Friedrich Gerstäcker
Der tote Zimmermann
Friedrich Gerstäcker

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Im Westen von Yorkshire, tief im Innern des Landes und von der großen Heerstraße selbst ziemlich abgelegen – denn Eisenbahnen gab es damals noch nicht in dem jetzt von ihnen nach allen Richtungen hin durchschnittenen England – lag ein altes, wohl nicht gerade schon verfallenes, jedoch baufällig genug aussehendes Gebäude. Vor der Reformation hatte es zu einem Kloster gedient, von den Rundköpfen aber genommen und eine Zeit lang zu einer Art Kaserne benutzt, war es später durch Kauf an eine alte katholische Familie übergegangen, die allerdings kein Kloster wieder daraus machen konnte und wollte, aber doch auch soviel als möglich das alte Schloß von den Entweihungen zu befreien suchte, die ein fanatischer Pöbel damals, in der festen Überzeugung, dem lieben Gott damit einen ungemein großen Gefallen zu tun, ausgeübt hatte.

Die Klosterkirche oder Kapelle, von der die wütenden Reformatoren wenig mehr als die Gewölbe hatten stehen lassen – und diese ebenfalls nur aus dem Grunde, weil sie sie nicht einreißen konnten –, wurde wieder so weit hergestellt, daß sie den Namen eines »anständigen Gotteshauses« verdiente – wie es die Pastoren und Priester gewöhnlich nennen, wenn die Kirche ländlich und die Pfarrwohnung behaglich eingerichtet ist. Die hohen gewölbten Fenster, aus denen die wilden Soldaten all die zierlichen Steinhauereien, die gotischen Arabesken, Kreuze und Heiligenbilder, mit größter Sorgfalt herausgeschlagen hatten, wurden frisch, aber einfach umgemauert und mit neuen Fenstern versehen – die Zellen der Mönche dagegen, die eben den Hauptteil der Kaserne gebildet hatten, ließ der Eigentümer niederreißen und den Platz zu Wirtschaftsgebäuden benutzen. Er war bis auf das Refektorium mit der innern Einrichtung fertig geworden, als er plötzlich starb und sein ganzes Vermögen und Grundeigentum, was sich meist auf dies alte Kloster und die dazu gehörigen Ländereien beschränkte, seiner einzigen Erbin, einer Stiefschwester und alten Jungfer, hinterließ, die ihm bis dahin, mit Hilfe ihrer fast ebenso alten Dienstmagd, die Wirtschaft geführt hatte.

Diese verpachtete bald darauf das Gut an einen Fremden, einen Protestanten, der die Felder und sonstigen Wirtschaftsgebäude in vortrefflichen Stand brachte, sich aber dafür den Henker um die neu eingerichtete Kapelle kümmerte, und lieber zwei volle englische Meilen zu der dort errichteten protestantischen Kirche ritt, als daß er sich der kleinen Gemeinde in der alten Klosterkapelle angeschlossen hätte.

Die Dienstleute, fast lauter Katholiken, die mit dem früheren Besitzer gekommen oder sich später, aus protestantischen Umgebungen, hierher gezogen hatten, schüttelten darüber freilich mit dem Kopf und meinten, der alte Herr müsse sich im Grabe umdrehen, wenn er sähe, wie all seine Mühe und Arbeit nun so vergebens gewesen wäre und protestantische – und man könnte ebensogut sagen heidnische – Hände auf seinem Grund und Boden wirtschafteten. Die Schwester aber war ein viel zu vernünftiges Frauenzimmer, sich an solche Reden und Ideen zu kehren. Sie wußte recht gut, daß sie leben mußte und da sie natürlich nicht selber mehr Landwirtschaft treiben und Felder bebauen konnte, so verstand es sich von selbst, daß sie einen Pächter dazu nahm. Ob der nun später, wenn er einmal starb, in den Himmel und Abrahams Schoß, oder an einen Ort kam, dessen eine gute Christin nur mit innerem Schauder gedenken konnte, ging sie auf der Welt nichts an. Sobald der Mann nur, solange er ihr Gut bewirtschaftete, seinen Zins ordentlich bezahlte, konnte ihr das übrige gleichgültig sein.

Ich erwähne dies aber nur hier deshalb, um eben zu rechtfertigen, daß sie von den noch streng katholischen Untersassen des kleinen Gebiets mit nichts weniger als günstigen Augen betrachtet wurde. Diese schüttelten auch sehr häufig die Köpfe und meinten, das könne nun und nimmermehr zu einem guten Ende führen.

»Das Fräulein«, wie sie übrigens allgemein von der Nachbarschaft zum Unterschied von anderen Fräulein genannt wurde, die gewöhnlich noch ihren Geschlechtsnamen dabei gesetzt bekamen, bewohnte mit ihrer alten Dorothea die Zimmer des früheren Abtes, die danach von einigen Offizieren der Rundköpfe benutzt, später, nachdem sie anständig hergerichtet worden, von ihrem Bruder in Besitz genommen, und dadurch die noch am besten erhaltenen Gemächer des ganzen Hauses waren.

Gleich an diese stieß das alte Refektorium des Klosters, und dieses hatte ihr Bruder wollen mit mehreren Abteilungen durchschneiden und dadurch in kleinere Gemächer die zu verschiedenen Zwecken benutzt werden konnten, verwandeln lassen. Hierbei aber vom unerbittlichen Tod überrascht, war alles in dem großen Saale, wie es die Arbeiter eben verlassen, stehen und liegen geblieben, und es sah fast unheimlich aus, wenn man, aus dem Wohnzimmer tretend, die Tür öffnete und dann in den weiten, alten, grau düstern Saal hineinschaute, wo die Mauersteine neben den noch halb vergoldeten und mit Zieraten geschmückten, halb von profanen Händen abgekratzten und beklexten Wänden aufgeschichtet oder unordentlich umhergestreut lagen; wo hier ein Balken über einem Heiligenbild, dem die Rundköpfe das früher glorienumstrahlte Angesicht schwarz übermalt hatten, in der Ecke lehnte, dort eine Leiter aus der Kreuzigung Christi an der Hinterwand ordentlich herausgefallen schien, während die Bilder selbst, beschmutzt und mit groben Pinselstrichen überschmiert, gar traurig und betrübt nur hier und da noch einen Arm oder ein Bein vorstreckten.

Der alte Herr hatte diese Kleinigkeiten eben gelassen, weil er einen Totalumbau des ganzen Saales beabsichtigte, und dann wären die Wände ja doch von neuem wieder mit Kalk beworfen und übermalt worden.

Das alles beschloß »das Fräulein« abändern zu lassen, und zwar nicht allein des Saales und des dadurch verlorenen Raumes wegen, – lieber Gott, sie brauchte mit ihrer alten Magd sehr wenig Platz, und hätte den recht gut entbehren können, ohne sich auch nur im mindesten einzuschränken, – aber es war schon ein häßliches, ich möchte fast sagen unheimliches Gefühl, wenn sie in ihrem Zimmer, das dicht daran stieß, saß und sich nur durch die schwere eichene Tür von dem wüsten Bauplatz mit seinen entweihten und geschändeten Bildern und dunkeln Ecken und Schutthaufen getrennt wußte. Und abends hätte sie manchmal darauf schwören wollen – wenn sie das überhaupt je getan –, daß sie Schritte und Geflüster in dem Saale gehört habe. Dorothea war leider halb taub und konnte nicht gut zum Zeugen aufgerufen werden; aber selbst die Köchin, ein junges leichtfertiges Ding zwar, und sonst gerade in keiner großen Achtung bei ihrer Herrin, wurde, als man sie später danach fragte, ganz verlegen und versicherte dem Fräulein, sie wolle es nur gestehen, sie hätte etwas ganz Ähnliches in dem alten Saale auch schon gehört, und sie möchte ihm nicht, mit seinen verunstalteten und mißhandelten Heiligenbildern, abends nach Dunkelwerden zu nahe kommen – nicht um alles Geld in Yorkshire.

Arbeiter mußten deshalb her, um den Teil des Saales, der ihrer Zimmertür zunächst lag, aufzuräumen und eine Mauer quer durch die obere Abteilung zu führen. Hierdurch wurde nicht allein die weite Räumlichkeit gebrochen, sondern auch noch eine prächtige und luftige Speisekammer gewonnen, die nur noch einer Decke bedurfte, um benutzt werden zu können und das Wohnzimmer des Fräuleins von ihrer früheren unheimlichen Nachbarschaft vollkommen abzuschneiden.

Diese Decke, die aus etwa zehn Fuß von der Erde eingemauerten Balken bestand, und nur einzig und allein noch mit Planken übernagelt zu werden brauchte, hatte ein unten im Ort wohnender Zimmermann, ein Irländer, zu vollenden übernommen, und mit einigem Fleiß würde er auch imstande gewesen sein, in nur wenigen Tagen seinen Akkord zu erfüllen. Patrick O'Flannagan hatte aber, obgleich sonst eine seelensgute Haut, einen einzigen Fehler, der aber manche seiner guten Eigenschaften wieder nicht allein verdunkelte, sondern total in den Schatten drängte. – Er trank nämlich, und wenn ich sage trinken, so meine ich nicht etwa unschuldiges Quellwasser, sondern echten irischen Whisky, schon aus Nationalgefühl, und von diesem solche Quantitäten, daß man es recht gut trinken nennen konnte.

Die Beendigung der Speisekammer verzögerte sich deshalb von Tag zu Tag, und obgleich das Fräulein Patrick O'Flannagan immer drängte sie zu beendigen, oder ihr wenigstens einen Tag zu sagen, an dem er sie fest und bestimmt beendigt haben würde, – denn wenn Patrick erst einmal sein Wort gegeben hatte, konnte man Häuser daraus bauen, wie vielmehr denn Speisekammern – wich Patrick dem doch immer so geschickt aus, wie es wirklich nur ein Irländer unter solchen Umständen imstande ist. Er versprach allerdings, sie »in den nächsten Tagen« fertig zu machen, hing aber so viele Wenn und Aber und Bedingungen von »mit des Herrn Gnade das Leben behalten« und »gesund bleiben« etc. etc. an, daß man schon von vornherein wissen konnte, der liebe Gott würde gar nicht imstande sein, all die Bedingungen, die Patrick stellte, zu erfüllen, und der Erfolg lehrte auch, daß es gewöhnlich so herauskam.

Nun muß ich den Leser aber vorher noch mit Patricks Privatverhältnissen etwas näher, und sei es nur durch wenige Worte, bekannt machen.

Patrick O'Flannagan wohnte am äußersten Ende des kleinen Ortes, wohl zweihundert Schritt von den letzten Häusern entfernt, auf einem kleinen Stück »Bog« oder Sumpf, das er sich zum Andenken an seine traute »Smaragdeninsel«, wie ja das alte grüne Irland von seinen poetischen Söhnen genannt wird, ganz besonders ausgesucht und von dem früheren Eigentümer des Grundstücks, der viel auf ihn hielt, noch kurz vor dessen Tode erb- und eigentümlich bekommen hatte. Dort hauste er ganz allein mit seiner alten Mutter und einem jüngeren Bruder, und mied nicht allein die übrigen Dorfbewohner, sondern wurde auch von ihnen gemieden, denn Patrick gehörte zu jener Partei der irischen Nation, die sich dem Protestantismus zugewandt und die wunderliche Idee gefaßt hatte, daß sie auch ohne die Gebete ihrer bisherigen Patres einen Eingang in den Himmel finden könnten.

Es tut mir aber leid, hier gleich bemerken zu müssen, daß sich Patrick in der Tat ebensowenig um den Protestantismus bekümmerte, wie er sich früher um den Katholizismus bekümmert hatte. – Alles, woran ihm hier auf Erden gelegen schien, war, seinen eigenen Leichnam, soviel das nur irgend in seinen Kräften stand, zu pflegen und sich solange als möglich »im Leben zu erhalten«. Da er nun, wie er häufig äußerte, »mit sehr wenig Arbeit auskommen konnte«, hütete er sich wohl, seine Kräfte übermäßig anzustrengen, und waren Kartoffeln und Whisky genug im Haus, dann hätte ich den Christenmenschen sehen mögen, der Patrick aus seinen eigenen vier Pfählen gebracht hätte. Solange noch eine dieser »irischen Zitronen« (wie die Kartoffeln dort auch häufig scherzhafterweise genannt werden) oder ein Tropfen des »Bergtaues« (der edlere Name für Whisky) im Hause waren, rührte und regte er sich nicht, und erst wenn diese Vorräte zur Neige gingen, dachte er auf neue Arbeit und damit neue »Provisionen«.

Patrick war übrigens außerdem ein ungemein drolliger Kauz und wußte die komischsten Geschichten von der Welt mit einem Humor zu erzählen, in dem er von wenigen anderen Menschen und von keinem auf zehn Meilen in der Runde übertroffen wurde. Da er sich auch noch außerdem als ein vortrefflicher und wackerer Sohn bewies und es seiner alten Mutter, die er zu sich genommen hatte, an nichts fehlen ließ, so war ihm das Fräulein und besonders Dorothea, was fast noch mehr sagen wollte, sehr gewogen. Sie wollten es ihm deshalb auch nicht gern zuleide tun, einen andern Arbeiter zur Beendigung der Speisekammer anzunehmen, obgleich ein nüchterner und rechtschaffener Zimmermann – noch dazu ein Katholik – nur wenige Meilen von dem Gut entfernt wohnte und seine Dienste auch schon mehrmals selber angeboten und durch andere hatte anbieten lassen.

Endlich aber konnte es das Fräulein nicht länger aushalten; sie war es müde geworden, immer und immer nur anzutreiben und sich die Vollendung der Arbeit aufs Ungewisse hinaus versprechen zu lassen. Sie schickte also an einem Dienstag Morgen – denn Montags war es immer nur eine höchst ungewisse Sache mit Patrick – den Kutscher, einen jungen rüstigen Burschen, der die zwei Pferde zu besorgen, die alte Kutsche in Stand zu halten und nebenbei noch den kleinen Garten zu bestellen hatte, nach Patrick O'Flannagans Wohnung hinüber und ließ ihm sagen, er möchte augenblicklich einmal aufs »Kloster« (wie das Herrenhaus immer noch aus alter Gewohnheit genannt wurde) heraufkommen, weil das Fräulein etwas sehr Wichtiges mit ihm zu besprechen habe.

Solchen Ruf versäumte Patrick nie, denn er bekam dort nicht allein stets eine ganze Portion gute Ermahnungen, sondern zuletzt, wenn man ihn zu Worte kommen ließ und er ein paar von seinen Schwänken einschieben konnte, auch stets einen ausgezeichneten »Bittern«, wie ihn wirklich nur das Fräulein gegen Magenweh und andere häusliche Unfälle aufzusetzen wußte.

Diesmal sollte er aber nicht mit bloßen Ermahnungen und weitläufigen Versprechungen davonkommen; das Fräulein blieb selbst gegen seine Beteuerungen unempfindlich und erklärte ihm rundheraus, daß es heute das letztemal sei, wo sie über die Beendigung dieser Arbeit spräche.

»Schämt Euch, Patrick!« sagte sie zuletzt, »schämt Euch in Eure Seele hinein, mich hier, die ich es immer so gut mit Euch gemeint habe, um ein klein Stück Arbeit, das Ihr, wenn Ihr nur wolltet, in einem einzigen Tage vollenden könntet, so viel zu quälen und zu ärgern, und so lange warten zu lassen, obgleich Ihr wißt, daß ich die ganze Arbeit, wo es mich nur ein Wort kostete, um denselben Preis bis morgen abend getan kriegen könnte. Ich habe Euch also nun zum letztenmal rufen lassen und verlange von Euch zu wissen, ob Ihr die Arbeit bis spätestens heute über acht Tage wollt getan haben oder nicht, und ich gebe Euch mein Wort, daß, falls Ihr es nicht tut, morgen über acht Tage Meister Sharpsaw, den ich nicht zweimal dazu aufzufordern brauche, dabei ist, und dann sind wir beide geschiedene Leute.«

So ernsthaft hatte das Fräulein noch nie mit ihm gesprochen, und da nun gar noch Dorothea gerade mit dem bewußten Bittern dazukam, konnte Patrick zwei solchen, von so verschiedenen Seiten und mit so verschiedenen Angriffswaffen geführten Beweisgründen nicht länger widerstehen. Er akzeptierte Ermahnungen wie Bittern und versprach, unter einem ganz besondern Grad von Rührung, dem Fräulein feierlich, daß bis heute über acht Tage abends mit Sonnenuntergang – er behielt sich wohlweislich den letzten Termin offen – ihre Speisekammer gemacht sein solle, und Patrick O'Flannagan wäre der Mann, der sein Versprechen tot oder lebendig hielte.

»Pfui, Patrick,« sagte aber, während Dorothea mit der linken Hand ein andächtiges und zugleich abwehrendes Kreuz schlug, das durch des Mannes endlich gegebenes Wort schon wieder bedeutend milder gestimmte Fräulein, – »pfui, Patrick, wie könnt Ihr nur so häßliche gotteslästerliche Reden führen. Trinkt nicht so viel, und Ihr könnt noch lange leben und manche Arbeit beginnen und fertig machen. Ihr seid aber Euer ärgster Feind mit der Flasche, und wenn Ihr das so fort treibt, möcht' ich Euch allerdings nicht für ein langes Leben gutstehen. – Unmäßigkeit tötet die stärksten Naturen und wird auch die Eurige untergraben. Ja, ich weiß schon,« sagte sie lächelnd, als Patrick eine beteuernde Bewegung machte, »Eure Vorsätze sind immer gut genug, aber ich will nun auch sehen, ob es wahr ist, daß Ihr Euer fest gegebenes Wort wirklich haltet, und bedenkt, daß es sonst das letztemal gewesen ist, daß ich Euch geglaubt habe.«

»Fräulein,« rief Patrick, nachdem er sein bisher still in der Hand gehaltenes Glas auf einen Zug geleert und auf den Tisch geschoben hatte – zugleich wohl darauf achtend, daß es wieder in Dorotheens Nähe und den Bereich der vollen, unter ihren Händen stehenden Flasche kam; – »Fräulein, wenn ich diesmal mein Wort nicht halte, dann sollen die Jungen unten im Dorfe mit Fingern auf mich weisen und mich den Lügner Patrick nennen, nein, noch schlimmer, ich will nicht eher wieder einen Bissen von Ihrem Brot, oder einen« – er hielt hier erst einen Augenblick inne, den ihm von Dorothea freundlichst zum zweitenmal eingeschenkten Bittern zu sich herüberzuziehen und, wie es schien, nur mit einer geschickten Handbewegung zu leeren – »oder einen Tropfen von Ihrem Schnaps trinken,« fuhr er dann beteuernd und sich den Mund wischend fort, »bis ich Ihre Speisekammer fertig gemacht habe, schlechter, elendiger Kerl, der ich bin. Und tot oder lebendig, Fräulein, Sie haben einmal mein Wort, und Patrick O'Flannagan mag sonst sein wie er will, aber sein Wort hält er, darauf können Sie sich verlassen.«

Und damit drückte Patrick seinen alten Hut, den er bis jetzt unter den linken Arm gequetscht gehalten, wieder soviel als möglich in eine halbwege Façon zurück, machte erst gegen das Fräulein und dann gegen Dorothea (Patrick war viel zu sehr Irländer, diese letztere zu versäumen) seine Abschiedsverbeugung und war im nächsten Augenblick durch die nächste Tür verschwunden.

Dorothea aber, als sie Patricks Glas weggenommen und ein etwas kleineres, zierlich geschnittenes dafür auf den Tisch gesetzt hatte, denn das Fräulein mußte nach solcher Aufregung jedenfalls ihren Lebensgeistern ein klein wenig zu Hilfe kommen, schüttelte gar ängstlich und bedenklich mit dem Kopf und meinte, solche gotteslästerliche Reben wie »lebendig oder tot« gefielen ihr nun und nimmermehr. Damit käme nie etwas Gutes zuwege, und es sei ein altes aber gutes Sprichwort, man solle den Teufel nicht an die Wand malen. Der Patrick wäre ein ganz guter Mensch, aber er glaubte an keinen Gott, denn ob er nun Protestant sei oder »gar nichts«, das käme doch auf eins heraus, und sie fürchte, sie fürchte – es passiere noch einmal etwas.

Das Fräulein lächelte aber darüber und versicherte Dorothea, Patrick sei ein ganz guter Mensch und ein noch besserer Sohn, wenn er nur das fatale Trinken wollte sein lassen, und so eine Rede sei, wenn auch gerade nicht in der Ordnung, doch nur so leicht hingeworfen, und der liebe Gott würde es schon nicht so genau damit nehmen. Und damit war die Sache für diesmal abgetan.

Dienstag, Mittwoch und Donnerstag vergingen, ohne daß sich Patrick im Kloster blicken ließ. Das Fräulein schüttelte schon bedenklich den Kopf und machte sich allerlei arge Gedanken über den liederlichen Zimmermann; Dorothea hatte aber von einem der Dorfleute gehört, daß er krank sei, und kam ordentlich ängstlich mit dieser Nachricht zu ihrer Herrin. Das änderte freilich die Sache, und Patrick O'Flannagan war also diesmal außer Schuld.

»Das wußte ich wohl,« sagte Dorothea auch, ihn verteidigend, »wenn Patrick nicht unwohl geworden wäre, hätte er gewiß schon jetzt sein Wort gehalten; er ist wohl ein bißchen ein leichtsinniger junger Mensch« – Patrick war, beiläufig gesagt, achtunddreißig Jahre alt – »aber kein schlechter, und Sie sollen einmal sehen, Fräulein, sowie er nur wieder besser ist, kommt er mit Hobel und Säge angerückt. Dann ist er auch wie der Blitz mit der Arbeit fertig, denn ungemein schnell arbeiten kann der Patrick.«

Die beiden guten alten Seelen beschlossen denn auch, es nicht allein dabei bewenden zu lassen, sondern den Mittag noch wurde eine gute, kräftige Suppe gekocht, und der Kutscher damit betraut, diese dem Kranken hinauszutragen und sich zugleich nach seinem Befinden zu erkundigen.

»Das kommt aber von seinem leichtfertigen, unregelmäßigen Leben,« sagte das Fräulein, als Tommy, der Kutscher, mit dem großen steinernen Henkeltopf, den er vorsichtig in eine Pferdedecke eingeschlagen trug, befördert war, »wenn Patrick das böse, häßliche Trinken lassen wollte, wäre er ein ganz guter, brauchbarer Mensch. Das Trinken wird auch noch sein Tod sein, und er verdiente eigentlich gar nicht, daß man sich so viel Sorge um ihn machte und so viel Mühe mit ihm gebe; was sollte aber nachher aus der armen alten Frau, seiner Mutter, werden? Patrick ist doch ein guter Bursche.«

Es ist sonderbar, daß sich die Frauen so oft für liederliche Menschen interessieren. – Ist einer ordentlich und anständig, nun so versteht sich das von selbst, daß er so ist, und es bekümmert sich niemand um ihn; er tut ja nicht mehr als seine Pflicht und Schuldigkeit, und wer soll ihm das danken? – Die liederlichsten Subjekte dagegen finden beim schönen Geschlecht gerade die regste Teilnahme – an ihnen ist noch etwas zu retten, hier ist noch ein Körper und eine Seele dem zeitlichen und ewigen Verderben zu entreißen, und das milde und weiche Frauenherz fühlt sich besonders dazu hingezogen, ja einen ordentlichen Beruf in dergleichen Aufopferung und Hingebung. Man möchte wahrhaftig manchmal recht aus freien Stücken auch ein liederliches Subjekt werden, nur um schöne liebe Frauenaugen in zarter Sorgfalt um uns betrübt und bemüht zu sehen.

Vor allen Dingen wollen wir aber jetzt erst einmal mit dem Kutscher nach Patricks kleinem Haus gehen und sehen, wie sich unser vermeintlicher Kranker dort befindet.

Patrick O'Flannagan war nämlich nichts weniger als krank, sondern hatte nur ganz unverhofft an demselben Tag, wo er im Schlosse gewesen, von einem der benachbarten Dörfer ein paar Särge bestellt bekommen, die augenblicklich fertig gemacht werden mußten, und dabei so viel Geld verdient, daß er wieder recht gut eine Zeitlang auch ohne Arbeit auskommen konnte. Der nächste Dienstag war noch lange hin, und mit ein paar Bekannten fing Patrick, der sich wieder einen guten Vorrat von Whisky eingelegt hatte, an zu zechen und jubilierte Tag und Nacht fort, daß es eine Freude war. Das Gerücht, daß er krank sei, war auch auf sehr natürliche Art und Weise entstanden. Ein Mann aus dem Dorfe wünschte eine Säge zu borgen, – denn wenn sie nicht etwas von Patrick haben wollten, kam keiner zu ihm hinaus: die alte Mrs. O'Flannagan aber, eine sechsundsiebzigjährige Frau, die nicht gern die Nachbarn wissen lassen wollte, daß ihr Sohn wieder einmal tüchtig angetrunken sei, fertigte ihn an der Tür mit der Antwort ab, Patrick O'Flannagan sei krank und sie könne keins von seinen Handwerkszeugen hergeben.

Als Tommy deshalb mit der Suppe vor dem Haus erschien und Einlaß begehrte, kam die alte Dame zuerst in nicht geringe Verlegenheit. Tommy aber war ein guter Freund Patricks, und besonders was er in der Hand trug und was ihr so süß wie kräftige Fleischbrühe entgegenduftete, keineswegs so vor der Tür abzuweisen wie jemand, der eine Säge borgen wollte, und Tommy durfte eintreten.

»Bei Jesus, Tommy, acushla!« war das erste, was dem erstaunten Tommy der sterbenskrank geglaubte Patrick entgegenjubelte, das zweite aber ein volles Glas kochend heißer und vortrefflich gebrannter Whiskypunsch, den er zu Hause im Kloster nicht einmal zu riechen, viel weniger zu kosten bekam, und Tommy, außerdem kein Kostverächter und ein zu pfiffiger Bursche, um nicht zu wissen, daß Festtag wäre, wenn die Leute in die Kirche gingen, blinzelte mit dem rechten zugekniffenen Auge nach Patrick hinüber, und lieferte mit der einen Hand seine Suppe ab, während er mit der andern das dargereichte Glas annahm und auf einen Zug ausleerte.

»Und die Alte glaubt, Ihr seid sterbenskrank, Patrick,« schmunzelte Tommy, als er nach wirklich nur sehr kurzer Nötigung seinen Platz an dem kleinen Tisch neben den vier anderen schon vorhandenen Zechbrüdern eingenommen.

»Bin ich auch, Tommy – hick!« lallte Patrick, der heute einen fürchterlichen Schluckauf (außer seinem gewöhnlichen Schlucknieder) hatte – »bin ich auch, Tommy, ich habe das – hick – ich habe das hitzige Fieber, Tommy, hick – hick – und ich vertreibe es mir jetzt – hick – homöopathisch, wie die Doktoren sagen – hick – mein Junge!«

»Kurioses Fieber das, Paddy,« sagte Tommy, der schon seinen Hut ablegte und es sich anfing bequem zu machen – »kurioses Fieber – kommt mir vor wie Kalklöschen, Paddy, – je mehr man dazugießt, desto hitziger wird's, Paddy!«

»Und wie geht's denn der Alten im Kloster – hick?« frug Patrick jetzt, die Beine unter und die Arme auf den Tisch gerade vor sich ausstreckend und den Kopf ein ganz klein wenig mit einem recht schlauen Ausdruck in den roten, aufgedunsenen Zügen zur Seite beugend und nach Tom hinüberwinkend. – »He, Tommy! hick – was macht die – hick – hick – was macht die gute alte Seele!«

Patrick entblödete sich nicht, das ehrwürdige alte Fräulein eine ›gute alte Seele‹ zu nennen, und was das Schlimmste dabei war, Tom, der sonst einen unbeschreiblichen Respekt vor seiner Herrin zu haben schien, entsetzte sich nicht im mindesten darüber, sondern ließ sich sogar noch einmal einschenken und trank mit Patrick auf das Wohl dieser ›guten alten Seele‹.

Das alte Fräulein im Schloß und Dorothea, ja selbst die Köchin, gerieten zuletzt, als der abgesandte Tom gar nicht wiederkam, in nicht geringe Besorgnis und wollten schon, wie es gegen Abend ging und selbst mit einbrechender Dämmerung der Bote noch nicht zurück war, einen andern Mann nach Patricks Hütte hinübersenden. Gerade als die drei oben zu solchem Kriegsrat beisammen waren, läutete es unten an der Tür. Das war Tom; Rosy sprang augenblicklich fort, ihm zu öffnen, und stieß ordentlich einen Schrei aus, als sie sein rotes Gesicht und seine starren Augen sah. Tom hatte aber noch gerade Besinnung genug, sich auf keine Erläuterungen einzulassen, ja Rosy wäre vielleicht sogar böse auf ihn geworden, denn er bot ihr nicht einmal auf seine gewöhnliche Art und Weise ›guten Abend‹, hätte er ihr nicht, das Tuch fest vor das Gesicht pressend, zugeflüstert, er fühle sich unwohl und glaube, Patricks Krankheit sei ansteckend gewesen. Dann glitt er ihr unter den Händen weg, in sein Kämmerchen hinein und zu Bett, und als die alte Dorothea nach einiger Zeit unter Zittern und Zagen zu ihm ging und ihm eine Tasse Tee, den sie schnell bereitet hatte, brachte, lag er tief unter seine Bettdecke gedrückt und ließ sie sein Gesicht nicht einmal sehen, so fror ihn – das Bett schüttelte ordentlich.

Glücklicherweise sollten die armen Frauen aber diesmal mit dem bloßen Schreck davonkommen, denn am andern Morgen fühlte sich Tom schon wieder bedeutend besser und konnte sogar gegen zehn Uhr aufstehen und an seine gewöhnlichen Geschäfte gehen.

Das war Freitag – von Patrick hörten sie den ganzen Tag nichts, aber am nächsten Mittag brachte eine Magd von dem Gute mit der gewöhnlichen Butter auch die Nachricht, daß Patrick O'Flannagan vor einer Stunde etwa vom Schlag gerührt und gestorben sei, und daß sie draußen im ›Irischen Haus‹, wie seine kleine Hütte von den Dorfbewohnern gewöhnlich genannt wurde, schon ihre gebräuchlichen Weh- und Leichenklagen hielten.

In der Nachricht lag übrigens nichts Außerordentliches; Patrick war überall als ein starker, ja unmäßiger Trinker bekannt, und daß solche Leute sehr häufig der Schlag rührt, ist nichts Neues. Tom erschrak am meisten darüber, er hatte noch so kürzlich mit dem jetzt Toten einen so fröhlichen Nachmittag verlebt, und wenn er sich auch nicht verhehlen konnte, wie sehr er selber damals über die riesigen Mengen des starken Getränkes, die Patrick in sich hineingeschüttet, erstaunt gewesen sei, so war doch jetzt der Tod gar zu schnell und plötzlich in die Tür getreten, um sein ihm freilich schon längst verfallenes Opfer zu holen.

Für den Toten konnte nun freilich das Fräulein nichts mehr tun, er war Protestant und sie Katholikin – er durfte nicht einmal auf ihrem Kirchhof begraben werden, obgleich sie selber viel zu vernünftig darüber dachte, dagegen irgend eine persönliche Abneigung zu haben. Kaum eine halbe Meile auf der andern Seite des Irischen Hauses war aber eine kleine protestantische Kirche, wohin die alte Mrs. O'Flannagan regelmäßig zur Andacht ging, und dorthin mußte er also auch jedenfalls beigesetzt werden.

Von ihrem Fenster aus konnte sie eben noch das kleine, einsam gelegene Häuschen, gerade an der andern Seite eines niedern Weidendickichts, das zwischen dem Gut und dem Hause lag, sehen, und Sonntag nachmittag wurde der Sarg vom andern Dorfe herübergebracht, die Leiche hineingelegt und noch an demselben Abend zu ihrer letzten, stillen Ruhestätte hinausgetragen.

Das Fräulein und Dorothea standen am Fenster, als die kleine Prozession sichtbar wurde, und Dorothea faltete die Hände und sagte, während eine stille Träne dem guten alten Mädchen in die Augen trat: – »Da tragen sie nun den armen, sonst immer so lustigen und muntern Patrick O'Flannagan auch in die kühle Erde; wie viele Särge hat er für andere Leute gezimmert, und jetzt liegt er selber in solch einem kleinen Bretterhäuschen. – Es ist doch eine schlimme Sache um das Sterben – und seine arme alte Mutter nun –«

»Der soll es, solange sie lebt, an nichts fehlen,« sagte das gute alte Fräulein rasch – »laß nur die ersten Trauertage vorüber sein, Dorothea, nachher magst du selber zu ihr hinübergehen und sie beruhigen, daß sie sich nicht etwa auch noch auf die paar Tage, die sie hier auf Erden zu wandeln hat, Nahrungssorgen macht.«

»Ach, Fräulein!« sagte da plötzlich die alte Dorothea und trocknete sich die Augen, wobei sie sich wohl absichtlich etwas von ihrer Herrin abwandte – »ich bin vielleicht recht kindisch, aber ich wollte doch, Patrick hätte das letztemal, als er hier in diesem gesegneten Zimmer war, nicht gesagt, er würde die Speisekammer da drin lebendig oder tot bis Dienstag fertig machen, das war doch eigentlich recht sündhaft gesprochen, und wenn ihn der Himmel nur nicht dafür gestraft hat.«

Aufrichtig gesagt, hatte das Fräulein schon denselben Gedanken gehabt, natürlich wollte sie sich aber von ihrer Magd nicht auf einer solchen Schwachheit ertappen lassen, und sagte kopfschüttelnd:

»Bah, bah, bah, Dorothea! was sind das für Redensarten für ein vernünftiges Frauenzimmer. Das war allerdings eine alberne Rede von Patrick, und ich wollte jetzt selber, er hätte nicht gesagt, was er gerade gesagt hat, nicht etwa weil ich fürchte, sein Geist könne deshalb keine Ruhe haben,« setzte sie lächelnd hinzu, fuhr aber gleich wieder ernster fort: »sondern weil es ihm möglicherweise vor seinem Tode eine trübe Stunde gemacht hat, sein Wort nicht lösen zu können, denn Patrick O'Flannagan mochte in manchen Stücken wirklich so leichtsinnig sein wie er wollte, aber sein Wort, sobald er das einmal gegeben, hielt er. – Ich entbinde ihn aber hiermit feierlich davon!« sagte sie plötzlich etwas lauter, als das für Dorothea, die dicht neben ihr stand, gerade nötig gewesen wäre, ja sie warf sogar einen etwas scheuen Seitenblick nach der Tür hinüber, die zu der noch unvollendeten Speisekammer hinausführte, und setzte dann hinzu: »Es ist also nicht nötig, die Sache auch nur mit einem Wort weiter zu erwähnen. Ja ich weiß nicht, ob ich nicht sogar besser tue, gleich hinüber nach dem nächsten Dorf zu schicken, um mir den andern Zimmermann, der sich mir angeboten hat, holen zu lassen, damit dieser die Arbeit vollende.«

»Das ist wahr, Fräulein, ach, das tun Sie!« rief Dorothea rasch; »dann haben wir hier unser Wort gebrochen und nicht die gehörige Zeit gewartet, und dann ist er vor Gott und der Welt davon entbunden.«

Das Fräulein wollte aber die Sache von dieser Seite nicht aufgefaßt haben. Dorothea sollte nicht etwa glauben, daß sie selber so abergläubisch wäre, auch nur auf eine solche Idee scheinbar einzugehen, und sie sagte deshalb kurz abbrechend:

»Nein, es ist auch wahr – ich habe Patrick O'Flannagan versprochen, bis Dienstag Abend zu warten, und keine Entschuldigung, weshalb ich mein Wort nicht halten sollte; also bleibt es dabei. Den Mittwoch Morgen soll Tom hinübergehen und den andern Zimmermann herüberholen.«

Ein irisches wake (Begräbnisfeier) ist wirklich in seiner Art eine Merkwürdigkeit und muß einmal mit angesehen sein, wenn man sich einen rechten, richtigen Begriff davon machen will. Die Leute kommen bei einem solchen ›Wake‹ wie sie's nennen, allerdings zusammen, um über den Toten zu trauern, aber wenn das nicht besonders dabei gesagt wird, daß sie wirklich trauern, würde es aus ihrem ganzen Benehmen und Singen und Jubilieren wahrhaftig nicht zu schließen sein. Die Frauen, ja, wehklagen wohl um den Hingeschiedenen, und Mutter, Frau oder Schwester sitzen in der einen Ecke mit verhüllten Häuptern und ihr schriller Not- und Schmerzensschrei dringt oft fast durch das Getobe der Zechenden. Die Männer aber tun gerade das Gegenteil von dem, was man bei einer Begräbnisfeier etwa von ihnen erwarten könnte, bei keinem andern Fest sind sie toller und ausgelassener, und ebenso wie bei andern endet auch dieses gewöhnlich mit einer Schlägerei.

Die katholische Nachbarschaft kam deshalb auch dem Irischen Haus, solange das Wake dauerte, und das war bis ziemlich spät in die Nacht, am Montag nicht zu nahe. Als Dorothea aber an dem Abend in ihr Kämmerchen ging, von dem sie ebenfalls über das Weidendickicht hinüber nach dem Irischen Haus sehen konnte, lag dies in Nacht und Dunkelheit verborgen, und Dorothea ging, sich heute andächtiger als je bekreuzigend, in ihr Bett und betete noch manches, manches Ave für die arme Seele Patrick O'Flannagans.

Lange konnte sie auch nicht einschlafen; es war ihr heut abend so merkwürdig ängstlich und beklemmt zu Mute, und wohl drei oder viermal fuhr sie, fast aufschreiend, im Bett in die Höhe, denn sie hätte darauf schwören wollen, sie höre den schweren, langsamen Schritt Patricks auf der Treppe, wie er sonst gewöhnlich mit seinem Werkzeug anzukommen pflegte. Aber das war natürlich nur Täuschung ihrer überdies etwas erregten Phantasie, und sie mußte sich zuletzt immer selber gestehen, sie habe sich geirrt. Es hätte auch in der Tat niemand die Treppe heraufkommen können; die Tür unten war fest verschlossen und verriegelt, der Kutscher Tom schlief im Stallgebäude, und von den drei Frauen, inklusive Rosy, wollte sich wohl jede hüten, die Nacht irgend jemandem die Tür aufzumachen.

Endlich schlief sie ein, aber dadurch war sie nur um weniges gebessert, denn die ganze Nacht hörte sie fortwährend im Traum Hammer und Säge gehen und sah ein furchtbares Skelett auf einem der offenen Balken in der Speisekammer sitzen, und sägen und Nägel einschlagen, als ob das so seine natürliche und ganz altgewohnte Beschäftigung gewesen wäre. Die Aufregung mochte sie aber doch ermüdet haben, denn sie wachte über dem Traum nicht auf, sondern schlief, bis am nächsten Morgen die aufsteigende Sonne ihre ersten goldenen Strahlen gegen die Fenster warf.

»Jesus, Maria und Joseph!« schrie sie aber, als sie kaum die Augen geöffnet und gewissermaßen munter geworden war, und fuhr wie ein Blitz und mit einem Schreck, daß ihr die Glieder wie im Fieberfrost flogen, unter die Decke zurück. – Die hintere Wand ihres Zimmers ging nämlich ebenfalls nach dem alten Saal zu und stieß dicht an den zur Speisekammer bestimmten Platz, und sie hätte das heilige Abendmahl darauf nehmen wollen, daß sie gerade da drüben, als sie nur den Kopf aus der Decke steckte, die schrillen, regelmäßigen Töne einer hin und her gezogenen Säge gehört habe.

Erst unter der Decke fiel ihr nun wieder ein, was sie die Nacht eigentlich für entsetzliche Geschichten geträumt hatte und ihre Phantasie müsse ihr also noch so eine Art Nachspiel des Traumes im Halbwachen vorgespiegelt haben – aber es war so deutlich gewesen. Das Herz schlug ihr wie ein Schmiedehammer in der Brust, aber, lieber Gott, die helle Sonne stand ja am Himmel, und heraus mußte sie doch einmal. – Vorher indessen faltete sie – immer noch unter der Decke, unter der sie spurlos verschwunden blieb, – die Hände und betete ein frommes Ave Maria und ›alle guten Geister‹ – dann noch eins, und dann ein drittes, und nun ein frommes ›Mit Gott!‹ murmelnd, warf sie entschlossen die Decke von sich und richtete sich auf.

Sie wäre aber ebenso gern wieder hinuntergefahren, hätte sie nur die Furcht gelassen, denn deutlich, unbezweifelbar tönten von der Speisekammer her: eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs regelmäßige Hammerschläge, als ob jemand ein Brett auf einen der Balken festnagele. Sie horchte mit der gespanntesten Aufmerksamkeit, und der kalte Schweiß trat ihr dabei auf die Stirn, denn sie gedachte in diesem Augenblick wieder ihres Traumes und des entsetzlichen Skeletts, und es blieb kein Zweifel – in der Speisekammer wurde gearbeitet, sei das nun von einem lebendigen oder toten Zimmermann.

Hier aber allein auszuharren – das Furchtbare allein zu ertragen vermochte sie nicht – mit einem Satz war sie aus dem Bett und an der Tür ihrer Herrin – Dorothea hatte in ihrem ganzen Leben keinen solchen Sprung gemacht, – dort aber ins Zimmer und auf deren Bett zu stürzen, die ebenfalls schon wach und leichenblaß darin saß, war das Werk eines zweiten Augenblicks, und sie rief jetzt mit durch die Angst erstickter Stimme:

»O du lieber gütiger Heiland – er ist da – er ist gekommen – er hat Wort gehalten!«

Dieser Ausbruch von Verzweiflung, und vielleicht auch die Nähe eines menschlichen Wesens, gab aber dem Fräulein viel von ihrer Geistesgegenwart zurück. Sie faßte Dorotheen bei der Schulter, schüttelte sie sanft und sagte beruhigend und beinahe mit fester Stimme:

»Komm, komm, Dorothea, sei kein Kind – wer wird denn gleich das Schlimmste denken. Wir stehen in Gottes Hand und kein böser Geist könnte uns etwas anhaben – wir wissen aber noch gar nicht einmal, ob das ein Geist ist, und mir fällt jetzt ein, daß die Leiter im Hofe ja immer noch angelehnt steht, durch welche die Maurer ihre Backsteine heraufschafften. – Wer weiß, ob nicht Tom gestern zu dem andern Zimmermann gegangen ist und ihn bestellt hat. Er mag vielleicht geglaubt haben, daß die Speisekammer doch jetzt von dem andern Arbeiter fertig gemacht werden müßte, und hat ihn dann wahrscheinlich, ohne mich vorher noch einmal darum zu fragen, auf heute morgen herbestellt. Der Mann nun, der uns nicht aus dem Schlafe stören und gern pünktlich sein wollte, ist durchs Fenster in den alten Saal hineingestiegen.«

Das Fräulein hatte sich, während sie sprach, so in diese Idee hineingedacht, daß sie ihr selber wahrscheinlich erschien. Sie klopfte Dorotheen auf die Schulter und fuhr freundlich fort: »Komm, komm, Kind, sei nicht so närrisch, zieh dich an und mach Rosy die Tür auf; die pocht schon seit fünf Minuten draußen, als ob sie die Gefache einschlagen wollte. Schämst du dich nicht, so furchtsam zu sein?«

Dorothea fühlte sich durch diese fast unbefangene Aufmunterung wirklich so ermutigt, daß sie aufstehen, schnell ihren Morgenrock überwerfen und die der Treppe zuführende äußere Tür aufschließen und aufriegeln konnte. Kaum war das aber geschehen, so wurde sie von der leichenbleich hereinstürmenden Rosy auch fast umgerannt, und die Köchin konnte nur mit zitternden Lippen, als sie zum Fräulein ins Zimmer stürzte, die Worte herausbringen:

»Haben Sie ihn gehört – er ist da – er ist gekommen!«

Das ominöse Sägen und Hämmern dauerte indessen ununterbrochen fort; Bretter wurden herüber und hinüber geschoben, Nägel eingeschlagen, Planken abgesägt – und sie konnten deutlich die Stücke hinunter auf den Estrich fallen hören. Es war gar kein Zweifel mehr, daß irgend jemand in dem alten Saale arbeitete, und das Fräulein suchte auch Rosy mit ihren schon oben angeführten Gründen zu beschwichtigen. Dafür sprach auch das, daß Patrick sonst immer, wenn er an der Arbeit war, ununterbrochen pfiff und sang und den Takt dazu hämmerte, daß es sich ordentlich gut anhörte; heute aber ging alles still da drin her und das Geräusch des Handwerkszeugs war das einzige, was laut wurde.

Dazu aber – daß Tom nämlich einen andern Zimmermann bestellt haben sollte, schüttelte Rosy auf das ängstlichste wie auf das entschiedenste mit dem Kopf, und behauptete so bestimmt, dies wäre nicht geschehen, daß ihr Fräulein sich gar nicht erklären konnte, woher sie das wissen wollte. Rosy versicherte aber, Tom habe sich noch gestern abend heißes Wasser bei ihr in der Küche geholt – und sie habe ihn gefragt, ob er an Geister glaube und ob ein Mensch, wenn er einmal ordentlich gestorben und begraben wäre und sechs Fuß unter der Erde läge, wieder heraufkommen und eine Speisekammer machen könne – und da habe ihr Tom auch gesagt, das wäre Unsinn und ein toter Mensch sei und bliebe tot, und sie – Rosy – solle einmal sehen, morgen früh, als wie heute, werde ihn das Fräulein nach dem andern Zimmermann schicken, und der nachher kommen und die Speisekammer fertig machen, und das wäre dann das Ende vom Geist. Das bewies doch jedenfalls, daß er bis jetzt noch nicht den andern gerufen hatte, und dieser unmöglich von selber kommen könne.

Das Fräulein machte jetzt, hierdurch selber wieder etwas außer Fassung gebracht, den sehr vernünftigen, aber deshalb nicht weniger unausführbaren Vorschlag, ehe man sich weiter ängstige, nachzusehen, wer eigentlich im Saale arbeite. Wer sollte aber nachsehen?

Dorothea weigerte sich hartnäckig, der Tür selbst auch auf nur fünf Schritt nahe zu kommen, und erklärte feierlich, lieber aus dem Fenster springen zu wollen, als im Zimmer zu bleiben, wenn jemand nur Miene machen wolle, sie zu öffnen; ja, Rosy verwarf selbst den Vorschlag, durchs Schlüsselloch zu sehen, als unmöglich.

»Heilige Mutter Gottes!« sagte sie und hielt sich schaudernd die Schürze vors Gesicht – »wenn ich da so auf einer Seite ins Schlüsselloch hineinsehe und das Gespenst auf der andern – o du mein Heiland, es könnte das größte Unglück geben, und mir ist es schon bei dem bloßen Gedanken wie Blei in die Glieder geschlagen.«

Das war auch eine schreckliche Idee, und dem Fräulein schauderte selber dabei – sie hätte es keinem andern Christenmenschen zumuten mögen – was aber nun um des Himmels willen tun?

Rosy machte hier den ersten vernünftigen Vorschlag, sie wollte zu Tom hinuntergehen und den an das äußerste Ende des Hofs schicken – die Fenster im Saal waren noch alle offen, denn selbst die Rahmen standen, herausgenommen, in der einen Ecke desselben – und von dort aus konnte er jedenfalls die Stelle, wo ›das Ding‹ arbeitete, übersehen und dann Nachricht bringen, was es sei und wie es aussähe.

Die Sache hatte weiter keine Schwierigkeit, als daß dann das Fräulein mit Dorothea allein hätte im Zimmer bleiben müssen, und nachdem die alte Dame bestimmt wußte, daß es kein anderer Zimmermann möglicherweise sein konnte, wurde ihr selber, so ganz in der Nähe eines überirdischen Wesens und nur durch die dünne Tür von ihm getrennt, unheimlich und bange zu Mute.

Dorothea schien, bei Rosys Vorschlag, große Lust zu haben, diese zu begleiten – lieber Gott, wie das sägte und arbeitete in der Kammer, es ging einem ja wie mit glühenden Messern durch die Seele, nein, man mußte Gott auch nicht durch zu große Dreistigkeit versuchen und es war besser, einer solchen Sache friedlich aus dem Weg, als ihr gerade entgegen zu gehen. Das Fräulein beschloß also ebenfalls sich Rosy anzuschließen, in deren Kammer unten zu gehen und dort mit Dorothea zu warten, bis Rosy Tom gerufen habe und dieser Nachricht bringen würde. Nachher konnten sie noch immer tun, was sie für gut fanden.

Das war ein Vorschlag zur Güte und so schnell ausgeführt als gefaßt. Das Fräulein und Dorothea setzten sich in Rosys kleinem freundlichen Kämmerchen, die erste auf den einzigen Stuhl, der darin stand, die andere aufs Bett, und beteten mit angsterfülltem Herzen zu ihrem Heiland, daß er den schweren Kelch an ihnen glücklich vorüberführen und alles noch zum besten kehren möge. Rosy blieb etwas lange aus, endlich kam sie aber zurück und brachte die Nachricht, Tom sei augenblicklich hinübergegangen, wohin sie ihn beschieden habe, und werde, sobald er nur irgend etwas deutlich sehen und erkennen könne, direkt hierher kommen und ihnen Nachricht bringen.

»Und was sagte Tom?« frug das Fräulein etwas ängstlich, denn sie hoffte noch immer in Toms totalem Unglauben einigermaßen Trost zu finden. Hierin sollte sie aber vollkommen getäuscht werden, denn Tom war, nach Rosys Aussage, als sie ihm erzählt, was oben im alten Saale vorgehe, totenbleich geworden und hatte nur schwer bewogen werden können, die schwierige Mission zu unternehmen. Was für Mittel Rosy angewandt, ihn doch endlich dahin zu bringen, sagte sie nicht, aber er war gegangen und konnte jetzt jeden Augenblick mit der Botschaft zurück sein.

Tom kam endlich, aber er sah selber zu viel wie ein Geist aus, als daß er den geängstigten Frauen hätte können tröstliche Nachrichten bringen. Er zitterte am ganzen Leibe, sein Gesicht war erdfahl und die Augen traten ihm stier aus dem Kopfe.

Er hatte ihn gesehen – es war Patrick O'Flannagan, wie er leibte und lebte, schneeweiß angezogen, wie sie die Leichen ins Grab legen – und mit einem weißen Tuch um die untere Kinnlade, um diese vor dem Niederfallen zu bewahren. Im Gesicht sah er dabei aus, nicht als ob er erst vor wenigen Tagen gestorben wäre, sondern als ob er schon ebensoviele Monate im Grabe gelegen hätte – die Augenhöhlen leer und schwarz und der übrige Teil des Gesichts eher wie ein leerer Schädel als ein Leichenantlitz.

»O mein Traum, mein Traum,« jammerte Dorothea, »ich wußte ja, daß es so kommen würde!«

»Und was macht er?« frug das Fräulein endlich nach einer ziemlich langen Pause, in der sie sich die größtmöglichste Mühe gegeben hatte, ihr eigenes Entsetzen zu bezwingen – »was macht er aber?«

»Was er macht?« wiederholte Tom erstaunt – »er arbeitet, daß einem die Haare zu Berge stehen. Die Planken fliegen nur so, wenn er sie kaum anrührt, und legen sich selber auf ihre Plätze – mit dem Hammer geht's, als ob er hundert Hände dazu hätte, und es sollte mich gar nicht wundern, wenn er bis zum Frühstück mit der ganzen Bescherung fertig wäre.«

Das Fräulein hatte Tom noch nie so zerknirscht gesehen, und der arme Mensch dabei so tiefliegende Augen und bleiche Backen – wenn er nur nicht selber krank war.

»Tom,« sagte sie plötzlich, einen neuen Gedanken erfassend – »das Fieber neulich hat Euch doch auch recht angegriffen – Jesus Maria, wie bleich Ihr ausseht – legt Euch lieber zu Bett und ich will aus dem nächsten Städtchen den Doktor holen lassen.«

Tom wurde noch bleicher als vorher, so daß Rosy jetzt selber vor Angst die Hände faltete und ihr die großen hellen Tränen in die Augen traten. Einen Augenblick stand er stumm und sprachlos, ein Bild trostloser Angst und Sorge da, dann aber plötzlich, als gerade von oben das Klopfen und Hämmern deutlich zu ihm heruntertönte, daß alle unwillkürlich einen scheuen Blick nach oben warfen, konnte er sich nicht länger halten. In diesem Augenblick konnte er nicht lügen und fiel auf einmal mit gefalteten Händen vor dem aufs äußerste erstaunten Fräulein nieder, ihr seine ganze Sünde von neulich und die Unwahrheit, mit der er sich der verdienten Strafe zu entziehen gesucht, zu bekennen. Er erzählte jetzt auch dem Fräulein – denn nun er erst einmal im Zug war, ging's ihm wie gedruckt von den Lippen, – wie entsetzlich Patrick an dem Tage getrunken habe und daß er fast glaube, der Schlag habe ihn nur infolge jener unmäßigen Quantität des heißen, scharfen Getränkes getroffen.

Tom hätte übrigens zu einem solchen Bekenntnis keinen besseren Augenblick wählen können, denn das Fräulein war selber viel zu aufgeregt, um bei dem strafbaren Verfahren ihres Kutschers auch nur mit einem Gedanken weilen zu können. Sie schüttelte zwar bei der Erzählung des Geängstigten mißbilligend mit dem Kopfe, während Dorothea mit einem frommen Blick und Seufzer zum Himmel schaute und Rosy, ein Bild – aber ein liebliches – sprachlosen Staunens daneben stand – das war jedoch auch alles, und sie frug den Zerknirschten jetzt noch einmal ernsthaft, ob er sich auch wirklich nicht in der Person geirrt habe und ob das – Wesen, das da oben im alten Saale schaffe und arbeite, dem seligen Patrick wirklich ähnlich sähe.

Tom, froh, diesmal so gut davongekommen zu sein und jetzt mit erleichtertem Herzen, bestätigte das aber auf das ernsthafteste und beharrlichste, und fügte auch zum Beweis der Wahrheit hinzu, daß er zwei von den Gutsknechten herübergerufen und ihnen das – das Ding gezeigt habe, und beide hätten nicht allein augenblicklich Patrick erkannt, sondern wären auch in demselben Moment, von plötzlicher Angst ergriffen, wie Spreu vor dem Wind auseinander gestoben.

Tom hatte aber ganz wahr erzählt. Als die Leute vom Gut die schauerliche Gestalt oben in dem überdies halbdunkeln Saale so allein und einsam bei der Arbeit sahen – eine Gestalt, die allem Rechte nach auf dem stillen Friedhof ruhig ausgestreckt liegen und der Ewigkeit entgegenharren sollte, faßte sie ein panischer Schrecken, und sie stoben, so schnell sie ihre Füße trugen, auseinander, um die schreckliche Kunde, je rascher, desto besser, auf dem Gut und im Dorfe zu verbreiten.

Es dauerte auch gar nicht lange, so sammelte sich das ganze Dorf unter der alten Linde, die an dieser Seite des innern Hofes stand, und von wo aus sie gerade in die Fenster des früheren Klostersaales hinaufsehen konnten. Männer, Frauen und Kinder standen in lautloser Angst dichtgedrängt um den knorrigen Stamm des Baumes herum, ja einige der mutigsten und auch wohl nichtsnutzigsten Jungen waren selbst in den Baum hinauf geklettert und hatten sich dort einen besseren Überblick über das gefährliche Terrain zu verschaffen gesucht. Hals über Kopf stürzten sie aber von dort wieder herunter, als das Gespenst nur zum erstenmal das entsetzliche Leichengesicht nach ihnen hinüberdrehte und sie mit den leeren Augenhöhlen, in denen noch ein unheimlicher Schein zu glühen schien, anstierte.

Es hatte sich solcher Art auf dem Hof wirklich eine ganz wunderliche Gruppe gebildet – die Männer vorn, aber auch soviel als möglich zurückgedrängt, als ob sie gerade keinen besondern Stolz darein setzten, dem, was ihnen vielleicht entgegentreten konnte, die Stirn zu bieten; einige sogar mit Mistgabeln und anderen häuslichen Gerätschaften bewaffnet, sich irgend einer unbestimmten Gefahr zu erwehren oder fatale Gegenstände vom Leibe abzuhalten. Dicht dahinter gedrängt standen die Frauen; und wie Mandeln in einem Kuchen stak, zwischen die ziemlich feste Masse hingestreut, die ganze liebe Dorfjugend, da die Schule erstlich noch nicht angegangen war und auch sechs Schullehrer sie heute nicht von einem wirklichen Gespenst weg- und in die kleine Schulstube hineingebracht hätten.

»Da ist es,« flüsterte jetzt einer der Männer und zeigte vorsichtig mit dem Finger – sich wohl dabei hütend, den Arm nicht weit vom Körper weg zu strecken – nach einem der Fenster hinauf – »gerade da oben neben der einen Planke – mein Heiland, ich glaube, es sitzt ganz in der Luft!«

»Und warum soll es denn nicht in der Luft sitzen können?« sagte ein anderer ebenso leise, mit ängstlich gedämpfter, aber eifriger Stimme – »ein Schatten kann ja auch an der Wand und unter der Decke kleben, und braucht nicht immer oben auf einem Balken draufzusitzen.«

»Ich begreife nur nicht, wie es dann die Bretter so werfen kann,« wisperte der erste dagegen.

»Jetzt fängt's gleich wieder an zu hämmern,« unterbrach ihn hier ein anderer und richtete sich, soweit er das irgend möglich machen konnte, auf den Zehen in die Höhe. Keiner wagte zu atmen und es herrschte eine lautlose Stille, bis endlich das Niederfallen des Hammers das prophezeite Geräusch verkündigte und es sich die draußen Harrenden leise untereinander bestätigten.

»Seht ihr's? – da klopft's wieder, wie mit einem ordentlichen Hammer.«

»In dem Haus möcht' ich nicht wohnen,« sagte eine junge Bauerfrau schaudernd, »und wenn sie mir den Fußboden mit Gold und Edelsteinen belegten und ich weiter nichts als Wein und Schokolade trinken sollte. Da müßte man ja keine ruhige Stunde mehr darin haben –«

»Ich auch nicht,« sagte eine andere, »und auf solchen Häusern, wo einmal der Gottseibeiuns gewirtschaftet, liegt kein Segen mehr. Das kommt aber davon, wenn man Protestanten ins Haus nimmt und guten Christen damit die Arbeit entzieht – mein Schwager hätte die ganze Arbeit da oben schon in –«

»Bst – bst!« unterbrach es sie hier von mehreren Seiten – »jetzt sägt's wieder – o Jesus Maria! jetzt dreht es sich um – Ha!« kreischten ein paar Frauen auf und fuhren zurück; eine wurde sogar ohnmächtig und mußte weggetragen werden. Der Raum vor der Linde war im Nu frei geworden, und alles drängte sich in jähem Schreck nach hinten.

Das Gespenst hatte sich umgesehen und sie mit der entsetzlichen Totenlarve so wild angestiert, daß es den Beherztesten unter ihnen wunderlich zu Mute wurde, und die Männer, die fast sämtlich dem lebendigen und noch kräftigen Patrick furchtlos im Einzelkampfe entgegengetreten wären, bebten und zitterten jetzt wie die Kinder vor dem Schatten desselben, der nur ihrer Menge die bleichen Züge entgegenwandte.

Das Gespenst oben im Saal hatte sie bis jetzt augenscheinlich gar nicht gesehen, oder, wenn gesehen, wie das von einem Gespenst kaum anders möglich sein konnte, doch nicht beachtet; ebenfalls nur sehr selten den Kopf nach ihnen hingewandt – und selbst dann immer um irgend ein Handwerkszeug zu suchen und aufzunehmen, ohne auch nur im mindesten das, was außer dem Saal vorging, eines Blickes zu würdigen.

»Es leidet ihn nicht draußen, er will machen, daß er wieder in sein Grab zurückkommt,« hatten die Männer geflüstert – »seht nur, wie er arbeitet, um das frevelhafte Gelübde zu erfüllen – und wer weiß, ob er nicht so bis zum jüngsten Tage fortarbeiten muß.« Und die Frauen hatten dann immer ein leises Gebet für die arme gepeinigte Seele gemurmelt. – Wenn es auch ein Ketzer gewesen, lieber Gott, er war ja jetzt tot, und aus Frauenherzen keimt ja die schönste Blume unseres armen irdischen Lebens – das Mitleiden.

Jetzt schien es mit dem Gespenst da oben aber anders zu werden – es setzte sich auf das stumpfe Ende des einen Balkens, das Gesicht gerade nach außen gewandt, und stierte mit den bleichen, ausdruckslosen Zügen gerade auf sie, eine ganze Weile lang, hinunter. Dann schüttelte es mit dem Kopf, als ob es hätte sagen wollen: »Nein, nein! ich gehöre nicht mehr zu euch, ihr leichtsinnigen, gedankenlosen Menschenkinder – meine Zeit ist vorbei – meine Zeit ist vorbei!« – und ging dann wieder, wie von einer innern unbestimmten Gewalt getrieben, an die Arbeit.

Einige machten jetzt den Vorschlag, den Geistlichen zu holen, daß er das Gespenst bannen möge, ein anderer aber behauptete, das wäre nicht nötig, Patrick hätte sich verpflichtet diese Arbeit fertig zu machen, und wenn das geschehen sei, was gar nicht mehr lange dauern könne, dann kehre er von selber wieder unter seinen Hügel zurück.

Dem widersprach aber einer der früheren Sprecher entschieden und rief, auf das eifrigste flüsternd:

»Glaubt ihr denn, daß der je mit seiner Arbeit da oben fertig wird? – wie ist es denn dem Maurer an der schottischen Grenze gegangen, der sich auch an seinem Heiland versündigte und ein frevelhaftes Gelübde tat, was er alles mit seiner eigenen Kraft und ohne des Himmels Beistand zu leisten vermöge, und der mußte Nacht für Tag an dem Turm bauen, den er angefangen, und wenn er nur noch ein paar Steine vielleicht einzusetzen hatte, um fertig zu sein, dann rissen es ihm die Geister wieder nieder, daß es polternd zusammenstürzte. Immer von neuem mußte er deshalb an der trostlosen, nimmer endenden Arbeit beginnen, und so wird es hier auch gehen,« setzte der Mann mit düsterer Stimme hinzu, während sich die Umstehenden segneten und bekreuzten. »Wenn er das letzte Brett auflegen, den letzten Nagel einschlagen will, dann bricht ihm das Ganze unter den Händen zusammen und er kann wieder von vorn beginnen, aber Ruhe kriegt er hier auf Erden nicht, bis seine Schuld gebüßt ist oder ein frommer Mann vielleicht die gehörige Zahl Seelenmessen für seine arme Seele liest.«

»Was macht es denn jetzt?« frugen hier einzelne, denen eine Fenstereinfassung vielleicht die Gestalt entzog, »ich kann nichts mehr davon sehen.«

»Es sitzt in der einen Ecke dort,« zischelten andere, ganz zusammengedrückt, »aber es ist zu dunkel dort hinten, man kann nicht sehen, was es treibt.«

»Es bekreuzigt sich,« flüsterten einige – »es fährt immer mit der einen Hand hinauf nach der Stirn.«

»Es ißt, bei der Mutter Gottes!« rief jetzt ein junger Bursch lauter als bisher, und zwar so laut, daß die neben ihm Stehenden seine Nähe nicht mehr für ganz sicher hielten und sich weiter von ihm fortdrängten.

»Essen!« riefen aber andere wieder verächtlich – »essen! – wer hat schon davon gehört, daß ein Gespenst ißt? – Jesus Maria, da kommt es!« Und als ob ein Kanonenschlag zwischen sie gefahren wäre, so stoben sie alle plötzlich auseinander, denn jenes unheimliche Wesen oben, was bis jetzt ihre Aufmerksamkeit so in Anspruch genommen, glitt wirklich plötzlich von einem der Balken herab und trat an eins der offenen, vom Sonnenlicht beschienenen Fenster. Einige der Herzhaftesten wagten es sich umzusehen, und es stand eine kurze Zeit an der Öffnung, bog sich heraus, als ob es aufs Dach schauen wollte, schüttelte wieder wie wehmütig mit dem Kopf und verschwand dann im Dunkel des Saales.

Im Kloster oben waren aber die Frauen auch nicht müßig gewesen. Als sie wiederholt durch Tom die Versicherung erhalten, es sei wirklich Patrick O'Flannagans Geist, der keine Ruhe im Grabe habe, bis er auf Erden sein Wort gelöst, hatten sie nämlich denselben Gedanken ausgeführt, der auch unten bei den Leuten angeregt worden, und zwar zu dem Geistlichen geschickt, um dessen Hilfe und Beistand anzurufen.

Das Gerücht dieses Wunders war indessen schon lange zu dem ehrwürdigen Mann gedrungen und fand ihn nicht mehr unvorbereitet. Mit allem Nötigen versehen, von dem Knaben, der die Räucherpfanne trug, begleitet, und vollständig gerüstet dem Teufel in jeder sich ihm zeigenden Gestalt mit dem Zeichen des Herrn bewaffnet entgegenzutreten, begab sich der Geistliche, von Tom schon angemeldet, nach dem Kloster, betete erst mit seinen Beichtkindern um Kraft zu dem bevorstehenden Kampf, und stieg dann mit festen Schritten, von den Frauen ängstlich und in weiter Entfernung gefolgt, nach oben.

Er mußte durch des Fräuleins Zimmer, wo es allerdings noch ein wenig unordentlich aussah, denn heute morgen hatte natürlich nicht an Aufräumen gedacht werden können. Es war jetzt aber auch keine Zeit, auf so etwas Rücksicht zu nehmen, und der Priester trat mit schnellen, entschlossenen Schritten auf die Kammertür zu.

Das Geräusch der Säge und des Hammers im Saal hatte indessen aufgehört; sie horchten einen Augenblick – nicht ein Atemzug ließ sich hören. Sollte die ketzerische Seele schon vor der Annäherung des ehrwürdigen Mannes geflohen sein? Der Geistliche mochte wohl etwas Derartiges glauben, denn mit einer laut ausgesprochenen Gebet- und Bannformel ergriff er den Schlüssel, drehte diesen zweimal rasch um, drückte auf das Schloß und stieß die Tür weit auf.

Der Priester war ein beherzter, unerschrockener Mann und auf etwas Übernatürliches, schon als er die Schwelle des Hauses betrat, gefaßt gewesen; er fuhr aber doch fast unwillkürlich einen Schritt zurück, und die Zunge klebte ihm am Gaumen fest, als er sich plötzlich der wunderlichsten, geisterhaftesten Gestalt gegenüber sah, die ihm in seinem ganzen Leben – und der Mann war zweiundachtzig Jahre alt – vorgekommen.

Oben auf einem der Querbalken, die gerade durch den Saal befestigt waren, um die Decke der verhängnisvollen Speisekammer zu tragen, und auf denen die hierzu bestimmten Bretter schon teilweise festgenagelt, teilweise noch aufgeschichtet lagen, saß eine menschliche Gestalt in weißer grober baumwollener Hose und ebensolcher Jacke, mit einem weißen breiten Tuch um die untere Kinnlade gebunden, wie das Tom ganz richtig beschrieben hatte. Bei Leichen ist es ja auch gebräuchlich, ihnen die Unterkiefer aufzubinden, bis sie erstarrt sind, damit sie auch nach dem Tode noch ein eher menschenähnliches Aussehen behalten und nicht so graß und abschreckend aussehen. – Das Gesicht leichenblaß, die Augen aber nicht aus düsteren Höhlen herausstarrend, wie den Leuten das von unten vorgekommen war, sondern allerdings schwarz, aber eher, wie es schien, angeschwollen, saß das ›Ding‹ dort oben und hielt ein Papier, mit irgend etwas darin eingeschlagen, vor sich auf den Knieen.

Der Geistliche behielt jedoch gar nicht Zeit, das alles so genau zu beobachten, wie ich es hier beschrieben habe; seine innere Aufregung ließ ihn schon nicht dazu kommen. Er sah nur die geisterhafte Gestalt, die allerdings Patrick O'Flannagan, wenn auch im Gesicht auf eigentümliche Weise entstellt, auf ein Haar glich – was jedenfalls durch das im Grabe Liegen herkommen mußte, und er rief mit laut beschwörender Stimme, das Kreuz gegen das Gespenst emporhaltend:

»Gehe ein zum Frieden, gemarterter Geist eines Unglücklichen, und entweihe nicht diese heilige Stätte hier mit deiner unreinen Gegenwart. Weiche im Namen des Vaters, weiche im Namen des Sohnes, weiche im Namen des Heiligen Geistes – hebe dich weg von hier, Satanas!«

»Guten Morgen, Ew. Ehrwürden! Bin es ich etwa, mit dem Sie sprechen?« sagte aber Patrick O'Flannagans Geist mit der größten Gemütsruhe und seinem breitesten irischen Dialekt – nahm zu gleicher Zeit aus dem vor ihm liegenden Papier ein großes Stück Brot und Käse heraus, das wenigstens an und für sich nicht das mindeste Geisterhafte an sich trug – und schob es in den Mund. Patrick O'Flannagan hatte sich während seiner Lebenszeit nicht viel aus katholischen Geistlichen gemacht, und es war kaum zu erwarten, daß er sich darin nach dem Tode geändert haben sollte.

Der Priester, als er sah, daß seine Bannrede nicht den mindesten Eindruck auf das entsetzliche Wesen zu machen schien, hatte schon hinter sich gegriffen, um die Räucherpfanne zu fassen und einen förmlichen Exorzismus zu beginnen. Da sah er zu seinem unbegrenzten Erstaunen, daß der Geist mit vollen Backen zu kauen anfing und ihm dabei zu gleicher Zeit auf das unbefangenste und freundlichste zunickte. Etwas Derartiges war ihm in seiner Praxis noch nicht vorgekommen.

»Patrick O'Flannagan!« rief er erstaunt aus – »haben sie denn nicht vor drei Tagen deine sterbliche Hülle zu Grabe getragen, und ist dies nicht dein Geist, der am hellen Tage in Gottes Sonnenlicht umgeht und keine Ruhe finden kann?«

»Meine sterbliche Hülle haben sie noch viel schlimmer behandelt als bloß zu Grabe getragen, Ew. Ehrwürden,« sagte der Geist da mit einem unheimlichen Zug um den Mund. »O'Brian, der Schuft, und wenig genug dank ich's ihm – hat ihr die Paar schönsten blauen Augen gegeben, die sie in ihrem ganzen Leben gehabt hat; der Geist ist übrigens noch im Körper drin, wenn drei Gallonen vom besten irischen Whisky, der nur je Bergluft gekostet, überhaupt nämlich Geist genannt werden können.«

»Und bist du denn nicht gestorben, Unglücklicher?« rief der Priester, dessen Erstaunen bei den rätselhaften Worten des merkwürdigen Wesens, das ihm aber schon anfing gar nicht mehr wie ein wirklicher Geist vorzukommen, mit jedem Augenblick wuchs.

»Gestorben? – ich?« sagte Patrick und schob sich aufs neue ein Stück Brot in den Mund, das einen Thomas von seiner Identität hätte überzeugen können, »noch nicht – wenigstens nicht soviel ich weiß« – setzte er vorsichtigerweise hinzu; »denn in den letzten sechs Tagen ist mehr mit mir vorgegangen, worüber ich eigentlich gern genaue Rechenschaft haben möchte. Doch können Sie das bei mir zu Hause erfahren.«

Der Priester sah ihn starr und verwundert an, und wußte natürlich gar nicht, wie er sich das Ganze zusammenreimen sollte. Er hatte selber vor einigen Tagen die bestimmte Nachricht erhalten, daß Patrick O'Flannagan vom Schlag gerührt und gestorben, nachher von dem protestantischen Geistlichen beerdigt sei. Ja noch mehr, er war gerade an demselben Nachmittag die Straße heruntergekommen und noch, einem kleinen Beipfad folgend, aus dem Weg geritten, als er den Begräbniszug – und das mit eigenen Augen – aus dem Irischen Hause herauskommen sah.

Die Frauen auf der Treppe, mit Tom im Nachzug, wußten nun gar nicht, was sie aus der wunderlichen Unterredung zwischen dem Geist und ihrem Pater schließen sollten – sie hatten sich natürlich nicht nahe genug hinan gewagt, um das fürchterliche Wesen ›von Angesicht zu Angesicht‹ zu sehen. Patricks nur zu wohl bekannte Stimme erfüllte sie schon mit Furcht und Grausen, und sie erwarteten fast mit jedem Augenblick einen Kampf auf Leben und Tod zwischen dem hartnäckigen Geist und seinem Beschwörer.

Die Nachricht, daß der Pater im Hause sei und den Teufel austreiben werde, war indessen auch zu den Leuten draußen gedrungen, und die gespannteste Neugier hielt alle in der Nähe des Gebäudes und so, daß sie die Fenster übersehen konnten, versammelt. Alle schienen ein unbestimmtes Gefühl zu haben, daß sie über kurz oder lang eine blaue Schwefelflamme zu einem der altgotischen Fenster würden herausfahren sehen – und darauf warteten sie.

»Und hat Euch – Patrick O'Flannagan – nicht wahr und wahrhaftig der Schlag gerührt?« frug der Priester, der wenigstens hierin seinen Zweifel wollte gehoben wissen.

»Der Schlag?« entgegnete ihm Patrick, mit wieder etwas von seinem früheren Humor in den schrecklichen Zügen; »der Schlag, Ew. Hochwürden? – ja wenn Sie eine Quantität von Püffen rechts und links von einem der besten Boxer im ganzen süßen Irland einen Schlag nennen, so hat mich der allerdings gerührt, ich möchte aber nicht gerne von der Art zwei haben.«

»Wie bist du denn aber in die Leichenkleider gekommen, Unglücklicher?« rief der Pater, der jetzt natürlich nicht mehr umhin konnte zu sehen, daß er es mit einem wirklichen körperlichen Wesen und mit nichts weniger als einem Geist zu tun habe – »und wer ist aus deinem Hause begraben worden?«

»Leichenkleider?« wiederholte Patrick erstaunt und besah seine beiden Ärmel und Hosenbeine; »Leichenkleider? wo so Leichenkleider? – wenn mir O'Brian – bad luk to him – einen Fetzen von meinen gewöhnlichen Sachen am andern gelassen hätte, so brauchte ich allerdings nicht meines Bruders Sonntagsjacke und Unterhosen anzuziehen, und wenn Euer Ehrwürden nur einmal zwei Minuten unter O'Brians Fäusten gewesen wären, würden Sie wohl auch ein Tuch ums Gesicht binden – und vielleicht zwei. – Wer aber begraben ist,« sagte er auf einmal ganz traurig und ernst werdend, »das ist eine andere und recht schmerzliche Geschichte, und Patrick O'Flannagan bringt von nun an in seinem Leben keinen Tropfen Whisky mehr über die Lippen. – Aber please, Yer Honour,« setzte er dann wieder mit etwas von dem alt Drolligen in seinen Zügen hinzu und deutete dabei auf die Räucherpfanne, mit der und offenem Maule sich indessen der Chorknabe herbeigedrängt hatte, um dem merkwürdigen Gespräch zu lauschen – »ist es wirklich ein Geist, für den Sie mich gehalten haben, daß Sie mich vielleicht zum Fenster hinausräuchern wollen? Und darum haben auch wohl die guten Leute da unten den ganzen Morgen auf dem Hof gestanden und sind ausgekniffen, als ich ans Fenster trat (denn ich glaubte, sie hätten oben etwas auf dem Dache), als ob der Gottseibeiuns hinter ihnen wäre. Das ist gut.«

Patrick lachte still in sich hinein, legte aber dann sein Frühstück beiseite, griff Hammer und Säge wieder auf und sagte: »Nein, das tut's nicht – bis heut abend muß ich fertig sein und ich habe noch viel zu tun, Yer honour – wenn Sie mich aber nach Feierabend ausräuchern wollen,« setzte er mit seinem trockensten Gesicht hinzu, »so stell' ich mich Ihnen ganz zur Verfügung.«

Der Geistliche zog sich etwas verlegen zurück, die Frauen wollten es aber erst gar nicht glauben, daß es Patrick O'Flannagan selber und nicht Patrick O'Flannagans Geist gewesen sei, der den ganzen Morgen im alten Saale gehämmert und gesägt habe, und das ›Fräulein‹ schämte sich jetzt allerdings ein wenig, der allgemeinen Furcht so nachgegeben und sich nicht fester gezeigt zu haben. Es war aber doch so immer besser, daß es kein Geist gewesen, sie wären in dem alten Hause sonst wohl nie ihres Lebens froh geworden. Dorothea jedoch, als sie sich endlich zu Patrick hingetraut oder dieser vielmehr zu ihnen herübergerufen wurde, schlug die Hände zusammen über die Jammergestalt und meinte gutmütig, es wäre kein Wunder, daß man ihn für einen Geist gehalten hätte, denn er sähe ja gar nicht mehr aus wie ein menschliches Wesen. Zu ihrem wirklich unbegrenzten Erstaunen verschmähte aber Patrick selbst den Bittern, den sie ihm brachte, und zwar nicht nur aus dem Grunde, daß er seine Arbeit noch nicht vollendet habe, sondern weil er überhaupt keinen mehr trinke, und der Grund, den er dafür angab – wenn überhaupt noch einer, außer seinem Gesicht, nötig gewesen wäre – rechtfertigte ihn vollkommen.

In das Trinken hineingeraten, hätte er sich fast die ganze Woche nicht wieder herausreißen können, da sei seine Mutter, eine überhaupt altersschwache und sieche Frau, plötzlich ernstlich krank geworden und endlich – während er noch besinnungslos fortgezecht habe, gestorben. Was während seines trunkenen Zustandes vorgegangen, wußte er gar nicht, selbst nicht, weshalb er sich mit O'Brian geschlagen. Als er aber wieder zu sich kam, lag seine alte Mutter, von der er gar viel hielt – kalt und starr auf dem Stroh – sie war gestorben, ohne daß er, der Sohn, ihre letzten Worte gehört und ihr die Augen zugedrückt hatte, ja mehr, sie war gestorben, während er in dem nächsten Zimmer, vom übermäßigen Genuß des Whisky fast rasend gemacht, sang, schrie und jubelte, und ihre sterbliche Hülle selbst hatten sie aus dem Hause getragen, ohne daß er imstande gewesen wäre, ihr die letzte Ehre zu erweisen.

Das war zu viel – als er wieder zur Besinnung kam, machte er sich die bittersten Vorwürfe; dabei aber blieb's nicht allein, er gab sich sein Wort, daß, solange er atme, kein Tropfen geistiger Getränke wieder über seine Lippen solle, denn er fühlte sich zu schwach, ohne ein solches Gelübde der Versuchung widerstehen zu können, und war jetzt, wie er hoffte, ein anderer Mensch geworden.

Was das übrige betrifft, wird es sich der Leser leicht denken können. Patrick hatte das dem Fräulein gegebene Wort nicht brechen wollen und war deshalb früh auf der schon früher erwähnten Leiter ins Fenster des alten Saales gestiegen, um seine Arbeit zu vollenden. Die übrigen schämten sich allerdings noch ein wenig vor einander, einem so tollen Gedanken Raum gegeben zu haben, am meisten aber Tom, dem in seiner Herzensangst das Bekenntnis seiner begangenen Sünde entfahren war – und Tom gerade hatte deshalb später nicht wenig von Rosy zu leiden. In der allgemeinen Verlegenheit schlüpfte er jedoch glücklich mit durch, und es wurde auch, wie sich das wohl denken läßt, so wenig als möglich von der Sache gesprochen.

Im Dorfe aber hieß Patrick von dem Tag an nur ›der tote Zimmermann‹.

 


 


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