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2. Richter Lynch.

Hinauf mit ihm! Hängt ihn!

Nein, schießt die Canaille tot! Macht nicht soviel Umstände mit dem Strick! Schießt den Burschen nieder!

Halt, Gentlemen! Ich bin Mayor (Bürgermeister) dieser Stadt und habe für Recht und Gesetz einzustehen! Der Junge kommt ins Gefängnis und wird –

Beng, beng, beng!

Aus der Gruppe von erregten Menschen, die sich am Eingang zu dem ersten »Saloon« (Bierwirtschaft) der kleinen Stadt Tensleep im Staate Wyoming gesammelt hatte, erklangen drei scharfe Schüsse. Der eine ging durch den Hut des Stadtoberhauptes Mayor Black, die zweite Kugel zersplitterte einen Baumzweig und die dritte streifte fast den Kopf eines etwa fünfzehnjährigen zerlumpten Burschen mit schreckensbleichem Gesicht, der, von zwei rauhen Minenarbeitern gehalten, nahe bei dem Mayor stand. Zwei Zentimeter näher und die Kugel hätte ihn getötet.

Halt! Halt! Im Namen des Präsidenten! schrie der alte Black wieder, zugleich seinen Revolver ziehend und ihn auf die Bedränger richtend.

Es war eine höchst gefährliche Situation. Der junge Bursche sollte jedenfalls von der aufs höchste erregten Menge gelyncht werden. Warum? Eine halbe Stunde vorher war eine Bande maskierter Männer in dem Städtchen eingeritten, alles vor sich niederschießend. Die Kaufläden wurden vollständig ausgeraubt, die Wirtschaften ebenfalls. Verschiedene Männer, die unter Anführung des Mayors schwachen Widerstand zu leisten suchten, wurden verwundet, machten aber doch zwei Gefangene, von denen der eine von den Räubern wieder herausgehauen, der Junge aber im Stiche gelassen wurde, weil sein Pferd unter ihm weggeschossen worden war. Ebenso schnell, wie sie gekommen, waren die Räuber wieder verschwunden und die empörten Bürger richteten ihren ganzen Zorn gegen den armen, halbtoten Burschen, er sollte sofort an den nächsten Baum aufgeknüpft werden. Aller Einspruch des Mayors nützte nichts, seine Autorität war dahin, das zeigte der Schuß durch seinen Hut.

Was willst du? schrie einer seiner Freunde, indem sich jetzt die Menge näher drängte. Oder kennst du etwa einen anderen Weg, um uns von dem Gesindel zu befreien?

Im nächsten Augenblick war der Mayor von seinen Freunden umringt und der Revolver seiner Hand entwunden.

Hängt ihn! Es ist einer von Kapitän Thunderbolts Bande! Er muß sterben! klang es wieder drohend. Da ist ein Ast!

Mayor Black schüttelte den grauen Kopf. Hätten die Herren Bürger so viel Wut und Mut entwickelt, als der Überfall stattfand, so wäre es der gefährlichen Bande schwerlich gelungen, mit so reicher Beute zu entkommen, aber gerade die ärgsten Schreier hatten sich noch vor einer halben Stunde feig versteckt und jetzt wollten sie den armen Burschen hängen, ohne ihm auch nur ein Wort zu seiner Verteidigung zu gönnen. Schon hatten sie ein starkes Seil über den Ast geworfen und die gefährliche Schlinge hing schon dicht über dem Kopfe des zusammengeknickten Jungen.

Halt! Halt wenigstens einen Augenblick! schrie der alte Black wieder. Wir müssen doch wenigstens den Namen des Burschen erfahren und hören, was er sonst noch zu sagen hat.

Das gehört sich allerdings! sagte der Wirt des einen Saloons, der sich bei dem Angriff der Banditen am tapfersten gehalten hatte. Laßt ihn sagen, was er zu sagen hat.

Also, mein Boy, sprich! fuhr der Mayor fort, den Jungen ermutigend ansehend. Sag die Wahrheit, wenn dir dein Leben lieb ist. Wie kommst du zu der Bande?

Gentlemen, ich bin unschuldig! rief der Junge, an allen Gliedern zitternd. Es ist ein Mord, wenn ihr mich hängt. Ich sah diese Männer niemals vor heute morgen. Ich weiß nichts von ihnen, das ist die reine Wahrheit.

.

Er lügt! schrie eine Stimme aus der Menge. Ich sah den Burschen schon vor drei Monaten bei der Bande, als Kapitän Thunderbolt die Punkin-Mine überfiel.

Vor drei Monaten war ich noch in New-York, fuhr der junge Bursche in etwas bestimmterem Tone fort. Wenn ihr mich durchaus hängen wollt, dann kann ich es nicht hindern, aber wenn ihr mir erlauben wollt, euch zu erklären –

Also! schrie der verständige deutsche Wirt Sam Eiler. Laßt ihn reden, Männer. Wie heißt du?

Charles Burton, war die Antwort. Ich bin von New-York. Ich kam nach dem Westen wie mancher andere Junge, um Arbeit zu suchen und Geld zu machen. Vor drei Wochen fand ich einen guten Platz in Millers »Ranch« (Viehplatz). Heute morgen überfiel Kapitän Thunderbolt den Ranch und räumte ihn vollständig aus. Mr. Miller wurde erschossen und mich nahmen sie mit. Als sie hierherzogen, banden sie mir eine Maske vors Gesicht und ließen mich nicht aus den Augen. Das ist alles, was ich von der Sache weiß. Man hätte mich getötet, wenn ich den geringsten Widerstand gewagt hätte.

Das genügt uns, sagte jetzt Sam Eiler. Kapitän Thunderbolt behandelt seine Gefangenen nicht in dieser Weise. Er machte dir einfach den Vorschlag, bei seiner Bande einzutreten und du warst damit einverstanden. Ist's nicht so?

Nein, erwiderte der Junge bestimmt. Ich wurde nicht gefragt. Man nahm mich einfach mit, ob ich wollte oder nicht.

Hinauf mit ihm! Hinauf oder wir schießen! schrien verschiedene Stimmen zornig.

Halt, Gentlemen! Die Post kommt! schrie der alte Black, erfreut durch die neue Unterbrechung. Laßt sie erst einfahren.

Rädergerassel wurde ganz in der Nähe hörbar und im nächsten Augenblick bog ein großer, etwas altertümlicher Postwagen, gezogen von zwei kräftigen Pferden, rasch um die Ecke, direkt auf den freien Platz in der Nähe des mächtigen Baumes zu. Durch das geöffnete Wagenfenster konnte man sehen, daß er verschiedene Passagiere mitbrachte, unter anderen einen mit breitem, hellem Hute und auf dem Kutschbocke einen elegant gekleideten jungen Mann, der ein Gewehr auf seinen Knien hielt.

Nicht einen Augenblick länger warten wir! schrie jetzt Sam Eiler, der das Ende des Seiles erfaßt hatte. Die Schlinge um den Hals, Boys, damit wir mit dem Geschäft zu Ende kommen.

Ein kurzer verzweifelter Kampf und der arme junge Bursche war überwältigt.

Rettet mich! Ich bin unschuldig! klang es noch einmal aus seinem Munde, dann wurde er emporgerissen.

Doch nur einen kurzen Moment dauerte seine Qual. Schnell wie der Blitz hatte der junge Passagier auf dem Kutschbocke sein Gewehr erhoben, der Schuß krachte, zerriß das Seil und Charles Burton fiel hinab auf den Boden.

Ein Schrei der Wut erklang unter der Menge bei dem Baume und sofort richteten sich eine Anzahl Büchsen auf den verwegenen Schützen neben dem Kutscher des Postwagens. Doch niemand feuerte. Im nächsten Augenblicke erhob sich der zweite Passagier im Innern des Wagens, sprang heraus und rief, rasch näher tretend: Im Namen des Gouverneurs Lansing befehle ich, alle weiteren Feindseligkeiten einzustellen. Der erste Mann, der schießt, wird der Grand-Jury (Schwurgericht) übergeben!

Das Gewehr, das er dabei nachlässig im Arm hielt, machte aber jedenfalls einen größeren Eindruck als seine Worte.

Lynchjustiz ist nicht erlaubt! rief er noch einmal. Ich mache Mayor Black für die Folgen verantwortlich, wenn er unter euch ist. Ich bin der Mann, den der Gouverneur bevollmächtigt hat, Kapitän Thunderbolt zu verhaften und zwar mit eurer Hilfe.

Mein Name ist Black! rief der alte Mayor vortretend. Sie sind wahrscheinlich der Detektiv Sellers von New-York?

Der bin ich allerdings, war die Antwort. – Gentlemen, fuhr er dann fort, sich direkt an die Menge wendend. Soviel ich von einem Mann unterwegs erfuhr, seid ihr vor kaum einer Stunde von Banditen überfallen worden. Zweifellos ist der Junge, der jetzt tot da an dem Baume hängen würde, wenn ihn mein Assistent nicht rechtzeitig heruntergeholt hätte, einer von Kapitän Thunderbolts Bande. Überlegt, wie wichtig es für uns ist, wenn er am Leben bleibt! Verderbt das Spiel nicht durch ein unüberlegtes Handeln. Überliefert den Burschen mir und ihr sollt sehen, daß ich mit solchen Trümpfen unser Spiel in wenigen Tagen gewinne!

Diese kaltblütig und überzeugend ausgesprochenen Worte verfehlten ihre Wirkung nicht, hatte doch schon die Mitteilung, daß der Gouverneur des Staates Wyoming selbst sich um die Verfolgung des gefürchteten Banditen kümmerte und die Dienste Fred Sellers in Anspruch nahm, sie befriedigt.

Nur wer weiß, welches Ansehen der berühmte Detektiv im fernen Westen genießt, kann vollständig begreifen, wie sich die Situation jetzt auf einmal änderte. Schon die Angabe seines Namens hatte genügt, um ihn zum Ziele zu führen.

Gentlemen! rief nun auch Mayor Black, überlaßt die Sache also ruhig mir und Mr. Sellers!

Drei Hochs für Mr. Sellers! schrie Sam Eiler, der deutsche Wirt.

Hoch! Hoch! Hoch! klang es einstimmig aus den rauhen Kehlen der Bürger.

Damit war die Sache beigelegt. Fred Sellers schritt auf den armen Jungen zu, riß ihm die gefährliche Schlinge vom Halse und packte ihn am Kragen. Man zog sofort nach dem Bureau des Mayors und dort sank der halbtote Delinquent, an allen Gliedern zitternd, in einen Lehnstuhl.

Wer war der Mann, Mr. Sellers, der Ihnen von dem Überfall auf unsere Stadt berichtete? fragte der alte Black.

Ich kannte ihn nicht, hätte ihn aber am liebsten verhaftet, denn er sah gerade so aus, als ob er selber einer von der verwegenen Bande wäre.

Das ist nun schon der vierte Überfall. Ist das nicht schrecklich? Ich kann nicht dafür einstehen, daß die empörten Bürger jedes verdächtige Individuum, das sich hier sehen läßt, lynchen. Meine ganze Autorität ist hin!

Das haben wir leider gesehen, nicht wahr, Patsy? Aber wir wollen versuchen, Ihnen wieder dazu zu verhelfen. Der Gouverneur meint es bitter ernst. Ich habe schriftliche Vollmacht in den Händen, jede Maßregel zu treffen, um diesen gefährlichen Banditen Kapitän Thunderbolt unschädlich zu machen und dazu die Hilfe jedes Bürgers dieses Staates in Anspruch zu nehmen.

Well, Sir, an meinem guten Willen, Ihnen zu helfen, soll es nicht fehlen, aber ich muß Ihnen gerade heraus sagen, die männlichen Bewohner dieser sogenannten Stadt von fünfundvierzig Häusern sind feig wie die Präriehunde. Wenn die Gefahr vorbei ist, kommen sie aus ihrem Bau heraus und verrichten Heldentaten mit dem Munde. Die wenigen mutigen Leute sind jetzt nicht einmal hier, sie arbeiten in den Minen der Umgegend, sonst wäre den Banditen der Überfall nicht so gründlich gelungen.

Hören wir jetzt zunächst einmal, was unser Gefangener sagt, bemerkte Fred Sellers. Sieh mich an, mein Boy, auf mein Wort! Du siehst in diesem Augenblick nicht so aus, als ob du ein kühner Räubergenosse wärst.

Ich bin kein Bandit, Sir, murmelte der Junge. Ich weiß nichts über Kapitän Thunderbolt und seine Bande.

Sie brauchen mich wohl nicht so notwendig bei dem Verhör? bemerkte der alte Mayor zu dem Detektiv. Ich habe draußen etwas Wichtiges zu erledigen und bin bald wieder hier.

All right! erwiderte Sellers, und Black verschwand.

Nun, wandte sich der Detektiv wieder an den Jungen, habe keine Angst und sage uns vor allem, wie du heißt.

Anstatt zu antworten, fiel der Bursche in seinen Stuhl zurück, sein Kopf sank auf die Brust und die Arme hingen schlaff am Körper herab. Donner! Der Schrecken hat ihn getötet! rief Patsy hinzuspringend.

Es ist nur eine Ohnmacht, erklärte Sellers. Das ist tatsächlich der nervöseste kleine Spitzbube, der mir je unter die Hände gekommen ist.

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