Johannes Gillhoff
Jürnjakob Swehn der Amerikafahrer
Johannes Gillhoff

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Die Überfahrt

Lieber Freund und Lehrer! Mit Freuden ergreife ich die Feder, um dir zu schreiben, daß wir noch bei guter Gesundheit sind, was wir auch von dir hoffen. Nun soll ich dir erzählen aus der Zeit, da ich in dies Land kam und wie ich als Farmer gearbeitet habe und von Haus und Hof, von Acker und Vieh, von guten Freunden, getreuen Nachbarn und all solchen Dingen, die in der vierten Bitte vorkommen. Es ist nicht leicht. Ich kann noch einen Sack Korn schmeißen von 200 Pfund, aber Buchstaben malen ist schwer für meine Pranken. Ich kann mit dem Pflug noch eine Furche ziehen, da kannst du mit dem Lineal nachmessen. Aber mit der Feder eine gerade Reihe langgehen, das ist nicht leicht für einen alten Mann. Denn siehe, ich fange an, Großvater zu werden.

Aber wissen tu ich das alles noch von Anfang an, und dichten kann ich das auch. Wenn auch viel Gras gewachsen ist über die alten Geschichten und viel Gras gemäht ist seit der Zeit und wenn da auch viel Wasser rübergelaufen ist – sie gehören doch zu den Dingen, die auch viele Wasser nicht können auslöschen. Du hast uns in der Schule davon erzählt. Darum hab ich es mir aufmerksam in meinen Kopf genommen. Aber vom Kopf bis in die Feder, das ist ein weiter Weg zu gehen. Denn die Feder hat man ein Bein, und das ist bannig dünn und bricht immer bald ab. Dann gibt es einen Klecks. Die Federn taugen nichts. Aber versuchen will ich es, wo ich nun doch Zeit habe und mein Zweiter schon die Arbeit machen kann.

Wenn ich diesen Winter nicht fertig werde, dann setz ich mich im nächsten wieder achter den Blackpott. Kommst du an eine Stelle und kannst es nicht lesen, dann mußt du denken: Na, er hat viel zu arbeiten gehabt in seinem Leben, und einen ganzen Posten Buchstaben hat er wohl vergessen. Wenn du das gedacht hast, dann mußt du überhopsen. Ich hab das auch so gemacht, wenn ich mit dem Pflug an einen Stubben kam. Ja well.

Lieber Freund, ich kann dir mitteilen, daß ich das gern aufschreibe, und freue mich dabei. Das hat der Mensch gern, wenn er sich freuen kann. Wenn man alt wird, muß man wahrschauen, daß einem die Freude nicht an der Pforte vorbeiläuft. Da muß man die Tür fix aufklinken und sie mit freundlichen Wörtern einladen: Bleibe bei uns, denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneiget. Wenn man jung ist, hat man das nicht nötig. Da kommt sie einem von selbst über den Zaun gesprungen.

Die Reisekarte hatte Kaufmann Danckert in Ludwigslust mir besorgt. Sie kostete bis New York 29 Taler, und einen hab ich ihm runtergehandelt. Aber es war doch viel Geld, wo mein Vater der ärmste Tagelöhner im Dorfe war. Das meiste Geld hatte ich mir als Kleinknecht beim Bauern verdient. Drei Jahre lang bei Hannjürn Timmermann, das machte 27 Taler, denn 3 × 9 = 27. Siehe, ich habe das kleine Einmaleins mit herübergenommen; das gilt auch in Land Amerika. Und einen Rock extra.

Heute kriegt der Großknecht bei euch ja wohl seine 400 Mark, und für den Vater muß der Bauer noch 300 Ruten pflügen und eggen. Aber Geld haben sie darum doch nicht in der Bücks. Bei uns auf der Farm kriegt der Knecht hundert Dollars das Mond und ein Reitpferd durchzufüttern. Dafür heißt er auch Farmhand. Man bloß, es ist keiner zu haben, ob er nun Knecht oder Farmhand heißt, und Dirns erst recht nicht. – Fünf Taler hab ich mir noch zugeliehen vom alten Köhn und von Karl Busacker, und sie haben keinen Schein gefordert. So war das Geld zusammen und noch ein paar Schilling für den Notfall, daß die Amerikaner nicht sagen sollten: Seht, da kommt er an als wie ein Handwerksbursche und hat keinen roten Dreiling im Sack. –

Im Dorf ging ich rund und sagte Adschüs. Das ging fix. Dann kam Mutter an die Reihe. Das ging nicht fix. Sie sprach: Nu schick dich auch und schreib mal, woans es dir gehen tut, und paß auch auf deine Hemden und Strümpfe und auf dein Geld, daß dir da nichts von wegkommt. Und vergiß auch das Beten nicht! – Dann mein Bruder. Ich sprach: Halt sie gut, wenn sie alt wird. Ich will dir auch Geld schicken, daß du ihr sonntags mal Fleisch kaufen kannst und zum Winter ein wollen Umschlagetuch. Er sprach: Da sorg dich man nicht um. Sorg du man erst für dich selbst, daß dir unterwegs kein Wasser in die Höltentüffel (Holzpantoffel) kommt.

Als das fertig war, schwenkte ich mir meinen Sack auf die Schulter und nahm meines Vaters eichen Gundagstock (GutenTag-, Spazierstock) in die Hand. Vater hatte seine letzte Reise schon hinter sich. Dazu brauchte er keinen Stützstock mehr. So faßte ich ihn bei der Krücke und ging nach Ludwigslust. Meine Mutter stand an der Katentür, hielt die Hände unter der Schürze und sah mir nach. Siehe, ich habe sie in 32 Jahren nicht mehr gesehen.

Hinter Hornkaten, in den Lieper Bergen, wo der Sand am dünnsten war, da stand ich still. Das war so die Angewohnheit an der Stelle. Da hatte der alte Hannjürn mit Pferd und Wagen auch immer stillgehalten, auf daß sie sich verpusteten. Er aber stand daneben und kuckte sich um, und dann sagte er so ganz langsam und ebendrächtig vor sich hin: Dies Land ist dem lieben Gott auch man mäßig geglückt. Wenn er das gesagt hatte, dann sagte er: Hüh! und fuhr weiter. Denn er war ein Mann, der wenig Wörter machte. Wenn du seinen Sohn siehst, dann grüß ihn von mir.

Da stand ich auch still und sah zurück und sprach zu mir: Jürnjakob Swehn, du bist den Weg schon mehr als fünfzigmal gegangen. Aber heute ist es anders als sonst. Wo dir das wohl gehen wird im fremden Lande. Da sind vor dir schon viele in ein fremdes Land gewandert, und ihre Spuren hat der Sand verweht. Und Jakob auch, als er nach Haran zog, wie du uns in der Schule gelehrt hast. Mich soll man bloß wundern, ob ich auch zwei Kuhherden vor dem Stock habe, wenn ich zurückkomme. Wenn's auch man bloß eine ist wie Karl Busacker seine zwölf Stück. Aber Jakob brauchte auch nicht über das große Wasser. – Als ich das gedacht hatte, sagte ich zu meinem Sack: Nun komm man wieder her! So ging ich weiter. Das war 1868. Ich war neunzehn Jahre alt, und am 20. Juli sollte ich von Hamburg gehen.

Mit meinem Sack auf dem Rücken ging ich in Hamburg ins Auswanderungshaus, weil die auch was verdienen wollten, und einen Krug voll Rum mußte ich auch vom Wirt kaufen. Er sagte, sonst tät ich auf der See sterben, und sterben wollte ich nicht, denn ich war neunzehn Jahre und wollte nach Amerika. – Die andern waren auch schon da, meist mit Frachtwagen. Die lagen voll von Kisten und Säcken, und obenauf die Menschen: über dreißig Familien und viele Einschichtige. Die meisten waren aus unserer Gegend. Dann noch Hochdeutsche und ein paar Ausländer. Im Auswanderungshaus war kein Platz mehr. So lagen wir im Gang auf Kisten und Säcken, und die Schlesier sangen ein Lied, wie Kolumbus die Kartoffel nach Deutschland brachte:

Kolumbus war ein braver Mann,
Der vor zweihundert Jahren kam
Von Deutschland nach Amerika
Und suchte die Kartoffel da.

Weiter weiß ich es nicht mehr. Ich glaube, es war nicht so ganz richtig. In unserm Lesebuch stand das anders. Sie kamen auch nicht zu Ende mit ihrem Kartoffelgesang. Denn siehe, der Aufseher kam und wollte sie rausschmeißen. Da waren sie still. Auf der See haben sie man bloß noch zu Anfang gesungen. Nachher saßen sie in ihren Ecken und dösten vor sich hin. Sie haben sich all die Wochen so rübergedöst.

Zur Kaffeezeit ging ich mit meinem Sack und Krug auf den englischen Frachtdampfer. Abends elf Uhr kam der Polizist mit der Laterne. Ich zeigte ihm meinen Paß. – Du bist neunzehn Jahr; es ist gut. Der Krenzliner seinen Heimatschein: Es ist gut. Der Dömitzer Schneider seinen Geburtsschein: Es ist gut. Der Hebenkieker (Himmelgucker) aus unserm Dorf seinen Dienstschein: Es ist gut. Aber der Dienstschein war schon fünf Jahre alt. Als er rund war, sah er uns freundlich an und sprach: Es muß eben sein. Jeder gibt zwei Dollars! So gaben wir jeder zwei Dollars. – Weißt du, was ich glaube? ich glaube, es war kein Polizist. Das Geld aber waren wir los.

Morgens zwei Uhr dampften wir die Elbe hinunter. Ich schlief oben, und die Ochsen brüllten unten. Kurz vor zwölf kamen wir auf die Nordsee. So was habe ich in meinem Leben nicht gesehen. Lieber Freund, ich kann dir mitteilen, daß die Nordsee viel Wasser in sich hat. Da ist genug für den Hornkatener Sand, und der Bockuper kann auch noch was abkriegen, dazu die Lüneburger Heide. Und dann ist das doch bloß, als wenn du einen Tropfen aus eurem großen Waschtuppen voll rausgenommen hast. Siehe, das ist alles noch von der Sündflut nachgeblieben. Nun sag mal bloß, was tut all das Wasser da man? Was könnte da für Roggen wachsen!

Die Nordsee war ruhig, aber man zu Anfang. Dann kriegte sie weiße Köpfe. Da wurde der Frachtdampfer unruhig. Da schmiß er sich auf die Seite. Da richtete er sich wieder auf. Da schmiß er sich auf die andere Seite. Akkrat wie eine Kuh, die kalben will und kann nicht. Da war bei uns ein feiner Mann aus Hamburg. Denn er sprach immer hochdeutsch und hatte ein hübsches Ofenrohr auf, aber zuviel getrunken. Der hielt den Kopf über Bord. Ihm war nicht fein zumute. Er mußte spucken. Da lag der Hut im Wasser. Da schwamm er hin. Wir lachten, und er setzte eine Kips auf, wie Kollmorgen aus Grabow sie in seiner Bude auf dem Martinimarkt in Eldena zu verkaufen hatte. Ich glaube, sie kostete sechzehn Schilling. – Am Nachmittag wurde es stürmisch, und das Schiff legte sich doll auf die Seite. Ich rutschte aus und lag auf dem Rücken, daß mir die Flammen aus den Augen gingen. Da lachten sie alle über mir. Man nicht lange taten sie das. Dann mußten wir alle nach unten, und die Tür wurde geschlossen. Das Schiff rollte, die Ochsen brüllten, die Frauensleute heulten, und alle steckten die Köpfe in die Eimer. Die welchen (etliche) schrien auch zu Gott. Das war ganz so wie in Jonas seinem Schiff. Manchmal dachte ich auch an den Sand in den Lieper Bergen. Da steht man wenigstens fest drin, und da liegt man auch sicherer drin als im Wasser. Da kann man sich die Kartoffeln und den Roggen von unten ansehen. Das ist besser, als wenn einem so ein Schiff mit 85 Ochsen auf die Nase fällt. Nun wird die Welt wohl untergehen, dachte ich, und mit den beiden Kuhherden ist es nichts, und der alte Vater Köhn und Karl Busacker sind ihre fünf Taler auch los, und sie haben nicht mal einen Schein in ihrer Beilade.

Abends ging ich auf das Deck. Da hab ich die ganze Nacht gesessen, weil es unten vor Gestank nicht auszuhalten war. Oben war es schwarz wie ein Sack, aber die Luft war gut zum Verholen. Da fühlte ich mich gut. Als ich mich verholt hatte, hab ich auch an deine Mutter gedacht. Die gab mir mal zu Weihnacht fünfzehn Walnüsse, weil wir selbst keine hatten, und du hast mir mal zum Herbst zwei Stiefel geschenkt, weil sie dir zu klein waren und mir passen taten. Die Stiefel haben gut gehalten.

Als der Tag vorüber war, da kam ein anderer, der war gerade so stürmisch. Der Hamburger mit der Kips kuckte wieder über Bord. Da ging die Kips auch hin. So setzte er einen Käppel mit Troddel auf. Der war blau und weiß gekringelt als wie Busackers Großvater seiner, und so kamen wir in Grimsby an. Der Zollmensch paßte schon auf. Er sprach: Was hast du in dem Krug? Ich sprach: Da hab ich Rum in, daß ich nicht auf der See sterbe. Er sprach: So mußt du einen Schilling Zoll bezahlen. – Ne, das tu ich nicht. – Das tust du doch: sonst kommst du hier nicht durch. Ich sprach: Hoho, das sollst du gleich sehen. Als ich das gesagt hatte, da goß ich ein paar Finger breit hinter die Binde, und die andern nahmen den Rest. Siehst du, sagte ich, nun mußt du uns doch durchlassen. Was man im Bauch hat, da gilt kein Zoll. Er schalt mächtig, aber wir lachten uns, und er mußte uns durchlassen.

Dann fuhren wir mit der Eisenbahn nach Liverpool. Jungedi, das ging, als ob wir noch vor der See sterben sollten. Der Hamburger mit dem Käppel steckte den Kopf zum Fenster raus. Da ging der Käppel auch hin. Siehst du, sagte ich, warum hast du den Käppel nicht eine Nummer größer genommen! Nun kommst du in bloßen Haaren in Liverpool an. Was die wohl sagen, wenn sie dich sehen. Der Dömitzer hatte Geld und fuhr mit dem Dampfschiff. Ich hatte kein Geld und mußte dableiben, denn ein Segelschiff ging man alle zwei Wochen. Aber ich habe in der Zeit viel gesehen und auch was gelernt und dritthalb Taler dazuverdient.

Endlich kam das Schiff, und als ich es besah, siehe, da war es alt und wackelig, und ich dachte: Wenn dieser verolmte (vermoderte) Kasten nach Amerika kommt, dann ist das Gottes Wille. Rum hilft hier auch nicht mehr. – Auf dem Schiff waren bei vierhundert Menschen, meist Irländer. Die Lebensmittel wurden gleich auf dem Deck verteilt: ein Pfund Zucker, ein Pfund Tee, den hatte ich schon bei euch gesehen, aber im Munde kannte ich ihn noch nicht. Weiter ein Pfund Reis, ein Pfund Kornmehl, ein Pfund Pökelfleisch, ein Pfund Kringel und Zwieback. Der war so hart, den mußten wir erst mit dem Hammer entzweischlagen. Welche haben es auch mit dem Stiefelhacken getan.

Die Irländer wußten von allem Bescheid und hatten sich kleine Beutel mitgebracht. Ich wußte von nichts Bescheid und hatte mir keinen Beutel mitgebracht. So hielt ich meinen Hut hin. Da schütteten sie alles hinein. Was nicht reinging, das fiel vorbei. So steckte ich die Taschen auch noch voll. Auch bekamen wir jeden Morgen ein Quart Wasser für den Durst. Wer sich andrängte, kriegte eine Tracht Prügel. Die Irländer wußten damit schon Bescheid und hielten still. Ich wußte damit nicht Bescheid und hielt nicht still. Ich rakte man bloß so 'n bißchen mit dem Arm durch die Luft. Da lag der Küchenknecht am Boden. Aber es ist mir schlecht bekommen. Das nächste Mal ging er an mir vorbei, und mein Hut blieb leer.

Die Küche war mitten auf dem Deck, an beiden Seiten eine Tür. Da an der Tür mußten wir unsere Blechtöpfe mit Reis, Kornmehl, Tee oder Fleisch hinsetzen. Dann gingen wir rum und warteten an der andern Tür, bis sie wieder rauskamen. Wer in die Küche reinkuckte, bekam was mit dem Besenstiel. So lernten wir die richtige Hausordnung kennen. Lieber Freund, ich kann dir mitteilen, in der ersten Zeit lernten wir die Hausordnung oft kennen. Da hatten wir uns noch nicht an das Hungern gewöhnt.

In der Küche war nur ein eiserner Ofen: dreimal drei Fuß, dazu vierhundert Töpfe. Die sahen sich im ganzen ziemlich gleich. Das ist so die Gewohnheit bei den Blechtöpfen. Da wurde viel gestohlen, und mein Pfund Fleisch hab ich immer gleich roh aufgegessen, bloß daß ich erst die größten Würmer rauspulte. Denn im Magen konnte es mir keiner stehlen. Einmal hatte ich wieder zwei Tage gefastet, und dann kam der dritte Tag. Da wurde mir mein Topf wieder gestohlen. Da dachte ich: In zwei Tagen nichts mehr, und am dritten wieder gestohlen – das ist nicht auszuhalten. Von der Ehrlichkeit wird hierzulande kein Mensch satt, und mit dem siebten Gebot verhungerst du noch vor New York. So nahm ich den ersten Topf, der herauskam, und aß den Reis auf. Den leeren Topf warf ich über Bord. So hatte ich das von den andern gesehen. Auch hab ich einmal einem polnischen Juden sein Schweinefleisch roh aufgegessen, denn ich dachte: Das ist gegen seinen Glauben. Aber Hunger hatte ich auch grade.

War mein Topf mal warm geworden, so fühlte ich mich glücklich. In siebzehn Tagen ist er man dreimal auf dem Ofen gewesen. Es hatte nicht gekocht, aber es roch doch nach der Küche und war warm. Die Reise dauerte sieben Wochen und zwei Tage, und vom achtzehnten Tage an hatte ich Glück. Lieber Freund, ich kann dir mitteilen, daß der oberste Koch einen Küchengesellen hatte. Der wurde krank. Der Kapitän war Doktor und Apotheker zugleich. Das mußte damals so sein. So fragte der Kapitän ihn: Was fehlt dir? Er weiß es nicht. Der Kapitän sagt: Wo tut es dir weh? Er weiß es nicht. Der Kapitän betrachtet ihn. Er denkt nach. Er weiß es auch nicht. Er denkt döller nach. Da weiß er es. Er sagt: Ich will dir Nr. 13 aus dem Medizinkasten geben. Er geht hin. Nr. 13 ist alle. Der Gesell stöhnt am ganzen Leibe. Der Kapitän hat ein mitleidiges Herz an sich. Er denkt: Du mußt dem Menschen doch helfen, denn er gehört zu deinen Schiffsleuten. Nr. 13 ist alle. So mischt er Nr. 6 und Nr. 7. Das gibt auch Nr. 13. So geschah es. Was geschah weiter? Ich will es dir erzählen. Der Küchengesell kriegte von Nr. 13 einen Durchfall, der reichte vom Schiff bis nach New York. Aber der Kapitän war froh, daß er an Nr. 13 nicht gestorben war, und der Gesell brauchte nachher keine Arbeit mehr zu tun. Er brauchte bloß am Leben zu bleiben. Das hat er denn auch getan.

Es war da auf dem Schiff ein Franzosendoktor. Dem sein Großvater war Leibarzt bei Napoleon gewesen. Aber mit seinem Namen hieß er Weber. Er hatte einen mächtigen, großen Kopf, einen kaffeebraunen Überzieher und ein Maul – na, dachte ich, wenn er sich damit man nicht mal aus Versehen die Ohren abbeißt. Er aß für drei. Er trank für sechs. Er log für zwölf. Der sprach: Der Kapitän hat den Küchengesellen vergiftet. Ich sprach: Halt dein Maul, Franzosendoktor. Du mitsamt deinem Großvater, ich wollt euch nicht an meinem Bett haben, wenn ich mal krank wäre und noch gern leben wollte. Der Kapitän ist ein braver Mann, und wenn du noch mal ein Wort von Vergiften sagst, dann nehme ich dich zwischen meine Klammern und fertige Beefsteak aus dir an. Da klappte er seinen Mund zusammen und ging davon.

Mit dem Durchfall des Küchengesellen fing mein Glück an. Ich ging zum obersten Koch und sprach: Siehe, dein Küchengesell ist krank geworden; so mußt du einen andern haben. Kann ich einspringen? Er kuckte mich an, als wollte er taxieren, wieviel Pfund ich hakenrein auf dem Desem wiege: Kannst du kochen? Ich antwortete und sprach: Kein Mensch kann vom Sperling verlangen, daß er Gänseeier legt. Aber was hier zu kochen ist, das hab ich meiner Mutter schon als Jung abgesehen. Er grifflachte sich (schmunzelte). Er sagte: Ich will's versuchen.

An dem Tage hab ich mich zum erstenmal nach der Abreise ordentlich sattgegessen. Und als ich satt war, legte ich den Löffel weg und wischte mir den Mund. Denn der Mensch soll nicht mehr essen, als er mit aller Gewalt runterkriegen kann. Auch trank ich so lange Wasser, als noch Platz da war. Die andern haben oft hart gedurstet. Er war ein kleiner, dicker Mann und fix in seinem Geschäft. Er sagte: Gehe hin! so ging ich. Er sagte: Komm her! so kam ich. Ich mußte mächtig springen. Vom Steuermann zum Koch. Vom Koch zum Steuermann. Der hatte die Schlüssel.

Einmal gab es einen richtigen Aufruhr und Empörung. Der kam aus dem Magen. Lieber Freund, ich kann dir mitteilen, es gibt vieles auf der Welt, was aus dem Magen kommt. Drei Irländer schrien vor Hunger und wollten satt haben vom Koch. Der Koch schickte mich zum Steuermann. Der Steuermann rechnete. Als er fertig war, sagte er: Wir haben zuviel verbraucht. Für drei Tage kann ich nur halbe Rationen ausgeben. Ihr müßt eure Riemen ein paar Löcher enger ziehen. Die drei Mann gingen mit ihren halben Rationen und mit ihrem hungrigen Magen zum Kapitän. Halb Irland zog hinterher und lärmte. Der Kapitän sprach: Es ist genug Vorrat da. Gebt den Leuten zu essen, daß sie nicht hungern.

Das war ein gutes Wort. Darauf kochten wir eine Reissuppe – der Löffel blieb darin stehen, so schön war sie. Jeder kriegte einen Pott voll, und die Irländischen ihren zweimal. Da haben sie nicht mehr geschrien. Da haben sie sich den Mund gewischt und uns freundlich angekuckt und genickköppt. Das war das Lob und Dank für den Reis. Ja well. So war es oft. Wir sahen uns aber auch vor mit Salz und daß die Suppe nicht anbrannte.

Als der oberste Koch sah, daß er mich brauchen konnte, da hat er mich auch über die Wassertonne gesetzt. Da mußten wir das Wasser rauspumpen, so groß war sie. Aber es waren etliche da, die haben Wasser gestohlen. Nimm mal bloß an: so knapp kann das Wasser werden mitten auf dem großen Meer. Ich aber kuckte manchmal weg, denn es war sehr heiß. Wenn sie ihre Tinn (Gefäß) halb voll hatten, dann kuckte ich wieder hin. Dann machte ich Lärm. Dann prügelte ich sie wieder raus. Das hatte ich dem Koch bald abgesehen. Aber das Wasser nahmen sie mit und dankten mir mit freundlichen Wörtern, denn es war sehr heiß. Aber waschen taten wir uns alle mit Salzwasser. Da kann man keine Seife brauchen. Das machte nichts, denn kein Mensch hatte da die Gewohnheit, daß er Seife brauchte.

Unsere Küche hielt ich rein, aber das Schiff war ein richtiger Schweinestall. Soviel Krätze, Wanzen und Läuse. Die Wanzen nahm ein alter Irländer auf sich; der hatte einen griesen (grauen) Bart und krumme Knie. Heinrich Möller machte eine Wette mit ihm. Er sprach: Ich will dir all meinen Priem geben, wenn du bis New York auf tausend Stück kommst. Der Irländer sprach: Ich will erst Überschlag machen. Am andern Morgen: Ich habe Überschlag gemacht; ich nehme die Wette an. Denn er priemte für sein Leben gern. So ging er jeden Abend auf die Jagd. Einmal kam eine Nacht, da wachte ich auf: Woweit bist du? – Das ist heute die achtunddreißigste, sagte er und schmetterte mit seinem Höltentüffel die achtunddreißigste tot. Morgens schrieb er mit seinem Bleistift an die Planken, was er gejagt hatte. Mogeln konnte er nicht, denn er mußte Möller alle Morgen die toten Leichen vorzählen. Wir waren noch lange nicht nach Amerika, da hatte er seinen Priem gewonnen. Er bot noch eine Wette um tausend an, aber keiner wollte. Er war sehr fröhlich. Die Zeit vorher war er traurig, denn er hatte kein Geld und keinen Priemtabak. Mit ein Paar neuen Schuhen ging er da rum. Die waren ganz gut gearbeitet. Tabak wollte er dafür, aber er hat keinen gekriegt, und Heinrich Möller wollte ihm keinen auf Abschlag geben. So hat er einen ledernen Hosenträger halb aufgepriemt. Nachher aber lachte er sich über das ganze Gesicht, und den andern Hosenträger brachte er nach Amerika.

Lieber Freund, ich kann dir mitteilen, der Priem auf dem Schiff taugte auch nichts. Es war lauter falsches Zeug und Betrug. Inwendig ein Ende Bast oder Strick, und bloß ein bißchen Tabak rumgewickelt.

Von den Läusen will ich auch noch ein paar Wörter machen. Das waren keine gewöhnlichen. Das waren solche, wovon sechs Stück einen Hammel festhalten. An einem Tag kam Wilhelm Rump mit der Axt. Was willst du? – Schlachten! – Woso? Was willst du schlachten? – Komm und siehe es. – Ich ging mit. Da saß der Hebenkieker auf den Brettern und hielt eine Laus fest. Die war mächtig groß und gräsig anzusehen. Mein Lebtag hab ich so ein Biest nicht gesehen. Die hatte er gefangengenommen auf der Grenze zwischen dem irischen und deutschen Distrikt. Dort hat Rump sie erschlagen. Ein Irländer sprach: Die Laus gehört euch zu. Ein anderer: Sie ist gerade so langsam wie die Deutschen. Ein dritter: Aber es ist eine gute, schiere Rasse. So rieben sie sich mit Wörtern an uns. Ich sprach: Nun paßt Achtung, ihr Männer von Irland, und höret, was ich euch zu sagen habe. Sie sprachen: Was hast du uns zu sagen? Ich sprach: Alles, was recht ist. Aber bei uns gibt es höchstens die gewöhnlichen kleinen Mücken, die manchmal auch in der feinsten Hemdnaht rumspazieren. So ein Biest aber kommt nicht vor von den Alpen bis an die Nordsee. Auch trägt sie einen roten Sattel quer über den Rücken. Den gibt es bei uns auch nicht. Die Laus gehört in euren Distrikt, und ihren Heimatschein trägt sie bei sich. Ich sehe es an der Ähnlichkeit, daß sie eine Irländerin ist. Ihr Irländer tragt alle blaue Unterbüchsen. Aber die Farbe taugt nichts, denn sie färben ab. Darum habt ihr auch alle blaue Beine, wenn ihr morgens aufsteht. Die Laus gehört zu euch, denn siehe, ihre Beine sind auch blau. In euren Unterbüchsen ist Überbevölkerung eingetreten, darum wollte sie auswandern. So ist sie bis an die Grenze gekommen.

Als ich so weit gekommen war mit meiner Rede, da kam ich nicht weiter. Da erhob sich ganz Irland wider mich. Da nahm ich meine längsten Beine in die Hand. Da machte ich, daß ich fortkam.

Wieschen sagt, ich soll das nicht schreiben, weil sich das nicht schicken tut. Ich sage: Wieschen, sage ich; das verstehst du nicht. Ich habe versprochen, alles so aufzuschreiben, wie es richtig war. So gehören die lausigen Geschichten auch dazu. Ich will dir sagen, schlimmer ist es bei Pharao und seinen Plagen auch nicht gewesen, und das steht in der Bibel. Aber wir konnten man nicht ausziehen. Nein, Wieschen, das Kapitel von der irländischen Laus muß mit hinein. –

Da war ein Mädchen auf dem Schiff, die kam weit her aus Breslau oder da herum. Die sagte: Ich bin 28 Jahre und sehr gebildet, und ich sollte mit ihr kommen nach Baltimore. Aber sie war lebendig von Läusen, und ich sprach: Du hast noch nicht genug Bildung gelernt, denn du hast dich auf dem Schiff erst einmal gekämmt, und das auch man im ganzen ziemlich mittelmäßig. Sie sprach: ja, das will ich auch noch tun, wenn wir erst an Land sind. Hier lohnt sich das nicht. Ich sagte: von meinetwegen sollte sie sich man keine Umstände machen, und ließ sie stehen. Nachher hatte der Franzosendoktor oft mit ihr zu tun in den Ecken vom Schiff.

Auch habe ich einen Tag gesehen, da saß der erste Offizier auf den Knien und betete. Ich dachte: Das muß ein frommer Mann sein; vor dem muß man Ehrfurcht haben. Darum ging ich auf den Zehen an ihm vorbei. Und dann stand er auf und stach einen Matrosen mit dem Messer ins Bein, weil er ihm nicht fix genug in den Mast kommen konnte. Die Wörter, die er dabei brauchte, stammen auch nicht aus der Bibel. Da dachte ich: Also so sind die Frommen hierzulande. Als der Matrose oben war, setzte er sich wieder auf die Knie und betete weiter. Da bin ich um ihn rumgegangen und hab ihn so von der Seite aus angesehen, aber von ferne, und dabei hab ich gedacht: Erst beten, dann stechen, dann wieder beten, woans reimt sich das? Da möchte ich aber keinem von der Sorte abends im Dunkeln begegnen ohne einen dägten (tüchtigen) Handstock. Wenn ein Pastor da gewesen wäre, dann hätte ich ihn gefragt. Aber ich will doch lieber bei meinem Glauben bleiben, und Ehrfurcht habe ich auch nicht mehr vor ihm gehabt, und auf den Zehen tat ich auch nicht mehr gehen, wenn er betete.

Das Schiff aber fuhr unterdes immer weiter, ohne Wegweiser, ohne Traden (Wagenspuren) und Geleise. Das Blaue auf dem Wasser wollte gar nicht aufhören, und zuletzt war uns allen ganz wässerig und elendig zumute von all dem Wasser. Viele wurden auch krank. Wir dachten schon, daß Amerika gar nicht mehr kommen täte, und einer sagte: Ihr sollt mal sehen, dies geht nicht mit rechten Dingen zu, und wir werden noch ganz von der Erde runterfahren. Aber der Mensch kommt nirgends runter von der Erde, so weit er auch reist; höchstens kommt er in die Erde. Wir hatten uns auch alle steif gesessen und gelegen, weil wir uns nicht ordentlich ausarbeiten konnten. Schade, daß da nicht ein paar Faden Holz kleinzumachen waren oder ein paar hundert Ruten Roggen zu mähen. So sagte ich zu dem Kapitän: Dies ist eine traurige Gegend, da möchte ich nicht wohnen. Da hat er sich ein bißchen gelacht und weitergeraucht auf seinem Stummel. Da kuckte er wieder ernsthaft über das Wasser. Da war nichts zu sehen. Aber er tat es doch und war gleichwie ein Mann, der ein Ziel hat und sieht weder zur Rechten noch zur Linken. Von solchem Mann kann man lernen, wie man sein Leben machen muß, wenn man vorwärts will.

Zuletzt kam Amerika doch. Da waren alle froh. Ich auch, denn der oberste Koch gab mir einen Dollar und sagte: Du hast deine Sache gut gemacht. Da bin ich hingegangen und hab mich gründlich reingemacht und meine Matratze mit allem, was drin rumhüpfte, über Bord geworfen. Die anderen machten es auch so, und wir freuten uns noch mal alle zusammen, daß wir den alten Lausekasten verlassen konnten. Aber der Franzosendoktor hat noch Schacht gekriegt in einer düstern Ecke, und heute weiß er noch nicht, bei wem er sich dafür zu bedanken hat. Der Erste Offizier trat auch mit den Füßen auf ihm rum. Ob er nachher wieder gebetet hat, kann ich dir nicht schreiben.

Als wir beinah nach Amerika ran waren, ließ der Kapitän uns zusammenkommen und hielt uns eine Rede. Er war ein braver Mann, darum haben wir gut zugehört; bloß es hat keiner verstanden, was er wollte. Er fing an zu schelten und hielt uns die Rede noch einmal. Es hat ihn keiner verstanden. Da schalt er noch mehr, und zuletzt jagte er uns alle hinaus. Aber es hat ihn keiner verstanden, und heute weiß ich es noch nicht.

Als wir ans Land kamen, mußten wir uns alle aufstellen und wußten nicht, warum. Bloß der Franzosendoktor fehlte. Zuletzt kam er hinter uns angeschlichen. Er dükerte sich noch mehr und ging mit dem schlesischen Mädchen mit der Bildung und den Läusen unter ihrem Kleid sitzen, und sie sagte nichts. Die Schiffsleute haben ihn gesucht und geflucht. Es war umsonst. Als die Offiziere und Schiffsleute fort waren, kam er wieder hervor und lief davon. Sie lief hinter ihm her. An der Straßenecke hielt er still. So gingen sie zusammen fort. Ich möchte wohl wissen, was er ausgefressen hatte.

Als wir wieder auf dem festen Lande waren, zählte ich mein Geld. Ich hatte noch zwei Taler und vier Schilling. Dazu den Dollar vom obersten Koch. So, dachte ich, bei der ersten Million bist du schon. Wenn du die zweite voll hast, dann kann's dir nicht fehlen. Dann kaufst du dir ganz Amerika und was dabei noch rumbaumelt.

Lieber Herr Lehrer, in der Schule hast du uns gelehrt, daß die Sonne im Sommer hier aufgeht, wenn sie bei euch untergeht. Lieber Herr Lehrer, ich muß dir mitteilen, daß das eine Irrlehre ist. Die Sonne geht hier auch morgens auf und abends unter. Ich hab gleich den ersten Tag gut aufgepaßt. Mit dem Mond ist das hier auch so beschaffen wie bei uns zu Hause. Auf der Reise ist mir auch richtig klar geworden, wozu es gut ist, daß die Erde so rund ist. Das ist darum, Sonne und Mond könnten sonst nicht so gut rumkommen um die Erde. Und wir wären mit dem Schiff sonst nicht so gut nach Amerika gekommen. Das hat alles seinen Sinn und Verstand.

Lieber Herr Lehrer, ich muß dir mitteilen, da ist etwas, was ich nicht verstanden habe. Auf der Fahrt von England nach Amerika ist die Sonne sieben Wochen und zwei Tage lang morgens richtig aufgegangen und abends richtig unter. Das hat alles seinen Schick wie bei uns zu Hause. Aber als wir hier ankamen, da wurden die Uhren ungefähr sechs Stunden nachgestellt. Lieber Freund, du mußt mir das mal ganz richtig erklären, warum das sein mußte. Ich weiß nicht, wo die sechs Stunden geblieben sind. Vielleicht liegen sie auch da, wo unsere Matratzen liegen.

Siehe, das ist ein großer Packen geworden und kein Brief. Ich hab auch beinah ein Vierteljahr lang daran geschrieben. Nu kiek tau, ob du twüschen de Ulen und Kreien dörchfinnen kannst. Ich hab für den nächsten Brief schon wieder zwei Pfund Papier in Chicago bestellt. Man bloß, es ist noch nicht fertig.


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