und nun erst wurde die Matrone den Reiter gewahr, dessen Kopf nur wenig über das ihn umgebende Buschwerk hervorragte.

»Mr. Hennigs, sind Sie das?« rief sie lachend, als sie die Lage des jungen Mannes erriet. »Wie um Christi willen haben Sie sich denn da hineinverloren?«

»Verloren?« rief dieser in komischer Verzweiflung. »Ich möchte wirklich wissen, wie ich mich hier verlieren sollte; ich sitze so fest wie der Wolf in der Falle. Wo zum Henker ist denn der Eingang zu Ihrem Haus? Ich bin hier zwar auf dem Fußweg, er scheint aber nicht sehr begangen. »

»Sie hätten um die Lichtung herum, durch den Wald reiten müssen«, entgegnete die Frau, »mein Mann hat hier Bäume gefällt.«

»Ja, das läßt sich nicht leugnen«, lachte der Reiter, »die Beweise liegen zur Hand.«

»Bleiben Sie nur da halten, Mr. Hennigs«, rief jetzt eine kichernde Mädchenstimme hinter der alten Dame vor, und dicht neben ihr ließen sich in diesem Augenblick zwei allerliebste Köpfchen sehen, die neugierig die Lage des jungen Mannes erspähen wollten, »bleiben Sie nur da halten; Vater hat gesagt, daß er im Lauf der nächsten Woche das ganze Holz wegräumen will, und dann wird der Fußweg wieder frei.«

»Danke, Sally, danke!« rief Hennigs lachend. »Die Zeit möchte mir aber doch lang werden, wenn ich Ihre liebe Stimme immer so ganz in der Nähe hören müßte und nicht hinüberkönnte. Nein, mag mein Pony sehen, wie es allein herauskommt, ich will's ihm leichter machen!« Und damit sprang er vom Pferd, schnallte Sattel und Zaum ab, hing sich beides über die Schulter und kletterte nun, wenn auch nicht ohne bedeutende Anstrengung, dem kaum sechzig Schritt entfernten Haus zu.

Das Pony blieb am Anfang, als es sich so von seinem Herrn verlassen sah, ruhig stehen und spitzte nur sehr bedeutend die kleinen Ohren; als es jedoch fand, wie sich die Sache eigentlich verhielt, und den Trog witterte, an dem es gefüttert zu werden hoffte, warf es den Kopf in die Höhe, wieherte ein paarmal hell auf und flog dann, jetzt durch keine Last mehr zurückgehalten, mit kühnen Sätzen über Stamm und Busch hinweg, bis es schnaubend und mit den Hinterbeinen wild nach den hier auf es einstürmenden Hunden schlagend, vor der Tür der Hütte hielt und dort seinen ebenfalls herankeuchenden Herrn freudig begrüßte. Dieser aber warf Sattel und Zaum nieder, sprang schnell die aus übereinandergelegten Klötzen bestehenden Stufen hinauf ins Haus und rief hier, die Hände der Frauen ergreifend und herzlich schüttelnd:

»Wie geht's, Mrs. Draper, wie geht's, Sally und Lucy, alle wohl? Sehen wenigstens alle kerngesund aus; doch – wo ist der Alte?«

»Vater ist noch draußen im Wald, er sucht die Pferde«, entgegnete nach der kurzen Begrüßung Sally, das jüngere der beiden Mädchen, die etwa siebzehn und neunzehn Jahre zählen mochten.

»Haben Sie gar keine Spuren im Wald gesehen?« fragte die Matrone, während sie ihr großes Baumwollspinnrad in die Ecke schob und die Kohlen im Kamin mit dem langen Schürstecken zu neuer Glut aufschüttelte.

»Sie müssen heute morgen aus den Hügeln heruntergekommen sein«, meinte Hennigs, »am Bach wenigstens waren die Fährten, und wenn ich nicht irre, so habe ich auch gleich oben über dem Kreuzweg die Schelle gehört.«

»Ah, dann findet sie Vater gewiß nicht«, rief Sally bedauernd aus, »er wollte am Potters Creek hinauf und von da links in das Tal hinüber suchen. »

»Er ist doch wohl schon auf den Spuren«, entgegnete der junge Mann, »denn im weichen Quellboden sah ich deutlich die Abdrücke eines Schuhs. »

»Vater trägt heute seine Mokassins«, sagte Lucy, »das muß jemand anderes gewesen sein.«

»Dann allerdings; aber wer will denn die Pferde brauchen? Ist ein Tanz irgendwo? Es scheint Sie ja alle ungemein zu interessieren, ob der Vater die Pferde findet oder nicht! »

»Tanz? Pfui, Mr. Hennigs, ich dächte doch, Sie wüßten, daß wir nicht tanzen«, erwiderte ihm etwas pikiert die Matrone.

»Ach, alle Wetter, ja, ich habe davon gehört, Sie hätten sich der ›Kirche‹ angeschlossen und wären ›religiös‹ geworden, Vater auch?«

»Noch nicht«, entgegnete mit einem tief heraufgeholten Seufzer Mrs. Draper, »wir wollen aber morgen früh zum Campmeeting, und davon hoffe ich das Beste: Der liebe Gott wird ihn ja wohl erleuchten, daß er den rechten Weg findet.«

»Das wird er, das wird er, Mrs. Draper, ob aber auf solche Art, bezweifle ich fast; der alte Herr trinkt gern sein Gläschen, und wenn ihm einmal etwas in die Quere kommt, ja nun, dann flucht er auch wohl ein bißchen, und ich glaube kaum, daß er sich das so leicht abgewöhnen wird. Wozu braucht er aber auch wirklich zu einer ›Kirche‹ zu gehören? Es ist so ein herzensguter alter Mann, wie nur je einer seine Sohlen in den Missouri-Botton drückte, er tut ja keinem Menschen etwas zuleide.«

»Wir sind alle Sünder, Mr. Hennigs«, sagte die alte Dame sehr ernst, »und mein armer Mann besonders, er schwört und flucht, genießt geistige Getränke und hat neulich den reisenden Prediger, der bei uns übernachtete und die Gebete las, einen Hypokriten genannt, ja sogar gelogen, als er während des Gebets aufstand und, Nasenbluten vorschützend, das Haus schnell verließ. Ich habe später das Tuch untersucht, es war nicht ein einziger Blutfleck darin, und der arme Fremde wartete eine volle halbe Stunde mit dem Gebet, ehe er fortfuhr, damit der böse Mensch keinen Vers des heiligen Wortes versäumte.«

Hennigs lachte laut auf. »Der arme Draper, also half ihm seine kleine Notlüge nicht einmal?«

»Kleine Notlüge, Mr. Hennigs?« sagte die Matrone mit größerer Strenge, als sie es sonst wohl gewohnt war. »Sie reden da recht böse, recht unendlich böse Worte. Abgesehen davon, daß der Augenblick, wo er sich mit seinem Gott beschäftigen sollte, keine Notlüge zuließ, so gibt es gar keine Notlügen. Es darf nichts in der Welt einen frommen Menschen zu einer Lüge bewegen, nicht einmal die Not, denn das Herz, das nicht wahr und treu ist, kann dem Herrn kein wohlgefälliges Opfer bringen.«

»Aber, beste Mrs. Draper«, entgegnete ihr Hennigs, »Sie werden mir doch gewiß zugeben, daß es Fälle im menschlichen Leben gibt, wo eine Notlüge nicht allein keine Sünde, sondern sogar gut und...«

»Nein, das gebe ich Ihnen nicht zu«, unterbrach ihn die Matrone schnell, »das kann ich Ihnen nicht zugeben, und schon ein solcher Gedanke ist unrecht.«

»Wenn aber nun zum Beispiel Ihr Mann oder eins von Ihren Kindern recht lebensgefährlich krank wäre«, demonstrierte Hennigs, »und wenn Sie nun wüßten, daß jede Aufregung für sie oder ihn die traurigsten, nachteiligsten Folgen haben könnte, würden Sie da nicht, wen nun etwa ein lieber Freund des Kranken eben gestorben wäre und er danach früge, ihm den Todesfall verheimlichen? Würden Sie da nicht lieber zu einer Notlüge Ihre Zuflucht nehmen, ehe Sie das Ihnen teure Leben aufs Spiel setzten?«

»Mr. Hennigs, Sie bauen da eine ganze Menge von Voraussetzungen zusammen, um nur eine Ihren Ansichten günstige Antwort zu hören. Das sind die Fallstricke, die uns der Teufel legt, um uns irrezuführen in dem, was recht und gut ist, und reichen wir ihm dann den kleinen Finger, so hat er bald die ganze Hand und die Seele des ihm Verfallenen. Draper nannte auch den frommen Mann einen Hypokriten.«

»Hm, ja, Mrs. Draper; aber Draper sagte mir, er hätte an dem Gebet volle sieben Viertelstunden gelesen, das ist doch ein bißchen stark.«

»Es war sehr erbaulich, und er gedachte aller unserer Sünden, da mußte es schon lange währen«, erwiderte die Frau.

»Wollen Sie nicht mit uns zum Campmeeting gehen, Mr. Hennigs?« fragte jetzt Sally den jungen Mann und sah ihn bittend mit ihren großen dunkeln Augen an.

»Gewiß, gewiß!« rief dieser schnell. »In so angenehmer Gesellschaft führ ich selbst mit zum – Campmeeting«, verbesserte er noch zur rechten Zeit, da ihm schon ein sehr sündhaftes Wort auf den Lippen schwebte. »Aber wahrhaftig«, sagte er, sich jetzt in dem kleinen Raum umschauend, »Draper muß ver... muß ungemein fleißig gewesen sein; er hat sich in den vier Wochen, die er hier ist, schon wirklich ganz behaglich eingerichtet; das Dach kann ja kaum vierzehn Tage liegen.«

»Mr. Draper ist auch in der Tat sehr fleißig gewesen«, erwiderte die Matrone, »wie lange wird's aber dauern, da packt ihn die leidige Wanderlust wieder an, und Knall und Fall verkauft er für wenige Dollar das, was ihn jahrelange Arbeit gekostet hat, und zieht westlich, immer weiter westlich und immer tiefer in den Wald zwischen wilde Menschen und Tiere hinein.«

»Nun, viel weiter westlich kann er jetzt nicht mehr gehen«, meinte Sally ganz ernsthaft, indem sie dem Gast einen Stuhl zum Feuer rückte, »Vater hat ja selbst gesagt, er wäre nun nicht mehr weit vom indianischen Gebiet, und in dem dürfen sich keine weißen Leute ansiedeln. Überdies«, fuhr sie schelmisch lächelnd fort, »ist ja Mr. Hennigs ebenfalls hier in den Wald gezogen, und da muß die Gegend doch wirklich Vorzüge besitzen, die man ihr auf den ersten Anblick hin gar nicht zutrauen möchte.«

Lucy wandte sich ab und setzte ihre Arbeit an dem großen Baumwollspinnrad fort.

»Das Wandern müssen Sie uns schon zugute halten«, erwiderte Hennigs, der ebenfalls Sallys Anspielung vermeiden zu wollen schien und jetzt in aller Verlegenheit mit seinem Taschenmesser an dem Stuhl herumschnitt, auf dem er saß. »Dafür sind wir ja eben Pioniere oder Squatter, wie uns der Ostamerikaner nennt. Amerika braucht aber gerade solche Leute, die weder wilde Tiere noch wilde Menschen fürchten, sondern keck hineinziehen mitten in ihren Bereich und der Natur den Boden abtrotzen, der ihnen und ihrem Fleiß nach Aussage aller klugen Leute nun doch einmal gehört.«

»Ja, ja, das ist schon alles recht schön und gut«, meinte Mrs. Draper, »aber lieber wäre ich denn doch in Illinois geblieben.«

»Was, in Illinois? In den ungesunden dürren Steppen? Zwischen Präriehühnern und Präriewölfen und in der Gesellschaft der wirklich weltberühmten Corncrackers!« rief Hennigs erstaunt aus. »Nein, da lobe ich mir das Kraftland unserer Niederung, das ist nicht totzumachen, und wollen wir wirklich Prärien haben, nun, dann finden wir sie westlich von hier schöner und herrlicher, als sie der ganze Osten mit all seinen so hochgepriesenen Vorteilen ausweisen kann.«

»Das mag wahr sein«, entgegnete ihm Mrs. Draper, »aber Illinois ist doch kein Sklavenstaat, und mag dies Land so schön und gut sein, wie es will, es ist mir fürchterlich, auch nur mit Menschen zusammen leben zu müssen, die ihre Brüder und Schwestern wie das Schlachtvieh verkaufen.«

»Ach Gott, ja, Madam, es mag viel Wahres daran sein«, meinte Hennigs kopfschüttelnd, »manchmal, wenn ich so recht allein darüber nachdenke, kommt's mir auch fast vor, als ob es nicht ganz recht wäre, daß wir die Neger feilbieten und ebenso für sie, wie für andere Waren, den möglichst höchsten Preis zu erhalten suchen. Für Sünde kann's aber doch auch nicht gelten; denn unsere Väter und Großväter haben's getan, das Gesetz hat den Sklavenhandel geheiligt, und die Bibel selbst scheint die Sache als etwas sehr Natürliches zu betrachten; wenigstens habe ich neulich einmal mit dem presbyterianischen Geistlichen, der auch Sklaven hält, darüber gesprochen, und der behauptet, Gott selbst habe das so eingesetzt, daß die heidnischen Völker den Christen dienen müßten. Das klingt auch eigentlich vernünftig genug.«

»Ich weiß es, ich weiß es«, sagte Mrs. Draper, »sie verteidigen die Sklaverei selbst aus der heiligen Schrift, aber nur Gott kann erkennen, ob sie daran recht tun; ich möchte nicht ein voreiliges Urteil fällen. Wir Frauen fühlen uns aber auch vielleicht viel näher davon berührt als die Männer; mir tut's ja schon in der Seele weh, wenn ich ein junges Huhn geschlachtet habe und nun sehe, wie die alte Henne gluckend den ganzen Raum, den sie sonst zu begehen pflegt, durchläuft und das Verlorene sucht; wie viel mehr muß ich Mitgefühl mit einer Mutter haben, der fremde Menschen das Kind aus den Armen reißen, um es für wenige Dollar zu verkaufen, während sie selbst gern das eigene Herzblut dafür hingäbe und doch zu arm ist, um es zu bezahlen. – Ich wollte, wir wären in einem Freistaat geblieben.«

»Nun, hier in Missouri wird die Sklaverei noch nicht so arg getrieben«, sagte Hennigs, »im Süden mag's freilich schlimmer sein; hier hören wir auch ganz selten von entflohenen Negern, und das, sollte ich denken, wäre ein ziemlich günstiges Zeichen. Wo ein Freistaat so nahe ist und die Sklaven trotzdem bei ihren Herren bleiben, da kann auch ihr Los noch kein entsetzliches sein.«

»Und wie sollten sie denn entfliehen können?« fragte Mrs. Draper. »Muß denn nicht ein Neger, wenn er nur selbst auf eine andere Farm oder Plantage hinübergeht, einen Paß haben, ohne den er von jedem weißen Mann festgenommen werden kann? Und liefert nicht selbst dann, wenn der flüchtige Neger den Freistaat wirklich erreicht hat, dieser, zur Schande der Vereinigten Staaten, den festgenommenen Sklaven an seinen Herrn aus? Wie also soll ein solcher armer Mensch denn entkommen, wenn er niemand weiß, an den er sich wenden kann, wenn er niemand hat, der ihn unterstützt und ihm forthilft, und wer das tut – hat Zuchthausstrafe zu erwarten.«

»Das Ausliefern muß aber sein«, fiel ihr hier Hennigs in die Rede, »wie könnten denn die Vereinigten Staaten einig nebeneinander bestehen, wenn sie einander ihr Eigentum vorenthalten wollten; das gäbe ja zu endlosen Streitigkeiten Anlaß und müßte nach und nach zu Haß und Zwietracht führen. Nein, es ist allerdings schlimm, daß wir die Sklaverei haben, und ich selbst wollte Gott danken, wenn es ein Mittel gäbe, ihrer los und ledig zu werden. Wenn wir zum Beispiel alle von Negern Abstammende wieder über die See zurück in ihre Heimat senden könnten, wie ja der Anfang dazu auch mit Liberia gemacht ist; da aber die klügsten Leute im Lande sich schon seit langen Jahren vergebens die Köpfe zerbrochen haben, wie dem am besten abzuhelfen wäre, so wird unsereiner doch auch nicht dagegen ankämpfen sollen. Das Bestehende, wie es nun einmal besteht, muß der einzelne ehren.«

Lucy hatte indessen aus einer Spalte über dem Kamin ein zusammengefaltetes Zeitungsblatt herausgenommen, schlug es jetzt auseinander und hielt es dem jungen Mann entgegen.

»Sie behaupten, es entflöhen hier in Missouri keine Neger ihren Herren?« fragte sie mit leisem Vorwurf im Ton. »Da, überzeugen Sie sich selbst; hier stehen drei angegeben, und vor jedem ein kleines Bildchen: ein armer Neger mit seinem Päckchen auf dem Rücken. Der eine ist sogar von einem unserer Nachbarn aus dem nächsten County, von Squire Wallis.«

»Das spricht für und wider mich«, sagte Hennigs, »wider mich wegen des Entlaufens, für mich, weil eben dieser Wallis auch einer von Ihren sogenannten frommen Leuten ist; er hat sogar schon gepredigt, und die Presbyterianer halten ihn für ein besonderes Licht, das dem Staat und ihrer Kirche in diesem Mann aufgegangen sei. Gott bewahre uns vor solcher Beleuchtung!«

»Behandelt Mr. Wallis seine Sklaven wirklich so arg?« fragte die Matrone.

»Davon waren Draper und ich neulich Zeuge«, erwiderte ihr Hennigs, »wir ritten gerade vorbei, als er einen seiner jungen Neger an einen Baum gebunden hatte und ruhig daneben seine Pfeife rauchte; dann und wann nur, wie um sich eine kleine Bewegung zu machen, stand er auf und peitschte den Unglücklichen höchst eigenhändig, daß ihm das klare Blut am Rücken herunterlief. Wir fragten ihn, was ihn zu einer so fürchterlichen Strafe veranlaßt habe, er behauptete aber, er tue das aus christlicher Milde; es sei gegen seine Grundsätze, einen seiner Sklaven im Zorn zu strafen, und da kühle er sich in der Zwischenzeit immer erst ein wenig ab, um ruhig zu bleiben und nicht hitzig zu werden.«

»Und das nennen Sie ein freies Land?« rief die Matrone entrüstet.

»Und das nennen Sie einen frommen Christen?« warf Hennigs dagegen ein. »Ist Ihnen da nicht Ihr Mann mit all seinen kleinen Fehlern und Eigenheiten, meinetwegen Schwächen, zehntausendmal lieber, selbst wenn er dann und wann das untere Ende des Whiskykrugs höher hebt als das obere und seinem Herzen mit etwas rauh klingenden, aber keineswegs bös gemeinten Worten Luft macht?«

»Aber das viele gotteslästerliche Fluchen könnte er doch lassen«, sagte Mrs. Draper, freilich schon um vieles milder gestimmt.

»Ja, und Sie auch, Sir«, lachte Sally, »Lucy hat schon oft gesagt, Sie wären ein ganz guter Mensch, wenn Sie nur nicht immer...«

»Sally! »rief Lucy, »wie kannst du nur...«

Ein plötzliches Anschlagen der Hunde unterbrach hier jede weitere Rede, und gleich darauf trat auch, die Mütze fest in die Stirn gedrückt und die Büchse in der Hand, die er, ohne sich weiter umzusehen, auf die über der Tür eingeschlagenen Pflöcke legte, Draper ein.

»Da bin ich wieder«, sagte er und drehte sich in diesem Augenblick nach den Seinen um, sein Antlitz war aber auffallend bleich, sein ganzes Wesen schien erregt, und er fuhr merklich zusammen, als er einen Fremden an seinem Kamin erblickte, faßte sich jedoch augenblicklich und streckte dem schnell erkannten Freund die Rechte entgegen.

»Und ohne die Pferde?« fragte Hennigs, der die dargebotene Hand derb schüttelte. »Mit leeren Zügeln? Die Damen hier scheinen deren Ankunft fest erwartet zu haben.«

»Dann müssen die Damen noch etwas Geduld haben«, lächelte der Alte und nahm die Mütze ab, die er oben auf eine Ecke des Kaminsimses legte. Dabei schienen aber seine Gedanken wieder weit hinwegzuschweifen, und er starrte, die Hand noch immer oben an dem Brett, wohl mehrere Minuten lang, wie in tiefes Nachdenken versunken, auf die im Kamin glimmenden Kohlen nieder.

»Mr. Hennigs hat die Fährten im Potters Creek gesehen, Vater«, brach endlich Sally das Schweigen, »sie müssen nach der Niederung hinunter sein, und da, weißt du wohl, wenn sie erst in den Schilfbruch kommen, findest du sie immer nicht gleich wieder. Am Ende versäumen wir morgen den Anfang des Campmeetings.«

»Das wäre freilich entsetzlich«, lächelte der Alte, der jetzt seine volle Ruhe wiedererlangt hatte und sich behaglich auf den für ihn hingeschobenen Stuhl niederließ, »und dann können du und Lucy auch nicht eure neuen Kleider und Bonnets zeigen, und Mutter müßte das schöne Umknüpftuch noch ganze vierzehn Tage länger in der Kiste liegen lassen.«

»Aber, Mann!« unterbrach ihn vorwurfsvoll Mrs. Draper. »Willst du denn behaupten, daß wir solcher sündlichen Eitelkeit wegen zu der Versammlung reiten? Habe ich dir dazu schon je Ursache gegeben?«

»Vater ist überhaupt heute so sonderbar!« sagte Sally plötzlich, indem sie auf ihn zuging und ihm scharf ins Auge schaute. »Es fiel mir gleich auf, wie er hereintrat; ich weiß nicht...«

»Aber ich weiß, was Jungfer Naseweis zu tun hat«, sagte der Alte und ergriff sie lächelnd beim Kinn, »draußen steht Mr. Hennigs Pony und wiehert nun schon, so lange ich im Hause bin, ganz ungeduldig um den versteckten Mais herum. Geh und gib ihm ein halbes Dutzend Kolben, und dann wollen wir das Pferd aushobbelnAushobbeln nennt der Amerikaner das Zusammenbinden der Vorderbeine des Pferdes, damit sich dieses zwar langsam von der Stelle bewegen kann, um sein Futter zu suchen, aber doch nicht imstande ist, fortzulaufen., es mag sich hier herum sein Futter selbst suchen. Du mußt ihm aber vorher die kleine Hausglocke umschnallen, sie hängt hinten an der Hausecke.«

Sally sprang singend hinaus, um den erhaltenen Auftrag zu erfüllen; Draper aber ging zu seiner Frau hin, strich ihr schmeichelnd die nur noch halb schmollend weggedrehte Wange und sagt gutmütig:

»Bist nicht böse, Alte, weißt schon, wie's gemeint ist; ein bißchen eitel seid ihr aber alle, wenn ihr's auch nicht wollt merken lassen, denn in ihrem Alltagskleid ginge keine von euch zum Campmeeting, soviel weiß ich.«

»Das würde sich auch nicht schicken, Draper, das würde sich auch nicht schicken; wenn wir zu dem Herrn beten, müssen wir auch zeigen, daß wir etwas darauf halten, mit anständigem Äußern vor ihn zu treten.«

»Das wäre dem lieben Gott, so wie ich ihn kenne, sehr gleichgültig«, lachte Draper gutmütig, »doch du hast recht, du meinst's ehrlich dabei und bist auch sonst brav und wacker; nur das scheinheilige Pack kann ich nicht leiden. – Aber, Hennigs, wo habt Ihr denn die Pferde gesehen?«

»Die Pferde nicht, nur die Spuren«, erwiderte dieser, »sie kamen aus den Hügeln herunter und gingen über den Kreuzweg hinüber der Niederung zu. Wenn ich nicht ganz irre, habe ich sogar die Schelle gehört, die der Fuchs um hat.«

»Ja, die schallt am weitesten. Es ist wohl möglich; nun, dann finde ich sie heut abend an der Buffalolick, dorthin gehen sie gewöhnlich, wenn sie überhaupt die Richtung einschlagen.«

»Ich sah auch dort oben die Spuren eines Mannes«, fuhr Hennigs fort«, und glaubte erst, als ich hier hörte, Ihr wäret ausgegangen, um die Pferde zu suchen, es seien die Euren gewesen. Der die hinterließ, trug aber Schuhe; es wird wohl ein Jäger gewesen sein.«

»Ja, ja, es wird wohl ein Jäger gewesen sein«, sagte der Alte, stand auf und schritt dann ein paarmal in der Stube auf und ab. »Ja«, fuhr er dann fort, »ich habe sie auch gesehen, sie gingen nach Süden, den Ansiedlungen zu; wahrscheinlich ein Jäger. Aber was ist das für ein Zeitungsblatt?«

»Dasselbe, das der Sheriff heute morgen hier hereingelegt hat, Vater«, erwiderte ihm Lucy, »wir blätterten darin herum.«

»Nun, gibt es Neuigkeiten aus St. Louis?« fragte der Alte und fuhr sich mit der linken Hand über die breite, offene Stirn, als ob er alle anderen Gedanken daraus verscheuchen wollte. »Wie steht's mit der Wahl? Was sagt unser Demokrat da? Hat Polk Aussichten?«

»Nun, Missouri läßt ihn sicher nicht im Stich«, lachte Hennigs. »Das war's aber nicht, wir haben uns nicht mit Politik beschäftigt, sondern nur über eine Frage debattiert, die das gute Verständnis der südlichen und nördlichen Staaten betraf – über die Sklaverei, und zur Erläuterung derselben lasen wir hier einige Anzeigen von entlaufenen Sklaven.«

»Von entlaufenen Sklaven? Wo? Zeigt her!« rief Draper schnell, und zwar mit einem Interesse, das einem genauen Beobachter sicherlich hätte auffallen müssen; Hennigs aber, die Bewegung einzig und allein der Neugierde zuschreibend, hielt ihm ruhig das Blatt hin und sagte:

»Drei Stück – Wallis hat auch wieder einen hineinsetzen lassen.«

»Neunzehn Jahre alt«, las Draper, »schlank gewachsen, mit freier, hoher Stirn und besonders wolligem Haar; Farbe: Ebenholzschwärze, Größe: fünf Fuß, sieben Zoll das stimmt alles.«

»Was stimmt?« fragte Hennigs.

»Was stimmt? Ah, nun, die... Oh, ich kenne den Burschen wahrscheinlich, der entlaufen ist«, erwiderte Draper und wandte sich, wie um besser lesen zu können, mit der Zeitung ab, dem Licht zu.

»Ist es etwa der, den er vor kurzer Zeit so fürchterlich mißhandelte?« fragte Hennigs.

»Derselbe; sein Rücken ist noch jetzt blutig und zerfleischt, die Narben hatten noch keine Zeit, wieder zu heilen, der arme Teufel konnte Tag und Nacht kein Auge schließen vor Schmerz und Qual und mußte dennoch arbeiten. – Donnerwetter, Alte, wo ist denn eigentlich der Whisky?«, unterbrach er sich plötzlich und bog sich nieder, um unter den Fuß des Bettes zu sehen, wo die fragliche Steinkruke gewöhnlich ihren Platz hatte. »Ich bin trocken wie eine Ohio-Chaussee, ich staube ordentlich. Glaubt ihr, man soll euch die Pferde suchen und nachher nicht einmal einen Tropfen trinken? Ich verdurste, wenn ich nicht bald etwas bekomme!«

»Vater hat wohl die Pferde gesucht, hat sie aber noch nicht gefunden«, sagte Sally und schöpfte dabei, als sie eben in die Tür trat, den Flaschenkürbis voll des klaren Quellwassers, das in einem Eimer auf dem dort angebrachten Regal stand.

»Ist mein kleiner ›Kiek in die Welt‹ auch schon wieder da?« lachte der Alte. »Also, weil ich sie nicht gefunden habe, brauch ich auch nicht trocken im Hals geworden zu sein? Und Wasser soll ich trinken? Wettermädchen, das folgt der Alten aufs Haar! Nein, Kinder, einen Schluck Whisky muß ich vorher aufsetzen, aber laß nur das Wasser hier, Sally, zum Nachtrinken gibt's nichts Besseres auf der ganzen Welt.«

»Bester Mann«, bat Mrs. Draper, »ist nun das klare, liebe Himmelsgetränk nicht viel besser und zweckmäßiger, um selbst den brennendsten Durst zu löschen?«

»Liebe, beste Frau«, entgegnete ihr Draper, während er von der ihm gereichten Kruke den aus dem holzigen inneren Teil eines Maiskolbens bestehenden Stöpsel abzog und dann etwas von dem goldklaren Inhalt in den großen, vor ihm auf dem Tisch stehenden Blechbecher ausgoß, »das Wasser ist eben ein Himmelsgetränk, wie du ganz richtig bemerkst; für uns arme Sterbliche aber müssen wir etwas Feurigeres, Herz und Seele mehr Zusammenhaltendes haben, und da hat denn der liebe Gott den Whisky erschaffen.«

»Den hat der Teufel erschaffen!« rief Mrs. Draper lebhafter, als es sonst gewöhnlich ihre Art war. »Das ist des Teufels Erfindung!«

»So? In der Tat? Dann bin ich dem Teufel wirklich mehr verbunden, als ich bis jetzt habe glauben mögen; die Erfindung macht ihm alle Ehre und söhnt mich teilweise wieder mit ihm aus«, sagte der unverwüstliche Draper mit größter Ruhe und leerte etwa die Hälfte des Inhalts, wonach er den Rest an Hennigs hinüberschob. Dieser aber zögerte, ihn anzunehmen, und blickte sich halb unschlüssig nach Lucy um.

»Lucy sieht nicht her!« neckte ihn Sally, der des jungen Mannes Verlegenheit keineswegs entgangen war. »Sie können's riskieren.«

»Laßt Euch durch die Frauen nicht irremachen, Hennigs«, ermahnte ihn der Alte, »wenn ich denen glauben wollte, dann wäre das gute Getränk hier vor uns ein Haken und meine Kehle ein Arm, die mich zu zweit und mit vereinten Kräften in den Pfuhl der Hölle hineinrissen; so hat's ihnen wenigstens neulich der Presbyterianer erklärt.«

»Du bist ein böser Mann, Draper, und drehst einem immer die Worte im Mund herum«, sagte die Matrone, reichte aber dem Gatten dabei freundlich die Hand hinüber, »du weißt ja doch recht gut, wie ich's meine, und daß es nur immer deines eigenen Besten wegen ist, wenn ich ein Wort einwerfe über dein...«

»Trinken und Fluchen! »fiel ihr Draper ins Wort. Ja, ja, ich weiß schon, wovon die Rede ist. Übrigens habe ich heute noch nicht ein einziges Mal geflucht, und was den Trunk betrifft, den ich selten genug zu meiner Erholung tue, so bin ich allerdings davon überzeugt, daß du ihn mir nicht mißgönnst, da ist aber der gottverdammte...«

Sallys kleine Hand lag auf seinen Lippen, und er zog sie gutmütig lächelnd herunter und drückte einen herzlichen Kuß auf den kleinen, gespitzten Rosenmund des lieben Kindes.

»Nun, schon gut, schon gut, Sally«, sagte er dann, »bist mein gutes Mädchen. Jetzt seht aber nach euren Kühen – ach, ja so, es ist erst eine da; nun, schad't nichts, besorgt die nur, ehe es dunkel wird, es sollen schon mehrere nachkommen, und nachher zündet auch die Lampe an, oder habt ihr die Lichter schon gegossen?«

»Ja, Vater, die letzten drei Hirsche, die du geschossen hast, hatten gar viel Talg bei sich, und aus den Bienenbäumen, die hier Mr. Hennigs für uns umgehauen, ist auch ein recht schönes Stückchen Wachs gekommen; die Lichter sind fertig.«

»Brav, Kinder, dann macht alles bereit, Hennigs und ich wollen indessen noch einmal nach der Buffalolick hinübergehen und die Pferde holen; vielleicht finden wir auch unterwegs irgendwo ein Volk Truthühner aufgebäumt, ich will auf jeden Fall die Rifle mitnehmen.«

Und der alte Mann hob die schwere Büchse von der Wand herunter, hing sich die kaum abgelegte Kugeltasche wieder um, setzte die Mütze auf und wollte eben mit seinem jungen Freund das Haus verlassen, als er plötzlich zurückprallte und erbleichend ausrief. »Tod und Teufel!«

Erschreckt sprangen seine Frau und Töchter hinzu, sie sollten aber über das, was den Vater so überrascht hatte, nicht lange im Zweifel bleiben; ein junger Neger in bloßem Kopf und nur mit einer dünnen Leinwandjacke und ebensolchen Hosen bekleidet, die nackten Füße in groben rindsledernen Schuhen, das schwarze Antlitz eingefallen und verzehrt von Todesfurcht und übermäßiger Anstrengung vielleicht, sprang auf die Schwelle, warf einen scheuen, wilden Blick über die ihn jetzt Umstehenden und brach dann, die Knie des alten Mannes krampfhaft umklammernd, vor diesem halb ohnmächtig zusammen.

»Ben, Ben, um Gottes willen, was soll das heißen?« rief Draper und sah ängstlich nach Hennigs hinüber, der ganz überrascht dastand und gar nicht wußte, wie er diese merkwürdige Szene deuten solle.

»Rettet mich, Herr, rettet mich, wenn Ihr nicht wollt, daß sie mich bei lebendigem Leib verbrennen, wie sie's dem armen Nigger in St. Louis getan haben, rettet mich um des Heilands willen, sie sind dicht hinter mir!«

Er blickte flehend zu ihm empor, und Hennigs konnte zum ersten Mal seine Züge erkennen. Kaum hatte er ihn aber einen Moment scharf ins Auge gefaßt, als er vorsprang, den Knieenden bei der Schulter ergriff und ausrief:

»Alle Wetter, das ist Wallis' entlaufener Neger, halt, Bursche, wo kommst du her und wo willst du hin?«

Der unglückliche Ben warf einen flehenden Blick auf den alten Mann und sank dann, seine Knie loslassend, ohnmächtig zu Boden.

»Der Bursche hat wahrscheinlich nicht mehr weitergekonnt«, sagte Hennigs, als er ihn umwandte und fühlte, wie der arme Teufel regungslos in seinen Armen lag, »nun, ein bißchen kaltes Wasser wird ihn schon wieder zu sich selbst bringen. Sie werden ihn aber hierbehalten müssen, bis wir Wallis davon benachrichtigen können. Der wird nicht wenig froh sein, daß er seinen Neger wieder hat.«

»Sie werden ihn doch nicht ausliefern?« rief Lucy entsetzt.

»Nicht ausliefern, Miß Lucy? – Wir sollen doch wohl nicht etwa gar einem Nigger zum Fortlaufen behilflich sein und nachher das Vergnügen im Zuchthaus büßen?«

»Man will ihn lebendig verbrennen!« rief Sally und faltete in Todesangst die kleinen weißen Hände auf der klopfenden Brust.

»Oh, bewahre Gott!« lächelte Hennigs. »Das wäre ja wider des Herrn eigenen Vorteil, einen seiner Sklaven umzubringen; nein, Sally, der kommt mit einer Tracht Schläge davon, und die hat der Schlingel auch eigentlich verdient, warum läuft er fort; er weiß, daß er doch am Ende wieder gefangen wird.«

Draper bog sich schweigend zu dem Unglücklichen nieder und wies auf seinen Rücken. Die Dämmerung brach schon stark herein, aber deutlich konnten sie noch erkennen, wie rotes Blut durch die dünne Leinwandjacke gedrungen war und diese in langen teils erhärteten, teils noch frischen Streifen an dem Rücken des Unglücklichen festgeleimt hatte.

Die Frauen stießen einen Schrei der Angst und des Entsetzens aus, und selbst Hennigs wandte sich schaudernd ab.

»Der arme Teufel! »brummte er vor sich hin.

Draper brach endlich das Schweigen und sagte mit hohler, fast tonloser Stimme, indem er den Neger noch immer mit seinem Arm unterstützte:

»Der Knabe hier rettete mir vor drei Wochen das Leben; ich badete im Strom, und nur seiner Dazwischenkunft verdanke ich es, daß ich das steile, schroffe Ufer, zu dem mich die zu starke Strömung hingerissen hatte, wieder erklimmen konnte. Heute traf ich ihn flüchtig im Wald, und obgleich ich wußte, daß es ein entflohener Sklave sei, ließ ich ihn ungehindert ziehen. – Ich wandte mich ab und wollte nicht sehen, wohin er floh. Jetzt führt, Gott nur weiß welches Schicksal, den Unglückseligen in meine Hütte, und mir bleiben einzig und allein zwei Auswege offen: Entweder ich verrate meinen Lebensretter und überliefere ihn seinen Henkern, oder ich setze mich der Gefahr aus, angeklagt zu werden, einem Neger, einem Sklaven zur Flucht behilflich gewesen zu sein – das Zuchthaus ist dann meine Strafe.«

»Hier ist, denk ich, ein Ausweg möglich«, sagte Hennigs, »Wallis weiß, daß ihm ein Arbeiter nur dann von Nutzen sein kann, wenn er gesund und kräftig ist; auf Euer Wort gibt er überdies etwas, und wenn Ihr zu ihm hinüberreitet und ihm sagt, daß Ihr ihm seinen Neger gegen das Versprechen wieder verschaffen wollt, daß er den schon so arg Mißhandelten nicht noch mehr züchtige, so glaub ich, wird er ein vernünftiges Wort mit sich reden lassen und kein Unmensch sein. Zum Henker noch einmal, er gehört ja doch auch noch zur Kirche, und da darf er ja schon des Ansehens wegen nicht den Tyrannen spielen.«

»Er schlägt die Augen auf«, sagte Mrs. Draper, die ihm indessen Stirn und Schläfe mit Essig eingerieben hatte, »er kommt wieder zu sich; großer Gott, wie weh dem armen Menschen ums Herz sein muß! Vater, wenn nun unser Sohn, der sich jetzt in Texas oder Mexiko herumtreibt, so unter fremden Menschen läge, wie wolltest du, daß ihm da geschähe?«

»Ich glaube wirklich nicht, daß ihm viel Gefahr droht, Mrs. Draper«, nahm Hennigs noch einmal das Wort, »wenn Sie es wünschen, so will ich selbst mit Draper hinüberreiten, um Wallis zur Milde zu stimmen; aber ausliefern müssen wir ihn, das verlangt nicht allein das Gesetz, sondern auch unsere eigene Sicherheit. Es ist ja denn doch auch nur ein Neger, und ich sehe nicht ein, weshalb sich zwei Weiße seinetwegen in so entsetzliche Unannehmlichkeiten stürzen sollten, wie daraus entstehen könnten.«

»Es ist nur ein Neger, Mr. Hennigs«, sagte Sally mit bitterem Vorwurf im Ton, »das klingt, aufrichtig gesprochen, recht garstig von Ihnen. Vater war in seinen Augen auch nur ein Weißer, und er hat ihn doch aus dem Wasser gezogen. Das weiß ich, wenn Sie den armen Menschen wieder auslieferten, und ich wäre Lucy, ich spräche in meinem ganzen Leben kein Sterbenswörtchen mehr mit Ihnen.«

»Seien Sie barmherzig!« flehte auch Lucy jetzt und sah bittend zu dem jungen Mann auf, der sich, den Hut in der Hand, verlegen hinter den Ohren kratzte.

»Aber, beste Miß Lucy«, sagte er endlich, »was hilft es ihm denn, wenn wir unsere eigene Sicherheit auch wirklich nicht einen Pfifferling rechnen wollen; deshalb wäre ihm doch nicht mehr geholfen. Entfliehen kann er nicht; wie käme ein Nigger von hier bis zu der kanadischen Grenze ohne Paß? Liefern wir ihn also nicht aus, wobei wir uns zugleich für ihn verwenden können, so fängt ihn jemand anderes, und dann geht's ihm erst recht schlimm.«

Der Neger hatte seine großen, lebhaften Augen geöffnet und zu dem Sprechenden mit einem unbeschreiblichen Ausdruck von Seelenschmerz in den dunkeln Zügen aufgeblickt. Jetzt teilten sich seine Lippen und er flüsterte, aber mit kaum noch hörbarer Stimme:

»Ich bin verloren, die Verfolger sind mir auf den Fersen; ich traf einen der nach mir ausgesandten Männer zufällig im Wald, und nur die Verzweiflung gab mir Kraft genug, ihm in dem dichten Unterholz zu entgehen, das ihm nicht erlaubte, mit dem Pferd so schnell hindurchzubrechen. Unfern von hier wußte ich ihn von meinen Fährten abzubringen und floh nun, als letztem Rettungsweg, Ihrem Haus zu. Ich kann nicht weiter, mein Rücken ist zerfleischt, meine Kräfte sind erschöpft, die Wunden brennen wie Feuer, und die Glieder versagen mir den Dienst. Liefern Sie mich aus, dann ist's vorbei, und ich habe dieses elende Leben überstanden.«

»Es ist nicht so schlimm, Ben«, sagte Hennigs gutmütig, »wir wollen selbst zu deinem Herrn hinüberreiten und ihn um Schonung für dich bitten; er soll dich nicht weiter mißhandeln.«

»Umsonst, umsonst!« stöhnte der Unglückliche und sah starr vor sich nieder. »Das wäre vergebens; letzten Freitag warf er mich zu Boden und trat mich mit Füßen; die harten Steine rissen die noch nicht geheilten Wunden der Peitschenhiebe wieder auf, wahnsinniger Schmerz durchzuckte mich, und in aller Verzweiflung nicht mehr wissend, was ich beging, ergriff ich einen gerade dort liegenden Axtstiel und – schlug meinen Master zu Boden.«

»Unglückseliger!« sagte Hennigs mitleidig. »Dann bist du allerdings verloren.«

»Nein, nein!« rief Draper. »Ich will verdammt sein, wenn ich ihn ausliefere. Ich weiß, was ich riskiere, ich weiß, was mich bedroht, wenn ich entdeckt werde, doch gleichviel; im schlimmsten Fall lasse ich die hier getane Arbeit im Stich und ziehe nach Iowa hinein; aber ich will nicht haben, daß mich das Bild dieses Unglücklichen mein ganzes Leben lang Tag und Nacht hindurch mahnen und martern soll, und ich mir ewig sagen muß: Der hatte dir nur das Leben gerettet, damit du ihn nachher gebunden seinem Henker überliefern konntest. Sei guten Muts, Ben, es soll dir nichts geschehen, ich will doch einmal sehen, ob der alte Draper so auf den Kopf gefallen ist, daß er nicht ein Mittel findet, um dir fortzuhelfen.«

»Aber, Draper, Draper, denkt an Euer Weib und Eure Kinder«, sagte warnend der junge Mann.

»Oh, reden Sie dem Vater nicht ab«, bat ihn flehend Lucy, »lassen Sie ihn das gute Werk vollbringen, und – wenn Sie sich uns allen als ein recht lieber Freund erweisen wollen, so helfen Sie nur diesmal, um den armen Jungen von so fürchterlicher Strafe zu erretten.«

»Liebe Miß Lucy«, erwiderte Hennigs noch immer unschlüssig, »ich will ja gewiß alles von Herzen gern tun, was Ihnen nur die mindeste Freude gewähren kann, ich sehe aber wahrhaftig nicht ein, wie dem armen Teufel geholfen werden soll. Sind ihm die Verfolger so dicht auf den Fährten, wie er sagt, dann können wir sie auch jeden Augenblick hier erwarten, und in dem Zustand, in dem er sich jetzt befindet, wäre es für ihn unmöglich, zu entfliehen. Hier im Haus sind wir ebensowenig imstande, ihn lange zu verbergen, selbst wenn wir wollten, denn das eine offene Gemach, das Sie haben, bietet nirgends auch nur den geringsten sicheren Schlupfwinkel.«

»Wir müssen ihm einen Paß schreiben! »rief Mr. Draper schnell. »Das wird ihm durchhelfen; einen mit dem Paß versehenen Neger hält niemand an.«

»Aber womit?« fragte Lucy ängstlich. »Wir haben weder Schreibzeug noch Papier, selbst das Stückchen Bleistift, das in dem alten Haus über dem Kamin steckte, muß verlorengegangen sein, ich konnte es wenigstens nirgends finden.«

Der Neger hatte indessen mit ängstlichen Blicken von einem der Sprechenden zum anderen gestarrt, und seine Augen leuchteten, als er den Paß erwähnen hörte; jetzt, da ihm diese letzte Hoffnung abgeschnitten schien, barg er zitternd das Antlitz in den Händen, und wenn auch kein Laut, kein Schluchzen die Stille unterbrach, so kündete doch das konvulsivische Zucken seiner ganzen Gestalt den ungeheuren Schmerz an, der ihn durchbebte.

»Hier muß Rat geschafft werden!« rief der alte Draper jetzt und ging mit schnellen Schritten im Zimmer auf und ab. »Ben muß fort, und ein Paß, das seh ich ein, ist dazu unumgänglich nötig. So mag er denn hier im Haus verborgen bleiben, bis ich ihm den herbeischaffen kann; ich will noch heute zum Squire Mabel reiten und Tinte und Papier holen.«

»Aber das ganze County ist schon in Aufregung«, flehte in Todesangst Ben, »der, der mich heute verfolgte, wußte ebenfalls von dem einem weißen Mann gegebenen Schlag; zweimal hätte er mich niederschießen können, aber er schrie fluchend, er wolle mich lebendig haben, um mich schmoren zu sehen; sie sind zum Fürchterlichsten entschlossen.«

»Hallo! Da drüben! »schallte plötzlich eine Stimme von der anderen Seite der niedergehauenen Bäume herüber, und gleich darauf übertäubte, wie bei Hennigs' Ankunft, das Heulen der Meute jeden weiteren Anruf.

»Das ist mein Verfolger!« stöhnte Ben und sank, die Hände gefaltet, in Verzweiflung auf einen Stuhl nieder, an dessen Lehne mehrere Tropfen klaren Blutes, die durch die dünne Jacke gequollen waren, hängenblieben.

Der alte Mann trat indessen in die Tür, beschwichtigte mit einem Wort die Hunde, die, der Stimme des Herrn gehorsam, nur leise knurrend den fremden Tönen lauschten, und rief jetzt die Gegenfrage an den späten Gast hinüber:

»Wer ist da und was wollt Ihr?«

»Wer da ist? Zum Henker, Pitt ist da, oder ist eigentlich noch nicht da, denn er steckt hier in einem undurchdringlichen Gewirr von allem möglichen und weiß nicht, wie er herauskommen soll. Wo in aller Welt ist nur der Fahr- oder Reitweg, Draper? Auf dem, wo ich hergekommen bin, liegen wenigstens zwanzig Klafter Holz!

»Seid Ihr allein?« fragte Draper zurück.

»Ja, allerdings, es werden aber gleich noch eine ganze Menge kommen, ich traf sie nicht weit von hier, und sie redeten davon, bei Euch zu übernachten.«

»Ich komme gleich, Pitt«, rief Draper ihm zu, »bleibt nur einen Augenblick da halten, Euer Pferd möchte sonst in den vielen Splittern Schaden nehmen.« Und damit warf er die Tür wieder in die Klinke und trat in das Innere seiner Hütte zurück.

»Es ist zu spät!« sagte er eintönig, als er mit starren Blick auf den unglücklichen Knaben niedersah. »Sie werden hier sein, ehe wir imstande sind, auch nur einen vernünftigen Rettungsplan zu ersinnen, viel weniger auszuführen.«

»Wenn er sich nun draußen im Wald versteckte?« fragte schüchtern Sally. »Ich will ihm ja gern Speise und Trank bringen; morgen früh gelingt es dann vielleicht, dem Armen zu helfen.«

»Nein, das ist unmöglich, die Hunde würden ihn dort nicht unbeachtet lassen; überdies bringen die Fremden, wenn es seine Verfolger wirklich sind, auch auf jeden Fall ihre Rüden mit, und dann wäre seine Entdeckung unvermeidlich. Ich begreife ohnehin nicht, wie ihn meine eigenen Bärenfänger so unbelästigt hereingelassen haben.«

»So verbirg ihn dort, zwischen unseren Betten!« sagte Sally plötzlich. »Dort mag er liegen, bis sich irgendein Ausweg für ihn gefunden hat, und wenn es bis morgen früh wäre.«

»Das ist das einzige; Höll' und Teufel, Pitt wird ungeduldig da drüben, ich muß ihn holen; so versteckt ihn denn schnell, und möge Gott geben, daß er dort unentdeckt bleibt, sonst ist mein guter Name für Missouri dahin, und ich muß der Rache seiner Bürger entfliehen.«

Tief aufseufzend verließ er die Hütte, seinen heute so unwillkommenen Gast hereinzuholen, während die Frauen indessen ein ziemlich weiches Lager für den armen Mißhandelten bereiteten und es zwischen den Betten und durch einen mit Kleidern überhangenen Stuhl so verdeckten, daß, wenn nicht eine wirkliche und hier keineswegs zu befürchtende Haussuchung stattfand, sein Lager von den in der Hütte befindlichen Personen sicherlich nicht gesehen werden konnte, da sich auch schon ohnedies keiner der Amerikaner neugierig einer Stelle zugedrängt hätte, die ›der Damen Schlafplatz‹ war.

Bald darauf erreichte der späte Besuch den kleinen vor dem Haus befindlichen offenen Platz, sprach dort einige Worte, seines Pferdes wegen, mit Draper und betrat dann, schon von draußen den Frauen einen guten und freundlichen Abend hereinrufend, das Innere des jetzt durch ein selbstgegossenes Licht erhellten Raums.

Mr. Pitt war ein kleines wohlbeleibtes Männchen mit so blonden Haaren, daß er sie oft selbst im Scherz ›isabellfarben‹ nannte, dazu mit großen blaugrauen Augen, und gewöhnlich in einen pfeffer- und salzfarbenen Oberrock eingeknöpft. So gemütlich er aber auch sonst in manchen Sachen sein mochte, so viel er selbst auf sein Vieh, auf seine Pferde und Rinder hielt, die er sich nie überarbeiten ließ, so sehr haßte er die Neger und behandelte seine eigenen Sklaven, wenn er sie auch gut ›fütterte‹, wie er es nannte, mit der größten Verachtung. Die Sklaven der ganzen Nachbarschaft fürchteten ihn auch ungemein, haßten ihn aber wohl noch mehr und nannten ihn überall nur den ›Niggerfresser‹. Und doch war dieser Mann ein ganz guter Bürger, ehrlich und rechtschaffen in all seinem Tun und Handeln, und hatte sich, einzig und allein durch eigenen Fleiß, ein gar nicht unbedeutendes Vermögen erworben. Seinem Ehrgeiz war übrigens dadurch Genüge geschehen, daß ihn sein ›Township‹ zum Friedensrichter, und zwar damals noch, ernannt hatte, als die Aufregung für General Harrison selbst bis in den fernen Westen drang; er rühmte sich auch seines eifrigen Whigtums und schwärmte natürlich für Henry Clay und besonders für Frelinghuysen, der seiner Aussage nach der frömmste Mann der Welt sei und eher verdiente, Präsident als nur Vizepräsident zu werden.

Seiner Religion nach war er Presbyterianer und hing dabei so eifrig an der Kirche, daß er schon einmal, als er sich bei einer großen Betversammlung befand, wo der andächtig harrenden Gemeinde gemeldet wurde, der plötzlich krank gewordene Prediger könne nicht kommen, selbst, unvorbereitet, den Rednerstuhl bestieg und mit Kraftworten und noch nie dagewesenen Gestikulationen den Leuten erzählte, wie's ihm eigentlich ums Herz sei. Man wollte ihn später allerdings dazu bewegen, der geistlichen Beredsamkeit sein Leben ausschließlich zu weihen, Mr. Pitt zog es aber vor, Friedensrichter zu bleiben, und behauptete, freilich nicht ganz ohne Grund, ›als Laie die Eingeborenen viel mehr in Erstaunen setzen zu können, als wenn er aus der heiligen Sache eine wirkliche Profession mache‹. Dabei war er höchst ritterlich und gefällig gegen Damen, obgleich er als alter Junggeselle von diesen auch manches Scherz- und Stichelwort ertragen mußte; ja, er hatte sogar selbst vor noch nicht so langer Zeit bei einer Entführung in St. Louis tätigen Anteil genommen. Wenn er aber auch gern von dieser Sache sprach, so verfehlte er doch nie dabei die Bemerkung zu machen, daß das vor der Zeit gewesen sei, so er als Friedensrichter in Tätigkeit getreten, und er jetzt, gerade im Gegenteil, eine solche ungesetzliche Handlung mit jeder ihm zu Gebote stehenden Macht verhindern würde.

Mr. Pitt trat also in die Tür der Hütte und reichte, sich nicht mit dem allgemeinen »Guten Abend, Ladies!« begnügend, noch jeder der Damen insbesondere die Hand, führte dabei auch so total allein das Wort und erkundigte sich so angelegentlich nach dem Befinden und Wohlergehen seiner ›neuen Nachbarn‹ (sein Haus lag elf englische Meilen entfernt), daß er die Verlegenheit und Aufregung, in der sich diese befanden, gar nicht bemerkte, sondern geschäftig einen der Stühle zum Kamin schob (und zwar mit dem Rücken gegen die Tür, also den Betten mehr zugewandt), von dem aus er an Draper und Hennigs indessen tausend verschiedene Fragen zu gleicher Zeit richtete.

Draper war übrigens selbst zu aufgeregt, um sich in eine Beantwortung derselben einzulassen, und fragte nur seinerseits, wobei er freilich einen Augenblick benutzen mußte, in dem der würdige Mann gerade Atem schöpfte, wen er noch an Fremden im Wald getroffen habe, was diese getrieben und wann sie hier eintreffen würden.

»Stop, Sir – stop!« schrie der Kleine und drehte sich in komischer Verzweiflung nach ihm herum. »Das sind eine Menge verschiedener Artikel, die erst geordnet und dann einzeln vorgenommen werden müssen. Vor allen Dingen, Ladies, fürchte ich, daß Ihr Raum heute ein wenig beschränkt werden wird, denn acht Mann kann ich sicher anmelden, die noch vor Ablauf einer Stunde hier eintreffen werden. Das heißt eigentlich nur sieben, da einer von ihnen hier schon ganz behaglich und warm am Feuer sitzt und sich ungemein freut, daß er aus den bösen Dornen und Ranken da draußen heraus ist. Dieser eine, meine teuren Ladies, den ich Ihnen die Ehre habe in meiner unbedeutenden Person vorzustellen, wird nun auch wohl morgen noch hoffentlich das Vergnügen genießen, in Ihrer Gesellschaft zu bleiben, denn ich zweifle keinen Augenblick, daß Sie ebenfalls beabsichtigen, der Betversammlung beizuwohnen. Die dort aufgehäuften Kleider sind wahrscheinlich schon dazu bestimmt, Ihren holden Gestalten einen womöglich noch höheren Reiz zu verleihen.«

»Wer waren aber die anderen?« unterbrach ihn ungeduldig der Alte.

»Wer die anderen waren?« wiederholte lächelnd der kleine Friedensrichter. »Die Blüte des Staates, der Stolz und Schmuck unseres und des benachbarten County, lauter wackere Farmer, wie berittene Nimrode, mit ihren Büchsen und Hunden. Apropos, Draper, habt Ihr den Wolfshund noch, den Ihr von Hilbert damals kauftet? Das war ein famoses Poppy, muß einmal ein prächtiger Hund werden!«

»Waren die Männer auf der Jagd?« mischte sich Hennigs jetzt in das Gespräch.

»Jagd? ja«, sagte der Kleine, »aber ganz besondere Jagd – Hochwild – Menschenfleisch!«

»Menschenfleisch!« riefen die Frauen entsetzt.

»Erschrecken Sie nicht, meine Damen, es war weiter nichts als ein weggelaufener Nigger«, lächelte der gemütliche Friedensrichter, »vielleicht haben sie ihn jetzt schon und bringen ihn dann gleich mit her.«

Keiner im Haus antwortete ihm auch nur eine Silbe darauf, und der Geschwätzige fuhr plaudernd fort: »Wallis hat, wie Sie vielleicht wissen, neulich einmal einen seiner Neger exemplarisch abstrafen müssen, der Strick war am lieben Sonntag mit seinen ganz neu gekauften Sachen, wie er selber sagte, in den Fluß gefallen...«

»Großer, allmächtiger Gott! Deshalb hat er ihn gezüchtigt? Das ist die Ursache gewesen?« schrie Draper entsetzt.

Pitt sah ihn erstaunt an. »Nun«, sagte er, »das wäre allerdings eine Ursache gewesen, ihn zu strafen, und er hat auch wohl seine Tracht Schläge deshalb bekommen. Von der Strafe aber, von der ich spreche, war es nur ein entfernterer Grund, denn die Kanaille hatte sich auch noch dabei erkältet und konnte nun ihre Arbeit nicht ordentlich verrichten. Wallis ist ein wenig hitzig, und ich weiß nicht recht, wie alles später gekommen ist; soviel aber ist gewiß, Ben, der Junge, hatte eine trotzige Antwort gegeben und mußte dafür, wie sich das auch von selbst versteht, büßen. Da, denken sie sich nur, überfällt er neulich seinen eigenen Herrn, schlägt ihn mit einem Axtstiel, an dem glücklicherweise die Axt fehlte, zu Boden und – entflieht. Aber weit wird er nicht kommen, Hilbert ist ihm heute nachmittag hier ganz in der Nähe begegnet, hatte aber unglücklicherweise seine Hunde nicht bei sich und verlor, nicht weit von dem HurricaneHurricane werden in den westlichen Wäldern auch die durch einen Hurrikan oder Orkan niedergeworfenen Waldstrecken genannt, die oft, besonders wenn sie erst einige Jahre gelegen haben, wirklich undurchdringliche Dickichte bilden. , seine Fährte. Gleich darauf traf er übrigens die zur Verfolgung des Niggers ausgezogenen Männer, und nun wollen sie, da sie noch mehr Hunde mitbrachten, den Hurricane ordentlich abtreiben und nachher hierherkommen und hier übernachten. Sie blieben vielleicht im Wald, es sieht aber heut abend wie Regen aus, und da ist's doch besser, sie suchen Dach und Fach. – Aber, Ladies, Sie lassen mich die Unterhaltung ganz allein führen, es spricht ja keine von Ihnen auch nur ein Wort.«

»Wir müssen ans Abendessen denken, Sir«, sagte die Matrone, »wenn wir so viele Gäste bekommen, so werden sie für die anderen Unbequemlichkeiten, denen sie ausgesetzt sind, doch wenigstens etwas Warmes zu essen haben wollen; bis wann können sie wohl hier sein?«

»Wird nicht mehr so lange dauern, gar nicht mehr so lange dauern«, sagte der Kleine und zog die Augenbrauen bedeutsam in die Höhe, »in höchstens drei Viertelstunden können sie alles abgesucht haben; der Hurricane ist nicht so übermäßig groß und die Hunde, die sie mit sich führen, sind vortrefflich. Die Mutter von Eurem Wolfshund ist auch dabei, Draper. Übrigens kann es auch sein, sie finden den Burschen gleich, und dann halten sie sich weiter gar nicht auf.«

Draper und Hennigs hatten leise einige Worte gewechselt, und der letztere nahm jetzt seinen Stuhl auf und trug ihn an die entgegengesetzte Seite des Kamins, während er zugleich Mr. Pitt bat, ihm dahin zu folgen, damit die Damen nicht so viel in dem Ab- und Anrücken ihrer Kochgerätschaften gehindert würden.

Mr. Pitt folgte sehr eilfertig dem ausgesprochenen Wunsch, ergriff seinen Stuhl an der Lehne und trug ihn weiter herum, faßte sich aber plötzlich erschreckt an die Tasche seines Rocks, fühlte dort etwas und besah dann am hellen Kaminfeuer die gegen dieses ausgestreckte linke Hand.

»Blut!« rief er überrascht und schaute sich nach dem Stuhl um, auf dem er eben gesessen, Mrs. Draper aber sprang schnell hinzu, wischte mit einem alten Tuch die Lehne ab, und sagte mit vor Angst und Bestürzung halberstickter Stimme:

»Ach, seien Sie nicht böse, Mr. Pitt. Lucy – bekam heute so plötzliches Nasenbluten; wir haben die Flecken gar nicht gesehen.«

Hennigs bog sich leise zu Sally hinüber und flüsterte lächelnd:

»Erinnern Sie doch Mutter einmal wieder an das Kapitel von der Notlüge!«

»Oh, bitte sehr, bitte sehr!« rief der artige Friedensrichter. »Hat gar nichts zu sagen, so süßes Blut kann mir nur angenehm sein; bitte, genieren Sie sich nicht. Ich habe selbst ein Taschentuch – es ist ja bloß ein unbedeutender kleiner Flecken. Ich erschrak nur so am Anfang, als ich das Nasse an der Hand fühlte, weil ich glaubte, ich hätte heute beim Reiten eine kleine Tintenflasche zerdrückt, die ich in der Rocktasche trage. Das wäre mir allerdings fatal gewesen, denn für meine hellen Bein... meine hellen Kleider würde eine solche Anfeuchtung von bösen Folgen gewesen sein.«

»Sie haben Tinte bei sich?« rief Hennigs schnell und sprang in der Erregung des Augenblicks von seinem Stuhl, auf den er sich eben wieder niedergelassen, empor.

»Ich? Allerdings; befremdet Sie das? Ja, hier im Wald ist Tinte allerdings ein seltener Gegenstand, ich bin deshalb auch genötigt, sie überall mitzuführen, denn komm ich einmal in ein Haus und muß etwas schreiben, so kann ich mich fest darauf verlassen, daß erstens keine Tinte in fünf Meilen im Umkreis zu bekommen und das einzige Papier der Schmutztitel irgendeines verräucherten Buches ist, der zuerst herausgenommen werden muß. Im allergünstigsten Fall steckt dann noch über dem Kamin ein alter, halbverbrauchter Truthahnflügel, dem eine hineingedorrte Feder durch Gemeinkraft sämtlicher Familienmitglieder entzogen und mit dem Jagdmesser des Mannes oder gar der Schere der Frau notdürftig geschnitten wird, und dann ist das Schreibzeug fertig. Nein, darauf kann ich mich nicht einlassen, ich muß mein ›Handwerkszeug‹ besser in Ordnung haben, und da trag ich deren immer eine kleine steinerne Kruke mit Tinte sowie etwas Papier und einige Federn bei mir.«

Hennigs war indessen einige Mal schnell im Zimmer auf- und abgegangen und blieb plötzlich neben dem Stuhl des Redseligen, der in allem Eifer das Fläschchen hervorgeholt hatte, stehen.

»Mein bester Herr«, sagte er, freundlich dabei die Hand auf dessen Schulter legend, »da könnten Sie der Mrs. Draper einen recht großen und vielleicht einen doppelten Gefallen tun!«

»Wer? Ich?« rief Mr. Pitt, sich schnell nach der erwähnten Dame umdrehend. »Mit dem größten Vergnügen. Was ist es? Was steht zu Diensten?«

»Die Damen wünschten gern eine Abschrift des kleinen, von Ihnen gedichteten geistlichen Liedes zu besitzen, das Sie neulich bei Mapels vortrugen, und sie haben mich schon heute nachmittag darum ersucht, weil ich ihnen vor einiger Zeit einen Vers desselben aus dem Kopf zitierte. Da wir uns aber hier in derselben Lage befinden wie die übrigen Ansiedlungen, nämlich ohne jegliches Schreibmaterial, so möchte ich Sie jetzt im Namen der Damen nicht allein um etwas Papier und Tinte bitten, sondern auch noch den Wunsch daranknüpfen, mir die Verse langsam vorzusagen, daß ich sie gleich auf der Stelle nachschreiben könnte.«

»Meine Damen, Sie beschämen mich wirklich durch die freundliche Nachsicht, mit der sie meine armseligen poetischen Versuche beehrt haben!« schmunzelte der kleine Mann, während er in größter Geschäftigkeit seine Taschen auskramte und in wenigen Sekunden eine große Brieftafel, ein kleines Pennal und die eben wieder zurückgeschobene Tintenflasche zum Vorschein brachte, was er alles auf den Tisch stellte und dann seinen Stuhl neben denselben rückte, das Licht mit den Fingern putzte, seine Brille abwischte und jede Vorbereitung traf, um das gewünschte Gedicht augenblicklich selbst niederzuschreiben. Daran hinderte ihn aber Hennigs, indem er wie scherzend das Pennal an sich nahm und dem Richter versicherte, er würde unter keiner Bedingung zugeben, daß er selbst seine überdies schon so schwachen Augen bei dem düsteren Schein des flackernden Talglichts anstrenge. »Nein«, fuhr er in seinen Einwendungen fort, »lassen sie mich einmal meine, wenn auch von der Führung der Axt etwas steifen, Finger mit der Feder versuchen, es wird schon gehen, und sie setzen sich mir gegenüber an den Tisch, dann haben die Damen auch noch den Genuß des Vortrags und brauchen nicht müßig zuzusehen.«

Mrs. Draper war hinter den Friedensrichter getreten und hielt die zusammengefalteten Hände fest, fest auf das Herz gepreßt, als ob sie die Angst, die ihr die Brust zu zersprengen drohte, da bannen und zurückdrängen wollte. Lucy hielt seine Stuhllehne gefaßt und blickte starr und mit halbgeöffneten Lippen, aber leichenbleichen Wangen und glanzlosen Augen nach dem Geliebten hinüber, und nur Sally, das sonst so muntere, leichtsinnige Mädchen, hatte die fürchterliche Entscheidung des Augenblicks nicht ertragen können und war hinaus vor die Tür gegangen, wo sie den Kopf in der Schürze barg und sich dort recht nach Herzenslust ausweinte.

Hennigs dagegen schien ganz ruhig und unbefangen, plauderte mit dem Friedensrichter – während dieser ein reines Blatt Papier vorsuchte und aus dem Pennal eine geschnittene Feder nahm – lauter tolles Zeug, erzählte ihm, wie sie in Louisiana immer auf Magnolienblätter geschrieben und in Tennessee Tinte aus Pulver und Indigo gemacht hätten, legte dann, als er auch die letzten Bedenklichkeiten des so geschmeichelten Dichters überwunden hatte, der nur immer noch selber zu schreiben wünschte, das weiße Blatt vor sich hin, sah nach dem Spalt der Feder, feuchtere diese einmal im Mund an und sagte, sich behaglich auf den Stuhl zurechtrückend:

»So, jetzt bin ich fertig; nun schießen Sie los!«

Draper lehnte am Kamin, und der starke Mann zitterte vor innerer Aufregung so gewaltig, daß die lockeren Dielen unter ihm erbebten; nur Hennigs blieb ruhig und gleichmütig und lächelte sogar still und heimlich vor sich nieder, als der Friedensrichter, wohlbehaglich im Stuhl zurückgelehnt, die Hände vor sich auf dem Tisch gefaltet, die Brille in die Höhe auf die Stirn geschoben und die kleinen runden Augen andächtig der Decke und einer Anzahl dort aufgehängter geräucherter Hirschkeulen zugekehrt, mit monotoner, singender Stimme begann:

»Oh süßer Herr Jesus, oh, komm doch zu mir,
Verzeih mir, oh Herr, meine Sünden!«

»Halt! Nur nicht so schnell«, bat Hennigs, »ich komme ja sonst nicht mit. – Verzeih mir...«

»...oh Herr, meine Sünden!«

Draper trat hinter Hennigs Stuhl und las, was dieser schrieb. Auf dem Papier stand:

»Der Träger dieses, Scipio...

»Also weiter – ich hab es.«

»Und laß mich, Lamm Gottes, beim Vater und Dir
Erbarmen und Sühnigung finden.«

Hennigs schrieb weiter: »... geht mit meinem Wissen und Willen zu seinen Eltern...«

»Haben Sie: Sühnigung finden?« fragte der Friedensrichter, schob sich die Brille herunter und blickte nach dem jungen Mann hinüber.

»Gleich, gleich – Sühnigung finden – so, nur weiter.«

»Ich bin zwar, oh Heiland, ich muß es gestehn,
Dein schlechtester, niedrigster Knecht...«

deklamierte Mr. Pitt, warf einen freundlichen Blick nach der über ihn hingebeugten Mrs. Draper hinauf, seufzte einmal tief auf und wiederholte:

»Dein schlechtester, niedrigster Knecht...«

»... nach Illinois und hat von mir dazu vier Wochen Erlaubnis...«, schrieb Hennigs.

»Haben Sie das?« fragte wieder der Richter.

»Ja – Erlaubnis...«

»Wie?« sagte Mr. Pitt und blickte zu ihm auf.

»Oh, nichts«, erwiderte schnell gefaßt der junge Mann, »es hatte sich ein Haar in die Feder geklemmt; also Knecht!«

»Ja – warten Sie einmal, nun bin ich herausgekommen, – schlechtester, sündigster Knecht«, murmelte er vor sich hin, »ach ja, jetzt hab ich's:

Doch hast Du ja auch meine Reue gesehn,
So weise mich, Herr, denn zurecht!«

»...weise mich, Herr, denn zurecht!« wiederholte Hennigs und beendete indessen den Paß Benjamins mit dem Wort »erhalten«, setzte den fingierten Namen Peter Rollins mit dem gestrigen Datum darunter und faltete das Papier zusammen.

»Halt, ich bin noch nicht fertig!« rief der würdige Friedensrichter aus, dem diese Bewegung nicht entgangen war, »das sind nur die zwei ersten Strophen; nun kommen fünf in einem andern Rhythmus und dann wieder drei Schlußverse. Schreiben Sie also weiter:

Ich will Dir, Du treuer Hirte
Ein getreues Schaf auch sein,
Führe denn mich, heil'ger Vater,
In den ew'gen Schafstall ein.
Und wenn mir..

Aber Sie schreiben ja gar nicht?«

»Nur die beiden ersten Verse fehlten Ihnen, nicht wahr, Mrs. Draper?« sagte Hennigs und stand von seinem Stuhl auf.

»Ja, Sir, es waren nur die beiden«, stammelte die Matrone, und sie wußte jetzt, daß Hennigs' Auge fest auf ihr haftete; das Blut strömte ihr quellend in Stirn und Schläfe, und der Atem verging ihr fast vor Angst um den Unglücklichen, vor Scham über die ausgesprochene Lüge.

»Also die anderen Verse haben Sie? Nun warten Sie, ich sage sie Ihnen noch einmal vor, dann können Sie, wenn etwas daran nicht richtig sein sollte, es ändern. Zeigen Sie mir nur erst einmal, was sie geschrieben haben«, und er streckte seinen Arm nach dem Papier aus, das Hennigs mit auf den Tisch gestützter Hand locker zwischen den Fingern hielt.

Dieser aber schien es gar nicht zu bemerken; mit vorgebeugtem Körper, starr und regungslos, stand er da, die linke Hand lauschend hinter das Ohr gehalten. Er horchte einem entfernten Geräusch und hatte für den Augenblick seine ganze Umgebung vergessen.

Mr. Pitt nahm indessen das Papier herüber, öffnete es, schob sich die Brille wieder nieder und schien dann erst das sonderbare Benehmen des jungen Mannes zu bemerken.

Die Bewohner der Hütte standen entsetzt; warf der Friedensrichter nur einen Blick in die Zeilen, die er geöffnet in der Hand hielt, so waren sie entdeckt.

»Hennigs!« rief der alte Mann und faßte seinen Arm.

»Mr. Hennigs!« sagte Pitt und hielt das Innere der Linken gegen das Licht, um, von diesem nicht geblendet, ihn besser betrachten zu können. Das rief den Träumenden aber mit Gedankenschnelle in seine Umgebung zurück; er blickte den Fremden an, sah den Paß in dessen Hand und riß ihn mit keckem Griff aus seinen Fingern.

»Mr. Hennigs!« rief überrascht der Richter.

»Ich muß tausendmal um Verzeihung bitten, Sir«, entschuldigte sich jener, verlegen lächelnd, »doch das, was ich hier geschrieben habe, dürfen Sie wahrhaftig nicht lesen, es ist zu schlecht. Sie haben zu schnell gesprochen, und ich mußte mich beeilen; warten Sie noch wenige Minuten, und ich will es ins Reine schreiben, nachher mögen Sie sich überzeugen, daß auch ein Backwoodsman manchmal keine so üble Feder führt und den Schulmeister nicht braucht, wenn er jemandem einen Brief schicken will.«

»Was hatten Sie denn aber eben? Sie starrten ja vor sich nieder, als ob sie einen Geist sähen«, fragte dadurch beruhigt Mr. Pitt.

»Oh, nichts, wenigstens nichts von Bedeutung«, erwiderte jener, »mir war es nur, als ob ich irgendein fremdartiges Geräusch vernahm, und ich konnte nicht recht herausbekommen, was es war. Halt – da wieder; hören Sie nichts?«

Draper sprang an die Tür und riß sie auf, und deutlich drang jetzt der Ruf von fernen Stimmen an ihr Ohr, als ob Leute über einen Fluß hinüber die Fähre anriefen:

»Das sind sie«, sagte der Kleine, sprang auf und griff nach dem an der Wand hängenden Blechrohr, das in fast allen amerikanischen Blockhütten dazu benutzt wird, die Arbeiter zum Essen aus dem vielleicht weit entfernten Feld zu rufen. Die Töne dieses langen, geraden Horns schallen ungemein weit, und man kann sie mit günstigen Wind, und besonders über das Wasser hin, oft meilenweit hören.

Mr. Pitt schloß nun auch ganz richtig, daß die Jäger, von der Dunkelheit überrascht, die einzeln und mitten im Wald liegende Hütte nicht hatten finden können und nun durch ihr Rufen die Aufmerksamkeit der Bewohner zu erwecken gedachten, damit diese durch irgendein Zeichen, durch einen abgefeuerten Schuß oder den Ton eben eines solchen Horns ihren Aufenthalt verrieten. Er nahm denn auch ohne weitere Umstände das Instrument vom Nagel, trat in die Tür und ließ nun nach jener Richtung hin so durchdringende, klagende Laute ertönen, daß die Hunde mit kurzem Gebell zuerst eine Art Protest gegen solche Musik einzulegen schienen, dann aber, vielleicht durch das Weiche der Melodie gerührt, ein so fürchterliches wehmütiges, markzerschneidendes Geheul ausstießen, daß Mr. Pitt erschreckt mitten in seinem Blasen einhielt, den Bestien einen Augenblick zuhörte und dann kopfschüttelnd sagte:

»Ist nun einem lebendigen Christenmenschen schon so etwas in seinem ganzen Leben vorgekommen?« Nichtsdestoweniger setzte er seine musikalischen Übungen fort, und Hunde und Friedensrichter vereinigten sich jetzt zu einem so ohrenzerreißenden Konzert, daß der Wald ordentlich lebendig zu werden schien und von dem sämtlichen zahmen Hausvieh – als da waren: drei Ferkel und etwa ein halbes Dutzend Hühner – die ersteren ihr Lager mieden und grunzend, die Seiten aneinandergedrückt, herbeiliefen, und die anderen mit den Flügeln schlugen und nicht übel Lust zu haben schienen, eine so unruhige Nachbarschaft zu verlassen.

»Hier ist der Paß«, rief Hennigs jetzt schnell und drückte das Papier dem alten Draper in die Hand.

»Der Träger dieses Scipio, geht mit meinem Wissen und Willen zu seinen Eltern nach Illinois, und hat von mir dazu vier Woche Erlaubnis erhalten.

Peter Rollins.

»Wer ihn anhält und nicht persönlich kennt, wird ihm kein Hindernis weiter in den Weg legen; doch muß er noch in dieser Nacht fort.«

»Aber wie? Der Richter steht in der Tür, und in wenigen Minuten haben wir das Haus so voll Menschen, daß ein Entrinnen für ihn zur Unmöglichkeit wird.«

»Auch dazu wird Rat werden; geben sie ihm nur einen alten Rock und eine Mütze – schnell! – Der Richter hat aufgehört zu blasen, ich will ihn zu mir hinausrufen. Wenn ich den Eulenruf nachahme, muß Ben rasch hinausgleiten; er soll dann zu mir hinter das Haus kommen; ruhig jetzt, er dreht sich wieder um.«

Mr. Pitt hatte allerdings seine Lungen pausieren lassen und die Bearbeitung des Instruments eingestellt, keineswegs waren aber die Hunde gesonnen, sich so schnell und plötzlich über das Gehörte zufriedenzugeben. Ein junges Tier, und zwar eben der schon früher erwähnte junge Wolfshund, heulte Sopran und schien den Ton anzugeben, denn nach jedesmaliger kurzer Pause fiel er stets zuerst wieder ein, und ihm folgte augenblicklich ein alter blinder Schweißhund in E-Moll, wonach dann die übrige Schar, als ob sie nur auf das Angeben der Tonart gewartet hätte, im wilden, disharmonischen Chor einfiel und nicht eher aufhörte, als bis auch der letzte Vorrat von Luft aus Lunge und Kehle erschöpft war.

Mr. Pitt versuchte nun zwar sein Bestes, um sie zur Ruhe zu bringen, schimpfte, drohte und warf sogar einzelne Späne und Holzstücke, die vor der offenen Tür lagen; das hatte aber weiter nichts zur Folge, als daß sie jetzt sämtlich gegen ihn Front machten, und zwar die Köpfe seitwärts zugedreht, um jedem etwa nach ihnen geschleuderten Wurfgeschoß schnell genug ausweichen zu können, sonst aber fuhren sie in ihren entsetzlichen Akkorden ruhig fort.

»Laßt's gut sein, Sir«, tröstete ihn jetzt Hennigs, als der kleine Friedensrichter halb lachend, halb ärgerlich wieder in der Tür erschien, »ich will sie schon zum Schweigen bringen.«

»Ruhig, ihr Bestien!« schrie er dann mit Donnerstimme, als er eben vor das Haus getreten war. »Ruhig, oder ich drehe euch die Hälse um!« Und eine dort lehnende Stange ergreifend, fuhr er mit so gutgemeinten und links und rechts ausgeteilten Schlägen zwischen sie hinein, daß sie nach allen Seiten auseinanderstoben und sich winselnd teils in den Wipfeln der umhergestreuten Bäume, teils unter dem Haus verkrochen. Hennigs aber blieb jetzt einen Augenblick auf die Stange gestützt und wie in tiefen Gedanken stehen; da schreckten ihn der näher und näher kommende Lärm der Jäger, das entfernte Bellen von Hunden aus seinem Sinnen empor. Er warf den Blick schnell umher, ergriff den noch neben dem Haus liegenden Sattel und Zaum, trug beides hinter dasselbe und rief nun mit leisem Pfiff sein gehorsames Pony herbei.

»Nun, Madam, werden Sie gleich Einquartierung bekommen«, sagte der Friedensrichter, während er sich schmunzelnd die Hände rieb und zum Feuer trat, an dem Lucy und Sally jetzt eifrig beschäftigt waren, die verschiedenen, schnell hinzugerückten Lebensmittel zu verteilen. »Es wird freilich knapp hergehen hier in dem engen Zimmerchen, man kann sich das aber alles einteilen. Lieber Gott, in Arkansas lagen wir einmal zu siebzehnt in einem Raum, der, wenn nicht noch kleiner, auf jeden Fall keinen Zollbreit größer war als dieser hier. Draper macht wohl schon sein Lager da zwischen den Betten zurecht? Ja, ja, werden jedes Eckchen und Winkelchen benutzen müssen, die Burschen sind wie das wilde Heer. Ob sie nur den Neger haben? Hoffentlich doch. Hol der Henker eine solche schwarze Bestie – schlägt ihren eigenen Herrn! Wenn da nicht einmal ein Exempel statuiert wird, dann wäre man ja seines Lebens selbst nicht mehr sicher und müßte sich wahrhaftig fürchten, die eigenen Dienstboten zu züchtigen. Wie ich gehört habe, wollen sie zusammenlegen und den Eigentümer wenigstens in etwas schadlos halten.«

Mr. Pitt hatte sich jetzt wieder halb dem Feuer und halb Mrs. Draper zugekehrt, und diese hielt ihre Augen auch fest auf die seinigen gerichtet; aber kein Wort vernahm sie von alldem, was er ihr mit so bedeutender Zungengeläufigkeit erzählte, ihr Ohr lauschte dem Rauschen der Kleidungsstücke, dem unterdrückten Flüstern ihres Mannes, und sie sah jetzt plötzlich, wie sich die Gestalt des jungen Sklaven leise und vorsichtig emporhob.

»Weiß nur der liebe Gott, wo die Männer so lange bleiben!« unterbrach sich jetzt selbst der kleine Mann, indem er einen Schritt vom Kamin zurücktrat und nach der Tür sah. »Mr. Hennigs kommt auch nicht wieder, der ist ihnen wahrscheinlich entgegen; wo ist denn Mr. Draper?«

»Hier, Sir«, antwortete dieser und trat einen Schritt vor. Dicht hinter ihm stand der Neger, und die geringste Bewegung hätte ihn dem Friedensrichter verraten; die nächste Minute mußte überhaupt das Schicksal des Verfolgten entscheiden.

Da schlugen wiederum die Hunde an; es waren die Jäger, die ebenfalls, wie vor ihnen Hennigs und Pitt, durch den ziemlich begangenen Pfad herbeigelockt, an der Grenze der niedergeworfenen Bäume hielten und das Haus anriefen. – Mr. Pitt wollte in die Tür treten; geschah das, so wurde es zu einer Unmöglichkeit, den Neger hinauszulassen, und er war dann rettungslos verloren.

Draußen ließ sich der klagende Ruf einer Eule hören.

»Bester Mr. Pitt«, rief da Lucy plötzlich, »dürft ich Sie wohl einmal bitten, mir den schweren eisernen Topf hier auf die Kohlen zu heben. Ich kann ihn wahrlich nicht regieren, und unsere Gäste kommen schon.«

»Oh, mit dem größten Vergnügen, mein Fräulein!« rief der bereitwillige Friedensrichter und sprang schnell hinzu, lehnte sich mit dem linken Arm gegen den über den Kamin hinlaufenden Querbalken und griff mit der Rechten in die von Lucy schnell in den Henkeln des Gefäßes befestigten Topfhaken.

»Sehen sie, mein Fräulein, das ist gar nicht so schwer, allerdings etwas zu massiv für eine Dame, aber.. Doch, wo wollen Sie ihn denn hinhaben? Auf die brennenden Scheite? Die müßten wohl erst ein wenig zusammengeschoben werden.«

»Ach, bitte, bester Mr. Pitt, halten sie ihn nur zwei Sekunden, die Klötze haben sich verschoben, warten Sie, ich richte sie gleich zurecht.«

Lucy rückte mit dem Schüreisen die im Kamin liegenden Brände, und Friedensrichter Pitt hielt indessen, dicht über die Glut gebeugt, den schweren Topf, daß sich ihm das Antlitz immer roter färbte und der Schweiß in großen Tropfen auf seine Stirn trat.

Hinter seinem Rücken glitt eine in einen braunen Überrock gehüllte Gestalt, den schwarzen Filz tief in die Augen gedrückt, zur Tür hinaus, strich um die nächste, der, wo sich die Hunde befanden, entgegengesetzte Ecke und verschwand in der Finsternis hinter dem Gebäude. Draper folgte ihr hinaus vor die Tür.

»So, Sir, jetzt nur dahin; ah, das ist recht, es ist Ihnen wohl sehr sauer geworden?« sagte mit mitleidigem Ton das schöne Mädchen, und es war ihr in diesem Augenblick, als ob sich eine Zentnerlast von ihrer Brust wälze.

»O bewahre, bewahre«, erwiderte der galante Richter und benutzte augenblicklich die nun freigewordenen Hände, um sein Taschentuch hervorzuholen und sich die tropfende Stirn damit abzutrocknen, »nicht mehr als gern geschehen, das Feuer meint's übrigens gut – blitzmäßig heiß. – Wo bleiben denn aber nur die Jäger? – Aha, können auch nicht durch die Baumwildnis vor dem Haus, das geschieht ihnen recht, warum reiten sie nicht herum, bis sie einen Eingang finden; habe mir auch meinen Weg suchen müssen.«

Draper stand indessen vor der Tür seiner Wohnung und starrte in die dunkle Nacht hinein; von drüben her schallten die Stimmen seiner Nachbarn, die fluchend und lachend herüberschrien, daß er ihnen den geheimen Pfad zum warmen Herd zeigen möchte, und hinter dem Haus raschelte es in den Zweigen, und er vernahm leises Flüstern. Schnell schritt er diesem zu. Hennigs stand vor dem Neger, der seine Hand erfaßt hatte und sie trotz dem Sträuben des jungen Mannes inbrünstig an die Lippen drückte. Der arme Knabe konnte vor Schluchzen kaum reden und wollte sich immer wieder zu Füßen seines Retters niederwerfen.

»Unsinn«, sagte dieser und schob ihn von sich, »mach jetzt schnell, daß du fortkommst, sonst wird's zu spät; meine Adresse hast du, das Pferd schickst du mir nach St. Louis zurück.«

»Euer Pferd?« fragte Draper schnell.

»Er kann nicht anders fort«, flüsterte jener. »Doch nun schnell, sonst wird's beim ewigen Gott zu spät! Kannst du reiten?«

»Den wildesten Hengst, der je einen Reiter abwarf«, lautete die Antwort.

»Desto besser, du hast's vielleicht nötig, aber – schone mir das kleine Tier, wenn's irgend geht. Es ist ein so gutes Pony wie nur eins in den Staaten und – mein einziges. Aber, alle Teufel, da kommen die Reiter herum. Pest und Gift, wir haben so lange gezögert, bis sie uns auf dem Kragen sitzen! Was nun tun? Willst du jetzt fort, so müssen sie dir begegnen; der einzige Ausweg hier ist kaum dreißig Schritt breit.«

Der Neger stand wenige Sekunden lauschend still, doch das immer näher kommende Galoppieren der Hufe ließ keinen Zweifel mehr übrig; was geschehen sollte, mußte schnell geschehen, und mit kühnem Sprung schwang sich der Sohn Afrikas in den Sattel, winkte noch einmal mit der Hand und preßte die Flanken des kleinen, ungeduldig stampfenden Ponys. Im nächsten Augenblick überflog es einen vor ihm liegenden umgestürzten Futtertrog und wollte eben in den schmalen Pfad einlenken, der von hier aus allein durch das Gewirr von Ästen und Zweigen führte, als von dorther ein lauter Jubelruf drang und gleich darauf ein in ein helles Jagdhemd gekleideter Reiter erschien.

»Hurra! Hier ist der Weg!« schrie dieser. »Kommt an, Hilbert, im Haus ist licht, und da vorn seh ich auch Gestalten, auf jeden Fall finden wir eine trockene Stube und ein loderndes Feuer. Wer zuerst am Kamin ist, bekommt den besten Platz.«

Benjamin erkannte mit Entsetzen die Stimme seines Herrn, das Blut erstarrte ihm in den Adern, doch hier galt es Entschlossenheit, das Leben stand auf dem Spiel. Mit Blitzesschnelle glitt er aus dem Sattel, warf sich den Zaum über den Arm und schritt zurück, dem Haus wieder zu.

»Halt da!« schrie der voransprengende Wallis. »Hier, Bursche, hörst du nicht? Nimm mein Pferd auch mit, reib es tüchtig ab und gib ihm genug Mais, die Tiere sind alle todmüde; leg aber auch die Sättel ins Haus!«

Und er schwang sich vom Rücken seines schnaubenden, schäumenden Rappen, überließ den Zügel dem Schwarzen, ohne diesen weiter eines Blicks zu würdigen, und eilte dann mit flüchtigen Sätzen der Tür zu, denn der bis jetzt drohend bedeckte Himmel fing an, in großen Tropfen die Boten eines nahenden Unwetters niederzusenden.

»Gerade zu rechter Zeit, wie abgemessen!« rief er, als er das schützende Dach über sich sah. »Guten Abend, Ladies und Gentlemen, müssen tausendmal um Entschuldigung bitten, es kommt aber eine ganze Jagdgesellschaft, und die Not zwingt uns, Ihre Gastfreundschaft in Anspruch zu nehmen.«

Draußen sprengten die Reiter vor das Haus und hingen die Zäume ihrer Tiere an einzelne Äste und schwankende Zweige der umhergestreuten Bäume, während sie vergebens nach dem Neger schrien, um die Pferde zu versorgen und zu füttern.

»Gentlemen«, sagte Draper, der in diesem Augenblick in die Tür trat und seine Gäste bewillkommte, »Sie rufen nach einem Neger, ich muß aber sehr bedauern, daß ich keinen habe, deshalb soll jedoch Ihren Pferden nichts abgehen, ich werde sie selbst versorgen.«

»Ich habe doch mein Tier eben einem Neger übergeben!« rief Wallis.

»Das war ich!« lachte Hennigs, der jetzt ebenfalls ins Trockene trat. »Ich merkte wohl, daß Ihr mich für einen Nigger hieltet.«

»Oh, bitte tausendmal um Vergebung, Sir«, sagte der Farmer und trat, ihm die Hand entgegenstreckend, auf ihn zu, »es fing gerade an zu regnen, und ich sah gar nicht ordentlich zu, dachte wahrhaftig, es wäre so ein schwarzer Halunke gewesen. Seid übrigens froh, Draper, daß Ihr keinen habt, nichts als Sorge und Not mit den Bestien. Ah, guten Abend, Richter, wie geht's? Wohin? Zur Betversammlung? Das ist recht; es ist ein Glück für das Land, wenn die, die mit der Polizei desselben beauftragt sind, auch ihren Gott darüber nicht vergessen. Ein frommer Richter ist stets ein gerechter Richter. Ich würde auch mitgehen, aber leider hält mich diesmal die Verfolgung eines nichtsnutzen Buben ab, den ich erst seiner gerechten Strafe übergeben muß.«

Der Eintritt der übrigen unterbrach hier den Redner, und es war für den Augenblick ein allgemeines Begrüßen, Entschuldigen, Einanderausweichen und Stühlerücken, bis endlich, nach mancher Platzveränderung lebendiger wie lebloser Gegenstände, eine Anzahl von Personen in dem engen Raum nicht allein untergebracht, sondern auch verhältnismäßig bequem plaziert war, von der sich nur der einen richtigen Begriff machen kann, der einmal selbst in einem solchen Haus gelebt hat und Zeuge gewesen ist, wie in einem Raum von ›zwanzig bei zwanzig‹ – das heißt: zwanzig Fuß lang und zwanzig breit – zwei bis drei Familien mit einer unbestimmten Anzahl von Kindern imstande sind, zu wohnen, zu kochen und zu schlafen.

Hennigs und Draper hingen sich nun, als sie das Innere des Hauses ein wenig geordnet hatten, ihre alten wollenen Jagddecken über und eilten schnell hinaus, um die Pferde der Jäger zuerst in einem gemeinsamen Trog zu füttern und sie dann, da von einem Stall oder Schuppen auch keine Spur in der Nähe war, für die Nacht ihrem Schicksal zu überlassen.

Der Sturm zog indes herauf und rauschte und tobte in den alten, weitgespreizten Wipfeln der mächtigen Bäume; von Süd und Westen kam er zusammen und schleuderte seine gewitterschwangeren Hilfstruppen, die flüchtigen dunklen Wolkenmassen, mit starken Fäusten gegeneinander, daß sie sich, grollend und tobend, mit den zuckenden Glutlanzen die weiten, giftgeschwollenen Bäuche durchstießen und nun in tollen Schauern ihre Ströme auf die Erde hinabfluteten. Die Tiere des Waldes suchten ihre versteckten Lager, die Eule selbst barg sich in der sicheren Höhlung und verschob den Raub auf eine günstigere Zeit. Nur der Wolf, der immer gefräßige, zog mit seiner wilden Schar lauernd und geräuschlos unter den niederkrachenden Ästen hin, schnuppernd dabei die Nase erhoben, um den Schlupfwinkel irgendeines scheuen Wildes zu erspähen. Dann und wann aber, wenn ein lauterer Schlag als gewöhnlich den Wald durchdröhnte und das Echo aus den fernen Bergen klagend und grollend antwortete, dann stellte sich wohl der Führer des Rudels, hob den langen, spitzen Kopf zu den jagenden, über ihn dahinstiebenden Wolken empor und heulte seine klagende Weise hinein in den Aufruhr der Elemente, daß sich der unter das sichere Farmhaus gedrückte Hund unruhig hob, knurrend einen Augenblick den bekannten gehaßten Tönen lauschte und sich dann mit halbunterdrücktem Bellen wieder fester und wärmer zusammenrundete als vorher.

Die Männer im Innern der Hütte ließen aber den Sturm Sturm sein; das war ein alter Bekannter von ihnen, und das Niederrasseln einzelner Äste, ja oft ganzer Stämme, das Heulen wilder Bestien und das Rasen der Windsbraut, sie hatten es schon zu oft gehört. Ein loderndes Feuer, ein warmes Abendessen und gute Gesellschaft ließ sie bald alles vergessen, was um und über ihnen vorging.

Hennigs war besonders ausgelassen lustig, und wenn auch Wallis und Pitt am Anfang nicht so recht mit einstimmen wollten in seine Fröhlichkeit, so riß sie der unverwüstliche Humor des jungen Mannes doch zuletzt ebenfalls mit fort. Massen von alten Jagdgeschichten und Anekdoten wurden erzählt, Szenen aus dem Revolutionskrieg wieder aufgefrischt, da Pitt behauptete, die Schlacht von New Orleans mitgemacht und hinter den Baumwollballen damals mit vorgeschossen zu haben; und es mochte zehn Uhr sein – eine für den Backwoodsman ungemein späte Stunde – als die Männer erst das Lager suchten, um sich für die Strapazen des morgigen Tages zu stärken und zu kräftigen.

Die Nacht ging es mit dem Lagerraum allerdings eng genug her, doch wußten die Jäger bald Rat; seine wollene Decke hatte ein jeder mit. Einige derselben wurden deshalb vor dem Feuer hingelegt, auf denen dann sämtliche Gäste in langer Reihe Platz nahmen, und über diese wieder breitete nun ihr Wirt alles, was er nur an breitbaren Gegenständen irgend vorrätig fand. Ein gutes Feuer wurde dabei ebenfalls die Nacht über im Kamin unterhalten, und die Männer lagen – wie es sich nur ein Jäger wünschen kann – warm und trocken.

Der nächste Morgen fand übrigens die letztgekommenen am frühesten zum Aufbruch fertig; Wallis war schon draußen gewesen, um nach den Pferden zu sehen, als der anbrechende Tag kaum seine ersten bleichen Strahlen von Osten heraufsandte, und die übrigen fachten indessen das fast niedergebrannte Feuer wieder an, füllten den großen blechernen Kaffeetopf mit Wasser und bereiteten alles zu einem äußerst frühen Aufbruch vor.

Nur Hennigs, sonst immer der erste, zögerte an diesem Morgen; an den Kaminsims gelehnt, stand er und starrte gedankenlos nach Mr. Pitt hinüber, der, noch der einzige Schlafende, in einer Ecke sein besonderes, mit einem Unterbett versehenes Lager gefunden hatte. Hilbert und Wallis, deren Tiere indessen schon wieder gesattelt vor der Tür standen, kamen jetzt herein, um das von der Frauen schnell bereitete Frühstück einzunehmen.

»Nun, Hennigs«, sagte der erste, als er seine am Feuer aufgehängten Leggins anzog und mit dem einen hart gewordenen eben wieder zur Tür zurückschritt, um ihn auszureiben, »Ihr seit ja heute morgen verdammt bequem; Euer armes Pony steht da draußen, kaut an den Ästen herum und scheint unmenschlichen Hunger zu haben.«

»Mein Pony?«, sagte Hennigs halb verwundert, halb ungläubig und hob den Blick zu ihm auf

»Nun ja, das dort drüben gehört doch Euch, wie? So eine kleine rauhaarige Bestie gibt's ja weiter gar nicht am ganzen Missouri!«

Hennigs war mit einem Satz neben ihm und blickte hinaus; wer aber beschriebe seine freudige Überraschung, als er dort, mitten zwischen Drapers Pferden, die durch das Unwetter heimgetrieben waren, sein eigenes liebes kleines Pony erkannte, an das er den ganzen Morgen mit einem recht wehmütigen Gefühl gedacht und jetzt schon viele, viele Meilen von da entfernt, todmüde durch den anstrengenden Ritt eines Verzweifelten, vermutet hatte. War denn Benjamin zu Fuß fort? So töricht konnte er doch nicht gewesen sein.

»Wie ist denn Pitt eigentlich hierhergekommen?« fragte Hilbert in diesem Augenblick und überzählte leise murmelnd die Pferde, die fast sämtlich in verschiedenen Gruppen vor dem Haus standen.

»Auf seinem Fuchs«, sagte Hennigs schnell und blickte forschend nach dem eben genannten Tier umher.

»Auf dem Goldfuchs?«

»Ja, aber ich sehe ihn nicht.

»Der ist auch nicht hier«, meinte Hilbert, »am Haus wenigstens nicht, denn ich bin seit länger als einer Stunde auf und fast die ganze Zeit draußen gewesen.«

Mrs. Draper rief in diesem Augenblick zum Frühstück, und Mr. Pitt rutschte schnell unter den ihn bis jetzt noch immer verhüllenden Pferdedecken hervor, zog seinen Rock an und trat hinaus vor die Tür, um dort in einem großen blechernen Waschbecken Gesicht und Hände zu baden. Die Jäger aber ließen sich indessen nicht besonders nötigen, sie langten wacker zu, beendeten schnell ihr Mahl und griffen dann ohne weiteres Zögern nach ihren Büchsen, um die gestern aufgegebene Hetze – eine nun allerdings hoffnungslose Arbeit – wieder zu beginnen. Beim Essen schon hatten sie den Plan verabredet, wie sie jetzt am besten des flüchtigen Negers habhaft würden, der ihnen, wie sie äußerten, nach solch furchtbarem Wetter und in dem Zustand, in welchem er sich befand, gar nicht mehr entgehen konnte. Wie Draper jetzt vernahm, so waren auch schon am Missouri selbst alle Farmer, die Boote im Fluß hatten, von der Flucht des Sklaven in Kenntnis gesetzt und bereit, ihn aufzufangen. Ihre Absicht, was mit dem Unglücklichen geschehen solle, wenn sie ihn ergriffen, äußerten sie ebenfalls unverhohlen: Er hatte sich an einem Weißen vergriffen, und der Tod war dafür sein Los. Der Friedensrichter stimmte ihnen auch darin vollkommen bei und versprach sogar, den nötigen Bericht darüber an den Gouverneur des Staates zu machen, um von dort her wenigstens einen Teil des Schadens für den Eigentümer vergütet zu bekommen. Fünf Minuten später waren die Männer beritten, riefen noch Dank- und Abschiedswort von den Pferden herunter ihren freundlichen Wirten zu und sprengten dann, Wallis und Hilbert ausgenommen, in zwei Abteilungen rechts und links ab, dem Missouri zu. Die beiden Letztgenannten aber bildeten mit den besten Hunden der Gesellschaft das Zentrum dieser Kette, die also langsam und vorsichtig noch einmal den ganzen Wald durchsuchte, wo sie den Flüchtling vermuten mußten und auf diese Art hofften, ihn entweder aus seinem Lager auf- oder doch den am Fluß hin postierten Helfern in die Hände zu treiben.

Draper sah ihnen lächelnd nach und murmelte, als sie hinter den Büschen der Niederung verschwanden, leise vor sich hin:

»Geht nur, geht, ihr wackeren Männer, hetzt eure Hunde und Pferde ab, um einen Menschen zu jagen; den aber, den ihr sucht, bringt ihr mir nicht mehr zurück. Hat er Glück, so kann er jetzt schon bald in Illinois sein. Und Mr. Peter Rollins mag ihm dort durchhelfen.«

Zu seinem keineswegs freudigen Erstaunen entdeckte übrigens Mr. Pitt nach eingenommenem Frühstück die Abwesenheit seines Pferdes, die er sich gar nicht erklären konnte, da das Tier sonst noch nie in der Nacht den Trog verlassen hatte, an dem es gefüttert worden, und das Fortlaufen eines Pferdes in solchem Wetter doppelt unwahrscheinlich wurde, wo im Gegenteil alles zahme Vieh gern die Nähe menschlicher Wohnungen aufsucht. Hier half aber weiter kein Besinnen, und er mußte, wollte er die Betversammlung heute nicht versäumen, Mr. Drapers Vorschlag annehmen, der ihm eins seiner Pferde zum Gebrauch überließ und den Goldfuchs zu suchen versprach, sobald er selbst zurückkehren würde. Die beiden Männer ritten auch zusammen voraus, und nur Hennigs blieb bei den Damen zurück, um diese, die erst noch manches zu ordnen wünschten, später zu begleiten.

Kaum schlossen sich nun die Büsche hinter dem Friedensrichter und seinem Gefährten, als sich der junge Farmer, der ihr Fortreiten durch eine Spalte der Hütte beobachtete, mit triumphierendem Blick gegen die Matrone wandte. Die arme Frau hatte aber nur mit fürchterlichster Kraftanstrengung bis dahin, und so lange die Fremden zugegen gewesen, ihre äußere Unbefangenheit und Ruhe behaupten können, jetzt, da der Zwang aufhörte, ließen auch ihre Kräfte nach, und das Antlitz in den Händen bergend sank sie zitternd auf einen Stuhl nieder und schluchzte laut.

»Mutter!« riefen die beiden Mädchen und sprangen an ihre Seite. »Liebste, beste Mutter!«

»Mrs. Draper«, bat Hennigs, »beruhigen Sie sich doch; schmerzt es Sie denn, daß Sie ein Menschenleben gerettet haben?«

Die Matrone bedurfte einiger Zeit, ehe sie sich wieder sammeln konnte; endlich blickt sie mit den tränenden Augen zu dem jungen Mann auf und sagte leise:

»Sie haben mich hart gestraft, Hennigs, ich werde gewiß in recht, recht langer Zeit nicht den gestrigen Abend vergessen; habe ich aber gefehlt, so mag mir Gott die Sünde vergeben, ich konnte nicht anders. Ach, unser Herz ist ja so schwach und weiß wohl oft selbst nicht, wo es irrt und wo es recht handelt. – Wie ist der arme Junge entkommen, und ist er überhaupt gerettet?«

»Er hat Pitts Pferd mitgenommen«, lachte Hennigs, »dem ›Niggerfresser‹ kann das übrigens nichts schaden. Ben muß gestern abend doch natürlich alles mit angehört haben, was er über ihn und seine Rasse sagte, und da verdenk ich's ihm gar nicht, daß er sich ein bißchen an ihm gerächt hat.«

»Oh, das tut mir sehr leid, das tut mir sehr leid!« seufzte die Matrone. »Hätten Sie das nur verhindern können; ich würde ihm ja so gern eins unserer besten Pferde überlassen haben.«

Hennigs schwieg und sah vor sich nieder, jetzt nahm aber Lucy das Wort und rief:

»Er hat's verhindern wollen, Mutter, er hatte ihm schon sein eigenes, einziges Pony gegeben, ich weiß es, aber die Ankunft der Fremden trieb den Flüchtling wieder zurück. Erst später, als alle hier im Haus waren, muß der Negerknabe zurückgekommen sein, um noch einmal mit Lebensgefahr das Pferd seines Retters gegen das seines Feindes umzutauschen.«

Hennigs reichte ihr die Hand hinüber und flüsterte: »Ich danke Ihnen für das freundliche Wort, Lucy; jener Neger scheint aber in der Tat Rücksicht auf mein Eigentum genommen zu haben; er ließ sogar meinen Sattel zurück, den er durch darüber hingelegte Bretter vor dem nächtlichen Regen schützte, während er sich selbst mit der schlechtesten alten Satteldecke begnügte, die er in der Geschwindigkeit finden konnte.«

»Wird er aber entkommen?« fragte Sally ängstlich.

»Den sehen wir nicht wieder«, lachte der junge Farmer, »seine Verfolger glauben ihn nördlich, weil er auch zu Fuß und ohne Paß gar nicht anders hätte fliehen können, er ist aber jetzt in anderer als der in der Zeitung beschriebenen Kleidung, beritten und mit einem guten Paß, östlich, gerade dem Mississippi zu geflohen. In St. Louis wird er sich übersetzen lassen, und einmal in Illinois, droht ihm, unter diesen Verhältnissen, keine Gefahr weiter. Der Goldfuchs ist ohnehin ein Prachtpferd und muß ihn bald seinem Ziel entgegentragen.«

»Und Kanada liefert ihn nicht wieder aus?«

»Nein, wahrlich nicht; einmal dort, bringt ihn ganz Amerika nicht wieder in Banden. Aber wollen wir nicht aufbrechen?«

»Ach Mr. Hennigs, werde ich dem Prediger frei ins Auge sehen können?« sagte Mrs. Draper seufzend.

»Frei und klar!« rief der junge Mann. »Wie Sie Ihr Auge zu dem heute eben so rein auf uns niederlächelnden Himmel heben können. Wir haben zwar alle gegen die Gesetze des Staates, aber, wie ich fest überzeugt bin, nicht gegen die Gesetze Gottes gehandelt, und die einzige Bedenklichkeit, die ich jetzt bei der ganzen Geschichte habe, ist die, daß wir nicht entdeckt werden. Doch auch das hat keine Gefahr, und so wollen wir uns die schöne Zeit nicht selbst mit unnützer Sorge und Not verderben. – Ist denn Lucy jetzt mit mir zufrieden?« flüsterte er dann und bog sich leise zu dem schönen Mädchen nieder.

»Sie sind ein guter Mensch!« sagte die Jungfrau und reichte ihm errötend die kleine Rechte.

 

Acht Wochen mochten nach den oben beschriebenen Vorfällen entschwunden sein, der junge Hennigs hatte um Drapers ältestes Töchterlein angehalten und dieses auch, da in dem schönen Land der Freiheit die Herzen, die sich lieben, nicht erst eine hohe Polizei zu fragen brauchen, ob sie auch einander angehören dürfen, als sein braves Weib in die selbstgegründete Heimat geführt. Um aber nicht so weit entfernt von den Schwiegereltern zu wohnen, waren die beiden Männer übereingekommen, das einmal von Draper durch seine erste Niederlassung in Beschlag genommene Land gemeinschaftlich anzubauen, und die schweren Äxte der wackeren Hinterwäldler hatten sich denn auch schon recht tief und erfolgreich in den stillen Frieden des Waldes hineingearbeitet. Mit Hilfe des Feuers, das die niedergeworfenen Riesenstämme verzehren mußte, dehnte sich ein recht stattliches Feld zwischen den beiden einander gegenüberstehenden Blockhütten aus, und von den Nachbarn angekauftes Vieh teilte der kleinen Farm jene eigentümliche, gemütliche Lebendigkeit mit, ohne die selbst die bedeutendste Niederlassung doch nur eine Einöde sein würde. Da hielt eines Sonntagmorgens, gerade als sich die kleine Familie um den reinlich gedeckten Tisch gesetzt hatte, auf dem saftiges Hirschfleisch, braungebackenes Maisbrot und die dampfende Kaffeekanne zum leckeren Mahl einluden, ein Reiter vor der Tür der Hütte – und beide Männer sprangen gleich schnell und erstaunt von ihren Sitzen auf, denn kein anderer war es, als Squire Pitt auf – seinem Goldfuchs.

Er wurde augenblicklich hereingenötigt und sollte nun schnell erzählen, wo er das Pferd wiederbekommen habe, das seit jenem stürmischen Abend nirgends wieder gesehen worden war. Pitt aber, der schon mehrere Stunden geritten war und nicht unbedeutenden Hunger verspüren mochte, wollte sich auf keine Erläuterungen einlassen, ehe nicht das Tischtuch abgeräumt war; ein Stuhl wurde ihm also rasch herbeigerückt, und unser Friedensrichter ließ denn auch der Kochkunst der jungen Frau alle nur mögliche Gerechtigkeit widerfahren. Dann erst, als das Geschirr beseitigt und der Tisch zurückgeschoben worden, löste sich seine Zunge, und halb in Entrüstung über die Frechheit des Erlebten, halb aber auch froh darüber, sein vortreffliches Pferd, und noch dazu in so gutem Zustand, wiedererhalten zu haben, teilte er jetzt den ihm aufmerksam Zuhörenden mit, auf welch wunderliche Art er wieder zu seinem Eigentum gekommen sei.

»Denken Sie nur, Ladies«, erzählte er, »gestern abend sitze ich ruhig in meinem Zimmer und bin entsetzlich müde, denn ich hatte mich den ganzen Tag im Sattel herumgetrieben, da knurrt auf einmal mein kleiner Feist, der bei mir im Haus schläft, und ehe ich nur aufstehen kann, tritt auch schon, wer anders als der Postmeister vom nächsten Städtchen drüben, zu mir herein. Erst glaubte ich, er käme aus der westlichen Ansiedlung und wollte nach Hause reiten. Aber Gott bewahre – er sagt, er bringe mir etwas, faßt mich beim Arm, führt mich vor die Tür und zeigt mir – meinen eigenen Fuchs, der leibhaftig vor mir steht und mich anwiehert. Ladies, es ist zwar nur ein Vieh, aber ich fiel ihm vor lauter Freude um den Hals und wollte eben anfangen, zu fragen, wem in aller Welt ich das Wiedererlangen meines Eigentums verdanke, als er mir einen Brief übergab und mir sagte, ein Mulatte hätte das Pferd da nach St. Louis gebracht, dort sich nach unserem Postoffice erkundigt und dann einen Boten gemietet, der beides – Pferd und Brief – in unsere Ansiedlung brachte. Das war nun schon an und für sich merkwürdig, das Merkwürdigste aber ist der Brief.«

»Von wem?« riefen alle zugleich.

»Ja, das raten Sie einmal!« sagte der Kleine, indem er beide Arme vor sich auf die Stuhllehne stemmte und ein verzweifelt geheimnisvolles Gesicht machte. »Aber geben Sie sich nur keine Mühe, sie raten es im Leben nicht; denke sie nur, von Ben, dem von Wallis entflohenen Nigger!«

»Konnte denn der schreiben?« fragte Draper ungläubig.

»Nein, das konnte er allerdings nicht«, sagte der Friedensrichter, »er hat auch nur sein Zeichen, eine Art Kreuz, daruntergemacht, das ist aber einerlei, ein anderer Nigger hat's für ihn von Kanada aus geschrieben.«

»Von Kanada aus?«

»Ja, von Kanada; die Bestie ist glücklich, Gott nur weiß freilich, auf welche Art, nach Kanada entkommen; das ist aber ein neuer Beweis, wie wir den Engländern sobald als möglich ein Land abnehmen müssen, das uns erstlich nach der ganzen Natur der Sache angehört und durch das die Bürger der Vereinigten Staaten schon so unendlichen Schaden erlitten haben.«

»Aber was steht in dem Brief?« fragte Sally neugierig.

»Der ist ›kurz und süß‹, wie die Yankees sagen«, brummte der Friedensrichter, »noch dazu von einem verwünschten Nigger selbst geschrieben, der sich einen ›freien kanadischen Bürger‹ nennt und mich – Wenn ich die Kanaille nur hier hätte! – herzlich grüßen läßt.«

»Nun, das ist doch freundschaftlich«, lachte Hennigs.

»Freundschaftlich? Der schwarze Lump nennt mich sogar sein ›liebstes, bestes Pittchen‹ und bittet mich, ich möchte ihn, wenn ich einmal nach Toronto käme, doch auf jeden Fall besuchen.«

»Aber Ben? Was schreibt Ihnen denn Ben, bester Mr. Pitt!« bat Sally.

»Ei nun, daß er an dem Abend meinem Pferd im Wald begegnet und überzeugt gewesen sei, ich würde mir ein Vergnügen daraus machen, es ihm auf wenige Wochen zu überlassen – der Schuft! – Er kenne mein gutes Herz, sagt er, und wünsche mir nur die Verwirklichung des Segens, den die Neger meiner Nachbarschaft schon seit Jahren auf mich herabgefleht hätten; als ob ich nicht wüßte, daß mich die schwarzen Halunken alle wie die Pest hassen.«

»Und das Pferd?«

»Hat er, Gott weiß, durch welche Gelegenheit, nach St. Louis gesandt; es wundert mich übrigens doch, daß ein Nigger ein gestohlenes Pferd zurückschickt.«

»Und sollte es unter den Negern nicht auch brave, ehrliche Leute geben?« fragte Mrs. Draper vorwurfsvoll.

»Hm, ja, Madam mögen da nicht ganz unrecht haben«, sagte der kleine Friedensrichter und machte sich fertig, nach Hause zurückzukehren, »das eine Beispiel spricht wenigstens dafür; doch, ich weiß nicht, es ärgert mich auch wieder, daß uns der schwarze Schuft so zum Narren gehalten hat. Nun, ich will jetzt einmal zu Wallis hinüber und den von der glücklichen Flucht seines Sklaven in Kenntnis setzen. Wird sich auch unmenschlich darüber freuen, ist ein reiner Verlust für ihn von achthundert Dollar.«

Der kleine Friedensrichter bestieg seinen schönen Goldfuchs, den er von diesem Augenblick an Ben nannte, und ritt zum ›Squire Wallis‹ ins nächste County. – Den aber sollte er nicht mehr unter den Lebenden antreffen. Ein von ihm mißhandelter Mulatte hatte in Rache und Wut eine Spitzhacke ergriffen und diese seinem Master in die Schulter gehauen; eine Stunde später war er tot. Der Mulatte floh nun zwar nach der Tat dem Missouri zu und wollte diesen durchschwimmen, konnte aber der reißenden Strömung desselben nicht widerstehen und sank in demselben Augenblick unter, als seine Verfolger das Ufer erreicht hatten und eben noch sahen, wie sich die Flut über ihm schloß.

Das alles schien übrigens einen höchst wohltätigen Einfluß auf den Richter Pitt ausgeübt zu haben, er behandelte von da an seine Neger viel besser und freundlicher, und diese nannten ihn nicht einmal mehr den ›Negerfresser‹.


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